Читать книгу: «Seewölfe Paket 24», страница 7

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1.

In den etwas späteren Morgenstunden des 20. April 1595 schlug Old Donegal Daniel O’Flynns Stimmung um. Nach dem „Schreckenserlebnis“ in der Tropfsteinhöhle war er an Bord der „Empress of Sea II.“ wieder „ins Reich der Lebenden“ zurückgekehrt, sprich, er hatte das Bewußtsein wiedererlangt.

Wenn die Freunde nicht mit Fackeln nach ihm gesucht hätten, hätte er noch jetzt in der „Geisterhöhle“ gelegen. Statt sich aber für die Rettung zu bedanken, hatte er sich knurrig und verbiestert gezeigt. Er war eben total „durch den Wind“ gewesen – wegen der Tatsache, daß Mary O’Flynn, geborene Snugglemouse, ihm am Vortag die freudige Nachricht mitgeteilt hatte, daß sie ein Kind von ihm erwarte.

Da mußte erst ein Jean Ribault an Bord der „Empress“ entern und dem alten Knurrhahn „was zwischen die Hörner“ geben – von wegen, was das für eine Art sei, einfach wegzulaufen, wenn man Vater werde, und daß auch ein Old O’Flynn sich gefälligst abzumelden habe, wenn er seine Alleingänge unternähme.

Das saß. Old O’Flynn war jetzt einigermaßen geläutert – und zerknirscht. Er übte gewissermaßen Selbstkritik und überlegte sich, wie er die Sache wieder ausbügeln oder geradebiegen konnte. Bei Mary um gut Wetter anhalten? Sicher, das war der beste und direkteste Weg. Warum, zur Hölle, war er aber auch so brummig und verbiestert gewesen? Hätte er nicht anders reagieren können?

Hätte, wenn und aber – es nutzte nicht viel, sich selbst Vorwürfe zu machen. Er mußte die Sache anders anpacken. Wieder marschierte er auf die Pantry der „Empress“ zu, verharrte im offenen Schott und blickte zu Mary, die nach dem Frühstück mit dem Aufklaren beschäftigt war.

Die „Empress of Sea II.“, die „Golden Hen“, die „Wappen von Kolberg“ und die „Pommern“ ankerten in der Cherokee-Bucht an der südlichen Ostseite der Insel Great Abaco. Bei der Ankunft der Schiffe hatte es einigen Wirbel mit den Piraten des Mubarak gegeben, doch bei einem Nachtangriff der „Alis“ hatten die Männer des Bundes der Korsaren sich erfolgreich zu verteidigen gewußt. Inzwischen war keiner der algerischen Freibeuter mehr am Leben.

Jetzt warteten die Männer auf das Eintreffen der „Isabella IX.“, der „Caribian Queen“ und des Schwarzen Seglers. Der Seewolf, die Rote Korsarin und der Wikinger waren hierher unterwegs. Es konnte nicht mehr lange dauern, und auch sie hatten den gemeinsamen Treffpunkt erreicht.

Probleme gab es derweil – außer mit dem alten O’Flynn – mit der Dreimastkaravelle „Golden Hen“. Ihr Ruder war auf der Fahrt nach Great Abaco von einem Hai gerammt worden und zu Bruch gegangen.

Jean Ribault hatte einen der Langriemen, mit denen das Schiff ausgerüstet war, als Notruder benutzt, doch natürlich war dies keine Dauerlösung. Damit man das Ruder reparieren konnte, mußte die „Golden Hen“ jedoch gekielholt werden. Das war eine langwierige, schweißtreibende Arbeit.

Old O’Flynn schaute seine Mary an, und der Wunsch nach Versöhnung wurde in ihm übermächtig. Was für ein Prachtweib war sie doch! Jetzt würde sie sogar Nachwuchs auf die Welt bringen, was erstens ein Beweis für ihre Gesundheit und Fruchtbarkeit und zweitens für seine Mannes- und Zeugungskraft war. Das mußte man sich mal vor Augen halten! Der Alte tat’s und war jetzt versessen darauf, sich mit der werdenden Mutter auszusöhnen.

Er räusperte sich, aber Mary schien es nicht zu hören. Sie war mit den Töpfen und Pfannen beschäftigt und hantierte ziemlich laut herum.

„Na, Mary“, sagte der Alte. „Wie geht’s uns denn heute morgen so?“

Sie antwortete nicht. Eigentlich nahm sie ihn überhaupt nicht zur Kenntnis. Beim Wassermann, dachte der Alte, das geschieht mir wohl ganz recht.

Was war der richtige Weg, erfolgreich Abbitte zu leisten? Old O’Flynn scharrte ein bißchen mit dem Holzbein herum und sann angestrengt darüber nach. Er kam sich idiotisch vor, wußte aber gleichzeitig auch, daß er die Sache nicht einfach auf sich beruhen lassen konnte.

„Ja“, sagte er, „wenn ich mir das recht überlege, ist heute doch ein feiner Tag, nicht? Wäre das nicht ein Grund zum Feiern?“

Mary sah ihn plötzlich an. Sie hielt mit ihrer derzeitigen Tätigkeit, dem Scheuern der Pfannen, inne. „Sag mal, bist du immer noch in deiner verdammten Geisterhöhle, Mister O’Flynn?“

„Ich? Nein, wieso?“

„Weil du Selbstgespräche führst.“

„Ich bin doch hier an Bord der ‚Empress‘“, sagte er und versuchte es mit einem Grinsen, das ihm allerdings mißlang und zu einer Grimasse geriet.

„Und du hast nichts zu tun?“

„Doch, ja, jede Menge.“

„Dann tu deine Pflicht“, sagte sie frostig. „Und halte hier keine dummen Reden.“

Am liebsten wäre er gleich wieder „aus der Haut gefahren“, wie er das nannte – aber nein, er hatte ja beschlossen, sich mit Mary wieder zu versöhnen. Doch, sie hatte allen Grund, gekränkt zu sein. Das mußte wieder ins rechte Lot gebracht werden. Und so fuhr der Alte fort, um seine „Miß Snugglemouse“, sein trautes Weib, herumzuscharwenzeln. Er war hartnäckig, aber sie ließ ihn zappeln.

Schließlich brach ihm der Schweiß aus. Er war froh, als Jean Ribault erschien und zum Alle-Mann-Manöver aufrief.

„Versammelt euch am Strand!“ rief er. „Wir brauchen jede Hand!“

„Beim Donner!“ stieß Old O’Flynn hervor. „Das hätte ich fast vergessen! Hölle, die ‚Golden Hen‘ soll kielgeholt werden!“

Mary schwieg wieder und bemühte sich, der Pantry so viel Glanz zu verleihen, daß man von ihren Planken essen konnte. Old O’Flynn warf ihr noch einen Schmachtblick zu, dann wandte er sich ab und stiefelte über das Deck der „Empress“ zum Schanzkleid.

Er verharrte dort, stützte die Hände auf und rief: „Ich komme! Es kann gleich losgehen!“

Mary konnte sich ein Lächeln jetzt doch nicht verkneifen. Sie lächelte auch noch, als Gotlinde die Pantry betrat und sie ansah.

„Was ist denn mit dir los?“ fragte Gotlinde.

„Ach, ich denke nur über dieses und jenes nach. Ob’s wohl ein Junge oder ein Mädchen wird beispielsweise.“

„Ich wollte eben nicht stören, weil du wohl eine Aussprache mit deinem Knurrhahn hattest.“

Mary schüttelte den Kopf. „Wir hatten keine Aussprache. Ich lasse den alten Dickschädel noch ein wenig in der Luft hängen, das hat er verdient.“

Gotlinde lachte. „Ihr seid wirklich ein herziges Pärchen, ihr beiden.“

„Ja, aber auf unsere Weise haben wir uns gern“, sagte Mary. „Und was sich liebt, das neckt sich. Ist es nicht so?“

„Sicher.“ Gotlinde trat zu ihr und half ihr beim Aufräumen und Saubermachen. Dabei dachte sie an den Wikinger. Mit dem hatte sie auch nicht immer leichtes Spiel. Wenn sie an die Eifersuchtsszenen dachte, die er manchmal wegen des Störs anzettelte – nicht zu fassen! Man hatte es eben nicht leicht mit den Männern. Doch die Hauptsache war, daß in ihrer rauhen Schale ein guter Kern steckte – und ein Herz.

Old O’Flynn war unterdessen in sein Beiboot geklettert. Martin Correa und Ray Hoback gingen mit ihm von Bord der „Empress“. Sie pullten mit der Jolle an Land. Mulligan, der vormals mit zur Crew der „Empress“ gehört hatte, befand sich seit der Ramming an Bord der „Golden Hen“. Dort hatte er genug Holz und Material gefunden, um ein neues Ruder für die Karavelle herzustellen. Inzwischen war das Ruder fertig. Jetzt mußte die „Golden Hen“ am Nordstrand der Bucht kielgeholt werden, damit das neue Ruder eingepaßt werden konnte.

Die Männer versammelten sich am Strand. Hesekiel Ramsgate leitete die Arbeiten und verteilte sie an die verschiedenen Taljen, die bereits am Vortag von der „Golden Hen“ zum Land geschoren worden waren.

Auch Old O’Flynn, Hoback und Correa reihten sich ein. Die „Golden Hen“, mußte auf den flachen Strand gezogen werden – das kostete Ausdauer und Muskelkraft.

„Es kann losgehen!“ rief Ramsgate. „Alles hört auf mein Kommando!“

„Aye, Sir!“ schrien die Männer.

„Klar bei Taljen?“

„Klar bei Taljen!“ brüllten die Männer.

„Paßt auf mit den Pallhölzern!“ mahnte Ramsgate.

„Klar bei Pallhölzern!“ rief Jean Ribault, der die Gruppe leitete, die für das seitliche Abstützen des Rumpfes eingeteilt war.

Es waren Ramsgates Männer, die mit den Pallhölzern zu beiden Seiten bereitstanden. Sie würden die Hölzer im richtigen Moment gegen die Bordwände der „Hen“ stemmen, damit sie auf ebenem Kiel blieb, sobald sie nicht mehr aufschwamm.

„Los!“ schrie Ramsgate.

Die Männer packten die Läufer der Taljen, holten die Lose durch, bis die Leinen straff standen, und dann setzte das eigentliche Manöver ein: Mit Hauruck wurde die Karavelle Zug um Zug an Land gezogen. Kräftig packten die Männer zu, und ihren Gesichtern war die Anstrengung nach den ersten energischen Zügen deutlich anzusehen.

„Hauruck!“ rief Ramsgate, der nun selbst mit anfaßte. „Willig!“

„Vorwärts!“ schrie Jean Ribault, und Ramsgates Männer, die ins Wasser gewatet waren, begannen mit den Pallhölzern zu hantieren. Die ersten Hölzer wurden gegen die Bordwand gestemmt und auf dem Grund abgestützt.

Die Männer mußten auf der Hut sein, denn durch die Bewegung des Schiffes wurden die im steilen Winkel zur Bordwand stehenden Hölzer in Zugrichtung gekantet. So wechselten sich die Männer umschichtig ab: Die „ausgebrauchten“ Stämme wurden vorn weggenommen und achtern wieder angesetzt. Es herrschte ständig Bewegung.

Jean Ribault achtete darauf, daß nirgends eine „Schwachstelle“ auftrat. Wo ein Holz fehlte, gab er sofort den Befehl, es anzusetzen.

Die „Golden Hen“ glitt mit ihrem Vorschiff auf das Ufer. Jean Ribault löste Ramsgate ab, und der Schiffsbaumeister überwachte die Arbeiten mit den Pallhölzern.

„Hauruck!“ riefen die Männer wieder, und die Karavelle rutschte noch ein Stück näher auf den Sand.

Insgesamt war es Kraftarbeit, aber mittels der mehrfach geschorenen Taljen verminderte sich der Kraftaufwand doch so, daß sie mit genügend Ausdauer in einem einzigen Arbeitsgang das Schiff aufs Ufer ziehen konnten. Unter Ramsgates Anweisungen gelang das Manöver perfekt – die „Golden Hen“ befand sich mit ihrem Vorsteven bereits auf dem Trockenen.

Die Karavelle brauchte auch nur etwa bis zur Hälfte ihrer Rumpflänge auf den Strand gezogen zu werden. Das genügte, um das neue Ruder achtern am Steven einhängen zu können. Mulligan begab sich ans Werk. Das neue Ruder war fertig. Er brauchte die Trümmerreste des alten nur abzunehmen. Dann brachte er neue Ruderösen am Achtersteven an und erneuerte auch die Fingerlinge, die nicht mehr brauchbar waren.

Beim Einhängen des Ruders standen ihm Tom Coogan und Jonny hilfreich zur Seite. So klappte auch diese Arbeit reibungslos – die „Hen“ hatte ihr nagelneues, solides Ruder.

„So“, sagte Old O’Flynn. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Jetzt könnt ihr zur nächsten Hai-Ramming auslaufen, Leute.“ Er sah Jean Ribault an und grinste.

Jean Ribault grinste nicht mit. „Findest du das witzig?“

„Ach, es ist mir nur so eingefallen.“

„Du mußt wohl immer schwarzmalen, wie?“ fragte Jean Ribault. „Aber kümmre dich lieber um deine Angelegenheiten. Paß auf, daß du nicht aus Versehen wieder in dein Geisterloch fällst, wenn du über die Insel tigerst.“

Old O’Flynn schwieg mit verkniffenem Gesicht. Es brachte nichts ein, den Franzosen herauszufordern. Der war viel zu schlagfertig. Außerdem: Welchen Sinn hatte es? Viel wichtiger war, daß er so schnell wie möglich wieder mit Mary ins reine kam. Mißstimmungen konnten Schwangerschaften negativ beeinflussen, hatte ihm mal jemand erzählt. Wer? Der Kutscher – oder? Verdammt und zugenäht, warum war der Kutscher jetzt nicht hier?

Die Männer nahmen die Gelegenheit wahr: Die eine Arbeit konnte mit einer anderen sinnvoll verbunden werden. Nachdem das Ruder eingehängt war, fingen sie an, auch gleich den Muschelbewuchs am Unterwasserrumpf zu beseitigen. Im übrigen untersuchte Ramsgate den Rumpf eingehend und entdeckte ein paar Stellen, die frisch kalfatert und geteert werden mußten.

Da auch die Männer der „Wappen von Kolberg“ und der „Pommern“ mithalfen, ging die Arbeit zügig voran. Die einen kratzten die Muscheln und Algen von der Karavelle ab, die anderen stopften mit Kalfateisen geteertes Werg in die Ritzen des Rumpfes.

Als das erledigt war, strich Mulligan mit einem dicken Pinsel Teer auf die Flächen. Damit war die „Golden Hen“ wieder einwandfrei in Schuß. Der Teer brauchte nur noch zu trocknen, dann konnte sie wieder ins Wasser der Bucht befördert werden.

Noch am Nachmittag dieses Tages wurden die Taljen umgeschoren und dieses Mal vom Heck hinüber zum steileren Südstrand der Bucht verfahren. Am Abend, im Einsetzen der Dunkelheit, war es dann soweit: Alle Männer packten wieder mit an und zogen die „Golden Hen“ übers Heck ins Wasser.

Dieses Mal ging es leichter. Unter kräftigem „Hauruck“ wurde gezerrt und geruckst, und die Männer mit den Pallhölzern hinderten das Schiff wieder am Krängen. Es knirschte, als die „Hen“ vom Sand des Ufers ins seichte Wasser glitt. Bald darauf schwamm sie frei.

Die Männer johlten und pfiffen. Besonders Jean Ribault und seine Männer waren erleichtert. Sie waren um eine Sorge befreit.

Die Pallhölzer wurden geborgen, ebenso die Taljen und die Leinen.

„Der Rest wird morgen erledigt!“ verkündete Ribault dann mit lauter Stimme. „Jetzt gibt es erst mal eine Extraration Rum!“

Nachdem der Anker der „Golden Hen“ geworfen war, ließ Ribault ein ganzes Fäßchen Rum an Land schaffen. Zwei Männer der „Pommern“-Crew entfachten ein Feuer, und wenig später hockten sie alle im Kreis zusammen, und es wurde tüchtig gefeiert.

Old O’Flynn brachte seiner Mary, die noch an Bord der „Empress“ geblieben war, eine Muck Rum. Mary hockte bei Gotlinde und Gunnhild. Klein David war fest eingeschlafen, aber Thyra und Thurgil waren unruhig. Thyra weinte, Thurgil strampelte mit den Beinchen und gab seufzende Laute von sich.

Um alle beide konnte sich Gotlinde nicht gleichzeitig kümmern. Mary nahm ihr Thyra ab und wiegte sie auf dem Schoß. Gotlinde summte ihrem Söhnchen ein Lied in ihrer Muttersprache vor, und bald nickte der Kleine ein. Aber auch Thyra verstummte jetzt.

Thyra schlief ein, als der alte O’Flynn mit der Muck Rum an Bord enterte. Er sah das Kind auf Marys Schoß und blieb stehen. Irgendwie war er gerührt – oder ergriffen. Wenn er an den Nachwuchs dachte, wurde ihm ganz schwummrig ums Herz.

„Na, übst du schon, Mary?“ fragte er mit etwas kratziger Stimme.

Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Still. Sie ist gerade erst eingeschlafen. Willst du sie wieder aufwecken?“

„Ich?“ brummelte er. „Nee.“

„Was willst du, Mister O’Flynn?“ zischte Mary.

Er schlich auf die Frauen zu und hielt Mary die Muck hin. „Da, trink einen Schluck. Es ist ein guter Tropfen.“

„Rum?“ ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. „Dir geht’s wohl nicht gut? Eine werdende Mutter darf keinen Schnaps trinken. Willst du mich vergiften? Und das Kind?“

Old O’Flynn begriff die Welt nicht mehr. Was war los? War denn alles verdreht? Vor lauter Verwirrung hätte er die Muck am liebsten selbst geleert, bezwang sich aber im letzten Moment. Der Henker mochte wissen, wie Mary darauf reagierte.

„Mary“, schaltete sich Gotlinde schlichtend ein. „Ich habe den Eindruck, Donegal will so etwas wie einen Versöhnungsschluck mit dir trinken.“

„So?“ Wieder musterte Mary ihren „Alten“. „Ist das der Grund für dein blödes Grinsen, Mister O’Flynn?“

„Es ist kein blödes Grinsen, sondern ein fröhliches Lächeln, Miß Snugglemouse.“

„Und darf man wissen, warum du so fröhlich bist?“

„Weil wir Nachwuchs erwarten.“

„Ich dachte, das paßt dir nicht“, sagte sie herausfordernd.

„Ach, Unsinn, ich war nur – äh – völlig durcheinander“, sagte er. „So was passiert schließlich nicht alle Tage. Aber es wird ein kerniges Bürschchen, das weiß ich schon jetzt. Oder Zwillinge.“

„Wer sagt dir, daß es ein Junge wird?“ fragte Mary. „Was ist, wenn es ein Mädchen wird?“

„Auch gut“, erwiderte er. „Wichtig ist nur, daß es Nachwuchs gibt, sonst sterben die O’Flynns eines Tages noch aus. Dan, dieser Lümmel, denkt ja nicht daran, also muß jemand anderes für die Erhaltung der Sippe sorgen.“

„Aha.“

„Mary Snugglemouse“, sagte Old O’Flynn. „Ich freue mich auf unsere Kinder. Ehrlich.“

Sie gab Thyra an Gunnhild ab, stand auf und drückte ihrem „Alten“ einen lauten Kuß auf.

„Na, dann ist ja alles klar“, sagte sie ein bißchen rauh, aber glücklich. „Und nun hör endlich auf, so schief dreinzuschauen. Trink endlich deinen Rum, sonst wird er schlecht.“

Old O’Flynn strahlte.

„Prost, Ladys“, sagte er, dann leerte er die Muck in einem Zug.

Am nächsten Tag, dem 21. April, wurden die Kanonen, die Pulverfässer, der Proviant und die übrige Ladung der „Golden Hen“ wieder an Bord der Karavelle gemannt. Die acht Legehennen blieben in einem Gehege an Land. Auch diese Arbeit nahm wieder einige Zeit in Anspruch, doch es waren nicht alle Männer dazu erforderlich.

Jean Ribault, Old O’Flynn, Oliver O’Brien, Don Juan de Alcazar und Renke Eggens hatten sich abgesondert. Mit Leinen, Fackeln und Laternen ausgerüstet, begaben sie sich unter der Führung des Alten zu der Tropfsteinhöhle. Sie wollten sie jetzt gründlich inspizieren.

Als auslösender Impuls für dieses Vorhaben hatte Jean Ribaults Idee gewirkt. Am Abend hatte er sie am Lagerfeuer verkündet. Die Höhle war riesig und weit verzweigt wie ein gigantisches Labyrinth. War sie nicht der ideale Platz für die Schatzbeute des Bundes der Korsaren?

Schon jetzt bot sich an, dort die Schätze der Caspicara-Flores-Bande zu verstecken, die sich an Bord der „Golden Hen“ befanden. Und spätere Beute würde hier ebenfalls an einem sicheren Platz liegen, den niemand außer ihnen kannte.

Die Männer waren sich darüber einig, daß diese Idee wirklich nicht schlecht war. Man mußte ja bedenken, daß Old O’Flynn aus reinem Zufall in eine Art Loch getreten und in die Höhle hinuntergesaust war.

Old O’Flynn fand das Loch als erster wieder. Es war von Buschwerk getarnt und zum Teil von Flugsand verweht gewesen.

„Aber ausgerechnet ich mußte in das Loch treten“, sagte er mit einem schiefen Grinsen. „Das liegt daran, daß die Geister hinter mir her sind.“

„Was wollen die denn von dir?“ fragte O’Brien.

„Na, mich abmurksen natürlich.“

„Seilen wir uns erst mal ab“, schlug Jean Ribault vor. „Dann können wir immer noch über Geister, Kobolde und ähnliche Kameraden diskutieren.“

Wenig später sahen sie sich in dem Höhlenlabyrinth um.

„Wo sind denn die Männchen mit den Kalbsköpfen und den langen Giftzähnen?“ wollte Renke Eggens wissen. „Ich sehe sie nicht.“

„Paß auf, daß sie dir nicht in den Hals beißen“, brummte der Alte.

Don Juan hielt eine der Fackeln in der Hand, die sie entfacht hatten. Er sah sich aufmerksam nach allen Seiten um und gab sich keine Mühe, sein Staunen zu verhüllen.

„Das ist wirklich faszinierend“, sagte er. „Eine unterirdische Welt! Wer hätte das gedacht?“

„Ich bestimmt nicht“, erwiderte Old O’Flynn. „Und ich möchte hier nicht noch mal allein herumirren, das schwöre ich euch.“

„Das verlangt auch niemand von dir“, sagte O’Brien trocken.

„Kein Fremder wird unter den Dünen dieser Halbinsel, die die Cherokee-Bucht abschirmt, eine Höhle vermuten“, sagte Jean Ribault nach eingehender Untersuchung ihrer bizarren, rätselhaft anmutenden Umgebung.

„Vorausgesetzt, man hinterläßt keine Spuren und der Eingang bleibt hervorragend getarnt“, sagte Renke Eggens. „Das ist das Allerwichtigste.“

„Ja“, pflichtete Don Juan ihnen bei. „Doch dafür werden wir schon sorgen, nicht wahr?“ Er ging ein Stück weiter und beugte sich über einen der Tropfsteine, der die Form eines gewaltigen Kegels hatte. Das Licht der Fackel wurde von dem Gebilde in verschiedenen Farbtönen reflektiert: rosa, orange und milchig-rot. In anderen Bereichen der Kaverne wiederum schimmerten violette, blaue und grüne Töne. Es war ein verwirrendes Kaleidoskop.

2.

Von beeindruckender Schönheit war die Tropfsteinhöhle im Licht der Laternen und Fackeln, auch für Jean Ribault und Old Donegal, die sie ja bereits kannten.

Ribault trat zu Don Juan und sagte: „Die Welt ist voller Wunder, nicht wahr?“

„Ja“, erwiderte Don Juan und schaute ihn nachdenklich an. „Aber was weißt du über die Entstehung dieser eigenartigen Gebilde?“

„Sicher nicht mehr als du, Juan.“

„Die Wissenschaft ist sich noch nicht schlüssig, wie das seltsame Gestein entsteht“, entgegnete der Spanier. „Aber ich glaube, unsere Gelehrten vergleichen sie mit Eiszapfen.“

„So kalt ist es hier doch gar nicht“, sagte Old O’Flynn. „Da komme ich nicht ganz mit. Das Zeug müßte doch längst geschmolzen sein.“

„Nein, das trifft nicht zu“, sagte O’Brien. „Die Tropfen fallen von oben herunter und müssen Kalk oder winziges Gestein oder so was Ähnliches enthalten, das sich allmählich auf dem Boden aufschichtet.“ Er deutete zunächst auf die Stalaktiten, die von der Höhlendecke herunterhingen, dann auf die Stalagmiten, die den oberen Zapfen entgegenwuchsen.

„Genau das meinte ich eben“, sagte Don Juan. „Es gibt Abtropfsteine und Auftropfsteine. Sie sind Gestein, kein Eis, Donegal, aber das Prinzip entspricht im Grunde dem von Eiszapfen.“

„Na ja, meinetwegen“, brummte der Alte. „Mir ist das ziemlich egal, ich will Mary schließlich keinen Vortrag darüber halten.“

„Dazu würde ich dir auch nicht raten“, sagte Ribault mit dem süffisantesten Grinsen, das er aufzusetzen vermochte. „Mary ist jetzt ein bißchen nervös. Ich glaube, sie verträgt es nicht, wenn man ihr mit komischen Sprüchen kommt.“

„Fängst du schon wieder an?“ fragte der Alte giftig.

„Nein. Ich habe nur etwas festgestellt.“

Old O’Flynn sah ihn drohend an. „Um meine Privatangelegenheiten kümmere ich mich selbst, verstanden? Ich habe es nicht gern, wenn man sich da einmischt.“

„Hör doch auf, Donegal“, sagte O’Brien. „Sei lieber froh, daß Jean und Martin dich aus der Höhle hier abgeborgen haben. Du würdest sonst wohl immer noch hier liegen.“

„Oder die Geister hätten dich aufgefressen“, sagte Renke Eggens.

„Schon gut, schon gut“, sagte Old O’Flynn. „Das genügt. Sind wir hier, um die Scheißhöhle zu untersuchen oder um dummes Zeug zu reden?“

„Bleiben wir bei der wissenschaftlichen Seite“, sagte Don Juan. Er wies auf die mächtigen Säulen ganz am Ende der Kaverne, die wie eine phantastische Orgel wirkten. „Die Kegel wachsen sich also entgegen“, fuhr er fort. „Und nach unendlich langer Zeit verbinden sie sich zu Säulen. Ich stimme mit dir überein, Oliver – die Tropfen enthalten einen Stoff, der sich ablagert und verfestigt.“

„Ja“, sagte Ribault. „Und wie wäre es, wenn wir jetzt ein Stück weiter vordringen würden?“

„Einverstanden“, erwiderte Renke Eggens. „Aber wir müssen ein Zeichen zurücklassen, um den Eingang wiederzufinden, sonst verlieren wir uns in dem Irrgarten.“

„Daran habe ich gedacht“, sagte Old O’Flynn. Er brachte eine Fadenrolle zum Vorschein, die er mitgenommen hatte. „Wir spulen den Faden ab. Auf dem Rückweg brauchen wir ihm nur zu folgen, und wir finden das Loch wieder.“ Er schaute zu dem Eingangsloch auf. „Verdammt steil übrigens, das Ganze. Aber bequemer geht’s eben nicht.“

„Ausgezeichnet, Donegal“, sagte O’Brien. „Du weißt ja selbst am besten, wie leicht man sich hier unten verirren kann.“

„Ja. Also, was ist? Gehen wir nun weiter oder nicht?“ Old Donegal wurde allmählich ungeduldig.

Täuschte er sich, oder war da wirklich das feine Wispern von Geistern zu hören, die sich kichernd über ihn unterhielten? Er hütete sich, darüber zu sprechen. Die anderen hätten ihn ja doch nur ausgelacht. Aber ein unbehagliches Gefühl beschlich ihn doch, wie so oft, wenn er es mit „übersinnlichen Erscheinungen“ zu tun hatte.

Jean Ribault setzte sich mit einer Laterne an die Spitze des kleinen Trupps. Don Juan folgte ihm mit der einen Fackel, dann schlossen die anderen auf, ebenfalls mit Fackeln und Öllampen ausgerüstet. Old O’Flynn ging am Schluß. Immer wieder schaute er sich besorgt um. Doch von den Gespenstern, die er überall vermutete, ließ sich kein einziges blicken.

Jetzt, bei Licht, wurde erst richtig offenbar, wie umfangreich das Höhlensystem von Great Abaco war. Es wirkte schier endlos. Immer wieder taten sich auch links und rechts der Männer Seitengrotten und kleinere Kavernen auf. Doch sie folgten nur dem Verlauf der großen Höhlen und ließen die Nebenzweige des Labyrinths außer acht.

Schließlich war es aber doch eine der Nebenhöhlen, die eine Überraschung besonderer Art für sie bereithielt. Diese Entdeckung sollte eine Bemerkung widerlegen, die Jean Ribault während ihres Erkundungsganges traf.

„Ich glaube, hier ist vor uns noch kein anderer Mensch gewesen“, sagte er. „Wir sind die ersten, die diesen Irrgarten betreten.“

Don Juan stimmte ihm zu. „Ja, da bin ich ebenfalls sicher. Ich werde unsere Expedition später schriftlich festhalten. Was wir hier sehen, erscheint mir zu wichtig. Vielleicht werde ich auch eine Zeichnung von dem Höhlensystem anfertigen.“

Der Lichtschein von Ribaults Laterne streifte eine der kleineren Höhlen linker Hand. Der Franzose warf einen flüchtigen Blick in das Innere, aber plötzlich stutzte er. Er blieb stehen.

Auch die anderen verharrten.

„Was ist los?“ fragte Old O’Flynn von hinten. „Stimmt was nicht?“

„Da liegt was“, sagte Ribault.

„Hölle“, sagte Renke Eggens. „Das sind ja – Knochen.“

„Ein Gerippe mit Totenkopf“, präzisierte der Franzose. „Das Skelett eines Menschen.“

„Heiliger Strohsack und Nepomuk!“ stieß Old Donegal hervor. „Los, laßt uns schnell wieder von hier verschwinden! Ich hab’s ja gewußt, es geht nicht mit rechten Dingen zu!“

Jean Ribault schien nicht auf ihn zu hören. Er bückte sich ein wenig und drang in die Nebenhöhle ein. Der rötlichgelbe Schein seiner Laterne huschte zuckend über die Steinwände und die Decke der Grotte und bildete einen Lichtflecken auf dem Boden, in dessen Zentrum der „Knochenmann“ lag.

Old O’Flynn sah das Skelett jetzt ebenfalls in aller Deutlichkeit. Fast stieß er ein Stöhnen aus, bezwang sich aber noch rechtzeitig. Heftig gruselte es ihn, und sein Kopf ruckte hin und her. Wo nisteten sie, die Dämonen der Finsternis? Hatten sie ihre Klauen schon nach ihm ausgestreckt? Lauerten sie nicht darauf, ihrer aller Blut zu saufen?

Am liebsten hätte der Alte die Flucht ergriffen. Wäre er in der vorletzten Nacht auf diese Höhle gestoßen, hätte er sicherlich vollends durchgedreht. Warum, bei allen guten Geistern, drehten sie nicht einfach wieder um und verzogen sich aus dieser Höhle des Teufels? Mußten sie unbedingt das Grauen und die Mächte der Dunkelheit herausfordern?

Jean Ribault war in diesem Punkt ein bedeutend härteres Kaliber als der alte O’Flynn. Vor Knochenmännern lief er noch lange nicht weg. Interessiert stand er in der Höhle und leuchtete sie voll aus.

So entdeckte er neben dem Gerippe einige Kleinigkeiten, die seine Aufmerksamkeit und sein Interesse erregten.

„Seht euch das mal an“, sagte er zu seinen Freunden. „Ist das nicht erstaunlich?“

Don Juan de Alcazar schlüpfte zu ihm in die Höhle.

„Tatsächlich“, entgegnete er. „Das sind steinerne Pfeilspitzen, knöcherne Angelhaken, Steinmesser und etwas Muschelschmuck.“

„So was“, sagte O’Brien. „Da liegt ja wohl die Vermutung nahe, daß diese kleineren Höhlenkammern Totenkammern sind, oder?“

„Untersuchen wir doch mal die anderen Nebenhöhlen“, schlug Jean Ribault vor. „Dann sehen wir ja, ob es noch mehr Skelette gibt.“

„Seid ihr wahnsinnig?“ fragte Old O’Flynn erschaudernd. „Das kann doch nicht euer Ernst sein! Was kümmern euch die Knochenmänner?“

„Das Labyrinth könnte ein Indianergrab sein“, erwiderte Don Juan. „Oder eine Kultstätte.“

„Das ist mir völlig egal“, sagte der Alte aufgebracht. „Von mir aus kann’s auch eine Kirche sein. Egal. Knochenmänner bringen Unglück. Nehmt euch in acht! Ihr braucht gar nicht so dämlich zu grinsen.“

Renke lachte leise. „Ich grinse nicht dämlich, ich wundere mich nur, daß du so abergläubisch bist, Donegal.“

„Du kennst mich wohl noch nicht richtig, was?“ zischte der Alte. „Aber ich will dir etwas verraten, du Klugscheißer. Was du Aberglauben nennst, ist bei mir Klugheit und Verstand. Ich habe ein bißchen mehr Instinkt als ihr alle zusammen, und ich habe schon manche Katastrophe verhindert, wenn ich eins meiner Gesichter gehabt habe. Stimmt’s, oder habe ich recht?“

„Beides“, erwiderte Jean Ribault. Er verließ die Nebenhöhle und forschte die anderen Seitenkammern ab. Doch hier gab es keine Skelette, auch keine Grabbeigaben oder wie immer man die Fundsachen nennen wollte, die bei dem Gerippe lagen.

„Alles leer“, sagte Jean Ribault nach Abschluß seiner Suche. „Also gibt es nur den einen Toten.“

„Oder das, was von ihm übriggeblieben ist“, sagte Old O’Flynn. „Ein elendes Gerippe. Wie wäre es, wenn wir uns wieder weiterbewegen würden? Wollt ihr ewig hier rumstehen und den Knochenkerl anstarren?“

„Vielleicht erging es ihm, wie es fast unserem Donegal ergangen wäre“, sagte Don Juan.

„Der?“ stieß Old O’Flynn hervor und deutete auf das Skelett. „Was soll das jetzt wieder heißen?“

„Daß du aus dem Irrgarten nicht mehr herausgefunden hast“, erwiderte O’Brien nüchtern. „Ist denn das so schwer zu begreifen? Mit anderen Worten, du hättest hier verrecken können. Und dann wäre von dir auch nur ein Skelett übriggeblieben, dem allerdings ein Bein gefehlt hätte.“

„Euch bereitet es wohl Spaß, mich zu verspotten“, sagte der Alte wütend. „Aber ich habe jetzt die Schnauze voll.“

„Das muß vor vielen hundert Jahren gewesen sein“, meinte Jean Ribault. „Der arme Teufel verirrte sich hier und starb vor Hunger und Durst. Den primitiven Pfeilspitzen und den Angelhaken nach zu urteilen, stammt der Mann aus Urzeiten.“

„Du und ich, wir waren noch nicht geboren, als der Kerl ins Gras biß“, sagte Old O’Flynn hämisch. „Also, warum sollen wir uns aufregen? Lebendig wird er sowieso nicht mehr.“

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