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Fabrikmänner

In der Fabrik ging es gut. Und wie die Räder schnurrten und surrten, und alles in Bewegung und Lärm und in Vorwärtsdrängen sich abspielte, machten die jungen Direktoren und Werkmeister und auch der Portier fröhliche Gesichter. Sie wussten, man verdiente, nun sollten alle ihren Teil haben. Es gab lange Arbeitszeit, und jeder einzelne Arbeiter trug am Sonnabend guten Lohn heim. Auch die Arbeiter machten gute Mienen, besonders die jungen. Und es ging auf den Sommer zu. Da war auch das Schlendern zum Feierabend wiedergekommen. Und wenn die Stadtuhren sieben schlugen, hastig oder feierlich, je nachdem es aus dem Stadthaus oder von den Kirchen klang – da eilte jung und alt und wusste, wo es sich zu finden hätte. Dann liefen die Mädel in Reihen um die entstehenden Neubaue, wo die jungen Maurergesellen froh warm, sie hinter Schuppen und Ziegelständen zu drücken, oder sie schlenderten ins Feld, paarweise, und manche saßen auf den Bänken, manchmal eine halbe kühle Frühlingsnacht, oder trieben sich lachend und schäkernd auf den Promenadengängen am Wasser und um das rauschende Wehr herum. dass Mathilde nicht darunter war, gab bald Anlass zu heimlichem Gered«. Man sah sie nie. Die Mädel ärgerte es, und sie erfanden sich allerhand Gründe, die sie höhnisch und fast innerlich beleidigt ihren Burschen zum besten gaben. »Die hält's mit 'n Grussen«, foppten sie. Und es kam auch in der Fabrik unter den jungen Männern und Weibern herum, »die hält's mit 'n Grussen«. Jeder wusste wohl, dass sie dem und jenem jungen Werkmeister gefalle, der sich mit ihr gern eine heimliche Lust machen würde. »Se is zu stolz mit insereens«, sagten manche. Und man erfand auch gleich wer. Es war nur Gerede. Aber man spannte dann auf den Bewussten und beobachtete sie, obgleich sie noch in der Arbeit die engen, ärmlichen Gemeindehauslumpen trug – und ärmlich und gar nicht nach einem Großen aussah. »Luss dr ock endlich amol a längeres Kleed schenka, Mädel«, höhnten die Mädels. Und sie versuchten, sie zu necken und zu ärgern. Mathilde sah es und hielt an sich, wie sie es im Gemeindehaus einst gelernt hatte. Was die Mädels da redeten, war Gemeinheit. Sie hasste die Brut und mit keiner mochte sie Umgang haben. Und eines Tages kam eine, die wusste zu erzählen, sie wäre eines jungen Kommis Gesponse – denn man wollte sie mit ihm im Dunkel haben verschwinden gesehen. So kindlich und bettelhaft arm sie noch immer aussah. Alles war Gerede, aber man machte sich eine Lust, um die junge, stolze Person einen ganzen Kreis Erfindungen auszustreuen. Sie litt unter dem Hohn, im Grunde störte sie's nicht. Sie dachte, das ist das Leben. Was wollte sie auch tun? Sie litt es, es kaum recht begreifend, weil keine vertraulich mit ihr war – und niemand ihr den wahren Grund aus den neidischen Quellen verraten mochten Sie dachte also: das ist das Leben und kam und ging – tat ihre Arbeit und sah stolzer und stolzer aus.

Und die jungen Männer buhlten heimlich um sie. Wer denkt, dass überall ein freier Sinn das Stolze und Tüchtige nur gewähren lässt, wie reine Bergluft das Aufwachsen eines jungen Baumes, der weiß nicht, dass die Menschen am Seile der Leidenschaften gefesselt und geführt sind. Jeder, der sich nach ihr sehnte, versuchte ihr etwas anzuhängen. Die jungen Burschen schrieen ihr Namen nach, die sie vergaß – so schändlich waren sie. Einmal in einer kleinen Schenke, wo man an schmutzigen Tischen Schnaps trank, und der übermäßig dicke Wirt immer die Mütze auf dem Kopf trug, saßen viere, die eine Wette machten, dass sie Mathilde verführen könnten. »Das wer'n mir sehn«, sagte der eine, der Soldat gewesen war – und er wiederholte es noch einmal, als ein andrer vom Trottoir herein in die Schenkstube trat, schwerfällig und mit guten, einfältigen Zügen, der nur sagte: »Tag, Simoneit«, und dann gleich den Schnaps in den Hals goss und schmunzelnd zuhörte. »Das wer'n mir sehn!« rief Simoneit noch einmal. »Die kann noch a su stulz tun, die ha' ich – ei enner Woche, wenn ich wil« – und er riss die dunklen, sicheren Augen prahlerisch in die Höhe und stieß die Mütze in den Nacken, dass ein Strähn loser, dunkler Haare ihm in die Stirn fiel. Und es gab ein Lachen – und ein älterer Arbeiter sagte bedächtig: »Sag ock ni zuviel, Perschla – könnt'st afahren –« und die anderen lachten wieder und schrieen: »A Alter wie du, freilich.« Und es kam ein Vergnügen unter die Leute, dass der Wirt auch hinzutrat und wissen wollte – und man erzählte ihm genau, dass sie jung und stolz und böse wäre, wie eine Katze. Und Simoneit schrie: »Ich fang se, wenn se mich au' krallt!« Und der Wirt sagte: »A Mädel, nee, das wär gar – nu ich ha mir au' Rat gewusst« – und er sagte, dass nun die andern noch einmal in helles Gelächter fielen, wie sie den Dickbauch, der sich nur mit mehreren Schritten noch um sich selber drehen konnte, seine Liebesabenteuer erzählen hörten – er sagte: »Je stulzer de Mädeln tun – desto wilder sein se«, und Simoneit schrie noch einmal: »Heinrich, was wettst de, ich ha se ei enner Woche ha ich se« – und sie wetteten.

Es waren alles junge, kräftige Männer, sie waren erhitzt im Gesicht und angetrunken und rücksichtslos – und wie sie hinaustraten auf die Gasse, mussten sich die Passanten vorsehen, weil sie in ihrer Wildheit jetzt auch Lust verspürten, sich am anständigen Rocke zu reiben, und Mädchen und Frauen mussten eilig und ohne sich umzublicken, hinübergehen auf die andere Seite, dass sie nicht Wort und Hohn aus ihnen neu herauslockten. Jung waren sie, und waren doch schon wie die Alten – sie kannten alles zur Genüge – und waren ausgenützt. Keine Seelen, die noch etwas anderes dachten und wünschten, als was kalt und trocken wie ein harter Stein zuletzt in ihren Händen blieb. Sie sahen Blumen nicht blühen – und sahen nicht, dass weiße Wolken am Himmel zogen – hoch über den engen Straßen – und Vögel zogen in den Lüften. Sie gingen hinein noch in die Destille, wo sie um den Schenktisch standen – und tranken sich zu, die Mützen hinten, und lachten und tollten wie oft.

Nur einer hatte nicht gesprochen, aber er war kränklich und schmächtig und klein. Er wusste, dass er nicht aufkam gegen die Gesunden. Deshalb schwieg er. Und vor der Destille hatte er sich von ihnen getrennt und war heimgegangen. Und es nagte an ihm. Er war dann noch einmal bis vor Mathildes Haus gelaufen, um zu sehen, ob er sie treffen könnte, und hatte vor ihren Fenstern gestanden. Derselbe, der sie versucht hatte, anzureden, den sie hart und unbarmherzig abgewiesen. Dem sie einen Zornblick zugeworfen und nie ein Wort mit ihm gewechselt hatte. Es nagte an ihm. Er empfand einen Gram. Er hatte den Wunsch, Mathilde zu warnen. Er versuchte, die Treppe im Hause aufzugehen und dann ging er doch nicht, weil jemand oben aus dem Zimmer trat – er eilte in die Nacht und ging nun tagelang, gequält von einem Gedanken.

4
Wie Saleck sich nähert

Mathilde lebte noch immer bei den beiden Wäscherinnen, still und häuslich. Ihre jungen Mienen waren frisch und stark. Sie liebte die Alten, die ganz selbstlos nur immer Gutes brachten, und sie empfand, dass sie kräftiger und weiblicher wurde. Am Hause war neben Schutt und Schuppen ein winziger Rasenplatz und es begannen Veilchen am Rande des Zaunes aufzusprossen. Und die Abende waren länger. Da saß sie und nähte manchmal auch. Und wenn sie sich abends ihren Leib waschend im Spiegel sah, erschien sie sich kräftig und schön, und dachte an den Frühlingsbaum, der im Hofe eingeschlossen, weiß schäumte. Sie wusste nicht, dass sie es war, die in der kleinen Scherbe widerschien. Wie eine am Brunnen, dachte sie. Und es fiel ihr ein, dass wiederholt eine Stimme heimlich sie neckend »Großmutter« rief, heimlich und freundlich. So wie sie dastand in der drängenden Frische des Lebens, sah sie nicht wie eine Großmutter aus. Aber wenn sie die Fabrik im Strome verließ, und Lachen und Hohn und gemeine Worte und lüsterne Fragen und Spöttereien der Jungen, wohl gar einmal ein wirkliches Angreifen und Festhalten und Geküsstwerdensollen eines Menschen, den sie nicht beachten mochte, und gegen den sie sich mit schneller Kraft wehrte, vorüber waren – hatte sich immer wieder eine freundliche Stimme heimlich, dass sie nie den Rufenden finden konnte, vorgewagt: »Großmutter, Großmutter.« Und nun sie dastand vor ihrem Waschschäffchen, musste sie sogar darüber lachen. Es war ein Witz. Sie hatte zwar auch dabei immer mit Härte und sicher wie ein Vogel, der zum Auffliegen bereit ist, um sich geblickt. Aber im Grunde gefiel ihr, dass sie ein Zartes und Zurückhaltendes hörte, und dass jemand mit ihr einen freundlichen Witz machen konnte. Und wenn sie auch eilte und froh war, wenn der Schwarm hinter ihr verstummte, so erfüllte sie doch nur gegen die Menschen eine ganz ungedeutete und im Grunde unerfahrene Abneigung, die sie aus dem Gemeindehause mit in die Stadt gebracht hatte – es wäre ein Wunder gewesen in ihrer jungen Seele, wenn sie sich nicht schließlich heimlich gesehnt hätte, den zu finden, der so zurückhaltend und zärtlich »Großmutter« rief. So war es gekommen, dass sie eines Maiabends an die Stelle zurücklief, wo sie den Ruf hatte hören müssen, und dass im Schatten der alten Linde, die aus dem Direktorenpark über die Mauer und den Weg sich breitete, einer plötzlich heraustrat und sie festhielt. Sie war furchtbar erschrocken. Es ging ein Schrei aus ihr aus. Aber sie war stehengeblieben, weil sie gleich sehen konnte an den Schultern, die fast den Kopf hielten, dass es wieder nur der junge, schmächtige Mensch war, der dort heimlich gewartet hatte. »Scheer' dich«, sagte sie hart. »Rühr mich ni a.«

Der Huckige wagte auch nicht, sie festzuhalten, aber er war froh, dass er sie einmal allein vor sich sah.

»Warum biste denn a su?« sagte er nur ganz entschlusslos.

»Wie bin ich denn?« sagte sie – »was willste denn vo mir?«

»Nu Jeses,« sagte er, »ich will weiter nischt, du brauchst doch nee asu verächtlich zu tun.«

»Grade – ich tu ni a su – ich bin's.«

»Ich wiss gar ni, was hot denn das fir'n Zweck?«

»Zweck hot's nee« – lachte sie höhnisch, wie sie einst zur Mutter lachte.

»Wenn ich dir gutt bin, kannst du doch mit mir gihn«, sagte er, immer noch eingeschüchtert. Oh, sie war streng und hell wie eine klare Glocke.

»Ich geh ni mit jedem, an sulche bin ich nee. Heute und morne. Verstihste? Und wenn de mir noch amol an sulchen Schreckschuss eijagst«, sagte sie zögernd und sah, dass er fast verlegen niedersah – lachte auf einmal über die demütige Gebärde hell auf, und indem sie zurückgewandt wieder weiterzugehen versuchte, » n Zweck Hot's ni – gar keenen – ich bin a su –.« Aber weil er entschlossen bat und gütig und ohne Verlangen sagte:

»Nee, bleib ock – an Augenblick wenigstens – sei a su freundlich!« Da kam es ihr wie ein ganz warmer Hauch vor, der aus dem zarten, bartflaumigen Mannesgesicht ausströmte. Sie dachte gar nicht, dass das es wäre, worum sie stolz und hart sein wollte, und sie verstand auch gar nicht, was in ihr vorging – sie hatte auf einmal ihr Kaffeetöpfchen fester ergriffen und sich umgesehen, ob jemand in der Nähe wäre und war davongerannt –, ängstlich und scheu und unsicher und doch mit einem Glück, was ihr warm in den Gliedern rann.

Jetzt begann ein eigentümliches und neues Leben in ihr. Sie raffte sich. Sie sah nun alles, als hätte jemand ihr die Welt klarer gemacht. Sie ging auch noch eifriger in die Arbeit, versuchte Überstunden zu machen, dass sie reichlicher noch verdiente. Sie hielt auf sich. Die enge Jacke und den kurzen Rock hatte sie bald für ihre Geschwister nach Haus gegeben und kleidete sich wie eine Erwachsene, nur sauberer und frischer wie die andern. Ihr Haar legte sie in Zöpfe, reichlich wie es war und goldig, und in ihren Augen glänzte ein heimliches Aufmerken, wie auf etwas Frohes, was kommen konnte. Dabei schritt sie einher, ohne groß um sich zu blicken. Sie empfand es plötzlich fast wie einen Ekel: das Feile, das die andern jungen Mädchen und gar die alten darunter hatten, wenn sie aus dem Tore sich auf die Straße drängten und jedem Gutgekleideten nachblickten und nachlachten. Sie ging immer, als hätte sie ihr Ziel anderwärts. Nur sah sie alles doch um sich. Und alles empfand sie fein oder grob – dass es sie anzog, oder abstieß, bestimmter und klarer als je –, und sie hatte ganz das Gefühl verloren, auf der Hut zu sein. Als wenn sie jetzt ganz sicher wäre. So kam sie und ging sie. Und saß daheim. Und nähte und wusch, und wenn sie jetzt nach Hause schrieb, man konnte es fast nicht glauben, was da in die kalte, rauchige Stube für ein heller Schein aus einer jungen Seele sich wie eine weiße Taube niederließ: »Innig geliebte Mutter – oh – nun verdiene ich viel – und ich kleide mich gut – und die Menschen in der Stadt, Du kannst gar nicht denken, wie anständig die Menschen hier leben und gehen – und ich bin ganz sauber und anständig und halte wirklich darauf, dass ich Euch, geliebte Eltern, keine Schande mache« – usw. So klang es. Die Seele war voll jungen Lebens, die solche Worte sorgfältig auf einen schönen Bogen schrieb, einen extra schönen mit einer roten Blume, als wollte sie zum Geburtstage grüßen, oder sonst eine Feststimmung zum Auedruck bringen, wie sie in Unterrock und Hemd auf dem Schube hockte am Fensterschlitz. Und es war auch wieder Sonnabend, am frühen Nachmittag. Fast störte es sie, dass die narbigen Mädchen im Zimmer waren. Das Gefühl war ihr bisher noch fremd gewesen. Aber es begann sie zögern zu machen, dass die alten Dirnen sie ansahen, wenn sie, die Junge, Rosige, nackt am Waschfass stand. Und sie begann zu horchen, ob sie daheim blieben. Sie war in Hemd und Rock sitzengeblieben und machte sich immer noch eine Beschäftigung. Sie zögerte. Es war in sie gekommen, wie ein plötzliches Aufblitzen, dass sie sich vor sich und andern verhüllen wollte, es war ein ganz unbekanntes, hohes Gefühl. Es erschien ihr zuwider, die Augen, die sie ansehen wollten und ihr junges Fleisch wohl gar berührten. Heimlich und tastend versuchte sie, ihre Zeit hinzudehnen. Und erst wie sie hinaus waren, wusch und kleidete sie sich rein und sah sich nicht an, als wenn sie selbst sich nicht feil wäre – und dachte nur an etwas, als wenn es am Horizont sich in Golde und Glanz nahte.

Und dann, am anderen Tage, stand sie fein und sauber im groben, guten, grünen Wollenkleid und hatte einen Hut mit Blumen und wusste nicht: – Sonntag – sie wollte ins Freie. Sie dachte an die Berge, wo die Menschen Sonntags auch in hellen Scharen kamen. Es war Sommer, und sie wusste auch, dass sie irgendwo hingehen musste, wenn er nun wieder bittend auf sie lauern und sie erschrecken wollte. »Komm in de Hallen«, hatte er das erste Mal gesagt. Die narbige Dunkle kam auch wieder und sagte: »Liebling, komm in die Hallen.« Es störte sie nicht, dass auch die Alte es zu ihr sagte, weil sie nur das Wort hörte und ganz sicher war. So kam sie mit ihnen. Der weite Tanzboden war voll Staub – alles wirbelte – es war ein Getümmel. Am Eingange standen Männer mit Bierseideln in der Hand, die Hüte in den Nacken geschoben. Junge Mädels saßen auf Bänken an der Saalmauer und warteten auf ihre Tänzer, lachten und hatten Biergläser neben sich. Und auch alte Frauenzimmer, mit ekeln Patronen am Arm, schlenderten heraus in den Garten. Die Freundinnen Mathildes hatten gleich einige gefunden, die mit ihnen anstießen – und es kam einer, der auch sie zum Tanze einlud –, einer, der nicht mehr nüchtern war und den sie nur ganz erschrocken ansah, und aus Angst und Eile auch schon in seinem Arme durch den Saal fegte. Und wie sie tanzte, drehte sich alles. Es ging. Sie hatte noch nie getanzt. Aber der Kerl hielt sie fest umschlungen, und es ging ganz außer maßen – sie musste staunen und sich umsehen. Und wie sie blickte, erkannte sie den Kleinen mit der zarten Haut, der den Blick nicht von ihr wandte. Das hätte sie beinahe außer Ordnung gebracht, und sie war fast verwirrt, wie der Angetrunkene sie endlich losließ, und sie auf ihren Platz fiel, dass er prahlerisch lachte, ehe er sich mit einem Ruck wieder dem Saale zuwandte. Und nun blieb sie an derselben Stelle lange stehen und wagte keinen Blick. Und wieder kam eine Angst über sie. Sie war einige Male drauf und dran, wie unter der Linde, fortzulaufen, aber sie war auch gebannt und wagte nicht. Bis sie fast verstohlen sich hinausdrückte. Es war dunkel im Garten – das Getöse des Saales mit seinem Schein verlor sich im Schatten unter den alten Kastanien, unter denen Tische standen. Sie wollte jetzt doch heimgehen. Da trat wieder etwas aus dem Schatten zu ihr. Sie wäre in der Tat fast ohnmächtig geworden, so schwanden ihr in dem Augenblick die Sinne.

»Mich magst de nee – und mit an sulchen Kerle tanzt de«, sagte eine Stimme zornig. Sie war in solcher Glut, dass ihr zu heiß wurde vor Scham, und fand nicht ein Wort zu erwidern. Es war in einer Partie des Gartens, die am Wasser lag. Eine Grasbank stand da, sie sah zur Erde. Und dann in die im Sternenlicht vorbeischießenden Wellen und seine Hand suchte die ihrige.

»Nee – nee,« sagte sie ganz weich und schüchtern, »wenn ich nu eemol doch heem muss – luss mich – luss mich ock – a andermal – ich kann ja a andermol – meinetwegen will ich au ni so sein, wenn de gut zu mir bist.« Und sie dehnte sich langsam und unentschlossen und blieb doch feststehen, ihre Finger mit dem gesenkten Blicke zählend und hatte in der gänzlichen Verwirrung sogar auf die Grasbank sich niedergelassen. Bis dann zum ersten Male in ihrem Leben an ihr Ohr kam, was ein sehnsüchtiger, huckiger Verliebter in die Sterne und in die rauschenden Wasser, die in der Nacht blinkten und plauderten, heimlich mit fieberglänzenden Augen flüsternd und zitternd redete.

5
Wie Skrupel erwachen

Mathilde hatte die halbe Nacht mit Saleck zugebracht. Nicht viel sprechend, nur dass er, der ärmlich und kränklich war, und der unter seinen Kameraden in der Fabrik nichts galt, wenn sie schrieen und tranken, nur dann und wann, wenn es hieß, ein besonnenes Wort mit sorglicher Stimme hinzuzutun – um Mathilde seinen langen Arm gelegt –, und so gewissermaßen Besitz genommen – und sie, verlegen über die Güte, und das Glück, das aus seinen zärtlichen und schmächtigen Mienen leuchtete, es ruhig und wortlos hingenommen. Sie war nicht gewöhnt, wenn jemand zwecklos gab, nur um Freude zu machen. Noch weit weniger jene stille Hingabe, die jetzt aus dem fremden Manne kam, und gar nichts wollte, als sie zärtlich berühren, und sie ließ den kränklichen Menschen gewähren, selbst in Scheu und Scham vor allem und wortlos, und wohl auch in sich hineinsinnend, und in die Sterne den Blick spinnend – oder auch auf seine Hände, die mit den ihrigen spielten, Finger um Finger besehend von der schwieligen, jungen Arbeitshand, niederblickend und verlegen lachend, wie als wenn sie fortfliegen und nicht bleiben könnte, so innerlich verwundert und unbegreiflich war ihr alles im Lichte der Sommernacht vorgekommen. Und was Saleck geredet, war klug und sinnig. Das war nun klar. Einer, wie die Gesunden, die roh wurden, und die lüstern und laut einherstürmten, war er nicht. Er gefiel ihr – so dürftig sein Ansehen, so sehr sein Kopf auch in den Schultern saß, so feucht und fiebrig seine Hände schienen, heiß und kränklich –, seine Augen sprachen so lebendig und froh und hatten sich in Mathildes helle, frische, steinige Blicke so fragend eingebohrt, dass sie nicht anders als nur schweigend und still und in Scham und Sinnen und in kaum geahnter, stummer Erwiderung seine Hingabe angenommen. Sie war spät durch die Straßen gegangen. dass er sie begleitete, als sie aus dem Schatten der Promenadenbäume heraustraten, wollte sie nicht. Es war ihr ganz plötzlich eingefallen, dass sie nach Hause müsste.

»Nee – ich muss heem – nu muss ich – nu muss ich.« Und sie hatte sich aus seinen Armen schnell gelöst, dass die heiße Stelle, wo seine Hand um ihre Brust gelegen, nun ganz kühl wurde und sie das Tuch fester um sich zog.

»Und du bleibst«, sagte sie bestimmt. Es war wie ein Erwachen. Die Welt kam ihr wieder vor die Augen. Der Traum, in dem sie geschwommen war im stillen Sinnen und Erstaunen – nun wich er. Sie zog das Tuch fester und richtete sich auf. Saleck sah sie im Hellen stehen und fand kein Wort. Sie hatte ihn fast unsanft geweckt. »Du bleibst – ich geh nu heem.«

»Wenn sehn mir ins denn,« sagte er, »warum gihst de denn?«

»Oh,« sagte sie zögernd, »ei der Wuche kumm ich nee.«

»Warum sull ich dich denn ni bis zum Hause führen?«

»Ich will ni«, und der kleine Schmächtige hielt sie zurück.

»Nee, nee – ich will ni – 'S braucht's kees wissen –.«

»Mädel,« sagte er, »asu willste fort?« und er nahm und hielt sie am Handgelenk fest, und dann küsste er ihre Hand zärtlich, wie ein feiner Liebhaber, und plötzlich so inbrünstig, dass er ihr wehe tat. Sie machte sich los und begann eilig zu laufen.

»Uf de Mittwuch«, rief er, ihr nacheilend – und erwartete eine Antwort. Aber Mathilde war von fernen Schritten wie aufgeschreckt und war nicht zu halten, war längst um die Straßenecke und in das kleine Nebengässchen eingebogen, in das ein altes Gitterfenster eines Fleischerladens wie ein Erker hineinragte, und vor dem eine scheckige Katze saß und heimlich über die Straße verschwand. Und Mathilde war nun in Unruhe. Wie sie in ihr Haus eintrat, fand sie es offen und im Hausflur tastete der Schlosser, der betrunken war und Unverständliches lallte, dreist nach ihr langte, wie sie in Angst an ihm vorbeistob in ihr Seitentreppchen, und dann höhnisch ihr nachrief: »Aha, aha, hust dr au a Vergnigen gemacht, Mädel, bist au eene vu da Wilden! Hahaha.« Mathilde schnitt es wie mit Messern. Sie war fast zu Tod erschrocken und in ihrer Angst hatte sie die Türe wie toll aufgerissen, dass jetzt die eine Narbige, die Dunkle, sich im Bette aufrichtete – die andere war noch nicht heimgekommen – und ganz erschrocken und verstört, als wenn sie ein Unheil sähe, in den Mondschein starrte, der um die Tür lag, wie Mathilde in plötzlicher Angst, und als wenn ihr ein Böser folgte, die Tür ins Schloss riss und von innen verriegelte.

»Oh«, sagte und stöhnte die Böhmische schlaftrunken. »Was? – wer? – wer ist denn? – Himmel – sag doch –«

»Stille, ich bin's,« sagte leise Mathilde noch fiebernd, »Maiwald steht betrunken im Hause, er kam mir nach«, und sie stand und lauschte. Aber es blieb alles still. Man hörte nur Trappen und vor sich Hinlachen und Murren, die Treppen krachten. Er stieg in den oberen Stock unters Dach. Man hörte weiter die dumpfen Tritte und dumpfes Sprechen, was wie heimlicher Streit klang, sonst blieb es im Hause still. Und Mondschein fiel vom aufgehenden vollen Mond am Horizont bis zur Tür, wo Mathilde immer noch stand und sich nicht fortbewegte – und die Dunkle legte sich ins Bett zurück, dass man die Betten rauschen und das Bettstroh knistern hörte – versuchte noch einmal zu lachen, wollte auch fragen, wo Mathilde herkäme, aber alles erstarb und blieb still – so dass Mathilde nur in den Mondstrahl starrte – immer noch – und sich kaum besann, so schwer war ihr von der Nacht, so unklar und in Angst mischten sich die Gefühle – und so seltsam kam auch aus dem Licht das hingebende, zärtliche Gesicht und griffen nach ihr die heißen Hände – dass sie sich nicht ermannen konnte. dass sie auffuhr und ans Fenster trat – und wieder stand – und über die Gasse sah, wo auch der Mond in Flecken hell lag – und sich nichts regte. Und Mathilde erfüllte es plötzlich wie Schmach und Glück zugleich. Sie sann zurück. Sie dachte, dass es niemand wissen durfte. Es gellte das Lachen des Schlossers nach. Und sie erhob sich zornig fast – und warf ihr Tuch auf ihren Korb – fast in Erbitterung – sie sah die Dunkle liegen und hörte ihr lautes, röchelndes Atmen. Sie wurde so erregt, dass sie ihr Kleid aufriss und vor sich hinsprach – neu an das Fenster ging – und sie stand am Fenster und atmete hinaus, wie sie es aufgerissen. Es war ihr zum Springen. Sie war unzufrieden. Sie löste ihr Haar, das verwildert war und fühlte am Kopfe noch die Stelle, wo sie ihm an der Schulter gelegen – und lachte fast erbittert – weil es ihr lächerlich erschien – und sie begriff nichts recht. Nur das Lachen und die erstorbenen Fragen der Narbigen kamen in ihr neu auf; und sie machte sich Gram. Sie dachte – jetzt bin ich auch eine von denen – und schalt sich – und es kam der Wunsch – fortzukommen aus diesem Hause und aus diesem Gehätscheltsein von den Alten, die ihr plötzlich ganz dunkel und unheimlich drohend erschienen – und es war ein Auf und Nieder. Nichts kam zur Klarheit in ihr. Alles war trüb im Mondenlicht, das auf ihre bloßen Füße fiel. Sie nahm ihr Kleid und warf es in die Ecke, dass es vom Stuhle glitt. Sie hasste plötzlich sich und die reinliche Pracht, und eine Last wie ehedem fühlte sie in sich gären und aufquellen und sich um ihre Seele legen, dass sie wieder auf dem Schube hockte und ihren Kopf in ihre Hände nahm und zu weinen anfing, mit einem stillen, inbrünstigen, schmerzhaften, unbegreiflichen Weinen, um etwas, was ihr Los war und um etwas, was sie nicht fliehen konnte – dass die Alte im Bett sagte: »Kind, Kind.« Mathilde war wie aus Erz – ihre Tranen versiegten. Sie tat, als hätte sie nur dagesessen. Sie nahm einen Ton an, als wäre sie arglos und sie erhob sich und ging geschäftig hin und her; nahm das Kleid auf und das Tuch – legte es sorglich in den Schub – und sorglich legte sie nun Stück um Stück hinein – weil die Schlafende sich neu aufgerichtet und lange unklar sie angestarrt und sie gefragt hatte: »Was ist Kind?«

»Was soll denn sein«, sagte Mathilde mit Ärger und innerer Abneigung.

»Du kummst spät«, sagte sie. »Nun, Mädele, ist nicht schön in die Hallen? – Ich bin wie zerschlagen«, fügte sie müde lachend hinzu. Mathilde stand da und verhielt sich den heimlichen Trotz. »Hast du auch Mannsbild gefunden? Wie spät ist?« fragte die im Bette und sah noch immer nach ihr. »Ju, ju, ich ha auch a Mannsbild gefunden«, lachte Mathilde plötzlich, höhnisch auf sich und auf die Schlaftrunkene – »dreie is –«. Und sie sah hart und steinern aus, wie sie dastand, kräftig und jung –ein Bild so frisch und so unbegreiflich traurig und in sich aufgewühlt – und sie legte ihre Hand an die Stirn, die heiß war – und öffnete noch einmal das Fenster, um in den Mond und in die Luft zu sehen, wo Silberwolken blinkten, und dann lag sie und fühlte jede Stelle, die der kleine Schmächtige berührt an Brust und Hüften und sank in Halbträume, und fühlte es wie Krallen, und es drückte sie unbarmherzig – und einer, dem der Kopf ganz in den Schultern saß, verwandelte sich zu einem Zwerge, der sie packte und ihr weh tat und alles Hoffen erdrückte: » –O –o –o –o –a –»-!« Sie erwachte und lag mit offenen Augen bis zum Morgen.

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9783955013622
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