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d) Weitere Verfahren zur räumlichen Marktabgrenzung

Eine weitere Methode zur Abgrenzung des relevanten räumlichen Marktes besteht in den Analysen von Handelsströmen und Transportkosten. Dieser Test ist auch unter dem Namen Elzinga-Hogarty-Test bekannt und ist die empirische Methode, die erstmals zur Abgrenzung des relevanten Marktes herangezogen wurde.174 Der Test basiert darauf, dass zwei Maßzahlen definiert werden, die eine Aussage darüber erlauben, wie „offen“ ein bestimmtes Gebiet für Importe und Exporte ist. Wenn die Handelsströme derart sind, dass ein großer Teil des inländischen Konsums an bestimmten Gütern durch Importe gedeckt wird, dann sind Unternehmen von außerhalb in der Lage, diese Güter in das betrachtete Gebiet zu exportieren und können somit die Marktmacht der dort ansässigen Unternehmen beschränken. Wenn andererseits nur wenig importiert wird, aber ein großer Teil der Produktion in den Export geht, dann deutet dies darauf hin, dass auch in diesem Fall der relevante Markt größer ist als das betrachtete Gebiet, denn offensichtlich sind die Transportkosten nicht hoch genug, um einen Export zu verhindern. Bei den beiden Maßzahlen handelt es sich um Kenngrößen für diese beiden Effekte. Die eine wird als LIFO (little in from outside) bezeichnet und ist definiert als der Anteil des Konsums im betrachteten Gebiet, der aus heimischer Produktion gedeckt wird, am gesamten Konsum. Ist dieser Faktor hoch (nahe 1), dann wird nur wenig importiert. Die andere Maßzahl ist LOFI (little out from inside) und ist definiert als das Verhältnis zwischen der Produktion, die im Gebiet verbleibt, und der gesamten Produktion des Gebietes. Ist diese Zahl hoch, dann wird wenig aus der Region exportiert. Man geht davon aus, dass ein separater räumlich relevanter Markt vorliegt, wenn beide Maßzahlen über 0.7 liegen oder ihr Durchschnitt über 0.9. Die Ergebnisse des Elzinga-Hogarty-Tests sind Indizien für die richtige Abgrenzung des relevanten räumlichen Marktes. Es ist jedoch zu beachten, dass er die zentrale Frage nach der Marktmacht nicht beantwortet, nämlich ob ein hypothetischer Monopolist den Preis in der betrachteten Region signifikant erhöhen könnte. Der Test könnte daher zu einer Über- oder Unterschätzung der Größe des relevanten räumlichen Marktes führen.175 Der erste Fall könnte z.B. dann vorliegen, wenn die Güter in verschiedenen Regionen keine vollkommenen Substitute darstellen. Aus der Tatsache, dass einige Güter importiert werden, könnten fälschlicherweise der Schluss gezogen werden, dass alle Güter profitabel importiert werden könnten. Der zweite Fall läge z.B. dann vor, wenn Konsumenten bei herrschenden Preisen innerhalb des räumlichen Kandidatenmarktes kaufen, bei einer Preiserhöhung jedoch auf andere Gebiete ausweichen. Dieser Test sollte daher tendenziell eher als Negativtest interpretiert werden: Wenn es viele Importe in die betrachtete Region gibt, also der LIFO-Wert niedrig ist, dann ist davon auszugehen, dass diese Region keinen räumlich relevanten Markt darstellt.

Daten über Transportkosten erlauben es in einigen Fällen, den hypothetischen Monopolistentest zur räumlichen Marktabgrenzung durchzuführen. Hier kann man die Frage stellen, ob durch eine kleine aber signifikante Erhöhung des Preises in einem Gebiet Hersteller des Produktes in anderen Gebieten einen Anreiz bekommen, das Produkt nun auch in die Region mit dem höheren Preis zu liefern. In einem solchen Fall würde durch diese Hersteller die Marktmacht beschränkt werden. Beim bisher vorliegenden Preis hat es sich möglicherweise für die Hersteller in anderen Gebieten aufgrund der Transportkosten nicht gelohnt, die betrachtete Region zu beliefern. Dies kann sich jedoch nach einer Preiserhöhung als profitabel erweisen. Um dies festzustellen, ist es erforderlich, Informationen über die Transportkosten zu ermitteln. Zur Abgrenzung relevanter räumlicher Märkte sind in den letzten Jahren neben der Handelsstrom- und Transportkostenanalyse auch eine Reihe von ökonometrischen Verfahren entwickelt worden, die vor allem auf die Preisentwicklungen der Produkte in unterschiedlichen Gebieten abstellen.176 Die Verfahren entsprechen dabei im Prinzip denen der Abgrenzung des relevanten sachlichen Marktes, d.h. den Zeitreihenverfahren der Korrelations- und Stationaritätsanalyse; sie müssen jedoch für die spezielle Anwendung der räumlichen Marktabgrenzung modifiziert werden. Selbstverständlich gelten die kritischen Anmerkungen zu Preistests auch für den Fall der räumlichen Marktabgrenzung.

e) Folgerungen

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass aufgrund der zur Verfügung stehenden Daten über Preise und abgesetzte Mengen, z.B. Scannerdaten und verbesserter ökonometrischer Methoden, eine Reihe empirischer Verfahren vorliegen, mit deren Hilfe in vielen Fällen eine Marktabgrenzung im Rahmen des hypothetischen Monopolistentests entweder durch eine Implementation über die Schätzung des kritischen Absatzrückgangs, kritischer Elastizitäten oder verschiedener Preistests vorgenommen werden kann. Diese Verfahren sind von unterschiedlicher Komplexität und stellen unterschiedliche Anforderungen an die Daten. Einige Methoden, wie die Schätzungen von Elastizitäten der Residualnachfragefunktionen, erfordern komplexere ökonometrische Untersuchungen und haben hohe Anforderungen an die Menge und Qualität der Daten. Andere Methoden, wie z.B. die Schockanalyse, sind einfach anzuwenden und kommen häufig mit wenigen Daten aus. Für die gleiche Fragestellung können dabei unterschiedliche methodische Ansätze herangezogen werden, die zu unterschiedlichen Resultaten führen können. Es ist daher bei einer empirischen Analyse immer die verwendete Methodik, die Annahmen und das verwendete Datenmaterial offenzulegen, damit die Resultate nachvollziehbar sind und eine objektive Diskussion über die geeignete Methode und die sinnvollsten Annahmen erfolgen kann. Auch mit geringem Datenmaterial sollte, wenn immer möglich, eine empirische Analyse durchgeführt werden, um sicherzustellen, dass eine auf rein theoretischen Überlegungen basierende Marktabgrenzung den empirischen Fakten zumindest nicht offenkundig widerspricht. Allerdings wird es aber auch künftig Fälle geben, in denen keine ausreichenden Daten zur Verfügung stehen oder der Zeitrahmen eine empirische Analyse nicht zulässt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass dadurch das Konzept des hypothetischen Monopolistentests in Frage gestellt wird. Um einen Markt ökonomisch sinnvoll abzugrenzen, sind die Schranken festzustellen, die der Marktmacht durch Angebots- und Nachfragesubstitution gesetzt werden und dies wird durch den hypothetischen Monopolistentest gewährleistet. In solchen Fällen sollte vor allem auch qualitative Evidenz berücksichtigt werden. Hierzu gehören z.B. die Art und das Ausmaß der Produktdifferenzierung, die für die Käufer bedeutsam ist, beobachtete Nachfrageänderungen aufgrund von Preisänderungen in der Vergangenheit, Befragungen von Konsumenten und von Branchenkennern wie z.B. Marktforschungsinstituten oder Industrieexperten.177 Allerdings stellt sich die Frage, ob bei einigen spezifischen Märkten, bei denen eine Marktabgrenzung konzeptionell schwierig und problematisch ist, wie z.B. bei Märkten mit differenzierten Gütern, zwei- und mehrseitigen Märkten sowie Märkten, auf denen eine Leistung zu einem monetären Preis von Null angeboten wird, auf eine Marktabgrenzung als ersten Schritt verzichtet werden kann, wie das auch in den US-amerikanischen Leitlinien für Horizontalfusionen der Fall ist.178 Stattdessen könnte man versuchen, mithilfe eines wirkungsbasierten Ansatzes zu ermitteln, ob ein Fusionsvorhaben wettbewerbliche Bedenken rechtfertigt und eine genauere Prüfung erforderlich macht.

147 Ausführliche Darstellungen empirischer und ökonometrischer Verfahren im gesamten Gebiet der Wettbewerbstheorie, einschließlich der Abgrenzung des relevanten Marktes, geben Davis/Garcés (2009) sowie Bishop/Walker, (2010), 493–626. 148 Im Rahmen dieses Artikels werden nur die bekanntesten und gebräuchlichsten Verfahren dargestellt. Auf einige der sehr komplexen ökonometrischen Methoden, wie Kausalitätsanalysen, Kointegration etc. wird nicht eingegangen. Vgl. hierzu Davis/Garcés (2009) sowie Bishop/Walker (2010) und die dort angegebene Literatur. 149 Für die Frage, welche Produkte dem Kandidatenmarkt hinzugefügt werden, können Kreuzpreiselastizitäten und Umlenkungskennziffern (diversion ratios) Hinweise liefern. 150 Vgl. Baker, J./Bresnahan (1988, 1992); Froeb/Werden (1991); Scheffman (1992). Vor allem im Rahmen der quantitativen Analyse der Auswirkungen von Fusionen werden auch Nachfragesysteme geschätzt. Diese werden auf den Seiten 362–366 dargestellt, sie können aber auch für Fragen der Marktabgrenzung herangezogen werden. 151 Eine grundlegende Darstellung der Regressionsanalyse gibt Wooldridge (2008). Eine Einführung im Rahmen der Wettbewerbsanalyse findet sich in Davis/Garcés (2009), 63–89 sowie in Bishop/Walker (2010), 723–758. 152 „Over the last decade, critical elasticity and critical loss analyses have become standard analytical tools; they are now used in the investigation and litigation phase of most merger cases.“ Werden (2002b), 14–15. Der Begriff „critical loss“ wurde von Harris/Simon (1988) eingeführt. Für detaillierte Analysen des kritischen Absatzrückgangs vgl. Coate/William (2005); Danger/Frech III (2001); Farrell/Shapiro (2008a); Harris/Veljanovski (2003); Katz/Shapiro (2003, 2004); Langenfeld/Li (2001); O’Brian/Wickelgren (2003); Scheffman/Simons (2003); Werden (1998, 2002c); Werden/Froeb (2002). 153 Die Darstellung des kritischen Absatzrückgangs orientiert sich an Schwalbe/Maier-Rigaud (2012). 154 Für den kritischen Absatzrückgang gibt es also einen ähnlichen Unterschied wie beim SSNIP-Test zwischen einer profitablen Preiserhöhung und einer, die ein gewinnmaximierender hypothetischer Monopolist auch tatsächlich durchführen würde. 155 Für die Herleitung der Formeln vgl. Werden (1998). 156 Eine Diskussion des erforderlichen Vorgehens und einige kritische Anmerkungen finden sich in Katz/Shapiro (2003, 2004), O’Brien/Wickelgren (2003) sowie Scheffman/Simon (2003). 157 Vgl. z.B. Coate/Simons (2009), (2010a) und (2010b); Coate/Williams (2005) und (2008); Daljord/Sørgard/Thomassen (2007); Farrell/Shapiro (2008) und (2010); Katz/Shapiro (2003) und (2004); O’Brien/Wickelgren (2003) und (2004) sowie Scheffman/Simons (2003). 158 Der Lerner-Index kann geschrieben werden als m =1/ɛ. 159 Vgl. Katz/Shapiro (2008). 160 Vgl. Strand (2006, 2007). 161 Vgl. Evans/Noel (2005, 2008); Filistrucchi (2008a). 162 Einen Überblick über die Diskussion gibt Hüschelrath (2009). 163 Auf dieses Problem wurde bereits auf den Seiten 116–119 hingewiesen. 164 Eine Übersicht über den kritischen Absatzrückgang bei verschiedenen Kostenstrukturen geben Coate/Williams (2005). 165 Bei diesen sogenannten Preistests ist jedoch zu berücksichtigen, dass sie die grundlegende Frage der wettbewerblichen Schranken von Marktmacht nicht beantworten. Dies sollte bei ihrer Verwendung immer bedacht werden. 166 Das Instrument der Preiskorrelationsanalyse zur Abgrenzung relevanter Märkte wurde erstmalig von Stigler/Sherwin (1965), vorgeschlagen. Vgl. Bishop/Walker, (2010), 492–527; Davies/Garcés (2009), 169–185; Lexecon (2003), 5–8; Office of Fair Trading (1999), 53–55. 167 Vgl. Bishop/Walker, (2010), 496. 168 Vgl. Bishop/Walker, (2010), 516–519; Lexecon, (2003), 7. 169 Dies kann bisweilen schon durch eine graphische Darstellung der Preisreihen festgestellt werden. Vgl. Office of Fair Trading (1999), 55. 170 Vgl. Lexecon (2003), 9–13. 171 Vgl. Forni (2004) für eine Verteidigung dieser Ansätze. Kritisch dagegen äußern sich Baker (1993,2006), Hosken/Tylor (2004) sowie Werden/Froeb (1993). Für eine Anwendung auf die räumliche Marktabgrenzung vgl. Boshoff (2006). 172 Vgl. Bishop/Walker, (2010), 592–604; Davies/Garcés (2009), 185–188; Lexecon (2003), 34–36. 173 Für einen Überblick über die Abgrenzung des relevanten Markts mittels einer Schockanalyse und eine Anwendung auf den Fährmarkt in der Nordsee vgl. Daljord/Sørgard/Thomassen (2007). 174 Vgl. Elzinga/Hogarty (1973). Eine gute Darstellung dieses Tests findet sich in Bishop/Walker, (2010), 669–686. Kritische Anmerkungen dazu machen Baker (2007) sowie Werden (1981). 175 Vgl. Baker (2007). 176 Vgl. Haldrup (2003). Für eine Diskussion der verschiedenen Verfahren zur Abgrenzung des räumlich relevanten Marktes einschließlich des Elzinga-Hogarty-Tests sowie verschiedenen Preistests vgl. Scheffman/Spiller (1987). 177 Vgl. Baker/Bresnahan (2008), 11–15. 178US Department of Justice and the FTC (2010), 21.

3. Ökonomische Marktkonzepte in der Anwendungspraxis

Sowohl auf der Ebene des Unions- als auch auf der des nationalen Rechts steht in der Anwendungspraxis eine Vorgehensweise im Vordergrund, die – nach Art des überkommenen Bedarfsmarktkonzepts (hierzu bereits oben S. 86–89) – in einer mehr abstrakten Weise auf die zwischen Gütern oder Leistungen bestehenden Substitutionsbeziehungen abhebt (sogleich S. 135–143 und S. 152–161). Daneben gewinnt ein stärker auf die Ermittlung des von Gütern bzw. Leistungen aufeinander ausgeübten konkreten Wettbewerbsdrucks gerichtetes Vorgehen nach Art des hypothetischen Monopolistentests (oben S. 89–93) an Bedeutung (S. 143–152 und S. 161–163). Dieser Entwicklung wird in der vorliegenden, die Verwendung moderner ökonomischer Verfahren in der Praxis untersuchenden Studie besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Von der Verwendung der genannten grundlegenden Konzepte ist die Anwendung ökonometrischer und empirischer Analysemittel zu unterscheiden (hierzu ergänzend unten S. 163–220).

a) Unionsrecht
α) Bedarfsmarktkonzept

Der Feststellung einer Substituierbarkeit von Gütern im Sinne des Bedarfsmarktkonzepts kommt in der Praxis erhebliche Bedeutung zu.179 Der Europäische Gerichtshof hat bereits in seinem „Continental-Can“-Urteil von 1973 ausgeführt, die Wettbewerbsmöglichkeiten ließen sich nur nach Maßgabe derjenigen Merkmale der fraglichen Erzeugnisse beurteilen, die sie „zur Befriedigung eines gleichbleibenden Bedarfs besonders gut geeignet und mit anderen Erzeugnissen nur in geringerem Maße austauschbar erscheinen lassen“.180

Ziel der unterschiedlichen Methoden und Nachweise zur Abgrenzung des relevanten Marktes ist zumeist die Feststellung der gegenseitigen Austauschbarkeit aller Produkte und/oder Dienstleistungen auf einem Markt. Besonders deutlich wird dies in der Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes, nach der die Abgrenzung des relevanten Marktes im Wesentlichen darin bestehe, das „tatsächlich zur Verfügung stehende Alternativangebot zu bestimmen, und zwar in Bezug auf verfügbare Waren und Dienstleistungen als auch auf den Standort [...]“.181

Nachfrage- und angebotsseitige Substituierbarkeit. Innerhalb der Definition des relevanten Marktes kommt der nachfrageseitigen Substituierbarkeit die größte Bedeutung zu. In der Rechtsprechung der europäischen Gerichte und der Entscheidungspraxis der EU-Kommission spielt sie die wichtigste Rolle und versucht den Kreis der Produkte oder Dienstleistungen, die als geeignete Substitute füreinander angesehen werden können, zu bestimmen. Alle jene Produkte und/oder Dienstleistungen, die vom Abnehmer aufgrund ihrer Eigenschaften, ihres Preises oder ihres Verwendungszwecks als untereinander austauschbar oder substituierbar angesehen werden, sind hiernach demselben relevanten Markt zuzurechnen.182 Dieses Konzept der Substituierbarkeit setzt nach der Rechtsprechung des EuGH im Fall Hoffmann-La Roche183 „die Möglichkeit eines wirksamen Wettbewerbs zwischen den zu ihm gehörenden Erzeugnissen voraus, sodass ein hinreichender Grad von Austauschbarkeit zwischen allen zum gleichen Markt gehörenden Erzeugnissen im Hinblick auf die gleiche Verwendung erforderlich ist“.184 Grundlage der wettbewerblichen Prüfung ist daher gemäß der Entscheidung des Gerichtshofs im Fall L’Oréal/DeNieuwe AMCK185 der Markt, „in dem sämtliche Erzeugnisse zusammengefasst sind, die sich aufgrund ihrer Merkmale zur Befriedigung eines gleichbleibenden Bedarfs besonders eignen und mit anderen Erzeugnissen nur in geringem Maße austauschbar sind“.186 Zwei Produkte oder Dienstleistungen sind hiernach demselben Produktmarkt zuzurechnen, wenn und soweit sie untereinander austauschbar sind.187 Außerhalb der Betrachtung sollen jedoch solche Produkte bleiben, die nur in begrenztem Maße mit anderen austauschbar sind.188 So einfach dieses Kriterium der Austauschbarkeit erscheint, so schwierig stellt sich seine Beurteilung dar, da Methoden und Daten zur Feststellung der Austauschbarkeit oft nur unklar und eingeschränkt zur Verfügung stehen (hierzu auch unten S. 163–220).

Zur Feststellung der nachfrageseitigen Substituierbarkeit stellen die Unionsorgane auf Eigenschaften der in Betracht zu ziehenden Produkte ab. Ein Beispiel für diese Vorgehensweise bietet der Fall British Interactive Broadcasting/Open, in dem die Kommission zu beurteilen hatte, ob erst noch einzuführende digitale interaktive Fernsehdienste einen eigenen Markt bildeten. Unter Hinweis darauf, dass bei der Beurteilung einer solchen künftigen hypothetischen Marktsituation aufgrund naturgemäß fehlender Angaben über wahrscheinliche Verbraucherreaktionen eine Implementierung des SSNIP-Tests ausscheiden müsse, stellte die Kommission einen Vergleich der Eigenschaften der zu beurteilenden Produkte resp. Dienstleistungen an, „um festzustellen, ob sie zur Deckung eines ständig bestehenden Bedarfs besonders geeignet sind oder nur in begrenztem Maße gegen andere Produkte oder Dienstleistungen austauschbar sind“.189 Die nicht deckungsgleiche Funktionalität von verwandten Produkten kann dementsprechend zur Feststellung separater Märkte führen. Allerdings bereitet auch die Feststellung der maßgeblichen Funktionalität oft Schwierigkeiten. Denn das Bedarfsmarktkonzept stellt auf den „typischen“ oder „durchschnittlichen“ Verbraucher190 ab, während in der Praxis die Verbraucher sehr unterschiedliche oder sogar einander widersprechende Bedürfnisse haben können. So hatte im Fall easyjet/Kommission die Kommission für eine große Kundengruppe die Substituierbarkeit der zu beurteilenden Produkte bejaht, für eine andere große Kundengruppe hingegen verneint. Das EuG stellte infolgedessen die Überlegung an, ob den Bedürfnissen einer Kundengruppe Vorrang zukommen könne.191 Stattdessen hätte es auch die Argumentation des SSNIP-Tests berücksichtigen können, nach der schon die Ausweichreaktion einer kleinen – und umso mehr einer großen – Gruppe von Kunden genügt, um Marktmacht zu begrenzen. Die Kommission hingegen hatte die Situation zu lösen versucht, indem sie auf die angebotsseitige Substituierbarkeit abstellte – allerdings bot sich auch hier die Problematik einander widersprechender Beurteilungen.192

Die Frage nach der angebotsseitigen Substituierbarkeit liegt auf der Schnittstelle zwischen Marktabgrenzung und wettbewerblicher Beurteilung, wie am Fall Danish Crown/Steff-Houlberg193 deutlich wird: Bei der Frage nach der geographischen Abgrenzung des Marktes für frisches Schweinefleisch im Einzelhandel behaupteten die Parteien eine hohe angebotsseitige Austauschbarkeit und erstrebten die Annahme eines EU-weiten Marktes.194 Die Kommission folgte dem nicht und wollte die vorgebrachten Gesichtspunkte stattdessen innerhalb der wettbewerblichen Prüfung im Rahmen des potentiellen Wettbewerbs in Betracht ziehen.195 Die Entscheidung Friesland Foods/Campina erhellt das Verhältnis der angebotsseitigen zur nachfrageseitigen Substituierbarkeit. Nachdem die Kommission die nachfrageseitige Substituierbarkeit verneint hatte, stellte sie fest, dass ein relevanter Markt allein aufgrund angebotsseitiger Substituierbarkeit nur dann angenommen werden könne, wenn nicht nur bei manchen Marktteilnehmern eine schnelle und problemlose Angebotsumstellung möglich sei, sondern bei den meisten, wenn nicht allen Marktteilnehmern.196 In einigen Wirtschaftszweigen allerdings kann die angebotsseitige Substituierbarkeit einen disziplinierenden Effekt auf das wettbewerbliche Verhalten der Marktteilnehmer haben, der mit der nachfrageseitigen Substituierbarkeit vergleichbar ist.197 Beispielsweise hat die Kommission im Fall Thales/Finmeccanica/AAS/Telespazio einen einheitlichen Produktmarkt trotz fehlender nachfrageseitiger Substituierbarkeit zwischen den betroffenen Produkten angenommen und diese Abgrenzung allein auf den hohen Grad der angebotsseitigen Substituierbarkeit gestützt.198 Auch in Ineos/Solvay/JV stellte die Kommission fest, dass eine angebotsseitige Substituierbarkeit leichter zu erreichen war als eine nachfrageseitige Substituierbarkeit. Die Entscheidung betraf das Chlorvinyl (PVC)-Geschäft und die Kommission untersuchte eine Austauschbarkeit verschiedener Chlorvinyl-Typen (z.B. verschiedene Commodity S-PVC-Typen). Nachfrageseitig gaben die befragten Unternehmen an, dass die Auswahl verwendungsabhängig erfolge und ein Wechsel mit hohen Wechselkosten verbunden sei. Im Rahmen des SSNIP-Tests gaben 54 % der Unternehmen an, auch im Falle einer 5–10 %igen Preiserhöhung nicht auf andere S-PVC-Typen auszuweichen. Im Ergebnis nahm die Kommission einen Gesamtmarkt für die verschiedenen S-PVC-Typen an; die angebotsseitige Substitutionsmöglichkeit allein genügte folglich nicht zur Annahme separater Märkte.199

Nach dem in Durchführung der neuen Fusionskontrollverordnung 139/2004 erlassenen aktuellen Formblatt CO umfasst der relevante Produktmarkt „alle Waren und/oder Dienstleistungen, die vom Verbraucher aufgrund ihrer Eigenschaften, ihrer Preise und ihres Verwendungszwecks als austauschbar oder substituierbar angesehen werden. Der sachlich relevante Markt kann in einigen Fällen aus einer Reihe von Waren und/oder Dienstleistungen bestehen, die weitgehend die gleichen physischen oder technischen Merkmale aufweisen und austauschbar sind“.200 Weiterhin werden als geeignete Instrumente zur Abgrenzung „die Substituierbarkeit der Waren und Dienstleistungen, die Preise, die Kreuzpreiselastizität der Nachfrage und sonstige für die Definition des sachlich relevanten Marktes einschlägige Faktoren (z.B. in geeigneten Fällen die angebotsseitige Substituierbarkeit)“201 genannt. Wie auf den Seiten 89 und 92 dargelegt wurde, sind jedoch aus ökonomischer Sicht Unterschiede in der Preishöhe kein notwendiges Kriterium zur Feststellung unterschiedlicher sachlich relevanter Märkte. Auch die Kreuzpreiselastizität ist kein geeignetes Instrument, um relevante Produktmärkte abzugrenzen. Im Anschluss heißt es im Formblatt CO zur räumlichen Abgrenzung: „Der räumlich relevante Markt umfasst das Gebiet, in dem die beteiligten Unternehmen relevante Waren oder Dienstleistungen anbieten und nachfragen, in dem die Wettbewerbsbedingungen hinreichend homogen sind und das sich von benachbarten geografischen Gebieten insbesondere durch deutlich andere Wettbewerbsbedingungen unterscheidet. Maßgebliche Faktoren für die Bestimmung des räumlich relevanten Marktes sind unter anderem Art und Eigenschaften der betroffenen Waren oder Dienstleistungen, Marktzutrittsschranken, Verbraucherpräferenzen, deutlich unterschiedliche Marktanteile der Unternehmen in benachbarten geografischen Gebieten und erhebliche Preisunterschiede.“202 Auch hier werden, neben dem aus ökonomischer Sicht wenig aussagekräftigen Kriterium der gleichen physischen Charakteristika, Faktoren herangezogen, die für die Abgrenzung des räumlich relevanten Marktes problematisch sind. So lassen weder unterschiedliche Marktanteile der Unternehmen noch wesentliche Preisunterschiede automatisch einen Schluss auf getrennte Märkte zu. Es gibt keine sichere theoretische Basis, die aus unterschiedlichen Marktanteilen von Unternehmen den Schluss auf die Existenz getrennter geographischer Märkte erlaubt.203 Unterschiede in den Preisen können z.B. aufgrund von Qualitätsunterschieden vorliegen oder sie können etwaige Transportkosten widerspiegeln. Nicht so sehr die gleiche absolute Preishöhe ist für einen einheitlichen geographischen Markt von Bedeutung, sondern vielmehr gleichartige Preisänderungen in verschiedenen Regionen.

Eine direkte Betrachtung der Ergebnisse des Marktgeschehens auf einem Markt – wie sie durch die wiedergegebenen Passagen des Formblatts CO nahegelegt wird – könnte als ein vom Prinzip der Substituierbarkeit verschiedener Ansatz erscheinen. Gerade in Bezug auf absolute Preisunterschiede liegt es jedoch näher, diese Betrachtung der Homogenität von Gebieten als Ausdruck der Substituierbarkeit anzusehen. Tatsächlich gebraucht die Kommission die Beschreibung des geographisch relevanten Marktes aufgrund homogener Wettbewerbsbedingungen in der Entscheidung Danish Crown/Steff-Houlberg.204 Aus dem Zusammenhang wird jedoch deutlich, dass in der hier vorgenommenen Betrachtung der absoluten Preise der Substitutionsgedanke enthalten ist: Impliziert ist, dass Produkte aus Nachfragersicht austauschbar seien, wenn die Nachfrager dasselbe Produkt zum selben Preis in einem anderen Gebiet erwerben können.205 Dabei sollten etwaige Transportkosten berücksichtigt werden. Auch in Bezug auf unterschiedliche Marktanteile stellte die Kommission in der Entscheidung Sonoco/Ahlstrom206 fest, dass der geringe Grad der gegenseitigen Durchdringung räumlich abgegrenzter Gebiete im Wesentlichen aufgrund der Unmöglichkeit einer Substitution bestehe.207 Die Betrachtung des Marktergebnisses erfolgt so als Ausdruck der Substitutionsbeziehungen, weshalb der Ansatz an sich ebenfalls auf Substitutionsüberlegungen beruht. Dass die Feststellung von Substitutionsbeziehungen zwischen räumlichen Gebieten im Einklang mit der Formulierung in der Bekanntmachung steht, kann der Entscheidung Mitsumi/CVRD/Caemi208 entnommen werden: Die meisten Anbieter von auf dem Seewege transportiertem Eisenerz verkauften in den meisten auf dem Seewege erreichbaren Gebieten und die meisten Abnehmer dieses Erzes kauften bei den größeren Erzherstellern;209 dieser Ansatz beruhe darauf, ob Preise oder Vertragsbedingungen von angebots- und nachfrageseitigen Gegebenheiten in einem bestimmten Gebiet determiniert seien, und stehe im Einklang mit der Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes.210

In ihrer Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes sieht die Kommission vorrangig die Nachfragesubstitution, in geeigneten Fällen auch die Angebotssubstitution als Faktoren zur Marktabgrenzung an; potentieller Wettbewerb sei dagegen nicht auf der Stufe der Marktabgrenzung zu berücksichtigen.211 Dabei ist wiederum anzumerken, dass die von der Kommission genannten Kriterien zur Abgrenzung des relevanten Marktes aus ökonomischer Sicht nicht immer überzeugen können: Wie dargelegt sind weder unterschiedliche physische Eigenschaften, verschiedene absolute Preise, differierende Marktanteile oder andere Wettbewerbsbedingungen in Regionen notwendig oder hinreichend, um getrennte sachliche bzw. räumliche Märkte zu konstatieren. Insbesondere bei Kriterien wie den physischen Eigenschaften kann, wie z.B. im Fall United Brands, eine Liste von spezifischen Charakteristika angegeben werden, die erstens eine Reihe von zum Teil recht willkürlich ausgewählten Kriterien enthält und zweitens zu einem sehr eng abgegrenzten Markt führt, der mit der relevanten Frage nach der Marktmacht nur entfernt etwas zu tun hat.

Mit Blick auf die nur unscharfe Schnittstelle von Marktabgrenzung und wettbewerblicher Würdigung hat die Kommission in mehreren Phase-II-Entscheidungen davon abgesehen, eine starre Abgrenzung der relevanten Märkte vorzunehmen. Obgleich sie im Rahmen der Marktabgrenzung den erheblichen wettbewerblichen Druck, der von alternativen Produkten ausging, anerkannte, bezog sie die betreffenden Produkte letztlich nicht in den relevanten Markt ein.212 Anschließend hat die Kommission diesen wettbewerblichen Druck jedoch im Kontext der wettbewerbsrechtlichen Würdigung berücksichtigt.213 Im Fall Travelport/Worldspan gehörte der wettbewerbliche Druck, der von einem nicht in den relevanten Markt einbezogenen alternativen Vertriebskanal ausging, sogar zu den wesentlichen Gründen für die bedingungslose Freigabe des Zusammenschlusses.214 Die Vorgehensweise der Kommission in diesen Entscheidungen macht die beachtlichen Überschneidungen zwischen Marktabgrenzung und wettbewerbsrechtlicher Würdigung deutlich.

Teilweise wird eine exakte Marktabgrenzung aufgrund des Einsatzes moderner ökonomischer Analysen – v.a. Merger Simulationen und UPP-Test – als zunehmend entbehrlich angesehen.215 So ist zwar der Marktbeherrschungstest typischerweise Ausgangspunkt der wettbewerblichen Analyse, jedoch können unter dem seit einiger Zeit in der deutschen und europäischen Zusammenschlusskontrolle geltenden SIEC-Kriterium (s. dazu S. 268 sowie S. 328–332) auch wettbewerbliche Effekte jenseits von Marktbeherrschung – etwa anhand des Preissteigerungsdrucks (UPP-Test) – erfasst werden. Der UPP-Test kann dabei gewissermaßen als „Schnelltest“ Einsatz finden, um in unproblematischen Fällen eine Freigabe zu begründen. Demgegenüber erfordert eine Untersagung stets eine umfassende wettbewerbliche Analyse und damit auch eine Marktabgrenzung.216

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