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KAPITEL 4
DIE SCHWÄCHEN DES KREBSES

BEI EINER KREBSERKRANKUNG befindet sich der ganze Körper im Kriegszustand. Krebszellen verhalten sich wie bewaffnete Banden, sie kennen weder Recht noch Gesetz. Die Grenzen, die ein gesunder Körper respektiert, können sie nicht aufhalten. Mit ihren anomalen Genen entziehen sie sich den Mechanismen, die das normale, gesunde Gewebe kontrollieren. Anders als andere Zellen sterben sie beispielsweise nicht nach einer bestimmten Anzahl von Teilungen ab, sondern sie werden gewissermaßen »unsterblich«. Wenn das umliegende Gewebe aufgrund der »Überbevölkerung« Alarm schlägt und den Krebszellen mitteilt, sich nicht weiter zu vermehren, ignorieren sie diese Signale. Schlimmer noch, die Krebszellen scheiden bestimmte Substanzen aus und vergiften so das Gewebe. Das Gift verursacht eine lokale Entzündung, die zum Schaden des umliegenden Gewebes die Ausbreitung des Krebses weiter fördert. Schließlich nehmen die Krebszellen wie eine marschierende Armee auf der Suche nach Proviant nahe gelegene Blutgefäße in Beschlag. Sie zwingen sie, sich zu vermehren und den Sauerstoff und die Nährstoffe zu liefern, die für das Wachstums eines Tumors benötigt werden.

Unter bestimmten Bedingungen werden die marodierenden Krebszellen gestört und verlieren ihre Virulenz: 1. wenn das Immunsystem gegen sie mobil macht; 2. wenn der Körper sich weigert, die Entzündung zu produzieren, ohne die sie weder wachsen noch in neue Gebiete vordringen können; oder 3. wenn die Blutgefäße sich nicht vermehren und nicht die Versorgung leisten, die ein Tumor zur Entwicklung braucht. Diese Mechanismen kann man unterstützen und so verhindern, dass sich die Krankheit im Körper einnistet. Wenn sich ein Tumor erst einmal gebildet hat, kann allerdings keiner dieser natürlichen Abwehrmechanismen eine Chemotherapie oder Bestrahlung ersetzen. In Verbindung mit konventionellen Behandlungsmethoden kann man jedoch mit Hilfe dieser Mechanismen die Widerstandskraft des Körpers gegen Krebs mobilisieren.

Teil 1
Die Wächter des Körpers: Starke Immunzellen
Die verheerende Kraft der S-180-Zellen

Von allen Krebszellkulturen, die in der Forschung verwendet werden, sind die S-180-Zellen (Sarkom 180) besonders virulent. Sie stammen ursprünglich von einer einzelnen Maus aus einem Schweizer Labor, werden aber heute in großer Zahl gezüchtet und weltweit zur Untersuchung von Krebs unter identischen Bedingungen eingesetzt. Sie sind stark anomal und haben eine ungewöhnliche Chromosomenzahl. Zudem scheiden sie große Mengen an Cytokinen aus, giftige Substanzen, die beim Kontakt mit anderen Zellen deren Hülle zerstören. Wenn einer Maus S-180-Zellen injiziert werden, vermehren sich diese so schnell, dass sich die Tumormasse alle zehn Stunden verdoppelt. Sie dringen in das umliegende Gewebe ein und zerstören alles, was ihnen in die Quere kommt. In der Bauchhöhle blockiert ihr Wachstum schnell die Abflüsse des Lymphsystems. Wie in einer Badewanne mit verstopftem Abfluss sammelt sich Flüssigkeit in der Bauchhöhle, das sogenannte Bauchwasser oder Aszites. Die helle Flüssigkeit bietet für die S-180-Zellen ideale Wachstumsbedingungen, und sie vermehren sich in gefährlichem Maß weiter, bis ein lebenswichtiges Organ versagt oder ein Blutgefäß platzt und der Organismus stirbt.

Die Maus, die resistent gegen Krebs ist

Zheng Cui (sprich »Dschang Tsui«), Professor für Biologie an der Wake Forest University in North Carolina, untersuchte in seinem Labor nicht Krebs, sondern den Stoffwechsel von Fettsäuren. Für seine Experimente benötigte er Antikörper, und um diese zu bekommen, spritzte er Mäusen die berühmten S-180-Zellen. Die injizierten Zellen bewirkten die Ansammlung von Bauchwasser, dem man leicht Antikörper entnehmen konnte. Von den Mäusen, denen mehrere Tausend S-180-Zellen gespritzt wurden, lebte keine länger als einen Monat, daher erforderte dieses Verfahren eine ständige Erneuerung des Mäusebestands. Bis eines Tages etwas Merkwürdiges geschah.

Tierschutz

In diesem Buch und vor allem in diesem Kapitel ist von zahlreichen Versuchen die Rede, die an Labormäusen oder -ratten durch geführt wurden. Ich liebe Tiere und denke nicht gern daran, dass sie bei diesen Experimenten leiden müssen. Aber bislang haben weder Tierschutzorganisationen noch Wissenschaftler zufriedenstellende Alternativen für diese Experimente gefunden. Und dank der Experimente wird man viele Kinder, Männer und Frauen eines Tages effektiver und schonender behandeln können. Auch Tiere werden davon profitieren, da auch sie Krebs bekommen.

Eine junge Forschungsassistentin, Dr. Liya Qin (sprich »Tschin«), hatte einer Mäusegruppe die übliche Dosis von 200.000 S-180-Zellen injiziert. Doch eine Maus, Maus Nr. 6, reagierte nicht auf die Injektion, der Bauch des Mäuserichs blieb flach. Liya Qin wiederholte die Injektion, wieder ohne Erfolg. Auf Anraten Zheng Cuis, der ihre Forschung überwachte, verdoppelte sie die Dosis, aber es zeigte sich nach wie vor keine Wirkung. Daraufhin injizierte sie die zehnfache Dosis, also zwei Millionen Zellen. Zu ihrer großen Verwunderung entwickelte die Maus immer noch keinen Krebs und hatte auch keine Flüssigkeitsansammlung in der Bauchhöhle. Zheng Cui begann an der Befähigung seiner Assistentin zu zweifeln und beschloss, der Maus selbst eine Spritze zu verabreichen. Sicherheitshalber injizierte er 20 Millionen Krebszellen und vergewisserte sich, dass die Flüssigkeit auch wirklich in die Bauchhöhle gelangte. Zwei Wochen später war immer noch nichts zu sehen! Er versuchte es mit 200 Millionen Zellen – das Tausendfache der üblichen Dosis –, aber es tat sich weiterhin nichts.

Keine Maus im Labor hatte nach der Injektion von S-180-Zellen länger als zwei Monate gelebt. Maus Nr. 6 lebte nun bereits acht Monate, trotz der astronomisch hohen Dosen, die direkt in die Bauchhöhle gespritzt worden waren, weil sich die Krebszellen dort normalerweise am schnellsten vermehren. In Professor Zheng Cui keimte der Gedanke, ob er vielleicht das Unmögliche vor sich hatte – eine Maus, die resistent war gegen Krebs?

In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten wurde in der medizinischen und naturwissenschaftlichen Literatur immer wieder von Patienten berichtet, deren Krebserkrankung sich plötzlich zurückbildete und schließlich ganz verschwand, obwohl sie als unheilbar diagnostiziert worden war.1–7 Doch solche Fälle sind extrem selten, und sie lassen sich nur schwer untersuchen, weil sie unvorhersehbar sind und nicht nach Belieben wiederholt werden können. Normalerweise erklärt man sie mit einer Fehldiagnose (»wahrscheinlich war es gar nicht Krebs«) oder mit einer verspäteten Reaktion auf eine frühere konventionelle Behandlung (»wahrscheinlich hat die Chemotherapie vom letzten Jahr doch noch gewirkt«).

Ehrlicherweise muss man bei diesen ungeklärten Remissionen jedoch einräumen, dass hier Mechanismen am Werk sind, die wir zwar noch nicht verstehen, die aber dem Wachstum der Krebszellen entgegenwirken. In den letzten zehn Jahren wurde ein Teil dieser Mechanismen entdeckt und im Labor untersucht. Professor Zheng Cuis Maus Nr. 6 brachte einen Mechanismus ans Licht: die Kraft des Immunsystems, wenn es vollständig mobilisiert wird.

Nachdem Zheng Cui überzeugt war, dass die berühmte Maus (mittlerweile bekannt als »Mighty Mouse« oder »Supermaus«) resistent gegen Krebs war, tauchte eine neue Sorge auf. Es gab nur eine Supermaus, und eine Maus wird höchstens zwei Jahre alt. Wenn aber die Maus starb, wie konnte man dann ihre außergewöhnlichen Eigenschaften untersuchen? Und was, wenn sie sich einen Virus oder eine Lungenentzündung zuzog? Zheng Cui dachte darüber nach, die DNA der Maus zu konservieren oder die Maus zu klonen, denn kurz zuvor waren die ersten Mäuse erfolgreich geklont worden. Dann fragte ein Kollege: »Hast du schon daran gedacht, mit der Maus zu züchten?«


Abbildung 1: die »Supermaus«, Maus Nr. 6, die resistent gegen Krebs ist. Mit freundlicher Genehmigung von Zheng Cui, Wake Forest University.

Tatsächlich hatte der Supermäuserich nicht nur zahlreiche Nachkommen (mit einem normalen, nicht resistenten Weibchen), sondern vererbte auch der Hälfte seiner Enkel die Resistenz gegen S-180-Zellen.I Wie ihr Großvater verkrafteten die Mäuse zwei Millionen S-180-Zellen, eine Dosis, die im Labor mittlerweile völlig normal wirkte, ohne dass sie krank wurden. Sie tolerierten sogar zwei Milliarden S-180-Zellen, obwohl diese 10 Prozent ihres Körpergewichts ausmachten – bei einem Menschen würde das bedeuten, dass man ihm 6 bis 8 Kilo ultravirulente Tumormasse injiziert.

Der geheimnisvolle Mechanismus

Nun kam es, dass Professor Zheng Cui dem Labor aufgrund eines Forschungsurlaubs mehrere Monate lang fernbleiben musste. Als er nach seiner Rückkehr die Experimente mit den resistenten Mäusen wieder aufnahm, erwartete ihn eine herbe Enttäuschung. Zwei Wochen nach der normalen Injektion entwickelten alle Mäuse Bauchwasser und Tumore. Ausnahmslos alle. Was war passiert? Hatten sie während seiner Abwesenheit ihre Resistenz eingebüßt? Tagelang grübelte er über diesen Rückschlag und fragte sich, was er falsch gemacht hatte. Vielleicht war die »Entdeckung« auch einfach zu schön, um wahr zu sein, wie es ihm die meisten Kollegen prophezeit hatten. Er war so enttäuscht, dass er nicht mehr nach den Mäusen sah. Vier Wochen nach den Injektionen lagen sie wahrscheinlich alle im Sterben. Als er schließlich doch ins Labor zurückkehrte und schweren Herzens die Abdeckung eines Käfigs hob, blieb er wie erstarrt stehen: Die Mäuse waren eindeutig am Leben, und der Aszites war verschwunden.

Mehrere Tage lang experimentierten die Wissenschaftler fieberhaft, dann zeichnete sich eine Erklärung ab. Von einem gewissen Alter an (sechs Monate bei Mäusen, was einem Alter von 50 Jahren bei Menschen entspricht) wird der Abwehrmechanismus schwächer. Bei den Labormäusen entwickelten sich zunächst Krebszellen, was den geschwollenen Bauch und die Flüssigkeitsansammlung erklärt. Doch etwa zwei Wochen später (ein oder zwei Jahre nach menschlichem Maßstab) aktivierte der vorhandene Tumor die Abwehrkräfte des Körpers. Der Tumor verkleinerte sich praktisch von einer Minute auf die andere und war nach weniger als 24 Stunden verschwunden (ein bis zwei Monate bei einem Menschen). Die Mäuse waren wieder so aktiv wie zuvor, auch in ihrem Sexualleben. Zum ersten Mal hatte die Wissenschaft ein Versuchsmodell für eine Spontanremission bei Krebs, das beliebig wiederholt werden konnte.8 Allerdings musste man noch die Mechanismen dieser mysteriösen Rückbildung erklären. Schließlich gelang es Mark S. Miller, einem Kollegen Zheng Cuis und Spezialisten für die das Geheimnis zu lüften.

Mark Miller untersuchte unter dem Mikroskop Proben der S-180-Zellen, die aus der Bauchhöhle der Wundermäuse stammten, und entdeckte ein regelrechtes Schlachtfeld. Statt der üblichen Krebszellen – rund, mit haarähnlichen Zellfortsätzen und aggressiv – sah er glatte Zellen, deren Oberfläche eingedellt und voller Löcher war. Sie kämpften mit den weißen Blutkörperchen des Immunsystems, unter anderem auch mit den berühmten natürlichen Killerzellen, den sogenannten NK-Zellen. Mark Miller konnte mit seinem Videomikroskop sogar Aufnahmen davon machen, wie die weißen Blutkörperchen die S-180-Zellen angriffen. Er hatte die Lösung des Rätsels gefunden. Die resistenten Mäuse konnten mit Hilfe ihres Immunsystems eine starke Abwehr mobilisieren, selbst wenn sich der Krebs schon eingenistet hatte.9

Spezialagenten gegen den Krebs

Natürliche Killerzellen (NK) sind Spezialagenten des Immunsystems. Wie alle weißen Blutkörperchen zirkulieren sie im Blutkreislauf und suchen ständig nach Bakterien, Viren oder neuen Krebszellen. Aber im Gegensatz zu anderen Zellen des Immunsystems müssen NK-Zellen nicht erst durch Krankheitserreger aktiviert werden, um sie zu bekämpfen. Sobald sie einen Feind erkennen, sammeln sie sich um den Eindringling und suchen den Kontakt von Membran zu Membran. Dann zielen sie auf ihr Opfer, ähnlich wie ein Panzergeschütz. Die »Munition« besteht aus mit Gift gefüllten Bläschen, den Vesicula.

Beim Kontakt mit der Membran der Krebszelle werden die Vesicula freigesetzt, und die chemischen Waffen der NK-Zellen (Perforin und Granzyme) durchdringen die Membran. Die Moleküle des Perforins haben eine ringförmige Struktur und bilden so eine Röhre, durch die die Granzyme in die Krebszelle eindringen können. Im Kern der Krebszelle aktivieren die Granzyme dann einen Mechanismus zur programmierten Selbstzerstörung – als würden sie der Krebszelle den Befehl zum Selbstmord geben. Diesem Befehl kann sich die Krebszelle nicht widersetzen, der Zellkern zerfällt, und das führt zum Zusammenbruch der Krebszelle. Die Zellreste werden von Makrophagen (Fresszellen) beseitigt, den Müllmännern des Immunsystems, die stets im Gefolge der NK-Zellen zu finden sind.10,11

Wie die Immunzellen von Zheng Cuis resistenten Mäusen sind menschliche NK-Zellen in der Lage, verschiedene Formen von Krebszellen zu töten, vor allem Sarkomzellen und die Zellen von Brust-, Prostata-, Lungen- und Darmkrebs.12

Eine Studie an 77 Frauen mit Brustkrebs, die über einen Zeitraum von zwölf Jahren durchgeführt wurde, hat gezeigt, wie wichtig diese Zellen für die Behandlung sind. Zunächst entnahm man den Frauen zum Zeitpunkt der Diagnose Gewebeproben des Tumors und kultivierte diese mit ihren eigenen NK-Zellen. Die NK-Zellen bestimmter Patientinnen reagierten nicht; es war, als ob ihre natürliche Vitalität auf mysteriöse Weise beeinträchtigt wäre. Die NK-Zellen anderer Patientinnen gingen dagegen vehement gegen die Krebszellen vor, was auf ein aktives Immunsystem hinweist. Zwölf Jahre später, am Ende der Studie, war knapp die Hälfte (47 Prozent) der Patientinnen, deren NK-Zellen im Labor nicht reagiert hatten, gestorben. Von denjenigen, deren Immunsystem sich unter dem Mikroskop aktiv gezeigt hatte, lebten dagegen noch 95 Prozent.13

Andere Studien kamen zu ähnlichen Ergebnissen: Je weniger aktiv die NK-Zellen und andere weiße Blutkörperchen unter dem Mikroskop waren, desto schneller schritt der Krebs voran und breitete sich in Form von Metastasen im ganzen Körper aus.14 Auch die Überlebensraten elf Jahre später waren deutlich geringer.15 Aktive Immunzellen spielen demnach offenbar eine wichtige Rolle dabei, das Tumorwachstum und die Metastasenbildung zu hemmen.16, 17

Den Krebs in Schach halten

Mary-Ann, eine Schottin, die gar keinen Krebs hatte, musste auf grausame Weise erfahren, welche Rolle das Immunsystem dabei spielt, die Tumorbildung im Körper zu verhindern. Sie litt unter Niereninsuffizienz, einer schweren Krankheit, bei der die Nieren das Blut nicht mehr filtern können. Dadurch sammeln sich Giftstoffe im Körper an, weshalb der Betroffene mehrmals in der Woche zur Dialyse gehen muss. Doch Mary-Ann bekam eine Spenderniere und konnte nach der Transplantation ein Jahr lang ein fast normales Leben führen. Die einzige Einschränkung bestand darin, dass sie täglich Medikamente zur Unterdrückung ihres Immunsystems einnehmen musste, die verhinderten, dass ihr Körper die transplantierte Niere als fremdes Organ abstieß. Anderthalb Jahre nach der Transplantation hatte sie stechende Schmerzen im Bereich der Niere, außerdem wurde bei einer Routinemammografie ein Knoten in ihrer linken Brust entdeckt. Die Biopsie ergab, dass es sich um Metastasen eines Melanoms handelte, eines bösartigen Hautkrebses. Allerdings hatte Mary-Ann keinen Hautkrebs, von dem die Metastasen stammen konnten. Die Ärzte standen vor einem Rätsel. Auch die Dermatologin Rona Mac Kie, die von den Chirurgen hinzugezogen wurde, konnte diesen mysteriösen Fall eines Phantommelanoms nicht erklären.II Es wurde alles getan, um Mary-Ann zu helfen. Die Immunsuppressiva wurden abgesetzt, die kranke Niere entfernt. Aber es war zu spät. Sechs Monate später starb sie an den Folgen eines Melanoms, dessen Ursprung im Dunkeln blieb.

Kurz darauf entwickelte George, ein zweiter Patient, der im selben Krankenhaus eine Nierentransplantation erhalten hatte, ebenfalls ein metastasierendes Melanom ohne Primärtumor. Dieses Mal konnte Dr. MacKie nicht an einen simplen Zufall glauben oder geheimnisvolle Vorgänge im Körper dafür verantwortlich machen. Mit Hilfe eines Registers für transplantierte Organe verfolgte sie die beiden Nieren zurück zur Spenderin. Der Gesundheitszustand der Spenderin hatte den üblichen Anforderungen entsprochen: keine Hepatitis, kein HIV und natürlich kein Krebs. Aber Rona MacKie blieb hartnäckig und stieß schließlich in einer schottischen Datenbank für Patienten mit einem Melanom auf den Namen der Spenderin. 18 Jahre zuvor war die Spenderin operiert worden, man hatte einen winzigen Hauttumor entfernt, der gerade einmal 2,6 Millimeter maß. Anschließend wurde ihr Gesundheitszustand 15 Jahre lang von einer Spezialklinik für Hautkrebs kontrolliert. Schließlich war sie ein Jahr vor ihrem tödlichen Unfall, der mit der alten, überwundenen Krebserkrankung nichts zu tun hatte, als »vollständig geheilt« eingestuft worden. In den Organen der Patientin, die nach bestem Wissen und Gewissen als »frei von Krebs« galt, hatten sich immer noch winzige Tumoren befunden, doch ihr Immunsystem hatte sie in Schach gehalten. Bei der Transplantation gelangten die Mikrotumoren in neue Körper (die von George und Mary-Ann), deren Immunsysteme absichtlich unterdrückt worden waren, damit die transplantierten Nieren nicht abgestoßen wurden. Ohne ein normal funktionierendes Immunsystem konnten sich die Mikrotumoren schnell entwickeln und ausbreiten.

Aufgrund ihrer Rechercheergebnisse konnte Dr. MacKie ihre Kollegen in der Transplantationsabteilung davon überzeugen, die Immunsuppressiva bei George abzusetzen. Stattdessen verordneten sie ihm ein Medikament zur Steigerung der Immunabwehr, damit die melanominfizierte Niere so schnell wie möglich abgestoßen wurde. Einige Wochen später konnte die Niere entfernt werden. George musste zwar wieder zur Dialyse, war jedoch auch zwei Jahre später noch am Leben und zeigte keine Anzeichen eines Melanoms. Sobald sein Immunsystem seine natürliche Stärke wiedererlangt hatte, erfüllte es seine Aufgabe und bekämpfte Tumoren.III

»Die Natur hält sich nicht an die Lehrbücher«

Mit den Mäusen von Professor Zheng Cui konnten die Wissenschaftler zeigen, dass weiße Blutkörperchen in wenigen Wochen bis zu zwei Milliarden Krebszellen beseitigen. Knapp sechs Stunden nach der Injektion der Krebszellen kommt es in der Bauchhöhle der Mäuse zu einer regelrechten Invasion von 160 Millionen weißen Blutkörperchen. Bei dieser Schlacht verschwinden 20 Millionen Krebszellen an einem halben Tag! Vor den Experimenten mit der krebsresistenten Supermaus und ihren Nachkommen hätte man nicht einmal zu hoffen gewagt, dass sich das Immunsystem in einem solchen Ausmaß aktivieren lässt: Immerhin wird es mit Krebszellen fertig, die 10 Prozent des Körpergewichts ausmachen. Niemand hätte das für möglich gehalten, am allerwenigsten die Immunologen. Die vorherrschende Meinung über die Möglichkeiten und Grenzen der Immunabwehr hätten einen klassischen Immunologen wahrscheinlich davon abgehalten, sich überhaupt Gedanken über die Ursachen der phänomenalen Gesundheit von Maus Nr. 6 zu machen. Zumindest glaubt das Lloyd Old, Professor für Krebsimmunologie am Sloan-Kettering Cancer Center in New York. An Zheng Cui (der vor seiner Begegnung mit Maus Nr. 6 so gut wie nichts über Immunologie wusste) schrieb er: »Wir müssen dankbar sein, dass Sie kein Immunologe sind. Sonst hätten Sie diese Maus ohne zu zögern sterben lassen.« Woraufhin Professor Zheng Cui antwortete: »Wir sollten einfach nur dankbar sein, dass sich die Natur nicht an die Lehrbücher hält!«19

Die Ressourcen des Körpers und seine Fähigkeit, mit Krankheiten fertig zu werden, werden von der modernen Naturwissenschaft immer noch unterschätzt. Natürlich hängt die außergewöhnliche Resistenz der Supermaus mit ihren Genen zusammen. Aber was ist mit all jenen, die wie Sie und ich nicht mit solch außergewöhnlichen Genen gesegnet sind? Inwieweit können wir uns darauf verlassen, dass unser »normales« Immunsystem so schwierige Aufgaben meistert?

Im Jahr 2007 erschien in der Zeitschrift Nature eine Studie über das Immunpotenzial ganz normaler Mäuse, die nicht die außerordentlichen Abwehrkräfte von Mighty Mouse besaßen. Catherine Koebel und ihr Team an der Washington University in St. Louis injizierten mehreren normalen Mäusen eine Sorte Teer, die noch stärker krebserregend ist als der Teer in Zigarettenrauch. (Der genaue Name ist Methylcholanthren, MCA.) Erwartungsgemäß entwickelte eine Gruppe der Versuchstiere rasch tödliche Tumoren. Aber überraschenderweise zeigte eine andere Gruppe keinerlei Tumorwachstum. Die Forscher fanden heraus, dass diese gesunden Mäuse tatsächlich Träger von Krebszellen waren, aber die Krebszellen »im Schlafzustand« blieben – das Immunsystem hielt sie in Schach. Dr. Koebels Daten sprechen dafür, dass Mikrotumoren eher zu wachsen und sich auszubreiten beginnen, wenn das Immunsystem geschwächt ist.20 Die Beispiele von Mary-Ann und George, die ich weiter oben vorgestellt habe, illustrieren das Konzept von den »schlafenden Tumoren«.

Catherine Koebels Team hat erstmals unter Laborbedingungen ein radikal neues Konzept der Onkologie überprüft. Die Ergebnisse ihrer Forschungen sprechen dafür, dass Krebs nur von solchen Krebszellen ausgeht, die einen fruchtbaren »Boden« finden, auf dem sie wachsen können. Das heißt, Krebszellen werden nur bei Menschen zu wuchern beginnen, deren Immunabwehr geschwächt ist. Möglicherweise spielt die fehlende Immunabwehr die Hauptrolle dabei, ob aus schlafenden Krebszellen aggressive Tumoren werden.

Das eröffnet völlig neue Ansätze für die Behandlung. Ziel wäre es demnach nicht, Tumoren zu bekämpfen, indem man die Krebszellen selbst ins Visier nimmt, sondern die Tumoren durch Mobilisierung und Stärkung der natürlichen Abwehr über lange Zeit zu »stabilisieren«.

Wir können gar nicht genug schätzen, wie wichtig es ist, dass unsere weißen Blutkörperchen kampfbereit bleiben. Sie sind ausschlaggebend dafür, dass unser Körper in der Lage ist, Krebs zu widerstehen und ihn zu bekämpfen.

Wir können ihre Vitalität steigern oder zumindest verhindern, dass sie in ihrer Aktivität nachlassen. Die Supermäuse sind darin erfolgreicher als andere, aber wir alle können unsere weißen Blutkörperchen so weit »antreiben«, dass sie bei der Konfrontation mit Krebszellen ihr Bestes geben. Verschiedene Studien zeigen, dass menschliche Immunzellen ähnlich wie Soldaten eifriger kämpfen, wenn man sie 1. mit Respekt behandelt (sie richtig ernährt und vor Giftstoffen schützt) und wenn 2. ihr Kommandant einen kühlen Kopf bewahrt (sich mit seinen Gefühlen auseinandersetzt und gelassen bleibt).

Wie wir noch sehen werden, sind Immunzellen (einschließlich der NK-Zellen und der weißen Blutkörperchen, die Krebs bekämpfen) dann besonders leistungsfähig, wenn wir uns gesund ernähren, in einer »sauberen« Umwelt leben und unseren gesamten Körper bewegen (und nicht nur Kopf und Hände). Auch das wurde in Studien nachgewiesen. Außerdem sind Immunzellen sensibel für Emotionen. Sie reagieren positiv auf emotionale Verfassungen, in denen es uns gut geht und wir uns mit den Menschen um uns herum verbunden fühlen. Es ist fast so, als würden sie besser funktionieren, wenn sie im Dienste eines Lebens stehen, das sich, objektiv betrachtet, zu leben lohnt. Wir werden diesen treuen Wächtern über unsere Gesundheit in den folgenden Kapiteln immer wieder begegnen, wenn wir uns mit natürlichen Therapieansätzen befassen, die eine Krebsprävention und -behandlung immer begleiten sollten.IV


HemmendAktivierend
Traditionelle westliche Ernährung (entzündungsfördernd)»Mittelmeerdiät« Indische Küche, asiatische Küche
Unterdrückte GefühleGelebte Gefühle
Stress, Verbitterung, DepressionRuhe und Gelassenheit
Soziale IsolationUnterstützung durch Freunde und Familie
Verleugnen der eigenen Identität (z. B. seiner Homosexualität)Sich selbst so akzeptieren, wie man ist, mit seinen Wertvorstellungen und der eigenen Geschichte
Sitzende LebensweiseRegelmäßige Bewegung

Tabelle 1: Was hemmend und was aktivierend auf die Immunzellen wirkt. Die verschiedenen Studien über die Aktivität der weißen Blutkörperchen zeigen, dass sie auf die Ernährung, die Umwelt, auf Bewegung und das emotionale Erleben reagieren.

1 058,39 ₽
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488 стр. 48 иллюстраций
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9783956140839
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