Читать книгу: «Seewölfe Paket 24», страница 8

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„Manchmal hast du eine umwerfende Logik“, sagte Jean Ribault zu dem Alten.

Dann schritten sie weiter – tiefer in das Labyrinth, obwohl es Old O’Flynn immer mulmiger zumute wurde.

Der Grund, warum Jean Ribault so großen Wert darauf legte, das Höhlensystem in seiner gesamten Länge zu untersuchen, war seinen Männern bewußt – selbst Old O’Flynn, der beim weiteren Voranschreiten damit fortfuhr, die Fadenrolle abzuspulen. Es ging darum, ob das Labyrinth noch einen anderen Zugang hatte – oder vielleicht auch nur ein winziges Loch, das die Luftzufuhr sicherte.

So waren Ribault, Renke Eggens, O’Brien, Don Juan und Old O’Flynn noch gut anderthalb Stunden in der unterirdischen „Geisterhöhle“ unterwegs. Jean Ribault gab sich erst zufrieden, als sie eine Stelle erreichten, an der es offensichtlich nicht mehr weiterging.

Er leuchtete mit seiner Laterne auch wieder die Seitenhöhlen ab. Aber auch von ihnen aus führte kein Verbindungsstollen weiter, der möglicherweise wieder in einen der imposanten Tropfsteinsäle mündete, in denen sich das Licht an den bizarren Säulen brach.

Jean Ribault drehte sich zu seinen Kameraden um. „So, das wäre es dann wohl. Kann hier einer von euch ein Ausstiegsloch erkennen?“

Don Juan hatte auch die ganze Umgebung abgeleuchtet.

„Nicht die Spur“, entgegnete er. „Es scheint nur den einen Eingang zum Labyrinth zu geben.“

„Eine echte Falle“, brummte Old Donegal mit finsterer Miene. „Wer sich hier einmal verläuft, der verreckt auch.“

„Für uns sind die Höhlen aber auf jeden Fall von Vorteil“, sagte Ribault. „Wir haben hier unzählige Möglichkeiten, unsere Schatzbeute zu lagern.“

„Für mich ist der Fall klar“, sagte Renke Eggens. „Ich finde das Labyrinth gut. Geeignet für unsere Zwecke. Trotz des Knochenmannes.“

„Wer schert sich schon um den?“ fragte O’Brien. „Für uns ist es wichtig, daß wir wieder ein gutes und brauchbares Versteck für unsere Kisten und Truhen haben, nachdem die Schlangen-Insel nicht mehr existiert.“

„Nur wegen der Feuchtigkeit müssen wir aufpassen“, sagte Don Juan. „Wir dürfen die Beute nicht zu flach lagern, sonst ziehen die Kisten und Truhen Wasser.“

„Da weiß ich Abhilfe“, sagte Jean Ribault. „Wir haben ja die kleineren Nebenhöhlen gesehen, von denen einige etwas höher gelegen sind. Dort ist es trocken.“

„Ja, knochentrocken“, sagte Renke, handelte sich aber von Old O’Flynn dafür einen giftigen Seitenblick ein.

„Wir können umkehren“, sagte Ribault. „Wir werden Hasard, wenn er eintrifft, von dem Irrgarten berichten, und er wird sich ihn ansehen. Ich bin ziemlich sicher, daß auch er meiner Meinung ist.“

Sie schritten zurück zu dem Punkt, an dem sie die Wanderung begonnen hatten. Old O’Flynn spulte den Faden auf. Hin und wieder warf er den Tropfsteinen Blicke zu, und immer wieder mußte er daran denken, daß es genausogut riesige Drachenzähne sein konnten. Daß es sich bei der Höhle um einen Vorort der Hölle handelte, stand für ihn außer Zweifel.

Dennoch: Als Schatzversteck war er tatsächlich geeignet. Gerade die Tatsache, daß es sich um einen schwer zugänglichen und unheimlichen Platz handelte, war ein positiver Punkt. Wer immer sich per Zufall in diese Grotten verirrte – er würde zusehen, daß er schnell wieder ans Tageslicht zurückkehrte. Oder aber er fand hier unten sein Ende, weil er nicht mehr herausfand.

Sie erreichten das Einstiegsloch. Old O’Flynn verstaute die Fadenrolle. Sie schauten sich noch einmal aufmerksam um, dann begannen sie mit dem Aufstieg.

Don Juan hangelte als erster an dem Tau nach oben. Ihm folgte O’Brien. Dann war Old O’Flynn an der Reihe. Schließlich erschien Renke neben ihnen, und als letzter verließ Jean Ribault das unterirdische Labyrinth, nachdem er seine Laterne gelöscht hatte.

Gemeinsam tarnten sie das Einstiegsloch mit Sand und Buschwerk.

„Eigentlich ist das überflüssig“, sagte Jean Ribault. „Es befindet sich außer uns niemand mehr auf der Insel. Aber es ist eine Vorsichtsmaßnahme, die wir von jetzt an immer einhalten sollten.“

„Sehr richtig“, pflichtete O’Brien ihm bei. „Es könnte ja auch sein, daß noch ein paar Alis hier herumkriechen.“

„Ausgeschlossen“, entgegnete Don Juan. „Wir haben alles untersucht. Außerdem waren es zwanzig Kerle, die mit den Flößen die ‚Wappen‘ und die ‚Pommern‘ zu entern versuchten, und ihr habt sie alle zum Teufel geschickt. Als ich die Kerle damals hier aussetzte, waren sie knapp mehr als zwanzig, aber in den zehn Monaten ihres Aufenthalts sind vier oder fünf von ihnen sicherlich gestorben.“

„Oder sie haben sich gegenseitig die Kehlen durchgeschnitten“, sagte Old O’Flynn. „Das würde solchen Kerlen ähnlich sehen.“

Er konnte sich noch sehr gut an die Abenteuer erinnern, die sie seinerzeit in Nordafrika erlebt hatten. Sein Gedächtnis ließ ihn fast nie im Stich. Damals hatte er erfahren, wie grausam algerische Küstenhaie, Berber und Sarazenen sein konnten.

„Wir setzen voraus, daß die Insel sonst keine heimlichen Bewohner mehr hat“, sagte Jean Ribault. „Doch das hat mit der Tarnung des Höhlenloches nichts zu tun. Wir sollten immer darauf achten, daß es keiner entdecken kann.“

Sie kehrten zur Bucht zurück und berichteten den Freunden, was sie bei ihrer Höhlen-Inspektion entdeckt hatten. Auch Hein Ropers, Karl von Hutten, Mary und alle anderen waren überrascht, wie groß das Höhlensystem war, das sich unter den Dünen von Great Abaco verbarg.

„Deine Idee war also richtig, Jean“, sagte von Hutten zu dem Franzosen. „Das wird durch das Ergebnis eurer Erkundung bestätigt.“

„Klarer Fall“, sagte Hein Ropers. „Daß das Labyrinth eine hervorragende Versteckmöglichkeit für unsere Schätze ist, dürfte damit außer Zweifel stehen.“

„Und das ist ein sehr wesentlicher Punkt bei unserem Plan, einen Ersatz für die Schlangen-Insel zu suchen“, sagte Jean Ribault. „Ich bin wirklich gespannt, was Hasard davon hält.“

„Was meint ihr, wann trifft er hier ein?“ fragte Mary.

„In zwei, drei Tagen“, entgegnete Jean Ribault. „Dann können wir alles gründlich durchsprechen. Ich denke, es lohnt sich wirklich, wenn wir uns mit der Geisterhöhle etwas eingehender befassen.“

„Ja“, sagte Old O’Flynn. „Aber beschwert euch nicht bei mir, wenn der Knochenmann plötzlich zu laufen anfängt und euch den Hals umdrehen will.“

Renke Eggens lachte. „Ich glaube, das überstehen wir. Wir sind ja auch nicht gerade die Schwächsten.“

„Ob diese Insel aber als ständiger Stützpunkt geeignet ist?“ meinte O’Brien. „Die Unterbringung der Beute ist eine Sache, die Wahl eines neuen Schlupfwinkels eine andere, findet ihr nicht auch?“

„Wir können darüber noch diskutieren, wenn Hasard und die anderen eintreffen“, erwiderte Don Juan.

Dem schlossen sich die anderen an. Sie konnten jetzt nur noch eins tun – auf die „Isabella IX.“, die „Caribian Queen“ und den Schwarzen Segler zu warten.

3.

Natürlich mußten die Männer und die „Ladys“ der vier Schiffe, die in der Cherokee-Bucht ankerten, auch ständig darauf gefaßt sein, daß sich unerwünschte Besucher der Insel Great Abaco näherten. Spanier konnten unverhofft und unversehens auftauchen, Piraten und Galgenstricke oder aber auch Eingeborene.

Zwar hatte Mubaraks Horde zehn Monate lang auf Schiffe warten müssen, doch das war keine Garantie dafür, daß man sich hier sicher fühlen durfte.

Gleich nach der Ankunft hatten die Männer einen Ausguck eingerichtet – in einer hohen Kiefer, die auf einem Hügel der Halbinsel stand, welche die Cherokee-Bucht abschirmte. Es handelte sich um eine Abakoskiefer, deren Holz nach Hesekiel Ramsgates Urteil hervorragend für den Schiffbau geeignet war. In der Krone konnte man bequem sitzen und hatte von hier aus einen hervorragenden Rundblick.

Am Nachmittag des 24. April hatte Pierre Puchan, der Mann mit der Perücke aus Jean Ribaults Crew, Ausguckdienst auf der Kiefer. Er hatte es sich so gemütlich wie möglich eingerichtet, saß in einer Astgabel und lehnte sich mit dem Rücken gegen einen beindicken Ast. Aufmerksam hielt er mit dem Spektiv Ausschau. Doch es tat sich nichts. Es war ein ruhiger Tag, der genauso ereignislos zu enden schien wie die vergangenen.

Kein Schiff hatte sich in den Tagen gezeigt, die sie hier nun verbrachten. Eigentlich hatten sie alle fest damit gerechnet, daß heute die „Isabella“, die „Caribian Queen“ und Thorfin Njals „Eiliger Drache“ erschienen, doch sie hatten sich getäuscht. Ihre Geduld wurde nun doch auf die Probe gestellt.

Pierre hatte das linke Bein ausgestreckt. Das rechte hielt er angewinkelt. Im Grunde war es kein schlechter Dienst – nur eben langweilig. Die Kimm war wie leergefegt. Graublau schimmerte das Wasser, hellblau war der wolkenlose Himmel.

Hin und wieder beobachtete Pierre ein paar Seevögel, die ihre Kreise zogen. Sie stiegen von Great Abaco auf, flogen ein Stück über das Wasser hinaus, kurvten und senkten sich auf die Oberfläche hinunter. Dann stießen sie zu. Sie fingen kleine Fische. Einige fraßen sie gleich auf, wie der Franzose verfolgen konnte, andere trugen sie zur Insel.

Wieder warf Pierre einen prüfenden Blick zur Kimm. Langsam bewegte er das Spektiv von links nach rechts. Dann, ganz plötzlich, stutzte er. Er hielt in der Bewegung inne und richtete den Oberkörper auf. Seine Haltung versteifte sich.

„Potzblitz“, sagte er. „Na, das nenne ich mal eine Überraschung.“

Er schob den Daumen und Zeigefinger der linken Hand in den Mund und stieß einen gellenden Pfiff aus. Donald Swift, der etwas entfernt Wache ging, horchte sofort auf.

„Was ist los?“ rief er. „Schiffe?“

„Ja“, erwiderte Pierre. „Mastspitzen an der südlichen Kimm.“

„Soll ich das melden?“

„Warte!“ rief Pierre. Aufmerksam spähte er durch sein Spektiv. „Vielleicht kann ich erkennen, was für Schiffe es sind!“

An der Bucht war der Pfiff auch gehört worden. Jean Ribault, der gerade an Land war, fuhr herum. Er lief zur Halbinsel, um nach der Ursache des Pfiffes zu forschen. Karl von Hutten, Don Juan und Renke Eggens schlossen sich ihm an.

„Na, hör mal!“ rief Donald Swift gerade, als sie bei ihm eintrafen. „Es ist doch wohl klar, daß es die ‚Isa‘, die ‚Queen‘ und der Schwarze Segler sind!“

„Klar ist bei mir nur, was ich genau sehe“, entgegnete Pierre von der Krone der Abakoskiefer. „Es können genausogut Dons sein. Nun sei mal nicht so zappelig.“

Ribault mußte unwillkürlich grinsen. Pierre Puchan war ein ruhiger Mensch, er wurde nur grantig, wenn man ihn wegen seiner Perücke aufzog. Nichts konnte ihn so leicht aus der Fassung bringen. Er versah seine Aufgabe ernst und mit der erforderlichen Gründlichkeit.

„Wartet hier auf mich“, sagte Ribault zu seinen Begleitern. „Ich sehe selbst mal nach, von wem wir offenbar Besuch erhalten.“ Er kletterte am Stamm der Kiefer hoch und gesellte sich zu Pierre.

„Drei Schiffe“, brummte dieser. „Aber ich kann sie immer noch nicht genau erkennen.“

Er reichte seinem Kapitän das Spektiv, und dieser sah ebenfalls zu den Mastspitzen, die sich über die südliche Kimm schoben.

„Sie könnten es sein“, sagte Jean Ribault. „Ja, jetzt kann ich es erkennen: Eins der Schiffe ist ein Viermaster.“

Kurz darauf stand es fest. Die Schiffe waren die „Isabella IX.“, die „Caribian Queen“ und der Schwarze Segler.

Jean Ribault händigte das Spektiv wieder seinem Ausguck aus und sagte: „Pierre, wir erlauben uns einen kleinen Spaß mit ihnen. Wir spannen sie ein bißchen auf die Folter. Wir zeigen uns nicht und warten ab, ob sie uns hier entdecken.“

Pierre Puchan entblößte seine weißen Zähne zu einem Grinsen. „Ob Hasard, Siri-Tong und der Wikinger das so witzig finden, weiß ich aber nicht.“

„Humor muß der Mensch haben“, sagte Jean Ribault leise lachend. „Außerdem will ich wissen, wie gut unsere Schiffe hier versteckt sind.“

Er enterte wieder ab und trat zu den Freunden. Sie sahen ihn erwartungsvoll an.

Don Juan fragte: „Sie sind es wirklich, nicht wahr?“

„Ja“, erwiderte der Franzose. „Aber ich schlage vor, wir spielen ihnen einen kleinen Streich. Wir melden uns vorerst nicht, sondern halten uns versteckt. Ich bin gespannt, wie weit unsere Schiffe in dieser Bucht nach außen hin abgeschirmt sind.“

„Einverstanden“, sagte Renke Eggens. „Aber ich kann mir schon jetzt vorstellen, wie Carberry fluchen wird.“

„Ich auch“, sagte Karl von Hutten. „Aber sein Gepolter fehlt mir. Ich bin richtig versessen darauf, den guten, alten Ed mal wieder tüchtig losröhren zu hören.“

Sie lachten, dann liefen sie zur Bucht zurück. Donald Swift blickte ihnen ein wenig irritiert nach. Verrückte Bande, dachte er.

Auch Old O’Flynn, Ramsgate und die anderen hatten keine Einwände: Der Seewolf, die Rote Korsarin und der Wikinger sollten ruhig mal ein bißchen nach ihnen suchen. Hier würde sich herausstellen, wie gut die Cherokee-Bucht als versteckter Ankerplatz geeignet war. Gewiß, nach Süden hin wurde die Bucht durch ihre hakenförmige Halbinsel samt dem Baumbestand abgeschirmt. Reichten diese Bäume als Tarnung aber wirklich aus?

Die Männer verteilten sich auf die Halbinsel und verfolgten das Heransegeln der drei Schiffe.

Old O’Flynn kicherte und rieb sich die Hände. Die Sache war ganz nach seinem Geschmack. Er stellte sich bereits vor, wie betroffen die Kerle dreinschauen würden, besonders Carberry, Shane und Ferris Tucker. Aber auch sein Sohn Dan, dieser Schlauberger, würde dieses Mal keinen Rat wissen. Und Hasard? Na, der würde auch Augen machen!

Mary, Gotlinde und Gunnhild waren bei den Kindern an Bord der „Empress of Sea II.“ zurückgeblieben. An Bord der „Wappen von Kolberg“, der „Pommern“ und der „Golden Hen“ befanden sich die Männer, die als Ankerwachen eingeteilt waren – beispielsweise Tom Coogan, Eric Winlow und Gordon McLinn, die ihren Dienst auf der Karavelle versahen.

„Ich versteh’ das nicht ganz“, sagte Gordon McLinn. Er blickte zu den Gestalten, die zwischen den Kiefern der Halbinsel verschwanden. „Was soll denn das? So ein Quatsch.“

Er gehörte wie Dave Trooper und Paddy Rogers von der „Isabella“ zu den „Schnellmerkern“ des Bundes und brauchte immer etwas mehr Zeit als die anderen, um die simpelsten Zusammenhänge zu begreifen.

„Mach dir darüber keine Gedanken“, sagte Winlow. „Die Hauptsache ist, daß unsere Freunde endlich da sind.“

„Ja. Aber warum lotsen wir sie nicht gleich in unsere Bucht?“

Tom Coogan seufzte. Eric Winlow legte Gordon die Hand auf die Schulter und entgegnete: „Komm mit in die Kombüse, Gordon. Wir heizen schon mal kräftig die Feuer für die Suppe an, die es heute abend gibt. Dabei erkläre ich dir noch mal genau, was es mit dem Späßchen auf sich hat.“

Sie verschwanden in der Kombüse der „Golden Hen“. Winlow schürte das Feuer unter den Kesseln, dann schickte er Gordon in den Proviantraum, wo er noch eine Speckseite holen sollte. Als Gordon wieder die Kombüse betrat, hatte er bereits vergessen, welches das Problem war, über das er sich die ganze Zeit den Kopf zerbrochen hatte.

Währenddessen hatten sich die „Isabella“, die „Caribian Queen“ und „Eiliger Drache über den Wassern“ so weit Great Abaco genähert, daß die Gestalten an Bord bereits mit dem bloßen Auge zu erkennen waren.

Old O’Flynn stand neben Jean Ribault, Renke Eggens, Don Juan und Oliver O’Brien. Sie hatten in einem Gebüsch Stellung bezogen, von dem aus sie die See beobachten, selbst aber nicht gesehen werden konnten.

Old O’Flynn spähte mit dem Spektiv zur „Isabella“ und sagte: „Sie scheinen schon ziemlich unruhig zu sein.“

„Und gleich sind sie ganz aus dem Häuschen“, sagte Ribault.

„Lassen wir sie zappeln“, sagte Oliver O’Brien grinsend. Er warf ebenfalls einen Blick durch seinen Kieker und glaubte sehen zu können, wie der Wikinger bereits ratlos an seinem Kupferhelm kratzte. Aber das war natürlich vorerst noch eine reine Einbildung.

Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, stand auf dem Achterdeck der „Isabella IX.“ und beobachtete durch sein Spektiv unausgesetzt Great Abaco. Ein Irrtum war ausgeschlossen: Sie hatten den Treffpunkt erreicht. Doch von der „Golden Hen“, der „Empress of Sea II.“, der „Wappen von Kolberg“ und der „Pommern“ war nirgends etwas zu entdecken.

„Vielleicht sind sie an der anderen Seite vor Anker gegangen“, sagte Ben Brighton, der unmittelbar neben seinem Kapitän Posten bezogen hatte.

„Nein, das kann nicht sein“, widersprach der Seewolf. „Wir haben vereinbart, daß wir uns in der großen Bucht an der südlichen Ostseite treffen. Daran hätten die Freunde sich auf jeden Fall gehalten.“

„Du meinst, es ist was passiert?“ fragte Big Old Shane. Er stand etwas weiter achtern neben Pete Ballie, dem Rudergänger. „Aber was sollte ihnen zugestoßen sein?“

„Hölle und Teufel!“ brüllte Carberry, der jedes Wort mitgehört hatte, auf der Kuhl. „Hoffentlich hängt das nicht mit den verfluchten Alis zusammen!“

„Dir gehen die Alis wohl nicht aus dem Kopf, was?“ rief Blacky. „Aber da liegst du falsch. Eine Handvoll verlauster Piraten kann doch vier Schiffen nichts anhaben. Entweder sind die Alis längst krepiert, oder sie sind seit einiger Zeit weg von der Insel. Eine dritte Möglichkeit ist, daß unsere Leute ihnen mit den Kanonen den Marsch geblasen haben, als sie eingetroffen sind.“

„Na schön“, sagte der Profos grimmig. „Und wo sind sie jetzt?“

Darauf wußte keiner eine Antwort. Die Schiffe segelten auf Great Abaco zu. An Bord der „Caribian Queen“ und des Schwarzen Seglers herrschte genauso großes Rätselraten wie auf der „Isabella“.

Siri-Tong betrachtete die Insel mit mißtrauischer Miene. Sie vermutete eine Falle.

Ähnlich dachte auch der Wikinger, und er begann jetzt wirklich, an seinem Kupferhelm zu kratzen, vor allem auch deshalb, weil er sich wegen Gotlinde, seinem angetrauten Weib, und seinen Kinderchen Thyra und Thurgil zu sorgen begann.

Ja, und auch Smoky, der Decksälteste der „Isabella“, war schon ganz zappelig. Wo war Gunnhild, seine Frau, mitsamt Klein David abgeblieben?

Geradezu zögernd gingen die drei Schiffe wenig später vor der Küste der Eight Miles Bay vor Anker.

„He!“ brüllte Thorfin Njal. „Was wird hier gespielt, bei Odin und seinen schwarzen Raben?“

„Weiß ich das?“ schrie die Rote Korsarin zurück. „Die Schiffe sind jedenfalls nicht da!“

„Dann spukt es!“ brüllte Carberry.

„Es wird schon alles mit rechten Dingen zugehen“, sagte Hasard. „Jean, Renke, Oliver und Donegal haben aus irgendeinem Grund wieder auslaufen müssen.“

„Es hätte wenigstens einer zurückbleiben können, der uns Bescheid gibt“, sagte Ben. „Ich finde das ziemlich merkwürdig.“

„Also, wo sind die Kerle?“ brüllte Thorfin Njal mit Donnerstimme. „Wir haben doch diesen Treffpunkt vereinbart, verdammt noch mal!“

„Kannst du nicht mal mit dem Gebrüll aufhören?“ rief Siri-Tong. „Du machst noch die Quallen im Wasser verrückt! Und die Kariben, die in den Dünen lauern könnten!“

„Wer brüllt denn?“ brummte der Wikinger.

„Ja, wer brüllt denn?“ echote der Stör, der die dumme Angewohnheit hatte, immer die letzten Worte seines Kapitäns nachzusprechen.

Prompt fuhr der Wikinger zu ihm herum und stemmte die Fäuste in die Seiten. „Hör mal zu, du Wurm! Sollten auf der verfluchten Insel da tatsächlich Kariben in den Dünen lauern, schicke ich dich als ersten vor, damit sie dich anfallen und auffressen!“

„Warum denn auffressen?“

„Weil ich sie darum bitten werde.“

„Oh, ich verstehe.“

„Hältst du endlich das Maul?“ fuhr der Wikinger ihn an.

„Ja.“ Aber auch der Stör war äußerst verwirrt. Er wandte sich ab und trat an das Schanzkleid zu Eike, Oleg, Arne und den anderen, die sich die Augen ausstarrten. Wo waren die Freunde? Ob da was passiert war?

Hasard hatte unterdessen die große Jolle der „Isabella“ abfieren lassen. Rasch stellte er die Besatzung zusammen.

„Ed, du begleitest mich“, sagte er. „Wir sehen nach, ob es an Land irgendwelche Spuren von unseren Leuten gibt. Ferris, Batuti, Roger, Dan, Luke und Gary – nehmt eure Feuerwaffen und entert in die Jolle ab.“

Die Männer holten ihre Musketen und Blunderbusses. Der Gambia-Mann hängte sich seinen Pfeilköcher um und nahm seinen Langbogen, aber auch einen Morgenstern mit. Hasard holte aus der Kapitänskammer seinen mehrschüssigen Radschloß-Drehling. Dann enterte er mit den Männern in die Jolle ab.

„Sir, nimm mich bitte mit!“ rief Smoky.

„Nein, du bleibst hier.“

„Aber Gunnhild und …“

„Das ist ein Befehl“, unterbrach ihn Hasard. „Wir sehen jetzt erst mal nach dem Rechten. Anschließend beraten wir, was wir unternehmen.“

Es war einleuchtend: Was immer an der Eight Miles Bay vorgefallen sein mochte, der Seewolf wollte nicht, daß Smoky mit dabei war, wenn sie etwas entdeckten. Doch eigentlich war es schon übertriebene Vorsicht, denn Hasard konnte sich nicht vorstellen, daß irgendein Gegner gleich vier Schiffsmannschaften überwältigte und dann auch noch die Schiffe verschwinden ließ. Die plausibelste Erklärung schien zu sein, daß ihre Freunde – aus welchen Gründen auch immer – sich von Great Abaco wieder zurückgezogen hatten.

Der Wikinger und die Rote Korsarin hatten ebenfalls die Beiboote abgefiert. Aber Hasard bedeutete ihnen, noch abzuwarten. Erst wollte er sich ein Bild von dem verschaffen, was sie auf Great Abaco erwartete. Er nahm auf der achteren Ducht der Jolle Platz und griff nach der Ruderpinne. Das Boot legte ab, die Männer begannen zu pullen.

Carberrys Miene war finster.

„Eine Scheißsituation ist das“, murmelte er. „Gefällt mir gar nicht. Was steckt dahinter?“

„Vielleicht nicht sehr viel“, erwiderte Dan. „Ich könnte mir vorstellen, daß ein paar Alis in den Dünen herumlungern. Renke, Oliver, Jean und mein Alter haben es daraufhin vorgezogen, an der Westseite vor Anker zu gehen.“

„Das paßt nicht zusammen“, wandte Ferris ein. „Das mußt du selbst einsehen. Unsere Leute hätten mindestens einen Ausguck zurückgelassen, der uns ein Zeichen gibt.“

„Und die Alis?“ fragte Dan.

„Mann, mit den paar dämlichen Alis hätte Jean doch im Alleingang aufgeräumt“, sagte Roger. „Nein, die sind nicht der Grund.“

„Trotzdem müssen wir höllisch aufpassen“, sagte Hasard. „Wenn es einen Gegner gibt, könnte er oben hinter den Dünenkämmen in Deckung liegen. Es brauchen nicht unbedingt die algerischen Piraten zu sein. Es können auch andere bewaffnete Schnapphähne sein.“

„Sehr richtig“, sagte der Profos grimmig. „Aber dem ersten, der seine Nasenspitze zeigt, brate ich was über, daß ihm Hören und Sehen vergeht.“

Das Boot glitt durch die Brandung, der Bug schob sich knirschend in den Ufersand. Die Männer vertauschten die Riemen mit den Musketen und Blunderbusses, die sie zwischen die Duchten gelegt hatten. Hasard hielt den Radschloß-Drehling schußbereit. Sollte ein Gegner auftauchen, der ihnen einen heißen Empfang zu bereiten gedachte, dann würden sie seinen Gruß gebührend erwidern.

Carberry war mit einem Satz als erster auf dem Strand. Er tat ein paar Schritte, schaute sich aufmerksam um und entdeckte einen flachen Dünenkamm nicht weit entfernt. Es waren höchstens vier, fünf Yards bis dorthin, eine Distanz, die er mit drei Sätzen überbrückte. Er verharrte abrupt und hob die Muskete. Etwas Sand stob von seinen Stiefeln hoch.

Hasard und die anderen Männer rückten nach. Verblüfft und alarmiert zugleich blickten sie zu dem Profos auf, als dieser plötzlich die Muskete sinken ließ, die Fäuste in die Seiten stemmte und brüllende Laute von sich gab.

„Hölle, was ist denn jetzt in den gefahren?“ stieß Ferris betroffen aus.

„Er röhrt wie ein Hirsch“, sagte Dan. „Das kennst du doch.“

Batuti grinste breit. Irgendwie spürte er, daß das Profos-Röhren kein Zeichen für Gefahr war – sondern etwas anderes. Und auch Hasard glaubte dem Verhalten Carberrys zu entnehmen, daß alles jetzt eine einleuchtende Erklärung fand, die aber nichts mit Piratenüberfällen zu tun hatte. Wie es schien, nahmen die Dinge eine eher glückliche Wende.

Carberry vermochte von seinem Standort aus in etwa in die Bucht zu sehen, wo die vier Schiffe ankerten. Erst war er wie vom Donner gerührt, dann fing er an zu röhren. Zum Henker, war denn das die Möglichkeit? Wie zum Greifen nahe lagen sie da vor Anker – die „Golden Hen“, die „Empress of Sea II.“, die „Wappen von Kolberg“ und die „Pommern“. Aber warum hatten sie die Schiffe von See her nicht sehen können?

Die verdammten Kiefern waren schuld, jawohl. Ihre Wipfel waren so dicht, daß sie die Schiffe zur Meeresseite hin perfekt abschirmten. Von hier aus aber, vom Kamm der Düne, konnte man zwischen den Stämmen hindurchschauen. Und da lagen sie friedlich und einträchtig beieinander, diese höllischen Kähne, um die sie sich eben so gesorgt hatten.

„Da sind sie!“ brüllte er. „He, ihr Affenärsche! Ihr Satansbraten! Seid ihr total verrückt?“

Hasard wußte Bescheid, bevor er Carberry erreichte: Die Eight Miles Bay wurde ja, wie ihm bereits bekannt war, in ihrem nördlichen Bereich von der kleineren Cherokee-Bucht begrenzt. Nur dort konnten die vier Schiffe der Freunde ankern!

„Haben sich versteckt vor uns, die Rübenschweine!“ brüllte der Profos. „Wollen uns ärgern, diese Komiker!“

Hasard traf neben seinem Profos ein, und sie sahen gleichzeitig, wie im Wald Bewegung entstand. Da waren sie mit einemmal, die „Rübenschweine“: Ribault, Old O’Flynn, Renke Eggens, Hein Ropers, O’Brien und Don Juan de Alcazar zeigten sich als erste und winkten ihnen lachend zu.

„So eine Sauerei!“ wetterte Carberry. „Was Dämlicheres ist euch wohl nicht eingefallen, was, wie?“

„Nein!“ schrie Ribault zurück. „Aber es kommt noch dicker! Wir haben euch einiges zu berichten!“

Carberry fluchte immer noch. „Hölle und Teufel, jetzt müssen wir noch mal den Anker hieven und verholen!“

„Was ist eigentlich los?“ brüllte der Wikinger mit einer Stimme, die geradewegs aus dem eisigen Nordland herüberzuwehen schien, von Bord des Schwarzen Seglers. Aber dann sah er ja selbst, was geschah: Ribault und die anderen „Rübenschweine“ liefen am Strand entlang auf Hasard und dessen Bootscrew zu. Man begrüßte sich stürmisch. Carberry hieb Old O’Flynn derart kräftig auf die Schulter, daß der mit seinem Holzbein umknickte und in die Düne stürzte.

„Fein ausgedacht, was?“ brüllte der Profos dazu. „Und wie du gekichert hast, wie? Haha, jetzt führen wir die Blödmänner mal ein wenig an der Nase rum, oder?“

Old O’Flynn begrüßte ihn seinerseits mit einer Serie von Flüchen, die aber zum Glück Marys, Gotlindes und Gunnhilds Ohren nicht erreichten. Sie waren zu weit entfernt. Andernfalls wären sie sicherlich errötet, auch Mary.

Carberry half dem Alten auf die Beine, und sie grinsten sich wölfisch an. Wie schön, daß sie sich wiederhatten!

„Ferris“, sagte Hasard. „Du pullst mit den anderen zur ‚Isabella‘ zurück. Verholt mit den Schiffen in die kleine Bucht. Jean, haben die Schiffe dort überhaupt alle Platz?“

„Ja. Bequem. Und die Wassertiefe reicht allemal aus“, erwiderte der Franzose.

Ferris, der Gambia-Mann, Roger, Luke und Gary kehrten mit der Jolle zur „Isabella IX.“ zurück. Carberry und Dan O’Flynn hingegen blieben mit Hasard bei Ribault und dem „Empfangskomitee“.

„Kommt“, sagte O’Brien. „Wir zeigen euch jetzt die Bucht. Es ist eine der feinsten Buchten, die ich je gesehen habe.“

Während sie am Strand entlang zu der Ankerbucht marschierten, warf Dan seinem Erzeuger immer wieder fragende Seitenblicke zu.

„He!“ sagte er schließlich. „Ist was nicht in Ordnung mit dir?“

„Mit mir? Was soll nicht in Ordnung sein?“

„Du machst irgendwie einen merkwürdigen Eindruck.“

„Ich hab’ ein neues Holzbein“, brummte der Alte.

„Wo ist denn das alte?“

„Das erzähl’ ich dir gleich“, entgegnete Old O’Flynn. „Aber laß mich mit deiner Fragerei in Ruhe.“

„Meinetwegen. Aber du siehst aus wie – na ja.“

„Wie denn?“ fragte der Alte gereizt.

„Wie ein aufgeblasener, eitler Pfau, wenn ich ehrlich sein soll“, erwiderte Dan ungerührt.

Old O’Flynn zog es vor, zu schweigen. Aber Jean Ribault und die anderen Männer, die Bescheid wußten, grinsten. Ihnen war klar, daß es der Vaterstolz war, der das alte Rauhbein so aufblähte.

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9783954399925
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