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8.

Am Morgen des 13. September huschten – bildlich gesprochen – die Ratten aus ihren Löchern. Die Ratten, das waren Don Angelo Baquillo und die vier letzten Männer seines Stabes, von dem einer in der Nacht spurlos im Sumpf verschwunden und ein zweiter von einer Giftschlange ins Jenseits befördert worden war.

Don Angelo Baquillos Kommentar dazu hatte gelautet, daß er sowieso der Ansicht gewesen wäre, nur die Starken hätten ein Anrecht darauf, zu überleben. Bei den beiden hätte es sich um komplette Idioten gehandelt, denen man nicht nachzutrauern brauche.

Als sie sichernd die Siedlung betraten, rümpfte Don Angelo Baquillo verächtlich die Nase. Seiner Meinung nach waren auch die gefallenen Soldaten zu den Idioten zu zählen. Sie hätten eben besser kämpfen müssen, dann wären sie noch am Leben – basta!

Was der Kommandant allerdings absolut nicht begriff, das war die Tatsache, wie es diesen dummen indianischen Bastarden hatte gelingen können, mit der „San Donato“ die Bucht zu verlassen. Das grenzte ja an Teufelswerk! Sie hatten, versteckt in den Sümpfen, das Auslaufen beobachtet. Waren da Verräter mit am Werk gewesen?

Der Anblick der leeren Pier war für Don Angelo Baquillo sehr schmerzvoll, viel schmerzvoller als der Anblick seiner toten Soldaten, für die er tatsächlich nicht die Spur eines Schmerzes empfand.

Nein, mit der entschwundenen Galeone entging Don Angelo Baquillo – leider, leider – ein ansehnlicher Batzen zusätzlichen Geldes, weil Spanien ja nicht für etwas bezahlte, was gar nicht existierte.

Die Sache war die, daß er die Kostennachweise für den Bau der Galeonen manipulierte und auf diese Weise Gelder einstrich, die er nie ausgegeben hatte. Er stellte falsche Rechnungen auf, die zum Teil die Entlohnung der eingesetzten Arbeitskräfte betrafen. Dabei verschwieg er, daß er diese Arbeitskräfte – sprich, die Timucuas – gar nicht entlohnte. So einfach war das. Und dennoch baute er billige Schiffe. Das sollte ihm mal einer nachmachen!

Da stand er also an der leeren Pier und starrte auf die Bucht hinaus, hinter der sich die weite See erstreckte. Eine Ratte befand sich dort, deren Nase sich unruhig hochreckte, als wittere sie nach allen Seiten.

Die vier anderen Kerle, die Offiziere seines Stabes, darunter der Adjutant, verhielten hinter ihm und witterten ebenfalls, aber natürlich als untergeordnete Ratten. Dabei sahen sie alle gleich luderig aus, nämlich vom Morast und Sumpf verdreckt, nichts blitzte mehr, heim- und hutlos hing ihnen das verschwitzte und gleichfalls dreckige Haar in Strähnen im Genick oder ins Gesicht, und in diesen Gesichtern spiegelte sich alles mögliche, nur nichts Erfreuliches.

Zwei von ihnen waren geflüchtet, ohne noch in ihre Stiefel steigen zu können. Sie waren unruhiger als die drei anderen, weil ihnen die Sohlen brannten. Und natürlich spürten sie, wie lächerlich sie aussahen – in mit Dreckklumpen behangenen Kürbishosen, aus denen ihre Unterbeinkleider samt weißer, recht unansehnlicher Beine wie Stelzen herausragten. Der würdige, ehrfurchtgebietende Aufzug des Offiziers war ihnen abhanden gekommen. Kleider halten ja einen Menschen zusammen, Uniformen erst recht.

Nun, hier bei diesen beiden und den drei anderen war das anders. Sie waren nackt geworden. Ratten Wirken auch nackt, wenn sie im Wasser gewesen waren. Ihr Fell sieht dann wie angeklatscht aus. Das Fell dieser Ratten war zwar ursprünglich bunt und drapierend gewesen. Jetzt jedoch hatte es Farbe und Form verloren, denn sie hatten sogar bis zum Hals in sumpfigen Wasserlöchern gehockt. Und vor irgendwelchen tanzenden Nebelschwaden hatten sie dann auch noch den Kopf in die morastige Brühe getaucht, um vom „Feind“ nicht gesehen zu werden.

Sie waren zu Zerrbildern geworden.

Und sie waren ratlos, unfähig zu begreifen, daß ihr Herrendasein wie eine Seifenblase zerplatzt war. Dafür waren sie natürlich um so empörter, wie das hatte geschehen können. Gottgleich und für unantastbar hatten sie sich gehalten – und meinten immer noch, daß es so sei. Ein Irrtum mußte das alles sein, ein Hirngespinst, nun ja, ein verrückter Traum, den man in diesem unangenehmen Land schon mal haben konnte, das da und dort oder auch hier von dummen, aber ebenfalls unangenehmen Wilden bewohnt wurde.

Daß es diese Wilden nun auch noch gewagt hatten, zu rebellieren, und zwar mit Erfolg, das paßte nicht in ihr Weltbild, das war ungeheuerlich.

Und natürlich waren sie weit davon entfernt, bei sich selbst die Ursache für die Rebellion der Timucuas zu suchen. Ebenso natürlich war es die Schuld der Truppe, daß es ihr nicht gelungen war, den Aufstand niederzuschlagen. Schlappschwänze waren das, jawohl, da hatte der Kommandant völlig recht. Daß sie selbst sich heimlich abgesetzt hatten, während die Truppe kämpfte, war natürlich eine strategisch-taktische Maßnahme gewesen, weil sie als Stab den denkenden und planenden Kopf der Truppe darstellten. Es war äußerst wichtig, daß dieser Kopf erhalten blieb. Jetzt allerdings fehlte dem Kopf der Rumpf, nämlich die Truppe, also gab’s nichts mehr zu denken und zu planen, weil da niemand mehr war, der die Pläne in die Tat umsetzte, das heißt, Befehle ausführte.

Ein empörender Zustand!

Was erdreisteten sich diese Soldaten, sich einfach totschlagen zu lassen!

Solche und ähnliche abstruse Gedanken gingen in den Köpfen des Stabes um, und das war alles bezeichnend für ihren desolaten Zustand.

Indessen hatte Don Angelo Baquillo unter einem kleineren Anlegesteg eine Jolle entdeckt, und seine trüben Gedanken wurden in neue Bahnen gelenkt. Diese Jolle, das wurde ihm blitzartig klar, würde ihnen dazu dienen, die Fieberhölle zu verlassen. Entlang der Küste auf dem Wasserweg gelangte man schneller voran als zu Fuß durch die unwegsame Sumpfwildnis, in der noch dazu alle möglichen Gefahren drohten. Im übrigen: was sollte man hier auch noch! An den Bau von Schiffen für die spanische Flotte war vorerst nicht mehr zu denken. Lebensentscheidend war jetzt, einen der spanischen Stützpunkte weiter im Norden zu erreichen.

So fand Don Angelo Baquillo sehr schnell zurück in die gewohnte Rollenverteilung, das heißt, er gab seine Befehle, und die anderen hatten zu gehorchen. Das stand ihm ja auch rangmäßig zu.

Er fuhr nach der Entdeckung der Jolle zu seiner Stabs-Gruppe herum und schrie sie an, man möge das Boot unter dem Steg hervorziehen. Oder ob man vielleicht erwarte, daß er das tue?

Die Señores stürzten eilfertig herbei, um dem Befehl des Kommandanten Folge zu leisten – Hauptsache, es wurde überhaupt etwas befohlen. Mit der Ausführung des Befehls war’s dann wieder etwas schwieriger, weil sie nicht gewohnt waren, die Arbeiten von Bootsgasten zu leisten. Es war dies ja eine untergeordnete Tätigkeit, die üblicherweise vom Schiffsvolk ausgeübt wurde.

Die Jolle hatte sich aus unerfindlichen Gründen unter dem Steg verklemmt, und ihnen stand sehr bald der Schweiß auf der Stirn, während sie am Zerren und Rucken waren und dabei bäuchlings auf dem Steg lagen.

Barsch jagte Don Angelo Baquillo zwei Mann ins Wasser, als die ganze Zerrerei nichts nutzte, und jetzt klappte es. Die Jolle schwamm längsseits des Stegs, die beiden Männer planschten an Land – sie hatten sich zu sehr verausgabt und schafften es nicht mehr, sich auf den Steg zu ziehen.

Don Angelo Baquillo registrierte mit Ingrimm, daß die Herren bei dem guten Leben in der Siedlung ziemlich faul und fett geworden waren. Für ihn galt dieser Maßstab natürlich nicht.

Er besichtigte die Jolle vom Steg aus und stellte fest, daß sie mit sechs Riemen und einem Steckmast ausgerüstet war. Das Segel befand sich in einem Segeltuchsack unter der Heckducht.

Don Angelo Baquillo nickte befriedigt und befahl zweien seiner Trabanten, den Mast und das Segel zu setzen. Die beiden anderen, denen das Wasser aus den Kürbishosen lief, scheuchte er in die Siedlung mit dem Auftrag, Waffen, Proviant, Trinkwasser und Decken zu besorgen und herzubringen und sich gefälligst zu beeilen.

„Ich habe keine Lust, hier lange zu warten“, beschied er den beiden triefenden Gestalten.

Sie trollten sich davon. Er wandte sich wieder der Jolle zu und setzte seine Meckerei fort, weil diese beiden Herren, darunter wieder sein Adjutant, erhebliche Schwierigkeiten mit dem Setzen des Mastes hatten. Sie wußten tatsächlich nicht, was bei dem Mast oben und unten war, obwohl sich diese Spiere nach oben verjüngte und unten Vierkant geschnitten und mit einem Zapfen versehen war.

Für solche Details hatten sie sich nie interessiert, und jetzt kriegten sie das Zittern, als sie von ihrem Kommandanten entsprechend abgekanzelt wurden. Don Angelo Baquillo wurde ausgesprochen rüde und ausfallend. Die Zeit brannte ihm unter den Nägeln. Dabei hatte er eine erbärmliche Angst, von dem Fieber gepackt zu werden.

Dank seiner fluchenden Hinweise gelang es den beiden schließlich, den Mast zu setzen und zu verstagen. Dann war das Segel dran, und auch dabei stellte sich heraus, daß die beiden schwitzenden Männer in der Jolle entweder zwei linke Hände hatten oder von jeder Sachkenntnis ungetrübt waren. Wahrscheinlich traf beides zu.

Don Angelo Baquillo war nahe dran, sich die Haare zu raufen und die beiden Kerle in die Sümpfe zu jagen. Das hätte er rigoros getan, aber er brauchte diese Tölpel, falls der Wind wegblieb. Da würden sie nämlich rudern müssen, bis ihnen die Hände rauchten. Selbstverständlich war es nicht einmal einer Erwägung wert, daß er sich auf eine der Ruderduchten setzte, um die Jolle mittels Riemenantrieb voranzubringen. Dazu waren die anderen da, nicht er.

Inzwischen keuchten die beiden anderen Stabsleute heran und deponierten am Steg die Sachen, die der Kommandant gefordert hatte. Sie mußten sehr oft hin und her laufen, weil auch diese Kuliarbeit für sie ungewohnt war. Sie stellten sich ungeschickt an, vor allem beim Transport der kleinen Wasserfässer, die sie, mit den Armen umschlungen, vor sich her trugen, statt sie sich aufs Kreuz zu laden, wobei sie sogar noch eine Hand zum Tragen von Waffen frei gehabt hätten.

Auf die Idee, für den Transport einen Handkarren zu nehmen, kamen sie nicht. Für das Denken war ja Don Angelo Baquillo verantwortlich. Aber dem war die Möglichkeit mit dem Handkarren auch nicht eingefallen, dafür aber etwas anderes, von dem man sagen konnte, daß es bezeichnend für ihn war.

Als alles in der Jolle verstaut war, hätten Don Angelo Baquillo und sein Stab die Bucht verlassen können, zumal der Kommandant ja auch dauernd gedrängt hatte, man möge sich noch mehr beeilen. Aber jetzt erklärte Don Angelo Baquillo, es gäbe noch etwas zu erledigen.

Er sagte mit einem Glitzern in den harten Augen: „Wir werden dem Dorf dieser stinkenden Wilden noch einen Besuch abstatten, Señores!“

Die vier Männer zuckten zusammen und starrten ihn ungläubig an. Dem Dorf einen Besuch abstatten? Das hieß ja, sich mutwillig der Ansteckung auszusetzen. Hatte der Kommandant nicht selbst gesagt, daß die Wilden den Teufel im Leib hätten und das Ziel verfolgten, die Spanier zu vernichten? Deswegen hatte doch heute die befohlene Aktion gegen die kranken Indianer stattfinden sollen.

„Wohl Angst, wie?“ fragte Don Angelo Baquillo höhnisch. „Aber das interessiert mich nicht. Ich übertrage Ihnen die Aufgabe, das Dorf anzuzünden. Man muß dieses Pack mit Stumpf und Stiel ausrotten. Wir sind heute nacht heimtückisch überfallen worden und haben eine Schlappe erlitten, weil die Truppe versagt hat. Ich bin nicht gewillt, das hinzunehmen. Als Offizier des spanischen Königs habe ich die Pflicht, zurückzuschlagen und den Feind zu vernichten. Daher befehle ich, an jede der Hütten den Brand zu legen. Nehmen Sie Fackeln mit. Wer sich Ihnen in den Weg stellt, ist zu erschießen. Versorgen Sie sich also mit genügend Pistolen. Ich erwarte, daß das Dorf in spätestens einer Viertelstunde in Flammen steht. Vorwärts!“

„Aber …“, begann der Adjutant zögernd und sehr blaß im Gesicht.

„Ich sagte: vorwärts!“ unterbrach ihn der Kommandant schneidend. „Oder haben Sie die Absicht, den Befehl zu verweigern?“ Er zog eine Pistole und richtete sie auf den Teniente.

Die vier Männer drehten sich schleunigst um und liefen zur Waffenkammer, wo auch die Fackeln deponiert waren. Zwei wurden dort gleich entzündet. Dann zogen sie los, bepackt mit Fackeln und Pistolen.

Don Angelo Baquillo folgte ihnen langsam, die Pistole immer noch in der Faust, ein zynisches Grinsen im Gesicht. Er genoß seine Macht. Die Phrasen über seine Pflicht als Offizier gingen ihm immer leicht über die Lippen. Sie waren stets gut, um solchen Narren wie diesem Adjutanten den nötigen Respekt einzuflößen, damit sie kuschten.

Die vier Offiziere hatten das Tor durchschritten und näherten sich zögernd dem Dorf. Don Angelo Baquillo lehnte sich an einen der Torpfosten und sah zu. Einmal schaute er zurück zu dem Steg, wo das Boot lag, und maß die Entfernung. Falls im Dorf etwas passierte, mußte der schnelle Rückzug ins Auge gefaßt werden, um das eigene Leben außer Gefahr zu bringen. Ja, das war zu schaffen. Bis jemand das Tor erreicht hatte, war er längst in der Jolle und trieb sie hinaus in die Bucht – unerreichbar für jeden Feind.

Jawohl, so mußte man Aktionen leiten!

Zufrieden drehte sich Don Angelo Baquillo wieder um und schaute zu dem Vierer-Trupp. Und er erstarrte.

Zwei halbnackte Wilde taumelten zwischen den ersten Hütten des Dorfes hervor und dem Trupp entgegen – Kranke offenbar, aber sie hatten Messer in den Fäusten.

Die vier Männer des Stabstrupps schrien auf, zwei wandten sich zur Flucht, die beiden anderen warfen alles hin, was sie schleppten, zogen Pistolen und feuerten auf die beiden Indianer.

Auch Don Angelo Baquillo hob seine Pistole und griff gleichzeitig zur zweiten, so daß er jetzt beidhändig bewaffnet war. Und mit lässiger Haltung trat er den beiden flüchtenden Männern entgegen, um ihnen den Weg der Pflicht zu zeigen.

Das war nicht nötig, machte sich aber gut.

Denn noch im Dröhnen der Schüsse der beiden anderen sah er, wie die beiden Indianer getroffen wurden, als seien sie gegen ein unsichtbares Hindernis gerannt. Sie bäumten sich im Aufprall der Kugeln auf, torkelten, die Messer entrutschten ihren Händen, dann brachen sie zusammen.

Don Angelo Baquillo winkte mit den beiden Pistolen und rief: „Vorwärts lautete mein Befehl, ihr feigen Hunde! Oder wollt ihr kneifen?“

Mit entsetzten Gesichtern warfen sie sich wieder herum – sahen, daß die beiden Indianer am Boden lagen, ohne sich zu rühren, und stürmten mit hysterischem Gebrüll auf das Dorf zu. Nur ein Hund ergriff vor ihnen die Flucht.

Aus den Hütten ertönte der Todesgesang der Timucuas, schwach, aber dennoch vernehmbar. Sie hatten nichts mehr, mit dem sie sich zur Wehr setzen konnten – greise Frauen und Männer, Kranke im letzten tödlichen Stadium des Fiebers hatten sowieso nicht mehr die Kraft, gegen den anderen Feind – den weißen Mann – zu kämpfen. Mochte er jetzt Feuer legen, das Ende des Lebens war ohnehin erreicht.

Diese vier Männer, bis zum Bersten mit Angst erfüllt, hetzten mit entzündeten Fackeln durch das Dorf, um das zu tun, was ihnen der Kommandant befohlen hatte. Pflichterfüllung war das. Die absurde Sinnlosigkeit ihres Tuns wurde ihnen nicht bewußt, daß sie Mordbrenner waren, erst recht nicht. Der Kommandant hatte ihnen ja gesagt, daß sie mit dem Feuer das Fieber verbrannten, das die Wilden in sich trugen, um die Spanier zu vernichten. So taten sie also ein gutes, gottgefälliges Werk.

Don Angelo Baquillo lehnte wieder am Torpfosten, und das zynische Grinsen in seinem Gesicht hatte sich verstärkt. Als es ihm wegen der brennenden Hütten zu heiß wurde, schlenderte er zum Steg zurück.

Knapp fünf Minuten später folgten ihm die vier Männer seines Stabes – mit fiebrigen Augen, glühender Gesichtshaut, verzerrten Mienen und Brandgeruch in der Kleidung. Sie keuchten, weil sie sich wieder verausgabt hatten. Man war es ja nicht gewohnt, selbst einen Brand zu legen. Auch das war eine Tätigkeit, mit der sie noch nie ihre Hände beschmutzt hatten, weil da immer welche gewesen waren, die von ihnen die Befehle entgegengenommen hatten. Die hatten sich nur leider aus dem Leben gestohlen – ein empörender Vorgang, ihrer Meinung nach.

Don Angelo Baquillo musterte die beiden Männer, die vor den beiden kranken Indianern die Flucht ergriffen hatten, aus kalten Augen und sagte: „Passiert das noch einmal, Señores, dann schieße ich Sie nieder. Sie werden eine Menge tun müssen, um sich zu rehabilitieren. Ich dulde in meinem Stab keine Feiglinge. Wir haben Vorbild für die Truppe zu sein, leuchtendes Vorbild! Wer sich dieser Maxime versagt, hat nicht das Recht, Offizier Seiner Majestät zu sein. Ich erteile Ihnen hiermit einen Tadel! Und jetzt legen Sie gefälligst ab! Andere Aufgaben warten auf uns!“

Leider stellte sich heraus, daß diese vier Männer von der seemännischen Praxis und der Führung einer Jolle unter Segel keinen blassen Schimmer hatten. Sie erhielten einen weiteren Tadel, in diesem Falle durchaus zu Recht, weil Don Angelo Baquillo erbittert feststellte, daß sie Zeit genug gehabt hätten, sich die seemännische Praxis vor Ort, nämlich hier in der Bucht, anzueignen, zumal hier ja Schiffbau betrieben worden war.

Er wurde wieder sehr rüde und steuerte selbst die Jolle aus der Bucht. Als er sie verlassen hatte, ging er auf Nordkurs.

Hinter ihnen brannte das Dorf.

Tamao, der junge Timucua, wurde immer erregter, je weiter die „Isabella“ an der Küste entlang nordwärts steuerte. Er befand sich auf dem Achterdeck bei Hasard und war ein ausgezeichneter Lotse, zumal sich ihm der Küstenverlauf des ersten Teils seiner Flucht aus der Waccasassa-Bucht fast haarscharf ins Gedächtnis eingebrannt hatte. Damals hatte er den Weg südwärts genommen, jetzt war es umgekehrt. Aber er hatte sich vieles gemerkt – Buchten, Baumgruppen, Strände und die Formationen der Küste. Er hatte ein erstaunliches Gedächtnis, wie Hasard feststellte. Er sagte genau voraus, was an dieser Küste bemerkenswert war.

„Bald!“ sagte Tamao erregt und spähte voraus. „Die Bucht ist nicht mehr weit!“ Und seine Hände verkrampften sich um die Querbalustrade des Achterdecks.

Hasard sah es und klopfte ihm beruhigend auf die Schulter. Natürlich war die „Isabella“ gefechtsklar. Auch die Männer lauerten voraus nach Norden. Tamao hatte berichtet, was sich in der Waccasassa-Bucht abspielte. Er hatte sie genau beschrieben. Sie wußten sogar, wie der Don hieß, der dort die erbarmungslose Peitsche schwang und wie ein Tyrann wütete. Darum waren sie auf die Begegnung mit Don Angelo Baquillo und seiner Truppe vorbereitet. Und aller Wahrscheinlichkeit nach würden die Waffen sprechen müssen, um die versklavten Timucuas zu befreien.

Das befreiende Signal, das sie aus dem Lauern erlöste, war die alarmierende Stimme Bills aus dem Großmars. Er meldete Steuerbord voraus Rauchwolken über dem Land.

Rauchwolken?

Das bedeutete im allgemeinen nichts Gutes, wenn es bereits Rauchwolken waren. Hasard enterte zu Bill auf und spähte durchs Spektiv, genau wie Bill selbst.

„Da scheint auch Feuer zu sein“, sagte Bill gepreßt. „Kein kleines Feuer, Sir, und ganz bestimmt kein Feuer, über dem etwas abgekocht wird.“

Hasard nickte.

„Weiter scharf aufpassen“, sagte er knapp. „Auch nach Westen und Süden.“

„Aye, Sir.“

Hasard enterte wieder ab, wandte sich zum Rudergänger und befahl: „Näher ran an die Küste, Pete!“ Er drehte sich zu Tamao um: „Ist dort mit Sänden zu rechnen?“

„Nein.“

Die Rauchwolken wurden mit bloßem Auge sichtbar. Tamao stöhnte auf.

„Dort ist die Waccasassa-Bucht!“ stieß er hervor. Seine Gesichtsfarbe wirkte fahl.

„Bestimmt?“ fragte Hasard.

„Ja.“ Tamao nickte.

Die Bestätigung erfolgte prompt aus dem Hauptmars.

„Bucht Steuerbord voraus!“ rief Bill. „Dort stehen Hütten in Brand!“

Tamao begann zu zittern. Ein ächzender Laut drang aus seinem Mund. Dann biß er die Zähne zusammen, und sein Gesicht verkrampfte sich.

Asiaga, seine Gefährtin, die vorn auf der Back der „Isabella“ stand, schrie entsetzt auf und deutete voraus. Auch sie hatte erkannt, was dort brannte – das Dorf der Timucuas, die Heimstätte, die sie mit Tamao verlassen hatte, um einem grausamen Schicksal zu entgehen. Aber die Rückkehr schien noch grausamer zu sein.

Das Drama, auf das die Seewölfe zusegelten, steigerte sich, als die „Isabella“ die Bucht erreichte und einlief.

Da sahen sie es alle.

Ein Indianer mit bloßem Oberkörper taumelte bei den Hütten hervor, wankte durch die Rauchschwaden und torkelte hinunter zum Ufer. Wie verzweifelt winkte er zu dem fremden Schiff hinüber, dann brach er zusammen, als sei er von einer Axt gefällt worden.

Aber er versuchte, sich wieder aufzustemmen.

„Fallen Anker!“ gellte Hasards Stimme. „Geit auf die Segel! Setzt beide Jollen aus! Beeilung, Männer!“

Ja, da war höchste Eile geboten. Hasard – sie alle hatten es erkannt. Das Feuer hatte zur Werft und zur Siedlung übergegriffen, ja, es fraß sich bereits in das Schilfdickicht der Sümpfe.

Carberry brüllte nicht, wie das sonst seine Art bei Alle-Mann-Manövern war. Er hatte im übrigen seinen Rausch ausgeschlafen und den Brummschädel, mit dem er erwacht war, ignoriert. Jetzt packte er beim Aussetzen der beiden Jollen selbst mit an. Sie arbeiteten alle schnell und verbissen, aber mit der Sicherheit ihrer langjährigen Praxis.

Bill enterte aus dem Großmars ab und raste zum Achterdeck hoch.

„Sir!“ meldete er erregt. „In der spanischen Siedlung liegen tote Krieger und die Leichen von Soldaten. Offenbar haben die Timucuas die Siedlung überfallen.“

„Und dann haben sie ihr eigenes Dorf angesteckt?“ fragte Hasard skeptisch. Er schüttelte den Kopf. „Irgend etwas paßt da nicht zusammen. Ist dir an dem Indianer, der an den Strand getaumelt ist, etwas aufgefallen? War er verwundet?“

„Eine Wunde habe ich bei ihm nicht gesehen“, erwiderte Bill. Er zögerte und sagte dann: „Der Mann wirkte, als sei er betrunken.“

„Könnte man annehmen“, sagte Hasard nachdenklich. „Aber ich glaube eher, daß er krank ist. Der Kutscher und Mac sollen mit in die Jollen. Gib ihnen Bescheid.“

„Aye, Sir. Soll ich dann wieder in den Mars?“

„Nein. Geh mit in die Jollen. Wir müssen das Dorf und die Siedlung durchsuchen, solange uns das Feuer noch die Zeit dazu läßt.“

Bill sauste zur Kuhl hinunter. Eine Jolle war bereits abgefiert. Hasard gab seine Befehle: zuerst das Dorf nach Timucuas zu durchsuchen, sich um den Indianer am Strand zu kümmern, aufzupassen, ob sich Spanier zeigten, das heißt, nach allen Seiten zu sichern, aber auch, in der spanischen Siedlung nachzuforschen, was dort passiert war.

Die erste Jolle legte ab und wurde mit hastigem Ruderschlag zum Ufer gepullt, wo der Indianer lag. Immer wieder versuchte dieser Mann, sich aufzurichten. Dan O’Flynn führte diese Jolle, Tamao war bei ihm, der Kutscher ebenfalls.

Minuten später, als sie gelandet waren und sich um den Timucua kümmerten, sagte der Kutscher lakonisch: „Sumpffieber!“

„Wir bringen ihn an Bord“, entschied Dan O’Flynn.

Tamao sprach auf den kranken Mann ein, der jetzt plötzlich schweißüberströmt war. Der Mann flüsterte etwas in der Sprache der Timucuas.

Tamao fuhr hoch und blickte Dan O’Flynn an.

„In den Hütten sind noch Kranke!“ stieß er hervor.

„Vorwärts! Wir holen sie raus“, sagte Dan O’Flynn knapp. „Kutscher, du bleibst bei dem Mann. Sag den anderen Bescheid, was hier los ist. Jede Sekunde zählt.“ Und schon stürmte er mit seinen Männern und Tamao über den Strand auf das Dorf zu.

Die zweite Jolle landete, die Hasard übernommen hatte. Der Kutscher informierte ihn hastig. Hasard befahl, den Kranken in die Jolle zu übernehmen. Zwei Mann blieben beim Kutscher. Mit den anderen raste Hasard ebenfalls zum Dorf.

Das Feuer war nicht mehr zu löschen. Aber mit rücksichtsloser Tollkühnheit brachen die Seewölfe in die Hütten ein, kämpften sich durch Rauch und Flammen und suchten nach weiteren Timucuas. Es gelang ihnen elf Männer und Frauen zu bergen und zum Strand zu transportieren.

Der Kutscher und Mac Pellew kümmerten sich sofort um diese bedauernswerten Menschen. Zwei Frauen starben ihnen unter den Händen weg. Es blieben zehn Kranke – sechs Männer und vier Frauen, unter den Männern der Krieger, der zum Strand gewankt war –, die an Bord der „Isabella“ gebracht wurden.

Dann mußten die Seewölfe ihre Hilfsaktion abbrechen, die Hitze wurde unerträglich. Es war auch unmöglich, noch zur Siedlung der Spanier vorzudringen. Eine Flammenwoge fauchte über die Küste weg. Jetzt war nur noch auf dem Wasser Sicherheit.

Hasard befahl schweren Herzens den Rückzug. Sie hatten getan, was sie konnten. Dennoch war ihm schleierhaft, wo die Timucuas geblieben waren. Er konnte sich nicht vorstellen, daß Tamaos Stamm nur noch aus einem Dutzend Kranker bestanden haben sollte.

Als die Jollen wieder an Bord gehievt wurden, meldete sich Tamao bei ihm – im Krankenraum unter der Back richteten der Kutscher und Mac Pellew gerade eine Art Quarantänestation ein, denn abgesehen von den Brandwunden litten alle zehn Überlebenden an dem Sumpffieber.

Tamao sagte: „Ich habe erfahren, was sich abgespielt hat. Shawano und seine Krieger haben heute nacht die Siedlung überfallen, mit den gesunden Männern, Frauen und Kindern sowie fünf gefangenen Spaniern eine neue Galeone besetzt und sind nach Westen davongesegelt, um eine neue Heimat zu finden. Die Kranken des Stammes hatten heute von den Spaniern umgebracht werden sollen – das hatte Shawano veranlaßt, den Spaniern zuvorzukommen. Es war seine letzte Möglichkeit, das Leben des Stammes zu erhalten. Heute morgen tauchten ein paar Überlebende der Spanier auf, darunter der Kommandant. Von ihnen wurde das Dorf in Brand gesteckt. Dann segelten diese Spanier mit einem Boot nach Norden.“

Hasard preßte die Lippen zusammen. Wir sind einen Tag zu spät hier eingetroffen, dachte er erbittert, nur einen verdammten Tag!

„Was wirst du jetzt tun?“ fragte Tamao leise.

Hasard hob den Kopf. „Hinter der Galeone hersegeln natürlich. Wenn deine Leute eine neue Heimat suchen, dann wäre Coral Island genau das Richtige für sie.“ Er stutzte und sagte: „Verstehen es denn deine Leute, mit der Galeone umzugehen?“

„Sie haben das Schiff gebaut. Und sie werden die fünf gefangenen Spanier gezwungen haben, ihnen zu helfen.“

„Dein Wort in Gottes Ohr“, murmelte Hasard und befahl, ankerauf zu gehen und die Segel zu setzen – alle Segel, um schnell zu sein und die Galeone der Timucuas einzuholen.

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9783954397761
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