Читать книгу: «Seewölfe Paket 18», страница 18

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„Was ihnen nichts nutzt“, sagte der Feldscher, „weil sie ja mit der Peitsche wieder angetrieben werden, wenn sie zusammenbrechen.“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, Señor Kommandant, entschuldigen Sie, wenn ich Ihrer These nicht zu folgen vermag. Ich halte sie für unlogisch. Wer sich mit dieser Krankheit ansteckt, um nicht mehr arbeiten zu müssen, der tut es gleichzeitig auch in der Gewißheit, dem Tode entgegenzugehen. Das ist in sich ein Widerspruch, denn er handelt sich damit ja keine Vergünstigung ein, sondern einen recht qualvollen Tod. Kein Mensch, auch kein Indianer, ist so verrückt, das zu tun.“

„Ich habe keine Lust, mit Ihnen darüber zu diskutieren“, sagte Don Angelo Baquillo. „Ich spreche hier auch nicht von Thesen, sondern von Tatsachen, die Sie offenbar nicht verstehen. Zur Sache: Da diese – äh – Epidemie von den indianischen Bastarden angezettelt wurde mit dem Zweck, uns zu vernichten, habe ich beschlossen, entsprechend hart zu reagieren. Hier muß eisern und rücksichtslos durchgegriffen werden, meine Herren – rück-sichts-los! Daher erteile ich folgenden Befehl – der Teniente wird die Einzelheiten und Orders ausarbeiten: Morgen vormittag wird das Dorf dieser roten Köter umstellt, ein Trupp dringt ein und füsiliert jeden dieser stinkenden Bastarde, der vermutlich oder sichtbar an dem Fieber erkrankt ist! Damit, meine Herren, rotten wir die Krankheit an der Wurzel aus. Denn das ist logisch: wer uns vernichten will, den beseitigen wir, bevor er uns anstecken kann! Bin ich verstanden worden?“

Sie nahmen alle Haltung an, das Kinn am Kragen, den Blick soldatisch fest auf den Kommandanten gerichtet, der ihnen soeben einen Mordbefehl erteilt hatte.

Einzig der Feldscher starrte auf den Boden, den Kopf gesenkt. Don Angelo Baquillo musterte ihn verächtlich und zuckte mit den Schultern. Diesem Quacksalber würde er schon beibringen, nach welcher Pfeife er zu tanzen hatte.

„Das paßt Ihnen wohl nicht?“ fragte er höhnisch.

Der Feldscher hob den Kopf.

„Meine Aufgabe ist es, Leben zu erhalten, nicht zu vernichten“, erwiderte er.

„Sie hätten Pfaffe werden sollen“, erklärte Don Angelo Baquillo und stieß ein bellendes Lachen aus.

„Könnte sein“, sagte der Feldscher ruhig, „und es stört mich nicht weiter, daß Sie das offenbar sehr lustig finden. Vermutlich werden Sie gleich nicht mehr lachen, wenn ich Ihnen sage, daß Ihr Plan, die kranken Indianer auszurotten, im Sinne Gottes und seiner Gebote nichts weiter als wahnsinnig ist. Können Sie mir vielleicht erklären, durch wen die Menschen in Italien – in der Alten Welt weit weg von hier – mit dem Sumpffieber angesteckt werden? Etwa auch von Indianern? Ich war in Italien und habe dort viel gelernt. Indianer habe ich dort allerdings nicht gesehen.“

Don Angelo Baquillo schnappte nach Luft. Dann brüllte er: „Wollen Sie meutern, Sie lächerlicher Salbenschmierer?“

„Ein Mann, der Salben verschmiert, ist kaum zum Meutern geeignet, Señor Kommandant“, sagte der Feldscher gelassen. „Ich weise Sie nur nach den Gesetzen der menschlichen Vernunft und Logik darauf hin, daß die Indianer unmöglich die Ursache des hier grassierenden Fiebers sein können. Das ist alles und hat mit Meuterei absolut nichts zu tun. Begreifen Sie das nicht?“

„Ich begreife nur, daß Sie vom Kriegshandwerk nicht die geringste Ahnung haben!“ schrie Don Angelo Baquillo voller Wut. „Scheren Sie sich hinaus, Sie salbadernder Quacksalber! Sie untergraben Disziplin und Manneszucht! Kümmern Sie sich gefälligst um die Kerle, die sich vom Dienst drücken wollen. Alles andere geht Sie einen Dreck an, verstanden?“

„Ich bin nicht schwerhörig“, sagte der Feldscher kühl, nickte knapp und verließ das Stabsquartier.

Als die Tür geschlossen war, reckte Don Angelo Baquillo die Brust heraus, in seinen Augen stand ein kaltes Glitzern, als er seinen Stab musterte, zuletzt den Adjutanten.

„Was halten Sie von diesem Menschen, Teniente?“ fragte er lauernd.

„Ein unmöglicher Mensch, Señor Kommandant“, erwiderte der Teniente, „und sehr gefährlich, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf.“

„Sie haben es erfaßt, mein Lieber.“ Das Glitzern in den Augen Don Angelo Baquillos verschwand, dafür erschien ein berechnender Ausdruck. „Ihr Vorschlag?“

„Liquidieren, Señor Kommandant“, erwiderte der Teniente. „Am besten bei der Aktion morgen vormittag – unauffällig natürlich. Das ließe sich einrichten. Ich schlage vor, ihn morgen mit in das Dorf zu nehmen, und zwar unter dem Vorwand, daß er als Feldscher die Aufgabe habe, uns die kranken Bastarde zu bezeichnen und herauszusuchen. Bei dieser Gelegenheit könnte man einen Vorfall provozieren, in dessen Verlauf er erschossen wird – natürlich ein unglücklicher Schuß, weil er von einem dieser roten Hunde angegriffen wurde.“

„Sehr gut, ausgezeichnet!“ sagte Don Angelo Baquillo akzentuiert. „Sie übernehmen das, Teniente?“

„Es wird mir eine Ehre sein“, sagte der Teniente.

So wurde also noch ein Mord geplant, und keiner der Señoras des Stabes hatte dagegen den geringsten Einwand. Keiner gab zu bedenken, daß man mit diesem Mord auch den einzigen Arzt der spanischen Siedlung beseitigte. Und keinem dieser Offiziere war klargeworden, daß er bereit war, einem völlig sinnlosen – oder wahnsinnigen – Befehl Folge zu leisten. Man tat seine Pflicht, nicht wahr? Man gehorchte. Das Gewissen, so man es hatte, ignorierte man.

Der Stab wurde entlassen, der Adjutant würde die Einzelheiten und Orders für die Aktion des nächsten Tages ausarbeiten, exakt in der Rollenverteilung, präzise, nüchtern und soldatisch klar, wie die Abläufe für kriegerische Handlungen zu sein hatten. Der Feind war ja erkannt – nach Auffassung des Kommandanten. Und der mußte es wissen.

7.

Der verbrecherische Plan des Kommandanten hatte einen Fehler, den er nicht bedacht hatte. Das lag aber daran, daß er die Indianer in seiner maßlosen Überheblichkeit für tierische und daher dumme Wesen hielt, eben für Ungeziefer. Dabei vergaß er auch, daß er sie andererseits für intelligent genug erklärt hatte, die Spanier mittels Ansteckung vernichten zu wollen. Im übrigen hielt er die Timucuas auch für zu dumm, die spanische Sprache zu erlernen.

Aber Taliwa hatte genug von dieser Sprache mitgekriegt, um zu verstehen, welche neuerliche Untat von dem verhaßten Mann geplant wurde. Mit dem Ohr an der Tür hatte sie im Schlafraum des Kommandanten gelauscht. Als die Posten vor dem Stabsquartier abgelenkt waren, weil der Feldscher nach draußen trat, hatte sie die Gelegenheit genutzt, zu entwischen.

Sie hatte insofern Glück, weil der eine der beiden Posten gerade mit klappernden Zähnen und Schüttelfrost zusammengebrochen war. Und daraufhin hatte der Feldscher zusammen mit dem anderen Posten den offenbar kranken Mann hinüber ins Krankenrevier geschleppt.

Das Fenster des Schlafraums lag sowieso nach hinten heraus, und als sich alle Blicke in der Siedlung auf den Vorgang mit dem zusammengebrochenen Soldaten richteten, schlüpfte sie aus dem Fenster und huschte hinter den Hütten zu einem Baum, der unmittelbar an der übermannshohen Palisadenumzäunung der Siedlung stand.

Diesen Weg hatte sie schon lange vorher erkundet und auch bereits benutzt, wenn sie Shawano über irgendwelche Dinge, die sie erfahren hatte, Bericht erstattete.

Gewandt wie eine Katze kletterte sie an dem Stamm hoch, hangelte an einem Ast entlang über die Palisaden hinweg und ließ sich jenseits auf den weichen Untergrund fallen. Sekunden später war sie in dem Sumpfdickicht verschwunden.

Wiederum Minuten später huschte sie ungesehen in die Hütte des Häuptlings, der tief in Gedanken versunken mit gekreuzten Beinen auf einer Schilfmatte saß.

Er war ein weiser und kluger Mann, und er hatte bereits seit Tagen gespürt, daß sich für die Timucuas etwas Bedrohliches entwickelte. Das hing mit dem Sumpffieber zusammen, das sich in die Hütten der Timucuas geschlichen hatte. Aber ihm war auch nicht entgangen, daß die Feindschaft der spanischen Eindringlinge in der letzten Zeit noch bösartiger geworden war. Er hatte den Eindruck, daß den Timucuas die Schuld dafür zugeschoben wurde, daß die spanische Siedlung von der Krankheit nicht verschont geblieben war. An entsprechenden Bemerkungen, finsteren Blicken und drohenden Gebärden hatte es in letzter Zeit nicht gemangelt. Die kranken Männer des Stammes, die zur Arbeit getrieben wurden, waren noch grausamer und härter als sonst behandelt worden.

Aus allen diesen Anzeichen war Shawano klargeworden, daß sich die Situation des Stammes in gefährlicher Weise verschlimmert hatte und nach einer Lösung drängte. Er spürte, daß sie sich in einem Stadium befanden, das der Ruhe vor dem Sturm nicht unähnlich war. Irgend etwas würde passieren – etwas Furchtbares.

Aber was sollte er tun? Flucht war der einzige Ausweg, Flucht vor den Spaniern und Flucht vor dem tödlichen Fieber. Gab es noch eine andere Möglichkeit? Er sah keine. Der große, wuchtig gebaute Mann mit den schlohweißen Haaren und dem sorgenzerfurchten Gesicht hob den Kopf, als Taliwa wie ein Schatten in die Hütte schlüpfte. Taliwa verneigte sich demütig vor ihm.

„Setz dich, meine Tochter“, sagte er leise. „Du bist beunruhigt. Ich sehe es in deinen Augen. Du hast eine schlimme Nachricht, nicht wahr?“

„Ja.“ Und Taliwa berichtete dem Häuptling, was sie erlauscht hatte.

Er saß da mit unbewegtem Gesicht und hörte das Schreckliche. Er hatte es erwartet – nur nicht in dieser teuflischen Form. Aber es zwang ihn zu einer Entscheidung, die er hatte hinausschieben wollen, bis sich das Kräfteverhältnis zugunsten der Timucuas verändert hatte. Jetzt mußte er handeln, er durfte nicht länger abwarten.

Sie würden kämpfen müssen.

„Wie viele Soldaten sind krank?“ fragte er.

„Dreißig, sagte der weiße Medizinmann“, erwiderte Taliwa.

In Shawanos dunklen Augen blitzte es auf. Das waren mehr, als er erwartet hatte. Er würde an die siebzig Krieger aufbieten können. Damit waren sie in der Überzahl. Wenn sie listig und schnell wie die Schlangen angriffen, dann würde sich die Zahl der Soldaten noch einmal zu ihren Gunsten vermindern. Dann fielen auch ihre Feuerrohre nicht mehr ins Gewicht, ohne die sie schwächer als die Timucuas waren.

Und da war noch etwas, das Shawano günstig erschien. Da waren einige Spanier, die sich den geknechteten Timucuas gegenüber nicht feindlich gezeigt hatten. Sie waren freundlich gewesen und hatten nicht die Peitsche benutzt. Sogar Brot und andere Nahrung hatten sie den hungernden Timucuas heimlich zugeschoben. Shawano hatte den Eindruck gewonnen, daß sie ihren herrischen und grausamen Häuptling haßten oder verachteten. Sicher, sie waren in der Minderheit, aber es gab sie. Und sie würden sich vielleicht nicht wehren wollen, weil sie wußten, daß der Kampf der Timucuas eine gerechte Sache war.

Shawano nickte vor sich hin und sagte: „Danke, meine Tochter. Der weiße Teufel wird dich suchen, aber du wirst nicht mehr zu ihm zurückkehren, sondern dich hier verstecken. Du kennst die verborgene Erdhöhle bei der letzten Hütte. Verberge dich dort. Heute nacht wird sich alles verändern – dank deiner Hilfe.“

Taliwa erhob sich und verließ lautlos die Hütte. Später ging Shawano durch das Dorf, ruhig und gelassen wie immer. Er betrat die eine oder andere Hütte, wie er das in letzter Zeit immer getan hatte, seit das Sumpffieber wütete. Die vier spanischen Posten, die um das Dorf herum verteilt standen, beachteten ihn nicht weiter. Sie dachten, er schaue nach den Kranken.

Das tat er auch, aber dabei informierte er die alten Männer, die nicht zur Arbeit herangezogen worden waren, über den Plan, den er zum Überfall auf die spanische Siedlung entworfen hatte. Die alten Männer würden den Plan an die Krieger weitergeben, wenn sie am Abend von ihrer Fronarbeit ins Dorf zurückkehrten.

Es war, als ginge ein Aufatmen durch das Dorf.

Endlich! Endlich würde man das Joch abschütteln und wieder frei sein. Ja, es würde Opfer kosten, aber es war ihre letzte Chance, einem grausamen Schicksal zu entgehen.

Shawano hatte alles bedacht und geplant. Und sie waren mit seinem Plan einverstanden.

Der Mond stand in dieser Nacht nur als schmale Sichel am Himmel und spendete kein Licht. Nach Mitternacht stiegen von den Sümpfen Nebelschwaden auf und zogen über das Dorf und die Siedlung. Die schmale Mondsichel und die Nebelschwaden wurden zu Verbündeten der Timucuas – auch daran hatte Shawano gedacht.

Gleichfalls hatte er in den beiden ersten Stunden des neuen Tages oft genug beobachtet, wie die Wachtposten vom Schlafbedürfnis gepackt wurden und zum Teil sogar zeitweise einschliefen. Auch das spielte in seinem Plan eine Rolle.

So geschah es, daß etwa eine Stunde nach Mitternacht alle vier Posten, die um das Dorf herum verteilt waren, jäh und plötzlich überrumpelt wurden. Kaum war der Schrei eines Nachtvogels verklungen – den Shawano ausgestoßen hatte –, da wuchsen unmittelbar bei den vier Posten je zwei Krieger aus dem Boden oder tauchten aus den Schwaden wie Gespenster auf. Und bevor die Posten noch reagieren konnten, wurden sie umgerissen. Sekunden später lebten sie nicht mehr und verschwanden für immer im benachbarten Sumpf.

Der erste Schritt in die Freiheit war getan.

Wiederum eine Viertelstunde später ertönte der Schrei des Nachtvogels zum zweiten Male. Als er zu Ende war, überkletterten siebzig Krieger die Palisaden rund um die Siedlung, zum Teil hangelten sie an Pflanzenseilen hoch, deren Schlingen sie über die Spitzen der Palisaden geworfen hatten, zum Teil überwanden sie die Umzäunung mit Bambusleitern, die Shawano, wie die Pflanzenseile, von den Frauen und Mädchen in den ganzen letzten Stunden hatte herstellen und knüpfen lassen.

Eine Gruppe dieser Krieger, die in der Nähe des Tores zum Timucua-Dorf die Palisaden überwand und zu den Quartieren der Soldaten huschte, wurde von den Posten am Tor gesehen. Sie schossen sofort und alarmierten mit ihrem Brüllen die Siedlung.

Das Moment der Überraschung war nicht ganz gelungen, aber es irritierte die Timucuas nicht. Sie brauchten nicht mehr vorsichtig zu sein, und jetzt stürmten sie mit gellenden Schreien in die Hütten und Quartiere.

Der Kampf Mann gegen Mann begann, und er wurde von seiten der indianischen Krieger mit gnadenloser Härte geführt. Zu lange hatten sie Schimpf und Schmach und Demütigungen erduldet, zu häufig waren sie ausgepeitscht, getreten und geschunden worden. Jetzt schlugen sie zurück, und sie dachten dabei an den teuflischen Plan des Kommandanten, von dem Taliwa berichtete hatte. Der spanische Terror wurde beantwortet.

Don Angelo Baquillo gelang es nicht mehr, seine Truppe zum Gegenangriff zu formieren. Der Feind war in das spanische Lager eingedrungen, das Stabsquartier war innerhalb weniger Minuten von den anderen Gebäuden und Hütten abgeschnitten – und niemand hörte mehr auf das, was der Kommandant brüllte.

Und während die Soldaten einzeln und verzweifelt um ihr Leben kämpften, setzte sich der Kommandant mit seinem Stab heimlich ab. Das schafften sie, weil sich die beiden Posten vor dem Stabsgebäude erbittert zur Wehr setzten. Don Angelo Baquillo hatte ihnen die Tür vor der Nase zugeschlagen und von innen verriegelt, als er erkannte, daß etwa zwölf Krieger auf das Stabsgebäude zustürmten. Jetzt dienten ihm die beiden Posten als Puffer, während er mit seinem Stab hinter dem Gebäude durch ein Fenster die Flucht ergriff. Weil sich kein Krieger mehr bei den Palisaden befand, war dort der Weg frei. Der Kommandant und sein Stab retteten sich in die Sümpfe.

Dafür starben diese beiden Soldaten, die lange und tapfer kämpften, und zwar mit der Erbitterung der Enttäuschten, weil ihnen der Kommandant den Rückzug in das Stabsgebäude verriegelt hatte. Sie starben mit Flüchen auf den Lippen, die Don Angelo Baquillo galten. Dabei war das Stabsgebäude wie eine Festung ausgebaut worden. Es hätte von etwa zehn entschlossenen Männern durchaus verteidigt werden können.

Anders war das bei den Hütten und Quartieren. Deren Türen, so sie noch rechtzeitig verriegelt worden waren, zerbarsten wie Zunder, wenn sich nur ein Krieger dagegenwarf.

Der Mann, der sich mit soviel Zivilcourage dem Kommandanten widersetzt hatte – der Feldscher –, starb einen schnellen Tod, und zu spät erkannte der Krieger, dem er im Krankenrevier schlaftrunken und völlig übermüdet entgegentaumelte, daß dies einer der Spanier war, von denen Shawano gesagt hatte, man möge sie schonen.

Im Taumeln des Feldschers hatte der Krieger eine Angriffsabsicht gesehen und mit der Keule zugeschlagen. Dieser Krieger selbst war kurz darauf in den Degen eines Soldaten gerannt. Der Tod kümmerte sich nicht um Gerechte oder Ungerechte, um Gute oder Böse, um Christen oder Andersgläubige.

Etwa zwanzig Krieger überlebten den Angriff auf die spanische Siedlung nicht.

Fünf Spanier ergaben sich rechtzeitig, und es waren jene, von denen – außer dem Feldscher – der Häuptling gesagt hatte, man möge genau darauf achten, ob sie den Kampf aufnehmen wollten. Sie blieben also am Leben, weil sie der Häuptling schonen wollte, jedoch damit noch eine andere Absicht verfolgte.

Und am Leben blieben Don Angelo Baquillo sowie sein Stab, wie Shawaho erbittert feststellte, als er jeden einzelnen Toten in Augenschein nahm. Nur den Kommandanten entdeckte er nicht, aber das geöffnete Fenster im Hintertrakt des Stabsgebäudes und die verriegelte Tür in der Vorderfront, wo die Leichen der beiden Posten lagen. Er konnte Spuren lesen und daraus erkennen, was geschehen war.

Darum drängte er zur Eile, als die Siedlung in der Hand der Timucuas war.

Es hieß Abschied nehmen, und da spielten sich noch einmal Szenen ab, die neue Furchen und Runen in das zersorgte Gesicht Shawanos gruben. Es wurde zu einer Ruinenlandschaft, zu dem Gesicht eines Mannes, der Opfer brachte, um das Leben seines Stammes zu erhalten.

Denn die schwer an dem unheimlichen Fieber Erkrankten seines Stammes – die Sterbenden – hatten nach den ungeschriebenen Gesetzen des Stammes zurückzubleiben. Das war so Brauch. Auch die Alten gehörten dazu, und nie hatte jemand an der Weisheit dieser Gesetze gezweifelt – wurde doch das Leben weitergetragen, dorthin, wohin das Fieber nicht reichte.

Dennoch quälte sich Shawano, als er sich dem Gesetz beugte und befahl, sich zu trennen – um nun das Schiff zu bemannen, das sie von dem Ort des Grauens, aber auch des Sieges, forttragen sollte in ein Land, wo keine Sümpfe und keine Spanier waren.

Und dafür brauchte er die überlebenden und jetzt gefangenen Spanier, die wußten, wie man mit dem neuen Schiff an der Pier, der „San Donato“, umzugehen hatte. Auch diese Überlegung war in seinem Plan enthalten gewesen, der den letzten Teil ihrer Flucht bedeutete. Erst wenn sie sich aus der Bucht gelöst hatten, um das Fieber und die weißen Unterdrücker hinter sich zu lassen und dem neuen Land entgegenzusteuern, erst dann würde das Leben des Stammes gesichert sein.

Die Timucuas stiegen auf, das Schiff der Weißen – Männer, Frauen, Kinder und jene, die noch nicht zu den Alten zählten, aber sich auf der Grenze befanden – wie er selbst.

Jene, die ganz alt oder schwerkrank waren, verfolgten das Tun mit leuchtenden Augen. Sie hatten gelernt, dem Unabdingbaren ins Auge zu schauen. Sie lagen vor den Hütten, um Zeuge zu sein, wie das Leben des Stammes einen neuen Anfang nahm. Es würde den Abschied verklären, den Abschied, der so endgültig war wie der Tod. Sie jammerten nicht. Sie waren stolz, ihr letztes Schicksal auf sich zu nehmen, weil sie dazu beitrugen, das Leben des Stammes zu erhalten.

Shawano ging als letzter an Bord der „San Donato“, weil ihn die Lebenden brauchten und noch kein neuer Häuptling gewählt war. Aber er hatte zu den Menschen seines Stammes auch gesagt, daß man nicht aufgeben dürfe und durchhalten müsse. Jetzt durfte er nicht zurückbleiben und den Stamm einem ungewissen Schicksal überlassen. Er war der Häuptling, und er blieb es, bis sie neue Ufer erreicht hatten.

Als er an Bord ging, weinte sein Herz. Aber sein dunkles Gesicht mit den unzähligen Runen war eine steinerne Maske. Er ließ bei den Alten eine uralte Mutter zurück, die eigene Mutter. Sie hatte nur ein bißchen gelacht, als er noch einmal zu ihr zurückgekehrt war. Es war genau das Lachen gewesen, das klirrende Lachen, wie es die Timucuas auch bei ihm gehört hatten, wenn er ihnen zeigen wollte, daß sein Stolz und sein Trotz ungebrochen seien.

Gerade und aufrecht stieg Shawano auf das Achterdeck der spanischen Galeone, die „San Donato“ hieß. Was jetzt seinen Anfang nehmen sollte, war einzigartig im Dasein der Timucuas, wahrscheinlich im Dasein aller Indianer überhaupt: sie wollten sich auf die hohe See hinauswagen und die Küsten hinter sich lassen.

Richtig, sie waren keine Seefahrer, und wenn sie sich aufs Wasser gewagt hatten, um zu fischen, dann waren sie immer in Sichtweite der Küste geblieben. Aber noch nie waren sie einem unendlichen Horizont entgegengesegelt, einem Horizont, der, wohin sie auch blickten, nicht aufhörte. Er bildete die Grenze zwischen dem Himmel und der See – eine nicht faßbare Grenze, der man meinte, sich zu nähern, die aber dennoch immer weiter entrückte.

Es war ein unerhörtes Wagnis, auf das sich die Timucuas einließen, und Shawano wußte das. Von nun an, mit dem Hinaussteuern auf die See, war sein Plan nicht mehr berechenbar. Man übergab sich den Elementen auf Gedeih oder Verderb. Vielleicht waren sie den Timucuas wohlgesonnen, aber sie hatten oft genug vom Land aus erlebt, wie furchtbar die See werden konnte, wenn der Sturm sie aufwühlte und zum gigantischen Kochen zu bringen schien. Das alles lag in der Hand der Götter.

Allerdings war das Wagnis, das sie jetzt eingingen, nicht ganz hoffnungslos. Da wirkte sich das als Segen aus, was sie als Fluch empfunden hatten. Das hing mit der Fronarbeit auf der Werft zusammen. Die Krieger, die dort hatten arbeiten müssen, waren mehrere Male tätige Zeugen dessen gewesen, was dort entstand. Und sie hatten dabei gelernt. Vieles davon hatten sie abends im Dorf den anderen erzählt.

Die „San Donato“ war nicht das einzige Schiff, das durch ihrer Hände Arbeit von der Kiellegung bis zum Setzen der Masten und der Verspannung des Riggs entstanden war. Sie hatten an allen diesen Arbeiten teilgenommen – unter Zwang. Aber sie waren dabei auch neugierig gewesen und hatten aufgepaßt. Was bei dem ersten Schiff, an dem sie hatten mitbauen müssen, für sie wie ein Wunder gewesen war, hatten sie bei den weiteren Bauten mehr und mehr mit dem Verstand erfaßt.

Zuerst hatten sie sich dumm angestellt, weil sie nicht wußten, wie aus den unendlich vielen Teilen ein geschlossenes großes Ganzes, das Schiff, entstehen sollte, geplant für den Zweck, vom Winde vorangetrieben zu werden. Dabei hatte die verhaßte Peitsche ihren Lernprozeß beschleunigt. Je schneller sie begriffen und fähig waren, zu sägen, zu hobeln, zu nutzen oder auszustemmen und die Teile ineinanderzufügen, desto weniger brauchten die Peiniger die Peitsche einzusetzen, von der sie alle ihre Narben davongetragen hatten.

Ja, irgendwann hatten die spanischen Zimmerleute bestimmte Arbeiten ihnen überlassen, als erkennbar gewesen war, daß sie geschickte Hände hatten, aber auch den Verstand und die Einsicht in die komplizierten Vorgänge der Fertigung.

Mit gutem Recht konnte Shawano sagen, daß sie etwas vom Schiffsbau verstanden, denn das, was man selbst erbaut, das kennt man. Das Schiff war nichts Fremdes mehr für sie. Jetzt sollte es für eine ungewisse Zeit ihre Hütte sein, aber eine schwimmende, sich fortbewegende Hütte.

Nur – wie dieses Fortbewegen zu steuern war, davon verstanden die Timucuas nichts, noch nicht. Jetzt hing alles davon ab, ob die fünf Gefangenen bereit waren, ihnen zu helfen. Sie waren aus einem fernen Land über das große Wasser an die Küste der Timucuas gesegelt, also mußte ihnen der Umgang mit dem Schiff – sie nannten es Segeln – vertraut sein.

Shawanos Blick richtete sich auf die fünf Spanier, die mit gefesselten Händen auf dem Achterdeck standen, umringt von einigen Kriegern, die sich aus der Waffenkammer der Siedlung mit kurzen und langen Feuerrohren, mit Degen und Säbeln, Messern und Äxten versorgt hatten. Natürlich hatte Shawano auch Proviant und Trinkwasser an Bord schaffen lassen.

„Wollt ihr uns helfen?“ fragte Shawano ruhig. Er hatte genug Spanisch gelernt, um sich verständigen zu können. „Wir wollen diese Küste verlassen und ein neues Land für uns suchen – ein Land, wo keine Sümpfe sind und wir in Frieden leben können, in Frieden und in Freiheit.“

Sie hatten auf die Planken gestarrt und hoben jetzt die Köpfe. Deutliche Überraschung lag auf ihren Gesichtern, aber auch Mißtrauen.

Einer von ihnen, ein schlanker und kräftiger Mann mit einem energischen Gesicht – er hieß Marcos –, sagte: „Und wenn wir euch nicht helfen?“

In Shawanos Stimme klang verhaltener Zorn auf. „Euer Kommandant hatte geplant, die Kranken meines Stammes in den Stunden des neuen Tages zu ermorden. Er behauptete, sie hätten die Absicht, auch die Weißen anzustecken und zu vernichten. Dabei weiß jeder Timucua, daß das Fieber aus den Sümpfen kommt, aber nicht von dem einen auf den anderen übertragen wird. Es war ein wahnsinniger Plan, denn das Fieber hätte auch ohne die Ermordeten weiter gewütet. Man kann ihm nur entgehen, wenn man die Sümpfe verläßt. Gut, wenn ihr uns nicht helfen wollt, dann bleibt hier. Das Fieber wird auch euch packen und töten. Ihr habt die Wahl.“

„Bleiben wir eure Gefangenen?“ fragte Marcos.

„Wir sind keine Spanier!“ sagte Shawano scharf. „Und wir haben nicht die Absicht, jemanden zu unterdrücken, auszupeitschen, zu quälen oder zu mißbrauchen.“

Marcos preßte für einen Moment die Lippen zusammen, und sein Gesicht rötete sich.

Dann sagte er: „Ich habe verstanden. Gut, ich bin bereit, euch zu helfen. Ihr sollt erfahren, daß es auch andere Spanier gibt, obwohl ihr hättet merken müssen, daß wir nie gegen euch waren.“

Shawano lächelte flüchtig. „Wir wußten es, und darum seid ihr auch noch am Leben. Ich befahl, euch zu schonen, gebe aber zu, daß dies auch in der Absicht geschah, eure Erfahrungen für uns zu nutzen. Denn wir verstehen nichts vom Segeln. Wir sind auf eure Hilfe angewiesen. Trotzdem würden wir es allein versuchen, wenn ihr euch weigern solltet. Wie entscheiden sich deine vier Kameraden?“

Sie hießen Rafael, José, Domingo und Mariano und erklärten wie Marcos, den Timucuas helfen zu wollen. Innerlich atmete Shawano auf. Er war sich nicht sicher gewesen, ob die Spanier auf seinen Wunsch eingehen würden. Jetzt würde man einander vertrauen müssen. Dennoch war sich Shawano darüber im klaren, daß überhaupt nichts selbstverständlich war. Die Weißen hatten eine andere Denkart als die Timucuas. Er, Shawano, würde die fünf Spanier im Auge behalten – falls sie versuchen sollten, die Timucuas zu hintergehen.

Shawano befahl seinen Kriegern, die Fesseln der fünf Männer zu lösen.

Marcos rieb sich die Handgelenke und fragte: „Habt ihr eine Vorstellung, wohin ihr segeln wollt?“

„In Richtung des Sonnenuntergangs“, sagte Shawano bedächtig. „Von den Alten wissen wir, daß im Norden immer Land sein wird, ebenso soll weit in Richtung der untergehenden Sonne Land sein, dahinter aber wieder das große Wasser bis zur Unendlichkeit.“ Er lächelte verhalten. „Wir werden sehen, wohin uns die Windgötter leiten. Was würdest du vorschlagen?“

Marcos blickte den alten Häuptling offen an und erwiderte: „Im Norden, wo immer Land ist, könnten wir meinen Leuten begegnen, Shawano. Sie haben dort Stützpunkte wie in der Waccasassa Bay. Ich nehme an, daß du nicht die Absicht hast, sie zu treffen. Sie würden auch merken, daß du ein Schiff segelst, was dir nicht gehört.“

„Das Schiff wurde von den Timucuas erbaut“, sagte Shawano. „Das Holz, aus dem es ist, gehört niemandem, aber dennoch mehr den Timucuas als den Spaniern, weil wir hier leben, seit wir denken können. Ihr seid Fremde, die niemand gerufen hat. Dennoch tut ihr, als gehöre euch alles. Das einzige, was euch an dem Schiff gehört, sind die Segel, die Taue, die Nägel und die Feuerrohre. Wir haben kein schlechtes Gewissen, wenn wir sagen, daß dieses Schiff uns gehört. Aber es ist wohl zwecklos, daß wir uns jetzt darüber unterhalten. Du hast recht, wir wollen deinen Leuten nicht begegnen. Wir wollen unseren Frieden haben.“

„Dann ist es richtig, nach Westen in Richtung der untergehenden Sonne zu segeln“, sagte Marcos. Er nickte entschlossen. „Gut, dann sollten wir jetzt die Leinen loswerfen und die Segel setzen. Ich werde das Ruder übernehmen.“ Er drehte sich zu seinen vier Gefährten um. „Ihr müßt ihnen jetzt zeigen, was alles zu tun ist, um segelklar zu sein. Sie wissen es nicht, aber sie werden es lernen. Und ich glaube, sie werden schnell lernen. Nehmt euch vier, fünf Männer jeweils mit, wenn ihr zu den Rahen aufentert. Laßt nichts aus, was sie wissen müssen. Denkt daran, daß wir in einen Sturm geraten können, bei dem sie mitanpacken müssen, wenn wir alle überleben wollen. Sie müssen lernen, lernen, lernen – und ihr seid die Lehrmeister.“ Etwas leiser fügte er hinzu: „Ich halte das für eine gute Aufgabe, für sie etwas tun zu können. Und vergeßt nicht, daß wir eine Schuld abzutragen haben. Sie wurden von Baquillo und seiner verdammten Bande wie Tiere behandelt.“

Die vier Männer nickten. Sie waren ähnlicher Ansicht wie Marcos. Und sie hatten inzwischen aus den Worten des alten Häuptlings gespürt, daß er es ihnen gegenüber ehrlich meinte. Nein, er wollte sich keine Feinde schaffen, er wollte Freunde haben. So riefen sie den Kriegern zu, ihnen zu folgen. Sie verteilten sich über das Schiff, jeder mit einer Gruppe indianischer Männer um sich, und sie begannen zu erklären, zu zeigen, zu demonstrieren.

Eine halbe Stunde später glitt die „San Donato“, ein spanisches Schiff – nach Meinung der Spanier –, aber bemannt von indianischen Menschen, aus der Waccasassa-Bucht. Nur Fock und Besan waren gesetzt, das genügte zum Auslaufen und zum Manövrieren. Außerdem wollte Marcos nichts überstürzen. Die Galeone Ring auf Westkurs und verschwand im Dunkel der Nacht.

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9783954397761
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