Читать книгу: «Seewölfe Paket 24», страница 5

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Hm, er war durch eine Art Rutsche gesaust, auf der es ziemlich schnell bergab gegangen war. Er entsann sich noch seiner Rutschpartie. Demzufolge müßte er auf dem gleichen Weg auch wieder zurückkehren können. Also mußte er aufwärts, empor. Aber hier ließ sich nicht mal richtig feststellen, ob der Boden anstieg oder sich senkte. Mal schien es bergan zu gehen, dann wieder unmerklich tiefer in den Berg hinein, oder was immer diese Kathedrale auch war.

„Verdammt noch mal“, brummte er heiser, „hier soll sich einer zurechtfinden.“

Wo war denn der Hexenmeister, den er anfangs gesehen hatte, und wo die abscheulichen Kalbsköpfe oder der orgelspielende Riese?

Er hielt die Fackel hoch über seinen Kopf und sah sich sehr genau nach allen Seiten um. Er hätte fast resigniert, denn er stellte fest, daß er sich in diesem Geisterbau wohl doch hoffnungslos verirrt hatte.

Bei jedem Stück, das er weiterrutschte, veränderte sich auch seine Umgebung. Selbst die Farben veränderten sich ständig und wechselten von Blau zu Grün oder Gold zu Rot. Hin und wieder war auch ein silbriger Schein in den Wänden zu sehen.

Wenn Old O’Flynn sich etwas vorgenommen hatte, dann zog er das auch bis zur letzten Konsequenz durch. Die O’Flynns waren für ihre unglaubliche Zähigkeit und Ausdauer bekannt.

8.

Er rutschte weiter, immer noch etwas Angst im Herzen, weil er mit der Umgebung absolut nicht vertraut war. Seine Fackel erhellte immer nur ein winziges Stück, einen Ausschnitt. Er sah von dieser riesigen Höhle meist nur einen Teil der unglaublich verzogenen und verschachtelten Wände und verzog jedesmal das Gesicht, wenn ihn übergangslos eine Höllenfratze anblickte oder glühende Augen aus der Finsternis belauerten.

Er hatte ohnehin immer das Gefühl, auch von unsichtbaren Augen bewacht zu werden, die jeden seiner Schritte sorgfältig registrierten.

Als es einmal dicht neben seinem Ohr knisterte und ein paar Funken an seinem Schädel vorbeiflogen, da rutschte ihm sekundenlang wieder das Herz in die Hosen. Verdammt, es war gar nicht so einfach, sich durch diesen Irrgarten zu bewegen.

Das Knistern rührte aus dem Gestein her, und die Funken hatten sich von dem Eichenholz seiner Fackel gelöst. Erleichtert setzte er seinen einsamen Weg fort. Aus zusammengekniffenen Augen spähte er scharf nach vorn in die Dunkelheit. Ihm war so, als steige der Boden jetzt leicht an. Oder irrte er sich?

Bevor seine Fackel ausging, hockte er sich auf den Boden und begann fluchend damit, neue lange Späne mit dem Messer zu schnitzen. Noch gab das Holzbein einiges her, aber einmal würde damit Schluß sein.

Er ahnte, daß dann auch für ihn Schluß war, denn dann gab es keinerlei Orientierung mehr.

Als er einige Späne abgehobelt hatte, entzündete er den nächsten Span, klemmte sich den Rest unter den Arm und leuchtete weiter sein Umfeld ab.

Zurück oder voraus? fragte er sich verzweifelt. Wo befand sich die Rutsche, der Einstieg oder Ausgang? Er hatte das Gefühl, als bewege er sich ewig im Kreis und finde nie ein Ende.

Er mußte seinen zurückgelegten Weg markieren, sonst lief er hoffnungslos in die Irre.

Markieren, dachte er bitter – womit? Mit den Splittern von seinem Holzbein? Die brauchte er notwendiger denn je. Steine zum Sammeln gab es hier auch nicht, hier lagen keine herum.

Hm, die hohlklingenden Zapfen, die von der Decke hingen. Das wäre eine Möglichkeit. Er würde nur die kleinen nehmen, die wie Eiszapfen aussahen. Damit konnte er eine Strecke markieren. Sie würden auch nicht so ein fürchterliches Getöse verursachen, wenn er sie abschlug.

Er setzte seinen Gedanken sogleich in die Tat um. Mit dem Rest des Holzbeines holte er kraftvoll aus und schlug es an einen Zapfen, der über ihm baumelte.

Es war, als würden zarte Glocken geschlagen. Ein hellklingender Ton war zu hören, aber dann folgte das dicke Ende. Als der Zapfen herunterpolterte, begann es zu dröhnen und zu splittern. Eine Kakophonie von grellen Tönen pflanzte sich durch die Höhle fort.

Old O’Flynn war von diesen „Weltuntergangsgeräuschen“ nicht gerade entzückt. Er hatte immer das Gefühl, als würden nach dem Radau sämtliche versteinerten Geister erwachen und Jagd auf ihn veranstalten, weil er ständig ihre jahrtausendealte Ruhe störte.

Eine Welle noch war das klingende Echo zu hören, dann verlor es sich in dem Labyrinth.

Dieser zersplitterte Zapfen aber hatte ihm eine Menge Steinchen beschert, die alle schön glitzerten. Die Bruchstellen schimmerten weißlich. So legte er sie sorgfältig hinter sich aus und vergewisserte sich auch, daß er sie auf Anhieb wiederfand.

Na, das Problem war zumindest gelöst. Jetzt konnte er weitersuchen, bis er einen Ausgang entdeckte. Er war jetzt wieder voller Zuversicht und Selbstvertrauen.

Er schätzte, daß er wohl mindestens eine halbe Stunde auf allen „dreien“ gekrochen war und ständig neue Gärten und Landschaften entdeckt hatte. Aber er sah den Kerl in der roten Robe nicht wieder und fand auch den riesigen Zapfen nicht mehr, der bei seiner Umklammerung von der Decke gestürzt war.

Hieß das, er bewegte sich immer tiefer in diese Höhle ohne Ende hinein? Entfernte er sich von der „Rutsche“? Oder näherte er sich ihr?

Dieser Gedanke stimmte ihn wieder verdrießlich, und so hielt er inne, um in Ruhe zu überlegen. Er fand keine Lösung.

Voller Wut knallte er wieder einen Zapfen ab, der in kleine Teile zersplitterte. Ein paar fielen ihm ins Genick, und ausgerechnet der größte Brocken landete ziemlich unangenehm auf seinem Schädel.

„Verdammt, was hab’ ich denn verbrochen, daß mir dauernd was auf die Rübe fällt?“ zeterte er los. „Die ist sowieso schon matschig geworden von den vielen Treffern.“

Vor sich hin schimpfend, legte er wieder die weißlichen Trümmer aus. Das alles strengte doch sehr an. Da mußte er die Fackel halten, da mußte er Zapfen abschlagen und sorgfältig auslegen, dann Späne schnitzen und schließlich höllisch aufpassen. Dazu hüpfte er meist einbeinig herum oder kroch auf dem Boden. Schweißtreibend war das, eine höllische Sache, die übermenschliche Anstrengung erforderte.

Sein Durst wurde stärker, und auch den Hunger spürte er als unangenehmen Begleiter. Das ließ ihn grantig und fuchtig werden, und weil er immer noch keinen Ausgang fand, wurde er langsam wild.

Als ihn unvermittelt wieder ein Männchen mit einem Wasserkopf und einer langen Triefnase angrinste, nahm er voller Wut sein Holzbein und drosch ihm was auf die lange Nase.

Der Riechkolben des häßlichen Männchens flog davon, und weil es immer noch hämisch grinste, zog ihm Old O’Flynn auch noch eins über den dicken Wasserkopf.

Das Männchen gab ein knirschendes Geräusch von sich. Sein Schädel zersplitterte und zersprang, und Old O’Flynn glaubte, ein leises Jaulen zu hören. Ob das vielleicht auch ein versteinerter Kerl aus der sündigen Stadt Sodom war? Na egal, er hätte ihn ja auch nicht erschrecken und vor allem nicht so dämlich angrinsen sollen. Das hatte er jetzt davon.

Einmal entdeckte er eine Formation, die aus grellroten Stalagmiten bestand. Sie standen dicht an dicht wie die Orgelpfeifen aufgereiht und strebten nach oben. Als er den Kopf in den Nacken legte und die Fackel höher hob, sah er, daß eine Unmasse grüner Zapfen von der Decke den roten entgegenwuchsen. Zwei hatten sich schon so weit genähert, daß kaum noch ein Finger zwischen sie paßte. Drei oder vier andere waren bereits zusammengewachsen.

Er bestaunte sie ausgiebig und sah auch weiter unten einen muldenförmigen Trog, in den ständig von der Decke Wasser tropfte.

Da grinste er zum ersten Male seit langer Zeit wieder.

„Dann muß hier auch der Hexenmeister stehen“, folgerte er, „und das ist die Badewanne, in der ich gelegen habe. Dem heiligen Elmo sei Dank! Er hat mich wieder zurückgeführt.“

Aber da war keine Rutsche, wie er entsetzt feststellte. Zwar stand da ein ähnlicher Kerl wie der in der roten Robe, aber doch war alles ganz anders. Verzweifelt sah er sich nach einem Ausgang um, untersuchte die Wände, klopfte überall herum, leuchtete – nichts!

Das war ein harter Schlag unter die Gürtellinie. Er nahm auch sofort erbittert fluchend seinen voreiligen Dank an St. Elmo zurück und bezeichnete ihn schimpfend als den größten Affenarsch aller Meere, und er solle sich, verflucht und zugenäht, nie wieder auf der „Empress“ blicken lassen, wenn er keine Prügel beziehen wolle.

So war Old O’Flynns Stimmung heute: himmelhoch jauchzend, dann wieder zu Tode betrübt und verbiestert.

Dieser Sankt Elmo scheint ohnehin eine heimtückischer Geselle zu sein, überlegte Old O’Flynn etwas abstrus. Erst ließ der Kerl sich nicht blicken, wenn man dringend seiner Hilfe bedurfte, und wenn er dann doch erschien, versteckte er die „Rutsche“ und ließ sie unsichtbar werden, damit er nicht mehr hinausfand.

Beim nächsten Gewitter würde er wieder auf der Gaffelrute hocken und sein blaues Wunder erleben. Mit der Muskete würde er diesen Bastard abknallen, jawohl!

Jetzt hatte er schon zentnerweise Markierungen ausgelegt und war trotzdem nicht weiter oder schlauer als zuvor. Die Höhle schien tatsächlich keinen Anfang und kein Ende zu haben.

Dennoch stapfte er wütend weiter und fluchte in Gedanken allen Heiligen die Knochen ab. Nichtsnutziges Pack war das, das sich teure Kerzen stiften ließ und dafür keinen Finger rührte.

„Schmarotzer, Parasiten!“ wetterte er laut.

Immer weiter ging es, mitunter recht mühsam, dann wieder über eine ziemlich glatte Fläche. Die Höhle nahm und nahm kein Ende, es war zum Verzweifeln.

Jetzt mußte mindestens nach seiner Schätzung eine weitere Stunde vergangen sein, eine qualvolle Stunde voller Angst und Schrecken.

Die Angst trieb ihn dennoch immer weiter, denn wenn er nicht bald einen Ausgang fand, war er verloren. Es wußte ja auch niemand, wohin er gegangen war. Hals über Kopf war er losmarschiert und hatte die Jolle am Strand einfach liegenlassen. Das ging ihm jetzt durch den Kopf, und er bereute, daß er so voreilig gehandelt hatte.

Zu ändern war das jedoch nicht mehr, er mußte sich damit abfinden. Da half alles Bedauern nichts.

Ob es draußen schon dunkel war? Oder war es noch heller Tag? Auch diese Frage, die er sich immer wieder stellte, ließ sich nicht beantworten, weil jeder Orientierungspunkt fehlte.

Sicher war es schon dunkel da draußen in der warmen, gemütlichen Welt. Und sicher würden sie jetzt um ein Feuerchen hocken, Wein trinken und zu Abend essen. Langusten vielleicht, wie er so nebenbei mitgekriegt hatte.

Das Wasser lief ihm im Mund zusammen, wenn er nur daran dachte. Und er hockte in dieser lausigen Höhle, kämpfte ums nackte Überleben und hatte nichts zu beißen, ganz zu schweigen von einem erfrischenden Getränk.

Das verbitterte ihn, und er preßte wütend die Lippen zusammen, bis sie nur noch schmale Striche waren. Kein Mensch kümmerte sich um ihn, sie vermißten ihn vielleicht nicht einmal, was ihn wiederum mit heillosem Zorn erfüllte.

Wer war er denn, daß man ihn einfach so überging!

Nach einer weiteren Ewigkeit ahnte er, daß er doch wohl den falschen Weg eingeschlagen hatte und sich immer tiefer in das Höhlensystem verirrte.

Erbittert verhielt er und sah sich zum hundertsten Male um. Nein, das war der falsche Weg, da war er sich ganz sicher. Hier ging es nur noch tiefer in das endlos scheinende Labyrinth hinein. Wenn er sich in diese Richtung weiterbewegte, fand er nie mehr heraus.

Er schlug einen letzten dünnen Stalaktiten ab und bildete ein Kreuz mit den Zapfen. Verdammt, sein Holzbein nahm auch ganz rapide ab, da war nicht mehr viel übrig. Den größten Teil der Späne hatte er bereits verbrannt.

„So, Schluß jetzt“, knurrte er. „Hier ist die Fahnenstange zu Ende. Jetzt geht’s achteraus.“

Anhand der Bruchstücke orientierte er sich jetzt und begab sich auf den Rückweg. Er beglückwünschte sich insgeheim zu der Idee mit den Stalaktiten, die für ihn einfach „Zapfen“ waren. Wenn er sich hier umsah, hätte er den Rückweg nie gefunden, denn immer wieder gab es Nischen, Kammern und Irrgärten in verwirrender Zahl.

So kroch er zurück, stundenlang, wie ihm schien, bis er das Ende oder den Anfang seiner Markierungen erreicht hatte. Da blieb er und zerschlug einen weiteren Stalaktiten. Aus den Bruchstücken und Splittern baute er ein Zapfenhäufchen, sozusagen als das Zentrum seiner Erkundungsgänge.

Er merkte sich alles gut, nickte wie zur Bestätigung und unternahm den nächsten Vorstoß in eine andere Richtung.

Old O’Flynn gab nicht auf, hartnäckig und zäh suchte er weiter nach dem Ausgang. Wieder kam er an Gestalten aus Alpträumen vorbei, die ihn angrinsten oder zu verschlingen drohten. Aber den vertrackten Hexenmeister fand er nicht mehr, oder der hatte sich heimlich in Luft aufgelöst, um ihn an der Nase herumzuführen. Auch der orgelspielende Riese mit dem versteinerten Chor war nirgendwo zu entdecken, sosehr er auch suchte.

Einmal, es mußte jetzt schon sehr spät sein, landete er in einer weiteren Kathedrale. Da konnte er auch hoch über sich an einer unerreichbar fernen Decke die seltsamsten Gebilde sehen. Wie Eiszapfen hingen sie da zu Hunderten von der Decke.

Er zog vorsichtshalber das Genick ein, denn dieser Bau war ihm nicht geheuer. Wenn ein paar der „Zapfen“ dort herabfielen, konnten sie ihn glattweg erschlagen.

Mal richtete er sich zu voller Größe auf, drückte das Kreuz durch und entspannte seine verkrampften Muskeln.

Langusten gibt es jetzt, Wein oder Bier, dachte er sehnsüchtig, und er konnte sich die Langusten in seiner Phantasie ausmalen. Da gab es ja wahrhaftig ein paar Dinger, die so ähnlich aussahen und auch so lange Fühler hatten. Auch farblich stimmten sie überein.

Aber das alles nutzte ihm nichts, denn die Höhle gab nichts zu beißen her, und Trinkwasser fand er auch nicht. Er hatte es noch einmal an einem winzigen Becken versucht, aber das Zeug war wirklich nicht zu genießen und brannte ihm höchstens ein paar Löcher in den hungrigen Magen.

Dann begann sein Herz plötzlich wie wild zu schlagen, denn jetzt sah er im schwachen Licht, daß der Boden in der Höhle sanft anstieg.

Noch schneller bewegte er sich vorwärts und wollte schon seinen Triumph wild hinausbrüllen. Der Boden stieg noch mehr an.

Ha, das war der Ausgang – die Rutsche! Es kann gar nicht anders sein, dachte er freudig.

Als er übergangslos vor einer bizarr gemusterten Wand stand, blickte er verwirrt hoch. Es war tatsächlich eine Wand, und die versperrte ihm den weiteren Weg. Er sah nach rechts und nach links. Auch dort ragten die Wände steil in die Höhe.

Aus! Es ging nicht mehr weiter. Die Höhle war zu Ende. Da war auch keine Rutsche, da war nur der Fels mit den Zapfen, Nischen und Spalten.

Der Alte nahm die Überreste seines Holzbeines und kriegte fast einen Tobsuchtsanfall. Wütend Warf er den ganzen Krempel auf den Boden und fluchte wie ein Rohrspatz.

„Himmel, Arsch und Zapfenscheiß!“ tobte er. „Jetzt langt es aber endgültig!“

Als er sich ein wenig beruhigt hatte, kehrte er wutgeladen zu seinem „Zapfenzentrum“ zurück und starrte mißmutig auf den Boden.

Eine feine Höhle war das! Die hatte zwar einen Eingang, aber der verschloß sich auf sehr mysteriöse Weise, sobald man wieder hinauswollte. Jetzt hielt ihn die Höhle gefangen, wahrscheinlich für den Rest seines Lebens. Vielleicht existierte er auch gar nicht mehr und war verwunschen. Bis hier wieder jemand in die Höhle fiel, konnten tausend Jahre oder mehr vergehen, überlegte er grimmig.

Was jetzt? Er war hungrig, durstig und spürte auch eine bleierne Müdigkeit in den Knochen. Sollte er hier herumhocken und womöglich noch Wurzeln schlagen wie jene geheimnisvollen Gestalten mit ihren langen steinernen Bärten?

No, Sir, er würde sich hinlegen und ein paar Runden schlafen. Wenn er dann erwachte, konnte es noch einmal losgehen. Er hatte nur das lausige Gefühl, daß er nie mehr aufwachen würde, sobald er erst einmal schlief. Ganz sicher eilte dann der verdammte Hexenmeister lautlos herbei und ließ ihn ebenfalls zu Stein erstarren.

Wenn ihn dann jemand fand, konnten sie ihn mitnehmen und im fernen England im Garten aufstellen. Dann würden die lieben Kleinen ihren Vater gebührend bestaunen können. Und auch seine Enkelchen konnten später mal stolz verkünden, daß sie einen Opa aus Stein hätten. Aber für die Ewigkeit würde er erhalten bleiben, Jahrtausende, wenn nicht noch länger.

Mit diesen krausen Gedanken schlief er ein. Neben ihm verlosch der Span mit einem letzten Glimmen.

Aber offenbar versteinerte Old O’Flynn nicht, sonst hätte sein fürchterliches Schnarchen mit Sicherheit aufgehört.

9.

Hoch über ihm ging es weitaus lustiger zu. Es war auch noch nicht so spät, wie Old O’Flynn geschätzt hatte. Aber hier oben gab es auch keine Wurzelmänner und Kalbsköpfe.

Alles war bis zum späten Nachmittag fertig geworden. Die Männer hatten Enormes an Arbeit geleistet, und jetzt sollte das auch gebührend gefeiert werden.

Gunnhild, Gotlinde und Mary O’Flynn hatten auf der Südseite der Bucht ein großes Feuer entzündet und die Langusten zubereitet.

Jetzt wurde „getafelt“, als sich alle um das Feuerchen versammelt hatten.

Sie hatten auch frisches Brot gebacken, dazu gab es Wein, der noch aus den requirierten Fässern der spanischen Galeonen stammte, die sie aufgebracht hatten.

Jean Ribault war zufrieden, daß unter der fachmännischen Beratung des alten Hesekiel alles so prächtig geklappt hatte. Morgen konnte die „Golden Hen“ aufgeslippt und ihr das neue Ruder verpaßt werden. Dann war die Welt auch wieder in Ordnung.

In der Bucht plätscherten kleine Wellen an den Strand. Der Abend war lau und samtig, und es herrschte Stille bis auf die Unterhaltungen der Männer.

Bisher hatte noch niemand Old O’Flynn vermißt, denn bei der ganzen Hektik war sein Verschwinden nicht weiter aufgefallen.

Jetzt, da man um das flackernde Feuer saß, fiel es immer noch nicht auf, selbst Mary nicht. Sie nahm an, daß das „alte Ekel“ irgendwo zwischen den anderen Männern hockte und schmollte.

„Nun langt mal kräftig zu“, forderte sie die Männer auf. „Es sind genügend Langusten für alle da, und wer keinen Wein mag, für den haben wir dort drüben unter der Palme ein Faß kaltes Bier stehen.“

„Sieht ja unheimlich appetitlich aus“, lobte Jean Ribault. „Ganz phantastisch, wie ihr das Essen hingezaubert habt.“

Mary O’Flynn fühlte sich geschmeichelt. Gotlinde lächelte ein wenig, und Gunnhild errötete hold ob des Lobes, das mit einem charmanten Lächeln des Franzosen serviert wurde.

Er hielt schon die erste Languste in der Hand und griff nach dem aufgeschnittenen Brot.

Auch die anderen langten kräftig zu und aßen. Die meisten tranken spanischen Rotwein dazu, ein paar bedienten sich an dem Bierfaß unter der Palme.

Hesekiel Ramsgate fiel als erstem auf, daß der Alte nicht dabei war. Ein paarmal schon hatte er sich umgedreht und ihn unter den Männern gesucht. Manche Gesichter befanden sich im Schatten und waren daher nicht zu erkennen.

Hesekiel Ramsgate stieß den neben ihm sitzenden Martin Correa an und fragte: „Wo ist denn Donegal geblieben? Ich habe ihn heute nur einmal gesehen, und das war am Vormittag. Ist er etwa krank?“

Der Bootsmann der „Empress“ beschäftigte sich gerade mit seiner Languste und hatte den Humpen mit Bier neben sich in den immer noch warmen Sand gestellt. Jetzt verschluckte er sich fast.

Himmel, der Kapitän! Wo war er denn? Der war doch heute gegen Mittag mit der Jolle an Land gepullt, und höllisch in Braßfahrt war er auch gewesen.

„Keine Ahnung“, sagte er kopfschüttelnd und besorgt. „Aber krank ist er nicht.“

Er grinste dabei ein bißchen, wenn er an die vormittägliche Szene dachte. Das hatte ganz schön gerumst, als Mary ihm die Pfanne auf den alten Querkopf gehauen hatte.

„Seltsam ist das“, meinte Hesekiel, der von dem Vorfall nicht die geringste Ahnung hatte. „Sonst ist er doch immer gleich dabei, wenn es etwas zu feiern gibt.“

Martin räusperte sich beziehungsreich und tippte lächelnd die rothaarige Mary an.

„Hesekiel fragt nach dem Kapitän“, sagte er. „Wo ist er denn? Ich habe ihn seit Stunden nicht mehr gesehen.“

Diesmal verschluckte sich fast auch die Snugglemouse. Ihre Augenbrauen schoben sich ein wenig zusammen. Ihre Augen wurden sekundenlang starr.

„Ja, wo ist er eigentlich?“ fragte sie zurück. „Ich war so beschäftigt, daß ich mich nicht mehr um ihn gekümmert habe. Laß gefälligst das Grinsen, Martin“, sagte sie leiser.

Tatsächlich hatte sie Donegal kurz vor Mittag das letztemal gesehen.

Als er stocksauer abgehauen war, hatte sie sich in der Pantry eingeschlossen und ein bißchen geheult, weil der sture Bock so biestig gewesen war und sogar seine Vaterschaft abgestritten oder angezweifelt hatte. Dann hatte Martin gesagt, Donegal wäre an Land gepullt.

Na ja, sein Zorn würde mittlerweile verraucht sein. Vielleicht hatte er es sich doch überlegt und war einsichtig geworden. Aber sie hatte wirklich mit dem Suchen und Zubereiten der Langusten so viel zu tun gehabt, daß sie den alten Brummbär glatt vergessen hatte.

Jetzt sah sie die Männer der Reihe nach an. Nein, Donegal war nicht darunter, der fehlte wahrhaftig. Vielleicht hockte er doch noch irgendwo in einem Winkel und schmollte vor sich hin.

Das sagte sie auch Martin.

„Sicher hat er sich auf die ‚Empress‘ verkrochen und pflegt seine Flausen. Mich will er damit strafen, daß er sich nicht mehr blicken läßt. Aber da kann er lange schmollen.“

Den beiden anderen Frauen war ebenfalls nicht entgangen, was gesprochen wurde. Sie hörten zu und wunderten sich insgeheim. Sie hatten zwar am Tage auch einen Streit an Deck mitgekriegt, aber das war bei den O’Flynns nicht so ungewöhnlich. Die beiden lagen sich öfter mal in den Haaren.

„Soll ich mal nachsehen?“ fragte Martin.

Mary zögerte erst mit der Antwort, dann schüttelte sie entschieden den Kopf mit den langen roten Haaren.

„Nein, laß ihn schmollen. Wenn der große Admiral sich entschlossen hat, den Beleidigten zu spielen, dann soll er so lange an Bord hocken, bis ihm ein langer Bart wächst. Ich sehe gar nicht ein, daß ich zu Kreuze kriechen soll. Er wird sich schon melden, wenn er Hunger und Durst hat.“

Niemand ahnte, daß Old O’Flynn quasi unter ihnen hockte und Hunger und Durst hatte. Wenn sich ein Spalt im Boden geöffnet hätte, wären ihm die Langusten gleich pfundweise auf den Schädel gefallen – und der Wein dazu. Aber es öffnete sich kein Spalt im Boden, und deshalb geisterte Old O’Flynn im wahrsten Sinne des Wortes unter ihnen umher.

Martin hielt unschlüssig die Languste in der Hand. Sie sah so verdammt appetitlich aus. Aber das Schalentier schien ihm nicht mehr so richtig zu schmecken. Er hatte doch Sorgen um den Alten. Vielleicht war der in seinem Schmollwinkel umgekippt. Konnte alles sein, so was gab es ja. Unschlüssig starrte er vor sich hin.

Marys Stimme riß ihn aus seinen Betrachtungen. Sie klang rauh.

„Was ist mit dir, Martin – schmeckt es nicht?“

„O doch. Aber die Sache mit dem Kapitän läßt mir keine Ruhe. Ich werde doch lieber einmal nachsehen, wenn es recht ist.“

Mary wollte sich eigentlich um diesen „schmollenden Bastard“ nicht mehr kümmern, aber schließlich nickte sie.

„Gut, dann sieh einmal nach. Aber lade ihn nicht ausdrücklich ein, sonst kriegt er wieder Oberwasser und tönt groß herum.“

„Ich werde ihm nur erzählen, wie prächtig das Essen ist“, sagte der Bootsmann grinsend.

Dann verschwand er aus dem Kreis der Männer, stieg am Strand in die Jolle und pullte zur „Empress“ hinüber, wo er aufenterte.

Er polterte ein bißchen an Deck. Vielleicht würde das den alten Burschen herauslocken. Aber auf dem Schiff rührte sich nichts. Alles blieb still und ruhig.

Martin nahm sich eine Kammer nach der anderen vor. Dabei wurde er immer nachdenklicher. Offenbar war Old O’Flynn wirklich nicht zurückgekehrt, denn die Jolle hatten sie gegen Mittag vom Strand geholt, wo der Alte sie hatte liegenlassen. Aber unbemerkt war er auch nicht an Bord gegangen.

Als alles Suchen erfolglos blieb, rief Martin noch ein paarmal seinen Namen, doch auch darauf erfolgte keine Reaktion.

Kopfschüttelnd überlegte er. Der Alte war zwar ein schrulliger und eigenartiger Mann, aber so lange blieb er nicht fort, ohne den anderen etwas zu sagen. Außerdem – was tat er ganz allein irgendwo bei Dunkelheit auf der Insel? Das ergab keinen rechten Sinn.

Er rief ein letztes Mal und sah auch im Laderaum nach. Old Donegal war und blieb verschwunden.

Martin kehrte wieder zu dem Feuerchen zurück und hob hilflos die Schultern, als er Marys forschenden Blick sah.

„An Bord ist er nicht.“

„Hast du überall nachgesehen?“

„Überall“, versicherte Martin. „So groß ist das Schiff ja auch nicht, daß er sich vor mir verstecken kann.“

„Das ist aber merkwürdig“, sagte Mary und zog die Stirn kraus.

„Was ist denn passiert?“ wollte Smokys Frau Gunnhild wissen. „Wo ist Donegal denn?“

„Das wissen wir nicht“, erwiderte Martin. „Er ist heute vormittag an Land gepullt und in dem Buschwerk da drüben verschwunden. Seitdem hat ihn keiner mehr gesehen.“

„Seit heute vormittag?“ fragte Gunnhild entsetzt. „Ihm wird doch hoffentlich nichts passiert sein.“

Mary O’Flynn schluckte hart. Etwas ratlos sah sie von einem zum anderen.

Jetzt wurde auch Jean Ribault hellhörig und unruhig. Er musterte Mary, dann Gunnhild und schließlich Martin. Ihm war, als wüßten sie etwas, das sie ihm verheimlichen wollten.

„Wenn er seit dem Vormittag weg ist, dann müßte er jetzt längst zurück sein“, sagte er. „Inzwischen ist es dunkel geworden. Da kann doch etwas nicht stimmen. Wo soll er sich denn hier herumtreiben? Kann ja verstehen, wenn es hier eine Pinte gäbe, aber so …“

„Von seiner Pinte hat er schon den ganzen Tag gefaselt. Er denkt an nichts anderes mehr, seit er hier ist. Aber auf sein bloßes Wunschdenken hin wird niemand eine Kneipe gebaut haben, in der er jetzt hockt.“

„Trotzdem ist das, besorgniserregend“, sagte Jean Ribault. „Er kann gestolpert, hingefallen sein oder sich sonstwie verletzt haben. Vielleicht ist er völlig hilflos.“

„Hilflos – Donegal Daniel O’Flynn?“ fragte Mary spöttisch. „Den habe ich noch nie hilflos gesehen. Der sitzt herum und ärgert sich. Aber jetzt wird erst gegessen“, entschied sie resolut. „Deshalb lasse ich mir den Appetit nicht verderben, nur weil Mister O’Flynn im Schmollwinkel hockt. Danach werde ich den alten Querkopf suchen.“

Mary wandte sich den beiden anderen Frauen zu, während der Franzose sehr nachdenklich ins flackernde Feuer sah. Er drehte sich zu Martin um und stieß ihn leicht an.

„Warum sitzt Mister O’Flynn denn im Schmollwinkel?“ fragte er. „Was hat es da gegeben? Hat Donegal wieder gesponnen?“

Martin vergewisserte sich erst, daß Mary auch nichts hörte. Zur Sicherheit senkte er seine Stimme noch zu einem Flüstern.

„Die beiden hatten heute vormittag einen Mordskrach, Jean. Ich habe nicht so genau mitgekriegt, um was es ging, aber sie hatten sich ganz schön am Wickel. Nach dem Krach war Donegal mordsmäßig in Fahrt, du kennst ihn ja. Wenn er sauer ist, kann man mit ihm nicht mehr vernünftig reden.“

„Und dann?“

„Er schnappte sich die Jolle und haute ab zum Land. Da verschwand er wie ein angestochener Büffel im Buschwerk.“

Jean Ribault verbiß sich das Grinsen. Na, das war mal wieder was mit den O’Flynns. Ehekrach, Radau und Rabatz, was? Kein Wunder, daß der Alte dann fluchtartig und verbiestert das Weite gesucht hatte.

„Wir werden ihn zusammen suchen“, sagte Jean Ribault zu Mary, wobei er erneut sein Grinsen unterdrückte. Er zwinkerte Mary zu und lächelte galant und harmlos. „Hat es ein kleines Mißverständnis zwischen euch gegeben?“ fragte er dann sanft.

Auch alle anderen spitzten die Ohren und sahen Mary erwartungsvoll an. Scheint sich etwas Pikantes anzubahnen, dachte Renke Eggens, der sich eins grinste.

Mary stand da, sah die Männer an, hatte die Fäuste in die Seiten gestemmt und das energische Kinn trotzig gereckt. Ihr langes rotes Haar flatterte wie eine Fahne aus Kupfer im Wind. Sie war ein Prachtweib, vollbusig und kernig, um das jeder den alten Zumsel O’Flynn lebhaft beneidete.

„Ja, wir hatten ein Mißverständnis“, sagte sie offen und ehrlich und mit kratziger Rauchstimme. „Ich habe meinem lieben Mister O’Flynn nämlich mitgeteilt, daß er Vaterfreuden entgegensähe. Und diese Mitteilung muß ihm wohl den Verstand geraubt haben.“

Ribault hatte gerade einen riesigen Schluck Wein genommen. Jetzt zuckte er so heftig zusammen, daß er den Wein in einer gewaltigen Gischtwolke ausstieß. Er blies wie ein Wal und erstickte fast. Dann schüttelte ihn ein krampfartiger Husten.

Renke Eggens fiel die Languste aus der Hand und landete im Sand. Und damit sie nicht so trocken dalag, stieß er auch noch seinen Bierhumpen vor Überraschung um.

Die anderen waren von dieser Mitteilung total überrascht und hockten da wie die steinernen Männchen in der Tropfsteinhöhle.

Sieh mal an, Old Donegal hat was auf Kiel gelegt, dachten die meisten. Stumm starrten sie Mary an, die immer noch wie eine Siegesgöttin dastand.

„Das – das ist doch kein Grund, einfach abzuhauen“, sagte Jean Ribault fassungslos. „Er hätte sich doch freuen müssen.“

„Er hat sich auch sehr gefreut“, sagte Mary spöttisch, „vor Freude kriegte er sich selbst nicht mehr ein. Als ich ihm das sagte, faselte er nur von seiner Pinte, alles andere interessierte ihn nicht. Und darauf hatte dieser sture Holzkopf die Stirn, einfach seine Vaterschaft anzuzweifeln. Das war dann wirklich die Höhe“, sagte Mary empört.

„Allerdings“, gab Gotlinde zu. „So hat sich ja nicht einmal Thorfin benommen, als er das erfuhr. Der hat nicht mal seinen Helm abgesetzt, sondern sich nur daran gekratzt.“

„Das ist doch immer noch kein Grund, einfach zu verschwinden“, sagte der Franzose erstaunt. „Was hast du ihm denn erwidert, als er das bezweifelte?“

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9783954399925
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