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I. Das osmanische Reich
Das Entstehen eines Großreiches

Die Geschichte der osmanischen Dynastie beginnt mit Osman Bey (1258 –1326). Osman Bey erbte von seinem Vater Ertugrul Bey die Herrschaft über ein Gebiet im nordwestlichen Anatolien, in der Umgebung von Sögüt, zwischen Eskisehir im Osten und Bursa im Westen gelegen. Die Dynastie der Osmanen gründete sich auf einem der vielen kleinen Fürstentümer, die nach dem Zerfall des seldschukischen Reiches in Anatolien entstanden waren. Diese türkischen Fürstentümer befanden sich zum Teil im Kampf miteinander, zum Großteil aber in Auseinandersetzung mit dem ehemals mächtigen Byzantinischen Reich (Ost-Rom). Byzanz, das einst über den Bereich des gesamten östlichen Mittelmeeres geherrscht hatte, befand sich in einem Rückzugs- und Zerfallsprozess. Neben Angriffen der Araber, Plünderungen durch die Kreuzritter und Interventionen der Venezianer wurde Byzanz zudem durch interne Streitigkeiten und Instabilität geschwächt.

Osman I. konnte seine Kraft gegen den großen Nachbarn mobilisieren und sein Herrschaftsgebiet auf Kosten der Byzantiner rasch ausweiten. Dadurch war das Osmanische Reich, dessen Gründung von Historikern mit dem Jahr 1299 angesetzt wird, von Anfang an ein multi-kulturelles, multi-ethnisches und vor allem multi-konfessionelles Staatswesen.

Als Osman I. starb, überließ er seinem Sohn Orhan ein Gebiet, das dreimal so groß war wie jenes, das er seinerzeit von seinem Vater geerbt hatte. Expansion sollte zu einem wesentlichen Bestandteil der Identität und noch mehr des ökonomischen Systems des entstehenden Großreiches werden. In kurzer Zeit sollten die Osmanen als Herrscher über das gesamte östliche Mittelmeer und die angrenzenden Regionen das Erbe der arabischen Großreiche, sowie des Byzantinischen Reiches, antreten.

[<<21] Seitenzahl der gedruckten Ausgabe

Die Grenzlage zum Byzantinischen Reich und der Kampf gegen dessen christliche Armee hatte das osmanische Fürstentum zu einem Zentrum des ideologischen Kampfes im Namen des Islams gemacht. Seit den Anfängen im siebenten Jahrhundert befand sich der Islam in Auseinandersetzung mit Byzanz. Schon 624 wird von der ersten militä­rischen Auseinandersetzung arabischer Truppen mit den Byzantinern in Palästina berichtet. Nur zwei Jahrzehnte später beendeten die Araber die byzantinische Vorherrschaft über das östliche Mittelmeer und eine islamische Armee stand zum ersten Mal vor den Mauern Konstantinopels. Insgesamt kam es zu zwölf Expeditionen, um die Stadt zu erobern. Die Eroberung Konstantinopels blieb den arabischen Armeen jedoch verwehrt. Die Stadt wurde dadurch für Muslime sowie Christen zu einem Symbol des Widerstands gegen die Expansion des Islam. (Ahmad, 1993)

Die Osmanen sahen sich als Krieger im Namen des Islam. Die Idee des Dschihad, des Krieges gegen die Ungläubigen, hatten die Osmanen von den Seldschuken übernommen. Das kleine Fürstentum Osmans wurde aufgrund der Grenzlage zum Byzantinischen Reich zu einem Anziehungspunkt für muslimische Kämpfer aus der gesamten Region. Vor allem turkmenische Stammesführer und Krieger, die auf der Flucht vor den aus dem Osten vordringenden Mongolen in Richtung Westen gewandert waren, schlossen sich den Osmanen im Kampf gegen die Byzantiner an.

Expansion beinhaltete demnach neben einer wirtschaftlichen und machtpolitischen Komponente auch eine religiös-ideologische Mission, vergleichbar mit jener der christlichen Kreuzfahrer. Die osmanischen Krieger galten, falls sie im Krieg fielen, als sehit (Märtyrer) bzw., wenn sie überlebten und heimkehrten, als gazis. Die religiöse Mission förderte zweifelsohne den Kampfgeist der osmanischen Krieger und trug dazu bei, dass sie eine Schlacht nach der anderen erfolgreich schlagen konnten. (Vgl. Ahmad, 1993: 16)

Als Mehmet II. (der Eroberer) (Fatih Sultan Mehmet) 1453 mit seinen Truppen Konstantinopel eroberte, war er davon überzeugt, dass er damit eine göttliche Vorsehung erfüllt habe, nämlich, dass die Stadt für Muslime vorbestimmt war. (Vgl. Inalcik,1998: 249) Die Eroberung Konstantinopels stellte einen Wendepunkt dar. Während die christliche Welt

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den Verlust Ostroms beklagte – allerdings war niemand den Byzantinern zu Hilfe gekommen –, besiegelte die Eroberung Konstantinopels den Aufstieg der Osmanen zu Herrschern über ein Großreich.

Am Höhepunkt seiner Macht sollte es sich über ein Territorium, das vom heutigen Ungarn und Serbien über den gesamten Süd-Balkan und Rumänien, vom Schwarzmeerraum über Anatolien, Syrien, Palästina, den Irak, Kuwait, Jordanien, die arabische Halbinsel, einschließlich der heiligen Stätten (Mekka und Medina), den Jemen über Ägypten, bis an die nordafrikanische Küste an den Ausläufern des Atlasgebirges reichte, erstrecken.

Mit Konstantinopel verleibte sich die auf Expansion ausgerichtete Dynastie eine Stadt mit langer imperialer Tradition ein. Die Osmanen übernahmen in weiten Bereichen nicht nur die byzantinische Tradition der absoluten Herrschaft und des Verwaltungswesens, sondern Mehmet sah sich auch als der Nachfolger des byzantinischen Kaisers. Die Verlegung der osmanischen Hauptstadt und des Sitzes des Sultans von Edirne (Adrianopel) nach Konstantinopel, das er in Istanbul umbenannte, sollte diesen Anspruch bekräftigen.

Der Sultan und sein Hof sollten ähnlich wie der byzantinische Kaiser das absolute Zentrum der staatlichen Macht darstellen. Denn alle Macht ging vom Sultan aus.

Turkmenische Notabeln, die bislang ein politisches Gegengewicht zum Herrscher gebildet hatten und die am ehesten eine Basis für eine vererbbare Aristokratie dargestellt hätten, wurden nach der Eroberung Konstantinopels und der Errichtung der zentralen, absoluten Herrschaft des Sultans ausgeschaltet und ihr Eigentum und Landbesitz konfisziert. (Vgl. Ahmad, 2003: 19)

Die Bevölkerung Konstantinopels war durch Kriege, Bürgerkriege und Hungersnöte stark dezimiert. Mehmet II. siedelte deshalb Menschen aus den umliegenden Regionen in der Hauptstadt an. Er achtete dabei darauf eine türkisch-muslimische Mehrheit zu schaffen, dennoch war die Bevölkerung der neuen Hauptstadt weitgehend kosmopolitisch. Neben Türken zählten vor allem Griechen und Armenier, sowie Angehörige anderer christlicher Gruppen sowie Juden zu den Bewohnern der Hauptstadt. (Vgl. Inalcik, 1998: 253)

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Nicht-muslimische Untertanen wie Christen und Juden unterstanden dem Schutz des Sultans. Sie wurden nicht zum Konvertieren gezwungen, ebensowenig gab es den Versuch der Missionierung. Vielmehr wurde das Weiterbestehen christlicher und jüdischer Gemeinschaften gewährleistet, solange sie die Souveränität des Herrschers und die Vormacht des Islams nicht in Frage stellten. Nicht-Muslime entrichteten gemäß der islamischen Tradition spezielle Abgaben. Im Gegenzug waren sie vom Armeedienst befreit. Die endgültige Islamisierung der eroberten Gebiete wurde zwar nicht aktiv betrieben, blieb aber eine ständige Hoffnung der muslimischen Herrscher.

Die Osmanen wollten bestehende Strukturen nicht zerstören, sondern vielmehr übernehmen und adaptieren. Mehmet ließ zwar als Zeichen seiner Macht einen neuen Palast errichten, der das Zentrum des neuen Imperiums darstellen sollte, er erhielt aber gleichzeitig viele der bestehenden Bauwerke.

Die Stadt sollte aber ein muslimisches Antlitz haben. Die wichtigsten Kirchen der Stadt, darunter die Kathedrale der Hagia Sophia, wurden in Moscheen oder Dervish-Klöster umgewandelt. Nicht-muslimische Gotteshäuser wie Kirchen und Tempel durften zwar weiterhin bestehen, bzw. wurde auch der Bau von neuen zugelassen, sie mussten sich aber dem islamischen Stadtbild unterordneten. Inalcik stellt fest, dass bei dem Ansinnen, Istanbul in eine islamische Metropole zu verwandeln, die Überzeugung, dass eine spirituelle Macht zum Sieg der Osmanen über die christlichen Byzantiner beigetragen habe, eine wichtige Rolle spielte. (Vgl. Inalcik, 1998: 251) Auch wenn mit der Eroberung Kon­stantinopels die Stadt nun zur Hauptstadt eines islamischen Großreiches geworden war, war es gleichzeitig auch weiterhin das kulturelle und spirituelle Zentrum der Orthodoxie. In diesem Sinne hatte das Osmanische Reich sogar dazu beigetragen die griechische Orthodoxie wieder unter einer Herrschaft zu vereinen. Einflussreiche griechische Familien der Stadt, die Phanarioten, sollten im Laufe der osmanischen Geschichte wichtige Posten im Reich besetzen und eine bedeutende Rolle spielen.

Die Eroberung Konstantinopels stillte nicht den Hunger nach weiterer Expansion, vielmehr schien die Erfüllung einer religiösen Vorsehung den

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Drang nach weiterer Expansion größer werden zu lassen. (Vgl. Lapidus, 2002: 253ff.) (Rustow, 1965)

Schon bald konnten die Osmanen ihren Herrschaftsbereich auf das gesamte östliche Mittelmeer, inklusive den Küsten Nordafrikas und des Balkans, ausweiten. Durch die Eroberung des „abbasidischen Kalifats“ in Kairo 1517 und die Eingliederung von Mekka, Medina und Damaskus erlangten die Osmanen die Weltführerschaft über die islamische Welt. Zusätzlich zum Titel eines Gazi, eines „Kämpfers im Namen des Glaubens“ nahmen die osmanischen Herrscher nun auch jene des „Dieners der heiligen Stätten“ und des „Verteidigers der Scharia“ an. Die Osmanen wurden dadurch nicht nur die Kämpfer und Bewahrer eines islamischen Imperiums mit einem Anspruch auf Universalität, sondern ihre Hauptstadt wurde auch zu einem Zentrum für islamische Gelehrte. (Vgl. Lapidus, 2002: 253)

Eine wichtige Rolle bei der Expansion sollte das Infanteriekorps der Janitscharen spielen. Mit der Eroberung der Balkanhalbinsel hatte der Sultan versucht, seine Abhängigkeit von der Unterstützung durch turkme­nische Notabeln durch die Rekrutierung junger Christen aus den eroberten Gebieten zu schwächen. Es wurden die tüchtigsten und talentiertesten Jünglinge aus christlichen Familien ausgewählt und in die Hauptstadt gebracht, wo sie zu Muslimen erzogen, ausgebildet und trainiert wurden. Dieses Umerziehungsprogramm, das bis ins 18. Jahrhundert in dieser Form Bestand hatte, wurde devsirme genannt. Devsirme war keine Erfindung der Osmanen, sondern eine Praxis, die es in allerdings anderer Form zuvor auch schon unter den Byzantinern und Abbasiden gegeben hatte.

Nicht alle Janitscharen wurden nach Beendigung ihrer Ausbildung Krieger, vielmehr ermöglichte die Nähe zum Sultan – das Korps galt als ein Teil des Haushaltes des Sultans und war auch als Elitetruppe im Palast angesiedelt – auch den Aufstieg in wichtige Regierungsämter bzw. in die Verwaltung. Die Janitscharen entwickelten aufgrund ihrer besonderen Ausbildung und Stellung einen Korpsgeist. Sie besetzten wichtige Posten im Reich und konnten unabhängig vom Sultan politische Netzwerke aufbauen. Dadurch wurde das Janitscharenkorps im Laufe der Zeit zu einem bedeutenden politischen Machtfaktor innerhalb des ­osmanischen Herrschaftssystems. Immer wieder intervenierten

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Janitscharen bei Machtkämpfen innerhalb des Palastes und setzten meist blutig den einen oder anderen Sultan, zu Gunsten eines von ihnen favorisierten Thronfolgers, ab. Einfluss und Reichtum waren allerdings das Privileg des Korps und konnten nicht von einzelnen Mitgliedern an ihre Nachkommen vererbt werden. (Vgl. Ahmad, 2003: 19 ff)

Die politische und wirtschaftliche Struktur

Die Eroberung Konstantinopels und der Übergang zu einem islamischen Großreich mit universellem Anspruch legten offen, dass die stammesähnlichen Strukturen des Fürstentums den Erfordernissen eines Imperiums nicht entsprachen.

Mehmet II. versuchte die rechtlichen und politischen ­Bedingungen für ein multi-ethnisches und multi-konfessionelles Großreich zu schaffen. Die von Mehmet erlassenen Gesetze sollten ein rechtliches Rahmen­werk für ein Reich schaffen, das einerseits durch das Streben nach Expansion, Kriegsbeute und religiöse Mission geprägt war und das nun andererseits zu einem kosmopolitischen, multikonfessionellen Staatswesen angewachsen war.

Es galt neue Institutionen zu bilden, Funktionen zu trennen, ein rechtliches Rahmenwerk zu schaffen und eine Staatstradition zu begründen. Um das wachsende Großreich zu bewahren und zu verwalten, sowie um Steuern eintreiben zu können, mussten rechtliche, administrative und finanzielle Funktionen geschaffen werden, die von den militärischen Funktionen getrennt waren. Ebenso musste die Kasse des Sultans von der Staatskasse getrennt werden.

Die Strukturen des politischen Systems, der Verwaltung und der Staatstradition, die mit dem Aufstieg zu einem Imperium geschaffen wurden, waren nicht statisch und unveränderlich. Vielmehr sollte sich das Reich über die Jahrhunderte in einem stetigen Wandlungsprozess befinden. Einige Institutionen sollten im Laufe der Zeit wieder abgeschafft, umgeformt, neu erfunden bzw. von den Europäern übernommen werden.

Die Strukturen, die im Prozess des Übergangs von einem türkisch-islamischen Stammesfürstentum zu einem islamischen Großreich mit

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multi-ethnischer und multi-konfessioneller Bevölkerung geschaffen wurden, waren durch verschiedene Einflüsse geprägt. Zum einen waren die militärische Organisation sowie die bürokratische Struktur durch die Tradition der zentralasiatischen Turkstämme, die Vorfahren der Osmanen, zum anderen durch die Einflüsse der türkischen Nomaden, die auf der Flucht vor den Mongolen nach Anatolien gekommen waren, geprägt.

Eine andere wichtige Quelle der osmanischen Tradition stellte der sunnitische Islam dar. Der durch die Osmanen propagierte orthodoxe sunnitische Islam baute auf die Tradition der klassischen arabisch-­islamischen Großreiche, sowie auf jener der Seldschuken auf. Die Osmanen übernahmen zu einem Großteil das islamische Steuersystem, so wie es in den klassischen arabischen Großreichen angewandt worden war.

Als dritte Quelle für die Struktur des neuen Großreiches gilt neben der islamisch-sunnitischen Tradition und den Traditionen der türkischen Stämme Byzanz. Die Osmanen übernahmen Hofzeremoniell, Verwaltungspraktiken, das Lehenssystem sowie den Absolutismus des Herrschers von den Byzantinern. Auch wenn die Art, Dinge zu erledigen und zu organisieren, von den Byzantinern übernommen wurde, stülpten die Osmanen im Nachhinein den Mantel des Islams darüber. (Vgl. Shaw, 1976: 22 ff.)

An der Spitze des Großreiches stand der Sultan, der absolut regierte. Die Osmanen hatten nicht nur Ansätze einer Aristokratie in den eigenen Reihen ausgeschaltet, sondern eliminierten auch die Aristokratie in den eroberten Ländern. Im Gegensatz zum Westen existierte im osmanischen System damit weder eine erbliche Aristokratie, noch gab es einen vererbbaren Stand von Feudalherren, die als eine politische, wirtschaftliche und rechtliche Zwischenebene zwischen der imperialen Zentralgewalt und der Masse der Untertanen fungieren hätten können. In dem zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert entwickelten osmanischen Staats- und Sozialsystem hingen Macht und Autorität von der persönlichen Delegierung durch den Sultan ab. Der Sultan ermächtigte Mitglieder seines Haushaltes zur Ausübung von Macht in seinem Namen. Durch sie sprach er Recht, verwaltete die Provinzen, rekrutierte Armeen, vergab Land an diese, nahm es nach Belieben wieder weg und trieb durch diese zum Erhalt des Systems Steuern ein. (Vgl. Göcek, 1996: 20)

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Der Sultan wurde in den Provinzen durch einen von ihm ernannten Vali (Gouverneur) vertreten. Die osmanische Verwaltung in den Provinzen war dem Vorbild des Hofes nachempfunden. Der Haushalt der Provinzverwalter spiegelte jenen des Sultans in kleinerem Format wider. Einem starken Zentrum, dem Hof des Sultans, von dem nicht nur Recht, sondern auch wirtschaftliche und religiöse Macht ausging, stand eine relativ schwache physische Präsenz dieses starken Staates in der Peripherie des Reiches gegenüber. Die Präsenz der osmanischen Staatsmacht war vor allem in den entfernten Provinz, in den wenigen städtischen Zentren zu spüren. Während also der osmanische Staat als solcher in den ländlichen Gebieten kaum präsent war, hinterließen die Osmanen in den urbanen Zentren kulturelle und architektonische Spuren ihrer Herrschaft.

Einige Gebiete, die die Osmanen erobert hatten, standen nur formell unter osmanischer Souveränität. Die lokalen Machthaber entrichteten als Zeichen ihrer Unterwerfung Tribut an den Sultan in Istanbul und ­konnten im Gegenzug auf seinen Schutz vor äußeren Bedrohungen hoffen.

Das traditionelle osmanische System war damit zwar absolutistisch, da jegliche Macht vom Sultan ausging, es war aber keineswegs zentralistisch, vielmehr konnten lokale Herrschafts- und Gesellschaftsstrukturen in den eroberten Provinzen, soweit sie sich der osmanischen Vorherrschaft unterwarfen, sich dem Sultan gegenüber Loyal verhielten und regelmäßig Tribut ablieferten, weitgehend autonom leben.

Bis zu den im 19. Jahrhundert einsetzenden Verwaltungsreformen kann das Osmanische Reich, von seinem Staatswesen her, als ein mittelalterliches Imperium mit losen zentralstaatlichen Strukturen charakterisiert werden. Über Jahrhunderte gab es, ähnlich wie in den mittelalterlichen Reichen Europas, weder eine zentralisierte Exekutivgewalt noch ein einheitliches Verwaltungs- oder Postwesen.

Ein wichtiges Element der politischen Macht bildete neben der religiösen Legitimation des Herrschers die absolute Macht über die Landvergabe. Der Großteil des Bodens war in staatlichem Besitz und unterlag der Verfügungsgewalt des Sultans, der die Bewirtschaftung nach Belieben auf beschränkte Zeit vergeben und auch wieder entziehen konnte. Während privater Landbesitz sich nur auf kleine Einheiten, die meist nur zur Selbstversorgung dienten, beschränkte, vergab der Sultan Ländereien

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und die Rechte zur Eintreibung der Gewinne daraus an Angehörige des Hofes bzw. seiner Armee, die sich aufgrund ihrer Dienste dessen würdig erwiesen hatten. Eine Ausnahme bildete privater Landbesitz, der sich im Eigentum von vakif, religiösen Stiftungen, befand. Während vakif ursprünglich dazu dienen sollten, religiöse und soziale Einrichtungen wie Moscheen, Schulen, Spitäler und ähnliches zu finanzieren, war es über die Jahre auch immer üblicher geworden, dass wohlhabende Mitglieder des Hofes ihr Eigentum so vor dem Zugriff des Staates für weitere Generationen bewahrten.

Die Expansion des Reiches durch Eroberungen förderte die absolute Macht des Sultans. Neu erobertes Land fiel an den Sultan, der dieses als ein Lehen auf Lebenszeit an verdienstvolle Soldaten und Beamte verlieh. Dabei ging das Lehen nicht in das Eigentum des Lehensnehmers über, vielmehr wurden ihm die Erträge aus diesem Lehen übertragen, der Boden selbst blieb im Besitz des Staates und fiel nach dem Tod des Lehensnehmers wieder an diesen zurück. Dadurch wurde ein Lehenssystem geschaffen, das im Prinzip nicht auf Abstammung oder vererbten Privilegien, sondern auf Verdienst um das Reich und auf dem Vertrauen des Sultans beruhte.

Je nach Größe des Lehens wurde in Has, Zeamet und Timar unterschieden. Im Laufe der Zeit sollte die Vergabe von Timars, der kleinsten Einheit, zur Entsoldung von verdienstvollen Reitersoldaten, den ­Sipahis, dienen. Das Timar-System war eines der wichtigsten Bausteine des osmanischen Reiches.

Die Lehensnehmer, die sogenannten Timarioten, verpflichteten sich dazu, auf dem ihnen übergebenen Lehen zu leben. Sie waren mit bestimmten öffentlichen Aufgaben wie der Erhaltung der öffentlichen Ordnung und der Förderung der Ernteeinnahmen, sowie mit dem Recht, Steuern von ihrem Timar einzuheben, betraut. Aus Sicht der staatlichen Zentral­gewalt war vor allem die Verpflichtung der Lehensnehmer, in ihren Lehen Soldaten zu rekrutieren, auszubilden und auszurüsten, wichtig. Mitte des 16. Jahrhunderts konnten dadurch ca. 200.000 ausgerüstete Soldaten aufgebracht werden. (Vgl. Inalcik & Seyitdanlioglu, 2006: 18)

Im Gegensatz zu Lehenssystemen im mittelalterlichen Kontinentaleuropa war das Timar-System auf die Lebensdauer des Lehnsherrn

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beschränkt. Das osmanische System sah wie erwähnt nicht die Möglichkeit der Vererbbarkeit eines Lehens vor. Dadurch sollte das Entstehen eines vererblichen Adelsstandes und damit alternativer Macht- und Wirtschaftszentren verhindert werden. Das Timar-System führte dazu, dass die Lehnsherren kaum an einer langfristigen Verbesserung der Produktionsbedingungen oder dafür notwendigen Investitionen interessiert waren. Stattdessen veranlasste sie die beschränkte Dauer des Lehens dazu in der kurzen Zeit die ihnen zur Verfügung stand aus dem ihnen übertragenen Landstrich so viel Ertrag wie möglich zu erwirtschaften.

In wirtschaftlicher Hinsicht war das Osmanische Reich durch Landwirtschaft geprägt. Die landwirtschaftliche Produktion erfolgte hauptsächlich in kleinem Maßstab. Über die Jahrhunderte hatte das Reich keine zusammenhängende Wirtschafts- oder Fiskalpolitik entwickeln können. Vielmehr kann die Wirtschaftsstruktur als vorkapitalistisch bezeichnet werden. Die Wirtschaftspolitik, soweit man diese als solche bezeichnen kann, zielte auf die Versorgung der Bevölkerungszentren sowie das Eintreiben von Steuern ab. Die Unterschiede in der wirtschaftlichen Struktur und der wirtschaftlichen Entwicklung unter den einzelnen Regionen des gewaltigen Reiches waren sehr groß. Dies bedingte unterschiedliche Entwicklungen, die aufgrund der ab dem 17. Jahrhundert immer stärker spürbaren politischen und militärischen Schwäche der osmanischen Zentralgewalt kaum überwunden werden konnten. Die bevölkerungsstarken Provinzen des Balkans verfügten über eine gänzlich andere Wirtschaftsstruktur als z. B. die dünn besiedelten arabischen Provinzen, die von nomadischer Wirtschaft geprägt waren. Der Binnen­handel unter den einzelnen Regionen des Reiches war sehr gering. Es konnte sich dadurch über die Jahrhunderte keine Wirtschaftseinheit bilden. (Vgl. Zürcher, 2004: 9ff).

Der Krieg und die territoriale Expansion hatten einen wichtigen Bestandteil des wirtschaftlichen, politischen und militärischen Systems des Reiches dargestellt.

Die Ära unter Suleiman I. dem Prächtigen (Kanuni Sultan Süleyman) (1520 –1566) gilt als der Höhepunkt des Osmanischen Reiches. Während das 16. Jahrhundert noch durch Ausbreitung geprägt war, sollte mit dem 17. Jahrhundert der lange Prozess des Niedergangs beginnen. Von da

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an sollten sich die Bemühungen der Osmanen auf den Erhalt und die Abwendung des Zerfalls konzentrieren.

Die gescheiterte Belagerung Wiens im Jahr 1683 wird von vielen Histo­rikern als der endgültige Wendepunkt und als Beginn des militärischen, wirtschaftlichen und politischen Niedergangs und des damit einhergehenden unaufhaltsamen territorialen Rückzugs des Reiches betrachtet.

Mit dem Ende der Expansion und dem Ausbleiben der damit verbundenen Kriegsbeuten, Tribute und neuen Einnahmequellen geriet das osmanische System in eine Krise. Das Ende des territorialen Wachstums leitete eine Krise des Lehenssystems und damit zusammenhängend auch eine Steuer- und Finanzkrise ein.

Das Timar-System, das einen wichtigen Bestandteil der Belohnung der Reitersoldaten dargestellt hatte, geriet mit dem Ende der territorialen Expansion in Not. Dem Sultan stand für die Belohnung verdienstvoller Krieger und Beamter immer weniger Land zur Verfügung. Dadurch wurden die Lehen, die vergeben wurden, immer kleiner. Da die Lehnsherren immer größere Anforderungen an die Bauern stellten, ging mit dem Ende der Expansion auch eine Verschlechterung der Situation der Bauern einher.

Das Ende der Expansion leitete eine permanente Finanzkrise ein. Um Engpässe zu überwinden, übertrug der Sultan das Recht auf Steuereintreibung an wirtschaftlich potente Privatpersonen. Das sogenannte Steuerpachtsystem (Iltizam) fand ab dem 17. Jahrhundert vermehrt Verbreitung. In den arabischen Provinzen war das Steuerpachtsystem, basierend auf landwirtschaftlichen Einnahmen, bereits in der klassischen Periode des Reiches die Norm. Das Steuerpachtsystem bedeutete, dass das Recht, in einem bestimmten Gebiet Steuern einzuheben, durch den Staat an den Höchstbietenden versteigert wurde. Der Staat hatte dabei den Vorteil, dass er einen fixen Betrag an Steuern vorfinanziert bekam und dabei nicht von den Erträgen der Landwirtschaft abhängig war. Für die Bauern hatte die Steuerpacht fatale Folgen, weil die Steuerpächter ihre finanziellen Investitionen ohne Rücksicht auf Missernten oder ähnlich bedingte Ertragseinbußen einzutreiben versuchten. Angesichts des Umstandes, dass das Osmanische Reich zum Großteil agrarisch geprägt war, sollte sich die Verschlechterung der Situation der Bauern auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung fatal auswirken. (Vgl. Zürcher, 2004: 17)

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