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Kapitel 19


Das gefrorene Laub knisterte unter den perfekt gewichsten Schuhen. Die winterkahlen Wipfel der Bäume oberhalb der Kluskapelle ließen das kraftlose Sonnenlicht bis zum Boden durch, der mit reifbezuckerten Ästen und Laub überdeckt war. Es war genau das richtige Wetter, um dem Körper nach Tagen der weihnachtlichen Völlerei durch einen strammen Marsch in klirrender Kälte etwas Erleichterung zu verschaffen.

Dr. Jan Berking hatte so etwas weder nötig, noch war er zum Vergnügen am Klusfelsen. Langsam folgte er dem Pfad über die kleine Brücke zu der Felsrippe, die sich hier aus dem sonst eher sanft konturierten Umland erhob. Trotz der Kälte ließ er das Bild auf sich wirken. Eine steinerne Terrasse lag vor dem Eingang der Marienkapelle, die einst ein Mönch bewohnt haben soll. Bänke an den Seiten der sandsteineingefassten Hochterrasse luden zum Verweilen ein. Neben dem Eingang zur Kapelle befand sich eine Einkerbung. Erstarrte Wachstropfen zeigten, dass hier jemand vor Kurzem eine Kerze aufgestellt hatte. Mitten in dem Steinplateau hatte man ein viereckiges Felsstück herausgenommen und die Kuhle mit Sand gefüllt. Der Sand war noch immer dunkel verfärbt. Reste des Absperrbandes, mit dem die Kollegen den Tatort geschützt hatten, flatterten am Brückengeländer.

Jan Berking hatte die Tatortfotos so sorgfältig studiert, dass ihm jede Einzelheit in Erinnerung geblieben war. Als Perfektionist hatte er zumeist jedes Detail seiner Akten im Kopf. In diesem Falle waren es ärgerlich wenige. Man vermutete nur, dass mehrere Personen hier gewesen waren, dennoch hatte man nur wenige Spuren sichern können, von fehlenden Zeugenaussagen ganz zu schweigen.

Er umrundete die Stelle, auf der der Tote gelegen hatte. Es war zwar noch der Untersuchungsbericht über die Proben des blutgetränkten Bodens abzuwarten, doch Berking war sicher, dass sie einen stark erhöhten Eisengehalt ergeben würden, was darauf schließen ließ, dass der Mann hier an Ort und Stelle erstochen worden war. Damit war der Fundort auch der Tatort. Mit akribischer Sorgfalt sezierte sein Blick Zentimeter um Zentimeter des Areals, wobei er sich wie in einem unsichtbaren Quadratraster vor und zurück bewegte. Als die tief stehende Wintersonne auf die Sandsteinwand gegenüber der Kapelle fiel, stutzte er.

Der Sandstein war so verkratzt, dass ihm die Zeile gleichmäßiger Zeichen erst gar nicht aufgefallen war. Bei näherem Hinsehen stellte er fest, dass die Kratzer ein gewisses System aufwiesen. Der überwiegende Teil der feinen Rillen verlief senkrecht, auch waren die Vertiefungen etwa gleich lang. Berking hatte kurz das Gefühl, dass hier etwas geschrieben worden war. Er fegte vorsichtig den Raureif zur Seite, der sich in den Rillen festhielt, trat einen Schritt zurück und betrachtete den Stein erneut. Enttäuscht stellte er fest, dass die Rillen nun viel schlechter zu sehen waren als mit dem Reif. Vielleicht hatte er die Zeichen nur deswegen überhaupt bemerkt. So genau er auch hinschaute, er konnte keinen Buchstaben entziffern, obschon das Ganze eine gewisse Ähnlichkeit mit Schrift hatte. Er nahm sich vor, die Tatortfotos noch einmal daraufhin anzusehen und Gerd Wegener danach zu fragen.

Unschlüssig ließ er den Blick nochmals über den Boden schweifen. Er war zwar Staatsanwalt, aber auch durch und durch Ermittler. Sein Vater hatte für die Kriminalpolizei und zuletzt im Bundeskriminalamt gearbeitet. So hatte Jan Berking diese Form der Arbeit seit frühster Jugend in sich aufgenommen wie sein täglich Brot. Im Gegensatz zu seinen Kollegen verließ er seinen Schreibtisch sehr oft, um sich vor Ort ein Bild von Tatorten und Zeugenaussagen zu machen. Trotz seiner schroffen Art wurde er wegen seines Engagements von den Ermittlern der Kripo respektiert.

Familienlos, seine Kollegin hatte sich gerade von ihm getrennt, hatte er die Feiertage mit den Akten zu diesem Fall an seinem Schreibtisch verbracht, was ihn jedoch keinen Deut weitergebracht hatte. Es wurmte ihn ungemein, dass man ihm so wenig Spuren hinterlassen hatte. Würde dieser Tote der erste ungeklärte Fall auf seinem Schreibtisch bleiben?

Reiß dich zusammen und beginne mit der Viktimologie, wenn der Tatort schon nichts hergibt, mahnte Berking sich selbst und überdachte die Situation des Opfers. Im Geiste ging er noch einmal die Zeugenaussagen durch, die Wegener und Kamenz zusammengetragen hatten. Jeder beschrieb Harald Schakenbeck als freundlich, aufopfernd und warmherzig. Der Mann war in seinem Job geradezu aufgegangen. Schakenbeck hatte ein solides Leben ohne spektakuläre Ereignisse und Überraschungen geführt, bis zum Abend des einundzwanzigsten Dezember. Er war verheiratet mit einer Frau, die überdeutlich unter dem Verlust litt, ebenso wie seine zwei Söhne, die in Göttingen lebten und sofort angereist waren. Der Mann hatte keine erkennbaren Feinde. Im Gegenteil, er hatte in seinem Beruf so manch prekäre Situation mit geschicktem Agieren und einer zur Harmonie tendierenden Persönlichkeit zum Guten gewandelt.

Selbst die Familie Gülcan, die unglücklicherweise zunächst in den Fokus der Ermittlungen geraten war, hatte sich respektvoll über ihn geäußert. Als man die Gülcans mit der Information konfrontierte, dass Lore Schakenbeck ausgesagt habe, Hülya hätte sich mit ihrem Mann treffen wollen, hatten alle einschließlich des Mädchens nur verwirrt den Kopf geschüttelt und gestenreich beteuert, niemand aus ihrer Familie habe sich mit Schakenbeck verabredet.

Jan Berking hatte dem Verhör persönlich beigewohnt und glaubte den Leuten, denen die Angst, in diesem Land unschuldig in die Mühlen einer fremden Justiz zu geraten, in die Gesichter geschrieben stand. Doch das brachte seine Ermittlungen nicht weiter. Nach dem, was Lore Schakenbeck über den Anruf an jenem Abend ausgesagt hatte, musste irgendjemand genau über die Familie Gülcan und die Arbeit von Harald Schakenbeck Bescheid gewusst haben. Eine Überprüfung der Anrufe hatte jedoch nichts ergeben, denn der nächtliche Anruf bei den Schakenbecks war von einem gestohlenen Handy geführt worden, das kurz darauf deaktiviert worden war.

Missmutig tappte Staatsanwalt Berking, die Hände in den Manteltaschen vergraben, auf und ab. Schakenbeck war offenbar von seinem Mörder beobachtet worden. Das geklaute Handy, die perfekt geplante Vorgehensweise und dann auch noch das Töten mittels einer Stichwaffe. Das alles sah verdammt nach einem Profi aus. Die diversen Fußspuren, wenn sie denn mit der Tat im Zusammenhang standen, ließen sogar den Gedanken an einen gemeinschaftlich begangenen Mord aufkommen. War es wirklich eine Art Ritual gewesen? Wegener und sein Team würden sich noch einmal Schakenbecks bearbeitete Fälle vornehmen müssen. Vielleicht fand sich dort ein Hinweis. Jan Berking bemerkte aus den Augenwinkeln eine sich nähernde Gestalt. Ärger stieg in ihm auf, doch er ließ sich nichts anmerken.

»Oh, guten Morgen Herr Dr. Berking!«

Sonja Grabowski war wie immer perfekt gestylt. Es war ihr nicht anzusehen, dass sie die vierzig bereits vor einigen Jahren überschritten hatte. Die attraktive Braunschweiger Journalistin war die letzte Person, die sich Jan Berking hier und jetzt zu sehen gewünscht hatte. Er nickte ihr sparsam zu, was die enervierend quirlige Laune der Journalistin nicht zu dämpfen vermochte.

»Sind Sie ein Weihnachtsverweigerer oder sind Sie dienstlich hier?«, fragte sie munter, während sie eifrig Fotos von dem weitgehend geräumten Tatort schoss.

Berking starrte ungnädig den Platz an, an dem Harald Schakenbeck kurz vor Weihnachten sein Leben verloren hatte. Eigentlich war er hier fertig, aber wenn er sich jetzt entfernte, sah es aus, als flüchte er vor der provokanten Journalistin.

»Bilderbuchehe, Vater von zwei wohlgeratenen Söhnen, freundlich, kompetent, warmherzig … der Mann war ein Heiliger. Das wird nicht einfach«, sinnierte Sonja Grabowski, hob die Kamera und knipste scheinbar wahllos in die Umgebung.

Berking bedachte sie mit einem kalten Seitenblick. »Sind Sie hier, weil Sie sich plötzlich für die Ermittlungen interessieren, Frau Grabowski? Das ist ja mal ganz was Neues. Bisher haben Sie doch immer Ihre eigenen Geschichten geschrieben. Geschichten, die sich fernab der Realität befanden.«

Sonja Grabowski seufzte vernehmlich. »Sie sind immer noch sauer wegen der Gülcans, nicht wahr?«

»Ihr schlecht recherchierter Artikel hat die Leute auf das Ärgste kompromittiert!«

»Tut mir leid«, gab die Journalistin ohne die geringste Spur von Bedauern zurück. »Aber wären Sie mit ihren Informationen etwas offener gewesen, würden solche Dinge nicht passieren! Irgendetwas musste ich schreiben. Das ist mein Job. Und wie steht es mit Ihrem Job? Haben Sie mittlerweile eine neue Spur?«

Jan Berkings Augen verengten sich. Am liebsten hätte er ihr eine deftige Abfuhr erteilt, doch die Frau war schon schlimm genug, ohne dass man sie gegen die Ermittlungsbehörden aufbrachte. Bei ihr war es völlig egal, was er sagte. Gab er zu, keinerlei Anhaltspunkt zu haben, würde sie das Thema der ahnungs- und wirkungslosen Polizei und Staatsanwaltschaft auswalzen. Oder sie würde sich einen neuen Verdächtigen ausdenken und ihren nächsten Artikel im Konjunktiv formulieren. Der Leser registrierte den Unterschied eh nicht.

»Es tut mir ja leid, wenn Sie meinetwegen hierher gekommen sind, Frau Grabowski. Sie wissen doch, Informationen bekommen Sie ausschließlich von unserer Pressestelle.«

Sie lächelte amüsiert. »Oh, nun überschätzen Sie sich aber, Herr Dr. Berking. Ich gehe hier oft spazieren. Ich liebe historische Orte, vor allem so alte bedeutende Kultstätten wie diese. Hier ist in grauer Vorzeit schon so manches Urteil vollstreckt worden. Aber das wissen Sie ja sicherlich, immerhin kommen Sie ja von hier.«

Jan Berking zuckte innerlich zusammen. Woher wusste die Journalistin, dass er aus Goslar stammte? Eigentlich wollte er es nicht wissen und schickte sich an zu gehen. Eindringlich hörte er ihre summende Stimme hinter sich.

»Der Mann hat aber auch ein Pech. Vor dreißig Jahren war es Ihr Vater, der ihn auf dem Kieker hatte, und nun haben Sie ihn als Leiche zu bearbeiten!«

Jan Berking erstarrte. Dann sah er sich um. Sonja Grabowskis zufriedenes Lächeln verschwand hinter ihrer mattsilbern glänzenden Kamera, die sich auf ihn richtete und klickte. Sein Vater war lange in Goslar Ermittler gewesen, bevor er im Bundeskriminalamt gelandet war. Was sollte sein Vater mit Schakenbeck zu tun gehabt haben? Das Archiv der Zeitung war wohl effizienter als das der Ermittlungsbehörden. Verärgert wandte er sich ab und folgte dem Weg zurück zu seinem Wagen.

»Was hatte Ihr Vater denn damals gegen ihn?«, tönte es unangenehm schrill hinter ihm her.

Berking reagierte nicht, doch Sonja Grabowskis Frage brannte sich förmlich in seinen Kopf.

Kapitel 20


Berühmt ist die keltische Gastfreundschaft.

– Poseidonios Athenaios –

Tilla hatte ihre Bankauszüge und die Rechnungen des letzten Monats vor sich ausgebreitet. Kaum ein Zipfelchen ihres Schreibtisches war noch unbedeckt. Dazwischen lagen mehrere Listen ihrer Fixkosten, auf denen sie herumgeschrieben und durchgestrichen hatte. Mit einem Schrei des Unmutes riss sie das aktuelle Blatt von ihrem Block, zerknüllte es und warf es auf ihren völlig überfüllten Papierkorb.

»Verdammter Mist!« Sie ließ sich in ihrem Stuhl zurückfallen. »Egal wie ich es drehe und wende, ohne Borderfeld bin ich geliefert.«

Wenn sie ohne sein Geld auskommen wollte, brauchte sie eine neue Geldquelle, und zwar eine ergiebige.

Am Vortag hatte sie im Touristenzentrum Goslar nach weiteren Aufträgen gefragt, wo man ihr versprochen hatte, ihre Bewerbung weiterzureichen, falls sich etwas Passendes biete. Auf dem Rückweg war sie dann auch noch ihrem ehemaligen Mitbewohner Daniel Regner begegnet, der mittlerweile in Goslar wohnte. Sie hatte sich mit ihm in ein Café gesetzt, da er enormen Redebedarf hatte. Mit einem emotionsgeladenen Schwall von Worten hatte er seinem Ärger über seinen Bruder Luft gemacht, der ihm überraschend seine sexuelle Neigung gestanden und ihm gleich seinen Partner als neuen Mitbewohner vorgestellt hatte. Eigentlich war Daniel recht weltoffen, doch diese Fülle an neuen Informationen über seinen Bruder, den er zu kennen geglaubt hatte, hatte selbst Daniel überfordert. Das Zusammentreffen mit Dirk Sundermann, der Tillas ehemaliges Zimmer übernehmen sollte, musste einem Desaster gleichgekommen sein.

»Armer Oliver«, murmelte Tilla in Erinnerung an Daniels Zorn. Sie stierte noch eine Weile ihren Schreibtisch an, bevor sie sich erhob, um ihr Laufdress zu suchen.

Eine gute Stunde später trat Tilla körperlich erschöpft aber geistig erfrischt aus dem Wald, sicher, dass sie nun fähig war, sich ihrem Problem erneut zu stellen. Sie hörte ein Geräusch hinter sich, drehte sich um und sah Gerred Assmut auf sie zuradeln.

»Hallo Tilla«, begrüßte er sie freundlich und stoppte sein futuristisch aussehendes Geländefahrrad.

»Gerred«, Tilla grinste ihn breit an, »ich glaube, du bist genau der Mann, den ich jetzt brauche!«

»Tatsächlich? Schön. Was kann ich denn für dich tun?« Sein Lächeln geriet immer ein wenig schief, da seine rechte Wange wegen der Narbe unbeweglicher war. Während des Laufens hatte Tilla eine Idee entwickelt, die sie ihm mit Feuereifer erläuterte.

»Du, ich habe mir gerade überlegt, ob es möglich wäre, das Obergeschoss meines Hauses zu einer Mietwohnung umzubauen.«

»Du willst vermieten?«, fragte Gerred erstaunt nach.

»Ja, weißt du, Mieteinnahmen könnte ich im Moment wirklich gut brauchen«, gab Tilla etwas betreten zu. Er betrachtete sie forschend, was Tilla etwas nervös machte. Sie zog eine Grimasse: »Wahrscheinlich ist es eh eine Schnapsidee. Man müsste ja sicherlich einiges teuer umbauen.«

Doch Gerred antwortete freundlich: »Ich habe heut morgen etwas Zeit. Lass es uns anschauen und ich kann dir sagen, was du investieren müsstest.«

»Fein!« Tilla strahlte.

Kurze Zeit später standen sie in Tillas Flur, von dem aus eine Treppe ins Obergeschoss führte.

»Ich nutze nur die Räume hier unten, um Heizkosten zu sparen«, sagte Tilla zu Gerred, der seinen Fahrradhelm auf der Flurkommode ablegte.

»Solange das Treppenhaus offen ist, nutzt dir das nicht viel«, erklärte er fachkundig.

Gemeinsam gingen sie nach oben und Tilla führte ihn durch die Räume.

Mit versiertem Blick stellte Gerred fest: »Die Aufteilung ist gar nicht schlecht.«

Tilla dagegen wurde immer unsicherer. »Irgendwie komme ich mir wie ein Idiot vor. Das Grün des Badezimmers war vor dreißig Jahren schon veraltet, es fehlt eine Küche und dann all die Schrägen …«

»So schlimm finde ich es gar nicht. Das dürften hier gut sechzig Quadratmeter sein, aus denen sich etwas machen lässt.«

»Ich habe leider keine finanziellen Reserven.«

Gerred überlegte kurz. »Das Einzige, was du wirklich brauchst, ist eine neue Innentür unten im Flur. So etwas kann man recht günstig im Baumarkt kaufen. Mir fällt gerade ein: Das Büro, in dem ich arbeite, baut gerade eine Arztpraxis um. Nächste Woche kommt dort die alte Gemeinschaftsküche raus. Ich bin sicher, die würden sie gegen Abholung kostenlos abgeben. Hast du vielleicht jemanden, der mir zur Hand gehen könnte? Dann wäre die im Nullkommanix umgebaut.«

Tilla staunte ihn an. »Echt? Das hört sich ja toll an!« Sie überlegte kurz. »Ich könnte meinen ehemaligen Mitbewohner aus Braunschweig fragen. Er wohnt jetzt hier. Vielleicht hat er Zeit.«

Sofort rief Tilla Daniel an und reichte ihr Telefon an Gerred weiter. Die Männer einigten sich darauf, sich am folgenden Wochenende für den Umbau zu treffen. Tilla konnte es kaum fassen. Mit unaufhörlichen Dankesbekundungen brachte sie Gerred an die Tür und machte sich hernach an eine neue Berechnung ihrer Haushaltskasse. Die ersten Mieteinnahmen würde sie brauchen, um ihre Investitionskosten zu decken. Doch dann rückte die Möglichkeit, ohne Borderfelds Geld auszukommen, in erreichbare Nähe.

Kapitel 21


Berkings Zorn zeigte sich lediglich durch ein missbilligendes Hochschnellen seiner Augenbrauen, dennoch veranlasste seine drängende Frage bezüglich der Zeichen an dem Stein den Kriminaltechniker zu hektischer Betriebsamkeit. Gerd Wegener und Andreas Kamenz hielten sich zurück, bis sich der Ärger des Staatsanwaltes etwas gelegt hatte.

Der junge Mann aus der KTU klickte im Stakkato mit der Mouse auf seinem Pad herum, um dann kleinlaut festzustellen: »Nein, von diesem Stein habe ich auch keine weiteren Fotos als die in der Akte.« Dann murmelte er: »Hier ist zwar ein Teil dieses Steins mit drauf, aber ich sehe keine Zeichen.«

»Vergrößern Sie diesen Bereich!«, befahl Berking barsch und zeigte auf den unteren Bildschirm.

Schon bei geringer Vergrößerung waren gleichmäßige Rillen in der grüngrauen Fläche zu sehen. Aber leider war die Zeile auf keinem der Fotos vollständig zu erkennen.

»Ich weiß gar nicht, warum mir diese Zeichen nicht aufgefallen sind«, murmelte der junge Mann sichtlich zerknirscht und klickte sich weiter hektisch durch seine Bildbearbeitungsmöglichkeiten, ohne jedoch etwas auszurichten.

»Meinen Sie wirklich, dass da etwas Sinnvolles steht?«, fragte Andreas Kamenz, der das Foto von den teilweise aufgenommenen Zeichen interessiert betrachtete.

»Die Striche sehen wie Buchstaben aus«, beharrte Berking, der verschwieg, dass die Zeichen nur durch den Raureif sichtbar geworden waren.

»Ich hab das damals auch nicht gesehen«, versuchte Gerd Wegener die Nöte des noch immer hektisch arbeitenden Tatorttechnikers mit Solidarität zu mildern. Er wusste nur zu gut, wie Berking auf unsichere Charaktere wirkte.

Jan Berking übernahm nun resolut die Herrschaft über die Computermaus und klickte sich durch die Dateien. Unzufrieden betrachtete er die Fotos. »Gehen Sie noch einmal hin und fotografieren Sie diese Zeichen!«

Der Techniker nickte eilfertig.

»Seinen Rang als Beweismittel hat das Ganze aber nach dieser Zeit verloren«, stellte Wegener sachlich fest.

Berking knurrte. »Wir nehmen es als Arbeitsgrundlage.« Eine Wolke frostigen Ärgers umgab ihn, als er das Büro verließ.

Gerd Wegener klopfte dem Tatorttechniker, der nun völlig kraftlos zusammensackte, aufmunternd auf die Schulter. »Mach dir nichts draus, Thomas. Der beruhigt sich schon wieder.«

Andreas Kamenz, der ebenfalls hörbar ausgeatmet hatte, als der Staatsanwalt hinter der zufallenden Tür verschwunden war, sagte kopfschüttelnd: »Der hat wirklich den Charme eines Blizzards, wenn er sauer wird.«

Wegener grinste. »Ja. Man tut gut, ihm nicht in die Quere zu kommen. Aber er hat was drauf.«

Kamenz blickte seinen Chef interessiert an. »Ach? Hast du schon mal mit ihm zu tun gehabt?«

Wegener griff nach seiner Jacke und grinste. »Ja. Der ist wie ein Terrier. Macht uns viel Arbeit, bis so eine Anklage steht. Aber dafür kriegt er seine Strafanträge auch immer durch. Bei dem arbeiten wir selten umsonst.«

Kapitel 22


Zum Mond sagen Sterbliche Scheibe der Götter,

Bei Hel sagt man rollendes Rad,

Sputer bei Riesen, Schein bei Zwergen.

– Edda, Das Lied von Alwis –

Zufrieden betrachtete Tilla die neue Tür, die ihr Daniel und Gerred im Flur eingebaut hatten. So hatte sie nicht nur einen doppelten Schutz vor ungebetenen Gästen, sie hatte für das Obergeschoss auch einen separaten Eingang gewonnen. Auch die Küchenzeile, die zwar nicht hochmodern, aber doch noch gut in Schuss war, stand bereits an Ort und Stelle. Daniel und Gerred verstanden sich gut und Tilla gewann den Eindruck, dass man Männern mit nichts eine größere Freude bereiten konnte als mit einer Werkzeugkiste und einem Eimer voll Kaffee.

Nun, wieder allein, befiel Tilla erneute Sorge darüber, dass die Investition ein Loch in ihre chronisch angegriffene Kasse gerissen hatte. Hoffentlich fand sie bald einen Mieter. Eine entsprechende Annonce in der Tageszeitung hatte sie bereits geschaltet. Seufzend raffte Tilla die letzten Kartonreste zusammen und trug sie nach draußen in den Schuppen. Sie würde den Berg aus Pappe bei nächster Gelegenheit zum Container bringen müssen, damit der Schuppen nicht platzte. Fix trabte sie zurück zum Haus, da es noch immer eisig kalt war. Schnell schloss sie die zwei Türen hinter sich.

»Es tut gut, wenn man sich Wünsche erfüllen kann, nicht wahr, Tilla?«

Tilla fuhr herum. Borderfeld stand lässig in der Tür zu ihrem Wohnzimmer. »Ich habe Ihnen einige neue Texte und Ihr Geld auf den Schreibtisch gelegt.«

Tilla funkelte ihn wütend an. »In mein Wohnzimmer? Das ist meine Wohnung!«

»Ihre Türen standen offen«, erklärte er gelassen.

»Das ist aber kein Grund, einfach hier reinzuspazieren«, fauchte sie.

»Warum diese Maßnahme?«, fragte er ungerührt und wies mit dem Kinn auf die neue Innentür.

»Ich glaube zwar nicht, dass Sie das etwas angeht, aber bitte. Ich will die obere Etage vermieten«, schnappte Tilla, noch immer zornig.

Er nickte schweigend. Tilla dachte schon, er wollte gehen, doch dann hörte sie ihn fragen: »Sie fühlen sich allein, nicht wahr?«

Verblüfft starrte Tilla ihn an. Seine hellbraunen Augen, die Tilla unangenehm an einen Bären erinnerten, schienen stets eine andere Sprache zu sprechen als sein Mund. Tilla wusste nicht, wie sie reagieren sollte.

»Sie haben viel durchgemacht«, stellte Borderfeld fest und zog sich seine Handschuhe wieder über.

»Das geht niemanden etwas an«, entgegnete Tilla abweisend, um dann nachdenklich nachzuhaken: »Woher wissen Sie das eigentlich?«

Er grinste leicht. »Natürlich habe ich Sie überprüft, Tilla, immerhin arbeiten Sie für mich und meine Organisation.«

»Was ist das eigentlich für eine Organisation?«, fragte Tilla mit trotzig vorgestrecktem Kinn.

»Darüber werden Sie später mehr erfahren.«

In Tillas Kopf begann sich unwillkürlich eine Abfolge von Überlegungen abzuspulen, die Borderfeld als beängstigend kriminell einstuften. Wie von selbst formulierten sie ihre Worte.

»Ich weiß nicht, ob ich das will, Herr Borderfeld. Ihre ganze undurchsichtige Art gefällt mir immer weniger. Ich sage Ihnen ganz offen, ich denke darüber nach, unsere Vereinbarung zu kündigen.«

Seine hellen Augen hielten sie einen Moment lang fest.

»Uns beide, Tilla, uns verbindet weit mehr als ein Arbeitsvertrag. Glauben Sie mir, zu gegebener Zeit werde ich Ihnen alles erklären und Sie werden verstehen.«

Damit drehte er sich um und verließ Tillas Wohnung. Tilla starrte ihm verwirrt nach. Als sie die Türen hinter ihm schloss, glaubte sie, vor Zorn schier platzen zu müssen. Gleichzeitig kündigten ihr sämtliche inneren Alarmglocken bevorstehenden Ärger an.

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382,08 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
25 мая 2021
Объем:
594 стр. 8 иллюстраций
ISBN:
9783947167081
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