Читать книгу: «Seewölfe Paket 24», страница 4

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Dann tastete er nach dem Messer im Versteck des Holzbeines. Ferris Tucker baute ihm in jedes neue Holzbein immer gleich eine Hohlkammer ein, in die ein scharfes Messer hineinpaßte.

Diesmal grinste er diabolisch, als er das Messer in der Faust hielt. Wenn sich jetzt ein kleiner Beelzebub anschlich, dann würde er ihn mit dem Ding erst einmal gehörig kitzeln.

Wieder lauschte er nach allen Seiten. Irgendwo, sehr weit entfernt, murmelte etwas. Hörte sich nach einem Bächlein an oder einem Rinnsal, das da floß. Himmel, wo mochte er sich nur befinden?

Er hockte jetzt auf dem Achtersteven und säbelte hingebungsvoll ein paar Späne von dem nutzlos gewordenen Holzbein ab. Die legte er ebenso vorsichtig vor sich auf den Boden, packte das Holzbein daneben und fummelte in seinen Taschen nach den Utensilien, um ein kleines Feuer zu entzünden oder sich zumindest eine kleine Behelfsfackel herzustellen, daß er mit deren Licht seine unheimliche Umgebung erkunden konnte.

Das alles ging sehr umständlich in einer unbequemen Lage vor sich. Aber Old O’Flynn hatte Zeit und Ausdauer. Außerdem war es ihm gar nicht so sehr eilig. Wenn erst einmal die Späne brannten, wurde er vor Angst vielleicht ohnmächtig, denn er hatte nicht die geringste Vorstellung, wie es in seiner unmittelbaren Umgebung aussah.

Als er alles beisammenhatte, schlug er ein paar Funken. Im kurzen Lichtblitz der kleinen Funken sah er es überall aufblitzen, und das stachelte ihn nicht gerade zu sonderlicher Eile an. Da blitzte es in allen möglichen und unmöglichen Farben, und er fühlte sich immer unbehaglicher.

Teufel auch, das hier mußte eine ganz eigentümliche Umgebung sein, etwas, das er sicher noch nie in seinem Leben gesehen hatte. Oder war das vielleicht eine Schatzhöhle, angefüllt mit Gold und Edelsteinen, die im schwachen Licht so funkelten?

Nach ein paar weiteren Versuchen begann der Zunderschwamm zu glimmen. Bevor er ihn anblies, sah er sich noch einmal nach allen Seiten um. Vielleicht stand da jemand unmittelbar neben ihm, denn er hatte ständig das Gefühl, als streife ihn ein eisiger Hauch.

Mit einer Gänsehaut auf dem Rücken blies er in den Zunder, bis der kräftig zu glimmen begann. An der Glut entzündete er dann den langen dünnen Span, den er von seinem Holzbein abgesäbelt hatte.

Er hob die provisorische Fackel hoch, blies noch ein bißchen kräftiger und sah, daß sie jetzt brannte. Dann hielt er sie hoch über seinen Kopf und sah sich um. In der anderen Hand hielt er das scharfe Messer, und so stand er einbeinig da.

6.

Dann traf ihn fast der Schlag, als das Licht seine Umgebung schwach erhellte. Der Anblick war so furchtbar, daß Old O’Flynn stolperte, auf einem Bein herumhüpfte und sich prompt auf den Boden setzte. Dort blieb er mit verzerrtem Gesicht und weit aufgerissenen Augen hocken.

Wenn er daran dachte, was er im Laufe seines langen Lebens schon alles gehört und gesehen hatte, dann war das hier die übelste und schlimmste Schreckenskammer der ganzen Welt.

Ein heiseres Krächzen drang über seine Lippen. Sein Blut rieselte wie Pulver durch seine Adern, und auf der Stirn stand ihm der Schweiß in dicken großen Perlen.

Nein, das gibt es nicht, dachte er schaudernd. Das durfte einfach nicht wahr sein.

Jetzt ging seine Phantasie erst richtig mit ihm durch, und er sah Dinge, die es gar nicht gab und nur in seinem Schädel existierten und dort Gestalt annahmen.

Er befand sich im bizarren und total perspektivisch verzerrten Vorgarten eines Hexenmeisters. Da gab es riesige Drachenzähne, furchterregende Kalbsköpfe mit wulstigen Lippen, glühenden Augen und aufgerissenen Mäulern, die ihn höhnisch angrinsten. Männchen mit riesigen Quellköpfen und bis zum Boden wuchernden roten Bärten standen schweigend da und grinsten höhnisch. Da drüben stand eine alte Hexe mit einer riesigen Kiepe auf dem Rücken. Sie hatte sich gerade umgedreht und starrte ihn hämisch kichernd an.

Der Alte war wie vom Donner gerührt. Er erstarrte buchstäblich zur Säule und konnte sich vor Angst und Schrecken nicht bewegen. Er verdrehte nur die Augen, bis er schielte.

Das hier war die bizarre Wunderweit aus frühen Kindertagen, die er nur vom Hörensagen kannte. Hier gab es alles das, was sie ihm in seiner Kindheit schon erzählt hatten und Jung O’Flynn damals gierig wie ein Schwamm in sich aufgesogen hatte. Da hatte es ihn ganz schön gegruselt, und jetzt war er selbst in eines dieser bizarren Geisterreiche eingedrungen.

Dort schliefen eingetrocknete Mumien auf einer langen Bank, mit verdorrten langen Händen, die wie Wurzeln aussahen. Eine von ihnen schlief jedoch nicht, denn sie blinzelte aus grünlichen Augen ständig zu ihm herüber.

Aber da gab es auch eine Gruppe furchterregender Kerle mit langen steinernen Bärten. Und an einem runden Tisch hockte ein alter Mummelgreis, dessen feuerfarbener Bart mitten durch die Platte gewachsen war.

Old O’Flynn hielt sich bei diesem Anblick nur noch mühsam aufrecht. Er wollte schreien, ächzen, stöhnen, aber seine Kehle war wie zugeschnürt, als hätten sich die verdorrten Finger der Mumien um seinen Hals gewickelt.

Er hockte nur da, schnatterte, bibberte und wackelte wie ein Pudding. Alles schlotterte an ihm. Aber immer noch brachte er keinen einzigen Ton heraus.

Da drüben, an einer endlos hohen Wand, stand der Hexenmeister vor seinen Drachenzähnen. Ein giftiges Maul schien nach ihm zu schnappen. Der Kerl stand da in einer feuerroten Robe mit einem grünen Schal und kohlschwarzen Augen. Und einen weißen, bis zum Boden wallenden Bart hatte er, in dem ein Spalt klaffte. Zwei Hauer wie bei einem wilden Keiler schauten heraus. Der Kerl grinste gemein und abfällig, und sein großes Maul mit den Hauern öffnete sich langsam.

Old O’Flynn glaubte jetzt ganz deutlich Stimmen zu hören, leise wispernde Stimmen, aber auch keifende oder murmelnde.

„Was tust du in meinem Zaubergarten?“ fragte der Hexenmeister mit drohender Stimme.

„Ich – ich will ja gar nichts“, jammerte Old O’Flynn, dem ein eisiger Schauer nach dem anderen über den Rücken lief.

Die Hexe an der anderen Seite kicherte boshaft.

„Er will die Drachenzähne stehlen!“ keifte sie.

„Will ich nicht“, sagte Old O’Flynn, aber das bildete er sich nur ein, denn in Wirklichkeit sagte er nichts. Er wollte es zwar sagen, doch die Stimme versagte ihm den Dienst.

Als er noch einmal hinsah, war der Hexenmeister spurlos verschwunden. An seiner Stelle saß da ein fettes Männchen mit einem riesigen Kalbskopf und langen, spitzen Giftzähnen.

Old O’Flynn geriet von einem Extrem in das andere. Total verstört und erledigt hockte er da und hielt den brennenden Span über sich.

Die Umgebung veränderte sich immer wieder auf furchteinflößende Art und Weise. Auch das wundersame Spiel der Farben wechselte ebenso wie die schaurigen Gestalten.

Längst am Ende seiner Nerven, sah Old O’Flynn die eigentümlichen und bizarren Figuren langsam verblassen. Alle schienen sich lautlos auf ihn zuzubewegen, bis sie ihn von allen Seiten eingekreist hatten. Alles wurde jetzt grau und fast gegenstandslos.

Mit einem Schlag verschwand der Geisterreigen aus Mumien, Hexen und Giftzwergen.

Erst jetzt bemerkte Old O’Flynn, daß seine provisorische Fackel erloschen war. Er hatte schon geglaubt, er müsse jetzt sterben und würde in den bizarren Figuren aufgehen und mit ihnen verschmelzen.

Von namenlosem Grauen geschüttelt, entzündete er mit zitternden und flatternden Händen den nächsten Span. Seine Zähne schlugen bretthart aufeinander, seine Hände flatterten so, daß er kaum in der Lage war, den nächsten Span zu entzünden.

Als der Schein zögernd aufflackerte und gespenstische Schatten warf, veränderte sich auch das Schreckenslabyrinth in beängstigender Weise.

Er war offenbar wieder in einen anderen Hexen- oder Geistergarten versetzt worden. Auch die Farben waren ganz anders.

Daß das auf einen ganz natürlichen Lichtbrechungseffekt in der Tropfsteinhöhle zurückzuführen war, konnte Old O’Flynn nicht wissen. Er hatte noch nie eine Tropf- oder Kalksteinhöhle gesehen und schon gar nicht betreten. Und weil er eine ausgeprägte Phantasie hatte, wurde das alles nur noch schlimmer, pittoresker und bizarrer.

Eine neue Scheinwelt mit Ausgeburten der Hölle tat sich vor seinen entsetzten Augen auf.

Der Alte fühlte sich wieder in seine Kindheit zurückversetzt und lauschte den Schauermärchen, die am Kamin um Mitternacht erzählt wurden. Da war nur von Geistern, Toten, Hexen, Teufeln, Dämonen und Unholden die Rede. Und das alles hatte er immer gierig in sich hineingefressen und sein Leben lang bewahrt.

Jetzt kehrten die abnormen Gestalten zurück und offenbarten sich ihm, als seien sie aus Fleisch und Blut.

Sobald Old O’Flynns zitternde Hände die provisorische Fackel auch nur um eine Kleinigkeit bewegten, kehrte neues Leben in die Gnomen, Trolle und Zwerge.

Da war an einem steinernen Brunnen der Triefgurker mit der fürchterlich langen Nase, der auf einem großen Rentier hockte und ihn grimmig und feindlich anstarrte.

Aber auch andere Geschöpfe gab es da. Um einen hünenhaften bärtigen Gesellen mit großen Tränen in den Augen hatten sich Elfen und Gnomen, Kobolde und Uldras versammelt, die ihm wie gebannt zu lauschen schienen.

Der grausame Hexenmeister stand jetzt ganz im Hintergrund und schien sich an seiner Angst zu ergötzen. Die Hexe sah er nicht. Offenbar hielt sie sich zwischen buntschimmernden riesigen Orgelpfeifen versteckt. Stimmen flüsterten und raunten. Hämisches Kichern war zu hören, und merkwürdig glucksende Laute erklangen. Von etlichen der Orgelpfeifen rannen Blutstropfen herab, die auf den schimmernden Boden fielen. Von unten wuchsen wieder andere Orgelpfeifen nach oben, und manche hingen einfach so von einer sehr hohen und unsichtbaren Decke nieder, als würden sie gleich abstürzen.

Old O’Flynn war immer noch steckensteif vor Angst. Sein Genick schmerzte, die Augen quollen ihm fast aus den Höhlen, und er spürte eine jämmerliche Angst von den Zehenspitzen bis in den Kopf.

Er war hier eingedrungen, und jetzt erhielt er die Quittung, denn diese Zauberwelt durfte kein menschliches Auge sehen. Deshalb lag sie auch so unendlich tief unter der Erde, jedem menschlichen Blick entzogen.

Aber er war hier nicht eingedrungen, er war nur versehentlich hineingeraten, durch einen Unfall sozusagen, und daraus konnte man ihm schließlich keinen Vorwurf machen.

Er war völlig schuldlos, und er hätte alles darum gegeben, von hier so schnell wie möglich wieder verschwinden zu können.

Doch offenbar gab es keinen Weg aus der Finsternis zurück.

Wie gebannt starrte er auf die vielen Gesichter, die ihn aus allen Ecken belauerten. Dämonische Augen funkelten ihn an, verkrüppelte Hände waren erhoben, als wollten sie nach seinem Hals greifen, um ihn umzubringen.

Er hatte jedoch noch die Nerven, schnell einen neuen Span zu entzünden, bevor der andere verglühte. Das geschah aber mehr instinktiv, denn die Finsternis ängstigte ihn noch mehr. Bei Licht konnte er die Gestalten wenigstens sehen, in der Dunkelheit jedoch nicht, und dann konnte es passieren, daß sie sich ihm lautlos näherten.

Stumm und starr vor Schreck starrte er weiter um sich. In dieser Zauberwelt gab es immer neue Überraschungen zu entdecken, dabei hatte er bisher nur einen winzigen Bruchteil gesehen.

Wem mag das hier alles gehören? fragte er sich bibbernd. Jenem rotbetuchten Hexenmeister, der alten Hexe selbst oder jenem Greis, dessen Bart durch den steinernen Tisch gewachsen ist?

Er warf einen furchtsamen Blick in die Höhe. Von dort ragten riesige buntschillernde Zapfen nach unten, von denen es in bestimmten Abständen langsam tropfte. Mal waren die Tropfen rot, dann wieder grün oder von gelblicher Farbe.

Etliche Zapfen waren dünn wie Finger, andere schenkelstark, und einige hatten den Umfang von ausgewachsenen Bäumen. Manche wuchsen aufeinander zu und berührten sich. Das gab dann jeweils ganz besonders bizarre Gebilde. An ihren unteren Wülsten befanden sich gigantische Aufwerfungen, die wie erstarrtes Wasser aussahen.

Überhaupt schien hier alles seit Tausenden von Jahren erstarrt zu sein. War es nicht möglich, daß diese unheimliche Gesellschaft schon seit Ewigkeiten schlief und nur darauf wartete, endlich erlöst zu werden?

Solche und ähnliche Fragen stellte er sich immer wieder, aber er fand keine Antwort darauf.

Bewegte er sich nur ein wenig mit seiner Behelfsfackel, dann bewegten sich auch die unheimlichen Gnomen, Trolle, die Männchen mit den Schafsköpfen oder die Uldras. Also belauerten sie ihn doch und gaben nur vor, erstarrt zu sein.

Hin und wieder war die Stille entsetzlich und fast mit den Händen greifbar. Aber dann platschte es irgendwo leise, und sofort wurde das Geräusch in alle Richtungen verstärkt. Old O’Flynn zuckte dann jedesmal heftig zusammen.

Ein neuer Span war fällig, den er mit flatternden Händen entzündete.

Diesmal hielt er seine schwach brennende Fackel so, daß er auch erkennen konnte, was sich hinter ihm befand. Vorsichtig drehte er sich um und hielt das Licht hoch.

Da stand eine riesige Orgel, so gewaltig, daß sie nur von einem Riesen bedient werden konnte. Die Pfeifen waren gewaltige Stämme, die in eine riesige Kathedrale eingebettet waren, deren Decke er immer noch nicht erkennen konnte. Sie mußte so hoch wie der Himmel sein.

Mitten in der Orgel gab es ein riesiges dunkles Loch, Dahinter begann eine Galerie, und da sah Old O’Flynn ebenfalls hünenhafte Männer mit endlos lang wuchernden Bärten, die unbeweglich in Reih und Glied standen.

Es hätte ihn nicht mehr gewundert, wenn die Orgel jetzt plötzlich gespielt hätte. Er glaubte schon, die ersten zarten Töne zu hören, die dann immer mehr anschwollen.

Er riskierte noch einen Blick und war nahe am Überschnappen.

Ja, das hier mußte das Reich der Toten und Verwunschenen sein. Hier lebten die „Ünnererdschen“, die Hexenmeister und Geister, die nur nachts an die Oberfläche stiegen, um die Leute zu erschrecken.

Er sah einen Mann an der Orgel sitzen, und dieser Anblick warf ihn fast um.

Das war kein Mann. Das war ein Herkules, ein Gigant, gegen den selbst der Profos nur wie ein Säugling wirkte. Dieser Riese hatte seine gewaltigen Arme auf eine Tastatur gelegt, die aus bärtigen und tangähnlichen Fäden bestand. Die Register dieser Orgel waren knorzige Stämme von undefinierbarer Farbe.

Aber das Gesicht des Giganten war es, was Old O’Flynn vor Schreck fast die Stiefel auszog.

Das begann schon bei den Haaren, die wie steinerne Wogen sein Gesicht überfluteten. Die Augenbrauen waren schenkelstark und von grünlich wäßriger Farbe, und das Maul Gebilde wie ein Rüssel, und das Maul des Riesen war so weit geöffnet, daß Old O’Flynn bequem mit der Jolle hätte hineinsegeln können.

Die Augen erinnerten ihn lebhaft an Mühlräder, die ihn furchtbar mörderisch ansahen. Der Riese sah aus, als würde er jeden Augenblick aufspringen, um ihm an die Gurgel zu gehen.

Old O’Flynns Hand mit der Fackel zitterte stark. Das hatte zur Folge, daß sich der Lichtschein bewegte und alles verzerrte.

Offenbar irritierte das auch den orgelspielenden Riesen, denn jetzt stützte er voller Wut die Arme auf die Knie und erhob sich.

Da war Old Donegal mit seinen Nerven am Ende. Denn jetzt erhob sich auch der schweigende Chor der Bärtigen und reckte sich. Auch das waren Riesen, die immer größer und gewaltiger wurden. Was sie wollten, war dem Alten absolut klar: Umbringen wollten sie ihn – oder ihn zwischen die Männchen mit den Kalbsköpfen und langen Giftzähnen werfen, damit die ihn verspeisen konnten.

„Hilfe!“ brüllte er, so laut er nur konnte. „Hilfe – helft mir doch! Die bringen mich um!“

In seiner Panik und dicht davor, endgültig überzuschnappen, sprang er auf und vergaß ganz, daß sein Holzbein vor ihm auf dem Boden lag.

Er griff haltsuchend um sich, doch da war nur ein langer großer Zapfen, der von der Decke hing.

Glück zu, das ist die Rettung, dachte er. Er packte den Zapfen mit aller Kraft und klammerte sich daran fest. Der Zapfen wackelte ein bißchen, dann knirschte es in großer Höhe, und Old O’Flynn hielt ein tonnenschweres Ding in den Armen, dessen Gewicht naturgemäß seine Kräfte überstieg.

Der Zapfen donnerte auf den Boden, stand da für einen Augenblick und fiel dann um wie ein gefällter Baum. Was Old O’Flynn dann an Geräuschen zu hören kriegte, vergaß er sein ganzes Leben lang nicht.

Zuerst war da ein Singen in der Luft, dann ein urweltliches Knirschen, als würde die Welt aus den Angeln gehoben. Danach splitterte es, und durch den fürchterlichen Krach schienen auch die anderen Schläfer aufgeschreckt zu sein, denn jetzt brüllten, tobten, keiften und schrien sie alle wüst durcheinander.

Die Riesen unter ihnen brüllten mit Donnerstimme ihre Empörung hinaus, daß es ein Frechling wage, sie zu stören. Die Trolle und Gnomen schimpften mit schrillen Stimmen, die Wichtelmänner und Zwerge keiften wild, die Hexe kreischte, und der Kerl in der roten Robe, dem der Zaubergarten gehörte, gebärdete sich am tollsten. Er stieß Flüche aus, die in seinem Mund explodierten wie Fässer voller Schießpulver.

Dann war da nur noch ein Krachen und Bersten, ein fürchterliches Splittern, als würde eine ganze Armada in Klump geschossen.

Old O’Flynn hatte die Unterwelt aufgescheucht und die Weltesche aus den Angeln gehoben.

Das war einfach zuviel für seine strapazierten Nerven. Das hielt kein Mensch aus, mochte er auch noch so hart im Nehmen sein.

Über dem Schreck, dieses Chaos verursacht zu haben, fiel er wieder in Ohnmacht. Diesmal verlor er vor Angst die Besinnung, denn was er angerichtet hatte, war einfach zu schrecklich.

Um ihn herum splitterte und barst es, als sich der Stalaktit in einem Trümmerregen auflöste und brockenweise davonflog.

In Wirklichkeit war es nur ein kleiner Stalaktit, nicht mal so groß wie Old O’Flynn selbst. Und sein Fall hob auch nicht die Welt aus den Angeln. Es war nur das Echo in der gewaltigen Tropfsteinhöhle, das alles verstärkte, verzerrte und viel schlimmer klingen ließ, als es war.

Aber das wußte Old O’Flynn nicht. Für ihn war die ganze Unterwelt schlagartig zusammengebrochen.

7.

Old Donegal hatte überhaupt kein Zeitgefühl mehr, als er das zweitemal erwachte. Er wußte nur, daß es einer der lausigsten Tage in seinem Leben war, der kein Ende zu nehmen schien.

Er hatte sich bereits entsagungsvoll von der Welt abgenabelt, doch jetzt war er wieder da.

Allerdings war er jetzt auch etwas nüchterner geworden und sah das alles in einem etwas anderen Licht. Zurückzuführen war das hauptsächlich auf die Erfahrungstatsache, daß ihn weder die Männchen mit den Kalbsköpfen gefressen noch der orgelspielende Riese erschlagen hatte.

In der riesigen Höhle war auch wieder Ruhe eingekehrt, bis auf das leise, monotone Plätschern.

Aber deswegen war ihm das noch lange nicht geheuer. Immerhin befand er sich in einer anderen Welt, wie sie – seiner Meinung nach – noch nie ein Mensch vor ihm gesehen hatte, Äußerste Vorsicht war also immer noch angebracht.

Einigermaßen gefaßt, überlegte er, daß es langsam Zeit wurde, von hier zu verschwinden. Er konnte nicht ewig hier hocken bleiben und warten, bis etwas geschah. Folglich mußte er selbst die Initiative ergreifen, und zwar so bald wie möglich.

Mit wachen Sinnen lauschte er in die Dunkelheit. Dann riskierte er, sich leise zu räuspern. Er lauerte darauf, daß sich jetzt auch jemand räuspern oder irgendwie bemerkbar machen würde. Da das nicht der Fall war, wurde er etwas mutiger. Das begann meist damit, daß er seine Selbstgespräche wiederaufnahm, die mitunter in recht kuriosen Sätzen gipfelten.

„Da fallen mir doch glatt die Schindeln vom Dach“, brummte er, während er mit der rechten Hand nach den Trümmern seines Holzbeines suchte. Flint, Stahl und Zunder hatte er vorsorglich wieder in die Taschen gestopft. Jetzt holte er das Zeug heraus.

„Ah, da ist es ja“, brabbelte er. „So, jetzt geht’s wieder hinaus aus diesem Medusengarten. Mir langt es. War ja mal fein, das alles gesehen zu haben.“

Er fuhr verstört hoch, als ein Wassertropfen eiskalt auf seiner Nase landete.

Diesmal klang sein Räuspern schon etwas zaghafter. Aber es war nur ein Wassertropfen, wie er feststellte.

Endlich erwischte er auch die Überreste seines Holzbeines. Auch das Messer hatte er noch.

Er hockte sich etwas bequemer hin und säbelte in der Finsternis weitere lange Späne ab. Dabei überlegte er immer wieder, wie spät es wohl sein mochte. Wie lange war er besinnungslos gewesen?

Waren inzwischen schon Tage vergangen oder erst ein paar Stunden?

Seinem Hunger und Durst nach zu urteilen, mußte doch schon etliche Zeit verstrichen sein. Am Vormittag hatte er die Bratpfanne auf den Schädel gekriegt, und dann war er losgestiefelt. In den Zaubergarten war er höchstens eine halbe Stunde später gefallen.

Da half alles nichts, er fand sich in der Zeit einfach nicht zurecht. Ein bißchen müde war er von den vielen Anstrengungen, und Durst hatte er auch. Doch darin sah er kein Problem. Hier war es feucht und plätscherte es auch ständig, infolgedessen würde es sicher irgendwo eine kleine Quelle oder ein Rinnsal geben.

Seine Zuversicht stieg wieder, denn noch immer unternahm niemand Anstalten, ihn zu fressen, zu erwürgen oder zu erschlagen. Vielleicht schliefen die Riesen hier unten wirklich, oder sie waren im Laufe der Zeit zu Stein erstarrt.

Das gab es ja, beruhigte er sich. Pater David hatte da mal ein Beispiel erzählt, und das stammte schließlich aus dem Alten Testament.

Da war Lot, der Neffe Abrahams, der den Untergang von Sodom überlebt hatte und mit seinem Weib auszog. Hm, der Herr hatte ihnen ausdrücklich verboten, sich nach Sodom umzuwenden. Aber neugierig, wie Lots bessere Ehehälfte nun mal war, konnte sie ihre Neugier nicht mehr bezähmen und drehte sich um.

„Peng“, sagte Old O’Flynn nachdenklich, „und schon war sie zur Salzsäule erstarrt. So schnell ging das. Ei, orgelspielender Riesenhirsch! Ob das hier vielleicht genauso ist? Ha, da hätte ich ja die Entdeckung des Jahrtausends gemacht.“

Er wurde richtig rappelig und fuchtig, als er den Faden weiterspann.

Salzsäulen, was? Erstarrte Riesen, Zwerge, Gnomen. Gab es ja früher alles mal, und er sah sie ja selbst vor sich. Ob das hier vielleicht gar die Stadt Sodom selbst war, über die es Feuer und Schwefel geregnet hatte?

Natürlich war sie im Laufe der Zeit ein bißchen abgesackt, aber diese wundersamen Gestalten gaben ihm doch zu denken. Er beschloß, das alles sehr ausführlich mal Pater David zu erzählen oder zu zeigen. Der Bibelmann mochte dann selbst entscheiden, ob es sich um die besagte Stadt handelte.

Sehr aufgeregt über seinen archäologischen Funde, entzündete er jetzt mit Eifer den nächsten Span, hielt ihn hoch und äugte mißtrauisch in alle Richtungen.

Da hockte immer noch der Riese an der Orgel. Und die steinernen bärtigen Gesellen standen im Hintergrund und warteten geduldig darauf, daß er endlich anfing zu orgeln. Aber dann mußten Feuer und Schwefel über die Bande gekommen sein, und sie waren erstarrt. Klar, daß sie dann nicht mehr singen konnten.

Da drüben an der Wand stand auch so ein Kerl, der ein so verderbtes Gesicht wie ein Rübenschwein hatte. Das schien früher mal ein ganz spezieller Rabauke gewesen zu sein, und so hatte der Herr ihn in seinem Zorn zur Säule erstarren lassen.

Old O’Flynn rutschte auf den Knien weiter, vergaß aber nicht, die Überreste seines Holzbeines sorgfältig aufzulesen und mitzunehmen. Ganz kribblig war er jetzt über seine Entdeckung.

Da hingen unglaublich mächtige Säulen von der Decke, die er immer noch nicht sah.

Er drehte sich um, betupfte sie mit dem Finger und fuhr zusammen, als die Säule einen singenden Ton von sich gab, der sich geisterhaft im Zaubergarten fortpflanzte.

Ein zweiter Versuch verlief ähnlich. Wieder gab es einen klingenden Ton, hohl und geisterhaft. Es war wie eine Stimme, die anfangen wollte zu singen, doch sie erstarb gleich wieder.

„Geschieht euch Kerlen recht“, sagte Old Donegal, „warum habt ihr auch so in Sodom gehaust! Jetzt seid ihr steinalt und könnt trotzdem nichts mehr anfangen.“

Mit dem Zeigefinger betupfte er seine Zunge, dann rieb er ihn an der Säule und führte ihn wieder zurück.

Jetzt war für ihn alles klar. Einwandfrei waren das Salzsäulen, zumindest diese hier. Eklig salzig schmeckte der Stein. Muß schon ein paar tausend Jahre alt sein, der Bursche, überlegte er. Na, da konnte Pater David aber Studien treiben. Die ganze Welt würde diese Entdeckung umwerfen. Vielleicht mußte er später sogar zum Papst, um einen Augenzeugenbericht vorzulegen.

Wie benommen rutschte er weiter, den Span hochhaltend und sich nach allen Seiten umblickend.

Hin und wieder fuhr er heftig zusammen, wenn Gestalten in den Wänden erschienen, versteinerte Figuren mit traurigen, gramvollen oder wütenden Gesichtern. Eine war dabei, die ähnelte fast verblüffend ein bißchen dem guten Mac Pellew. Ein richtiger Trauerkloß war das, der alles Leid der Welt gepachtet hatte. Er schaute so grämlich drein, daß Old O’Flynn schon versucht war, ihm tröstend zuzureden.

Aber das ist vielleicht Frevel, dachte er, denn der Herr hat diese Rabauken ja nicht umsonst zur Räson gebracht. Die mußten allerlei auf dem Kerbholz haben.

Solche und ähnliche Gedanken bewegten ihn, als er auf den Knien weiterrutschte, mal heftig erschrak, hin und wieder aber vor Staunen nicht mehr den Mund zubrachte.

Als er an einem alten Zausel vorbeikam, der ihn aus der Wand grimmig anstarrte, verhielt Old O’Flynn. Der Kerl sah richtig gemein aus. Seine Augen hatten sich verschoben, und er glotzte böse. Sogar seine Faust war noch in der Wand verkrallt. Er sah aus, als wollte er nach Old O’Flynn schnappen.

„Ha, du nicht mehr, du Hurenbock! Hättest du ein anständiges Leben geführt, aber so …“

Die Leute von Sodom müssen ein recht sündiges Völkchen gewesen sein, überlegte er. Die hatten von Moral und so überhaupt nichts gehalten. Deshalb war auch der Zorn des Herrn durchaus verständlich.

Vor ihm tauchte eine weitere Grotte auf, eine riesige Höhle, in der es prachtvoll schimmerte. Von einem großen Tropfen rann pausenlos das Wasser zu Boden und versickerte in einer Spalte.

Er verspürte wieder Durst, hielt die Hand darunter und sammelte ein paar Wassertropfen. Er trank sie gierig, spie sie dann aber in hohem Bogen aus. Krächzend und hustend schüttelte er sich.

Teufel, Teufel auch, das Zeug schmeckte wie Galle mit Salz, so ekelhaft, daß es ihn würgte.

Er rutschte weiter an riesigen farbigen Wülsten vorbei, bewegte sich durch einen Vorhang aus schillernden langen Steinen und fand sich eingeklemmt zwischen mächtigen Säulen, riesigen Bärten, fackelähnlichen Gebilden und langen Zapfen, die aus dem Nichts nach unten wuchsen.

Wenn er schnaufte, dann hörte er es gleich darauf aus allen Ecken und Winkeln der großen Grotte fürchterlich zurückschnaufen. Dann schienen die erstarrten Gestalten zu leben und sich zu bewegen.

Aber auch daran gewöhnte er sich nach und nach. Nur einmal erschrak er noch heftig, als ihn eine Ansammlung dicker Köpfe anstarrte, Ferkelgesichter, Kalbsköpfe, Fischgesichter oder ein gebückt dastehender Greis, dem Wurzelmuck wie aus dem Gesicht geschnitten.

Verdammt, es begann wieder recht unheimlich zu werden. Hier mußte es doch aber irgendwo einen Ausgang geben. Oder wenn es den nicht gab, dann mußte er eben jene Rutsche suchen, durch die er hinabgesaust war.

„Haha, verdammte Rutsche“, sagte er leise. Das schien bei ihm schon eine Veranlagung zu sein, auf solche Dinge zu stoßen. Das war jetzt das zweite Mal, daß er eine „Rutsche“ entdeckte. Nach der ersten hatte er auf der Schlangen-Insel seine Kneipe benannt. Jetzt war er wieder durch eine Rutsche gesaust. Er fand solche Höhlen schon fast mit traumwandlerischer Sicherheit. Wie ein Spürhund, der extra darauf abgerichtet ist.

Unermüdlich arbeitete er sich weiter voran, immer wieder einen Span entzündend, sobald der eine erloschen war. Sehr lange wird das Holzbein nicht mehr halten, dachte er besorgt. Ehe das Holz verbraucht war, mußte er einen Ausgang gefunden haben. Ging ihm erst das Licht aus, dann fand er sich in diesem Irrgarten überhaupt nicht mehr zurecht.

Ständig hatte er das Gefühl, sich in einer riesigen Kathedrale zu befinden, einem gewaltigen gewölbten Dom, der ein einziges Labyrinth voller Schrecknisse war.

Einmal blieb er hocken und starrte auf eine Wand, aus der riesige Bärte quollen, Brüstungen, Säulen und Wülste. Zwischen zwei Wänden verengte sich der Gang und wurde zu einem schmalen Steig. Aber gleich darauf erweiterte er sich wieder. Hinter ihm verschwanden dicke Säulen in der Dunkelheit, vor ihm flackerte es gespenstisch.

Hatte er diesen Weg schon einmal zurückgelegt? Er überlegte krampfhaft, dann schüttelte er den Kopf. Schwer zu sagen zwischen all diesen aufwuchtenden Säulen oder herabhängenden Tropfen.

Kopfschüttelnd stieß er weiter vor.

Mary wird staunen, wenn sie hört, was ich alles erlebt habe, dachte er. Dann zuckte er zusammen, denn seine „Drillinge“ fielen ihm ein. Die armen, bedauernswerten Kleinen! Wenn ihr Vater hier aus dieser verdammten Höhle nicht mehr herausfand, dann mußte er elend verhungern oder verdursten.

So ein Witz – da es hier doch Wasser gab! Aber das war wie auf dem Meer, wo man inmitten riesiger Wassermassen auch hilflos verdursten konnte.

Wieder landete er in einem Irrgarten voller Monster, die, aus ihrem jahrtausendealten Schlaf geschreckt, ihn neugierig anstarrten. Lange gekrümmte Giftzähne glaubte er zu erkennen, monströse Gebilde mit abscheulichen Köpfen, die Rachen aufgerissen, aus denen gierig der Geifer tropfte.

Bewegungslos starrte er sie eine Weile an, dann suchte er weiter.

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9783954399925
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