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IA:8 J.9 J.12 J.9;2 J. = 110 Monate
LA:8 J.12 J.10 J.10;4 J. = 124 Monate
IQ:1,00,751,200,89
(100)(75,00)(120,00)(89)

Diese Darstellungen dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass bereits W. Stern klar war, dass die Intelligenzentwicklung im Gegensatz zum Lebensalter nicht gleichmäßig fortschreitet, sondern in der frühen Kindheit rasch und später langsamer verläuft, bis sie schließlich, was angenommen wurde, zum Stillstand kommt, dass also keine lineare Beziehung zwischen IA und LA besteht. Das war der Grund für den Vorschlag des IQ, aber auch die Wurzel der Erkenntnis, dass selbst der IQ kein unbedingt konstanter Ausdruck von Vorsprüngen und Rückständen sein muss. Man weiß z. B. bei den Bearbeitungen von Norden (1953), Kramer (1972) oder Lückert (1957) nicht, „ob Kinder verschiedener Altersstufen bei gleichem IQ wirklich gleich, intelligent‘ oder bei demselben Kind der gleiche IQ in verschiedenen Lebensaltern dasselbe bedeutet“ (Groffmann 1971, 173).

Binet-Tests wurden bis 1985 relativ häufig verwendet. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass der aufgrund der Binet-Tests bestimmte IQ kein Standardwert ist, „sondern ein Quotient aus einem Maß für intellektuelle Entwicklung, dem Intelligenzalter und dem Lebensalter“ ist. Der IQ von 1.00 bzw. 100 stellt nicht notwendigerweise den Mittelwert der IQ-Verteilung dar. Damit zeigen sich gewisse unsichere Implikationen, die mit der Verwendung der genannten Tests verbunden sind.

Wichtige Richtungen der weiteren Entwicklung von Tests:

1. Weiterentwicklung bisheriger Verfahren, Neuentwicklungen unter Einbezug des Säuglings bis zum Schulkind: Zu nennen sind in diesem Zusammenhang z. B. Namen wie Arnold Gesell (Beobachtung der Entwicklung des Säuglings und des Kleinkindes hinsichtlich Motorik, Reizanpassung, Lallen, ersten sprachlichen Äußerungen und sozialem Kontakt seit 1925), Charlotte Bühler sowie Hildegard Hetzer (Erfassung der kindlichen Entwicklungsstufen aus den wesentlichen Merkmalen der Körperbewegung, der sinnlichen Rezeption, Sozialität, Materialbeherrschung und Denkleistung seit 1928), Lotte Schenk- Danzinger (Entwicklungstests für Kinder vom 5. bis 11. Lebensjahr), Inge Flehmig u. a. (Denver-Entwicklungsskalen), Ernst J. Kiphard (Sensomotorisches Entwicklungsgitter für die Entwicklungsbereiche optische Wahrnehmung, Handgeschicklichkeit, Körperkontrolle, Sprache, akustische Wahrnehmung für das Alter von 6 bis 48 Monaten), Reimer Kornmann (Testbatterie für entwicklungsrückständige Schulanfänger).

Dorsch (1963, 55) nennt noch die Entwicklung von „Spieltests“, die jedoch auch als projektive Verfahren Verwendung finden, wie z. B. von Gerhild v. Staabs den „Scenotest“, von Margaret Lowenfeld das „Weltspiel“ und von Charlotte Bühler den „Welttest“.

2. Entwicklung sprachunabhängiger Tests (nonverbale Verfahren): Diese Verfahren reichen zurück bis zu den Formbrettern (Einlegebrettern), die bereits 1866 von einem französischen Arzt zum Training von „Schwachsinnigen“ benützt wurden (Dorsch 1963, 55).

Als in der heutigen Zeit Verwendung findende nonverbale Verfahren kann man beispielsweise nennen den „Progressiven Matrizentest“ von Raven (1947, 1975), Tests zur Erfassung der Grundintelligenz von Weiss und Cattell (1997), evtl. auch Teile aus dem Intelligenztest von Kramer (1972) und den „Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Kinder“ von Wechsler (Hawik-Revision 1985, WISC-IV 2011).

3. Entwicklung analytischer Intelligenztests: Der Intelligenzquotient geht bei diesen Tests nicht etwa auf das Intelligenzalter zurück, vielmehr auf bestimmte Intelligenzfunktionen, die hinsichtlich ihrer Verteilung auf statistischem Wege mit Leistungsmittelwerten verglichen werden. Hierzu gehören die von Meili (1971) und Thurstone und Thurstone (1953) herausgegebenen Testserien sowie die von Wechsler 1939 entwickelte und erprobte Intelligenz-Skala für Erwachsene und der Intelligenzstrukturtest (IST) von Amthauer (1955).

4. Die Entwicklung von Gruppentestverfahren: Aus der praktischen Notwendigkeit heraus, möglichst schnell qualifizierte Personen für bestimmte Aufgaben der amerikanischen Armee auszulesen, wurden Gruppentests entwickelt (Army-Alpha-Test; er setzt englische Sprachkenntnisse und Lesefähigkeit voraus. Army-Beta-Test als sprachfreier Test).

Gruppentests wurden wohl erstmals von W. Stern entwickelt. Gruppentests sind z. B. der bereits genannte Intelligenz-Struktur-Test (IST) von Amthauer (1955), das Begabungs-Test-System (BTS) von Horn (1972), der Grundintelligenztest von Weiß und Cattell (1997), die speziell zur Überprüfung von schulleistungsschwachen Schülern entwikkelte „Schulleistungsbatterie für Lernbehinderte und für schulleistungsschwache Grundschüler“ (SBL 1 und SBL 2) von Kautter und Storz (2000, SBL 2 2002).

Es gibt zahlreiche Gruppenverfahren, die auch für den sonderpädagogischen Bereich Bedeutung haben, wenn es beispielsweise um Intelligenz-, Schul-, Wahrnehmungsleistungen oder um die Erfassung von Feinmotorik und Händigkeit geht.

Gruppentests haben den Vorteil, dass sie unter gleichen Bedingungen durchgeführt und in gleicher Weise ausgewertet werden, dass alle untersuchten Individuen die gleiche Anweisung erhalten, diese Tests ganz global ausgedrückt objektiver und ökonomischer zu handhaben sind.

Zusammenfassung

Die ersten Versuche, Intelligenz zu erfassen und messbar zu machen, wurden unter Einbeziehung geistiger, physiologisch motorischer und perzeptiver Leistungen unternommen. Anregungen lieferten neben der Psychologie und Medizin (spez. Psychiatrie) vor allem auch die Mathematik und Physik. Der Gedanke, vom „durchschnittlichen“ Individuum, von „durchschnittlichen“ Leistungen und von Abweichungen vom Durchschnitt auszugehen, gewann stärker an Bedeutung.

Binet bezog in sein „Staffelsystem“ die Idee einer relativen Übereinstimmung von Intelligenzleistungen und Lebensalter ein. Sein Stufentest wurde verbreitet und weiterentwickelt in den USA, in Deutschland, in der Schweiz und in zahlreichen anderen Ländern. Mit der Einführung des „Intelligenzquotienten“ (IQ) durch William Stern (1912) wurde ein heute noch gebräuchliches Maß für die Messung der Intelligenz geschaffen. Die Methoden der Intelligenzerfassung fanden unter Einbezug sogenannter Gruppen- und nonverbaler Verfahren rasche Verbreitung.

Im pädagogisch-sonderpädagogischen Bereich wäre die Entwicklung von „Verfahren“ zur Einschätzung der kognitiven Möglichkeiten eines Kindes unter Einbezug von Handlungen aus dem Bereich seiner bisherigen Umwelt, also in seiner natürlichen Umgebung, wünschenswert. Hierbei einen gangbaren Mittelweg zwischen „objektiver“ und „subjektiver“ Beobachtung auch im Sinne qualitativer Diagnostik zu finden (Bundschuh 2019, 58 ff., Kap. 5.5.2), könnte eine zukünftige pädagogische Aufgabe sein. Die Kritik am Intelligenzbegriff hat auch zu einer deutlichen Verunsicherung der Intelligenzdiagnostik insbesondere im sonder- oder heilpädagogischen Arbeitsfeld geführt.

Psychologische Diagnostik gilt zunächst als ein Teilgebiet der Psychologie, speziell der angewandten Psychologie. Diagnostik umfasst die Gesamtheit der Verfahren und Theorien, die dazu dienen, Verhalten und psychische Prozesse einzelner Personen oder auch Gruppen zu erforschen. Diagnostik hatte im Rahmen sonder- oder heilpädagogischer Problemstellungen schon immer eine große Bedeutung, wurde aber auch kritisch hinterfragt.

Die Erwartungen an die Diagnostik im sonder- und heilpädagogischen Arbeitsfeld, speziell auch bezüglich der Kinder mit mehrfachen und komplexen Problemen im Lernen und Verhalten bis hin zu Mehrfachbehinderungen, erweisen sich als hoch. Diese Erwartungen im Sinne des Auffindens optimaler Förderungswege in Richtung Therapie und „Heilung“ sind nicht immer ganz erfüllbar. Dennoch wird eine kinderorientierte, d. h. für die wirklichen Probleme eines Kindes und seines sozialen Umfeldes offene heilpädagogische Diagnostik gute Dienste im Rahmen des Entwicklungs- und Erziehungsgeschehens leisten, vor allem durch die Möglichkeiten der Informationsgewinnung zur differenzierten Beschreibung des Verhaltens und der Lernausgangslage bei Kindern mit einem besonderen Förderungsbedarf, der Diagnose behindernder Bedingungen sowie den daraus hervorgehenden Ansätzen zu deren Beseitigung in Verbindung mit Beratung, Förderung, ggf. Therapie. Insofern nimmt die Beschäftigung mit diagnostischen Fragestellungen angesichts der Zunahme von Not- und Problemsituationen bei Kindern und Jugendlichen auch in einer Zeit des Umbruchs und Wandels im sonder- und heilpädagogischen Arbeitsfeld einen wichtigen Platz ein.

Diagnostik erhält auch eine neue Bedeutung im Rahmen der Erstellung von Förderplänen (Kap. 6.6.3) sowie der herausfordernden Fragen nach Integration und Inklusion (Bundschuh 2010, 91–99; 2019) bis hin zu Möglichkeiten von Therapien (Bundschuh 2008, 242–302), speziell auch Lerntherapie (Metzger 2008).

3 Begriff, Aufgaben, Funktionen und Bereiche der sonder- und heilpädagogischen Diagnostik

Lernziele

1. Den Begriff „Psychodiagnostik“ kennen lernen.

2. In der Lage sein, zwischen Psychodiagnostik und sonderpädagogischer Diagnostik zu differenzieren.

3. Die Einsicht gewinnen, dass der Aufgabenbereich sonderpädagogischer und heilpädagogischer Diagnostik in unmittelbarem Zusammenhang mit dem pädagogischen Feld, d. h. mit Problembereichen von Kindern und Jugendlichen mit Beeinträchtigungen, Störungen, Behinderungen und behindernden Bedingungen steht.

4. Erkennen, dass sonder- und heilpädagogische Diagnostik primär „Förderdiagnostik“ sein sollte.

Zur Orientierung: In diesem Abschnitt wird es um die Klärung des Begriffes Psychodiagnostik, um die Abgrenzung der sonder- und heilpädagogischen Diagnostik von der Diagnostik im Bereich der Medizin, aber auch der Psychologie gehen; schließlich werden Aufgabenbereich und Funktion sonderpädagogischer Diagnostik im Hinblick auf den Aspekt Förderdiagnostik thematisiert.

3.1 Zum Begriff „Psychodiagnostik“

Der Begriff „Diagnose“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie „Unterscheidung“, „Entscheidung“. Im medizinischen Sinne ist das Erkennen einer Krankheit gemeint oder ganz allgemein die Erkenntnis der Beschaffenheit eines psychischen oder physischen Zustandes aufgrund von Symptomen. Bei der medizinischen Diagnostik handelt es sich – obgleich gegenwärtig sehr viel von „Vorsorge“ gesprochen wird – mehr oder weniger um die Feststellung eines momentanen Zustandes.

Dagegen soll die Psychodiagnostik im Allgemeinen überdauernde Eigenschaften bestimmen. Die Psychodiagnostik ist daher weitgehend nicht nur Diagnose, sondern auch Prognose (Vorhersage) (Schmidt-Atzert / Amelang 2012, 4). Ein eher traditionelles Vorgehen in der Persönlichkeitsdiagnostik zielt auf ein Verstehen der dem Individuum zugrunde liegenden Persönlichkeitsmerkmale und Eigenschaften ab, um auf diesem Weg Verhalten vorherzusagen. Es ergibt sich die Frage, ob die Psychodiagnostik, vor allem die traditionelle Psychodiagnostik, mit der Vorhersage von Verhalten nicht in hohem Maße stärker eine „Selektionsstrategie“ im Sinne einer Optimierung durch geeignete Auswahl von Personen und / oder Bedingungen betrieb als eine „Modifikationsstrategie“ im Sinne einer „Optimierung durch eine Veränderung des Verhaltens und / oder von Bedingungen“ (Pawlik 1982, 15 f.).

Selektionsstrategie im Zusammenhang mit Personenselektion würde im engeren Sinne realisiert, wenn es z. B. um Aufnahme oder Ablehnung, um die Platzierung eines Bewerbers bei der Personaleinstellung oder im pädagogischen Bereich um die Selektion durch Vorschultestung (Schulreife) oder um die Aufnahme in eine Förderschule geht.

Zu fordern wäre auf jeden Fall im pädagogischen Bereich eine Betonung der Modifikationsstrategie, obgleich die Realität teilweise nur eine „Mischstrategie“ zuzulassen scheint. Nachdem an dieser Stelle der Problemkreis „Strategien der Psychodiagnostik“ nur tangiert werden kann, sollen einige Forderungen an die Psychodiagnostik im pädagogischen Bereich in akzentuierter Form angeführt werden:

Die Verwendung psychodiagnostischer Methoden muss dem jeweiligen Problemfall angepasst sein. So kann z. B. die Intelligenzleistung eines Kindes mit einer Sprachstörung nicht erschöpfend mit dem WISC-IV / HAWIK-IV (2011; 2010) erfasst werden. Weiterhin darf das Ergebnis einer psychodiagnostischen Untersuchung für die betroffene Person nicht „Festlegung“ bedeuten, vielmehr den Ansatz zur Hilfe, zur Förderung und zur Emanzipation der Persönlichkeit. Diagnostik muss also Information zwecks Förderung, ggf. Therapie, d. h. effektive Hilfe für die betroffene Person bedeuten.

Diagnose und damit auch Prognose implizieren den Impuls zu weiteren diagnostischen Maßnahmen in einem späteren Zeitpunkt. So versteht bereits Pawlik alternativ zur „Diagnostik als Messung“ die Diagnostik in einem „übergreifenden Ansatz als Einbringen von Information für und über Behandlung […]. Zielsetzung bei der Konstruktion psychodiagnostischer Verfahren und bei ihrer Gütekontrolle muss daher der Gewinn (Nutzen, „utility“) sein, den diese diagnostische Information 1. für die Auswahl einer geeigneten Behandlung der untersuchten Person und / oder 2. für die Beurteilung der Effektivität der danach realisierten Behandlung bringt. Dabei ist mit „Behandlung“ […] jede Handlung gemeint, die der Psychologe, der Proband selbst und / oder andere Personen mit Wirkung für den Probanden setzen“ (Pawlik 1982, 34).

Welcher Methoden bedient sich nun die Psychodiagnostik? Diagnostiziert wird aufgrund von Anamnese (med. Aspekt: Ermittlung der Krankengeschichte; psychol. Aspekte: Erhellung des Lebenslaufes im Hinblick auf eine Störung, Ermittlung der Lebensgeschichte einer Person; objektive Daten über die Entwicklung: Geburtsverlauf, vorschulische Phase, Schulbesuch, Krankheiten, Berufsausbildung …), Exploration (das Aufsuchen, Erforschen, Erfragen psychischer oder physischer Besonderheiten; heute mehr durch Gespräch, Interview als Stellungnahme zu den erhobenen Anamnesedaten, zu Testdaten sowie zu dem jeweiligen Problem gedacht), Verhaltensbeobachtung, durch vorliegende Befunde und ganz allgemein durch Tests (Methoden der Psychologie thematisiert informativ und anwendungsbezogen speziell Kap. 5). Der Tests, in all ihren Formen, bedient sich die Psychodiagnostik je nach vorliegender Fragestellung in verschiedener Auswahl immer häufiger, ja ausschließlicher, um möglichst objektive und umfassende Informationen zu erhalten. Historisch gesehen entstand die Leitidee von einer Wissenschaft der psychologischen Diagnostik im Zusammenhang mit der Entwicklung des Testbegriffes. Seit der Erscheinung des Rorschachbuchs mit dem Titel „Psychodiagnostik“ im Jahre 1920 setzte sich dieser Begriff immer mehr durch. Rorschach verstand sein Verfahren einmal als „Test“ oder „Prüftest“, zum anderen aber auch als „wahrnehmungs-diagnostisches Experiment“, d. h., aufgrund der Art der Wahrnehmung sollten psychische Krankheiten erkannt werden. In der Folgezeit erschienen Werke über „psychologische Diagnose“, Lehrbücher wurden geschrieben mit den Titeln „Psychodiagnose“, „psychologische Diagnose“, „diagnostische Psychologie“. Unter diesen Bezeichnungen und speziell unter dem Begriff psychologische Diagnose versteht man die Gesamtheit aller Verfahren, welche der Erkundung der individuellen psychischen Struktur eines Menschen dienen.

Die Diskussion der Frage, ob durch diese „Erkundung“ und durch Vorhersage von Verhalten nicht „festgeschrieben“, „selegiert“, statt modifiziert wird, erfolgt an anderer Stelle.

3.2 Gegenstands- und Aufgabenbereich sonderpädagogischer Diagnostik

Am besten gelingt der Zugang zu dem angesprochenen Problembereich, wenn zunächst die Personengruppe beschrieben wird, mit der die sonderpädagogische Diagnostik konfrontiert wird.

Traditionell gesehen lässt sich die sonderpädagogische Diagnostik dadurch kennzeichnen, dass sie es mit – möglicherweise – psychisch-kognitiv oder auch physisch behinderten Kindern und Jugendlichen zu tun hat, die in ihrer geistigen, emotionalen, sozialen, möglicherweise auch motorischen und sensomotorischen Entfaltung beeinträchtigt, gestört oder behindert sind, d. h. von sogenannten durchschnittlich entwikkelten oder nichtbehinderten Kindern hinsichtlich Lern- und / oder Sozial- und Emotionalverhalten abweichen. Dabei ist auf die Problematik des Verständnisses und damit auf die Relativität und auf das unterschiedliche Verständnis von „Störung“ und „Behinderung“ hinzuweisen. Im Zusammenhang mit Schülern mit Lernbehinderungen z. B. wird von einer Gruppe gesprochen, die unterhalb der durchschnittlichen Leistungsfähigkeit liegt, wobei sonderpädagogischer Förderbedarf nach den KMK-Empfehlungen von 1994 eben nicht nur an speziellen Sonder- oder Förderschulen eingebracht werden kann, vielmehr an allen Schulen denkbar ist, z. B. im Bereich der Grund- und Hauptschule bis hin zu Gymnasien etwa bei vorliegenden Lern-, Leistungs- und Verhaltensstörungen, wie auch immer verursacht. Die spezielle Bedürfnis- und Problemsituation von Kindern fordert gegenwärtig verstärkt vor allem im Präventivbereich psychologische, speziell diagnostische und allgemein didaktisch-fachliche Kompetenzen im Hinblick auf Diagnose und Erkennung der Problematik sowie Unterstützung des Kindes und der Erziehungspersonen und mit der Zielrichtung Förderung ggf. Lerntherapie (Bundschuh 2008, 32–36; 2019).

Wenn auch die Gruppe der Schüler mit Lernbehinderungen (Förderbedarf Lernen) und / oder Verhaltensstörungen (Förderbedarf Verhalten, soziale und emotionale Entwicklung) den größten Bereich der mit sonderpädagogisch-diagnostischen Maßnahmen zu Konfrontierenden umfasst, geht es nicht allein und primär um diese Gruppe, vielmehr steht die Frage der Hilfe, Unterstützung und Förderung aller Kinder mit einem besonderen Förder- und / oder Lerntherapiebedarf im Vordergrund der Überlegungen.

Traditionell gesehen hat es die sonderpädagogische Diagnostik mit allen Personen zu tun, mit denen sich die allgemeine Sonderpädagogik beschäftigt, also mit allen „Formen der Beeinträchtigung“, wie sie von Bach beschrieben wurden (1995, 8 f.). Wenn man vom Schweregrad ausgeht, müsste man die teilweise nicht oder kaum objektiv feststellbare Form der „Gefährdung“ (Auffälligkeit) sowie das Bedrohtsein von Behinderung an den Anfang stellen und als gravierende Form die Behinderung nennen.

Bach definiert „Beeinträchtigung“ als „die Erschwerung“ der Personalisation und Sozialisation eines Menschen. Sie ist durch besondere Herausforderungen an Erziehung und Förderung bei Erziehungsprozessen in Familie, Schulen, ggf. auch in Heimen gekennzeichnet.

Liegt noch keine objektive Feststellung vor, wird erst von bloßer Auffälligkeit gesprochen. Der Übergang zwischen regelhaften und erschwerenden, unregelhaften Gegebenheiten des Erziehungsprozesses ist fließend, Beginn und Ausmaß der einzelnen Beeinträchtigungen sind nicht präzise zu fixieren. Beeinträchtigungen müssen unter dem Aspekt subjektiver, sozialer, situativer und temporärer Relativität gesehen werden.

Im diagnostischen Bereich wird es notwendig sein, die Probleme eines Kindes sowie die behindernden Bedingungen im Umfeld in differenzierter Form zu erkennen und zu analysieren. Traditionell gesehen wurde zwischen einzelnen Formen von Beeinträchtigungen unterschieden, demgemäß zwischen Schweregraden von Beeinträchtigungen.

Kinder mit Behinderungen waren auf der Basis der Überlegungen des Deutschen Bildungsrates der 1970er Jahre dadurch gekennzeichnet, dass ihre individuellen Beeinträchtigungen, „umfänglich“, (d. h., mehrere Lernbereiche sind betroffen), „schwer“ (d. h., graduell mehr als ein Fünftel unter dem Regelbereich liegend) und „langfristig“ (d. h. eine Angleichung an den Regelbereich ist voraussichtlich innerhalb von zwei Jahren nicht möglich) waren. Die Frage wäre natürlich, ob z. B. alle „Lernbehinderten“ „behindert“ waren im Sinne dieser Definition.

Heute beschäftigt sich die Diagnostik im Arbeitsfeld Sonder- und Heilpädagogik vor allem mit der Problemsituation des einzelnen Kindes im Kontext Beeinflussung durch das Umfeld, speziell mit der Frage nach dem individuellen Förderbedarf – im Unterschied zu Klassifizierungen und Zuordnungen zu „Schweregraden von Beeinträchtigungen“.

Die sonderpädagogische Diagnostik befasst sich auch mit Kindern mit Lern- und Verhaltensstörungen bzw. -auffälligkeiten. Bach definiert Störungen als „individuale Beeinträchtigungen, die partiell (d. h. nur einen Lernbereich betreffend), oder weniger schwer (d. h. graduell weniger als ein Fünftel vom Regelbereich abweichend) oder kurzfristig (d. h. voraussichtlich in bis zu zwei Jahren dem Regelbereich anzugleichen) sind“ (1995, 9 f.). Auch hierbei geht es in erster Linie – wiederum traditionell betrachtet – um Zuordnungen.

Bei Kindern mit Lernstörungen und Verhaltensauffälligkeiten kommt der sonderpädagogischen Diagnostik primär die Aufgabe zu, Störungen hinsichtlich ihrer Ätiologie, vor allem im Kontext behindernder Bedingungen zu analysieren, das Kind zu stützen und eine für das Kind positive Veränderung im Umfeld zu bewirken.

Die nächste Personengruppe, mit der sonderpädagogische Diagnostik konfrontiert wird, sind Kinder und Jugendliche mit Gefährdungen. Gefährdungen bezeichnet Bach als

„Beeinträchtigungen, die in der Form somatischer, ökonomischer oder sozialer Lernbedingungen mit erschwerendem Charakter Störungen oder Behinderungen zu bewirken oder zu verstärken angetan sind“ (1995, 10).

Im Zusammenhang mit Gefährdungen sind vor allem „Prävention“und „Prophylaxe“ von Bedeutung (Bundschuh 2009, 26–30). So ist es dringend notwendig, dass im vorschulischen Stadium (Kindergarten, Vorschule, Schulkindergarten oder schon früher) Gefährdungen erkannt und aufgrund von Verhaltensbeobachtungen und des Einbezugs von Entwicklungsskalen Möglichkeiten kompensatorischer Erziehung und Förderung im Hinblick etwa auf Lernreize und soziales Verhalten entworfen und realisiert werden.

Schließlich ist es auch notwendig, „Sozialrückständigkeiten“ zu diagnostizieren, d. h. Beeinträchtigungen der Gesellschaft, die in der Form von Einstellungen, Verhaltensweisen, Gepflogenheiten, materiellen Bedingungen und gesetzlichen Regelungen, Gefährdungen, Störungen und Behinderungen teils verursachen, teils steigern und teils ignorieren und damit mögliche Hilfestellungen verhindern (Bach 1995, 19). Die „Diagnose behindernder Bedingungen“ (Bundschuh 2019, 101–105) wird seit einigen Jahren verstärkt gesehen und erforscht.

Es ist darauf hinzuweisen, dass die angeführten Formen der Beeinträchtigung häufig in Verbindung unterschiedlicher Kombinationen mit wechselseitigem Verstärkungscharakter auftreten und dass zwischen Behinderungen und Störungen, zwischen Störungen und Gefährdungen und zwischen Gefährdungen und Sozialrückständigkeiten fließende Übergänge bestehen können.

Aufgabe des vorliegenden Buches ist es nicht primär, über eine Grundlageninformation hinausgehend, Probleme und Kritik der aufgezeigten „Beeinträchtigungen“ mit der Vielfalt wechselseitiger Bezüge und Verflechtungen zu diskutieren und zu erörtern. Hierzu sei auf kritische Literatur im Bereich Sonderpädagogik verwiesen, die sich mit Detailfragen bezüglich Beeinträchtigungen, Störungen und Behinderungen unter dem Aspekt historischer und gegenwärtiger Problemstellungen auseinandersetzt.

Resümierend ist hervorzuheben, dass es nicht nur zum Gegenstandsbereich sonderpädagogischer Diagnostik gehören kann, besondere Strategien der Diagnose in Anlehnung an verschiedene Arten und Schweregrade vorkommender Beeinträchtigungen zu entwickeln, vielmehr wird der Schwerpunkt auf der differenzierten und individuellen Diagnose der kindlichen Problematik und der Bedürfnisse (Bundschuh 2010, 169–178; 2019, 32–42)unter Einbezug des Umfeldes im Sinne des Helfens, Förderns, Kompensierens und des Lernens liegen. Demnach wird die sonderpädagogische Diagnostik in flexibler, dynamischer und differenzierter Weise aktiv werden im Rahmen einer Erziehung unter „erschwerten Bedingungen“ bei vorliegender Behinderung, im Rahmen einer „Fördererziehung“ bei vorliegender Störung, im Rahmen einer „Vorsorgeerziehung“ bei Gefährdung und im Rahmen der „Gesellschaftserziehung“ bei vorliegender Sozialrückständigkeit mit dem Schwerpunkt der Analyse behindernder Bedingungen im Umfeld des Kindes unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Bedingungen.

Aufgrund dieser weiten Aufgabenbereiche kann es nicht genügen, wenn der im Bereich der Sonderpädagogik tätig werdende Diagnostiker nur psychologisch-diagnostisch „in Aktion tritt“ oder handelt, er muss vielmehr zuerst auch als pädagogischer und didaktischer Fachmann ausgewiesen sein (Bundschuh 2008, 232–241), d. h. es geht um die Vermittlung zwischen Lernausgangslage und Lernen bzw. Lernfortschritt.

Zusammenfassend gesehen umfasst das sonder- und heilpädagogische Arbeitsfeld unter Berücksichtigung institutioneller Entscheidungsbereiche primär die folgenden Personengruppen:

1. Kinder, die in früher Kindheit und im vorschulischen Alter als auffällig, teilweise auch als „entwicklungsverzögert“ bezeichnet werden. Pädagogisch relevante Stichworte sind „Früherkennung“, „Früherfassung“ und „Frühbetreuung“, wobei in diesem Zusammenhang auf die ungelöste Problematik der frühen Erkennung bzw. Diagnose und Förderung hinzuweisen ist, d. h. Behinderungen können auch durch Diagnosen erzeugt werden (Bundschuh 2008, 314, 326 ff.).

2. Kinder, die bei der Einschulung individuellen sonderpädagogischen Förderbedarf aufweisen wie z. B. bei offensichtlichen geistigen, sozialen, emotionalen oder körperlichen Beeinträchtigungen.

3. Kinder, die in der Regelschule auffällig werden infolge partiellen oder auch generellen Nichtleistenkönnens (Leistungs- und Schulversagen im Hinblick auf den vorgegebenen Lehrplan, an sich ein „Versagen“ der Schule) in Unterrichtsfächern, wobei keinesfalls gesagt ist, dass diese Kinder in eine „besondere Schule“ / Förderschule aufgenommen werden müssen. Andere Möglichkeiten spezieller Hilfe und Förderung wären unterrichtliche Maßnahmen, Änderung der Einstellung von Eltern und Lehrern gegenüber dem Kind, Überweisung an eine Erziehungsberatungsstelle, therapeutische Maßnahmen. Optimal wären wohl Förder- und Stützmaßnahmen durch Regel- und Sonder- bzw. Förderschullehrer in der Grund- und Hauptschule nach einem gemeinsam erstellten Förder- und Therapieplan.

4. Kinder, die aufgrund ihres Verhaltens in der Regelschule „als nicht mehr tragbar“ gelten. Zu denken wäre dabei an erziehungsschwierige oder verhaltensgestörte Kinder.

5. Kinder, die irgendwelche die Lernleistung und das Sozialverhalten beeinträchtigende Sinnesschädigungen aufweisen (Hör- und Sehstörungen bzw. -behinderungen);

6. körperbehinderte oder hinsichtlich ihrer Motorik beeinträchtigte Kinder;

7. sprachgestörte und -behinderte Kinder;

8. beeinträchtigte Schüler, die vor der Berufswahl stehen. Ihnen sollte bei der Berufsfindung und -ausbildung geholfen werden.

9. Allgemein gesehen Kinder, Jugendliche und Eltern, die sich im Rahmen von Erziehung und Unterricht (Lernen) in einer Problemsituation befinden, vielleicht unter behindernden Bedingungen wie z. B. Armut leben, individuelle Beratung, Hilfe und Unterstützung in Erziehungs- und Lernfragen suchen.

Diagnostik von Behinderung hängt auch von Rahmenbedingungen (auch Langfeldt 2006, 626 ff.) ab, nämlich davon, was man unter „Behinderung“ verstehen möchte. Der Deutsche Bildungsrat (1973, 32) definierte: „Als behindert im erziehungswissenschaftlichen Sinne gelten alle Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen, die in ihrem Lernen, im sozialen Verhalten, in der sprachlichen Kommunikation oder in den psychomotorischen Fähigkeiten soweit beeinträchtigt sind, dass ihre Teilhabe am Leben der Gesellschaft wesentlich erschwert ist. Deshalb bedürfen sie besonderer pädagogischer Förderung.“

Es ist sehr fraglich, ob diese Definition in Zeiten des Bemühens um Integration und Inklusion noch eine Gültigkeit hat. Diese Definition weist auf zweierlei hin:

– Nicht ein funktionales Defizit macht die Behinderung aus, sondern die Einschränkung, die sich daraus für die gesellschaftliche Integration ergibt.

– Es besteht eine uneingeschränkte ethische Pflicht zur Förderung.

Die ICF (Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit) hingegen konzentriert sich weniger auf ein medizinisches Verständnis von Behinderung und Defekten als die traditionelle Beschreibung von Behinderung, sondern berücksichtigt deren soziale Konstruktion. Die der ICF zugrunde liegenden, in Wechselwirkung stehenden Komponenten „Körperfunktionen und –strukturen“, „Aktivitäten und Partizipation“, „Umweltfaktoren und personenbezogene Faktoren“ (Hollenweger / Kraus de Camago 2013, 36 ff.) ermöglichen die Verwendung sowohl positiver wie negativer Begriffe und setzen damit auch deutliche ressourcen- und kompetenzorientierte Akzente. Darüber hinaus werten Göttgens und Schröder (2014, 36) die ICF als „Schlüssel für eine gelingende interdisziplinäre Zusammenarbeit, da das Klassifikationssystem eine gemeinsame Sprache für die am förderdiagnostischen Prozess beteiligten Professionen ermöglicht“.

Tab. 1: Anzahl der schulpflichtigen Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf in der Bundesrepublik im Jahr 2002


AnzahlProzent
schulpflichtige Schüler der Klassen 1 bis 10 insgesamt8.941.561100,000
darunter Behinderte mit Förderschwerpunkt:
Lernen (Lernbehinderte)262.3892,934
Sehen (Sehbehinderte und Blinde)6.6130,074
Hören (Schwerhörige und Gehörlose)14.5180,162
Sprache (Sprachbehinderte)44.8910,502
Körperliche und motorische Entwicklung (Körperbehinderte)26.4830,296
Geistige Entwicklung (Geistigbehinderte)70.4510,788
Emotionale und soziale Entwicklung (Verhaltensgestörte)41.0120,459
Förderschwerpunkt übergreifend bzw. ohne Zuordnung19.2950,216
Kranke9.5920,107
Behinderte insgesamt495.2445,539

Pragmatisch lässt sich festhalten, dass Kinder, die dem Bildungsgang der Regelschule (Grund- und / oder Hauptschule) nicht zu folgen vermögen, als „behindert“ gelten und deshalb in besonderer Weise gefördert werden müssen. Sie stellen einen Teil der Klientel der sonderpädagogischen Diagnostik dar, deren Umfang gegenwärtig fast eine halbe Million Schüler betrifft (Tab. 1). Jährlich werden schätzungsweise 50.000 Kinder und Jugendliche diagnostiziert und begutachtet. Nimmt man allerdings den Präventionsbereich und die damit verbundene wichtige Aufgabe des Lern- und Leistungsbereiches mit hinzu, dürfte sich die Zahl der zu untersuchenden Kinder wohl eher verdoppeln.

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9783846352861
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