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Ein Weg zum Glücklichsein

Wie der im nächsten Kapitel vorgestellte Überblick über entsprechende Forschungsergebnisse zeigt, ist Selbstmitgefühl ein kraftvoller Weg, um Wohlbefinden und Zufriedenheit in unserem Leben zu erreichen. Indem wir uns selbst bedingungslose Freundlichkeit und Unterstützung geben und unsere Unvollkommenheiten als Teil des menschlichen Daseins akzeptieren, tragen wir dazu bei, schwierige psychische Zustände wie Depressionen, Angst und Stress zu lindern und gleichzeitig positive Zustände wie Glücksempfinden und Optimismus zu fördern (Zessin et al., 2015). Die nährende Qualität des Selbstmitgefühls lässt uns aufblühen und gedeihen und die Schönheit des Lebens schätzen – sogar in schwierigen Zeiten. Anstatt zu versuchen, das Leben und unsere emotionalen Reaktionen ­darauf zu kontrollieren, oder anstatt wütend und frustriert zu werden, wenn die Dinge nicht genau so laufen, wie wir es uns wünschen, können wir einen anderen Weg einschlagen. Wir können unseren unruhigen Geist mit dem Yin des Selbstmitgefühls beruhigen und auf die Yang-Kraft des Selbstmitgefühls zurückgreifen, damit wir die Herausforderungen, die auf uns zukommen, besser bewältigen können.

Selbstmitgefühl bietet eine Zuflucht vor der rauen See positiver und negativer Selbstbeurteilung, sodass wir endlich aufhören können zu fragen: »Bin ich so gut wie die anderen? Bin ich gut genug?« Das Glück des Selbstmitgefühls beruht weder darauf, besser zu sein als alle anderen, noch auf der Frage, ob unsere Bemühungen von Erfolg gekrönt sind. Das Glück des Selbstmitgefühls kommt daher, dass wir der Unvollkommenheit des Lebens und unserer eigenen Unvollkommenheit mit offenem Herzen und Geist begegnen.

Wir haben alles, was wir brauchen, um uns selbst mit jener warmherzigen, unterstützenden Fürsorge zu versorgen, nach der wir uns zutiefst sehnen. Wenn wir unsere tiefen inneren Quellen der Güte erschließen, die Erfahrung gemeinsamen Menschseins anerkennen und uns der Realität des gegenwärtigen Augenblicks öffnen, fühlen wir uns erfüllter und lebendiger. Selbstmitgefühl ist ein alchemistischer Prozess, der Leiden in Freude verwandeln kann. Wie unsere Kollegin Michelle Becker sagt, kristallisiert sich ein neuer Zustand heraus, wenn wir unseren Schmerz mit offenem Herzen annehmen – ein Zustand der »liebevollen, verbundenen Präsenz«, der den drei Elementen des Selbstmitgefühls entspricht. Vor allem, wenn sich die zärtliche, heilende Kraft des Selbstmitgefühls mit der leidenschaftlichen Entschlossenheit, Leiden zu lindern, verbindet, können wir inmitten von Herausforderungen und Veränderungen aufblühen.

Wichtige Punkte, an die wir uns erinnern sollten

 Selbstmitgefühl ist nichts anderes als nach innen gerichtetes Mitgefühl. Wir können es in jedem Moment des Leidens, ob groß oder klein, anwenden.

 Selbstmitgefühl umfasst im Wesentlichen drei Elemente: 1) Freundlichkeit gegenüber sich selbst im Gegensatz zu Selbstverurteilung, 2) die Anerkennung der Erfahrung des gemeinsamen Menschseins im Gegensatz zu Isolation und 3) Achtsamkeit im Gegensatz zu Überidentifikation.

 Bei Achtsamkeit geht es um das liebevolle Gewahrsein der Erfahrung. Beim Selbstmitgefühl geht es um das liebevolle Gewahrsein der Erfahrenden.

 Das Yin des Selbstmitgefühls bedeutet: auf eine akzeptierende Weise mit sich selbst zu sein – tröstend, beruhigend und den eigenen Schmerz anerkennend. Das Yang des Selbstmitgefühls bedeutet: handeln, um unser Leiden zu lindern – schützend, versorgend und uns selbst motivierend, wenn nötig.

 Selbstmitgefühl und Selbstwertgefühl sind beides positive Wege, sich auf sich selbst zu beziehen, aber das Selbstwertgefühl beruht auf einer Evaluierung des eigenen Wertes, der an bestimmte Bedingungen geknüpft ist und auf Erfolg basiert, während Selbstmitgefühl bedingungslose Selbstakzeptanz auch in Momenten des Scheiterns impliziert.

 Weitverbreitete Vorbehalte gegenüber Selbstmitgefühl können zerstreut werden:

 Selbstmitgefühl ist weder egoistisch noch egozentrisch, sondern stellt uns die emotionalen Ressourcen zur Verfügung, die wir brauchen, um uns um andere kümmern zu können.

 Selbstmitgefühl ist kein Selbstmitleid. Es lässt uns die Verbindungen zwischen unseren Erfahrungen und denen anderer ohne Übertreibung erkennen.

 Selbstmitgefühl ist nicht schwach, sondern kann kämpferisch für Selbstschutz und Selbstunterstützung einstehen. Es ist eine Quelle der Kraft und Resilienz in herausfordernden Situationen.

 Selbstmitgefühl bedeutet nicht, sich selbst alles durchgehen zu lassen, denn sein Ziel ist letztendlich die Linderung von Leiden. Selbstmitgefühl stellt langfristiges Wohlbefinden über kurzfristiges Vergnügen.

 Selbstmitgefühl schließt konstruktive Kritik und Unterscheidungsvermögen mit ein, nicht aber harte, herabsetzende Selbstverurteilung.

 Selbstmitgefühl stärkt die Motivation, statt sie zu untergraben. Anders als Selbstkritik motiviert Selbstmitgefühl eher durch Fürsorglichkeit, Unterstützung und Ermutigung als durch Angst und Scham.

3

Die Wissenschaft vom Selbstmitgefühl

Wir leben in einer Zeit, in der die Wissenschaft bestätigt, was Menschen seit Jahrtausenden wissen: dass Mitgefühl kein Luxus ist.Es ist eine Notwendigkeit für unser Wohlbefinden, unsere Resilienz und unser Überleben.

Joan Halifax (2012b)

In unserer zunehmend säkularen, vielfältigen Welt ist die wissenschaftliche Forschung ein wichtiger Weg, um unser Leben zu verstehen und Fakten von Fiktion zu trennen. Die Forschung gibt uns auch die Zuversicht und den Mut, Neues auszuprobieren, beispielsweise den herausfordernden Weg zum Selbstmitgefühl einzuschlagen. Die wissenschaftliche Erforschung des Selbstmitgefühls expandiert exponentiell (siehe Abb. 3.1), ähnlich wie seinerzeit in der Achtsamkeitsforschung. Und sowohl Selbstmitgefühl als auch Achtsamkeit werden derzeit in alle Bereiche der modernen Gesellschaft integriert. Dieses Kapitel gibt einen Überblick über bestehende wissenschaftliche Studien zum Thema »Selbstmitgefühl« und beschreibt konvergierende Trends in der Forschung.

Die Methodik der Selbstmitgefühlsforschung

Bisher wurden die meisten Studien über Selbstmitgefühl mithilfe der Selbstmitgefühlsskala (SCS; Neff, 2003a) durchgeführt, einer 26-Punkte-Selbstbewertungsskala, die Selbstmitgefühl wie von Neff definiert (2003b) messen soll. Die zwölf Punkte umfassende Kurzform der SCS (SCS-SF) wird auch häufig in der Forschung verwendet, da sie eine nahezu perfekte Korrelation zur Langform aufweist (Raes, Pommier, Neff und Van Gucht, 2011). Die SCS ermöglicht eine direkte Einschätzung, wie oft Menschen mit Gedanken, Gefühlen und Verhaltensweisen beschäftigt sind, die mit den unterschiedlichen Dimensionen des Selbstmitgefühls korrelieren. Die Skala soll Selbstmitgefühl als Ganzes messen, aber die sechs Subskalen der SCS können auch einzeln angewandt werden, um Aspekte des Selbstmitgefühls zu untersuchen, die mit positiverem und weniger negativem Umgang mit sich selbst in stressvollen Zeiten assoziiert werden.


Abbildung 3.1: Wissenschaftliche Publikationen über Selbstmitgefühl von 2003 bis 2017 (N = 1840, basierend auf Einträgen einer Google-Scholar-Suche mit dem Begriff »Selbstmitgefühl« im Titel).

Items auf den Subskalen sind beispielsweise Freundlicher Umgang mit sich selbst (»Ich versuche, liebevoll mit mir umzugehen, wenn ich emotionalen Schmerz erlebe«), Selbstverurteilung (»Ich urteile über meine eigenen Schwächen und Unzulänglichkeiten und missbillige sie«), Erfahrung gemeinsamen Menschseins (»Wenn die Dinge schlecht für mich laufen, betrachte ich die Schwierigkeiten als Teil des Lebens, die jeder Mensch durchmacht«), Isolation (»Wenn ich über meine Unzulänglichkeiten nachdenke, fühle ich mich eher vom Rest der Welt abgeschnitten«), Achtsamkeit (»Wenn ich mich niedergeschlagen fühle, versuche ich, meinen Gefühlen mit Neugier und Offenheit zu begegnen«) und Überidentifikation (»Wenn mich etwas aufregt, lasse ich mich von meinen Gefühlen hinreißen«; siehe auch Kapitel 2). Negative Items werden umgekehrt kodiert, sodass höhere Werte auf einen relativen Mangel an nicht-mitfühlendem Umgang mit sich selbst schließen lassen.

Die Selbstmitgefühlsskala zeichnet sich durch hohe interne Zuverlässigkeit aus (Neff, 2003a) und bezieht auch Verhaltensweisen ein, die leicht von anderen beobachtet werden können. So korreliert die Selbsteinschätzung im Hinblick auf Selbstmitgefühl in hohem Maße (0,70) mit Einschätzungen von Partnern in Langzeitbeziehungen (Neff und ­Beretvas, 2013). Sie können Ihren Score auf der SCS auch auf www.self-compassion.org automatisch berechnen lassen. Eine deutsche Übersetzung finden Sie hier: www.self-compassion.org/wp-content/uploads/2018/05/GermanSCS.pdf. Das wird ein nützlicher Weg sein, um Fortschritte beim Erlernen der Fähigkeit zum Selbstmitgefühl in Settings wie Psychotherapie, Achtsamkeits- und Mitgefühlstraining zu erzielen oder es allgemein nachzuvollziehen.

Einige Autoren schlagen vor, die SCS so zu verwenden, dass mitfühlender und nicht-mitfühlender Umgang mit sich selbst getrennt gemessen werden und dass positive und negative SCS-Werte anstelle eines Gesamt-SCS-Scores erhoben werden (zum Beispiel Costa, Marôco, Pinto-Gouveia, Ferreira und Castilho, 2015; Gilbert, McEwan, Matos und Rivis, 2011; Muris, 2015). Dieser bifaktorielle Ansatz wurde jedoch nicht durchgängig unterstützt (zum Beispiel Cleare, Gumley, Cleare und O’Connor, 2018; Neff, Whittaker und Karl, 2017). Neff, Tóth-Király, Yarnell und Kollegen (2018) argumentieren, dass ein zweigleisiger Ansatz in Kombination mit der explorativen Strukturgleichungsmodellierung (ESEM) die theoretisch konsistenteste Möglichkeit bietet, die SCS zu untersuchen, da man davon ausgeht, dass die sechs Komponenten als dynamisches System funktionieren. In einer großen internationalen Studie wurde ein Bifaktor-ESEM angewandt, um die Faktorstruktur der SCS in zwanzig verschiedenen Stichproben (N = 11 685) zu untersuchen. Unterstützung gab es in jeder Stichprobe für die Verwendung von sechs Subskalen-Scores oder einer Gesamtpunktzahl, nicht aber für die Verwendung separater Scores, die positiven versus negativen Umgang mit sich selbst repräsentierten. Darüber hinaus konnten 95 Prozent der zuverlässigen Varianz auf einen allgemeinen Faktor zurückgeführt werden.

Eine Bestätigung der Ansicht, dass Selbstmitgefühl am besten als ein System aus sechs interagierenden Elementen betrachtet werden sollte, kann man in der Tatsache sehen, dass die überwiegende Mehrzahl der Interventionsstudien, mit denen Veränderungen im Selbstmitgefühl untersucht wurden, einen gleichzeitigen Anstieg der Scores auf den drei positiven Subskalen und eine Abnahme auf den drei negativen Subskalen der SCS in etwa der gleichen Größenordnung feststellten. Dies trifft auf Studien zu, die eine große Bandbreite an Methoden einsetzten, wie beispielsweise das Training in Selbstmitgefühlsmeditation (Albertson, Neff und Dill-Shackleford, 2015; Toole und Craighead, 2016; Wallmark, Safarzadeh, Daukantaite und Maddux, 2012), Online-Psychoedukation (Finlay-Jones, Kane und Rees, 2017; Krieger, Martig, van den Brink und Berger, 2016), Compassion-Focused-Therapie (CFT; Beaumont, Irons, Rayner und Dagnall, 2016; Kelly und Carter, 2015; Kelly, Wisniewski, Martin-Wagar und Hofmann, 2017) oder MSC-Training (Finlay-Jones, Xie, Huang, Ma und Guo, 2018; Neff, 2016a). Achtsamkeitsbasierte Interventionen führen auch zu einem gleichzeitigen Anstieg der positiven und einer Abnahme der negativen SCS-Subskala-Scores (Birnie, Speca und Carlson, 2010; Greeson, Juberg, Maytan, James und Rogers, 2014; Raab, Sogge, Parker und Flament, 2015; Whitesman und Mash, 2016). Die Tatsache, dass sich alle sechs Elemente des Selbstmitgefühls gleichzeitig verändern, legt nahe, dass Selbstmitgefühl ein ganzheitlicher Prozess ist.

Es sei darauf hingewiesen, dass auch andere Messmethoden für Selbstmitgefühl existieren und in der Forschung angewandt werden. Gilbert, Clarke, Hempel, Miles und Irons (2004) entwickelten beispielsweise die Forms of Self-Criticism and Self-Reassuring Scale, um diese beiden Arten des Umgangs mit sich selbst zu messen. In jüngerer Zeit entwickelten Gilbert und Kollegen (2017) die Compassion Engagement and Action Scales (CEAS), die auf der allgemein gebräuchlichen Definition von Mitgefühl als Empfindsamkeit gegenüber dem Leiden und das Streben, es zu lindern, basieren (Goetz, Keltner und Simon-Thomas, 2010). CEAS enthält eine Selbstmitgefühl-Subskala mit Items, die den Umgang mit Schmerz und Leid erfassen (zum Beispiel wie man Leid erträgt und sensibel dafür ist) und die Motivation, diese Not zu lindern (zum Beispiel über Hilfsmöglichkeiten nachdenken und Maßnahmen ergreifen, um zu helfen). Bemerkenswert ist, dass CEAS nicht Wärme, Freundlichkeit, Fürsorge oder das Gefühl der gemeinsamen menschlichen Erfahrung als Merkmale des Mitgefühls enthält und damit ein ganz anderes Konzept des Selbstmitgefühls repräsentiert als das von Neff propagierte (2003b).

Forscher verwenden zunehmend alternative Methoden (ohne Selbsteinschätzung oder Selbstbeurteilungsfragebögen), um die Auswirkung von Selbstmitgefühl auf das Wohlbefinden empirisch zu untersuchen. Zu diesen Methoden gehören das experimentelle Induzieren eines inneren Zustands des Selbstmitgefühls durch Schreiben (zum Beispiel Breines und Chen, 2012), Beobachten des Ausmaßes an Selbstmitgefühl, das sich in schriftlichen oder mündlichen Dialogen offenbart (zum Beispiel Sbarra et al., 2012), und sowohl kurz- als auch langfristige selbstmitgefühls­basierte Interventionen (zum Beispiel Neff und Germer, 2013; Smeets, Neff, Alberts und Peters, 2014). Die Ergebnisse ähneln sich (ob nun mit der SCS oder anderen methodischen Ansätzen untersucht wird), was das Vertrauen in die Selbstmitgefühlsforschung allgemein fördert (Neff et al., 2017).

Höhere Werte auf der SCS wurden beispielsweise mit einem höheren Maß an Glück, Optimismus, Lebenszufriedenheit, Körperakzeptanz, wahrgenommener Kompetenz und Motivation assoziiert (Hollis-Walker und Colosimo, 2011; Neff, Hsieh und Dejitterat, 2005; Neff, Pisitsungkagarn und Hsieh, 2008; Neff, Rude und Kirkpatrick, 2007) sowie niedrigeren Levels von Depression, Angst, Stress, Gedankenkreisen, Selbstkritik, Perfektionismus, Körperscham und Versagensängsten (Breines, Toole, Tu und Chen, 2014; Finlay-Jones, Rees und Kane, 2015; Neff, 2003a; Neff et al., 2005; Raes, 2010) und gesünderen physiologischen Reaktionen auf Stress (Breines, Thoma et al., 2014; Friis, Johnson, Cutfield und Consedine, 2016). Das gleiche Muster ergab sich mit experimentellen Methoden wie behavioralen Interventionen oder der Stimmungsbeeinflussung, um mehr Selbstmitgefühl zu erreichen (Albertson et al., 2015; Arch et al., 2014; Breines und Chen, 2012; Diedrich, Grant, Hofmann, Hiller und Berking, 2014; Johnson und O’Brien, 2013; Leary, Tate, Adams, Allen und Hancock, 2007; Mosewich, Crocker, Kowalski und DeLongis, 2013; Neff und Germer, 2013; Odou und Brinker, 2014; Shapira und Mongrain, 2010; Smeets et al., 2014).

Selbstmitgefühl und emotionales Wohlbefinden

Die empirische Literatur bestätigt mit überwältigender Mehrheit den Zusammenhang zwischen Selbstmitgefühl und Wohlbefinden (MacBeth und Gumley, 2012; Neff, Long et al., 2018; Zessin et al., 2015). Eine der durchgängigsten Erkenntnisse ist die, dass mehr Selbstmitgefühl mit einer geringeren Anfälligkeit für Depressionen, Angstzustände und Stress einhergeht. Tatsächlich zeigte sich im Rahmen einer Metaanalyse (­MacBeth und Gumley, 2012), die den Zusammenhang zwischen Selbstmitgefühl und Psychopathologie anhand von zwanzig Studien untersuchte, eine große Effektstärke. Während die Forschung über den Zusammenhang zwischen Selbstmitgefühl und Psychopathologie größtenteils an Erwachsenen durchgeführt wurde, bestätigte eine Metaanalyse die negative Korrelation zwischen Selbstmitgefühl und psychischem Leiden auch bei Jugendlichen wiederum mit einer großen Effektstärke (Marsh, Chan und MacBeth, 2018). Natürlich ist ein Schlüsselmerkmal des Selbstmitgefühls ein geringes Maß an Selbstkritik, und Selbstkritik ist bekanntlich ein wichtiger Prädiktor für Angst und Depressionen (Blatt, 1995). Selbstmitgefühl bietet jedoch immer noch Schutz vor Angst und Depression, wenn Selbstkritik und negative Gefühle einbezogen werden (Neff, 2003a; Neff, Kirkpatrick und Rude, 2007). Darüber hinaus prognostiziert Selbstmitgefühl Wohlbefinden, wenn Neurotizismus berücksichtigt wird (Neff, Tóth-Király und Colisomo, 2018; Stutts, Leary, Zeveney und Hufnagle, 2018).

In verschiedenen Studien wurden die schützenden Effekte von Selbstmitgefühl vor Psychopathologie untersucht. So wurde beispielsweise festgestellt, dass das Induzieren einer selbstmitfühlenden Stimmung bei Studenten mit sozialen Ängsten, die einen Vortrag halten mussten, die Erwartungsangst verringerte (Harwood und Kocovski, 2017). Stutts und Kollegen (2018) fanden heraus, dass Selbstmitgefühl vor Behandlungsbeginn auf ein geringeres Maß an Depressionen, Ängsten und negativen Gefühlen nach sechs Monaten hinwies sowie auf eine geringere Stress­anfälligkeit. Es zeigte sich außerdem, dass Selbstmitgefühl vor den schädlichen Auswirkungen des Gedankenkreisens bei depressiven Patienten schützt (Greenberg et al., 2018). Ein weiterer wichtiger Aspekt: Selbstmitgefühl wurde mit einer Reduktion von Suizidgedanken und nichtsuizidalen Selbstverletzungen in nichtklinischen Populationen in Verbindung gebracht (Chang et al., 2016; Jiang et al., 2016; Kelliher Rabon, Sirois und Hirsch, 2018; Xavier, Gouveia und Cunha, 2016).

Obwohl Selbstmitgefühl den Hang zu negativem Denken verringert (Arimitsu und Hofmann, 2015), geht es nicht bloß darum, auf die Sonnenseite des Lebens zu schauen oder schmerzhafte Gefühle zu vermeiden (Krieger, Altenstein, Baettig, Doerig und Holtforth, 2013). ­Selbstmitfühlende Menschen erkennen, wenn sie leiden, gehen aber in diesen Momenten freundlich mit sich um und erkennen ihre Verbundenheit mit der gesamten Menschheit an. So untersuchte eine Studie die Art und Weise, wie selbstmitfühlende Menschen mit negativen Lebensereignissen umgehen, indem die Teilnehmenden gebeten wurden, über Probleme zu berichten, die sie innerhalb eines Zeitraumes von zwanzig Tagen erlebt hatten (Leary et al., 2007). Personen mit einem höheren Selbstmitgefühls-Niveau betrachteten ihre Probleme aus einem günstigeren Blickwinkel und fühlten sich durch sie weniger isoliert. Sie verspürten auch weniger Angst und Beklemmung, wenn sie über ihre Schwierigkeiten nachdachten. In ähnlicher Weise wurde festgestellt, dass selbstmitfühlende Individuen eher eine verbindende Sprache verwenden, wenn sie über ihre Schwächen schreiben: Sie benutzen seltener das Personalpronomen »ich« und sprechen häufiger von »wir«, sie beziehen sich häufiger auf soziale Kontakte wie Freunde, Angehörige und andere Menschen (Neff, Kirkpatrick und Rude, 2007).

Selbstmitgefühl wird mit höherer emotionaler Intelligenz assoziiert (Heffernan, Griffin, McNulty und Fitzpatrick, 2010; Neff, 2003a; Neff, Long et al., 2018), was darauf hinweist, dass Selbstmitgefühl einen weiseren Umgang mit schwierigen Gefühlen repräsentiert. So neigen selbstmitfühlende Menschen weniger dazu, über ihren negativen Gedanken und Gefühlen zu brüten, als Menschen mit wenig Selbstmitgefühl (Fresnics und Borders, 2016; Odou und Brinker, 2015; Raes, 2010), was bedeutet, dass sie nicht im Sumpf des negativen Denkens stecken bleiben. Sie berichten von besseren emotionalen Coping-Skills und Bewältigungsstrategien, einschließlich der Fähigkeit, sich schneller von negativen Stimmungen zu lösen (Diedrich, Burger, Kirchner und Berking, 2017; Neely, Schallert, Mohammed, Roberts und Chen, 2009; Neff et al., 2005; Sirois, Molnar und Hirsch, 2015).

Selbstmitgefühl scheint Menschen auch zu helfen, besser mit Scham umzugehen. In einer Studie wurden die Teilnehmenden aufgefordert, sich an eine Begebenheit aus ihrer Vergangenheit zu erinnern, bei der sie sich geschämt hatten, und dann selbstmitfühlend über den Vorfall zu schreiben (Johnson und O’Brian, 2013). Sie wurden beispielsweise angeleitet, »einige Zeilen zu schreiben, in denen Verständnis, Güte und Fürsorge für die eigene Person zum Ausdruck kommt, wie man sie einem Freund entgegenbringen würde, der diese Erfahrung gemacht hat«. Diejenigen, die im Selbstmitgefühlsmodus schrieben (im Vergleich mit einer Kon­trollgruppe, die expressives Schreiben anwandte), berichteten von einem signifikanten Rückgang der Scham und der negativen Gefühle. Selbstmitfühlende Personen, die aufgefordert wurden, eine schwierige Aufgabe zu lösen (beispielsweise die Nummer 17 so schnell wie möglich von einer beliebigen vierstelligen Zahl zu subtrahieren), neigten weniger zu Schamgefühlen über ihre Leistung, nachdem diese vor anderen bewertet worden war (Ewert, Gaube und Geisler, 2018). Auch Eltern, denen man half, mit einem Scham auslösenden elterlichen Verhalten selbstmitfühlend umzugehen, empfanden weniger Schuld und Scham als die Eltern einer Kontrollgruppe (Sirois, Bogels und Emerson, 2018). Bei Afroamerikanern, die Suizidversuche hinter sich hatten, wirkte Selbstmitgefühl wie ein Puffer zu Gefühlen der Scham und Depression (Zhang et al., 2018).

Neben der Reduktion negativer mentaler und emotionaler Zustände scheint Selbstmitgefühl auch positive Gemütszustände zu verstärken. Höhere Selbstmitgefühls-Levels gehen beispielsweise mit erhöhtem psychischem Wohlbefinden, mehr Lebenszufriedenheit, Hoffnung, Glücksempfinden, Optimismus, Dankbarkeit, Interesse, Vitalität und positiven Gefühlen einher (Breen, Kashdan, Lenser und Fincham, 2010; ­Gunnell, Mosewich, McEwen, Eklund und Crocker, 2017; Hollis-Walker und ­Colosimo, 2011; Hope, Koestner und Milyavskaya, 2014; Neff, Long et al., 2018; Neff, Rude und Kirkpatrick, 2007; Umphrey und ­Sherblom, 2014; Yang, Zhang und Kou, 2016). Selbstmitgefühl ist auch mit einem stärkeren Gefühl der Authentizität verbunden (Zhang et al., 2019) und wird mit mehr Autonomie, Kompetenz und Verbundenheit assoziiert (Neff, 2003a; Gunnell Mosewich, McEwen, Eklund und Crocker, 2017), was darauf hinweist, dass diese unterstützende Haltung gegenüber sich selbst dazu beiträgt, die grundlegenden psychischen Bedürfnisse zu befriedigen, die Deci und Ryan (1995) als elementar für das Wohlbefinden bezeichnen.

Im Rahmen einer Längsschnittstudie wurde untersucht, wie es sich auswirkt, wenn man sich selbst an fünf aufeinanderfolgenden Tagen einen mitfühlenden Brief schreibt. Es stellte sich heraus, dass diese Aktivität nicht nur dazu beitrug, das Depressionsniveau über einen Zeitraum von drei Monaten zu senken, sondern dass sie auch das Glücksempfinden über einen Zeitraum von sechs Monaten steigerte (Shapira und Mongrain, 2010). Das ist das Schöne am Selbstmitgefühl: Indem wir unseren Schmerz in die warme Umarmung des Selbstmitgefühls hüllen, können wir positive Gefühle liebevoller, verbundener Präsenz wachrufen, während wir gleichzeitig negative Gefühle abzumildern vermögen.

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9783867813242
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