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Die erste Verfassungsperiode

Eine verheerende Hungersnot in Folge von anhaltender Dürre und dem Ausfall von Ernte in Anatolien und den arabischen Provinzen, sowie die große internationale Finanzkrise, die das von ausländischen Krediten stark abhängige Osmanische Reich besonders schwer traf, veranlassten die Regierung dazu, die im Osten des Reiches entstandenen Verluste durch die Anhebung der Steuern in den Balkanprovinzen zu kompensieren. Es kam zu mehreren Aufständen in den europäischen Provinzen des Reiches, die blutig niedergeschlagen wurden.

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Die osmanischen Truppen gingen in Serbien und Bulgarien besonders brutal gegen die Aufständischen vor. Während des bulgarischen Aufstandes kam es in der Stadt Batak zu einem Massaker osmanischer Einheiten an der Zivilbevölkerung.

Das brutale Vorgehen der osmanischen Einheiten und insbesondere das Massaker von Batak empörten die europäische Öffentlichkeit, es kam zu Protesten. Russland verfolgte eine pan-slawische Politik und nahm verstärkt die Rolle einer Schutzmacht der auf dem Balkan lebenden Slawen und orthodoxen Christen wahr.

Der Druck auf die osmanische Regierung, die Lage der Nationen auf dem Balkan zu verbessern, wuchs. Russland drohte sogar mit Krieg, für den Fall, dass das Osmanische Reich keine weiteren Reformen durchführen würde, die den Status der slawischen Christen auf dem Balkan verbessern würden. Die europäischen Großmächte befassten sich mit der Frage der Unabhängigkeit Bulgariens und der übrigen Balkanprovinzen. Es wurde diesbezüglich eine Konferenz in Istanbul einberufen, die allerdings durch die osmanischen Verantwortlichen torpediert wurde.

Vor diesem Hintergrund sollte die Einführung einer Verfassungsordnung und eines osmanischen Parlaments den Forderungen der europäischen Großmächte nach mehr Freiheit und Rechtsstaatlichkeit entgegenkommen und sollte vor allem eine drohende Intervention abwenden. Schließlich sollten eine Verfassung und eine parlamentarische Vertretung den Wandel des Reiches in einen Rechtsstaat mit Normen, die für alle Bürger, unabhängig von ihrer Herkunft oder Religion gültig sind, bestätigen bzw. garantieren.

Auch innenpolitisch kam Sultan Abdülmecit I. immer mehr unter Druck. Die Jungosmanen hatten mit dem Tod Mehmet Ali Emin Paschas an Einfluss gewinnen können. Ihre Forderungen nach Konstitutionalismus und Parlamentarismus wurden auch von den europäischen Großmächten unterstützt.

Sultan Abdülmecit I. wurde schließlich durch einen Putsch durch die Konstitutionalisten abgesetzt und statt ihm sein Sohn als Sultan Murat V. eingesetzt. Allerdings erwies sich recht bald, dass Murat V. psychisch nicht dem Druck, der auf ihm lastete, Stand halten konnte. Er wurde nach nur wenigen Monaten durch seinen Bruder Abdülhamid II. ersetzt.

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Abdülhamid sollte mehr als 30 Jahre (1876 –1909) über das Reich herrschen.

Im Dezember des Jahres 1876 rief Abdülhamid II. die erste Verfassung des Osmanischen Reiches aus. Dies leitete die sogenannte erste konstitutionelle Periode der türkischen Geschichte ein. Die Verfassung orientierte sich an der belgischen Verfassung aus dem Jahre 1831.11 Auch das erste osmanische Parlament wurde gegründet. Dieses Parlament wurde nach dem Vorbild westeuropäischer Staaten in zwei Kammern unterteilt: Die gewählte Kammer, das Meclis-i Mebusan, sowie das durch den Sultan ernannte Oberhaus, das Ayan Meclisi. Die ersten Mitglieder des Parlaments wurden vorübergehend aus den Verwaltungsräten der einzelnen Provinzen und Bezirke gewählt. Provinzen, die zwar formal unter osmanischer Hoheit standen, de facto aber eigenständig agierten und sich dem Reich wenig bis gar nicht verpflichtet fühlten, wie z. B. Serbien, Ägypten, Tunesien oder Montenegro, entsandten nicht einmal Abgeordnete. Dennoch beherbergte das erste osmanische Parlament nicht nur eine Vielzahl unterschiedlicher ethnischer Nationalitäten, sondern auch viele nicht-muslimische Abgeordnete und spiegelte somit die ethnische und religiöse Vielfalt des Reiches wider.

Das Parlament war in seinen Möglichkeiten allerdings stark eingeschränkt. Die Verfassung räumte dem Parlament keinerlei Kontrollrechte gegenüber der Regierung ein, auch die Autorität des Sultans blieb weitgehend gewahrt. Die Verfassung hatte kaum seine Herrschaftsrechte beschränkt. Er konnte weiterhin nach Belieben das Parlament auflösen und Neuwahlen ausrufen. Auch das Recht, den Großwesir, also den Kopf seiner Regierung, oder aber auch einzelne Minister nach Belieben ein- bzw. abzusetzen, blieb gewahrt. Damit bedeutete zwar die Einführung des Parlamentarismus eine Öffnung des politischen Systems und die Miteinbeziehung einer breiteren Elite, in vielen Bereichen blieb diese Öffnung aber nur formal. Dennoch ist festzuhalten, dass der Übergang

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zu einer Verfassungsordnung und zu einem, wenn auch beschränktem, parlamentarischen System einen weiteren wichtigen Schritt in Richtung Modernisierung bedeutete bzw. der Annäherung an europäische Normen und Werte gleichkam.

Die Lebensdauer des ersten osmanischen Parlaments war nur sehr kurz. Nur ein Jahr nach der seiner ersten Konstituierung wurde das Parlament 1878 wieder durch den Sultan aufgelöst. Sultan Abdülhamid hatte der russisch-türkische Krieg 1877/1878 bei dem das Reich weitere große Gebietsverluste in den Balkanprovinzen hinnehmen musste, als Vorwand gedient.12

Der Parlamentarismus war nie im Interesse des Sultans gestanden, vielmehr hatte der Sultan gehofft, durch die Gründung eines Parlaments und die Ausrufung einer Verfassung vor allem den Forderungen der europäischen Großmächte entgegenzukommen und dadurch militärischen Interventionen vorzubeugen. Der Krieg und die schmerzlichen Gebietsverluste schienen Abdülhamid zu beweisen, dass nicht Liberalismus und

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Parlamentarismus die Lösung waren. Er sollte für die nächsten 30 Jahre die Verfassung aussetzen und das Parlament suspendieren.

Die hamidische Ära (1878 –1908)

Aus Sicht der Eliten der islamischen Welt war das 19. Jahrhundert durch militärische Niederlagen, territorialen Rückzug, wirtschaftliche Unterlegenheit, kulturellen Abbau und politische Unterwerfung geprägt. Die Invasion Napoleons in Ägypten 1798 hatte die Schwäche des Reiches noch einmal offen gelegt und die Ära des direkten Kolonialismus über muslimische Gesellschaften eingeleitet. In den folgenden Jahren waren Muslime quer über den Globus, in Europa sowie auch in islamischen Kernregionen wie dem Nahen Osten, Zentral­asien, Indien und im fernen Indonesien, unter europäische Fremdherrschaft gelangt.

Die Frage, wie die islamische Welt, bzw. das Osmanische Reich als größter und bedeutendster unter den islamischen Staaten, zu retten sei, beherrschte die Gedanken von Herrschern, Intellektuellen und Bürokraten.

Für viele Muslime hatten die Reformen keine Verbesserungen mit sich gebracht, sondern vielmehr dazu geführt, dass die europäischen Großmächte nun noch mehr politischen und wirtschaftlichen Einfluss ausüben konnten. Vor allem die rechtliche Gleichstellung von Muslimen und Nicht-Muslimen hatte zu großem Unmut unter der muslimischen Bevölkerung geführt. Viele Muslime betrachteten diesen Schritt und seine Folgen als eine einschneidende Abweichung von der islamischen Staatstradition und vom Prinzip der millet-i hakime, der Vorherrschaft der Muslime in einem muslimischen Staat. Der im Zuge der wirtschaftlichen Öffnung des Reiches gewachsene Wohlstand der Handelsbourgeoisie, die sich fast ausschließlich aus Angehörigen nicht-muslimischer Minderheiten zusammensetze, verstärkte die Spannungen zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen noch weiter.

Mit Abdülhamid II., der 1876 mit der Ausrufung des Konstitu­tionalismus quasi den Höhepunkt der liberalen Politik einleitete, war kein liberaler Reformer auf den Thron gekommen. Vielmehr fand der Sultan nur ein Jahr nach der Ausrufung des Konstitutionalismus im

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russisch-türkischen Krieg einen willkommenen Vorwand, um eine Politik einzuleiten, die statt auf liberale Reformkonzepte auf die isla­mische Religion als Ideologie, Traditionalisten als Verbündete und einen absolutistischen Zentralismus als System aufbaute. (Vgl. McDowall, 2009: 57) Die hamidische Ära (1878 –1908), die auf die Abschaffung des Parlamentarismus und Kon­stitutionalismus folgte, kann als Periode des Neo-Absolutismus bezeichnet werden. In dieser Zeit wanderte das Machtzentrum wieder zurück in den Palast. Der Sultan regierte absolut, jegliche Opposition wurde unterdrückt, das Pressewesen kontrolliert. Abdülhamid II. verfolgte bei gleichzeitiger Fortsetzung des Modernisierungsprozesses eine konservative Politik. Anstatt eines osmanischen Patriotismus baute Abdülhamid auf einen Panislamismus unter der Führung der osmanischen Dynastie. Unter seiner Regierung verschlechterte sich die Lage der christlichen Untertanen des Reiches. Er brachte ihnen, da sie immer wieder den europäischen Großmächten als Vorwand zu Interventionen gedient hatten, eine große Skepsis entgegen bzw. misstraute er ihnen. Sultan Abdülhamid sah sich und sein Reich den Verfolgungen und Feindseligkeiten der christlichen Welt ausgeliefert und er war fest entschlossen, es gegen diese Angriffe zu verteidigen. Die Opferrolle, in der man den osmanischen Staat und die islamische Gemeinschaft angesichts des europäischen Imperialismus sah, verhinderte eine umfassende Selbstkritik, die die Gräueltaten die osmanische Einheiten begangen hatten bzw. die Verfehlung der osmanischen Beamten ausreichend miteinbezog.

In Folge der massiven Gebietsverluste auf dem Balkan war der Anteil der Christen im Reich sukzessive geschrumpft. Seit dem Verlust der bevölkerungsreichen Balkanprovinzen hatte sich bevölkerungsmäßig der Schwerpunkt des Reiches in die östlichen, arabischen Provinzen verschoben. Die Araber stellten inzwischen die zahlenmäßig größte ethnische Gruppe im Reich dar. Abdülhamid hielt seine übriggebliebenen christlichen Untertanen als für das Reich bereits verloren. Er glaubte an keinen osmanischen Patriotismus, der Muslime und Nicht-Muslime an die Dynastie hätte binden können. Stattdessen verfolgte er, um aufkeimenden nationalistischen Strömungen unter den Arabern vorzubeugen, eine panislamische Politik, die sich auf die muslimischen Subjekte

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im Reich konzentrierte und das Ziel hatte diese unter der Führung des Hauses Osman zu vereinen. (Vgl. Akçam, 2006: 67)

Abdülhamid betonte im Gegensatz zu den liberalen Reformern wieder den islamischen Charakter des Reiches. Er verfolgte damit eine Retraditionalisierung der Legitimierung der osmanischen Herrschaft. Zu diesem Zweck besann man sich des Kalifats, der Führerschaft über die muslimischen umma, die Gemeinschaft der Muslime. Das Kalifat war wie weiter oben erwähnt 1517 mit der Eroberung Kairos von den Mamelucken an die Osmanen gewandert. Historisch betrachtet hatte die Funktion des Kalifats zu Gunsten der weltlichen Funktion des Sultanats beinahe jegliche politische Bedeutung verloren. Erst angesichts der Bedrohung des Reiches durch den europäischen Imperialismus und den aufkeimenden Nationalismus besannen sich die Osmanen seiner Bedeutung.

Abdülhamid versuchte durch die Wiederbelebung des Kalifats die Legitimität der osmanischen Herrschaft über ihre muslimischen Untertanen zu festigen und dadurch nicht nur den Bestand des Reiches, sondern auch den Fortbestand der Dynastie zu sichern.

Das Kalifat war bereits mit dem Friedensvertrag von Küçük Kaynarca (1774) neuentdeckt worden. Damals hatte Sultan Abdülhamid I. als Kompensation für den Verlust der Halbinsel Krim eine Art religiöses Pontifikat über die dort lebenden muslimischen Tataren beansprucht. Diese Forderung war neu und hatte keinerlei historische Vorbilder und stellte damit den ersten Schritt für den Versuch, eine universelle Führerschaft über die islamische Welt, über die Grenzen des eigenen realen politischen Herrschaftsbereiches hinaus zu schaffen, dar. (Vgl. Lewis, 2002: 324)

Abdülhamid II. versuchte nun als Kalif, diesen universellen Führungsanspruch über die muslimische Welt gezielt für außenpolitische Interessen des Reiches zu funktionalisieren. Vor allem hoffte man, durch die Aktivierung eines islamischen Gemeinschaftsgeistes die muslimische umma über die Grenzen des Reiches hinweg für den Kampf gegen den westlichen Imperialismus zu mobilisieren. Die Mobilisierung von Millionen von Muslimen wie z. B. in Indien, die dem britischen Kolonia­lismus ausgeliefert waren, im Namen der Religion und der religiösen Solidarität sollte eine mächtige globale anti-imperialistische Waffe für die Interessen des Osmanischen Reiches sein. Abdülhamid entsandte zu

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diesem Zweck Agenten in die gesamte islamische Welt, allerdings blieb diese Politik ohne konkrete Erfolge.

Die von Misstrauen geprägte Haltung des Regimes gegenüber seinen verbliebenen christlichen Subjekten hatte schwerwiegende Folgen für diese. Die Haltung Abdülhamids verstärkte die schwelende Missgunst und Vorurteile gegenüber Angehörigen nicht-muslimischer Minderheiten in den Provinzen. In einzelnen anatolischen Provinzstädten hatte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts eine Kaufmanns- und Handwerkerschicht, bestehend aus Angehörigen der griechischen, armenischen und anderer christlicher Minderheiten, herausgebildet, die es im Gegensatz zu der breiten muslimischen Bevölkerung zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht hatte. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts spitzte sich die sogenannte Armenierfrage immer mehr zu. Der Funke des Nationalismus hatte die Armenier, als eine der letzten unter den vielen nicht-musli­mischen ethnischen Gruppen im Reich, erfasst. Erst mit dem Ende des 19. Jahrhunderts richteten die Armenier, die in einem recht weitläufigen Gebiet von Zentral- bis Ost- und Südostanatolien lebten und über wenig politische Organisation verfügten, als Gruppe politische Forderungen an den osmanischen Staat. Die Armenier forderten besseren Schutz vor Übergriffen und Besserbehandlung vor den staatlichen Institutionen. In ihren Forderungen wurden sie hauptsächlich von Russland, aber auch durch andere Großmächte, unterstützt.

Frust über die wirtschaftliche Besserstellung der Armenier, sowie über die Gebietsverluste, die sich nun seit mehreren Jahrhunderten zu ­Gunsten der Christen und zu Ungunsten der Muslime entwickelten, förderten einen muslimischen Nationalismus, der sich gegen nicht-Mus­lime wandte und sich vor allem an der armenischen Minderheit, die nach mehr Rechten und mehr Sicherheit strebte, entlud. In den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts kam es in einigen Provinzstädten Anato­liens zu blutigen Übergriffen auf die lokale armenische Zivilbevölkerung. Die Skepsis Abdülhamids gegenüber christlichen Minderheiten im Allgemeinen und Armeniern im Speziellen begünstigte ein Wegsehen des Staates und seiner Organe von diesen Ereignissen.

Die Wiederherstellung des Absolutismus des Sultans war mit der Errichtung eines Überwachungsstaates einhergegangen. Ein dichtes Netz

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an Geheimagenten und Polizisten kontrollierte Schulen, Militär und Verwaltung und zensurierte die Presse. Es galt, jegliche Opposition zu unterdrücken, dazu zählten Konstitutionalisten ebenso wie z. B. armenische Nationalisten. Abdülhamid II. fürchtete, wie einige seiner Vorfahren durch Gewalt abgesetzt oder gar ermordet zu werden. Aus Angst vor einem Attentat 13 lebte er zurückgezogen im Yildiz Palast in Istanbul und zeigte sich kaum der Öffentlichkeit.

Trotz absolutistischer Herrschaft, politischer Repression, einer feinseligen Haltung gegenüber den christlichen Untertanen und einer pan-islamischen Ausrichtung war die hamidische Ära dennoch eine Periode der Stabilität und einer gewissen Regeneration des Reiches. Wie weiter oben erwähnt war die konservative Ausrichtung des Sultans und seine Skepsis gegenüber dem Ausland, aber auch gegenüber den eigenen nicht-muslimischen Untertanen und auch den Intellektuellen kein Hindernis für die Fortsetzung der technischen Modernisierung. Die Haltung des hamidischen Regimes in der Frage der Modernisierung fasst Serif Mardin als „die Technologie des Westens übernehmen, aber seine Moral ablehnen“ zusammen. (Vgl. Mardin, 1994:163)

Vor allem im Bereich des Kommunikations- und Verkehrswesens kam es zu einem massiven Ausbau. Das neu ausgebaute Telegraphenwesen verband nun die einzelnen, selbst weit entfernten Provinzen mit der Hauptstadt. Der Umstand, dass Entscheidungen in kürzester Zeit an entlegene Orte übermittelt werden konnten, stärkte ein einheitliches Staatswesen. Auch der Ausbau des Eisenbahnnetzes sowie des Schiffverkehrs wurden in dieser Zeit vorangetrieben. Der Ausbau des Verkehrswesens sollte einerseits den Binnenhandel in dem bis dahin nur sehr schlecht vernetzten Reich fördern, andererseits kamen bessere Verkehrsverbindungen aber durchaus auch strategisch-militärischen Überlegungen entgegen. So sollten z. B. Zugverbindungen in die entlegenen arabischen Provinzen

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schnellere Truppentransporte gewährleisten, d. h. zu einem effektiveren Militärwesen beitragen. All diese wichtigen Infrastrukturprojekte konnten allerdings nicht durch den hoch verschuldeten osmanischen Staat alleine bewerkstelligt werden. Deshalb waren ausländische Kreditinstitute bzw. ausländische Großunternehmen maßgeblich an den Infrastrukturmaßnahmen beteiligt. Der Staat vergab Lizenzen für die Errichtung und den Betrieb von einzelnen Strecken bzw. Verbindungen an ausländische Unternehmer. So lag der Schiffverkehr innerhalb des Reiches zur Gänze in der Hand von ausländischen Unternehmen, aber auch die meisten Eisenbahnstrecken wurden von ausländischen Konsortien oft, wie im Fall der Bagdadbahn oder von Streckenlinien in den verbliebenen europäischen Provinzen, durch deutsche Unternehmer betrieben.

Auch im Schul- und Bildungswesen wurden die zuvor eingeleiteten Reformen weitergeführt. Mehr denn je benötigte das Reich technisch versierte Militärs und gut ausgebildete Beamte. Es kam zu einem Ausbau des säkularen Schulwesens und zur Gründung von neuen Akademien. Unter Abdülhamid wurden die neuen Kriegs- und Verwaltungsakademien Harbiye und Mülkiye sowie eine Schule für Militärmedizin, Askeri Tibbiye, gegründet. Diese modernen Bildungsinstitutionen, die mit dem Zweck, fähige Offiziere und Beamte für den Staatsdienst heranzubilden, gegründet worden waren, entwickelten sich zu den neuen Kaderschmieden des Reiches. Abdülhamid misstraute allerdings diesen Kadern.

Seinen Geheimagenten waren die liberalen und oppositionellen Tendenzen, die unter der Studentenschaft der Akademien grassierten, nicht entgangen. Der Sultan sah sich mit dem Dilemma konfrontiert, dass moderne Bildungseinrichtungen eine Notwendigkeit waren und ihren Absolventen wichtige Aufgaben im Militärwesen sowie in der Bürokratie zukamen, sich diese Bildungsinstitutionen gleichzeitig aber zu einem Hort des Widerstandes gegen seine autoritäre und konservative Politik entwickelten. Da er die Absolventen der Akademien als potenzielle Umstürzler betrachtete, vertraute er bei Postenbesetzungen und Beförderungen weitgehend auf Personen, die nicht von den Akademien kamen. Der Sultan sicherte sich dadurch die Loyalität der Führungsschichte innerhalb der Armee. Der Umstand, dass der Sultan systematisch die Gruppe der alayli, also jener, die keine Absolventen der Akademien waren den mektepli, den

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Absolventen vorzog, förderte wiederum die Frustration und Ablehnung der Bildungseliten gegenüber dem Sultan und seiner Politik.

Das Offizierskorps sollte sich in Folge zu einem der wichtigsten Zentren der Opposition gegen die absolutistische Herrschaft Sultan ­Abdülhamids entwickeln. Vor allem der schlechte Zustand einiger Truppeneinheiten, die Disziplinlosigkeit, die sich innerhalb der Armee breit machte, und die Niederlagen, die die Armee deshalb erleiden musste, sollten den Zorn der durch den Sultan benachteiligten mektepli zum Überschwappen bringen.

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