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Kapitel 11


Als Eisenschmiede und Bergleute gingen die Kelten in die germanische Mythologie ein. Wenn in Sagen von den hilfreichen Kleinen im Kapuzenmantel die Rede ist,so sind damit Kelten gemeint. So sind die Namen der Zwerge in der Germanischen Edda ausschließlich keltischen Ursprungs.

– Alexander Demandt, Die Kelten –

»Since 1992, the ore mines of the Rammelsberg and the Old Town of Goslar have been placed on the UNESCO World Cultural and Natural Heritage List for all Mankind.«, flötete Tilla und trabte energiegeladen vor einer Gruppe von Englisch sprechenden Touristen durch den Roederstollen her. »The Rammelsberg mine was shut down in 1988. Until then it used to be the only mine in the world which had been running continously for more than a thousand years.«, erzählte Tilla und verfiel unwillkürlich in den melodischen Singsang der englischen Sprache. Zu den dramatischen Pausen und der aufgeweckten Sprachmelodie gesellte sich Tillas temperamentvolle Körpersprache. Das Auditorium konnte kaum einen Blick von der jungen Frau wenden, deren wedelnde Arme immerfort neue Muster in die Luft malten. Währenddessen stellte Tilla fest, wie sehr sie diesen neuen Job mochte. Nach dem Auftrag in der Kaserne von Goslar war ihr alsbald die Anfrage ins Haus geflattert, ob sie als Touristenführerin arbeiten wolle. Sie hätte nie gedacht, dass ihr dies so viel Spaß machen könnte. Zwar verdiente sie keine Reichtümer, aber der Job im Museumsbergwerk brachte sie immer wieder mit neuen, interessanten Menschen zusammen. Ihr Leben bekam Struktur. Die tägliche Routine dämpfte den Schmerz der vergangenen Ereignisse etwas.

Der einzelne Mann, der sich heute ihrer Gruppe angeschlossen hatte, war ihr schon gleich am Anfang aufgefallen. Er hielt sich abseits, sprach mit niemandem, verfolgte jedoch ihren Vortrag überaus aufmerksam. Nichts an ihm sah nach Tourist aus. Er trug einen Mantel, den Tilla als teuer erkannte. Sein Alter war schwer zu schätzen. Sicher hatte er die fünfzig bereits überschritten, doch er war schlank und bewegte sich mit der Geschmeidigkeit eines jüngeren Mannes. Hin und wieder traf Tilla ein so intensiver Blick, der sie richtiggehend nervös machte. So hatte sie bei ihrer heutigen Führung mehrfach den Faden verloren. Sie erreichten die Waschkaue, ein riesiger Saal, in dem die Metallkörbe der einstigen Bergleute wie Bienenwaben an der Decke hingen. Mit dem lapidaren Angebot, gerne weitere Fragen zu beantworten, wollte sie schon Schluss machen, doch der Fremde kam ihr zuvor.

In einem mit leichten Härten durchsetzten Englisch sagte er: »Tausend Jahre erscheinen mir eigentlich etwas zu wenig für die Bergbaugeschichte des Harzes. Ich dachte, einmal gelesen zu haben, dass schon die Kelten hier dem Bergbau nachgingen.«

Tilla durchforstete ihr Gedächtnis. Bevor sie als Fremdenführerin angetreten war, hatte sie sich eingehend mit der Geschichte des Harzes beschäftigt. Vieles wusste sie aus ihrem Studium und auch von ihrer Mutter, deren Steckenpferd ja die Geschichtsforschung war. Tilla antwortete, die Sprache des Fremden benutzend: »Sie haben vollkommen recht. Nachweislich haben Kelten im Harz gelebt und da sie überall für ihre Fähigkeiten als Bergleute und Schmiede bekannt waren, ist anzunehmen, dass sie auch hier die Bodenschätze für ihr Handwerk gewonnen haben. Doch meines Wissens kam der gezielte Bergbau im Harz erst im siebten Jahrhundert langsam in Schwung, wenn auch basierend auf dem Wissen der Kelten.«

»Wann lebten die Kelten im Harz?«

Seine Fragen schienen ein ganz bestimmtes Ziel zu verfolgen. Tilla war etwas unwohl, was sich durch seinen starren, fast hypnotischen Blick erklärte, dennoch bemühte sie sich, ihn zufriedenzustellen.

»Archäologische Funde beweisen, dass die Kelten schon vor unserer Zeitrechnung hier gelebt haben. Auf genauere Daten bin ich bisher nicht gestoßen. Da die Kelten keine Aufzeichnungen machten, weiß man ja nicht viel über sie.«

Der Fremde nickte ihr zu, wobei Tilla dieses Nicken eher wie ein dezentes Lob vorkam, denn sie hatte nicht das Gefühl, ihm etwas Neues gesagt zu haben. Nachdem sich die Gruppe bei ihr bedankt und aufgelöst hatte, strebte auch Tilla nach draußen in die feuchte Kälte. Es war die letzte Führung für heute gewesen und sie sehnte sich nach einem Bad und einem heißen Tee. Eilig stapfte sie in ihren warmen Schnürstiefeln über den Parkplatz.

»Mrs. Leinwig?«

Fast hätte Tilla in hohem Bogen ihre Tasche von sich geworfen, so erschrak sie über den Fremden, der wie aus dem Nichts neben ihrem Wagen aufgetaucht war. »Holy Goddess! You frightened me!« Sie deutete das dezente Verziehen seines Gesichtes schon als höhnisches Amüsement, doch er entschuldigte sich artig, und dies zu Tillas großem Erstaunen in akzentfreiem Deutsch. Ihr Staunen mutierte zu unverhohlenem Ärger. »Woher kennen Sie eigentlich meinen Namen? Und wieso haben Sie mich auf Englisch angesprochen?«

»Ich habe mich nach Ihnen erkundigt und ich wollte Ihre Sprachkenntnisse testen«, antwortete ihr Gegenüber gelassen. Er blickte sie nachdenklich an. »Es fehlt Ihnen zwar an Impulskontrolle, aber ansonsten beherrschen Sie die Kunst, sich Gehör zu verschaffen, hervorragend.« Tillas Unmut ignorierend, überreichte ihr der Fremde seine Visitenkarte.

»Janus Borderfeld, Projektentwicklung und Beratung«, las Tilla vor und schaute ihn fragend an. »Was kann ich für Sie tun, Herr Borderfeld?«

»Ich denke, ich kann etwas für Sie tun, Frau Leinwig.«

Tilla schaute Borderfeld verblüfft an. »Ach tatsächlich? Na, da bin ich aber gespannt?« Sie bedauerte, sein Gesicht nicht deutlich sehen zu können, dazu war es bereits zu dunkel. Verdrossen nahm sich Tilla vor, nächstens in der Nähe einer Laterne zu parken.

Nach einer Weile klopfte er leicht auf die mit keltischen Knotenmustern verschönte Motorhaube ihres Autos. »Wie lange geben Sie Ihrem Wagen noch? Glauben Sie, dass dieses Gefährt den nächsten TÜV übersteht?«

Verdrossen grummelte Tilla: »Wollen Sie mir einen neuen Wagen anbieten?«

»Wenn wir ins Geschäft kommen, können Sie sich ohne Probleme selbst einen kaufen.«

»Ah … klasse! Wen muss ich dafür umbringen?«

»Ein interessantes Angebot, aber diese Stelle habe ich bereits anderweitig besetzt«, antwortete er.

Irgendwie kam Tilla das Bedürfnis abhanden, über diesen Witz zu lachen. Sie starrte den Fremden nur wortlos an.

»Ich möchte vielmehr Ihre Sprachfähigkeiten und Ihr enormes Geschichtswissen nutzen«, sagte er.

»Aha«, machte Tilla abwartend. Der Kerl nervte, trotzdem fühlte sie sich geschmeichelt.

»Eine wirklich schöne Kette, die Sie da tragen. So eine Arbeit habe ich schon lange nicht mehr gesehen«, bemerkte er beiläufig.

Verunsichert griff Tilla nach ihrem Amulett. Sie hatte ihren Mantel bereits geöffnet, da sie ihn im Wagen hatte ausziehen wollen. An diesem Abend trug sie den silbernen, in keltischen Rosenranken eingebundenen Drudenfuß von ihrer Großmutter. »Es ist ein Erbstück und schon sehr alt«, erklärte sie zögernd.

Er nickte. »Eine keltische Arbeit?« Obwohl er ziemlich leise sprach, hatte sie keine Probleme, ihn zu verstehen.

Tilla wurde das Gefühl nicht los, dass er die Antwort bereits kannte. »Ja, es stammt aus Wales.«

»Aus dem kraftvollen Waliser Silber«, murmelte er mit der Andeutung eines Nickens. Übergangslos sprach er weiter. »Ich betreibe hier in Deutschland einige Recherchen über mögliche Standorte meiner Geschäftsfilialen und auch Standorte für Investoren. Meine Nachforschungen über verschiedene Regionen sind recht unkonventionell. Die Geschichte möglicher Standorte nimmt einen großen Teil meiner Nachforschungen ein, gibt sie doch Aufschluss darüber, ob die Menschen Geschäfte wie die, die ich vermittle, zu tolerieren in der Lage sind. Über die Geschäfte oder die Investoren selbst werden Sie nichts erfahren.« Er legte eine kurze Pause ein und milderte seine Worte mit einem feinen Lächeln ab. »Jedenfalls vorerst nicht. Sie würden zunächst als freie Mitarbeiterin für mich tätig werden. Ich benötige regelmäßige Übersetzungen von Ihnen, etwa achtzig bis hundert Seiten im Monat, von deutschen Texten ins Englische. Einiges davon dient der Internetpräsentation für Investoren. Könnten Sie den Auftrag kurzfristig übernehmen?«

Tilla antwortete zögernd: »Nun, das klingt interessant. Ich denke, im Moment könnte ich durchaus etwas dazwischenschieben.«

Janus Borderfeld drehte sich ganz leicht, sodass etwas Licht auf sein Gesicht fiel. So konnte Tilla eine Andeutung von Zufriedenheit in den sonst so undurchsichtigen Zügen erkennen. »Ich würde Sie, weil es sich jeweils um sehr schnell zu bearbeitende Aufträge handelt, entsprechend höher bezahlen.«

Tilla war hin und her gerissen. Einerseits winkte ihr ein Auftrag, den sie brauchte wie ein Verdurstender eine Flasche Wasser, andererseits schrillte in ihrem Inneren ein ganzes Orchester von Alarmglocken. Dabei wusste sie ihr ungutes Gefühl mit nichts zu erklären. Der Mann war geschmackvoll gekleidet und verfügte über exzellente Umgangsformen, wenn man von seinem dominanten Auftreten absah. Obwohl sein Blick sie eindringlicher fixierte, als es die Regeln der Höflichkeit vorsahen. Dadurch hatte Tilla ständig das unangenehme Gefühl, dass er ihr zu nahe kam, obwohl er sich keinen Millimeter auf sie zu bewegt hatte. Dennoch trat sie nun einen Schritt zurück.

»Tja, Herr Borderfeld, Ihr Auftrag hört sich ja wirklich verlockend an. Wie würde unsere Geschäftsbeziehung denn ablaufen?«

»Sie haben mit der Visitenkarte eine E-Mail-Adresse erhalten, bei der Sie sich melden werden, sobald Sie zu Hause sind. Dann habe ich Ihre Daten. Sie werden bereits in den nächsten Tagen die ersten Texte erhalten, die Sie übersetzen. Ihre Übersetzung senden Sie per Mail an mich zurück. Ihre Bezahlung werden Sie in bar erhalten.«

Es gesellten sich weitere Alarmglocken hinzu. »In bar? Herr Borderfeld, das ist etwas ungewöhnlich …«

Er unterbrach sie. »Sehen Sie, Frau Leinwig, Deutschland ist ein völlig überbürokratisierter Staat, der es schwer macht, effizient zu arbeiten. Wir haben daher Ersatzmechanismen entwickelt, die nicht nur bestens funktionieren, sie bieten auch viele Vorteile.«

»Vorteile?«

»Ich sagte ja bereits, ich erwarte ein hohes Maß an Flexibilität von Ihnen. Dafür erhalten Sie das Vierfache dessen, was Sie normalerweise für diese Arbeit bekommen würden. Noch dazu erhalten sie die Summe vorab und in bar. Ob Sie Vater Staat daran teilhaben lassen, ist allein Ihre Sache.«

Tilla wusste noch immer nicht, ob er als Fee oder als Mephisto vor ihr stand.

Glattzüngig sprach er weiter. »Auf diese Flexibilität und auch auf Loyalität meiner Mitarbeiter, dazu gehört selbstredend auch Verschwiegenheit, lege ich großen Wert und bezahle auch gern dafür. Auch gebe ich langfristigen Engagements den Vorzug, viele meiner Leute arbeiten seit langen Jahren für mich und sind sehr zufrieden mit den Bedingungen. Für Sie wird die Tätigkeit der Übersetzerin eine Art Testphase werden. Ihre Sprachgewandtheit, Ihr Wissen und Ihre Präsenz, die Sie soeben in Ihrem Vortrag eindrucksvoll bewiesen haben, prädestinieren Sie durchaus auch für weitere Posten in meinem Unternehmen, das Sie nach der Probezeit besser kennenlernen werden.« Er fixierte sie einen Augenblick, bevor er weitersprach. »Da ich diesen Posten sehr kurzfristig besetzen muss, Sie springen quasi für jemand anderen ein, brauche ich eine verbindliche Zusage von Ihnen. Hier und jetzt. Also?«

Angesichts eines so verlockenden Angebotes gebot Tilla sämtlichen Alarmglocken augenblicklich zu schweigen. »Nun ja … äh … ja!« Sie rang sich ein Lächeln ab.

Borderfeld nickte zufrieden, drehte sich um und verschwand in der Dunkelheit. Tilla starrte dem schwarzen Rücken nach. Arbeiten, ohne zu fragen? War das klug? Unsinn. Jeder Arbeitgeber war anfangs vorsichtig. Testphase hatte er es genannt, das war in Ordnung. Und Übersetzerin, das klang doch seriös. Sie müsste verrückt sein, diese Chance nicht zu ergreifen.

Kapitel 12


Schwerter, weiß ich, liegen in Sigarsholm. Viere weniger als fünf mal zehn.

Eins ist von allen das Beste, der Schilde Verderben, beschlagen mit Gold.

– Edda, Das Lied von Helgi, 8 –

»Meister Hermann?«, fragte Arthur devot und blieb vor dem großen Schreibtisch stehen. Hinter dem unterwürfigen Sekretär betrat Magnus mit fast unhörbaren Schritten das lichtdurchflutete Arbeitszimmer von Hermann Bordfeld. Der wandte sich jedoch zunächst an seinen ältlichen Sekretär und übergab diesem eine der Visitenkarten, die er Tilla überreicht hatte.

»Sie kennt mich unter dem Namen ›Janus Borderfeld‹. Das auf der Karte angegebene E-Mail Postfach werde ich ausschließlich persönlich verwalten.«

Arthur blickte etwas indigniert drein, nickte aber beflissen und entfernte sich.

Abschätzend betrachtete Hermann das gefällige Äußere seines Adlatus Magnus. Es konnte für seine Zwecke hilfreich sein. Das hellblonde Haar war zwar eine Spur zu kurz geschnitten, um ihm das Aussehen eines Herzensbrechers zu geben, doch Hermann wusste genau, wie Magnus auf andere Menschen wirkte. Vor allem seine Augen waren von einem so intensiven Blau, dass er ohne großen Aufwand alle gewünschten Informationen bekam, die er haben wollte. Entweder durch seine Augen oder durch seine Fähigkeiten, anderen Schmerzen zuzufügen. Doch meist reichten seine Augen. Merkwürdig, dachte Bordfeld bei sich, dass die Menschen blauen Augen stets so viel Vertrauen entgegenbrachten.

Der junge Mann war der beste Kämpfer seiner Division und wusste seine Fähigkeiten hervorragend einzusetzen. Er war clever und ehrgeizig. Letzteres machte ihn für Hermann immer ein wenig gefährlich. War Magnus es wert, dass er ihn in seinen neusten Plan einweihte? Hermann musterte ihn überlegend. Magnus nahm diese Musterung gelassen hin.

»Was hast du für mich?«, fragte Hermann.

»Der Kauf des Häuserkomplexes in Salzgitter ist dingfest. Soll ich das übliche Konzept zusammenstellen?«

»Eine gute Gegend für uns«, antwortete Hermann. »Wir werden dort die ganze Palette anbieten.«

»Auch den Schwertkampf?«

»Ja. Es gibt dort mehrere Standorte, wo Mittelalterfeste stattfinden. Unsere Braunschweiger Gruppe ist zu dünn besetzt. Vielleicht lässt sich das verbinden.«

Magnus ließ nicht erkennen, ob er die Entscheidung seines Chefs positiv oder negativ bewertete. Er nickte und sagte dann: »Ich habe übrigens diesen Harald Schakenbeck gefunden. Er arbeitet für das Sozialamt in Goslar. Hier ist seine Adresse.«

Hermann nahm den Zettel mit der Adresse entgegen und legte ihn zur Seite. Er hatte keine Lust, Magnus zu erklären, was es damit auf sich hatte, aber er wusste auch, dass er sich bald entscheiden musste, ob er ihm vertraute. Vielleicht war es doch besser, jemand anderes mit heranzuziehen. Wenn er Magnus‘ Aufgaben anderweitig verteilte, war sein Adlatus quasi degradiert und würde keine Fragen mehr stellen. Aber würde er dann noch bleiben?

Hermann hatte sich seine heutige hohe Position nach seiner Genesung hart erarbeitet. Es hatte lange gedauert, bis man ihn an der Aufstiegshierarchie des Ordens wieder teilhaben ließ. In der Zeit davor hatte er so manches Mal mit dem Gedanken gespielt, sich abzusetzen und zur Fremdenlegion zu gehen. Magnus war genauso ungeduldig wie er selbst. Die Organisation brauchte Männer wie ihn.

»Hast du sie beobachtet? Wohnt sie allein?«

»Hin und wieder bekommt sie Besuch von einem Nachbarn«, erklärte Magnus. »Neulich war mal ein Bundeswehrsoldat bei ihr. Er und sein Bruder waren Mitbewohner von ihr aus Braunschweig.«

Hermann nahm die Information wortlos hin und wollte sich schon seinen Unterlagen widmen, als er merkte, dass sich Magnus nicht entfernte. Er sah auf.

»Wer ist sie?«, fragte Magnus. Sein Blick wich keinen Deut.

Hermann betrachtete Magnus kühl. Allein die Frage war ein Affront. Beide wussten das. Hermann wartete, bis das linke Lid seines Gegenübers leicht zu zucken begann. Zufrieden beendete er das Duell. Er beugte sich leicht nach vorn und sah Magnus eindringlich an. »Magnus, wie viel weißt du über den Sonderauftrag H unseres allseits geschätzten Heinrich Himmler?«

Kapitel 13


Die Kelten bewiesen eine leichte Fassungsgabe, vor allem für Sprachen.Sie beherrschten das Griechische ebenso wie Latein.

– Georg Grupp –

Tilla saß an ihrem Computer und tippte fast ohne abzusetzen. Sie hätte nie gedacht, dass ihr das Übersetzen so leicht fallen würde. Mit Borderfelds regelmäßig eintreffenden Aufträgen und dessen Honorar hatte sich für Tilla einiges verändert. Nicht nur, dass die meisten ihrer Rechnungen beglichen waren, sie hatte damit auch den Anfang für grundlegende Veränderungen in ihrem Leben gefunden. Es läutete an der Tür. Energiegeladen sprang Tilla auf, denn dort warteten weitere Veränderungen. Ihre Mitte kribbelte etwas, als sie Gerred Assmut die Tür öffnete. Doch da sie sich, was Männer anging, Zurückhaltung befohlen hatte – der Ausdruck Nymphomanin hatte sie im Gerichtsprozess doch nachhaltig getroffen –, begrüßte sie ihn zwar freundlich, aber mit der gebührenden Distanz.

Über seine Schulter hinweg sah sie Astrid Volkers aus ihrem Wagen steigen. Die Freundin ihrer Mutter begrüßte Gerred zu Tillas Überraschung sehr innig. »Gerred, wie geht’s dir und Dana?«

»Danke, mir geht es gut. Dana braucht noch etwas, um den Schock zu verdauen, aber es geht schon wieder«, antwortete Gerred Assmut.

»Gut! Sag Bescheid, wenn du Hilfe brauchst«, bot Astrid an.

Er nickte dankbar.

Offenbar ging es um die junge Frau, die Tilla nun schon mehrfach bei ihm gesehen hatte. Niemand schien sie aufklären zu wollen und so kämpfte Tilla das bohrende Gefühl, außen vor zu sein, nur mühsam zurück. Sie führte die beiden ins Wohnzimmer, wo sich Gerred abschätzend umsah.

»Und diese Möbel wollen Sie alle wegwerfen?«, fragte er ungläubig.

Bevor Tilla ein grimmiges »Ja!« von sich geben konnte, warf Astrid erstaunt ein: »Du meine Güte, sagt bloß, ihr siezt euch? Ihr ward vielleicht keine Sandkastenfreunde, aber ihr müsstet euch doch von früher kennen.«

Tilla blickte Gerred Assmut ins Gesicht, wobei sie noch immer die Narbe auszusparen versuchte. »Stimmt! Bleiben wir doch beim Du!«

Gerred Assmut lächelte kurz und nickte. »Gern!«

»Und nun zu Gerreds Frage … du willst doch sicher nicht all diese Möbel wegwerfen, oder?«

»Na ja …« Tilla sah sich verunsichert um. Eigentlich hatte sie genau das gewollt. Sie hatte Gerred angerufen und ihn gefragt, ob er jemanden wüsste, der an den Sachen interessiert sei.

Astrid nahm sie in den Arm. »Tilla Liebes, ich verstehe ja, dass du dieses Haus verändern und zu deinem Heim machen willst. Aber stell die Möbel doch einfach erst mal in den Keller. Dann kannst du in aller Ruhe überlegen, was du damit machen willst.«

»Hm, ja, okay«, lenkte Tilla mit einem Anflug von Erleichterung ein. Natürlich war ihr klar, dass ihr Entschluss eine Trotzreaktion gewesen war, aber sie hatte einfach den Weg zurück nicht gefunden. Astrid bot ihr den Ausweg.

»Du wirst sehen, wenn sich deine Seele beruhigt hat, dann stellst du fest, wie sehr du an diesen Möbeln hängst«, prophezeite Astrid und fügte humorig dazu: »Obwohl die meisten tatsächlich eher funktionell als schön sind.«

Tilla musste lächeln, während ihr Blick durch das Wohnzimmer glitt, um dann an Paris hängen zu bleiben, die sie mit ihren gelben Augen fixierte. Die Katze hatte sich auf Großmutter Leandras Sessel niedergelassen, als wolle sie sagen: Der bleibt hier!

Tilla grinste die Katze an. »Ist ja gut. Der Sessel wird nicht angerührt!« Paris antwortete mit einem kurzen Maunzen. An Gerred gewandt erklärte Tilla: »Weißt du, Mutsch, meine Mutter, hat nie viel Wert auf Äußerlichkeiten gelegt. Sie brauchte einfach Platz, um ihre Habe unterzubringen. Daher ist die Zusammenstellung der Möbel hier etwas stil- und lieblos geraten. Der einzige Raum, in dem meine Mutter wirklich lebte, war ihre Kräuterapotheke.«

»Kräuterapotheke?«, echote Gerred interessiert.

»Ja«, antwortete Tilla. »Die bekommt Astrid.«

Gemeinsam verließen sie das Wohnzimmer. Vor dem Apothekenzimmer verhielt Tilla einen kurzen Augenblick. Sie hatte es bisher vermieden, den kleinen Raum zu betreten, in dem sie die Präsenz ihrer Mutter ganz besonders deutlich zu spüren glaubte. Nun öffnete sie die Tür mit einer resoluten Bewegung. Sechs schmale, raumhohe Schrankwände ragten gegeneinandergestellt in den Raum. Sie bestanden aus kleinen, mit hellen Intarsien verzierten Schubladen. Jede war mit einem runden Porzellangriff versehen. Darunter prangte, ebenfalls aus Porzellan, ein Schildchen, mit einem Hinweis auf den Inhalt.

Völlig fasziniert sah sich Gerred um. »Unglaublich! So etwas Schönes hab ich noch nie gesehen.« Versonnen strich er über die rotbraunen Wangen der Schränke.

Seine Begeisterung rührte Tilla. Sie wandte sich mit feuchten Augen ab und schritt durch den schmalen Gang bis zum Fenster. Astrid studierte derweil eine an der Wand hängende Karte des Harzes, in die kleine Fähnchen gepikt waren, die auf Pflanzenfundorte hinwiesen. Eine hölzerne Arbeitsplatte direkt am Fenster nahm die gesamte Zimmerbreite ein, rechts und links gesäumt von Regalen, gefüllt mit Fachbüchern über Kräuterheilkunde. Auf dem Tisch mit der groben Holzplatte stapelten sich Utensilien zum Bearbeiten der getrockneten Pflanzen und eine alte Waage nebst einem Kasten mit unzähligen Messinggewichten, die zum Teil mit Pinzetten bewegt werden mussten. Sonnenstrahlen spiegelten sich in der Damaszenerklinge von Hederas Messer, das auf seinen nächsten Auftrag zu warten schien. Die Lade mit dem Eisenhut hatte Tilla zurück in den Schrank geschoben. Nun betrachtete sie den Platz, wo sie gestanden hatte, mit Widerwillen.

»Wirklich unglaublich«, wiederholte Gerred hinter ihr. »Nicht nur, dass diese Apothekenschränke eine herrliche Handwerksarbeit darstellen, auch diese Raumaufteilung ist ideal.« Mit begeistertem Blick sah er sich um. »Das Zimmer ist ja keineswegs groß und doch hat man das Gefühl, in einem Saal zu stehen. Ich komme mir vor wie in Harry Potters Hogwarts.«

Tilla lachte herzlich. »Ja, früher hab ich den Raum auch immer Zauberzimmer genannt. Aber ich durfte hier nur spielen, wenn Mutsch dabei war.«

»Tja, bei dem, was hier lagert, war das sicher nicht verkehrt.« Gerred fuhr mit den Fingern sanft über die Porzelanschildchen an den Laden. »Herba Verbenae, Urvae Ursi Folium, Radix Digtamni … Ich wünschte, ich verstünde etwas davon«, murmelte er ehrfürchtig.

Tilla lehnte an der Wand. Die botanischen Namen erschienen ihr plötzlich wie etwas unendlich Vertrautes. Wie von selbst kullerten ihr die Worte aus dem Mund: »Herba Verbenae wird auch Druidenkraut genannt. Meine Mutter setzte es bei bestimmten Magenbeschwerden ein. Urvae Ursi Folium sind Bärentrauben zur Entgiftung der Niere und Radix Digtamni brauchst du sicher nicht, es reguliert die Monatsblutung.«

»Gut!«, lobte Astrid erstaunt. »Ich hätte gar nicht gedacht, dass du so viel behalten hast.«

Tilla grinste. »Ja ja, hast wohl gedacht, ich hätte nur Hanf und Hopfen im Sinn, nicht wahr?«

»Hanf und Hopfen?«, fragte Gerred.

»Cannabaceae«, erklärten Astrid und Tilla unisono.

Tilla erklärte lächelnd: »Cannabis wird in der Schmerztherapie eingesetzt. Die meisten Hanfgewächse werden zur Beruhigung, also bei Schlafstörungen und bei leichten Depressionen eingesetzt, wie etwa der Hopfen.«

»Ach, Hopfen ist Hanf?«

»Ja. Aber der wirklich interessante Hanf ist der Rauhanf. Nur er enthält das Tetrahydrocannabinol. Wenn du ihn findest und die Lade öffnest, muss ich dich umbringen«, erklärte Tilla mit unschuldigem Augenaufschlag.

»Okay, schon gut«, lachte Gerred.

Tilla wanderte die Gänge ab und stutzte. Eine der Laden war nicht richtig zugeschoben. Ihre Mutter hatte stets darauf geachtet, dass sie sorgfältig geschlossen waren, um Verunreinigungen durch ätherische Öle anderer Pflanzen und Nachtrocknung zu verhindern. Vielleicht hatten die Polizisten sie aufgezogen. Warum hatte sie die offene Lade nicht bemerkt, als sie das letzte Mal hier gewesen war und das Aconitum Napellus zurück in den Schrank geschoben hatte? Tilla ging hinein und schloss die Schublade sorgfältig. Auch Astrid bemerkte es und runzelte die Stirn.

»Warst du das?«, fragte sie mit leichtem Tadel.

Tilla schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, muss ich ja wohl. Mist. Ich bin die letzte Zeit so zerstreut.«

»Ist ja auch kein Wunder«, stellte Astrid versöhnlich fest.

»Und Hedera hat all diese Kräuter selbst gesammelt?«, fragte Gerred.

»Ja, die meisten davon«, antwortete Astrid. »Hier im Harz findet man eine selten reichhaltige Auswahl. Deswegen die Karte.« Astrid wies auf die Harzkarte neben ihr an der Wand. »Hedera arbeitete am liebsten mit den einheimischen Wildpflanzen. Sie sagte immer, dass die Menschen auf die Pflanzen ihrer Region am besten reagieren. Bei exotischen Pflanzen käme es oft zu allergischen Reaktionen. Ich habe viel von ihr bezogen und bei meinen Patienten eingesetzt. Selbst in der Dosierung habe ich mich völlig auf Hederas Erfahrung verlassen.« Astrid hielt kurz inne. Als der Anflug von Trauer sich legte, zeigte sie auf ein paar Laden in der Nähe der Tür. »Aber auch in der Pflanzenheilkunde gibt es Trends. Bei einigen Patienten musste es unbedingt Ginseng, Haronga oder Teebaumöl sein. Die hat Hedera dann bei speziellen Händlern bestellt.«

»Und nun arbeitest du mit Hederas Kräutern weiter?«, fragte Gerred.

Zögerlich antwortete Astrid. »Ja, ich werde es versuchen.«

Tilla hatte still zugehört. Sie wusste, Hedera hätte gewollt, dass Astrid ihre Arbeit fortsetzte, doch nun wurde ihr mulmig bei dem Gedanken, dass die Apotheke dieses Haus verließ. Forscher, als ihr zumute war, verkündete sie: »Wenn die Apotheke weg ist, werde ich die Wand hier einreißen und das Wohnzimmer vergrößern. Natürlich nur, wenn du mir versprichst, dass das Haus nicht zusammenfällt, wenn ich der Wand mit einem Vorschlaghammer zu Leibe rücke.«

Gerred betrachte die Wand kurz und klopfte an verschiedenen Stellen. »Nein, es ist keine tragende Wand. Aber überlass den Vorschlaghammer besser mir.«

Tilla grinste. »Nichts dagegen, danke!«

Astrid trat an Tilla heran und strich ihr über die Schultern. »Tilla-Schatz, du weißt, dass ich für diese Apotheke morden würde, aber es erscheint mir nicht richtig, dass du sie weggibst. Die Kräuter, ja, die hole ich gern ab. Aber die Schränke sollten bleiben.« Astrid sah sich sinnend um. »Kräuter waren Hederas Leben«, murmelte sie.

»Und ihr Tod«, stellte Tilla brüsk fest.

Bleierne Stille machte sich breit. Tilla blickte scheinbar abwesend aus dem Fenster, bis es plötzlich aus ihr herausplatzte wie überreifer Samen nach einem Sommerregen.

»Ich kann mir einfach nicht erklären, warum sie diesen Scheiß Sud aus Eisenhut getrunken hat.« Abrupt drehte sie sich herum und flüchtete, eine Bresche durch ihre Besucher schlagend, in ihr Wohnzimmer. Astrid und Gerred folgten ihr langsam.

Tilla tappte nervös im Wohnzimmer hin und her. »Wenn es jemand gibt, dem ich nie und nimmer einen Selbstmord zugetraut hätte, dann meiner Mutter. Sie war wie ein Fels.«

»Ja, das war sie.« Zögernd meinte Astrid: »Eine Woche vor ihrem Tod habe ich noch mit Hedera gesprochen. Es deutete nichts, aber auch gar nichts darauf hin, dass sie so etwas vorhatte. Ich hab unseren letzten Nachmittag schon tausende von Malen Revue passieren lassen. Ich verstehe es auch nicht.«

Astrids Worte taten Tilla unendlich gut. Sie war unschlüssig, ob sie ihren Freunden von ihrem Verdacht berichten sollte, der ihr plötzlich mehr als abwegig vorkam. Dennoch begann sie: »Mir ist da etwas aufgefallen, als ich die Küche aufräumte. Mutsch hatte an jenem Abend das alte Wedgwood gedeckt, die Kanne und eine Tasse standen auf dem Tisch. Aber eine weitere Tasse hab ich im Küchenschrank gefunden!«

»Was?«, entfuhr es Astrid. »Das Wedgwood hat sie nur benutzt, wenn Besuch da war …«

»Und eine zweite Tasse stand im Küchenschrank?«, hakte Gerred nach.

»Ja. Abgesehen davon, dass meine Mutter diese Tasse nie in den Küchenschrank stellen würde, war sie gespült. Und die Polizei war das nicht. Als ich sie fand, war keine zweite Tasse auf dem Tisch.«

»Hedera hatte also einen Besucher? Jemand, der hinterher die Tasse gespült hat?«, fragte Gerred ungläubig. »Bei einem Besucher würde man ja sogar an ein Fremdverschulden denken müssen. Aber es gab doch keine Kampfspuren, oder?«

»Nein«, sagte Tilla leise. Dann fragte sie hilflos: »Kann es sein, dass sie sich mit jemandem dazu verabredet hat … also zum gemeinsamen Selbstmord, und der Besucher einen Rückzieher gemacht hat?«

Astrid sah sie bestürzt an. »Wer sollte denn das gewesen sein?«

»Da hatte ich mir von dir eine Antwort erhofft«, gab Tilla leise zurück.

»Da fällt mir absolut niemand ein! Außerdem, ein Doppelselbstmord, das passt so gar nicht zu Hedera.«

Tilla wurde unsicher. »Stimmt eigentlich.«

»Trotzdem ist diese zweite Tasse äußerst merkwürdig. Hast du sie zur Polizei gebracht?«, fragte Gerred.

»Äh, nein … ich kam mir so dumm vor. Ich habe Angst, dass die sagen, die Tasse hätte gar nichts zu bedeuten und dass Mutsch einfach nur vergessen hat, sie zurück ins Wohnzimmer zu stellen.«

»Hatte deine Mutter denn Feinde?«, hakte Gerred vorsichtig nach.

»Nein!«, erklärte Astrid kategorisch.

Tilla fügte hinzu: »Meine Mutter hat sich tatsächlich außer mit mir noch nie mit jemandem gestritten. Bis auf …« Tilla brach ihre Rede nachdenklich ab.

»Was?«, fragte Gerred.

»Na ja, damals in Braunlage, da hat es wohl mal so was wie einen Stalker gegeben.« Tilla blickte hilfesuchend zu Astrid. »Was genau ist da eigentlich damals vorgefallen?«

Astrid starrte Tilla verstört an und sagte überraschend abweisend: »Ich weiß wirklich nicht, was du meinst.«

382,08 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
25 мая 2021
Объем:
594 стр. 8 иллюстраций
ISBN:
9783947167081
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Правообладатель:
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