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Cognitively-Based Compassion Training (CBCT)

CBCT wurde ursprünglich von Lobsang Tenzin Negi, einem ehemaligen tibetischen Mönch, an der Emory University entwickelt, um Stresssymptome bei Studenten zu behandeln (Reddy et al., 2013). CBCT ist eine säkularisierte Form der tibetischen Lojong-Praxis, die darauf abzielt, rein selbstbezogenes Denken zu reduzieren und fürsorgliches Verhalten und Rücksichtnahme gegenüber anderen zu fördern. Die Einführungssitzungen sind bei CBCT der Stabilisierung der Aufmerksamkeit und der Offenheit für die Erfahrung des Moments (Achtsamkeit) gewidmet. Danach werden analytische Meditationen in vier Modulen gelehrt: Selbstmitgefühl, gemeinsame Erfahrung des Menschseins, Interdependenz, Wertschätzung und Zuneigung sowie empathische Fürsorglichkeit und engagiertes Mitgefühl (Negi, 2009, 2016; Ozawa de Silva und ­Dodson-Lavelle, 2011). Die analytischen Module befassen sich mit kritischem Denken, um automatische emotionale und behaviorale Reaktionen zu untersuchen, die irreführend und schädlich für einen selbst und andere sein können. Das Wahrnehmen und Verstehen dieser Muster, das durch die verbesserte Aufmerksamkeitsstabilität unterstützt wird, ermöglicht es den Teilnehmenden, kognitive Einsichten sowie prosoziale Gefühle (wie Dankbarkeit und Freundlichkeit) gegenüber sich selbst und anderen aufrechtzuerhalten. Selbstmitgefühl wird in der CBCT als gesunde Motivation verstanden, realistische und positive Einstellungen zu schwierigen Lebensumständen zu entwickeln.

Um die Wirksamkeit von CBCT zu untersuchen, wurden mindestens neun randomisierte kontrollierte Studien durchgeführt. So untersuchten Gonzalez-Hernandez und Kollegen (2018) die Auswirkungen von CBCT bei Brustkrebsüberlebenden und stellten fest, dass CBCT das Selbstmitgefühl erhöht (17 Prozent) und den durch die Angst vor einem Rückfall verursachten Stress mildert. LoParo, Mack, Patterson, Negi und Kaslow (2018) untersuchten CBCT unter Afroamerikanerinnen, die Suizidversuche unternommen hatten, und fanden heraus, dass das Selbstmitgefühl im Vergleich zu einer Peer-Support-Kontrollgruppe signifikant zunahm (8 Prozent).

Dodds und Kollegen (2015) stellten fest, dass CBCT bei Frauen mit Brustkrebs die Achtsamkeit und das körperliche Wohlbefinden steigerte und funktionelle Störungen, Vermeidungshaltung und Fatigue im Vergleich mit einer Wartelistenkontrollgruppe verringerte. Mascaro und Kollegen (2018) fanden heraus, dass CBCT bei Medizinstudenten zu mehr Mitgefühl und besserer Alltagsbewältigung führte. Verglichen mit einer Wartelistenkontrollgruppe, berichteten die Studenten, die der CBCT-Gruppe nach dem Zufallsprinzip zugeordnet worden waren, von mehr Mitgefühl und weniger Gefühlen der Einsamkeit und Depression. Die das Mitgefühl betreffenden Veränderungen waren am deutlichsten bei Personen, die zu Beginn der Studie von hohen Depressions-Levels berichtet hatten, was darauf hindeutet, dass diejenigen, die am meisten in Not sind, auch am meisten von CBCT profitieren, weil es die Verbindung zwischen persönlichem Leiden und einer damit einhergehenden Verringerung von Mitgefühl unterbricht.

Andere CBCT-Studien mit Heranwachsenden in Betreuungseinrichtungen ergaben, dass die Zeit des Praktizierens mit einer Abnahme von Entzündungsmarkern (Konzentration des C-reaktiven Proteins [CRP] im Speichel; Pace et al., 2013) und mit einer Zunahme hoffnungsvoller Gefühle (Reddy et al., 2013) assoziiert war. Schließlich verbesserte CBCT die Ergebnisse (im Vergleich mit einer Kontrollgruppe) hinsichtlich erhöhter Einfühlsamkeit und damit verbundener neuronaler Aktivität (Mascaro, Rilling, Negi und Raison, 2013). Zusammengenommen weisen diese Ergebnisse darauf hin, dass CBCT eine wirksame Methode zur Steigerung des Mitgefühls und Verbesserung der psychischen und physischen Gesundheit ist.

Mindfulness-Based Compassionate Living (MBCL)

MBCL wurde von zwei wegweisenden Achtsamkeitslehrern – dem Psychiater und Psychotherapeuten Erik van den Brink und dem Meditationslehrer Frits Koster – in einem Zentrum für psychische Gesundheit in den Niederlanden entwickelt, um Klienten zu unterstützen, die von der Achtsamkeitspraxis profitierten, aber auch die Notwendigkeit verspürten, eine freundlichere und mitfühlendere Haltung gegenüber sich selbst zu entwickeln. Das Programm wird zunehmend einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht und ist als Vertiefungskurs für Teilnehmende gedacht, die bereits mit der Achtsamkeitspraxis vertraut sind – vorzugsweise durch die Teilnahme an einem Kurs in MBSR, MBCT oder dergleichen.

MBCL ist eine einzigartige Mischung aus westlicher und buddhistischer Psychologie, die die Arbeit von Paul Gilbert (2009), Tara Brach (2003) und uns (Germer, 2009; Neff, 2011a) integriert. MBCL kombiniert die Evolutionspsychologie der CFT (Compassion Focused Therapy), insbesondere das CFT-Modell der Emotionsregulation und mitfühlenden Imagination, mit der Positiven Psychologie und säkularen Adaptionen traditioneller buddhistischer kontemplativer Praktiken wie der Metta- und Tonglen-Meditation. Wichtige informelle Praktiken sind bei MBCL die Atemräume der Freundlichkeit und des Mitgefühls, die vom Drei-Minuten-Atemraum der MBCT adaptiert wurden. Ähnlich wie bei MSC geht es bei MBCL explizit um die Kultivierung von Qualitäten wie Güte, Mitgefühl, dankbarer Freude und Gleichmut/Gelassenheit. Einige Elemente von MSC, die man auch bei MBCL findet, sind »Die Selbstmitgefühlspause«, »Der Sinnesgenuss-Spaziergang«, der »Bodyscan mit Mitgefühl«, das »Selbstmitgefühl im Alltag« und das Konzept des Backdrafts. Vielleicht ist der besondere Fokus auf die Kultivierung von Selbstmitgefühl bei MSC das Merkmal, das die beiden Methoden am deutlichsten unterscheidet. Erwähnenswert ist, dass sowohl MBCL als auch MSC überwiegend von der Achtsamkeitstradition beeinflusst wurden, während die anderen Mitgefühlstrainingsprogramme einen stärkeren tibetischen »Touch« haben. Früher galt, dass man zuerst einen MBSR- oder MBCT-Kurs absolvieren musste, bevor man an MBCL teilnehmen konnte, aber inzwischen wurde diese Regel gelockert.

Bei einer Pilotstudie mit ambulanten Psychiatriepatienten, die nach Absolvierung eines MBCT-Kurses in einem örtlichen Achtsamkeitszen­trum an dem neun Sitzungen umfassenden MBCL-Programm teilnahmen, berichteten die Teilnehmenden von einer Zunahme an Selbstmitgefühl (13 Prozent) und Achtsamkeit sowie einem Rückgang von Depressionen (Bartels-Velthuis et al., 2016). Eine zweite Pilotstudie (Schuling et al., 2018) mit Teilnehmern mit rezidivierenden Depressionen ergab ebenfalls, dass MBCL das Selbstmitgefühl steigerte (14 Prozent). Frühe Ergebnisse einer randomisierten kontrollierten Studie (Schuling, 2018; Schuling et al., 2016) zeigen zudem, dass Personen mit rezidivierenden Depressionen, die nach einem MBCT-Kurs am MBCL-Programm teilnahmen, im Vergleich mit einer Gruppe, die die übliche Behandlung erhielt, von einer signifikanten Steigerung des Selbstmitgefühls (15 Prozent), der Achtsamkeit und der Lebensqualität sowie einem Rückgang depressiver Symptome und Grübelei berichteten.

Compassion-focused Therapy (CFT)

CFT wurde von dem renommierten britischen Psychologen Paul Gilbert (2000, 2005, 2009) entwickelt, um das Problem der Selbstkritik und Scham bei stationären Psychiatriepatienten anzugehen. CFT basiert auf der Evolutionspsychologie, der kognitiven Verhaltenstherapie und der tibetisch-buddhistischen Psychologie. CFT schließt eine breite Palette von Praktiken ein, die unter dem Begriff Compassionate Mind Training bekannt sind (CMT; Gilbert und Proctor, 2006; Matos, Duarte, Duarte, Gilbert und Pinto-Gouveia, 2018) und in erster Linie darauf abzielen, Selbstmitgefühl zu entwickeln, wie wir es von einem klinischen Programm erwarten können, bei dem die Linderung persönlicher Not im Vordergrund steht. Bei CFT wird Achtsamkeit genutzt, um die Aufmerksamkeit für das Mitgefühlstraining zu stabilisieren und um zu beleuchten, wie der menschliche Geist – besonders angesichts von Bedrohungen – funktioniert. Diese Form der Behandlung hilft Klienten, die Fähigkeiten und Eigenschaften eines selbstmitfühlenden Geistes zu entwickeln, vor allem, wenn sie gewohnheitsmäßig dazu neigen, sich selbst zu beschämen und anzugreifen.

CFT hilft, sich automatischer emotionaler Reaktionen (wie beispielsweise Selbstkritik), die sich im Laufe der Zeit entwickelt haben, bewusster zu werden, zu verstehen und zu erkennen, wie diese Muster oft in der frühen Kindheit verstärkt wurden. Die wichtigsten Prinzipien der CFT bestehen darin, Menschen zu helfen, auch sich selbst Herzenswärme und Verständnis entgegenzubringen, sie zu motivieren, für ihr eigenes Wohlbefinden zu sorgen, und sie dabei zu unterstützen, ihre eigenen Bedürfnisse sensibel wahrzunehmen, persönliche Schwierigkeiten zu tolerieren und die Neigung zur Selbstverurteilung zu verringern (Gilbert, 2009). Obwohl CFT eine Form der Einzeltherapie ist, wird sie manchmal in einem zeitlich begrenzten Gruppentherapieformat vermittelt, das von vier bis zu sechzehn Wochen dauern kann.

Die Entwicklung von CFT ging der von MSC voraus, und eine Reihe von Elementen der CFT haben Eingang in MSC gefunden – darunter die Erkenntnis, dass die Physiologie des Mitgefühls bei allen Säugetieren im System der Fürsorge für den Nachwuchs verankert ist (siehe Kapitel 10), oder das Visualisieren eines idealen mitfühlenden Bildes, um Mitgefühl zu aktivieren (Kapitel 17, Meditation »Der mitfühlende Freund/die mitfühlende Freundin«), sowie das Einstimmen auf den beruhigenden Rhythmus des Atems (Kapitel 11, Meditation »Liebevolles Atmen«). Bei der CFT gibt es drei verschiedene Ansätze, um Mitgefühl zu wecken, die es auch bei MSC gibt: nämlich Mitgefühl vom Selbst zum anderen (zum Beispiel: »Wie würdest du einen Freund behandeln?«), Mitgefühl vom anderen zum Selbst (zum Beispiel: »Was würde eine mitfühlende Freundin zu dir sagen?«) und Mitgefühl vom Selbst zum Selbst (zum Beispiel: »Was würde dein mitfühlendes Selbst jetzt zu dir sagen?«). Psychotherapeuten, die MSC lehren, sind in der Regel auch mit CFT vertraut.

Es existiert eine umfangreiche empirische Literatur über CFT, die an dieser Stelle nicht ausreichend behandelt werden kann (für Rezensionen siehe Kirby, 2017; Leaviss und Uttley, 2015). Diese Forschungen legen nahe, dass CFT das Selbstmitgefühl effektiv steigern kann und eine wirksame Behandlungsmethode für Menschen mit unterschiedlichsten klinischen Beschwerdebildern ist. So ergab beispielsweise eine randomisierte kontrollierte Studie mit ambulanten Patienten, die an Essstörungen litten, dass eine zwölfwöchige CFT zu einem höheren Zuwachs an Selbstmitgefühl (34 Prozent) und einer deutlicheren Verringerung von Scham und Essstörungspathologien führte als herkömmliche Behandlungsmethoden (Kelly et al., 2017). Eine weitere randomisierte Studie (Gharraee, Tajrishi, Farani, Bolhari und Farahani, 2018) ergab, dass nach zwölf Wochen CFT der Selbstmitgefühls-Level (28 Prozent) und die Lebensqualität gestiegen waren, während Ängste bei Personen mit Sozialphobien abgenommen hatten. Eine Studie von Parry und Malpus (2017) zeigte, dass eine achtwöchige CFT das Selbstmitgefühl erhöhte (32 Prozent) und Depressionen und Ängste bei Personen mit chronischen Schmerzen verringerte.

Brähler und Kollegen (2013) führten eine randomisierte kontrollierte Studie durch, bei der sechzehn CFT-Sitzungen mit einer herkömmlichen Behandlung bei Patienten mit Schizophrenie verglichen wurden, und stellten fest, dass die CFT-Gruppe mehr Mitgefühl in Bezug auf schmerzliche Aspekte ihrer Psychose und deutlichere klinische Verbesserungen zeigte und gleichzeitig einen Rückgang depressiver Symptome und wahrgenommener gesellschaftlicher Ausgrenzung erlebte. Zusammenfassend kann man sagen, dass CFT eine vielversprechende Methode ist, um Menschen mit unterschiedlichsten klinischen Störungen zu helfen, Selbstmitgefühl zu entwickeln, selbst wenn ihre gewohnheitsmäßige Art, mit sich selbst in Kontakt zu treten, maladaptiv ist.

Untersuchungen legen nahe, dass CMT-Praktiken auch bei nichtklinischen Populationen wirksam sind. Beaumont, Rayner, Durkin und Bowling (2017) fanden heraus, dass Psychotherapeuten in Ausbildung, die an sechs CMT-Sitzungen teilnahmen, sich danach als selbstmitfühlender erlebten (12 Prozent). Auch Matos und Kollegen (2018) stellten fest, dass bereits zwei CMT-Sitzungen plus zwei Wochen des Praktizierens signifikante positive Effekte mit sich brachten, wie beispielsweise eine verbesserte Herzfrequenzvariabilität, und mehr Mitgefühl für sich selbst und andere sowie einen signifikanten Rückgang der Scham und Selbstkritik, der Angst vor Mitgefühl und der Stresssymptome bewirkten (zur Messung des Selbstmitgefühls wurde anstelle der SCS die CEAS verwendet).

Forschungen zum MSC-Programm

Obwohl das MSC-Programm, das in diesem Manual vorgestellt wird, noch am Anfang steht, gibt es immer mehr Hinweise darauf, dass es wirksam Selbstmitgefühl und andere Aspekte des psychischen Wohlbefindens steigert und dass die im MSC-Training erlernten Skills dauerhaft aufrechterhalten werden. Auf diese Forschungsergebnisse gehen wir hier etwas ausführlicher ein, da sie das Programm, wie es im weiteren Verlauf dieses Buches beschrieben wird, empirisch untermauern.

Wir führten mit dem MSC-Programm zunächst eine kleine Pilotstudie (Neff und Germer, 2013) mit 21 Teilnehmenden durch (95 Prozent weiblich, Durchschnittsalter = 51,26 Jahre). Dabei stellten wir fest, dass die Teilnahme am Programm zu einer signifikanten Steigerung des Selbstmitgefühls (34 Prozent), der Achtsamkeit, der sozialen Verbundenheit, der Lebenszufriedenheit und des Glücksempfindens führte und Depressionen, Angstzustände sowie Stress verringerte. Auf der Grundlage dieser ermutigenden Ergebnisse führten wir als Nächstes eine randomisierte kontrollierte Studie mit dem MSC-Programm durch (Neff und Germer, 2013), bei der wir die Ergebnisse für 51 Personen (77 Prozent weiblich, Durchschnittsalter = 50,10 Jahre) verglichen, die nach dem Zufallsprinzip entweder einer MSC-Gruppe oder einer Wartelistenkontrollgruppe zugeordnet wurden. Die überwiegende Mehrheit der Teilnehmenden (76 Prozent) gab an, dass sie bereits Erfahrungen mit der Achtsamkeitsmeditation gesammelt hatte. Die Teilnehmenden beider Gruppen wurden gebeten, eine Reihe von Selbsteinschätzungsskalen zwei Wochen vor und zwei Wochen nach der Teilnahme am Programm auszufüllen. Die Teilnehmenden der MSC-Gruppe wurden außerdem sechs Monate und ein Jahr später erneut bewertet. Die Fragebögen erhoben Werte für Selbstmitgefühl, Achtsamkeit, Mitgefühl für andere, Lebenszufriedenheit, soziale Verbundenheit, Glücksempfinden, Depressionen, Ängste, Stress und emotionales Vermeidungsverhalten.

Vor dem Test wiesen die Teilnehmenden der beiden Gruppen bei keinem dieser Werte Unterschiede auf. Nach dem Test zeigte sich bei den Teilnehmenden der MSC-Gruppe jedoch ein signifikanter Anstieg des Selbstmitgefühls-Levels (43 Prozent) im Vergleich zur Kontrollgruppe (mit einer großen Effektstärke). Bei den MSC-Teilnehmenden zeigten sich auch signifikant deutlichere Steigerungen der Achtsamkeit, des Mitgefühls für andere und der Lebenszufriedenheit sowie ein deutlicherer Rückgang von Depressionen, Ängsten, Stress und emotionalem Vermeidungsverhalten.

Beachten Sie, dass beim Glücksempfinden und der sozialen Verbundenheit keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen festgestellt wurden. Als wir die Ergebnisse genauer untersuchten, stellten wir jedoch fest, dass diese nicht vorhandenen Gruppenunterschiede darauf zurückzuführen waren, dass auch bei der Wartelistenkontrollgruppe Verbesserungen beobachtet wurden. Während die Werte der MSC-Teilnehmenden bei allen gemessenen Items nach dem Test höher waren als vor dem Test, stiegen die Selbstmitgefühls-Levels, die Achtsamkeit, das Glücksempfinden und die soziale Verbundenheit bei der Kontrollgruppe ebenfalls deutlich an. Das erklärt, warum die Zuwächse an Glücksempfinden und sozialer Verbundenheit der MSC-Teilnehmenden nicht wesentlich größer waren als die der Kontrollgruppe. Doch es bleibt die Frage: Wieso verbesserten sich die Ergebnisse bei der Kontrollgruppe?

Um der Sache weiter auf den Grund zu gehen, kontaktierten wir Teilnehmende der Kontrollgruppe nach Abschluss der Studie, um uns zu erkundigen, ob sie während des Studienzeitraums an bestimmten Aktivitäten zur Steigerung ihres Selbstmitgefühls teilgenommen hatten. Insbesondere fragten wir, ob sie Bücher über Selbstmitgefühl (zum Beispiel Germer, 2009; Neff, 2011a) gelesen oder Internetseiten besucht hätten, die diesbezügliche Informationen und downloadbare Meditationen für Selbstmitgefühl anbieten. Wir fragten auch, ob sie versucht hätten, mehr Selbstmitgefühl in ihren Alltag zu bringen. Fast alle Kontrollgruppenteilnehmer antworteten. 50 Prozent gaben an, Bücher gelesen oder Online-Angebote wahrgenommen zu haben, und 77 Prozent sagten, sie hätten bewusst versucht, Selbstmitgefühl im Alltag zu praktizieren. Das bestärkt uns in unserem Vertrauen in die Studienergebnisse, weil die Teilnehmenden der Wartelistenkontrollgruppe relativ aktiv versucht hatten, ihren Selbstmitgefühls-Level zu erhöhen, was vergleichbare Zuwächse wie in der Interventionsgruppe zu erklären hilft.

Im Hinblick auf längerfristige Veränderungen beim Selbstmitgefühl stellten wir fest, dass die Scores der MSC-Teilnehmenden von der Voruntersuchung bis zur dritten Programmwoche anstiegen, dann noch einmal von Woche drei bis Woche sechs, aber nicht signifikant von Woche sechs bis nach Abschluss des Programms. Darüber hinaus zeigten sich keine Veränderungen im Selbstmitgefühl, als die MCS-Gruppe sechs Monate später untersucht wurde (92 Prozent der Teilnehmer der Interventionsgruppe nahmen am Follow-up teil) und ein Jahr später (hier nahmen nur noch 56 Prozent am Follow-up teil). Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die im MSC-Programm vermittelten Selbstmitgefühls-Skills allmählich erlernt werden, aber dass sie, sobald sie verinnerlicht wurden, relativ stabil bleiben.

Wir fragten die Teilnehmenden auch, wie oft sie pro Woche eine formale Meditation praktizierten oder wie oft sie informelle Selbstmitgefühlstechniken im Alltag anwandten. Die Häufigkeit, mit der Selbstmitgefühl praktiziert wurde, war ein Prädiktor für das Ausmaß der Zunahme des Selbstmitgefühls der Teilnehmenden. Dabei gab es keinen Unterschied zwischen formeller und informeller Praxis. (Die Bedeutung der informellen Praxis wurde durch Untersuchungen über Achtsamkeitstraining bestätigt [Elwafi, Witkiewitz, Mallik, Thornhill und Brewer, 2013].) Insgesamt weisen unsere Forschungsergebnisse darauf hin, dass Selbstmitgefühl eine erlernbare Fähigkeit ist, die man als »dosisabhängig« bezeichnen könnte. Das heißt, je öfter man es praktiziert, desto mehr verinnerlicht man es.

In einer anderen Studie war die Zunahme des Selbstmitgefühls auch beim Follow-up nach sechs Monaten und nach einem Jahr stabil. Tatsächlich stieg die Lebenszufriedenheit vom Zeitpunkt des Programmabschlusses bis zum Follow-up nach zwölf Monaten, was darauf hinweist, dass die fortgesetzte Praxis des Selbstmitgefühls die Lebensqualität der Teilnehmenden im Laufe der Zeit weiter verbessern kann. Weil es aber bei der Nachbeobachtung im Zeitraum zwischen sechs und zwölf Monaten zu einem Schwund der Follow-up-Teilnehmerinnen kam, sollten diese Ergebnisse mit Vorsicht interpretiert werden, da diejenigen, die mit ihrem Leben am zufriedensten waren, möglicherweise auch am ehesten die Follow-up-Fragebögen ausfüllten.

Die Aussagekraft der Studie wurde durch das Fehlen einer aktiven Kontrollgruppe weiter eingeschränkt – ein Manko, das in zukünftigen Forschungen behoben werden muss. Außerdem können wir angesichts der Tatsache, dass die meisten Teilnehmenden bereits Erfahrungen mit Achtsamkeitsmeditation hatten, nicht sicher wissen, ob die während des Programms gelehrten Praktiken nur für diejenigen wirksam waren, die bereits wussten, wie man meditiert. Auf der anderen Seite weist die Tatsache, dass sich das Wohlbefinden der MSC-Teilnehmerinnen verbesserte, obwohl die meisten von ihnen Meditationserfahrung hatten, darauf hin, dass MSC über die Meditation hinaus weitere greifbare positive Effekte hat.

Eine zweite randomisierte, kontrollierte Studie über MSC wurde von Fries et al. (2016) durchgeführt. Die Studie umfasste 63 Teilnehmende (68 Prozent weiblich, Durchschnittsalter = 42,87 Jahre), die an ­Typ-1- oder Typ-2-Diabetes litten. Man verglich die Ergebnisse der Teilnehmenden, die nach dem Zufallsprinzip entweder dem MSC-Programm (n = 32) oder einer Wartelistenkontrollgruppe (n = 31) zugeordnet worden waren. Zu Beginn des Programms, nach Abschluss des Programms und bei einem Follow-up drei Monate später wurden der Selbstmitgefühls-Level, die Intensität der depressiven Symptome, die diabetesspezifischen Symptome und die Blutzuckerwerte (angezeigt durch die HbA1c-Werte zu den drei Zeitpunkten) gemessen.

Bei keinem dieser Werte gab es bei Studienbeginn Unterschiede zwischen den Gruppen. Beim Follow-up nach drei Monaten zeigten die MSC-Teilnehmenden jedoch eine deutlich höhere Zunahme des Selbstmitgefühls (27 Prozent) und eine Abnahme der Depressionen und Diabetesbeschwerden im Vergleich zur Kontrollgruppe. MSC-Teilnehmende wiesen außerdem im Durchschnitt einen klinisch und statistisch signifikanten Rückgang von HbA1c-Werten zwischen dem Ausgangswert und dem Follow-up-Wert nach drei Monaten auf. Bei der Wartelistenkontrollgruppe zeigten sich insgesamt keine Veränderungen. Diese Ergebnisse legen nahe, dass das Erlernen von Selbstfreundlichkeit (anstatt harte Selbstkritik zu üben) sowohl emotionale als auch metabolische Vorteile bei Diabetespatienten haben kann.

Die Auswirkungen von MSC auf Pflegepersonal wurde ebenfalls untersucht. Delaney (2018) führte eine kleine Mixed-Methods-Pilotstudie über die Effekte von MSC auf Burn-out, Erschöpfung und Resilienz bei Krankenschwestern durch. Die Ergebnisse wiesen darauf hin, dass Selbstmitgefühl (24 Prozent), Achtsamkeit, Resilienz und Mitgefühlszufriedenheit durch das Training zunahmen, während sekundärer traumatischer Stress und Burn-out abnahmen. Die Ergebnisse wurden durch die gesammelten qualitativen Daten gestützt: Krankenschwestern gaben an, dass das Training ihnen half, ihre Aufgaben zu bewältigen, Selbstkritik reduzierte und positive psychische Zustände förderte.

Und es scheint, dass die positiven Auswirkungen von MSC nicht auf westliche Kulturen beschränkt sind. Eine MSC-Pilotstudie mit 44 Gemeindeschwestern (Durchschnittsalter = 36,6 Jahre) wurde in Beijing durchgeführt (Finlay-Jones, Xie, Huang, Ma und Guo, 2018). Die Teilnehmerinnen wurden gebeten, kurz vor und nach dem Programm sowie nach drei Monaten eine Reihe von Selbstbeurteilungsbögen auszufüllen. Beobachtet wurden im Laufe des Programms signifikante Verbesserungen im Hinblick auf mehr Selbstmitgefühl (43 Prozent), Mitgefühl für andere und Achtsamkeit sowie ein Rückgang von Gedankenkreisen, der Angst vor Selbstmitgefühl, maladaptivem Perfektionismus, Depressionen, Angststörungen und Stress mit großen Effektstärken. Die meisten dieser Verbesserungen wurden über den Follow-up-Zeitraum von drei Monaten aufrechterhalten. Dies deutet darauf hin, dass das MSC-Programm effektiv Selbstmitgefühl und Wohlbefinden in nichtwestlichen Populationen steigern kann.

Eine Adaption von MSC für Jugendliche mit dem Titel »Sich mit sich selbst anfreunden« (»MFY« oder »Making Friends with Yourself«) wurde von Lorraine Hobbs und Karen Bluth (2016) entwickelt. Jede der wöchentlichen Sitzungen dieses Acht-Wochen-Kurses hat ein bestimmtes Thema, das Parallelen zu den Themen des Erwachsenenprogramms aufweist. Im Grunde unterscheidet sich dieses Programm von dem für Erwachsene dadurch, dass die Sitzungen kürzer (circa neunzig Minuten) und aktivitätsorientierter sind. Auch die geführten Meditationen sind kürzer, was bedeutet, dass sie mehr dem Entwicklungsstand der Jugendlichen entsprechen. MFY umfasst mehrere praktische, interaktive, spielerische Aktivitäten, die die Selbstfindung der Teilnehmenden hinsichtlich Achtsamkeit und Selbstmitgefühl fördern. Eine Übung enthält beispielsweise ein Rollenspiel, um aufzuzeigen, wie wir mit uns selbst in Beziehung treten, und schafft die Basis für eine Selbstmitgefühlspraxis. Es gibt außerdem eine künstlerische Aktivität, die den Wert von Unvollkommenheit demonstriert. Gespräche über das sich entwickelnde jugendliche Gehirn werden ebenfalls während des gesamten Kurses eingeflochten.

Bluth, Gaylord, Campo, Mullarkey und Hobbs (2016) führten eine Mixed-Methods-Studie über das MFY-Programm mit 34 Jugendlichen durch (74 Prozent weiblich; vierzehn bis siebzehn Jahre). Man verglich die Ergebnisse der Teilnehmenden, die nach dem Zufallsprinzip der MFY-Gruppe (n = 16) zugewiesen worden waren, mit denen einer Warte­listenkontrollgruppe (n = 18). Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden gebeten, zu Beginn und unmittelbar nach dem Programm eine Reihe von Selbstbeurteilungsbögen auszufüllen, um ihr Selbstmitgefühl, ihre Achtsamkeit, Lebenszufriedenheit, soziale Verbundenheit, Depressionsneigung, Angst und Anspannung sowie positive und negative Stimmungen einzuschätzen. Die Sitzungen wurden auch aufgezeichnet und transkribiert, und die Teenager gaben verbales Feedback über die Annehmbarkeit des Programms.

Die Teilnehmenden des MFY-Programms berichteten von signifikant höheren Zuwächsen bei Selbstmitgefühl (11 Prozent) und Lebenszufriedenheit sowie dem Rückgang von Depressionen im Vergleich zur Wartelistenkontrollgruppe mit Trends zu signifikanten Verbesserungen im Hinblick auf Achtsamkeit und soziale Verbundenheit sowie reduzierte Ängstlichkeit. Angesichts des kleinen Samples könnten diese Trends bei mehr Teilnehmenden signifikant gewesen sein. Die Teenager gaben im Allgemeinen auch positives Feedback über das Programm. Eine Jugendliche sagte:

»Ich denke, ich bin dankbar für die Werkzeuge, deren Anwendung ich hier gelernt habe, denn ich habe viele Ängste, besonders in Bezug auf die Schule. Ich habe das Gefühl, dass sich meine momentanen Ängste im Laufe der letzten Wochen verringert haben, weil ich achtsam und mitfühlend mit mir umgehe, und – keine Ahnung – ich fühle mich viel besser in Hinblick auf eine Menge Dinge, die ich tun muss, weil ich weiß, dass die Welt nicht untergeht, wenn ich sie nicht tue oder was auch immer.«

Bluth und Eisenlohr-Moul (2017) untersuchten auch die Ergebnisse für Jugendliche (n = 47; 53 Prozent weiblich, Alter: elf bis siebzehn Jahre), die an MFY teilnahmen, in fünf Kohorten. Die Selbstbeurteilungen ­fanden zu Beginn, nach Abschluss und bei einem Follow-up-Termin nach sechs Wochen statt. Mehrstufige Wachstumsanalysen zeigten, dass bei den Teilnehmenden im Laufe der Zeit Selbstmitgefühl (17 Prozent), Achtsamkeit, Resilienz, Neugier/Forschergeist und Dankbarkeit zunahmen, während sich der wahrgenommene Stress verringerte. Campo und Kollegen (2017) führten eine ähnliche Studie über eine adaptierte Version des MFY-Programms durch, an dem junge weibliche Krebsüberlebende online teilnahmen (n = 25, 18 – 29 Jahre). Die Teilnehmerinnen berichteten nicht nur, dass sie das Programm mochten und hilfreich fanden, sie zeigten auch mehr Selbstmitgefühl (29 Prozent), mehr Achtsamkeit, ein verbessertes Körperbild, posttraumatisches persönliches Wachstum und weniger soziale Isolation, Angst und Depression. Diese Ergebnisse sind ermutigend und deuten darauf hin, dass es möglich ist, die MSC-Skills auch sehr jungen Menschen zu vermitteln und so den Entwicklungsweg von Jugendlichen in eine Bahn zu lenken, die ihnen ein Leben lang zugute kommen könnte.

Schließlich wurde über kurze Selbstmitgefühlstrainings auf der Grundlage des MSC-Protokolls geforscht. So führten beispielsweise Smeets, Neff, Alberts und Peters (2014) eine Studie durch, bei der Studentinnen über einen Zeitraum von drei Wochen adaptierte Übungen aus dem MSC-Programm vermittelt wurden (zum Beispiel die Selbstmitgefühls­pause, der mitfühlende Brief an sich selbst und das Formulieren von Sätzen der liebevollen Güte). Die Teilnehmerinnen, 49 Psychologiestudentinnen (Durchschnittalter = 19,96 Jahre), die im ersten oder zweiten Jahr an einer europäischen Universität studierten, wurden nach dem Zufallsprinzip der Selbstmitgefühls-Interventionsgruppe (n = 27) oder einer Kontrollgruppe zugeordnet, die aktives Zeitmanagement betrieb (n = 22). Beide Gruppen trafen sich an drei aufeinanderfolgenden Wochen zu drei kurzen Sitzungen: zu zwei aktiven Interventionssitzungen von jeweils 90 Minuten und einer Abschlusssitzung, die 45 Minuten dauerte. Eine Woche vor und eine Woche nach der Intervention ­wurden verschiedene Selbstbeurteilungsbögen verteilt. Man stellte fest, dass die kurze ­MSC-Intervention zu einer signifikant höheren Zunahme an Selbstmitgefühl (21 Prozent), Achtsamkeit, Optimismus und Selbstwirksamkeit sowie einem signifikant höheren Rückgang des Gedankenkreisens geführt hatte als das Kontrollsetting.

Der Erfolg dieses kurzen Trainings ist ermutigend und legt nahe, dass die positiven Aspekte von Selbstmitgefühl gelehrt werden können, ohne dass eine Meditationspraxis erforderlich ist. Deshalb testen wir derzeit Kurzversionen von MSC für Bevölkerungsgruppen wie Lehrer, Eltern chronisch kranker Kinder und Fachkräften im Gesundheitswesen, die vom Burn-out bedroht sind. Vorläufige Ergebnisse einer randomisierten Wartelistenkontrollstudie über ein kurzes Protokoll von sechs einstündigen Sitzungen, die mit Pflegekräften eines Kinderkrankenhauses durchgeführt wurden, legen nahe, dass die kurze Intervention bei dieser Population Wirkung zeigt. Die Teilnehmenden berichteten nicht nur, dass sie Spaß an diesem Programm hatten, es zeigte sich auch, dass es zu einer signifikanten Zunahme des Selbstmitgefühls (16 Prozent), der Achtsamkeit, des Mitgefühls für andere sowie der Mitgefühlszufriedenheit führte und Stress verringerte. Es gab auch einen Moderatoreffekt, das heißt, dass Teilnehmende, die zu Beginn wenig Selbstmitgefühl hatten, einen signifikanten Rückgang depressiver Symptome erlebten (im Gegensatz zu denjenigen, die zu Beginn einen hohen Selbstmitgefühls-Level hatten). Darüber hinaus war die Zunahme des Selbstmitgefühls bei einem Follow-up nach drei Monaten stabil geblieben.

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9783867813242
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