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Mathildes heimliches Zögern

Seltsam, wenn eine starke Seele in Elend und Verkommenheit aufwächst, wie sie sich umschalt mit Verachtung und Angst und Misstrauen. Sie will aufkommen ins Licht, und um sie herum ist nur ein elende Rauchstube, in der Flüche und Hass und Hohn in der kohligen Luft zittern. Sie muss sich wappnen. Sie kennt nicht die stille, freie, heitere Sonnenluft, wo eine Berganemone weich und silberglänzend und rein aufkeimt – nur diese kleine Welt voll Moder und dumpfer Gefühle auf der elenden Lehmdiele unter Blicken, in denen jeder dem andern sagt: »Geh mir aus dem Strich!« Sie muss sich gar wappnen mit allen Härten gegen jeden und auch gegen das Trübe, das ins Auge fällt, dass sie nicht ganz nur noch Hass und Dunkel sieht, und wenn sie einmal kindlich frei und ahnungsweit gehofft und gefühlt hat, dass sie nicht denkt – »es war ein kindisches Wünschen und eitle Träume und Schäume – die Welt ist Rauch und Hass« – und nicht in Misstrauen und heimlicher Angst sich ganz verzehrt und verschließt.

Wenn Mathilde so dachte-, sie hatte oft in rauchige Luft und klingenden Hass und Groll gesehen. Ihr konnte wohl Liebe wie ein eitles Blendwerk scheinen. Wenn sie jetzt schritt, schien sie härter als je. Wenn sie morgens ausging, sah sie barsch und groß aus – , kräftig, und niemand konnte sie in ihrer schnellen, sicheren Bewegung zögern machen – niemand konnte eine lichtere Linie des kindlichen Lebens, das in ihr verschalt lag, in ihre Mienen locken. Es war ihr unbehaglich auch im Hause. Den jungen Schlosser floh sie fast. Und verschlossen war sie nun wie im Dorfe. Sie war grob gegen die Narbigen. Wenn sie etwas brachten, das sah sie absichtlich nicht an und tat gleichgültig und kalt und achtete es nicht. Und im Hause die Leute waren ihr alle zuwider. Das war ihr Misstrauen. Das Misstrauen war nicht grundlos. Man fand tatsächlich, wie der Sommer gekommen war, und der Schlosser eine höhnische Geschichte mit zweifelhaften Blicken auf die Sechzehnjährige geworfen seinem Weibe erzählt hatte, die unter den jungen Weibern im Hause umging, dass sich diese junge Strunze etwas viel herausnähme. Man fand sie unausstehlich. Man dachte allerhand über sie, wenn die Weiber unten am Brunnentroge mit ihren Kannen standen und schwatzten. Und auch die Gemüsefrau am Ende der Gasse im kleinen Laden, der widerwärtig aufdringlich nach Äpfeln und Rüben roch, die behauptete: »ein solches hochmütiges Weibsbild hätte sie noch niemals gesehen.« Man war auch hier übereingekommen, nun sich Mathilde daheim ganz und gar zurückhielt, sie für eine zu halten, die es heimlich triebe und der man ihre Mienen noch unausstehlicher und mit der Zutat von niederträchtigen Anschuldigungen zurückgeben müsste.

Aber Mathilde ging in die Fabrik wie immer. Es war zum Lachen, wie tüchtig und ungestört sie arbeitete, willig und kindlich, im Werkmeister und Portier fast Götter sehend, die blindlings über ihren ganzen Tag geboten. Wie sie eifrig war, dass sie rot und frisch glänzte; wie sie nur Arbeit war, dass in solcher Zeit kein Sinn in ihren Zügen lag, als nur dieses eine Tun des Fäden-Haschens am Webstuhle, wenn der oder jener fiel und ihn neu verschlingen und immer wieder, immer wieder –einen Tag um den andern –eine Woche um die andere –und so aus Winter durch Frühling hindurch, in den Sommer und Herbst hinein, eifrig hingegeben, ob es da draußen im Sonnenlicht Flocken gab, die an die Scheiben tanzten, oder Blütenbäume in den Gärten geduftet hatten, sie sah ihren Fäden zu, Stunde um Stunde, Tag um Tag, Woche um Woche. Und hatte da Pflicht und Spannung – dass der Tag erfüllt war und ihr in der Woche kaum Sinn und Liebe übrig blieb. Und müde wurde sie. Man kann es begreifen. Sie machte Überstundenarbeit. Sie hatte immer Geld. Sie sandte auch den Eltern und Geschwistern. Und es war ihr lieb, dass sie nicht denken und denken brauchte, weil ihr Qualen kamen und sie sich nicht ganz zurecht fand. Aber wenn sie so stand und die Fäden fing, war sie fast lustig anzusehen. Mancher, der vorüberging, dachte, dass sie lachte. Und dass sie fast mit den Fäden ein Spiel trieb, wie die Fäden mit ihr. Und sie war sauber und reinlich gekleidet und eine Gestalt wie aus Stahl, jung und schmiegsam und stark in Armen und Gelenken, frisch und entschlossen. Sie sah fast nie auf und wusste kaum, wer sie beobachtete, oder wer ihr zugesehen. Und solange sie so stand und vigilierte, war wie aus den Mienen, auch aus der Seele alle Unruhe und Misstrauen und Groll ausgelöscht. Da lachte die Seele wirklich. »Hahaha« – man denkt nicht, dass wenn die Hand der Jungen die Fäden knüpfte, über ihre Seele nur das leise Streicheln ging von Ahnungen, die ungedacht waren und kamen, wie der Frühlingswind, wenn der einsame See still liegt, wie ein Kind im weichen Ruhebett.

Und wenn sie heimkam, niemand hatte es monatelang erfahren, warum sie so misstrauisch aussah, sobald sie aus dem Tore der Fabrik heimeilte. Es quälte sie, dass sie ein Verhältnis mit Saleck angefangen. Wenn sie dann hineilte und an ihn dachte, peinigte sie der Gedanke an ihn, und sie sagte es niemandem. Und nur Sonnabend abends gab sie Einkäufe vor. Die alten Wäscherinnen, die um sie waren in der Feierzeit, schalten sie und wollten dahinterkommen, schließlich war sie grob und wollte grob sein, um sie los zu werden. Sie dachte längst daran, aus ihrem Stübel auszuziehen, vielleicht in ein eigenes. Und die Alten zankten und wurden auch rüde. Sie fanden es undankbar, wie das Kind sich benahm. Keine durfte mehr wagen, ihr zu nahe zu kommen. Mathilde musste Mahnungen und dann Vorwürfe hören und bald auch grobe Verdächtigungen, da sie mit der Sprache zurückhielt. Und im Hause ging das Reden um, das die Wäscherinnen mit der jungen Schlossersfrau mitmachten. Mathilde hütete sich wie eine Krähe, wenn ein Mann mit der Flinte kommt. Nur Sonnabend abends ging es also, dass sie mit Saleck zusammenkam, und in der Zwischenzeit außer der Arbeit war sie auf der Hut. Auch vor sich sogar, denn sie empfand manchmal, als wenn sie halb träumte –und sah ihn huckig und schmächtig – und konnte nicht froh werden.

Nun dann, Sonnabend – Sommers – ging sie, wohin sie ihn bestellt hatte. Und weil sie dachte, jemand könnte sie belauern, machte sie Umwege und verschwand in Ecken und Winkeln und lief auch noch in den oder jenen Laden; sie kaufte ihm kleine Geschenke ein, Zigarren – und auch süße Früchte, wenn sie billig waren, und stand dann heimlich vor ihm. Da waren alle Skrupel weg – da hatte sie ihn gern – da legte sie immer auch wieder den Kopf an ihn – da sah der Kopf Salecks mit großen, grauen Augen auf sie nieder und schien voll Güte und Glück und schien zu wachen über sie – und sie empfand es unbegreiflich sanft, dass er zufrieden war mit dem zärtlichen Berühren, dass er eine Stunde nur sprachlos froh sein konnte mit ihr, dass er neben ihr saß und immer wieder ihre Finger zählte – , einen jeden nach dem andern, einen jeden liebevoll betrachtend, so schwielig er war, so voll grauer Linien von der ewigen Arbeit, so glatt glänzend dort, wo immer der Faden durcheilte – und sie hatte ihn gern und fühlte, dass sie nicht loskommen konnte aus den Armen der Güte, dass sie bei ihm bleiben musste, dass er schmächtig und kränklich war, aber eine feine, sehnsüchtige Erfüllung im Auge sprach: »Begreife nur, du Frische, drinnen sitzt einer, der auch das Leben liebt, auch wenn der Kopf tief in den Schultern sitzt!« Und sie empfand es so stark mit ihrer gesunden Jugend, so ein heißes Gefühl kam auf in ihr, so voll des Dranges, Glück und Zartheit zu erwidern, dass sie ihn an dem einen Abend inbrünstig umarmt hatte, zum ersten Male in ihrem Leben, so inbrünstig, so besinnungslos, so fast unbeholfen und wild in ihrer Jugendkraft, dass der Mann ihre Hände in seinen Seiten fühlte wie eiserne Klammern, und dass er fast ängstlich dabei ausgesehen. Kindlich und verlegen war sie dann. Es war ihr dann nur, als wenn alle Not ausgelöscht, alle Skrupel, alle heimliche Scheu, die sie plagte, wenn sie fern von ihm war. Sie war dann den Abend auch gar heiter, lachte und neckte ihn, nannte ihn Zwerglein und gab ihm Kosenamen, die ihr einfielen, und die sie noch niemals im Munde gefühlt. Es kam ihr komisch vor, wenn sie zärtlich seine Hand nahm und sagte: »Wie e' Kauz siehst du aus, so huckig gihst du.« Sie wusste gar nicht, dass er nur lachte, weil sie lachte, und dass ihm das Wort nicht wohltat. Aber sie war an dem Abend ganz ausgelassen, sie neckte ihn und spielte mit ihm, und er liebte sie und brannte für sie und wehrte sich gegen nichts, was aus ihren frischen, lachenden Augen kam. Nur wie er es durchaus verlangte, dass sie offen mit ihm gehen sollte, gab es einen kleinen Streit. Er verlangte es. Und sie sagte rundweg »Nee!« Und er verlangte es wieder, und sie machte Ausreden. Sie wurde auch ernst, und es glitt Härte einen Augenblick durch ihre Seele. Aber sie verscheuchte sie selbst, weil sie allein waren draußen im Felde, weit und breit niemand, nur unter Halmen, die sich um sie neigten, und nur unterm Sternenscheine, der die ganze weite Welt, sie im Glücke mit umspannte, und sie lachte und sagte, sie hätte sich was ausgedacht und kam nun mit ihrem Plane: »Hör amol, Joseph, du bist doch a Vernünftiger und kannst warten. A sulange ich bei da Menschen wohne, giht's ni.«

»Nu, da nimm an Stube für dich, oder wenn mir ins a Stiebel zusammen nahmen?«

»Nee, nee«, es kam wieder die Härte. Das Gesicht wurde fast leidend einen Augenblick. »Nee«, sagte sie, »das mag ich ni«, und er nahm eine Ähre vom Halme und kitzelte sie am Halse, dass sie noch versonnen, aber freundlich erklärte: »A Stiebel nehm ich mir, Jeses, erst muss ich sehn, wie das ableeft, und wie ich vo da Leuten luskumme. Wenn ich alleene wohne, könn' mir sehn!« Dabei hatte es an diesem Abend sein Bewenden. An Sorgen und Denken war Mathilde an sich nicht gewöhnt. Aus Gedanken herauszukommen, wenn sie aufgewühlt waren, war ihr nicht leicht. So war auch trotz Neckereien Salecks, trotzdem er ihr goldene Gespinste in die Luft schrieb, an diesem Abend ein ewiges Wiederkehren ins ernste Ermessen – so dass sie selbst alles Lieblosen vollends vergaß und schließlich stumm wurde – und Saleck sie auch mit seiner demütigen, innigen Gebärde, wie er ihre Hand an seine Augen legte und sie niedergebeugt geküsst hatte, die Hand und den Hals und die Brust unter'm leinenen Jäckchen, gar nicht mehr recht erwecken konnte.

7
Saleck und Simoneit messen sich

In der Schenkstube in der Nähe der Fabrik saßen Arbeiter und lärmten. Es war im August. Regen troff nieder in die Straßen, dass die Gassen Rinnsale waren und man über Pfützen schreiten musste. In der Nähe der Fabrik, die etwas außerhalb lag, waren die Wege nicht gepflastert, so dass die nun im Strome heimkehrenden Arbeiter durch dicken Schmutz wateten. Ein junger, starker Mensch mit einem vollen Barte saß in der Schenke an einem Tische und löffelte versunken eine Suppe, unterdessen der Wirt an den Tisch der Lärmenden Bier trug. An diesem Abend ging es toll zu. Es raschelten die Rinnen, und Rauschen erfüllte auch die Schenkstube, und außerdem musste was los sein. Der Wirt stutzte und lief vor die Tür, um nachzusehen. An der Ecke schien ein Auflauf: »Ich erschlag' dich – ich erwürg' dich – du Räuberkerl!« schrie plötzlich eine heisere, glühende Stimme – während andere schon dazwischen riefen. Der Schrei übertönte unerwartet das Getöse des Regens. Der Wirt war hinausgetreten, und die Rufe waren plötzlich laut in die Stube gedrungen, so dass alles gleich verstummte. Alle Insassen traten sofort hinaus. Richtig – unten an der Ecke, wo man in den freien Platz vor der Fabrik einbog, gab es eine Menschenmenge von Fabrikarbeitern und Arbeiterinnen, während einige ältere Arbeitsmänner verlegen lachend, fast an der Schenktür vorbeigingen und sagten: »Der verwachsene Joseph is a Aast, wenn der angreift.« Und man sah nun – der Wirt und die getrunken hatten, gingen Schritt um Schritt näher, aber sie hielten immer noch zurück, weil sie sonst fürchteten, mitten hinein verwickelt zu werden –, dass Zwei sich in wilden Zornflammen auf Tod und Leben am Boden balgten. Die jungen Arbeiterinnen standen rings herum lachend und höhnend. Auch der junge Bärtige war, nachdem er die Suppe langsam ausgelöffelt, mit energischen Schritten aufgestanden und nahe gekommen. In der Mitte neben den Kämpfenden stand Mathilde – leichenblass und wie ein Raubtier zum Sprunge bereit, dass keiner nahe kam, und nur das Gegurgle der sich Würgenden, die wie die Teufel einander anblitzten und anfachten, ohne rechte Worte zu finden, hörbar war. »Was ist denn passiert?«

»Hahaha, – d'r Krumme – d'r Krumme – giht mit der«, lachten einige junge, freche, abgenutzte Mädchengesichter. »Nee, mit 'm sulchen Bucklichen möcht ich's ni Halen –« schrieen andere.

Mathilde fühlte, dass sie alle voll Hohn waren, die um sie standen – sie stand wie eine Bildsäule und wusste nicht – nur die höhnischen Redensarten flogen in der Luft gegen sie und trafen sie, und es war, als wenn sie in den Krummen hineingekrochen wäre mit ihrer Kraft, dass der geschmeidige, kräftige, dunkle Simoneit nun ganz in seiner Gewalt schien und sich gar nicht mehr entwinden konnte. Und der Krumme hielt fest und wie eine Siegesfreude blitzte es in den Mienen seines Auges – hell wie der Tiger blickt, wenn er sich fühlt und weiß, dass er wie eine Freiheit im Blute hat. Und Mathilde stand und sah sich nicht um – nur gerade vor sich, in die Luft hinein – stark und von einer unnennbaren Härte, und es war auch, als ob sie fast fanatisch lauschte auf die Röchellaute, dass der junge Arbeiter, der näher kam, und auch einige andere, die dabei gestanden, nun hinzusprangen zu den Kämpfenden, die im Schmutze sich wälzten, und sie zu trennen versuchten. »Trennen!« – riefen auch einige in der Umgebung. Jawohl, wenn sich ein Marder eingebissen, ist schwer trennen. Es wälzte sich hin und her – und Mathildes Augen entsprang ein Quell von Tränen, bitter und heiß. Sie wusste es jetzt wieder, dass dieser Freche sie hatte anrühren und heimlich zum Hohn hatte zwingen wollen. Sie war ihm, die auf einsamen Wegen hatte heimeilen wollen, mit knapper Not entgangen. Er hatte sie aus einem Hinterhalt unversehens ergriffen, und hatte wie ein wildes Tier ihr fast ein Stück Jacke vom Leibe gerissen. Nun war sie ihm entgangen und hatte nicht geschrieen, nicht um Hilfe gerufen – sie war selbst stark genug gewesen, um sich zu wehren. Sie hatte ihm einen Stein an den Kopf geschlagen, den sie zu packen bekommen beim Ringen an der einsamen Parkmauer und war dann davongeeilt. Zu Joseph geeilt. Zu allen, die sich jetzt auf die Straße ergossen zur Feierabendstunde. Und hatte nicht gezögert, sich vor allen in des Huckigen Schutz zu begeben, und auf jenen Frechen, der ihr dreist zu folgen wagte, mit entsetzenerfüllter Miene hinzuweisen.

Und Joseph hatte ihn am Erdboden und würgte ihn und wollte ihm ans Leben. Er sah nichts als den vor sich, der damals die Wette gemacht und geprahlt hatte. Nun wollte er ihm ans Leben. Und das Röcheln wurde so laut, und das Atmen beider so stoßend und unheimlich, dass Ruhe, fast Totenruhe herrschte, und alle plötzlich wie von unsagbarer Dumpfheit gefangen standen. Mathilde überwand ihre Tränen und machte sich Bahn, um einige Schritte zu tun, ohne sich umzusehen. Es war ihr, als hätte sie ein Recht, dass jener dort lag und röchelte, und als wenn sie sogar stolz wäre, dass der krumme, kleine Kerl sich wie ein Marder in sein Opfer eingebissen, und sie lachte plötzlich verachtend – da wagte sich auch das Höhnen der andern noch einmal auf – bis der bärtige Mann, der in der Schenke allein gesessen, die Kämpfenden rücksichtslos und mit einem so eisernen Maße von Kraft auseinander riss, dass der Krumme dastand wie ein Wahnwitziger, sinnlos um sich blickend, Schaum vor dem Munde – am Halse blutend und mit den Augen jeden ansprühend und sinnlos vergraben, den Schmutz anfühlend, der ihn über und über bedeckte – und dann die beiden – Mathilde und er, nachdem sie noch einen harten Blick gewechselt, unter Gezeter und Gejohle heimgingen. Zuerst Schritt um Schritt und noch verfolgt von Höhnenden, und dann, wie sie um die Ecke waren, eilig und schamhaft. Und der Geschlagene konnte sich nicht recht erheben, weil er aus der Nase blutete und sagte nur immer: »So ein tückscher Hund – nee Jeses, ich ha's ock verpasst« – sagte er nur immer wieder, wie er sich endlich erhoben hatte und ihn noch einige umstanden und lachten: »Den hätt' ich kalt gemacht!« Und wie einer höhnte –. »Ach nee – gleeb ock ni a suwas – vor dam fürcht ich mich ni – dar kriegt's noch – dar kriegt's noch.« Womit er Schritt um Schritt in die Kneipe einbog, um sich zu stärken und zu reinigen.

8
Mathilde geht nun offen mit ihm

»Nu gih ich mit dir«, hatte Mathilde gesagt, als sie am Abend jenes Tages am Hause stand und ihn ansah, wie er bleich und noch fast atemlos erschien, und wie sie ihm im Hausflur die Blutspuren am Halse wegrieb, dass er ungestört heim konnte. Und so war es. Jener Angriff Simoneits, dessen Namen sie jetzt kannte, hatte ihr aufgetan, was für Menschen sie umgaben, und in welchen ewigen Gefahren sie als ganz einsames, junges Frauenzimmer lebte. Und sie ging mit ihm. Wenn sie morgens in die Fabrik wollte, kam er pünktlich vors Haus, wenn sie die Treppen niederging, er mit dem Kopf ein wenig in den Schultern und sie groß und jung, er auch bleich und mit einem Angesicht, aus dem nur Sinnigkeit und Sanftheit Ausschau hielt – ob zwar jetzt in der Fabrik alle wussten und alle heimlich und laut sagten, dass er wie ein böses Raubtier einem an den Hals komme, wenn man seine Wut weckte und einem gar das Blut wie ein Vampir aus den Adern saugen könnte. Und man ließ sie unbehelligt. Sie gingen mitsammen, er ein Schutz für Mathilde, weil sie wusste, dass ihre Kraft, seit er an ihr mit ganzer Inbrunst hing, in ihn überging, wenn sie nur bei ihm stand – und er, gesonnt durch das schöne, kräftige, gesunde, unberührte Bauernkind, das kaum erwachsen einherschritt, sicher und hart und tüchtig. Niemand wagte sie nun zu stören. Auch die jungen Arbeiterinnen sahen sie mit heimlichem Respekt – und die jungen Arbeitsmänner, oder gar die alten, sagten höchstens: »Kannst lachen, Joseph«, wenn sie mit dem Krummen einmal beim Arbeiten, oder über den Fabrikhof schreitend, ein Wort wechselten. Jetzt kam Saleck auch und saß bei Mathilde. Mathilde litt es gern. Wenn am Sonntage die Wäscherinnen hinaus waren, durfte er zu ihr. In Mathilde hatte jener Abend einen Stolz erzeugt, der sich über alles heimliche und neckische Sorgen breitete, und sie litt gern, wenn er bei ihr saß. Auch war alles, was die Leute von Saleck sonst redeten, durchaus nur törichtes Geschwätz. Er war unbedingt der einzige unter allen, der ein stilles, in sich gesunkenes Leben führte, und der nicht nur immer in der Destille und beim Schankwirt seine Feierstunden zu verklären suchte. Er war ein stiller Mensch, auch gleich, nachdem sein Jähzorn sich gelegt und er seinen Atem wiedergewonnen hatte. Wieder wie immer war er still und sanft und mochte gar nicht an jenen Streit mehr erinnert sein. Er hockte jetzt oben am Fensterschlitze und plauderte oder las wohl auch manchmal Mathilde mit innerer Teilnahme, die er für alles Geschriebene empfand, etwas vor, wenn er dachte, dass sie es interessieren könnte. Mathilde hörte ihm gern zu. Sie mochte es gern, dass in seiner sanften Stimme etwas still, wie zitternd mitsprach, was nicht aus den Worten, was aus seiner Seele kam. Und wenn er ihr auch Geschichten vorplauderte – er war ganz sinnig von seiner alten Großmutter her, die ihm immer alles mögliche erzählt hatte –, da wunderte sie sich fast, dass alle die Geschichten von den schönen liebenden Frauen, von Melusine und von der Gänsehirtin am Brunnen in dem kleinen, krummen Kerle verborgen lagen, so fein und so zärtlich, und dass er liebe Worte fand, sie hinauszugeben. Und sie lachte, weil sie es gar nicht gewöhnt war, dass einer nun gar ihr, die groß und stark herangewachsen war, noch solche Lügen erzählen mochte, wie sie es nannte, und womit sie gar nichts Böses und Abfälliges, nur ihr ganzes Unvermögen bekunden wollte, dass sie in dieser ganzen weiten Welt seit ihrem eigenen Anbeginn, weder im Gemeindehaus, noch im Dorfe oder gar in der Fabrik und der Stadt solche Melusinen und Gänsehirtinnen und gar auch die Prinzen hätte finden können. Komisch kam sie sich immer vor. Sie machte sich über sich und über ihn lustig, wenn sie zugehört hatte, wie ein Kind neugierig, wenn sie sich schließlich ganz vergaß.

Und die Wäscherinnen waren unterdessen ganz abgekühlt. Was zuerst ganz Güte und Liebe gewesen war, war längst ins Gleichgültige und Gehässige umgeschlagen. Sie fingen an, Mathilde zu plagen, fanden es gemein, ein Mannsbild mit in die Stube zu bringen, und waren gar nicht scheu, es offen zu sagen, noch gar was für eins. Grade weil Mathilde streng und grob alles gemeine Leben hasste, als wäre es für sie eine Hölle auf Erden, grade, weil sie sich zuerst ahnungslos nur für sich gehalten und in ihrer stillen Gemeinschaft mit dem kränklichen Saleck ihre wenigen Feierstunden hinbrachte, hielten die Alten nicht zurück mit ihrem Hohne. Saleck hatte es sogar schon mehrmals selbst zu hören bekommen, und immer merkte er Mathilde an, wie ihr das Blut in die Wangen brannte und dass sie sich stolz aufrichtete, wie eine, die man unschuldig geißelt.

Aber sie hielt still. Noch dazu, dass ihr das ganze Haus in jener Lage, die mit dem Streit und Auflauf gekommen war, ganz gleichgültig schien. Die stummen Sorgen hin und her, die heimlichen Bedenken waren ausgelöscht seitdem. Ihre Gemeinschaft mit Saleck stand jetzt fest. Es hätte gar keinen Sinn gehabt, noch darüber hin und her zu grübeln. So war es: er war kränklich und zart und war ein wenig verwachsen. Sie sah es kaum noch. Es war so. Was ging es die andern an. Sie war abgefunden. So schwieg sie, wenn die Wäscherinnen sie höhnten und verlachten. »Du wärst fir Feine gut genug«, sagte einmal eine zu ihr. » Ich gleeb's, ju, ju, wenn ich mich wegschmiss«, sagte Mathilde noch höhnischer. Es war zwischen ihnen zu Ende. Die Böhmischen fragten im Grunde gar nicht mehr nach ihr. Sie sahen sie nur dann und wann noch heimlich an, dass sie frisch und stark und rosig erschien, dass ihr das goldene Gesträhne, wenn sie aus ihrem Bett fuhr, hudelig um die freie Stirn hing, dass sie Augen hatte, hell wie blinkende Steine, dass sie sicher war, wie eine, der man nicht nahen durfte, wenn man im Moder lebte; dass sie unbefleckt geblieben, so sehr sie im dumpfen Moder aufgewachsen und von Gemeinheit und wilder, verzehrender Sinnesart und obhutlosem Sichhinwerfen in alle Pfützen und Lüste noch jetzt umgeben war. Denn grade das war es, was Mathilde immer wieder stark machte, dass sie stark war aus dem rauchigen Vaterhause her, wo sie sich zu wappnen hatte lernen müssen. Und dass sie auch längst erkannt hatte, dass es die reinen Dielen mit Sand und die rein gewaschenen Treppen im Hause allein noch nicht machen – dass man mit reinlichen und sauberen Menschen leben muss, die immer nur schwer zu finden sind.

Und in dieser Zeit war in Mathilde ein seltsames, unbarmherziges Gefühl, wenn sie allein war außer der Arbeit. Sie dachte an daheim mit Groll. Sie schrieb nicht mehr. Sie dachte, daheim ging es auch zu, wie im Saufhaus, es kamen ihr Szenen in den Sinn, und sie schrieb nicht. Sie war lebendig im Hass, und hasste den Mann, der mit der Mutter lebte, und schrieb nicht. Sie konnte sich nicht mehr entschließen monatelang. Es war auch gekommen nach dem Angriff Simoneits, und nachdem Saleck ihm am Boden fast die Gurgel zugedrückt. Wie einer Schlange, dachte sie, und ihr Blut ging in Hass, und viele Male, wenn sie sich so ihren Träumen überlassen, war es ihr dann eine Weile gewesen, als ob der Heintke unten gelegen und zum Erdrosseln reif gewesen wäre. Und Szenen im Gemeindehause kamen ihr wieder in den Sinn, aufdringlich und quälerisch und verschwammen mit ihren eigenen Erlebnissen, die sie schreckten. Und in den Stunden dachte sie an Saleck, wie an einen Retter. Sie floh zu seinem sanften Gesicht, das sie sich dann vorstellte, still und unbegehrlich, und ließ zutrauliche Worte aufmarschieren, um sich alles böse Schauen auszulöschen: Worte aus seinen Geschichten – und sein hohes Lachen, das ganz kraftlos klang, aber doch sanft und unbegehrlich und aller Rohheit fern, kindlich und herzlich.

Und immer ging es so aus, wenn sie einmal wieder den Versuch machte, einen Brief heimzusenden. Es fiel ihr dabei einmal ein, wie der Vater die Mutter in einer Nacht, wo sie längst als Kind geschlafen, plötzlich wütend aus dem Bett gerissen, geschlagen und gebalgt hatte, und dazu die beiden so wütend sich angeschrieen und angeheult, dass die Gemeindestube bald voll Menschen gestanden, die auch zuerst mehr Neugier und Freude am Ereignis, als der Wunsch nach Ruhe und Ordnung hereingetrieben, bis endlich der Hallmannbauer, ein Riese, der benachbart wohnte, mit einem Strick gekommen war, beiden, Vater und Mutter, mit dem Strick tüchtig zugesetzt und sie aus der sinnlosen und gemeinen Wut zur Besinnung gebracht hatte. Sie, die Älteste, hatte am Boden gelegen und gezittert – sie zitterte und bebte noch jetzt in Gedanken und hasste ihre Jugend und dachte und fühlte noch, wie die Kinder im Bett und die Großmutter jämmerlich weinten, und sie wusste sich nicht zu lassen, dass sie den Briefbogen in die Ecke warf, das »Geliebte Eltern« wieder zornig zerriss, und nur das Geld zusammennahm – ihren Namen auf die Postanweisung schreibend, groß und leserlich: Mathilde – das war sie, das wollte sie bleiben – unbescholten – das wollte sie bleiben, auch wenn ihre Mutter war wie die Böhmischen, und die jungen Kerle in der Fabrik wie Heintke, Tiere, die auf nichts ausgingen, als ihr die Kleider vom Leibe zu reißen und sie sich dienstbar zu machen. Sie dachte wieder an Saleck, und fand Kraft und Ruhe wieder. Sie dachte an dem Abend sogar: »Er ist schwach, aber ich bin kräftig und gesund. Auch ich kann ihm ein Schutz sein.« Das gab ihr Sicherheit und Ruhe wieder und ein Gefühl, als wäre sie froh, nichts anderes zu sein, als sie selber – so wenig – ein armes, einsames Fabrikmädel – aber sie selber – stark und gesund – und da für einen Schwachen und für einen, der gut und sauber und kindlich ist – und stolz auf sie und ihre Kraft – und ihre unbeugsame Härte – und sie nahm sich alle ihre Wünsche neu zu Herzen, dass sie gern mit ihm leben wollte – gern – und für ihn sorgen, wenn er auch kein Held wäre im Äußeren, und dass sie arbeiten wollte, ihr eigen Leben verdienen, dass sie für alle sorgen wollte, selbst für die, die daheim im Rauche und in Hass und Flüchen lebten.

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280 стр.
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9783955013622
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