Читать книгу: «Seewölfe Paket 9», страница 28

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5.

So unwahrscheinlich es klang, aber auf diesem treibenden, langsam verrottenden Wrack befand sich noch jemand.

Mittlerweile stand für die Seewölfe auch fest, daß der Dreimaster aus Spanien stammte. Das ließ sich an vielen Einzelheiten einwandfrei erkennen.

Es war ein merkwürdiges Gefühl, auf diesem Segler noch jemanden zu wissen, der sich nicht blicken ließ, der sich aber durch ein paar Geräusche verraten hatte.

„Sehen wir in der Kuhl nach“, sagte Hasard. „Ihr laßt das Deck keine Sekunde lang aus den Augen!“

Die beiden nickten stumm, und diesmal war es Ferris Tucker, der mit einem Ächzlaut herumfuhr, als hinter seinem Rücken eine Stimme aufklang.

„Was gefunden?“ fragte Dan, der sich an dem Tau halb hochgezogen hatte und nun über das Schanzkleid blickte.

Tucker hatte seine Riesenaxt bereits zum Schlag erhoben und war herumgewirbelt. Dann aber hielt er inne.

„Mann“, stöhnte er, „du willst wohl mit aller Gewalt noch deine eigene Beerdigung feiern, was? Meine Nerven sind stramm wie Ankertaue, aber auch die können schnell durchscheuern. Wir vermuten, daß sich jemand an Bord befindet, der Kapitän sieht gerade nach.“

„Das kann doch nicht wahr sein“, meinte Dan.

Er sah dem Seewolf nach, der gerade wieder hinter einem Schott verschwand, das in die Segellast führte.

Hasard fand alte übelriechende Segel, über und über mit Schimmel und dunklen Stockflecken bedeckt. Am Liek waren die Segel teilweise ausgefranst, an einigen Stellen befanden sich Löcher, die vielleicht auch von den Ratten stammten.

Taue lagen herum, dazwischen Holzplanken, eine Rah und vermoderte Flaggen, deren Farbe kaum noch zu erkennen war.

Auch hier hielt sich niemand auf. Hasard nahm eine Lampe, entzündete sie mit Flintstein und Stahl nach einiger Mühe und leuchtete mit dem blakenden Ding die Segellast ab.

Der Wust von Tauen und Segeln war so groß und so unordentlich, daß er nicht bis ans hintere Schott gehen konnte.

Oben, an Deck, gesellte sich Ferris Tucker zu ihm, während der Profos mit der Waffe in der Hand weiterhin das Deck sicherte.

„Jetzt bleiben nur noch die achteren Kammern“, sagte Hasard.

„Und die Laderäume“, setzte Tukker hinzu, „aber dort wird sich wohl kaum jemand aufhalten.“

In die Kapitänskammer sprang Hasard mit einem riesigen Satz, glitt zu Boden und richtete sich sofort wieder auf, in der Hand den Radschloßdrehling haltend. Nach menschlichem Ermessen konnte sich der Unbekannte nur noch hier oder in den anderen Nebenräumen aufhalten.

Nichts rührte sich, als auch Ferris Tucker eintrat und sich umsah.

Anscheinend hatten hier die Vandalen gehaust, denn der Kartentisch war nur noch ein Trümmerhaufen, und die Bettwäsche aus der Koje lag verstreut am Boden. Alles war in Unordnung, zerschlagen, zerstört, sogar die Lampen. Fetzen von zerrissenen Seekarten lagen herum, die Schapps waren aufgebrochen und ihr Inhalt über den ganzen Raum verstreut.

Das, was sie vorfanden, wurde immer mysteriöser und eigenartiger.

„Hier muß ein Verrückter gehaust haben“, meinte der Seewolf. „Oder der Kapitän hat das alles zertrümmert, ehe er von Bord ging, damit nichts in falsche Hände gelangte. Trotzdem ist es widersinnig.“

„Was, zum Teufel, mag die Kerle bewogen haben, das Schiff zu verlassen?“ fragte Ferris Tucker. „Entweder hatten die hier die Pest an Bord oder …“

„Oder?“ fragte Hasard sanft.

„Oh, nichts“, murmelte der Schiffszimmermann. Von Geistern, die hier umgingen, wollte er nicht erst anfangen.

„Jedenfalls ist das Schiff, wenn man so will, in einem leidlich einwandfreien Zustand“, sagte er anschließend. „Es ist nicht beschädigt, es zieht kein Wasser und kann segeln, wenn, man sich darum kümmert. Und Kämpfe hat es auch nicht gegeben, sonst müßten deutliche Spuren zu finden sein.“

„Da hast du recht, Ferris. Aber jetzt hat es mich gepackt, das Rätsel müssen wir lösen, unbedingt.“

„Du sagst es. Etwas geht hier nicht mit rechten Dingen zu.“

Wieder war ein Knacken irgendwo im Schiff zu hören, aber es ließ sich nicht feststellen, woher das Geräusch kam. Es hörte sich so an, als wäre jemand gesprungen.

Beide sahen sich an, aber sie sagten nichts. Statt dessen gingen sie unter der nötigen Vorsicht zur nächsten Kammer, die offenbar dem ersten Offizier gehört hatte.

Hier war es feucht, modrig und die Luft abgestanden. Die spartanische Einrichtung war nicht zertrümmert. Der Raum wirkte, als hätte hier seit Menschengedenken niemand mehr gehaust.

Auch die folgende Kammer war leer und die übernächste. Dann gab es noch eine Vorratskammer, einen großen hohen Raum. Von hier bezogen die ehemals zur Schiffsführung gehörenden Besatzungsmitglieder anscheinend ihre Extra-Portionen, oder sie wurden von hier aus verteilt, weil die Mannschaft klaute.

Alles war von Schimmel überzogen, aber die Spuren in den Mehlsäkken, Bohnen und Schrot bewiesen, daß entweder auch die Ratten am Werk gewesen waren oder sich irgend jemand hier Nahrung beschafft hatte.

Jetzt blieben nur noch die Laderäume und die Pulverkammer übrig. Mehr Räume hatte der Segler nicht aufzuweisen.

Ihre Stiefel hallten über die Planken, als sie zu Carberry zurückkehrten und ihm berichteten.

Der Profos verzog das Gesicht.

„Donegal hatte gar nicht mal so unrecht mit seinem Geisterschiff. Er hat schon …“

„Uuuu-aahhhh!“ erklang ein Schrei aus dem Schiffsinnern und unterbrach Carberrys Worte.

Die drei Männer standen wie erstarrt an Deck. Tuckers Lippen hatten sich zu einem freudlosen Grinsen verzogen, und das wirkte jetzt wie festgefroren. Er war nicht in der Lage, seine Gesichtsmuskeln zu bewegen.

Carberry stand in der lauernden Haltung eines Verfolgten an Deck und schien in dieser Pose wie erstarrt. Die Pistole hing kraftlos in seiner mächtigen rechten Pranke.

Hasard selbst war bei diesem tierischen Schrei ebenfalls unwillkürlich zusammengezuckt, doch er fing sich gleich wieder.

Beim Satan, es gab keine Geister, höchstens zweibeinige, die sich dafür ausgaben, um die Leute zu erschrekken. Diesem Geist würde er das Fell windelweich klopfen, und dann wollte er doch mal sehen, was aus dem Geist dann wurde.

„Das kam aus der Nähe der Segellast“, sagte er.

„Oder aus dem Laderaum unter der Kuhl.“

Auch der Profos war jetzt überzeugt, daß da kein Geist geschrien hatte, sondern ein Mensch, der sich vielleicht in seiner Angst vor den Unbekannten versteckt hielt.

Carberry und Tucker hebelten mit der Axt die Luken des Frachtraumes auf und legten sie beiseite.

Licht fiel nach unten und auf einen verwahrlosten bärtigen Mann, der wie ein verängstigtes Tier in einem Winkel kauerte und angstvoll mit weitaufgerissenen Augen nach oben starrte.

Sein Lager bestand aus alten Lumpen, zerfetzten Segeln und aufgefaserten Tauen. Er rührte sich nicht, sondern starrte nur weiter zu den Seewölfen herauf.

„Ob sie den zurückgelassen haben?“ fragte Tucker leise.

Niemand wußte eine Antwort darauf. Jedenfalls mußte sich der verwildert aussehende Mann schon seit einer kleinen Ewigkeit hier völlig allein an Bord befinden.

Hasard fragte ihn auf Spanisch mit leiser Stimme, ob er nicht heraufkommen wolle.

Er kriegte keine Antwort. Statt dessen erhob sich der mit einer schmutzigen Hose bekleidete Mann mit einem Schrei und rannte durch den Laderaum. Gleich darauf war er verschwunden.

Alle drei blickten verblüfft in alle Ecken, aber der Fremde schien sich in Luft aufgelöst zu haben.

Das Rätsel war jedoch schnell gelöst, als Hasard in den Raum hinunterstieg und sich die Lampe nachreichen ließ. Der Mann hatte ein paar Schottbretter entfernt, die vom Laderaum in die Segellast führten und versteckte sich dort. Er lag mit verzerrtem Gesicht auf den Planken, als Hasard in die muffige Kammer leuchtete.

„Keine Angst“, sagte er auf Spanisch in beruhigendem Tonfall. „Wir wollen dir nur helfen, niemand tut dir etwas.“

Er redete weiter beruhigend auf ihn ein und wies dabei nach oben.

Der verwilderte Mann schüttelte angstvoll den Kopf, dann kroch er noch weiter in die Segellast und steckte seinen Kopf unter die angefaulten Segel.

Von oben warf Tucker eine Jakobsleiter hinunter. Er und Carberry zogen sich etwas zurück, um den Mann nicht zu erschrecken, falls er wieder aufkreuzte.

Hasard versuchte es weiter, doch der Bärtige wagte sich nicht aus seiner Ecke heraus, bis dem Seewolf nichts anderes übrigblieb, wieder nach oben zu steigen.

„Er wird sich schon noch beruhigen, wenn er merkt, daß wir nichts von ihm wollen“, sagte er. „Er scheint vor Angst halb verrückt zu sein, deshalb hat er sich auch da unten versteckt, da fühlt er sich offenbar sicher.“

„Und wenn er nicht an Deck klettert?“ fragte Tucker. „Wir können doch nicht Ewigkeiten auf ihn warten.“

„Er wird bald Hunger und Durst haben, und dazu muß er die anderen Räume aufsuchen.“

Dan O’Flynn kletterte an Bord, der den Schrei zwar gehört, ihn aber nicht hatte deuten können. Jetzt erzählten sie ihm von dem Fremden.

„Das muß grauenhaft sein“, sagte Dan. „Wochen- oder monatelang allein auf einem Schiff, nur Ratten zur Gesellschaft. Und das Schiff treibt irgendwo herum, ohne daß er etwas dagegen unternehmen kann. Ich begreife nur nicht, daß man ihn zurückgelassen hat, denn freiwillig ist er doch sicher nicht geblieben.“

Der Fremde gab ihnen Rätsel auf, wie ihnen auch das ganze Schiff einschließlich der verschwundenen Mannschaft Rätsel aufgab.

Aus dem Raum erklang wieder dieser Schrei einer verängstigten Kreatur, der durch Mark und Bein ging.

Hasard versuchte es wieder und wieder, redete ihm zu, versprach ihm sauberes Trinkwasser und Proviant, und dann trat endlich ein Erfolg ein.

Das verwilderte und abgezehrte Individuum näherte sich mit unendlich vorsichtigen Bewegungen dem offenen Luk, blieb stehen und blinzelte nach oben.

„Sind die beiden Ungeheuer endlich weg?“ fragte er mit hysterisch klingender Stimme. „Habt ihr sie vertrieben?“

Die vier Seewölfe sahen sich ratlos an. Niemand wußte, von welchen Ungeheuern der Spanier sprach.

Um ihn nicht noch mehr zu verängstigen, nickte Hasard.

„Ja, jetzt sind sie fort, sie sind nicht mehr auf dem Schiff.“

Wieder erschien unruhiges Flakkern in den Augen des Mannes. Sein Blick war äußerst mißtrauisch, er zog sich wieder ein paar Yards zurück.

„Sie waren ja auch nicht auf dem Schiff“, schrie er. „Sie befinden sich außenbords. Sie schwimmen immer an der Backbordseite. Tagelang, wochenlang, immer schwimmen sie nebenher.“

„Niemand schwimmt mehr neben dem Schiff“, sagte Hasard, der an Haie dachte. Aber davor konnte der Mann schließlich keine Angst haben, wenn er sich an Bord befand.

„Ihr habt sie vertrieben?“ fragte der Spanier mißtrauisch.

Tucker grinste ihn an und zeigte auf seine Axt.

„Hiermit haben wir sie erschlagen“, sagte er.

Der Spanier lachte höhnisch und schüttelte den Kopf mit den langen verfilzten Haaren.

„Man kann sie nicht erschlagen“, behauptete er, „denn sie sind ja schon lange tot.“

„Ein Verrückter“, sagte Dan leise. „Der weiß überhaupt nicht mehr, was er da redet.“

„Ich weiß selbst nicht, wen oder was er meint. Anscheinend hat er ab und zu lichte Momente. Wenn er hier schon ewig allein ist, muß er zwangsläufig verrückt werden.“

Hasard erklärte ihm geduldig, daß sie das Schiff hier zufällig gefunden hätten und jetzt selbst in der Kalme lägen und nicht weitersegeln konnten. Erst nachdem er ihm noch einmal frisches Wasser und gutes Essen versprochen hatte, enterte der Mann langsam die Jakobsleiter auf.

An Deck jedoch benahm er sich recht merkwürdig. Er vermied es ängstlich, über Bord zu blicken und kauerte sich auf die Planken. Dabei gingen seine Blicke von einem zum anderen, mißtrauisch, überängstlich und zweifelnd.

„Seht auf Backbord nach, ob sie noch da sind“, sagte er im Flüsterton. Er starrte in den nebligen Himmel, blickte dann den Seewolf an und wieder die anderen.

Jetzt, in dem diffusen nebligen Zwielicht konnten sie ihn deutlich erkennen. Ein mehrere Wochen alter Bart, struppig und verdreckt, bedeckte sein Gesicht. Die verklebten Haare wuchsen ihm bis weit über die Schultern, seine Hände waren schwarz vor Dreck wie sein übriger Körper.

Aus Angst vor den merkwürdigen Ungeheuern, die seine Phantasie ständig beschäftigten, hatte er sich wochenlang nicht mehr gewaschen.

Dennoch staunten die Seewölfe, daß er sich in relativ guter Verfassung befand. Sogar das von Fäden durchzogene und halbverfaulte Trinkwasser in den Fässern hatte er überstanden.

Hasard blickte angestrengt auf die Wasserfläche an Backbord, aber da befand sich nichts, schon gar keine Ungeheuer, die nach den Worten des Bärtigen ohnehin längst tot waren.

„Da schwimmt niemand mehr“, sagte er fest. „Sie müssen sich geirrt haben. Überzeugen Sie sich selbst!“

„Nein, nein“, wehrte der Mann entsetzt ab. „Benito und Juarez schwimmen immer noch neben dem Schiff. Man sieht sie jetzt nur nicht, weil der Nebel so dicht ist.“

„Und wer waren die beiden?“ fragte Hasard.

„Benito war der Rudergänger und Juarez der Bootsmann. Sie starben beide an einem Tag.“

„Und seitdem schwimmen sie neben dem Schiff?“ fragte Dan den Bärtigen ungläubig.

Der nickte eifrig, drehte sich aber wieder so, daß er die Backbordseite nicht sehen konnte.

„Beenden wir die Unterhaltung“, meinte Hasard. „Wir nehmen Sie mit an Bord, dort stärken Sie sich erst einmal kräftig und säubern sich. Ich glaube, Sie haben uns eine lange Geschichte zu erzählen.“

„Ihr seid Engländer?“ fragte der Mann. „Und trotzdem wollt ihr mir helfen?“

„Ja, warum nicht? Sie sind so gut wie schiffbrüchig.“

Hasard nannte seinen Namen und den der anderen Männer. Aber der Spanier schien es gar nicht zu hören. Sein Blick kehrte sich nach innen, und er starrte vor sich hin, ohne sich zu rühren.

„Er blickt fast wie der Jonas, den wir damals an Bord hatten“, sagte Dan, „der hat auch immer so geistesabwesend hinter den Horizont gesehen.“

„Helft ihm ins Boot, dann pullen wir zurück. Der Bursche muß erst anständig versorgt werden. Den kann der Kutscher gleich bemuttern.“

Auch das schien der Spanier nicht wahrzunehmen, als sie ihm ins Boot halfen und auf die Ducht setzten. Er hatte die Augen geschlossen. Wie tot sah er aus.

Hasard und auch Tucker blickten noch öfter ins Wasser, aber von den Halluzinationen, die der Spanier hatte, war nichts zu sehen. Die existierten offenbar nur in seiner Phantasie.

6.

Diesmal hatten sie die „Isabella“ verfehlt – um mehr als hundert Yards. Erst durch Abfeuern von Musketenschüssen ließ sich die Richtung bestimmen. Inzwischen war der Nebel fast noch dichter geworden.

Von der „Isabella“ riefen die Seewölfe ihr lautes „Ar-we-nack“, den alten Schlachtruf, um Hasard bei der Orientierung zu helfen.

Als sie den Mann an Bord hoben, breitete sich Schweigen aus, und jeder sah ungläubig auf den verdreckten, verwilderten Fremden mit den langen Haaren und dem wildwuchernden Bart.

„Der sieht aus, als hätte er tagelang nur auf Holzkohle geschlafen“, sagte der Kutscher und Feldscher kopfschüttelnd. „Um den zu säubern, brauchen wir die ganze Sargassosee.“

„Er war ganz allein an Bord und hatte fürchterliche Angst“, begann Hasard zu erzählen. „Er faselt ständig von Ungeheuern, die in der See neben dem Schiff schwammen.“

„Er hat den Verstand verloren“, sagte der Kutscher. „Das würde uns mit Sicherheit ähnlich ergehen.“

Sie betteten ihn in der Kuhl auf Segeltuch, und der Kutscher untersuchte ihn, so gut es ging.

„Verletzt ist er nicht, aber in einem verdammt lausigen Zustand, und seine Zähne sind auch locker. Was ist denn da drüben an Bord nur passiert, Sir?“ fragte er den Seewolf.

„Das wissen wir nicht. Kämpfe hat es nicht gegeben, die Boote sind fort, die gesamte Crew ist verschwunden. Er war der einzige an Bord, außer den Ratten. Die anderen müssen das Schiff Hals über Kopf verlassen haben. Es gibt auch keine Toten an Bord.“

Der Spanier, der da so plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht war, sorgte für die Sensation des Tages und gab allen Rätsel auf.

Old O’Flynn hob nur mahnend seinen Zeigefinger, aber er sagte kein Wort, denn die anderen kannten seinen stummen Vorwurf. Er hatte wieder einmal recht gehabt!

Der Moses Bill kehrte mit dampfender Brühe aus der Kombüse zurück und gab die Muck dem Kutscher, der dem Spanier das heiße Zeug einzuflößen versuchte. Es war vergebliche Mühe, denn der Mann preßte die Zähne fest aufeinander und nahm nichts zu sich.

Inzwischen begann der Kutscher mit der Säuberung unter Zuhilfenahme von warmen Wasser und Schmierseife. Dann kürzte er ihm die Haare, schnitt und stutzte den Bart, bis der Mann wieder einigermaßen einem Menschen ähnelte.

Danach versuchte er es noch einmal mit der jetzt lauwarmen Brühe, und der Spanier schluckte bereitwillig. Dann öffnete er die Augen, sah die vielen Männer um sich herum und sprang mit einem irren Schrei auf die Beine. Er rannte los, voller Angst und hysterisch brüllend, und wenn der eisenharte Profos nicht im Wege gestanden hätte, wäre der Fremde in seiner ersten Angst über Bord gegangen.

„Immer mit der Ruhe, Don Miguel“, sagte der Profos gemütlich. Er hielt den Spanier solange fest, bis der sich einigermaßen beruhigt hatte. Dennoch blieb sein ängstlicher Blick.

Was er sah, flößte ihm grenzenlose Angst ein, denn diese Kerle schienen genau der Hölle entsprungen zu sein.

Zwei standen grinsend da und hatten statt einer Hand nur einen scharfgeschliffenen Haken, der in einer Ledermanschette steckte.

Der Mann der ihn festhielt, war ein riesiges Monstrum mit einem zernarbten Gesicht und einem Kinn, auf dem man Nägel schmieden konnte. Dann gab es noch einen rothaarigen Riesen, der vorhin mit an Bord gewesen war, und einen weiteren Giganten mit grauem Haar und Bart. Zu ihnen hatte sich ein herkulisch gebauter Neger gesellt. Und sie alle grinsten ihn freundlich an, aber der Spanier empfand dieses Grinsen als tödliche Bedrohung.

Er zitterte und sah an sich hinunter. Man hatte ihn gesäubert und seinen wildwuchernden schwarzen Bart gestutzt.

Nein, dachte er wie betäubt, vermutlich wollten sie ihn doch nicht erschlagen, sonst hätten sie nicht diesen ganzen Aufwand getrieben.

Wieder näherte sich ihm der schmalbrüstige Mann mit einer Muck voller dampfender Flüssigkeit. Der Narbenmann ließ ihn los und zeigte auf die Muck.

„Trink das, Don Miguel, und paß auf, daß dich nicht der Affe beißt!“

Jetzt entdeckte der Spanier den zottigen Burschen, der an Deck hockte, Grimassen schnitt und sich unauffällig dichter an ihn heranschlich.

Gehorsam trank er Schluck für Schluck, und dann fiel ihm vor Schreck die Muck aus der Hand, denn dicht über seinen Schädel bewegte sich ein karmesinrotes Etwas, krächzte laut, schimpfte in englischer Sprache und kurvte in luftige Höhen, wo es sich auf einer Rah niederließ.

Ein merkwürdiges Schiff, überlegte der Fremde und musterte wieder die in Nebel gehüllten Gestalten.

„Ich heiße nicht Don Miguel“, sagte er dann. „Mein Name ist Domingo de la Cruz.“

„Domingo also“, brummte der Profos. „Englisch sprichst du nicht zufällig, was, wie?“

„Nein, Senor, aber woher sprecht ihr so gut meine Sprache?“

„Ach“, sagte Ed trocken, „euer spitzbärtiger Philipp hat uns mal zum Abendessen eingeladen, und da haben wir es gelernt.“

„Seine Allerkatholischste Majestät, der König von Spanien?“ erkundigte sich Domingo zweifelnd.

„Genau der. Er hatte gerade seine Armada zusammengestellt, und da überlegten wir gemeinsam, wie wir sie in Stücke schlagen könnten. Tja, so war das beim König von Spanien. Aber jetzt könntest du uns doch mal deine Geschichte erzählen!“

Die Seewölfe rückten näher zusammen, und zum erstenmal erschien ein scheues Lächeln auf dem Gesicht des Mannes, als der Narbenmann so trocken über den König von Spanien sprach. Der hatte vielleicht einen sonderbaren Humor!

Hasard selbst staunte, wie schnell der Spanier sich eingewöhnte. Noch vor ganz kurzer Zeit war er ein heulendes, vor Angst zitterndes, verdrecktes Bündel Mensch gewesen, das wie ein Tier eingesperrt gewesen war und sich nicht an Deck traute aus Angst vor irgendwelchen eingebildeten Erscheinungen. Und jetzt benahm er sich schon fast normal. Diese Wandlung war verblüffend, aber vermutlich war die Angst von ihm gewichen, seit er sich nicht mehr auf dem treibenden, verlassenen Schiff befand.

„Es ist eine reichlich merkwürdige Geschichte“, sagte Domingo, „aber ich schwöre bei der Mutter Gottes Maria und allen Heiligen, daß sie bis zur letzten Silbe stimmt. Und glaubt ja nicht, daß ich verrückt bin.“

„Hat auch niemand behauptet“, sagte Ferris Tucker, „obwohl du dich sehr merkwürdig benommen hast.“

Domingo setzte sich auf die Kuhlgräting und sah die Männer an.

„Das war die Angst“, sagte er nur.

Dann erzählte er seine Geschichte.

„Wir segelten mit der ‚Preciosa‘ von Spanien über die Azoren nach La Habana. Dort war unser Zielhafen, den wir aber nie erreichen sollten.“

„Die ‚Preciosa‘, ist das die Karacke da drüben?“ fragte Hasard.

„Ja, das ist sie.“

„Wie lange liegt das zurück? Wann seid ihr losgesegelt?“

„Vor einem guten halben Jahr, vor sieben Monaten etwa. Einmal verschlug uns der Sturm weit nach Süden, und erst nach einigen Wochen kamen wir wieder voran. Wir setzten unsere Reise fort und blieben ein paar Tage später in den Kalmen hängen. Diesmal dauerte es ein paar Wochen, und die Männer wurden unruhig. Wir hatten Angst, daß uns die Verpflegung und das Wasser ausgehen könnten, aber das war nicht der Fall. Die Reise verlief ruhig und ohne große Zwischenfälle bis zu jenem denkwürdigen Tag, als alles seinen unheilvollen Anfang nahm.“

Der Kutscher hielt dem Spanier eine Muck mit frischem Wasser hin, die Domingo dankend entgegennahm und leertrank.

Old O’Flynn, der seit jeher zwei offene Ohren für mysteriöse Dinge hatte, schob sich noch näher heran, damit ihm auch ja kein Wort entging. Sein granitenes, wettergegerbtes Gesicht hatte sich in verstehende Falten gelegt, und er nickte dauernd vor sich hin.

„Weiter“, sagte er heiser, „nur weiter, wir hören!“

„Wir liefen dann in die See, die man Mare Sargasso nennt“, berichtete Domingo weiter. „Von da an verfolgte uns das Pech. Der Wind schlief ein, und am anderen Tag saßen wir mit dem Schiff wie auf einer Insel, obwohl wir vorher kein Land gesehen hatten.“

„Diese Insel bestand aus braunem Seetang, nicht wahr?“ erkundigte sich Smoky.

„Ja, brauner Tang war es, der uns von drei Seiten umgab. Woher wißt ihr das?“

„Wir saßen auch schon mal in dem Mist fest“, sagte Smoky, „aber das ist schon eine Weile her.“

„Wie gesagt, das Zeug umgab uns von drei Seiten, nur die Backbordseite war teilweise noch frei. Vorn, achtern und Steuerbord war alles dicht, soweit man sehen konnte. Der Kapitän ließ uns arbeiten, damit keine üble Stimmung aufkommen sollte. Der Rudergänger wurde in die Takelage geschickt, weil er ständig mekkerte, und sollte dort etwas ausbessern. Er befand sich etwa eine halbe Stunde dort oben, als er ausrutschte und an Deck fiel. Er fiel genau auf den Bootsmann Juarez, der sich bei dem Aufprall das Genick brach. Benito, der Rudergänger, überlebte den Sturz nur um eine kurze Zeitspanne, dann war er ebenfalls tot. Er muß innerlich verblutet sein. Damit hatten wir zwei Tote an Deck, die so friedlich aussahen, als schliefen sie, und die Männer konnten es einfach nicht glauben, was da passiert war.“

In den Augen des Spaniers begann es wieder zu flackern, als er an die Begebenheit dachte, und jeder der Seewölfe erkannte wieder die Angst in seinem Blick.

„Nun, das war zwar ein trauriger Vorfall“, sagte Hasard, „aber das geschah nicht zum ersten Mal auf einem Schiff. Schon viele sind aus dem Mast gestürzt und haben den Sturz nicht überlebt.“

„Das ist richtig, Senor. Aber es waren zwei gute Männer, die bei den Kameraden sehr beliebt waren. Und ausgerechnet alle beide hat es kurz hintereinander erwischt.“

Domingo unterbrach sich und griff nach der zweiten Muck Wasser, die ihm der Kutscher reichte. Die Seewölfe hatten selten einen Mann gesehen, der jeden Tropfen Wasser so genoß wie dieser Spanier. Kein Wunder, wenn er wochenlang das halbverfaulte grüne Zeug getrunken hatte.

„Dann habt ihr die beiden Männer der See übergeben?“ fragte O’Flynn, der es kaum noch erwarten konnte, auch den Rest der Geschichte zu hören.

„Ja, sie wurden noch am selben Tag auf der Backbordseite des Schiffes der See übergeben. An Bord herrschte Trauer, doch einen Tag später verwandelte sich die Trauer in Furcht, Angst und Schrecken. Der Kapitän, der sich auf dem Achterdeck aufhielt, sah es zuerst, und weil er seinen Augen nicht trauen wollte, rief er den ersten Offizier als Zeugen herbei. Wir alle standen dann am Schanzkleid, denn weiter draußen in der See schwammen zwei Leute in einem Abstand von etwa einer Kabellänge neben der ‚Preciosa‘ her. Sie schwammen ganz ruhig, aber sie gelangten nicht von der Stelle. drehten sich auch ab und zu um und sahen zu uns herüber. Wir rissen uns um die beiden einzigen Spektive an Bord, als plötzlich vom Achterdeck ein lauter Schrei erfolgte.

‚Die beiden Schwimmer sind Juarez und Benito!‘ rief der Kapitän voller Entsetzen.

Niemand wollte das glauben, denn es war einfach unmöglich. Genau so unmöglich war aber auch, daß im Mare Sargasso zwei Leute seelenruhig umherschwammen.“

Einschließlich Hasard blickten alle Mann den Spanier voller Zweifel an. Lediglich auf Old O’Flynns Zügen lag so etwas wie eine stille Genugtuung.

„Ich schwöre es“, sagte Domingo feierlich, als er die zweifelnden Gesichter der Seewölfe sah. „Jeder kannte die beiden schließlich gut genug, und jeder durfte durch das Spektiv blicken. Wir alle haben die beiden deutlich gesehen.“

„Das gibt es nicht“, behauptete Carberry stur. „Wie hat sich das denn geklärt?“

„Überhaupt nicht, es gab keine Erklärung. Die beiden hielten sich immer in einem gewissen Abstand zum Schiff. Erst als die Dämmerung einsetzte, verschwanden sie plötzlich.“

„Und nachts leuchteten an jener Stelle zwei Lichter auf“, sagte O’Flynn mit Bestimmtheit und war enttäuscht, als der Spanier den Kopf schüttelte.

„Nein, es leuchtete kein Licht, aber an Bord war die Hölle los. Niemand schlief in dieser Nacht. Dann, weit nach Mitternacht, begann ein leichter Wind zu wehen, und die Tangfläche teilte sich in große Stücke auf, kleinen Inseln gleich, die uns einen Durchlaß ermöglichten. Der Kapitän ließ Segel setzen, um von der unheilvollen und geheimnisvollen Stelle so schnell wie möglich davonzusegeln. Später wurde der Wind stärker, und bis zum Morgengrauen hatten wir ein gutes Stück zurückgelegt.“

Domingo schlug die Hände vor das Gesicht und schüttelte den Kopf, als könne er es selbst nicht glauben. Als er weitersprach, zitterte seine Stimme leicht.

„Es war kaum hell, als alle Mann wieder am Schanzkleid standen und mit grauen Gesichtern ins Wasser blickten. Und richtig: Juarez und Benito waren wieder da und schwammen in einer Kabellänge Abstand parallel zu unserem Schiff im Wasser. Wir liefen knapp vier Knoten und die beiden unheimlichen Begleiter hielten diese Geschwindigkeit mühelos mit. Das war es, was die meisten von uns anfangs an den Rand des Wahnsinns trieb. Es waren zweifellos unsere beiden Kameraden. Neunundzwanzig Mann konnten sich nicht so entscheidend irren! Der Kapitän ließ den Kurs ändern, wir gingen auf den anderen Bug, aber was wir auch taten oder unternahmen, die beiden folgten immer. Liefen wir schneller, hielten sie mit, liefen wir langsamer, fielen auch sie zurück und hielten immer den gleichen Abstand. An Bord wurde kaum noch gearbeitet, es wurde nur debattiert und gestritten. Wir haben sie weggebetet, es nutzte nichts. Sie verschwanden erst dann, wenn die Dämmerung einsetzte.“

Hasard glaubte kein Wort. Er nahm an, daß die Männer irgendeiner unbekannten Halluzination zum Opfer gefallen waren oder einer allgemeinen Hysterie, aber andererseits sprach der Spanier so überzeugend und mit solchem Ernst, daß man seine Worte kaum anzweifeln konnte.

Die Geschichte wird immer schöner, dachte er. Trotz aller Zweifel schien etwas dran zu sein, denn das Schiff war panikartig verlassen worden, und der Spanier der einzige Mann an Bord, der halb wahnsinnig geworden war.

„Habt ihr sie auch verflucht?“ wollte Old O’Flynn wissen. „Das hilft mitunter auch.“

„Wir haben alles getan, aber mit jedem neuen Morgen fing es wieder an und wurde immer schlimmer. In seiner Verzweiflung ließ der Kapitän zweimal mit den Bordgeschützen auf die Männer feuern. Wir sahen die Kugeln neben ihnen ins Wasser klatschen. Auch das hat nichts genutzt. Die beiden Erscheinungen blieben einige Tage bei dem Schiff. Dann wurde ein Mann wahnsinnig. Er hielt es nicht mehr aus und sprang über Bord. Wir konnten ihn nicht retten, er ging sofort unter und verschwand. Am nächsten Tag sprang der nächste über Bord und verschwand ebenfalls spurlos, ohne daß ihm jemand helfen konnte. Dann war einige Tage lang Ruhe, die beiden Gestalten ließen sich nicht mehr sehen und alle atmeten erleichtert auf. Doch sie kehrten wieder zurück und begleiteten uns mit der gleichen Beharrlichkeit wie zuvor.“

Der Seewolf war äußerst kritisch, denn an der Erzählung war ihm etwas aufgefallen, was nicht übereinstimmte.

„Ihr seid demnach viele Tage durch das Mare Sargasso gesegelt“, sagte er ernst. „Dann lagt ihr endlose Zeit in einer Kalme. Wir selbst sind fast die gleiche Strecke gesegelt und befinden uns erst seit ganz kurzer Zeit in dieser Ecke. Da stimmt doch etwas nicht ganz.“

„Sie zweifeln an meinen Worten, Senor? Das ist Ihr gutes Recht. Sie sind der Kapitän dieses, Schiffes, nicht wahr?“

„Das ist richtig. Ich sagte schon, daß ich Killigrew heiße, und Sie befinden sich auf der ‚Isabella acht‘!“

Die Seewölfe warteten auf eine Reaktion, doch die erfolgte zu ihrem Erstaunen nicht. Dieser Spanier hatte anscheinend noch nie etwas von dem Seewolf und seiner Crew gehört.

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9783954394982
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