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2.

„Viel Scharfsinn gehört nicht dazu“, erwiderte Hasard. „Aber es wäre sehr nett von Ihnen, wenn Sie uns mitteilen würden, welchen Reim Sie sich auf das Auftauchen dieser Schiffe gebildet haben. Sie haben doch eben erwähnt, daß Sie von den Gefechten im Kanal schon vernommen haben.“

„Ja, ja. Also, das muß schon ein tolles Stück gewesen sein. Die Spanier hatten sich in den Kopf gesetzt, mit ihrer stolzen Armada eine Invasion auf der englischen Insel zu veranstalten. Habe ich recht?“

„Stimmt“, erwiderte Hasard.

Hai, dachte er dabei, Marodeur, elender Galgenstrick, ich weiß genau, was du vorhast, aber ich werde es dir nicht auf den Kopf zusagen, ich will es von dir hören.

Strauchritter, dachte Jean Ribault, während er dem Dicken lächelnd in die Augen schaute, Schnapphahn, Küstenwolf, erbärmlicher Leichenfledderer, der Blitz soll dich treffen, daß du zerspringst.

„Aber Lordadmiral Sir Howard von Effingham, der Oberbefehlshaber der englischen Flotte, hat diesen dreisten Angriff zurückgeschlagen, ja?“ fuhr Bingham fort. „Die Armada ist zerschlagen, ihre Reste irren um die Insel herum, nicht wahr? Wie ist denn die Schlacht im einzelnen verlaufen? War das nicht ein Freudentanz für die englische Nation?“

„Wir haben das nicht so genau verfolgen können“, teilte Hasard ihm eher mürrisch mit. „Wir waren Statisten und haben kaum eingegriffen, während Lord Howard, Sir John Hawkins, Sir Martin Frobisher und Sir Francis Drake die Hauptaktionen leiteten.“ Das entsprach nun ganz und gar nicht der Wahrheit, aber Hasard hatte keine Lust, sich mit seinen Taten zu rühmen und dem Fettwanst die Einzelheiten der Schlacht gegen die Armada auf die Nase zu binden.

„Ach so“, meinte Bingham. „Und warum segeln auch Sie jetzt um die Insel herum, bis an Irlands Küsten?“

Jean Ribault beugte sich ein wenig vor. „Na, nun raten Sie doch mal, werter Richard.“

Bingham hob seine rechte Hand und stieß seinen wurstigen Zeigefinger in die Luft. „Ich hab’s! Sie sind hinter den letzten spanischen Hunden her, um ihnen den Rest zu geben.“

„Gewissermaßen“, bestätigte Jean so freundlich wie möglich.

Hasard griff jetzt nicht ein – bewußt nicht. Er wollte Bingham die Mission verschweigen, die er sich selbst gestellt hatte. Diese Mission lautete, den schiffbrüchigen Spaniern nach Möglichkeit zu helfen. Es war ein Gebot der Ritterlichkeit und der Fairneß, denn einen Gegner, der schon am Boden lag, trat man nicht auch noch mit den Füßen.

So dachte Hasard. So dachte aber bei weitem nicht jeder englische Seemann und Kapitän, wie sich erwiesen hatte.

Bingham nun zählte zu der übelsten Kategorie von Schnapphähnen und Profitgeiern. Hasard hätte ihm am liebsten eine geharnischte Antwort entgegengeschleudert, aber er brauchte den Proviant und das Trinkwasser wirklich, denn bei den Orkneys hatten sie mit ihren eigenen Schiffsvorräten verzweifelten Spaniern aus der Klemme geholfen.

Der Seewolf hatte beschlossen, zum Schein auf Binghams schmutziges „Geschäft“ einzugehen. Genauso sah es auch Jean Ribault. Hasard kannte ihn lange genug, sie brauchten sich in vielen Dingen nicht erst lange abzustimmen, um denselben Weg zu beschreiten oder dieselbe Taktik zu wählen.

Bingham ließ sich auf seinen Sitzplatz zurücksinken und bot auch Hasard und Jean durch eine großzügige Geste endlich an, sich hinzusetzen.

Er strahlte plötzlich über sein pausbäckiges Gesicht, breitete die kurzen Arme aus und sagte: „Das trifft sich ja ausgezeichnet, meine lieben Freunde. Sie tun mir einen kleinen Gefallen, der auf einer Linie mit ihrem eigentlichen Vorhaben liegt, und ich stelle Ihnen dafür reichlich Proviant und Trinkwasser zur Verfügung.“ Er legte eine kleine Pause ein, ließ die Arme sinken, faltete die Hände über dem Bauch und erkundigte sich: „Nun, wie ist es? Werden wir handelseinig?“

Hasard überlegte, bevor er antwortete.

Bingham war, nachdem er den Kaperbrief gelesen hatte, dazu verpflichtet, den Männern der „Isabella VIII.“ und der „Vengeur“ Hilfe zu leisten. Hasard konnte leicht auf seine königlichen Privilegien pochen, die er jetzt genoß. Er konnte sein Recht ausspielen, und Bingham hatte keine Chance, ihn kalt ‚abfahren“ zu lassen.

Aber wie gesagt: Vielleicht war ein solches Verhalten nicht gerade taktisch klug. Vielleicht konnte man den Spanieren, die ihre grausige Odyssee um England und Irland herum fuhren, besser beistehen, wenn man diesen Fettwanst täuschte.

Sir Richard Bingham indes meinte, diesen Killigrew und diesen Ribault durch sein Geschick zu nutzbaren und willfährigen Werkzeugen in seinen Händen machen zu können. Sie sollten ihm helfen, die an der Clew Bay und an Murrisk vorbeisegelnden halbwracken Spanier auszuplündern.

Er war geradezu verrückt darauf. Und ihm standen fast die Tränen der Wut in den Augen, wenn er daran dachte, wie viele Spanier bereits an der Clew Bay vorbeigezogen waren, die eine leichte Beute für ihn hätten werden können.

„Diese Spanier“, sagte er mit verschlagenem Gesichtsausdruck. „Wir sollten sie nicht nur versenken, damit sie ihr Heimatland nicht mehr wiedersehen, wir sollten ihnen auch wegnehmen, was sie noch an Bord ihrer Schiffe mitschleppen. Gentlemen, alles, was sie nach Spanien und Portugal zurückbringen, dient doch letztlich ihrem verfluchten König, diesem Philipp, wieder eine neue Flotte aufzubauen und auszurüsten. Habe ich recht?“

Diesmal war es Jean, der darauf erwiderte: „Sehr richtig, lieber Freund. Vom kriegstechnischen und vernunftmäßigen Standpunkt aus gesehen, ist dem, was Sie eben ausgesprochen haben, nur unter außergewöhnlichen Umständen eine gehörige Portion Schlauheit zu leugnen.“

„Wie?“ sagte Bingham verdutzt.

„Ich meine, was Sie da über König Philipp II. von Spanien gesagt haben, stimmt schon“, entgegnete Jean, ohne dem Dicken zu verraten, wie er über den Rest seiner Worte dachte.

So rechtfertigte Bingham also, was er plante – Spanien zu schaden, wo man konnte. Fehlte nur noch, daß er behauptete, er tue dies für seine Königin, der er treu ergeben sei.

„Mit den wenigen kleinen Schiffen, die Sie im Hafen liegen haben, dürfte ein solches Unternehmen aber scheitern“, sagte nun der Seewolf. „Mit den Einmastern können Sie nur was anfangen, wenn Sie hervorragende Entermannschaften haben, Burschen, die weder Tod noch, Teufel fürchten und reiche Erfahrung im Kapern haben.“

Bingham rang die Hände. „Daran mangelt es mir ja gerade, Freunde. Keiner meiner Untergebenen ist kampferfahren genug, um so was leisten zu können. Meinen Sie denn, ich säße sonst noch hier herum?“

„Und die Iren?“

„Die irischen Bastarde sind dazu sowieso nicht zu gebrauchen“, sagte Bingham verächtlich. „Mit anderen Worten, nur Sie können das erledigen.“

Hasard schlug ein Bein über. „So viele spanische Schiffe wie möglich entern? Darüber läßt sich reden, denn das ist unsere Spezialität. Und wie sieht es mit unserem Anteil aus?“

„Proviant und Trinkwasser, reichlich …“

„Ach. Und Sie glauben, damit begnügen wir uns?“

Bingham rutschte ein Stück auf seinem Stuhl vor und legte die Hände auf das blankgewetzte Pult. „Gold und Silber habt ihr Seewölfe auf euren Fahrten doch genug gerafft. Was ihr jetzt braucht, ist ausreichend gutes Essen, Wasser, Wein, Bier, Whisky – ihr glaubt ja nicht, wie gut es um meine ganz privaten Vorräte bestellt ist.“

Doch, Hasard glaubte fest daran, daß Bingham sich gut eingedeckt hatte, denn wo man den Iren kein Geld und keine Wertsachen entreißen konnte, da nötigte man ihnen eben Naturalien ab, an denen man sich gütlich tun und mit denen man auch einen schwunghaften Tauschhandel betreiben konnte.

„So?“ sagte Jean Ribault. „Habe ich richtig gehört? Sie haben auch Whisky? Etwa den echten irischen, der mit einem ‚e‘ vor dem ‚y‘ geschrieben wird: W-h-i-s-k-e-y?“

„Ja, den.“

Jean blickte zu Hasard. „Also, das sollten wir uns aber wirklich gut überlegen. Da ist doch einiges für uns drin, Hasard.“

„Kann sein.“

Hasard spielte den Zögernden und feilschte noch eine Weile mit Bingham über die Mengen herum, die er forderte, obwohl er dem Dicken am liebsten zwei deftige Maulschellen verpaßt hätte.

Endlich hatten sie eine „Einigung“ erlangt, und Hasard fragte: „Wann sollen wir denn mit dem Überfall auf spanische Schiffe beginnen?“

„So schnell wie möglich“, erwiderte Bingham hastig. „Die Clew Bay ist übrigens ein ideales Versteck, aus dem man wie der Teufel über einen Feind herfallen kann. Sie brauchen bloß auf die verdammten Philipps zu warten, Freunde, und dann rupfen Sie sie, einen nach dem anderen.“

„Es stürmt“, erwiderte der Seewolf. „Und meine Männer sind hungrig. In der Kneipe von Westport können sie saufen und mit den Ladys scherzen, aber da gibt es nichts zu essen.“

„Meine Männer sind auch hungrig. Wie die Bären“, hieb Jean sogleich in dieselbe Kerbe. „Seit zwei Tagen haben sie nichts Vernünftiges mehr zwischen die Zähne gekriegt.“

„Und wer Hunger hat, kann nicht kämpfen“, erklärte der Seewolf. „Also sollten wir den Proviant, das Wasser und die übrigen Kleinigkeiten, die Sie, werter Richard, uns versprochen haben, so schnell wie möglich übernehmen.“

„Wenn der Sturm nachläßt, oder?“ fragte Bingham.

„Am besten noch heute nacht“, sagte Hasard.

„Und wenn es weiterhin stürmt?“

„Auch dann“, entgegnete Hasard und entblößte seine Zähne. „Meine Leute und die Männer Jean Ribaults werden schon nicht von der Gangway fallen, wenn sie Fässer und Kisten zur ‚Isabella‘ und zur ‚Vengeur‘ hinübermannen. Je mehr Bier und Schnaps sie in Ihrer Spelunke die Kehlen hinunterstürzen, desto sturmfester wird ihr Gang.“

Er lachte. Jean lachte auch. Bingham fiel glucksend mit ein, dann erhob er sich und schüttelte den beiden spontan die Hände. Hasard und Jean wäre es lieber gewesen, voll in eine glitschige Nesselqualle zu packen als diesem Widerling die Hand zu drükken, aber sie taten auch das.

Was tat man nicht alles zum Schein!

„Ich werde alles Notwendige veranlassen“, sagte Sir Richard Bingham feierlich. „Und nun lassen Sie uns erst mal trinken – auf gute Geschäfte.“ Er kicherte, setzte sich wieder und zog aus dem untersten Fach seines Pultes eine leicht angestaubte Flasche hervor. Guter irischer Whiskey befand sich darin, zehn Jahre alt, ein edler Tropfen, den Bingham eigentlich für sich ganz persönlich aufgespart hatte.

Zum Teufel mit allem Geiz, dachte er, das hier ist schon ein Opfer wert.

Der Sturm hielt an. Immer noch kämpfte die „Gran Grin“ mit ihm. Ihr Kapitän und ihre Besatzung entdeckten in den ihnen unbekannten Gewässern keine schützende Bucht, in die sie verholen konnten. Dunkelheit und Regen hüllten das große Schiff ein, Brecher rollten donnernd gegen die Bordwände an und vergrößerten die Lecks.

1160 Tonnen groß war die „Gran Grin“, ein einst stolzes Schiff, wie es in dieser Größe und prachtvollen Bauweise nur selten vom Stapel gelassen wurde.

Sie war das Vize-Flaggschiff aus dem Biskaya-Geschwader des Juan Martinez de Recalde, eine gut armierte Viermast-Handelsgaleone. Aber von ihren vier Masten standen jetzt nur noch der vordere Besanmast und der Fockmast. Der achtere Besanmast war im Gefecht weggeschossen worden. Der vordere Besanmast war lateinergetakelt, an dem Fockmast bauschten und beutelten sich im zornigen Wind die beiden Rahsegel – Fock und Vormarssegel –, und zwischen diesen beiden Masten stand als Überrest des Großmastes ein unbrauchbarer, kläglicher Viertelstumpf. Die oberen drei Viertel waren samt Takelage und Segeln längst gekappt und schwammen nördlich der Orkney-Inseln.

Und die Armierung?

Es waren nur noch die Kanonen da, von denen sich die eine oder andere leicht aus ihren Brooktauen lösen konnte und dann als Geschoß quer über Deck rollen würde – eine Gefahr für die letzten halbwegs gesunden und kräftigen Männer, die sich an Oberdeck hielten und verbissen die Manöver durchführten, gegen den Kolderstock drückten, der im Toben des Wetters zu brechen drohte.

Munition für die Kanonen befand sich nicht mehr an Bord, so daß sich die „Gran Grin“ bei der möglichen Konfrontation mit einem Gegner nicht auf ein Gefecht einlassen konnte.

Die Besatzung – ursprünglich mit den Seesoldaten eintausendzweihundert Mann – war auf etwa zweihundert Mann zusammengeschrumpft. Und von diesen zweihundert war der Großteil völlig unterernährt und halbverdurstet, war im Kampf verwundet worden, litt an den gefürchteten Krankheiten Skorbut, Typhus, Diarrhöe.

Der Feldscher fürchtete, daß sich auch die Cholera einschleichen würde, aber hierüber hatte er bisher nur mit Kapitän Pedro de Mendoza gesprochen, um die Verzweiflung an Bord nicht noch zu vergrößern.

Pedro de Mendoza hatte die Offiziere in seiner Kapitänskammer im Achterkastell des Schiffes versammelt, hörte sich ihren kurzen Lagebericht an und fällte dann seine Entscheidung. Er hatte keine Karten von dem Seegebiet vor der Westküste Irlands, aber er brauchte sie dazu auch nicht.

De Mendoza war ein fähiger Kapitän, vierzig Jahre alt, zäh wie Leder, tapfer und vor allem kein Leuteschinder. Reiche seemännische Erfahrung hatte er in Westindien gesammelt, mit diesem und mit anderen Schiffen, die der Neuspanien-Flotte angehört und Gold und Silber aus der Neuen Welt nach Spanien transportiert hatten.

Illusionen hatte er in einer Situation wie dieser nicht mehr. Die „Gran Grin“ war leck, und die Lecks waren mit Bordmitteln nur notdürftig abgedichtet. Die Besatzung hatte bis zum Äußersten gekämpft, aber jetzt war sie am Ende. Sie brauchte Ruhe, sie brauchte Proviant, Wasser und ärztliche Versorgung.

De Mendoza saß auf einem geschnitzten Holzgestühl hinter seinem reich verzierten Kapitänspult. Die Männer hatten ihn umringt und blickten besorgt und erwartungsvoll auf ihn hinunter. Ein Offizier fehlte bei dieser Besprechung – es war der zweite Offizier, der vor zwei Tagen seinen schweren Verletzungen erlegen war.

Einer der vielen. Sie hatten den Zweiten mit seemännischen Ehren in dem ungastlichen, mörderischen Meer bestattet, wie sie danach immer wieder Tote den Fluten hatten übergeben müssen, so viele, daß sie sie am Ende nicht mehr gezählt hatten.

In dieser Nacht hatte es Miguel, einen jungen baskischen Decksmann, getroffen, und auch jetzt, so wußte de Mendoza, hockte der Feldscher unten im Vordeck am Lager eines Todkranken, der das Morgengrauen nicht mehr erleben würde.

Der Sturm packte und schüttelte das Schiff. Die Offiziere mußten sich am Pult und an Stützbalken festklammern, um nicht umgerissen zu werden.

De Mendoza blickte seinen ersten Offizier Vega de la Torre an und sagte: „Solange der Wind noch aus Nordwest wehte, konnten wir unseren Kurs halten. Aber dem Sturm aus Südwest sind wir einfach nicht gewachsen, es ist ein Ding der Unmöglichkeit, weiter gegen ihn ankreuzen zu wollen. Daher meine Order: Wir gehen auf Kurs Nordost und laufen vor dem Sturm her. Ja, wir bewegen uns dorthin zurück, woher wir gekommen sind, aber in diesen sauren Apfel müssen wir beißen. Senores, wir versuchen, irgendwo unter einer Leeküste Schutz zu suchen.“

„Und wenn wir statt dessen auf ein Riff laufen?“ fragte de la Torre.

„Dieses Risiko gehen wir ständig ein, so oder so“, erwiderte der Kapitän. „Oder haben Sie noch einen genauen Begriff davon, in welcher Wasserregion wir uns befinden?“

„Nein, Senor Capitán.“

„Sehen Sie. Soll ich Ihre Frage noch präziser beantworten? Wenn wir auflaufen, dann ist es das Ende für uns alle. Aber das wußten Sie doch schon, oder?“

De la Torre zeigte klar und sagte: „Sie, Senor Capitán. Ich bitte um Verzeihung wegen meiner unangebrachten Bemerkung. Ich werde sofort alles Notwendige veranlassen.“

„In Ordnung“, entgegnete de Mendoza, und zum erstenmal seit langer Zeit spürte er Mutlosigkeit und Schwäche in sich aufsteigen. Wie lange konnte er auf das Durchhaltevermögen dieser Männer noch bauen? Verlangte er ihnen nicht Übermenschliches ab? War die Zeit nicht längst reif für eine Meuterei?

Es ist die Müdigkeit, die dir so etwas vorgaukelt, sagte er sich im stillen.

„Senor“, sagte de la Torre, der zur Tür gegangen war, sich jetzt aber noch einmal umwandte. „Senor, gestatten Sie mir noch ein Wort. Sie sollten sich zur Ruhe legen. Sie haben seit drei Tagen kein Auge mehr zugetan – oder seit vier Tagen?“

„Es sind mindestens vier Tage, Capitán“, sagte der Bootsmann, „Ich melde mich freiwillig zur Mittelwache mit dem Ersten, Senor.“

Plötzlich lächelte der Kapitän schwach. Am Horizont der Finsternis und Verdammnis erschien wieder ein schwacher Hoffnungsschimmer. Seine Männer – sie hielten doch noch voll zu ihm.

„Ich danke Ihnen, Senores“, erwiderte er. „Und ich glaube, ich werde Ihr Angebot annehmen. Santa Madre de Dios, vielleicht haben wir nach dieser entsetzlichen Pechsträhne ja doch endlich Glück. Vielleicht finden wir Schutz und Hilfe. Vielleicht können wir den Iren, vor deren Küsten wir uns befinden, wenigstens Trinkwasser und Nahrungsmittel abkaufen.“

„Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche“, sagte Luis de Bobadilla, der Geschwader-Zahlmeister, wie aus der Pistole geschossen. „Geld haben wir ja mehr als genug an Bord, Capitän. Falls die Bevölkerung dieser wilden Gegend uns nicht gerade freundlich gesonnen ist, wird sie doch die Augen weit aufsperren und sich vor Hilfsbereitschaft überschlagen, wenn wir ihr auch nur eine Handvoll Piaster oder Reales unter die Nase halten. Die Iren sollen bettelarme Hunde sein, habe ich gehört.“

Luis de Bobadilla, ein untersetzter Mann mit vollem Gesicht und gerötetem Teint, hielt sich mit beiden Händen am Pult seines Kapitäns fest. Zuversichtlich lächelte er de Mendoza zu.

De Mendoza begegnete seinem Blick. Dieser Zahlmeister – sah er nicht viel gesünder aus als die anderen Offiziere? War die Tatsache, daß er bisher von seinem Leibesumfang kaum etwas eingebüßt hatte, wirklich einzig und allein darauf zurückzuführen, daß er über die enormen körperlichen Reserven verfügte, mit denen er sich immer brüstete?

„Ja“, sagte de Mendoza etwas gedankenverloren. „Wir können wirklich froh sein, daß wir wenigstens die Kriegskasse des Biskaya-Geschwaders gerettet haben.“

„Die ja wohlverwahrt in deiner Kammer steht, nicht wahr, Luis?“ meinte der Bootsmann, bevor er zu de la Torre hinüberschritt und mit diesem die Kapitänskammer verließ.

„Ja“, entgegnete de Bobadilla, während sie schon durch den schwankenden Achterdecksgang nach vorn gingen. „Ja, da steht sie sicher und wohlbehütet, und jeder kann es überprüfen, wenn er will.“

Die anderen Offiziere äußerten sich nicht dazu. Keiner konnte de Bobadilla besonders leiden, aber sie hatten andererseits auch keine Lust, mit ihm über die mehr oder weniger sorgfältige Verwahrung der Kriegskasse herumzudiskutieren. Sie waren alle zum Umfallen müde.

Kapitän Pedro de Mendoza entließ die Männer, aber Luis de Bobadilla hielt er doch noch zurück.

„Auf ein Wort, Zahlmeister“, sagte er.

In diesem Augenblick erschien ein Mann der Deckswache unter dem Türpfosten der Kammer und meldete: „Senor, der Feldscher schickt mich. Der Kamerad, der im Logis im Sterben liegt, hat als letzte Bitte ausgesprochen, noch einmal mit Ihnen sprechen zu dürfen.“

De Mendoza erhob sich, gab sich einen inneren Ruck und ging, die Schiffsbewegungen durch Beinarbeit ausgleichend, zur Tür.

„Verschieben wir unser Gespräch auf später“, sagte er zu de Bobadilla. „Das kann warten.“

„Ja, Senor. Gewiß, Senor“, entgegnete der Zahlmeister. Es kam ihm wirklich gelegen, daß der Sterbende im Vorschiff gerade in diesen Minuten seine letzten Atemzüge tat.

3.

Platt vor dem Wind lief die „Gran Grin“ am frühen Morgen dieses Tages auf die Clew Bay zu, die sie vor Stunden bereits passiert hatte. Kapitän de Mendoza und die Reste seiner Mannschaft legten alle Hoffnung in diesen Kurswechsel. Sie schickten Gebete zum Himmel und flehten um Hilfe – und sie schienen erhört zu werden, denn sie fanden die ersehnte Leeküste schließlich wirklich.

Diese Küste war das Nordostufer von Clare Island. Clare Island lag der Clew Bay vorgelagert, doch das wußten die Männer der „Gran Grin“ nicht. Sie konnten nicht einmal ermitteln, daß sie hinter einer Insel Schutz gesucht hatten, die Dämmerung, Gischt und Regen behinderten die Sicht.

Achtzehn Meilen westlich von Westport lag die „Gran Grin“ nun. De la Torre und der Bootsmann hatten vom Achterdeck aus einen halbwegs sicheren und geschützten Platz gefunden, und hier machte der Viermaster mittels eines Notankers fest. Die Anker der Galeone waren vor Calais geblieben, als sie beim Angriff der Brander hatten gekappt werden müssen.

Trossen wurden zum Land hin ausgefahren und um Felsen und knorrige Bäume gelegt, ein in der Sturmsee gleichsam selbstmörderisches Unternehmen. De la Torre leitete das Manöver, und einmal wurde die Jolle, in der er auf der Heckducht saß und die Ruderpinne hielt, gegen einen Felsen geworfen, daß sie beinahe zerschellte. Mit der ramponierten, lecken Jolle konnten der erste Offizier und seine Rudermannschaft gerade noch zur „Gran Grin zurückpullen.

Nach diesem Manöver fielen die Männer vor Erschöpfung fast um. Sampedro, der Koch, hatte eine Suppe zubereitet, die wieder größtenteils aus Wasser bestand, die die Männer aber dennoch gierig in sich hineinschlürften.

Danach sanken sie in ihre Kojen oder legten sich einfach auf der Back zum Schlafen nieder. Vor dieser unbekannten Leeküste war die See zwar noch aufgewühlt, aber es bestand keine Gefahr mehr, durch Brecher über Bord gespült zu werden.

Kapitän de Mendoza hatte den Seemann bestatten lassen, der in seiner Todesstunde nach ihm verlangt hatte. Jetzt kehrte er in seine Kammer zurück, um sich selbst etwas auszuruhen. Er mußte diese Gelegenheit wahrnehmen, es war seine Pflicht, neue Kraft zu schöpfen, denn später, bei Erwachen des Tages, wurde er wieder an Oberdeck gebraucht und mußte seinen Männern ein Vorbild sein – kein todmüder, total verbiesterter Kapitän, der kaum noch seine Entscheidungen treffen konnte.

Er bereitete sich nicht die Mühe, sich zu entkleiden. In voller Montur sank er auf sein Lager. Vor dem Einschlafen dachte er an den Seemann, der jetzt auf dem Grund der See seine ewige Ruhe gefunden hatte. Wie er hatten auch viele andere Sterbende nach dem Kapitän verlangt – nach „ihrem“ Capitán, dem sie treu ergeben und verbunden gewesen waren. Kein materieller Reichtum konnte aufwiegen, was dieser Beweis ihrer absoluten Loyalität für de Mendoza bedeutet.

Aber de Bobadilla – wie stand es mit dessen Treue und Redlichkeit? Verwaltete er die Kriegskasse wirklich so, wie man es von ihm verlangen mußte? War es nicht seltsam genug, daß er über so große „körperliche Reserven“ verfügte, während alle anderen – einschließlich seines Kapitäns – jetzt fast bis auf die Knochen abgemagert waren?

Erst jetzt hatte de Mendoza Muße, darüber nachzusinnen. Erst jetzt wurde ihm richtig klar, daß da etwas faul sein mußte.

Er beschloß, de Bobadilla auf den Zahn zu fühlen. Über diesem Gedanken schlummerte er ein.

Vega de la Torre und der Bootsmann, der von allen nur Vallone genannt wurde, hatten die Ankerwache übernommen.

Es wurde Tag, und zu tun gab es vorläufig nichts mehr – nur das eine: neue Kraft schöpfen.

Der Sturm hatte nur geringfügig nachgelassen und heulte mit fast ungebrochener Kraft weiter gegen die irische Westküste an. Gischt und Regenschwaden ließen keine Rundumsicht zu und kapselten die „Gran Grin“ von ihrer Umgebung ab.

Das umgekippte Heringsfaß lag vor der grauen Mauer der einzigen Kneipe von Westport. Wie diese Spelunke eigentlich richtig hieß, ließ sich nicht ermitteln, denn ein Schild gab es nicht mehr, nur noch die schmiedeeiserne Halterung davon, die den wüsten Sturmwinden offenbar über Jahrzehnte hinaus getrotzt hatte. Die Iren, die die Seewölfe und Jean Ribaults Männer in der Kneipe getroffen hatten, hatten verschiedene kernige Dialekt-Bezeichnungen für diesen Treffpunkt von Fischern, Beachcombern und Galgenstricken. Einige von diesen Wörtern schienen fast zärtlich gemeint zu sein, andere wieder waren unzweifelhaft die übelsten Schimpfwörter.

Die Männer der „Isabella“ und der „Vengeur“ hatten etwa bis Mitternacht immer wieder versucht, dieses wilde Kauderwelsch der Iren zu übersetzen. Ein paar von Mutter Natur gut ausgestattete Mädchen hatten sich als Dolmetscherinnen versucht, es hatte eine Menge Spaß gegeben, aber wie die Kneipe hieß, hatten die Seewölfe und „Vengeur“-Männer trotzdem nicht herausgekriegt.

Es gab möglicherweise hundert Dialekte in ganz Irland, vielleicht auch noch mehr, und weder Hasard noch Jean Ribault und Karl von Hutten hatten einen Iren in ihren Crews. Gordon McLinn, der Schotte von der „Vengeur“, konnte da auch nicht weiterhelfen, denn erstens war er kein Schnelldenker, sondern eher das Gegenteil davon, und zweitens bestand zwischen dem schottischen Denken, der schottischen Mentalität, den schottischen Dialekten und dem irischen Denken, Sein, Handeln und Sprechen ein so großer Unterschied wie zwischen den Sitten und Bräuchen der Araber und der Chinesen.

So jedenfalls hatte es der Kutscher in dieser Nacht ausgedrückt, und der Kutscher, der ganz und gar nicht auf den Kopf gefallen war, mußte es ja schließlich wissen.

Reines Englisch sprachen die Iren selbstverständlich nicht, denn das wäre schon schlimmer als eine Nestbeschmutzung gewesen. Wer sein Leben in Irland liebte, der sprach Dialekt.

Dialekt sprachen auch die Mädchen, aber es gab eine Art von Zeitvertreib, bei der es nicht vieler Worte bedurfte, wo man sich auch nur mit Gesten auf Anhieb verstand. Schon als Dolmetscherinnen sehr hilfsbereit, hatten sich die kichernden Ladys nach einem gerüttelt Maß an Bier und Whiskey und gegen gute Bezahlung schließlich auch in anderer Hinsicht als sehr bereitwillig erwiesen.

Im Obergeschoß der Kneipe von Westport gab es ein paar Kammern, die für Hilfsbedürftige und barmherzige Samariterinnen eingerichtet waren und stundenweise vermietet wurden.

Da die Zahl der Dolmetscherinnen begrenzt war, hatte man um deren Gunst feilschen und buhlen müssen, und fast hätte es da noch Streit mit den hitzigen Iren gegeben.

Viele hatten den Anschluß ganz einfach verpaßt und ihren Kummer darüber im Bier und Whiskey ersäuft. Einer von diesen vielen war Eric Winlow, der Koch der „Vengeur“. Seine Muskeln hatten den Schönen zwar mächtig imponiert, aber mit seiner Glatze war weitaus weniger Staat einzulegen, und schließlich hatte Roger Lutz, dieser Weiberheld, ihm glatt den Rang abgelaufen.

Da hatte es auch nichts genutzt, daß Eric seine bratpfannengroßen Fäuste drohend geschüttelt hatte. Roger hatte nur darüber gelacht. Er wußte ganz genau, daß Eric ihm niemals auch nur einen einzigen Hieb verpassen würde.

Mit Grand Couteau, Rogers Freund, hatte Eric sich dann aber doch fast in die Wolle gekriegt. Eingeschnappt hatte sich Winlow an einen Tisch zurückgezogen und noch mehr Bier und Whiskey in sich hineingeschüttet.

Er wäre fast am Tisch eingeschlafen, aber der Wirt hatte die ganze Bande am Ende aus der Schankstube verwiesen. Und da Eric Winlow keine Lust verspürt hatte, an Bord der „Vengeur“ zurückzukehren, hatte er sich seufzend nach einem anderen „Bett“ umgesehen.

Somit wären wir wieder bei dem Heringsfaß, das umgekippt vor der grauen Mauer der namenlose Kneipe lag.

Winlow hatte sich in dem Faß verkrochen, ein schmollender Eremit, voll Weltverachtung, die Hände über dem Bauch gefaltet, die Beine an den Leib gezogen. Das Faß war geräumig genug für seine Körperfülle, und er hatte die Nacht soweit gut verbracht. Erst im Morgengrauen wurde er höchst unsanft geweckt.

Der Sturmwind aus Südwest hatte das Faß beständig gegen das Mauerwerk der Spelunke gedrückt. Plötzlich aber spielte der Wettergott verrückt, vielleicht tanzte er höchstpersönlich um die Stätte des Lasters herum. Ein tückischer Fallwind griff nach dem Faß. Er hatte Kraft genug, es ein Stück von der Hausmauer fortzubewegen – und dieser Schub genügte schon.

Leicht abschüssig war das Kopfsteinpflaster des Kais, der sich vor der Front der Kneipe erstreckte. Das Faß begann zu rollen und gewann immer mehr an Fahrt.

Es näherte sich unaufhaltsam den gurgelnden und zischen Fluten der Clew Bay.

Eric Winlow wachte auf und wollte aussteigen, aber irgendwie verklemmten sich seine Beine. Er steckte fest. Alles um ihn herum wirbelte wie verrückt, und das war noch schlimmer als der Vollrausch, den er soeben halb ausgeschlafen hatte.

„He!“ brüllte er und: „Halt!“

Aber das nutzte nichts. Das Faß rumpelte über die Katzenköpfe und war am Rand der Kaimauer angelangt. Es kullerte darüber weg, schwebte für einen Moment in der Luft und sauste, den Naturgesetzen entsprechend, im freien Fall abwärts.

„Himmel, Arsch“, tönte es aus dem Faß. „Ja, was, zum Teufel, ist denn hier eigentlich los? Ich …“

Mehr kriegte der gute Eric nicht heraus, denn sein Nachtlager klatschte ins Hafenwasser und riß ihn mit in die Tiefe. Eric sah, wie’s dunkel wurde, er sah auch mit weit aufgerissenen Augen noch, wie das Wasser eindrang – dann schluckte er einen tüchtigen Schwall davon.

Die Verzweiflung vollbringt oft Wunder. Erics verklemmte Beine kamen plötzlich frei, er strampelte und boxte, glitt aus dem verdammten Ding heraus, arbeitete wie ein Wilder, gewann Abstand zu dem Faß, das ihm paradoxerweise zu folgen schien – und dann nahm ihn die Auftriebskraft des Wassers mit an die Oberfläche.

Japsend tauchte er auf. Er trat Wasser, spuckte einen Schwall von dem salzigen Naß aus, blickte sich um und sah zwei Dückdalben und eine Pier, auf die er zuhielt.

Er versuchte an einem der Pfähle hochzuklimmen, rutschte aber immer wieder wegen des dichten Algenbewuchses ab. Er fluchte entsetzlich, probierte es noch einmal, schaute dabei auf – und entdeckte ein wüstes, narbiges Gesicht, das sich über den Rand der Pier ihm entgegenschob.

„Himmel, nein“, ächzte Jean Ribaults Schiffskoch. Er rutschte wieder ab, landete klatschend im Hafenbecken und schluckte um ein Haar erneut Wasser. „Ein Ungeheuer“, keuchte er. „Ein Monstrum. O Gott, ich bin schon in der Hölle gelandet.“

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9783954394982
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