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– Gegenstand der förderungsspezifischen Diagnostik sind nicht Merkmale des Kindes, sondern das gesamte Bedingungsgefüge des schulischen Erfolgs und Misserfolgs ist einzubeziehen.

– Als Methoden sind solche Verfahren vorzuziehen, deren Daten direkt Ansatzpunkte für pädagogische und therapeutische Interventionen liefern und nicht erst über verschiedene Arten von Schlussfolgerungen ein hypothetisches Konstrukt (wie es z.B. die „Intelligenz“ ist) quantifizieren.

Wir sind der Meinung, dass sich förderungsspezifische Diagnostik auch im Rahmen einer unmittelbaren Verbindung von indirekten und direkten Verfahren realisieren lässt.

„Indirekte Modelle“ sonderpädagogischer Diagnostik werden von Peter Barkey so beschrieben: Sie beziehen sich „weitgehend auf individuell zentrierte Defizitannahmen oder Feststellungen, die als individuelle Beschreibungsmomente wenig expliziten Bezug auf zu erreichende Lernziele nehmen“ (Barkey 1975, 21).

„Indirekte Modelle sonderpädagogischer Diagnostik benutzen als Vergleichsgruppe jahrgangsgleiche, nach biographischen und demographischen Kriterien homogenisierte Schülerpopulationen, die durch die Verteilung ihrer Lernleistungen gruppenspezifische Kriterien für bestimmte Auffälligkeiten repräsentieren. Unterschiedliche Lernbedingungen werden als Störvariable berücksichtigt, die sich durch entsprechendes Vorgehen bei der Auswahl der Bezugsgruppe – bei standardisierten Tests: Eichstichprobe – ausgleichen sollen. Indirekte Modelle sonderpädagogischer Diagnostik beziehen sich sehr häufig auf der Medizin entlehnte Analogien …“ (Barkey 1975, 21 f.).

Unter den indirekten Modellen sonderpädagogischer Diagnostik versteht man vor allem die Verfahren, die sich an die normorientierte Diagnostik anlehnen; d. h., sie werden mit dem Ziel angewendet, einzelne Untersuchungsergebnisse im Hinblick auf statistische Bezugswerte (Normen, Testnormen, Eichwerte) einer bestimmten Bezugsgruppe auszudrücken und zu interpretieren. Hierzu gehören alle Verfahren, die man als psychometrische Verfahren (messende Verfahren) bezeichnet, die den Vergleich einer Einzelleistung mit der Leistung einer größeren Bezugsgruppe zulassen. Dies könnten z. B. Intelligenztests, Schulleistungs-, Schulreifetests, Fähigkeitstests … sein.

Barkey sieht die „wohl wichtigste Dimension direkter Modelle sonderpädagogischer Diagnostik darin, dass sie bei einer Feststellung mehr oder weniger nicht erreichter Lernziele die Bedingungen für das Nichterreichen dieser Lernziele erkundet, damit neue gezielte Maßnahmen eingeleitet werden können.“ Diese Modelle „benutzen als Bezugsgruppe die Schüler, die in einer bestimmten Zeit und im Rahmen einer bestimmten pädagogischen Unterweisung gleiche Lernangebote für ein explizit genanntes Lernziel erhalten. Direkte Modelle versuchen bei Nichterreichen dieses Ziels Bedingungen für das Nichterreichen aufzudecken und daraus Handlungsanweisungen für zusätzliche pädagogische Hilfen abzuleiten.“ So stellen die direkten Modelle sonderpädagogischer Diagnostik „verstärkt die Möglichkeiten der Modifikation und Variation pädagogischen Handelns im Sinne etwa der Verhaltensmodifikation in den Vordergrund“ (Barkey 1975, 22).

Beispielhaft charakterisiert wird eine relativ flexible und variable Form der Verhaltensbeobachtung – empfohlen vor allem die „Situationsanalyse“ als eine Form der Beobachtung des Schülerverhaltens in spezifischen Lernsituationen und Lernprozessen.

Im Zusammenhang mit problematischen Kindern ist anzustreben, „die ohnehin vorhandenen Stigmatisierungen nicht noch durch wissenschaftlich aufgebauschte Nomenklaturen zu untermauern, sondern Kategorien zu finden, die in Bezug auf erzieherisch mögliche Interventionen dem Lehrer Hilfen für sein pädagogisches Handeln bieten“ (Barkey 1975, 27).

Barkey als Vertreter direkter Modelle meint, bei der Beurteilung schulischer Leistungen seien direkte Modelle der Leistungsprüfung vorzuziehen.

Direkte Modelle stellen die pädagogische Problemanalyse in den Mittelpunkt, wobei zwischen curricularem, Interaktions- und Modifikationsaspekt unterschieden wird.

Sonderpädagogische Diagnostik, orientiert an direkten Modellen, geschieht also auf der Grundlage der Analyse und Strukturierung der Lernziele und Kenntnisse des Unterrichtsverlaufsgeschehens. Die gegenwärtig diskutierten und auch versuchsweise erprobten alternativen diagnostischen Konzepte im pädagogisch-sonderpädagogischen Bereich orientierten sich in hohem Maße an dem aufgezeigten Gedanken direkter Modelle, wobei die wesentlichen Schwerpunkte in dem erweiterten diagnostischen Prozess, in den unmittelbar an die Diagnose anschließenden Interventions-, Handlungs- und Evaluationsstrategien liegen.

Verschiedene Beiträge vergleichen und bewerten herkömmliche Diagnostik mit neueren förderungsorientierten Ansätzen (Barkey 1975; Eggert 1975). Kautter (1975) hält die am Medizinischen Modell orientierte Diagnostik für Selektionsentscheidungen für den „gegenwärtigen Zustand“ und strebt eine an den Förderungsbedürfnissen orientierte Diagnostik an.

Kobi stellt (1977, 115–123) richtungsweisend in 28 Thesen „Einweisungsdiagnostik“ und „Förderdiagnostik“ gegenüber. Es fällt schwer, die wesentlichen Inhalte dieser sehr systematisch aufgezeigten Thesen hier darzulegen, denn alle implizieren hohe Relevanz. Es soll deshalb der Versuch unternommen werden, die aus der Sicht des Verfassers bedeutsamsten Momente der Förderdiagnostik (FD) vorzustellen:

– „Die Förder-Diagnostik entwickelte sich in kritischer Distanznahme von der Einweisungs-Diagnostik im Zuge verschiedener Theorien des Lernens und der Verhaltensmodifikation, des Integrationsgedankens, der Bestrebungen um Frühförderung, der Kommunikationsforschung etc.…“ (These 1).

– „Im Vordergrund stehen kriterienorientierte, curriculare und modifikatorische Interventionsfragen“ (These 2).

– „Paradigma für die FD ist die Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden, welche ein definiertes Lernziel mittlerer Reichweite anstreben“ (These 3).

– „FD findet ihre Zweckbestimmung in der Förderung und hat ihren Bezugsrahmen in einem Fluß-System. Je dynamischer, durchlässiger und anverwandlungsfähiger ein solches System (z.B. Gesamtschule) ist, umso eher kann FD individualisierte, ad personam konkretisierte und problemzentrierte Innovationen (z.B. orthodidaktischer oder verhaltensmodifikatorischer Art) vornehmen“ (These 6).

– „FD ist topologisch und relational orientiert. D.h., sie ist nach einem pädagogischen Denkmodell an der Ortung von Störungsherden und der Herstellung optimaler Arrangements interessiert“ (These 7).

– „Grundlegend ist ein ökologisches Interaktions-Modell; das zur Diskussion stehende Kind wird – wie alle übrigen Personen – als integrierendes Unterganzes eines Kommunikationssystems gesehen“ (These 9).

– „In der FD werden das Subjekt, seine Leistungen und sein Verhalten im Bezugssystem seiner gegenwärtigen Lebensumstände und deren Anforderungen gesehen und ,fest’ gestellt. FD ist an intraindividuellen Unterschieden interessiert“ (These 10).

– „Personen werden nicht auf einen Objektstatus reduziert, sondern als Subjekte interpelliert: sowohl während der Situationsanalyse wie auch während des Meinungsbildungsprozesses bzgl. des Interventionskonzepts“ (These 11).

– „Wichtiger noch als die (Leistungs-)Produkt-Analyse ist die (Lern-)Prozeß-Analyse: Der Frage, wie groß und welcher Art die Abweichungen von einer Erwartungsnorm sind, ist die Frage übergeordnet, über welche Wege und Marken derartige Abweichungen zustande kommen“ (These 13).

– „FD ist nicht ein Akt, sondern ein Prozeß. Kontinuierliche Situationsanalysen innerhalb der Interventionen weisen FD als Begleit-Diagnostik aus. Sie ermitteln Daten und Fakten, die in einem direkten Bezug stehen zu heilpädagogisch-orthodidaktischen Interventionen und Innovationen“ (These 14).

– „Subjektive Bezüge und die Eigenwelt der Person werden in ihrer existentiellen Bedeutung ernst genommen. Die Maske der Objektivität wird fallen gelassen; an deren Stelle tritt eine unverhüllte und möglichst dichte Subjektivität …“ (These 15).

– „FD begibt sich in den Lebens- und Erlebensraum ihrer Probanden oder Konfliktpartner, und sie versucht diesen auf den subjekthaften Realitätsebenen zu begegnen. Subjekte werden in jener Umgebung, von der sie sich abheben, interpelliert und zur Selbstdarstellung eingeladen …“ (These 16).

– „FD ist lifespace-(Lebensraum-)Diagnostik: Sie findet an jenem Ort und unter jenen Umständen statt, wo ein Kind angeblich versagt oder sich bewähren sollte“ (These 18).

– „Diagnostik und pädagogische Intervention bilden eine untrennbare Einheit innerhalb interaktionalen Kreis- und Gestaltungsprozessen“ (These 21).

– „Die diagnostische Situation ist offen: Kind, Eltern, Lehrer wird der diagnostische Prozeß einsehbar (transparent) gemacht. Es wird, wenn immer möglich, vermieden, daß zwischen den Beteiligten so etwas wie ein Arzt-Geheimnis Platz greift.,Offene Akten‘!“ (These 22).

– „(Etappen-)Ziele gelten als erreicht, wenn alle Beteiligten aufgrund einer Alternativen-Prüfung sich auf gemeinsamer Vertragsbasis einigen können und wenn eine Diagnose neue Perspektiven eröffnet“ (These 23).

– „Die Verantwortung ist grundsätzlich unteilbar – auch dann, wenn – gewisse Aufträge, klar umschrieben, an einzelne Personen abgegeben werden. Die Erfüllung des persönlichen Auftrags entbindet nicht von der Gesamtverantwortung! – Dem Kind, den Eltern, der Lehrerschaft, den Behörden wird je die Entscheidungssituation und die mit den getroffenen Entscheidungen verbundenen Konsequenzen transparent gehalten …“ (These 24).

– „FD sieht in ihrem Probanden einen Schüler (im weitesten Sinne), d. h. ein in einem Auszeugungsprozeß befindliches Subjekt, mit dem zusammen Lernperspektiven zu entwerfen sind. – Dieses werdende Subjekt ist der FD vieldeutig. Was sie vornimmt, ist eine Art Spektralanalyse, d. h. ein Aufweisen verschiedener Ziele und Wege, – zwischen denen das Subjekt im Extremfall nach einem analogen (fließenden, nahtlosen) Entscheidungssystem sich frei bewegen kann …“ (These 25).

– „FD zielt auf Fazilitation, erfaßt problemzentriert Interaktionsprozesse und ist durch ein systemanalytisches Vorgehen charakterisiert. Sie orientiert sich an einem Flußmodell, welches keine starren und unverrückbaren Grenzen aufweist“ (These 27).

– „FD kann sich hingegen in einem rigiden Schachtel-System kaum entfalten. Systemimmante Barrieren legen sich der Realisierung gezielter Förderprogramme hindernd in den Weg …“ (These 28).

Kobi zeigt damit bereits eine dynamische und prozessuale Vorgehensweise von Förderdiagnostik auf, deren Realisierung ohne Einschränkung wünschenswert ist. Die Hauptbarriere einer Verwirklichung solcher Gedanken liegt – wie Kobi bemerkt – in der Struktur der Schulsysteme. Der Autor meint abschließend zu den aufgestellten Thesen: „Es wird gezeigt, dass Förderdiagnostik aus heilpädagogischer Sicht zwar dringend notwendig wäre, innerhalb eines rigiden (Schul-)Systems jedoch nur geringe Entfaltungsmöglichkeiten hat“ (1977, 123).

Erfasst werden somit Veränderungen und deren Bedingungen. Weiterhin ergeben sich alle handlungs- und entscheidungsrelevanten Daten aus direkter Beobachtung aller am Interaktionsprozess beteiligten Personen, einschließlich des gesamten situativen Kontextes. Ziel der Diagnostik ist es, Informationen zur Optimierung schulischer Lehr-, Lern- und Interaktionsprozesse zu erhalten. Die zu stellende Frage lautet: Versucht nicht der interessierte, am Schüler orientierte Lehrer im Unterricht ohnehin eine Realisierung dessen, was mit „direkten Modellen“beschrieben wird? Der Lehrer informiert, lässt erarbeiten, diskutiert, evaluiert, setzt zusammen mit den Schülern neue Ziele, um nur einige Tätigkeiten anzuführen. Der angesichts bekannter Probleme in Schulen und Schulklassen versuchsweise schülerorientiert arbeitende Lehrer fühlt sich jedoch ständig überfordert.

Sonderpädagogische Diagnostik kann wohl nicht ganz auf die Verwendung normierter und standardisierter Verfahren verzichten. Der Gedanke der direkten Modelle erweist sich als sehr positiv.

Realistisch erscheint die Forderung, dass ein mit sonderpädagogischen Maßnahmen konfrontiertes Kind – sei es in der Vorschule, Regel- oder Förderschule – fortwährend hinsichtlich seiner Entwicklung beobachtet, dass es in prozessualer Form förderdiagnostisch begleitet wird, dass mindestens jährlich eine gründlichere förderdiagnostische Untersuchung mit allen Möglichkeiten der Neuorientierung angesetzt wird.

Förderdiagnose zielt hin auf Förderung und Hilfe im pädagogischen Bereich, auf Integration im sozialen Bereich unter Einbezug der Familie und der übrigen sozialen Umwelt, auf Entwicklung und Entfaltung im psychischen Bereich, auf Heilung und Therapie im Allgemeinen, soweit dies im sonderpädagogischen Feld möglich sein kann, wobei auf die enge Verflechtung und Verzahnung der angesprochenen Bereiche hinzuweisen ist. Förderung hat immer die Ganzheit eines Kindes und sein Umfeld im Auge zu behalten (Bundschuh 2019, 91–94).

Während sich im Zusammenhang mit Früherkennung und weiteren Maßnahmen bei Kindern mit Förderbedarf geistige Entwicklung, Förderbedarf Bewegung und Motorik und bei Kindern mit Sinnesbeeinträchtigungen „Förderdiagnose“ auf dem Weg der Realisierung befindet, müssen im Zusammenhang mit Kindern mit Förderbedarf Lernen Neuüberlegungen, Reformen, Neustrukturierungen, Veränderungen in Richtung Präventivmaßnahmen unter Einbeziehung der Familien, ferner Durchlässigkeit und Dynamik im Sinne integrativer Unterrichtung und Inklusion eintreten. Die neue Bezeichnung „Förderbedarf Lernen“ deutet dies an, diesen Bedarf haben an sich alle Kinder, häufig auch die Erwachsenen.

Zusammenfassung

Psychodiagnostik im herkömmlichen Sinn zielt auf Erkundung der individuellen psychischen Struktur, der einem Individuum zugrunde liegenden Persönlichkeitsmerkmale und Eigenschaften. Sie bedient sich ganz bestimmter Verfahren (Anamnese, Exploration, Verhaltensbeobachtung, Tests, Fragebögen, Screenings).

Diese Diagnostik orientierte sich in hohem Maße am Medizinischen Modell, d. h., Störungen sind Sache des Individuums, sie werden durch bestimmte Ursachen im Bereich des Individuums hervorgerufen. Die Erkennung und Beseitigung dieser im Individuum liegenden Ursache führt zur Therapie (Bundschuh 2019, 47–49).

Tab. 2: Gegenüberstellung Einweisungsdiagnostik – Förderdiagnostik


Abgelöst wird diese Diagnostik, die Defizite und Störungen in der Person selbst sucht, durch eine an soziologische und sozialwissenschaftliche Gedanken orientierte Vorgehensweise, d. h. verursachende Momente einer Störung (Schulversagen, Verhaltensstörungen) werden vor allem im Kommunikationsbereich des Individuums gesucht, z. B. im Familienmilieu, im Bereich der Schule, in der sozialen Umwelt überhaupt durch Etikettierungs-, Stigmatisierungsprozesse und durch Rollenzuweisung („er ist aggressiv, unruhig, faul“; „er geht aus dieser Familie hervor“, „er kommt aus dieser Gegend“). Systeme können behindern (Bundschuh 2019, 64 ff.; 2008, 326–331).

Der Gegenstandsbereich der sonderpädagogischen Diagnostik steht in enger Beziehung zu in ihrer geistigen, emotionalen, sozialen, physischen Entwicklung gefährdeten oder beeinträchtigten Personen, wobei stets der Interaktions- und Umweltbereich impliziert ist. Zumeist wird es sich dabei um Kinder / Schüler handeln, die sonder- und heilpädagogische Diagnostik kommt jedoch auch bei Personen aller Altersgruppen zur Anwendung, Handlungsbedarf liegt jedenfalls im Kontext Beeinträchtigungen / Behinderungen – vor allem mit zunehmendem Alter – vor.

Die Aufgaben fordern vom Sonder- und Heilpädagogen neben einer Kenntnis der Entwicklungsprozesse (Bundschuh 2008, 87–168) Informationen über Verursachungsmomente, Bedingungen und Formen von Beeinträchtigungen sowie Möglichkeiten der Förderung und Therapie (Bundschuh 2008, 242–302).

Die ursprünglich als Hauptaufgabe gesehene Diagnose als Entscheidung für bestimmte Maßnahmen meist selektiver Art wird abgelöst durch den Prozess der Förderung. Diagnose und Förderung können nicht mehr getrennt gesehen werden, stellen eine Einheit dar und müssen permanent unter Einbezug der Umwelt und deren Interaktionen als Prozess stattfinden. Somit müssen die Tendenzen, im pädagogischen Bereich von einer Selektionsstrategie zu einer Modifikationsstrategie zu kommen, verstärkt und weiterentwickelt werden.

Der Sonderschullehrer trug mit „seiner Diagnose“ und Entscheidung „Sonderschulbedürftigkeit“ ein kaum vertretbares Maß an Verantwortung. Sollte sich der Gedanke der Förderdiagnostik auch im schulbürokratischen und schulbehördlichen Bereich hinsichtlich mehr Offenheit, Flexibilität und Dynamik auch hinsichtlich der Frage nach der Integration weiter durchsetzen, werden sich die Probleme, die sich bisher im Rahmen der „Überprüfung auf Sonderschulbedürftigkeit“, jetzt Förderschulbedürftigkeit bzw. Frage nach dem individuellen Förderbedarf, ergaben, erheblich neutralisieren. Sonderpädagogische Diagnostik erhält ihre Legitimation nur aus den Aspekten Verstehen und Förderung (Bundschuh 2007, 77–144), sie darf keinesfalls statischen, vielmehr nur dynamischen Charakter haben.

Alternativmodelle zur herkömmlichen Diagnostik orientieren sich in hohem Maße am schulischen Geschehen (Verhalten, Lernziele, Curricula). Es zeigt sich, dass es eine Reihe von Ansätzen gibt, die zahlreichen Probleme einer traditionellen Diagnostik, die sich weitgehend als statische Diagnostik, Selektionsdiagnostik, Merkmals- und Eigenschaftsdiagnostik erwiesen hat und somit eher Festschreibungen und defizitäre Beschreibungen im Zusammenhang mit sonder- oder heilpädagogischen Problemstellungen lieferte (anstelle von Förderungsimpulsen), zu überwinden.

Mit der Veränderungsdiagnostik verfolgt man das Ziel, durch den Vergleich zweier oder mehrerer Zustände im Zeitverlauf eine Aussage über Veränderungen oder Stabilität von Merkmalen zu treffen. Unter pädagogischem und psychologischem Aspekt betrachtet geht es dabei meist auch um einen Prozess zwischen Ist- und Sollzustand. In der Regel wird die erzielte Veränderung als Folge eines natürlichen Prozesses (z. B. Wachstum, Reifung, Lernen), einer Intervention (z. B. pädagogische Förderung, Psycho- oder Pharmakotherapie) oder situationsbedingter Variabilität (z. B. Tagesereignisse) interpretiert. Vorhaben zur Veränderungsdiagnostik setzen gezielte Annahmen über Entwicklungs- und Interventionsverläufe sowie Situationseinflüsse voraus. Diese Annahmen können nur überprüft werden, wenn adäquate, veränderungssensitive Erhebungsverfahren vorliegen, die Veränderungen – zuverlässig – abbilden können. Letztlich hängt die Entscheidung darüber, wann und wie oft eine Verhaltensweise bzw. auch ein Merkmal im Verlauf einer Zeitspanne erhoben werden soll, von bestimmten Annahmen über Entwicklungen und den damit zusammenhängenden psychologischen Prozessen ab, die erfasst werden sollen.

Die neueren Entwicklungen führen weg von der statischen, indirekten Vorgehensweise über den Einbezug behavioristischer, sozialwissenschaftlicher, entwicklungspsychologischer und anthropologischer Einflüsse im weiten Sinne hin zu einer lernorientierten, „direkten“ Diagnostik. Häufig bestand nur Interesse an dem, was „ist“, im weitgehend statischen Sinn (Persönlichkeitsmerkmale und -eigenschaften). Dieser Aspekt erweitert sich nun in Richtung was „soll“, und wie dieses „Soll“erreicht werden kann. Der Schwerpunkt der neueren Ansätze liegt auf dem Moment der Information zwecks Handeln und Förderung, d. h., intendiert wird primär der Fortschritt der Persönlichkeit durch Erweiterung der Handlungskompetenz (Bundschuh 2008, 218–224; 2019).

Die Psychologische Diagnostik ist eng mit anderen Teildisziplinen der Psychologie vernetzt. Die Entwicklung psychodiagnostischer Methoden und Erhebungsstrategien im sonder- und heilpädagogischen Arbeitsfeld wird in hohem Maße von diagnostischen bzw. förderdiagnostischen Fragestellungen beeinflusst. Um dieses große Aufgabengebiet bewältigen zu können, bedarf es der engen Verbindung insbesondere zur Entwicklungspsychologie, der Pädagogischen Psychologie (Frage nach dem Lernen und Lernstörungen), der Klinischen Psychologie (Psychotherapien können zur Aufarbeitung und Beseitigung sozialer und emotionaler Störungen beitragen), der Medizinischen Psychologie und der Sozialpsychologie (Analyse der Kind-Umfeld-Bedingungen).


Abb. 1: Querverbindungen heilpädagogischer Diagnostik (Bundschuh 2008, 239)

Die Abb. 1 zeigt die Bedeutung der Förderdiagnostik im sonder- und heilpädagogischen Erziehungs- und Arbeitsfeld auf. Förderdiagnostik leistet einen Beitrag zum besseren Kennenlernen und Verstehen von Personen in einer Notsituation. Gegenstand der Förderdiagnostik sind nicht Defizite oder „Mängel“ des Kindes, einer Person, vielmehr die Notsituation selbst, die Entwicklungen behindernder Bedingungen, ins Stokken geratene Erziehungs- und Lernprozesse sowie die Erkundung der aus der Notsituation entstandenen speziellen Erziehungs- und Handlungsbedürfnisse. Verwiesen sei hierbei auf die pädagogische Verantwortung und die Berücksichtigung der anthropologischen, pädagogischen, sozialen, didaktischen, ganzheitlichen und ggf. therapeutischen Dimensionen der Förderdiagnostik (Bundschuh 2019, 75–105, 126–135).

Die sonderpädagogische Diagnostik hat zwar Methoden und viele Impulse aus der psychologischen Diagnostik entnommen, ist aber hinsichtlich ihrer speziellen Aufgaben, ihrer schwierigen, komplexen sowie herausfordernden Handlungsfelder und ihrer Ziele eigenständig (Bundschuh 2019). Unter sonderpädagogischer Diagnostik wird das Insgesamt aller Erkenntnisbemühungen im Dienste aktueller (heil-) pädagogischer Herausforderungen, Prozesse und Entscheidungen verstanden. Diagnostik im sonder- und heilpädagogischen Arbeitsfeld ist primär auf den Einzelfall unter Einbezug negativer, d. h. für die Entwicklung ungünstiger, aber auch positiver, d. h. förderlicher Umfeldbedingungen, fokussiert. In Anlehnung an die Definition „pädagogischer Diagnostik“ von Ingenkamp und Lissmann (2008, 13) umfasst sonderpädagogische Diagnostik alle diagnostischen Tätigkeiten, durch die bei einzelnen Schülern bzw. Lernenden Voraussetzungen und Bedingungen planmäßiger Lehr- und Lernprozesse ermittelt, (gestörte) Lernprozesse analysiert und Lernergebnisse festgestellt werden, um individuelles Lernen zu verbessern bzw. zu optimieren, bei Bedarf auch Verhalten positiv zu beeinflussen. Zur sonderpädagogischen Diagnostik bzw. Förderdiagnostik gehören ferner die diagnostischen Tätigkeiten, die die Zuweisung zu individuellen Förderprogrammen bzw. Fördermaßnahmen unter Einbezug eines Förderplanes ermöglichen. Dies alles geschieht im Kontext gesellschaftlich verankerter Aufgaben der Ausbildung und Bildung kindlicher Persönlichkeit (Bundschuh 2012, 37–57).

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9783846352861
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