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3.6 Verfahrensbrief (Process Letter)

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Im engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Informationsmemorandum erhalten die Bieter einen ersten Verfahrensbrief (Process Letter I). Darin wird der zeitliche Ablauf des Auktionsverfahrens bis zum indikativen Angebot einschließlich einzuhaltender Regeln und Fristen beschrieben und es wird den Bietern aufgegeben, welche Angaben das indikative Angebot enthalten muss (typischerweise sind dies der indikative Kaufpreis, seine Ableitung aus dem indikativen Enterprise Value,279 die strategischen Pläne des Bieters für die Zielgesellschaft, vom Bieter etwa erwartete weitere Vollzugsvoraussetzungen und Angaben zur Finanzierung der Transaktion280).

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Ab einer gewissen Transaktionsgröße ist es üblich, in einem zweiten Verfahrensbrief (Process Letter II) der kleinen Anzahl von Bietern, denen Zugang zum Datenraum gewährt wird, den Ablauf des Verfahrens und die einzuhaltenden Regeln (einschließlich gesonderter Datenraumbenutzungsregeln) und Fristen bis zur fristgemäßen Abgabe des sog. bindenden Angebots (Binding Offer) zu beschreiben. Erwartet der Verkäufer den Abschluss einer W&I-Versicherung,281 wird er den Bietern die von ihm eingeholten Angebote der W&I-Versicherer mit dem Process Letter II übersenden und von den Bietern verlangen, dass diese in ihrer Binding Offer bestätigen, eine Käuferpolice abzuschließen.282

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Juristisch bindend sind diese „bindenden“ Angebote regelmäßig nicht, wenngleich dies im Einzelfall auch ausnahmsweise anders sein kann (beim Verkauf von GmbH-Anteilen muss das ausnahmsweise auch juristisch bindende Angebot dann auch notariell beurkundet sein283). Das sog. bindende Angebot muss in der Regel den angebotenen Kaufpreis und seine Ableitung aus dem Enterprise Value enthalten. Darüber hinaus erwartet der Verkäufer regelmäßig Angaben dazu, ob und welche kartellbehördlichen Genehmigungen nach Einschätzung des Bieters zum Vollzug vorliegen müssen und ob es weitere regulatorische Genehmigungserfordernisse (etwa bei Banken und Versicherungen im Rahmen der Inhaberkontrolle durch die BaFin oder, bei unionsfremden Käufern, solche nach dem Außenwirtschaftsrecht) gibt. Schließlich hat der Bieter üblicherweise den vom Verkäufer vorgeschlagenen Entwurf des Unternehmenskaufvertrags (und manchmal auch die vom Verkäufer vorgelegten Entwürfe wesentlicher Begleitverträge, etwa Vertriebskooperationsverträge oder Service-Verträge) in überarbeiteter Fassung als Mark-Up dem bindenden Angebot beizufügen. Dem kann in geeigneten Fällen ein Telefonat zwischen Verkäufer und Bieter (und den jeweiligen anwaltlichen Beratern) vorangehen, in dem der Verkäufer den Kaufvertragsentwurf und die Bedeutung bestimmter Regelungen für die Verkäuferseite erläutert.

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Typisch für die Verfahrensbriefe sind ausdrückliche Vorbehalte des Verkäufers dahingehend, die von ihm beschriebenen Regeln des Auktionsverfahrens jederzeit einseitig ändern zu können. Solche Änderungsvorbehalte beziehen sich insbesondere darauf, (i) ohne Angabe von Gründen Fristen verkürzen oder verlängern zu dürfen, (ii) neue Bieter in das Verfahren aufnehmen und umgekehrt Bieter daraus ausschließen zu dürfen, (iii) nach Belieben des Verkäufers darüber zu entscheiden, mit welchem/welchen Bietern er verhandelt, (iv) die Verhandlungen auszusetzen oder abzubrechen und (v) frei darüber entscheiden zu dürfen, welche Informationen er (welchen Bietern) zur Verfügung stellt.284 Veröffentlichte Rechtsprechung dazu, ob solche Änderungsvorbehalte wirksam sind, ist nicht ersichtlich. Nach wohl vorherrschender Meinung liegt dann eine unangemessene Benachteiligung der Bieter nach § 307 BGB vor, wenn diese Regelungen in den Verfahrensbriefen als AGB qualifizieren und die Änderungsvorbehalte auch ohne sachlichen Grund (in Gestalt unvorhersehbarer Änderungen der Zielgesellschaft oder des Marktumfeldes) eine einseitige Änderung des Verfahrensablaufs erlauben. Zudem müssten sämtliche Bieter von der Änderung des Verfahrens informiert werden, damit alle Bieter darauf reagieren können und nicht versehentlich z.B. wegen Ablaufs einer verkürzten Frist aus dem Verfahren ausscheiden.285 AGB-Qualität dürften diese Regelungen in den Verfahrensbriefen angesichts der strengen allgemeinen Maßstäbe der Rechtsprechung zu AGB286 regelmäßig haben, da alle und regelmäßig eine Vielzahl von Bietern den Verfahrensbrief erhalten.287 Allerdings sind die Bieter nicht schutzwürdig und es liegt keine unangemessene Benachteiligung vor. Denn der Verkäufer verhindert durch den Änderungsvorbehalt von vornherein das Entstehen schutzwürdigen Vertrauens.288 Folgt man der wohl vorherrschenden Meinung, käme bei freien Änderungsvorbehalten eine geltungserhaltende Reduktion (da AGB) nicht in Betracht. Will man vorsorglich den Änderungsvorbehalt so formulieren, dass er auch den Anforderungen der herrschenden Meinung genügt, ist die Verfahrensänderung an einen sachlichen Grund zu knüpfen. Vorbehalte, die Bieter hinsichtlich ihrer Information unterschiedlich behandeln zu dürfen, begegnen keinen Bedenken. Es gibt keine gesetzliche Grundlage, die das Informationsverhalten des Verkäufers entsprechend beschränken könnte.289 Selbst wenn dies anders wäre, käme eine Haftung des Verkäufers wegen unterschiedlicher Information nach den §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB nicht in Betracht. Denn ein Bieter konnte wegen des ausdrücklichen Vorbehalts kein entsprechendes Vertrauen, das Grundlage einer solchen Haftung sein müsste, entwickeln.290

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Bei einem Dual Track kann es empfehlenswert sein, zusätzlich zu dem gerade beschriebenen Änderungsvorbehalt den ausdrücklichen Vorbehalt aufzunehmen, dass der Verkäufer den Prozess jederzeit ohne Angabe von Gründen abbrechen kann und keine Verpflichtung besteht, das höchste von Bietern eingereichte Angebot anzunehmen.291 Dadurch kann bei einem Bieter schon kein schutzwürdiges Vertrauen entstehen und er wird nicht unangemessen benachteiligt, sodass ein solcher Vorbehalt nach der hier vertretenen Auffassung wirksam ist. Möchte man vorsichtiger beraten, sollte der Vorbehalt an einen sachlichen Grund, hier den des alternativ durchgeführten IPOs, anknüpfen.

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Empfehlenswert können zudem Vorbehalte sein, den Bieter auszuschließen, wenn er ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verkäufers ein Bieterkonsortium begründet hat oder eine exklusive Bindung mit Finanzierungspartnern eingegangen ist.292

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Schließlich enthalten Verfahrensbriefe regelmäßig Hinweise darauf, dass sie keine Verkaufsangebote darstellen (der Verkäufer also insbesondere nicht verkaufen muss), Bestimmungen des anwendbaren Rechts und eine Gerichtsstandsklausel.

279 Dazu unten Rn. 768ff. 280 Rosengarten, in: Meyer-Sparenberg/Jäckle, Beck’sches M&A-Handbuch, § 3 Rn. 16. 281 Dazu unten Rn. 1181. 282 Hensel/Namislo, BB 2018, 1476. Weitere Einzelheiten zum Ablauf des Abschlusses einer W&I-Versicherung (auch im Kontext von Bieterverfahren) unten Rn. 1193ff. 283 Dazu Rosengarten, in: Meyer-Sparenberg/Jäckle, Beck’sches M&A-Handbuch, § 3 Rn. 16. 284 Vgl. Louven/Böckmann, ZIP 2004,445, 450; Schöne/Uhlendorf, in: Mehrbrey, Handbuch Streitigkeiten beim Unternehmenskauf, § 7 Rn. 18ff. 285 Vgl. Schöne/Uhlendorf, in: Mehrbrey, Handbuch Streitigkeiten beim Unternehmenskauf, § 7 Rn. 23 m.w.N.; Haberstock, in: Holzapfel/Pöllath, Unternehmenskauf in Recht und Praxis, Rn. 1345f.; Habersack/Schürnbrand, in: FS Canaris, S. 359, 366f. 286 Dazu Grüneberg, in: Palandt, BGB, 80. Aufl. 2021, § 305 BGB Rn. 2ff. 287 Habersack/Schürnbrand, in: FS Canaris, S. 359, 366f. 288 So schon Louven/Böckmann, ZIP 2004, 445, 450; a.A. und einen sachlichen Grund fordernd: Haberstock, in: Holzapfel/Pöllath, Unternehmenskauf in Recht und Praxis, Rn. 1345f.; Habersack/Schürnbrand, in: FS Canaris, S. 359, 366f. 289 Schöne/Uhlendorf, in: Mehrbrey, Handbuch Streitigkeiten beim Unternehmenskauf, § 7 Rn. 27 m.w.N. 290 Schöne/Uhlendorf, in: Mehrbrey, Handbuch Streitigkeiten beim Unternehmenskauf, § 7 Rn. 27 m.w.N. 291 So die Empfehlung von Schneider/Lung, in: Jesch/Striegel/Boxberger, Rechtshandbuch Private Equity, § 21 Rn. 62. 292 Dazu im Kontext von Vertraulichkeitsvereinbarungen oben Rn. 107.

3.7 Due Diligence

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Diejenigen Bieter, die ein indikatives Angebot abgegeben haben und danach vom Verkäufer für die Teilnahme an der nächsten Phase des Auktionsverfahrens zugelassen worden sind, bekommen die Möglichkeit, eine Due Diligence durchzuführen. Bei bilateralen Verhandlungen (One-on-One) wird der Kaufinteressent wegen der damit verbundenen Kosten oft versuchen, vor Beginn seiner Due Diligence mit dem Verkäufer eine zeitlich begrenzte Exklusivität zu vereinbaren.

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Begleitet wird die Due Diligence regelmäßig von Expertengesprächen (Expert Sessions), einer Managementpräsentation (Management Presentation) und – branchen- und einzelfallabhängig – Standortbesichtigungen (Site Visits).

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Der Begriff der „Due Diligence“ entstammt der US-amerikanischen Transaktionspraxis und steht für eine qualifizierte Untersuchung der Zielgesellschaft durch den Bieter bzw. Kaufinteressenten.293 Der Bieter bzw. Erwerbsinteressent macht sich ein möglichst umfassendes Bild insbesondere der wirtschaftlichen, finanziellen, rechtlichen und steuerrechtlichen Situation der Zielgesellschaft, um auf dieser Grundlage eine Kaufentscheidung zu treffen.294 Waren traditionelle Due Diligence-Prüfungen auf aus der Vergangenheit stammende Risiken gerichtet, geht das moderne Due Diligence-Verständnis darüber hinaus und schließt die Eignung der Zielgesellschaft für die Integration in die Erwerbergruppe und die mögliche künftige Weiterentwicklung der Zielgesellschaft ein.295 In ihrer – in der Praxis bislang selteneren – Ausprägung als sog. Confirmatory Due Diligence dient sie dazu, entweder (i) kurz vor dem Signing dem Kaufinteressenten oder einem ausgesuchten Bieter Zugang zu ausgewählten, besonders sensiblen Informationen zu geben, um auf dieser Grundlage final über den Abschluss des Kaufvertrags zu entscheiden, (ii) zwischen Signing und Closing dem Käufer Gelegenheit zu geben, Unklarheiten aus der bisherigen Due Diligence bis zum Vollzug zu beseitigen296 oder (iii) nach dem Closing der Transaktion festzustellen, ob die Zielgesellschaft in dem im Unternehmenskaufvertrag vereinbarten Zustand ist oder ob Ansprüche des Käufers wegen Garantieverletzung oder aufgrund einer Freistellung bestehen.297

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Im Jahre 2002 soll die durchschnittliche Dauer einer Due Diligence etwa 16 Tage betragen und Kosten von durchschnittlich 1 % des Kaufpreises verursacht haben.298 Hasenauer/Stingl gingen in 2015 von der Daumenregel aus, dass die gesamten Transaktionskosten jeder Seite in einer Größenordnung von 3 % bis 10 % des Werts der Zielgesellschaft liegen und sich die Kosten der Due Diligence auf 10 % bis 30 % der Transaktionskosten beliefen.299 Die durchschnittliche Länge dürfte sich seitdem durch den Einsatz virtueller Datenräume eher etwas verringert haben. Sie wird freilich letztlich von Umfang und Komplexität der Prüfungen bestimmt. Dies gilt auch für die Kosten, auch sie entziehen sich daher einer abstrakten Schätzung. Sie lassen sich durch geeignete Schwerpunktsetzung300 und durch von Anfang des Prozesses an gut gefüllte und strukturierte Datenräume reduzieren. Insbesondere Letzteres ist in der Praxis leider häufig nicht der Fall.

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Ziele der Due Diligence, die heutzutage ständig geübter Praxis entspricht, sind die Informationsaufnahme durch den Käufer in Bezug auf

 – (i) die Strukturierung der geplanten Transaktion,

 – (ii) die Ermittlung eines aus Sicht des Käufers angemessenen Kaufpreises,

 – (iii) die Gestaltung und Verhandlung des Unternehmenskaufvertrags,

 – (iv) die Beweissicherung (Nachweis, dass bestimmte Informationen nicht offengelegt wurden) und ggf. auch schon

 – (v) die spätere Führung der Geschäfte der Zielgesellschaft301 und ggf. Integration im Konzern des Käufers.

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Im Rahmen der Punkte (ii) und (iii) ist Gegenstand der Due Diligence die Ermittlung der Chancen und Risiken der Zielgesellschaft. Verzahnt werden die Due Diligence-Ergebnisse zu möglichen Risiken im Unternehmenskaufvertrag vor allem durch die Garantien und Freistellungen. Dort, wo der Käufer aufgrund der Due Diligence berechtigterweise den Eindruck haben kann, umfassend mit Informationen ausgestattet worden zu sein, wird er auf besonders engmaschige Garantien302 weniger Wert legen. Dort, wo er konkrete bezifferbare Risiken erkannt hat, wird er sie einpreisen. Dort, wo er konkrete, noch nicht materialisierte und bezifferbare Risiken erkannt hat, wird er – wenn diese Risiken eine gewisse wirtschaftliche Bedeutung haben – die Aufnahme von Freistellungen303 verhandeln wollen.

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Der Verkäufer verfolgt mit der Ermöglichung der Due Diligence insbesondere die Zwecke:

 – (i) den Verkauf durch einen marktgerecht gestalteten Prozess zu ermöglichen und optimale Verkaufsbedingungen zu schaffen,

 – (ii) selbst frühzeitig Chancen und insbesondere Risiken zu erkennen, um so damit im Verkaufsprozess optimal umgehen zu können,

 – (iii) seine gesetzlichen Aufklärungspflichten zu erfüllen (str.),

 – (iv) durch das frühzeitige Erkennen von Chancen und Risiken die Abgabe von Garantien „ins Blaue hinein“, die von der wohl herrschenden Meinung als vorsätzliche Aufklärungspflichtverletzung angesehen werden, zu vermeiden und

 – (v) später nachweisen zu können, welche Informationen er offengelegt hat.

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Ob eine durch den Käufer unterlassene Due Diligence im Sinne des § 442 Abs. 1 BGB per se,304 nur dann, wenn besondere Umstände vorliegen,305 oder gar nicht grobe Fahrlässigkeit begründet,306 ist praktisch kaum relevant, weil in modernen Unternehmenskaufverträgen unter weitestmöglicher Abbedingung (nach § 276 Abs. 3 BGB und § 444 BGB nicht möglich für Vorsatz und Arglist) der gesetzlichen Vorschriften ein eigenes Haftungsregime etabliert wird. Entscheidend ist vielmehr, welche Konsequenzen der Unternehmenskaufvertrag vorsieht.307

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Von dieser möglicherweise bestehenden kaufrechtlichen Obliegenheit des Käufers zu unterscheiden sind die gesellschaftsrechtlichen Fragen, (a) ob die Organe einer deutschen Käufergesellschaft gesellschaftsrechtlich verpflichtet sind, die Entscheidung über den Erwerb eines Unternehmens nur auf Basis einer Due Diligence zu treffen, (b) in welchem Umfang und welcher Tiefe das zu geschehen hat und (c) in welchem Umfang und in welcher Tiefe der Geschäftsleiter308 die Informationen aus der Due Diligence höchstpersönlich aufgenommen haben muss.

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Eine Pflicht, per se eine Due Diligence durchzuführen, ist abzulehnen.309 Vielmehr gelten auch für diese Entscheidung die Grundsätze der Business Judgement Rule. Danach liegt bei einer unternehmerischen Entscheidung eine Pflichtverletzung dann nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft zu handeln (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG). Dafür muss er nach einer vom BGH in ständiger Rechtsprechung entwickelten Formel alle in der konkreten Entscheidungssituation verfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art ausschöpfen und auf dieser Grundlage die bestehenden Handlungsoptionen sorgfältig abschätzen und den erkennbaren Risiken Rechnung tragen.310 Dabei wird dem Vorstand vom BGH allerdings ein dem konkreten Einzelfall angepasster Spielraum zugestanden, den Informationsbedarf zur Vorbereitung seiner unternehmerischen Entscheidung selbst abzuwägen und dabei die Faktoren Zeit, Kosten und Nutzen und die Bedeutung der Entscheidung aus Sicht eines ordentlichen Geschäftsleiters zu berücksichtigen.311 Eine angemessene Informationsgrundlage dürfte regelmäßig nicht vorliegen, wenn gar keine Due Diligence durchgeführt wurde. Das gilt aber nicht absolut. Etwas anderes kann durchaus gelten, wenn im Einzelfall die – sorgfältig zu dokumentierende – Abwägung zwischen Preis, anderen Konditionen, vertraglich begründeten Sicherungsmechanismen312 einerseits und denkbaren Risiken aus der unterlassenen Prüfung313 oder Verdachtsmomenten314 andererseits ausnahmsweise für einen Erwerb ohne vorherige Due Diligence spricht.315 An eine solche Abwägungsentscheidung sind allerdings strenge Anforderungen zu stellen. Auch eigene anderweitige Sachkenntnisse der Organmitglieder können ausnahmsweise ausreichen und eine Due Diligence ausnahmsweise entbehrlich erscheinen lassen.316 Ob Eilentscheidungen ohne vorherige Due Diligence möglich bleiben müssen,317 erscheint fraglich. Selbst bei größter Eile, die bei einem Vorgang wie einem Unternehmenskauf denkbar erscheint, dürfte zumindest eine eingeschränkte Due Diligence auf Basis öffentlich verfügbarer Informationen (sog. Desk-Top-Review oder Outside-In-Review) möglich und gesellschaftsrechtlich erforderlich sein. Dies ist letztlich aber eine Frage des Einzelfalles.

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Hinsichtlich des Umfangs und der Tiefe der Due Diligence sind die Entscheidungsspielräume deutlich größer. Nach der ständigen BGH-Formel zur Business Judgement Rule sind zwar „alle verfügbaren Informationen“ heranzuziehen. Allerdings bezieht sich dies auf die in der konkreten Entscheidungssituation verfügbaren Informationen. Dies wird man dahingehend interpretieren können, dass die Informationen ausreichen, die angesichts der konkreten Entscheidungssituation, namentlich der Tragweite und der Eilbedürftigkeit als angemessen erscheinen können.318 Strategische Käufer mit einschlägigen tiefen Branchen- und Marktkenntnissen kommen (etwa im Vergleich zu Finanzinvestoren, die weniger tiefe Branchen- und Marktkenntnisse durch Garantien des Managements der Zielgesellschaft kompensieren)319 oft mit weniger umfangreichen und weniger tiefen Due Diligence-Prüfungen aus.320 Ist ein Erwerb aus der Insolvenz geplant, bei der der Insolvenzverwalter als Verkäufer regelmäßig nur vertraglichen Mindestschutz bietet, ist regelmäßig eine intensivere Due Diligence geboten.321 Gibt es objektive Gründe für besondere Eile und einen straffen Zeitplan, rechtfertigt dies eine bewusste Hinnahme von Informationslücken auch im Rahmen einer Due Diligence.322 Was das im konkreten Fall bedeutet, bedarf genauer Analyse im Einzelfall. Als Daumenregel wird man sagen können: Je problematischer und komplexer die Zielgesellschaft und je bedeutender die Transaktion für die Käufergesellschaft ist, desto höher sind die Anforderungen an die Due Diligence. Je stärker der Umfang der für die Due Diligence offengelegten Informationen hinter dem Üblichen zurückfällt, desto größer ist die Anforderung an die Dokumentation der Entscheidung, dennoch zu erwerben.323

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Die so in der Due Diligence gewonnenen Informationen muss der Vorstand zumindest in Form von schriftlichen und mündlichen Zusammenfassungen aufnehmen, also zur Kenntnis nehmen und zum Bestandteil seiner Entscheidung machen. Zudem muss ihm möglich sein, im Bedarfsfall unmittelbare Informationsquellen wie Due Diligence-Berichte oder den jüngsten Entwurf des Unternehmenskaufvertrags zu lesen und Experten zu befragen.324 Mit zunehmender Bedeutung der Transaktion für die Käufergesellschaft wächst die Granularität, mit der der Vorstand Informationsquellen selbst studieren muss. So kann bei besonders wichtigen und großen Transaktionen ausnahmsweise erforderlich werden, dass der Vorstand Due Diligence-Berichte und andere Transaktionsdokumente selbst vollumfänglich aufnimmt.325

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Für Geschäftsführer einer GmbH gilt Entsprechendes.326

3.7.1 Ablauf

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Während in bilateralen Verhandlungen der Due Diligence-Prozess oft damit beginnt, dass der Kaufinteressent dem Verkäufer Due Diligence-Fragebögen (Questionnaires) schickt und ihn bittet, auf dieser Basis einen Datenraum zu bestücken,327 bereitet der Verkäufer bei Auktionsverfahren schon im Vorfeld einen Datenraum vor (regelmäßig ebenfalls auf Grundlage von bewährten Fragebögen) und gewährt dann nach Auswahl der zugelassenen Bieter diesen, nachdem sie sog. Datenraumregeln (Data Room Procedures) als für sich bindend akzeptiert haben, einen zeitlich befristeten Zugang dazu.

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Datenräume werden heute vereinzelt physisch (also mit ausgedruckten Dokumenten, die in Ordnern nach sachlichen Kriterien zusammengestellt sind und in einem dafür vorgesehen Datenraum zur Prüfung zur Verfügung gestellt werden), regelmäßig IT-basiert zur Verfügung gestellt (Virtual Data Room, VDR). IT-basiert bedeutet, dass die offenzulegenden Unterlagen eingescannt und in den virtuellen Datenraum des Datenraumproviders hochgeladen werden. Das ist insbesondere für den Käufer und seine Berater effizienter, weil unnötiger Reiseaufwand (der insbesondere bei grenzüberschreitenden Transaktionen erheblich sein kann) entfällt. Dem Verkäufer ermöglicht ein elektronischer Datenraum Kontrolle darüber, wie intensiv die jeweiligen Bieter und ihre Berater sich die offengelegten Informationen angesehen haben. Denn der Datenraummanager kann regelmäßig die Aktivitäten einzelner Nutzer überwachen, sich Auswertungen darüber erstellen lassen, welcher Nutzer zu welchen Zeiten im Datenraum angemeldet war und welche Dokumente geöffnet wurden.328 Auch kann der Verkäufer spezifische Zugangsrechte vergeben und den Zugriff auf bestimmte Dokumente nur ausgewählten Nutzern gewähren.329 Die Möglichkeit, Dokumente auszudrucken oder anderenorts abzuspeichern, wird regelmäßig technisch ausgeschlossen. Das schließt aber das Risiko von unbefugten Screenshots nicht aus. Schließlich erleichtert ein virtueller Datenraum dem Verkäufer den Nachweis, wann er im Laufe des Due Diligence-Prozesses welche neuen Dokumente eingestellt und wann er den Käufer darüber unterrichtet hat.

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Nicht selten werden sensible Informationen auch in einem gesonderten physischen Datenraum mit gesonderter Zugangsregelung (etwa nur an Mitglieder eines Clean Teams330) ausgelagert (Red Data Room).

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Neben einer Analyse der im Datenraum enthaltenen Informationen sollte der Käufer, soweit möglich, auch die öffentlich zugänglichen Quellen nutzen, um von sich aus die öffentlich verfügbaren Informationen einzuholen und auszuwerten331 (sog. Desk-Top-Review). Ergiebige Quellen für eine solche Analyse sind neben den üblichen Suchmaschinen:

 – das Handelsregister (kostenpflichtige Auszüge sind unter www.handelsregister.de erhältlich),

 – das in § 8b HGB geregelte Unternehmensregister, in dem über das Internet unter www.unternehmensregister.de die in § 8b Abs. 2 HGB aufgeführten Informationen zugänglich sind, wozu auch Jahresabschlüsse solcher Gesellschaften zählen, die nach §§ 326ff. HGB Offenlegungspflichten unterliegen,

 – das Register des Deutschen Patent- und Markenamtes (http://register.dpma.de/DPMAregister/Uebersicht),

 – das Register des Europäischen Patentamts; unter dem Link https://register.epo.org/regviewer?lng=dekönnen EU-Patentanmeldungen und diesbezügliche Patentfamilien gesucht werden; unter dem Link https://www.tmdn.org/giview/können geographische Herkunftsangaben gesucht werden, unter dem Link https://www.tmdn.org/tmview/#/tmview Marken in der EU.

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Insbesondere für die Auswertung standardisierter Verträge (z.B. Mietverträge bei einem Immobilienportfolio332) nach bestimmten Kriterien (wie Laufzeit oder Kündigungsrechten bei Kontrollwechsel) steht inzwischen auch spezielle Software zur Verfügung, die darauf spezialisierte Anbieter entgeltlich zur Verfügung stellen. Die Kriterien werden, je nach Informationsextraktionsprogramm, entweder vom Nutzer zu Beginn vorgegeben und während der Auswertung präzisiert und ergänzt (so etwa bei Kira333). Bei solchen Programmen „trainiert“ also der Nutzer die Algorithmen der Software. Das daraus gewonnene Know-how verbleibt beim Nutzer. Bei anderen Programmen sind die Extraktionskriterien fest definiert und standardisiert (z.B. Leverton im Hinblick auf Mietverträge334). Solche Programme nutzen regelmäßig die Projekte der Kundengruppen zur Verbesserung der Algorithmen des Tools für alle Nutzer.335 Über die bloße Informationsextraktion hinaus ermöglichen einige Anbieter auch, wesentliche Vertragsparameter tabellarisch zusammenzufassen.336 Spezielle Software wird inzwischen auch für die automatisierte Schwärzung von Datenraumunterlagen angeboten. Derartige Software scheint schon heute grundsätzlich zuverlässige Ergebnisse zu liefern. Rechtliche Analysen und Bewertungen leisten derartige Programme (noch) nicht. Sie sollen für den Käufer und seine Berater die Effizienz der Prüfung steigern. Dies dürfte in der Praxis nicht zuletzt von der Vergütung für die Nutzung dieser Software abhängen. Hier bleibt die weitere Entwicklung des Einsatzes von LegalTech abzuwarten.337

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