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5.

Dieser Joseph Jelly war ein schrulliger, aber liebenswerter alter Kauz, und er stimmte sofort begeistert zu, als ihm Little Ross seinen verrückten Plan mit der Schenke auseinandersetzte. Noch mehr geriet er aus dem Häuschen, als er sah, welche Schätze aus der großen Jolle entladen wurden. Die Krone waren dann die drei Fässer mit dem erlesenen spanischen Rotwein. Daß diese drei Fässer von den Arwenacks nicht gerollt, sondern vorsichtig getragen wurden, verriet dem entzückten Gnom, daß hier Kenner am Werk waren, die darauf achteten, daß ein so edler Wein nicht durcheinandergeschüttelt wurde.

„Süperb, süperb!“ rief er ein ums andere Mal. „Kavaliere von Lebensart! Küß die Hand, Madame! Hatten Sie eine gute Reise?“ Er ging dazu über, die Ladys mit Handküssen zu beglücken und ihnen Komplimente zu sagen.

Es wurde wieder recht heiter. Die ergötzliche Freude des Gnoms übertrug sich auf die sechs Ladys und ihre drei Begleiter, und Hasard gewann den Eindruck, daß hier doch gute Ansätze für eine harmonische Gemeinschaft vorhanden waren, auch wenn es sich um Personen handelte, wie sie extremer nicht sein konnten: sechs ursprünglich sehr leichtfertige Frauenzimmer, zwei Neger, die Sklaven gewesen waren, ein Witzbold von Bootsmann und ein origineller Gnom. Bis auf Little Ross waren sie eigentlich alle irgendwie Außenseiter. Jetzt brauchten sie das nicht mehr zu sein. Sie konnten sich auf sich selbst besinnen und einen eigenen Lebensstil entwickeln, ohne jemandem untertan sein zu müssen.

Und dann kredenzte der Gnom seinen Begrüßungsschluck, den er im ersten Eifer über die Neuigkeiten und Pläne Little Ross’ völlig vergessen hatte. Er goß das Zeug, das wie Dünnmilch aussah, in kleine Bambusbecher, die er selbst hergestellt hatte.

Als die Becher verteilt waren, hob er seinen, krähte: „Willkommen bei Joseph Jelly!“ und kippte sich den Schnaps hinter die Binde.

Carberry, von Hasard an Bord bereits informiert, zog sofort grinsend nach, und als der Schnaps weg war, da war auch sein Grinsen weg. Er stand sekundenlang still und stumm und wie gelähmt und schien nach innen zu starren. Dann quollen seine Augen hervor, sein Gesicht färbte sich dunkelrot, er hob das Kinn, das die Arwenacks schon oft mit einem Hauklotz verglichen hatten – jetzt zitterte es bedrohlich –, und ein langes „Uaahhh!“ entrang sich seiner Kehle. Als nächstes wurde er von einem Husten erschüttert, wobei er sich zusammenkrümmte.

Hasard sprang ihm sofort bei und klopfte ihm den Rücken ab, denn jetzt litt der arme Carberry unter Atemschwierigkeiten und mußte mit Armbewegungen wiederbelebt werden. Natürlich nutzte Hasard die Gunst des Augenblicks und kippte seinen Schnaps unauffällig in den Sand.

„Hölle!“ ächzte Carberry, als die Explosion in seinem Inneren abebbte. „Ist der Kerl denn wahnsinnig?“ Er schüttelte sich, begann aber plötzlich zu grinsen – und sein Blick wurde etwas schielend.

„Fehlt dir was, Ed?“ fragte Hasard besorgt.

„Mir? W-was soll mir f-f-fehlen, S-sir?“ Carberry rülpste ungeniert. „N-noch n-n-nie so w-wohl ge-ge-fühlt, S-sir – hupps! Ha-hab nur ei-einen ge-ge-ge … hupps – … zwitschert.“ Er schielte noch beachtlicher, grinste noch dämlicher und schwankte, als stehe er im Sturm an Deck der „Isabella“. „Mä-mächtiger S-seegang b-bei die-diesem N-ne-bel“, murmelte er kopfschüttelnd.

„Sir, er ist volltrunken“, sagte der Kutscher indigniert. „Dieses Zeug muß die Wirkung eines ganzen Schnapsfasses haben. Ich rate dringend ab, daß wir davon trinken.“

„Verdammt, Kutscher“, knurrte Hasard und hielt seinen Profos fest, der jetzt unbedingt zu den Ladys wollte. „Wir können diesen Gnom doch nicht beleidigen und seinen Begrüßungsschluck ablehnen!“

„Brauchen wir auch nicht, Sir“, sagte der Kutscher. „Wir können das Zeug ja verdünnen – mit Saft oder Wasser. Wir sagen ihm einfach, daß wir so starken Schnaps nicht mehr gewohnt seien.“

„Gute Idee – Ed, sei friedlich …“

„Mö-möchte Bel-bella Isa k-k-küssen“, erklärte der Profos und zerrte an Hasard mit der Kraft eines Ackergauls, der bereits den heimischen Futtertrog in den Nüstern hat. Außerdem wurde er störrisch.

Hasard verfluchte sich. Da hatte er seinem Profos was schönes eingebrockt. Jawohl, es war seine Schuld, daß Ed jetzt voll wie eine Haubitze war und „Bella Isa“ küssen wollte.

„Ben!“ rief Hasard. „Sag dem Gnom, daß wir seinen Schnaps verdünnt trinken möchten. Er soll uns nicht böse sein, aber er sieht ja bei Ed die Wirkung, und der kann weiß Gott was vertragen.“

„Aye, Sir!“

„Wi-will zu Isa!“ krakeelte der Profos. „L-laß mi-mich los, du-du Fu-fuzzy-wuzzi!“ Offenbar erkannte er seinen Kapitän nicht mehr.

„Ja doch, gleich, Ed“, sagte Hasard hastig, „aber erst mußt du baden!“

„Wie-wieso?“

„Vorm Küssen ist das besser, Ed!“

„W-will nicht baden!“ brüllte der Profos. „W-will Bella kü-küssen …“

Big Old Shane und Ferris Tucker sprangen Hasard zu Hilfe, und zu dritt bugsierten sie den bezechten Profos ins Wasser, wo sich eine Art Schlacht entwickelte, weil Carberry partout nicht einsah, warum er baden sollte. Natürlich wurden Hasard, Old Shane und Ferris Tucker selbst klatschnaß. Außerdem empfing Ferris Tucker die Faust Carberrys aufs linke Auge, das sich sofort verfärbte und zuschwoll.

Als sie den Profos zum fünften Male untertauchten, wurde der plötzlich friedlich und zappelte nicht mehr. Als sie ihn schleunigst hochrissen, schnarchte er.

„Mann, Mann!“ Ferris Tucker stöhnte und betastete sein linkes Auge. „Dieser Affenarsch. Hätte der nicht früher einschlafen können?“

Old Shane grinste, warf sich den Profos über die Schulter und stampfte an Land. Ferris und Hasard wateten hinterher. Die Meute an Land war am Feixen.

Isabella, von Carberry „Bella Isa“ genannt, eilte herbei und legte Carberry, den Old Shane im Sand gebettet hatte, einen feuchten Umschlag um den Kopf. Carberry bedankte sich mit einem noch lauteren Schnarchen. Den feuchten Umschlag hatte der Kutscher angeordnet. Sonst fliegt ihm, wenn er aufwacht, der Schädel davon, hatte er erklärt.

Inzwischen war der Schnaps gewaltig verdünnt worden, zumal ihn Ben Brighton in größere und höhere Becher hatte umfüllen lassen, zusammen mit einer Flüssigkeit, die Joseph Jelly als Limonensaft bezeichnete und den Seewölfen vom Mittelmeer her bekannt war.

Der Kutscher hatte sich verwundert erkundigt, ob diese Citrusbäume denn hier anzutreffen seien. Er habe jedenfalls an der Küste von Florida noch keine gesehen. Daraufhin hatte der Gnom gekichert und erklärt, normalerweise gäbe es diese Bäume hier nicht. Aber er habe vor vielen Jahren von einem französischen Handelssegler Stecklinge erhalten und hier angepflanzt. Und siehe da – sie gediehen prächtig.

Wie dem auch sei – die Mannen und die Ladys fanden den gemischten Trunk herrlich erfrischend, und Hasard bedankte sich mit blumigen Worten für den vorzüglichen „Schnick“.

Little Ross empfahl er für künftige Gäste – mit Hinweis auf den schnarchenden Carberry –, denen diesen Mischtrank anzubieten.

„Ihr kriegt sonst garantiert Ärger“, sagte er warnend.

„Aber Joseph Jelly hat seinen Schnaps ohne sichtbare Wirkung heruntergekippt“, meinte Little Ross.

„Der ist ihn gewohnt“, sagte Hasard. „So was soll’s ja geben.“

Inzwischen hatte Joseph Jelly den Ladys seine Hütte gezeigt und großzügig erklärt, sie könnten dort einziehen und sich häuslich niederlassen. Natürlich werde er nicht bei ihnen schlafen, denn er sei ein Mann von Ehre, der die Formen zu wahren wisse.

„Wir werden noch mehr Hütten bauen“, sagte Joseph Jelly und gurgelte einen aus seiner Schnapsflasche, „feine Hütten mit Blick auf die Bucht. Auch eine Badestelle werden wir einrichten, damit sich die Damen erfrischen können.“ Er deutete mit seinem Krückstock zu einem Trampelpfad hinter der Hütte, der in das Schilfdickicht führte. „Dort seid ihr in drei Minuten an einem kleinen Süßwassersee, der von einer Quelle gespeist wird. Ich werde euch das alles zeigen – Joseph Jellys Reich, das ihr erben werdet, wenn mein letztes Stündlein geschlagen hat.“

„Nicht doch, Joseph“, sagte Ilaria warmherzig. „Dieses Stündlein ist noch viele Jahre entfernt. Weißt du denn, wie alt du bist?“

Joseph Jelly kicherte. „Bei fünfzig habe ich aufgehört zu zählen. Man vergißt die Zeit, wenn man hier lebt. Sie wird unwichtig. Na ja, manchmal fühle ich mich etwas allein. Aber jetzt seid ihr ja da.“

Hasard war zu ihnen getreten und fragte: „Sind hier nie Indianer aufgetaucht, Monsieur Jelly?“

Der Gnom schüttelte den Kopf. „Selten. Sie meiden das Große Wasser, wie sie es nennen. Vielleicht haben sie auch eine Scheu vor den Stürmen, von denen die See aufgepeitscht wird. Nein, sie sind keine Seefahrer und daher auch keine Menschen, die an der Küste leben wollen. Dafür kennen sie sich um so besser drinnen im Land in den sumpfigen Urwäldern aus. Ich habe nie Ärger mit ihnen gehabt.“ Er kicherte wieder. „Sie denken, ich sei selbst einer. Aber ich bin keiner! Ich bin Franzose reinsten Geblüts, jawohl! Mein Vater war der Graf de Jelly, das kannst du mir glauben, Sir. Kennst du ihn zufällig?“

Hasard bedauerte, den Grafen de Jelly leider nicht zu kennen, und fügte artig hinzu, daß es ihn aber ganz besonders freue, wenigstens den Sohn des Grafen kennengelernt zu haben. Dabei war allzu deutlich, daß Joseph Jelly ein Kreole war, der aber eben ein „Franzose reinsten Geblüts“ sein wollte. Da schien er einen kleinen Tick zu haben. Immerhin bemühte er sich mit einem geradezu fanatischen Eifer, den Kavalier mit den vollendeten Formen zu spielen. Der Teufel mochte wissen, von wem er den Handkuß, den Kratzfuß oder das Ziehen des Hutes gelernt hatte. Zusätzlich war das, was er über die unwichtige Zeit gesagt hatte, fast philosophisch.

Vorsichtig fragte Hasard: „Segeln viele Spanier hier vorbei, Monsieur de Jelly?“ Er setzte das „de“ bewußt vor den Namen.

Der Gnom erstrahlte. Er hatte es registriert. Dann zog er Hasard von der Hütte weg. „Die Damen brauchen das nicht zu hören“, wisperte er.

Als sie außer Hörweite der Hütte waren, die jetzt von den Ladys mit Gekicher und Gegacker in Besitz genommen wurde, sagte Joseph Jelly: „Es werden immer mehr Spanier, die hier vorbeisegeln, Sir. Leider, denn sie nehmen keine Rücksicht auf die Indianer. Seit der Bastard de Soto hier vorbeizog und mordete und niederbrannte, hat sich nichts geändert. Ich hasse diese Hundesöhne, muß mich aber mit ihnen arrangieren. Manchmal fahre ich mit meinem Boot nach Tampa hinauf, um dort einzukaufen, was ich so brauche. Es ist ja nicht viel. Ich bin jedesmal froh, wieder hierher zurückzukehren. Die Erde ist groß genug, Sir, und wir alle haben Platz auf ihr. Aber sie spielen sich auf, als gehöre ihnen alles. Und wo andere vor ihnen waren, da werden sie vertrieben oder ausgerottet.“ Die dunklen, alten Augen starrten zu Hasard hoch. „Du weißt das, Sir?“

„Ja, ich weiß es“, erwiderte Hasard, „und ich weiß, daß das alles den Keim des künftigen Unfriedens birgt.“ Und erbittert sagte er: „Sie sind alle verrückt nach den Schätzen, die in der Neuen Welt gefunden wurden. Ich bin Engländer. Auch in meinem Land sind Menschen, die an diesen Schätzen teilhaben wollen, aus rein egoistischen Gründen. Sie wollen sich die eigenen Taschen vollstopfen. An die Armen, an das Volk, denken sie nicht. Ja, ich weiß das alles“, er spuckte in den Sand, „als Freibeuter Ihrer Majestät der Königin von England, ausgestattet mit einem Kaperbrief, der mich ermächtigt, die Dons auszuplündern, wo und wann ich sie treffe. Ich, Philip Hasard Killigrew, von Ihrer Majestät zum Ritter geschlagen, plündere die Spanier aus, die wiederum ihrerseits kräftig dabei sind, in der Neuen Welt zu plündern und ihre Beute nach Spanien zu bringen. Und dort? Dort wird nicht das Volk glücklicher, sondern da werden gewisse Hände einiger weniger immer schmutziger, aber ihre Privatkassen füllen sich dabei. Ich bezweifele heute sogar, daß der König seinen Beuteanteil erhält. Dieser Mann hat längst nicht mehr die Macht, seine Beamten zu kontrollieren. Ich bin überzeugt, daß sie ihn betrügen. Bereits der Kapitän, der mit der Schatzfracht in seiner Galeone von hier nach Spanien zurücksegelt, betrügt seinen König und zweigt von der Beute etwas für sich ab. Aber bleiben wir bei mir, der ich ja auch plündere.“ Hasard fluchte vor sich hin. „Soll ich meine Beute vielleicht an irgendeine Küste der Neuen Welt zurückbringen, dort deponieren und den Eingeborenen sagen – irgendwelchen Eingeborenen –, das gehöre von Rechts wegen ihnen? Ein Unding! Mann, ich weiß auch bald nicht mehr, für was ich meine Haut zu Markte trage – nein, ich bin unwichtig: meine Männer riskieren jedes Mal ihr Leben, wenn wir an die Spanier geraten – oder an die Schnapphähne, die sich in der Karibik wie Aasfresser versammelt haben. Da frage ich mich wirklich: wozu das alles?“

Dieser alte Gnom hatte aufmerksam zugehört. Jetzt grinste er so ein Bißchen aus den Augenwinkeln heraus.

„Sir“, sagte er. „Was Gutes hast du schon getan. Du hast mir diese Huren gebracht!“

Hasard schnappte nach Luft.

„Nur sind es keine Huren“, fuhr der Gnom fort, „keine von ihnen, auch wenn sie dieses Gewerbe mal ausgeübt haben. Ich habe sie mir genau angeschaut, eine wie die andere. Das sind Weiber, die nichts weiter als einen ordentlichen, anständigen Kerl brauchen. Jawohl, nichts weiter. Und das sage ich dir! Ich werde höllisch aufpassen, welchen Kerl sie sich über kurz oder lang angeln. Da kannst du dich auf den alten Jelly verlassen. Zwei werde ich sowieso morgen oder übermorgen bereits trauen: Little Ross und dieses Schlachtroß, das Dolores heißt. Die passen zueinander wie der Korken auf die Flasche. Gut. Mal sehen, was die beiden Schwarzen so herzeigen. Im Moment scheinen sie noch verstört zu sein. Aber sie sind aus gutem Holz geschnitzt – aus schwarzem Holz, wobei ich auf die Farbe einen Scheiß gebe, Sir. Hierauf kommt’s an!“ Und er klopfte auf die Herzstelle. „Aber weiter: wenn es mir gelingt, für die drei anderen Damen das Gegenstück zu finden, dann werden wir hier eines Tages sechs Familien haben.“ Jetzt grinste der alte Halunke ganz offen. „Meinst du, die bleiben unfruchtbar? Nein, sie werden Kinderchen zeugen, alle sechs Paare. Und so wächst diese kleine Gemeinschaft – und ich werde der Urgroßvater sein, der allen den Marsch blasen wird, wenn sie Unrechtes tun. Also wird an dieser Stelle dieser Erde – in Sarasota – ein Völkchen leben, das in sich gesund ist. Verstehst du, was ich meine?“

„Ja“, erwiderte Hasard verhalten, obwohl er überrascht war, daß diesem Gnom etwas Ähnliches vorschwebte wie ihm selbst mit der Schlangen-Insel und Coral Island, jene Insel, wohin vielleicht Tamaos Stamm der Timucuas übersiedeln würde, um dort unabhängig und autonom ein neues Leben zu beginnen.

Der alte Jelly blickte ihn aufmerksam an. „Du bist skeptisch, wie?“

Hasard zwang sich zu einem Lächeln und schüttelte den Kopf.

„Skeptisch nicht“, sagte er, „nur nachdenklich. Man will etwas Neues anfangen, das besser sein soll als das Bisherige. Dazu braucht man viel Geduld, aber auch die Kraft, sich durchzusetzen und die anderen zu überzeugen. Man wird für seine Ziele auch kämpfen müssen. Und stets wird man mit der Frage konfrontiert, ob sich der Einsatz lohnt. Aber lassen wir das, darüber könnte man stundenlang sprechen. Ich wünsche euch jedenfalls für Sarasota alles Gute.“

Es wurde ein bewegter Abschied, und die Ladys ließen es sich nicht nehmen, an die Arwenacks Küßchen zu verteilen. Auch Hasard blieb nicht ungeschoren. Nur der Profos hatte nichts davon, es sei denn, er träumte von hübschen Englein, die ihn herzten und kosten. Aber das war unwahrscheinlich, denn dann hätte er wie ein Kater behaglich schnurren müssen. Statt dessen klang es, als hantiere jemand in einem tiefen Keller mit schweren Eisenketten, denen er offenbar mit einer Säge zu Leibe ging, denn es rasselte, dröhnte, kreischte und schepperte.

„Das ist bald nicht mehr mit anzuhören“, beschwerte sich Ferris Tucker, der sowieso mit seinem linken Auge geschädigt war. „Man sollte ihm was ins Maul stopfen, diesem Schnarchsack!“

„Dann erstickt er“, sagte der Kutscher.

„Der doch nicht“, brummte Ferris Tucker. „Einer, der unter Wasser einpennt, erstickt nicht. Der bringt’s auch fertig und atmet durch die Ohren. Dieser Profos ist ein Monster, jawohl!“

Unter Gelächter wurde der Profos in die große Jolle bugsiert, wo er achtern die ganze Plicht ausfüllte. Die Bodenbretter wirkten als Resonanzboden, was das Schnarchkonzert ungemein verstärkte.

„O Heiland!“ murmelte der Schiffszimmermann und stieg in die kleine Jolle, um dem Profos so fern wie möglich zu sein. Dabei wußte jeder, daß der Schiffszimmermann und der Profos ein Herz und eine Seele waren, auch wenn sie sich oft genug die wüstesten Grobheiten sagten.

Die Arwenacks kehrten mit den beiden Booten zur „Isabella“ zurück. Eine Viertelstunde später wurde der Anker gehievt. Die Galeone lief hart am Wind aus der Bucht, die sechs Ladys und die vier Männer winkten und hörten als Gegengruß ein donnerndes „Ar-we-nack“. Dann ging die „Isabella“ auf nördlichen Kurs.

6.

Zu diesem Zeitpunkt am frühen Nachmittag, als die „Isabella“ Sarasota verließ, bahnte sich weiter nordwärts etwa 125 Meilen entfernt an der Westküste Floridas ein Drama an.

Ort des Geschehens war die Waccasassa Bay, wo die Küste auf etwa zehn Meilen Länge fast genau in Ost-West-Richtung verlief, wobei die Bucht den Ostpunkt und die kleine Inselgruppe der Cedar Keys den Westpunkt bildeten.

Entgegen der Annahme Joseph Jellys, daß die Indianer die Küsten mieden, lebten hier welche – zwar keine Seminolen, aber Timucuas, genauer: der kleine Stamm, zu dem Tamao und Asiaga gehörten.

Richtig an Joseph Jellys Aussage war allerdings seine Bemerkung gewesen, daß die Spanier die Einheimischen unterjochten oder gar ausrotteten.

Unterjocht war Tamaos Stamm bereits. Neben ihrem Dorf an der Waccasassa Bay hatten die Spanier eine Siedlung angelegt und eine Werft errichtet, dies allerdings nicht durch eigener Hände Arbeit, sondern die Timucuas waren von ihnen zum Frondienst gepreßt worden. Das heißt, die Spanier lebten wie die Maden im Speck und ließen sich von den Timucuas bedienen. Die nahezu einzige Tätigkeit – so man in diesem Falle überhaupt von Tätigkeit sprechen konnte – bestand seitens der Spanier darin, die Timucuas zu bewachen.

Allerdings resultierten aus dem Wachdienst andere Nebentätigkeiten wie Anbrüllen, Antreiben, Auspeitschen oder gar Totschlagen. Die Skala der Gewaltausübung ist ja sehr breit, und Don Angelo Baquillo, der Kommandant der spanischen Siedlung, war da ohne jegliche Skrupel, zumal er die Indianer nicht als Menschen, sondern als Ungeziefer einstufte. Daß er trotz dieser Auffassung hübsche Indianermädchen zwang, ihm Liebesdienste zu leisten, erschütterte ihn nicht weiter.

Das Leben der Timucuas war nur noch ein Dahinvegetieren. Ihre Ernten wurden von den Spaniern beschlagnahmt, ihr Vieh abgeschlachtet. Neben dem Ackerbau hatten sie früher Fischfang betrieben, aber das konnten sie nicht mehr, weil ihnen die Spanier die Boote zerstört hatten, mit denen sie möglicherweise hätten fliehen können. Tatsächlich war ja auch Tamao mit seiner Asiaga in einem Boot geflohen, das er gestohlen hatte.

In dem Dorf lebten noch an die zweihundert Männer, Frauen, Kinder und die Alten. Vor der Ankunft der Spanier war der Stamm größer gewesen. Dennoch waren sie immer noch in der Überzahl, denn die spanische Siedlung beherbergte an die sechzig Mann – fast alles Soldaten mit Ausnahme von ein paar Schiffsbauhandwerkern, Seilern und Segelmachern. Denn auf der Werft an der Waccasassa Bay sollten Schiffe gebaut werden – billig natürlich, was wiederum bedeutete, daß man die Indianer für sich arbeiten ließ und zum Schiffsbau preßte, ohne sie zu bezahlen. Als Lohn erhielten sie die Küchenabfälle, die ihnen vor die Füße gekippt wurden.

Don Angelo Baquillo konnte sich rühmen, für Spanien die billigsten Galeonen zu bauen, die je auf Stapel gelegt worden waren. Auch das Holz kostete ihn nichts. Das mußten die Timucuas etwas weiter im Landesinneren schlagen und zur Bucht transportieren, wo die Rinde abgeschält und die Hölzer nach Bedarf zugeschnitten wurden.

Erst vor einer Woche war wieder eine Galeone, die „San Donato“, vom Stapel gelaufen und lag nahezu fertig aufgeriggt und getakelt an der großen Holzpier der spanischen Siedlung.

Daß die Timucuas unter ihrem an die sechzig Jahre alten Häuptling Shawano noch nicht gegen ihre spanischen Unterdrücker revoltiert hatten, hatte verschiedene Gründe. Zunächst waren sie kein durchaus kriegerisches Volk und zu plötzlich mit der gnadenlosen Härte der spanischen Eroberer konfrontiert worden – mit kriegserfahrenen Konquistadoren, deren Bewaffnung sie nichts entgegenzusetzen hatten. Sie hatten auch Angst vor den langen Donnerrohren gehabt, die Feuer ausspuckten, das Blei und Eisen enthielt. Und als sie begriffen, wem sie ausgeliefert waren, da wurde ihr Aufbäumen blutig und erbarmungslos niedergeknüppelt. Und jetzt siechten sie dahin, schleppten sich zu den Arbeiten, die ihnen diktiert wurden, und waren froh, nachts auf ihre Lager niedersinken und alles vergessen zu können. Der Hunger höhlte sie aus und ließ sie apathisch werden.

Nur der weißhaarige Shawano gab nicht auf und ließ sie hoffen. Er war unbeugsam. Manchmal lachte er – ein klirrendes Lachen, das an die Waffen der Spanier erinnerte. Aber sein Trotz sprach daraus. Und er ließ sie wissen, daß der Tag kommen werde, an dem sie wieder frei sein würden. Vielleicht hatte Shawano eine große Medizin, dachten sie.

Dann allerdings hatte ein anderer Feind zugeschlagen, ein Feind, der unsichtbar blieb, aber noch grausamer und teuflischer als die Spanier war. Merkwürdigerweise blieben aber auch die Spanier von ihm nicht verschont, ja, es schien fast, daß sie härter als die Timucuas betroffen wurden.

Im Dorf der Timucuas und in der Siedlung der Spanier ging das Sumpffieber um, jener unheimliche Feind, der stets auf die gleiche Weise mordet. Denn immer werden seine Opfer von Schüttelfrost befallen, die Haut wird kalt, die Lippen und Nägel färben sich blau, der Kopf schmerzt, und unter der Brust setzen Stiche ein. Danach verliert sich die Kälte, und Hitze folgt, die blasse Haut färbt sich rot, die Schmerzen im Kopf nehmen zu. Erst nach dem Schweißausbruch wird alles wieder besser, nur furchtbaren Durst hat man.

Ja, das war der Anfang, nach dem man sogar schlafen konnte. Aber wen der Feind in den Krallen hatte, den ließ er nicht mehr los. Immer wieder erlitt das Opfer diese Kälte- und Hitzezustände, und es wurde schwächer und matter bis zur völligen Entkräftung, die den Tod im Gefolge hatte. Und alle stöhnten sie unter den Schmerzen, die sie über dem Leib empfanden, wo bestimmte Stellen immer dicker wurden.

Als der unheimliche Feind mit seinen Morden begonnen hatte, da hatte Shawano erklärt, daß es nur einen Weg zur Rettung gäbe, nämlich die Flucht. Das war von den Alten überliefert worden, die gesagt hatten, man müsse beim Auftreten dieses wechselnden Fiebers in eine andere Gegend ziehen. Vor allem müsse man die Sümpfe meiden, denn das sei der Platz, wo der unsichtbare Feind lauere.

Aber sie konnten nicht fliehen, weil sie von den Soldaten Tag und Nacht bewacht wurden.

Shawano biß die Zähne zusammen und sagte, bald würde alles vorbei sein. Man könne das sogar berechnen, denn eins stehe fest: die Zahl der Soldaten würde eher vermindert sein als die Zahl der Timucuas, denn sie erlagen dem Feind schneller als die Timucuas. Zwanzig Tote hatte es auf beiden Seiten bereits gegeben, aber darunter waren zwölf Spanier gegenüber acht Timucuas.

Jetzt waren an die fünfzig Timucuas erkrankt und litten an dem Fieber. Wie viele es bei den Spaniern waren, wußte Shawano nicht, obgleich er Taliwa beauftragt hatte, zu versuchen, das herauszufinden.

Don Angelo Baquillo, der Kommandant, hatte sich zum nächtlichen Zeitvertreib die junge hübsche Taliwa in sein Stabsquartier geholt. Tagsüber erging es ihr nicht besser. Sie hatte die Räume sauber zu halten, seine Kleidung und Stiefel zu putzen, den Fußboden zu scheuern und jeden seiner Wünsche zu erfüllen. Wenn ihm etwas nicht paßte, züchtigte er sie mit einer Lederpeitsche. Ihr Haß auf diesen Mann, der sie entehrt hatte und täglich demütigte, war grenzenlos. Eines Tages würde sie die Quälereien nicht mehr ertragen und ihn umbringen, obwohl Shawano sie vor einem solchen Schritt gewarnt hatte, der unabsehbare Folgen für die Timucuas haben würde – für alle.

Das alles wurde jedoch von einer Stunde zur anderen gegenstandslos, und zwar gegen Mittag des 12. September, als Don Angelo Baquillo seinen Stab zu einem Befehlsempfang in seinem Quartier zusammenrief, darunter auch den Feldscher.

Wie stets bei solchen Anlässen hatten die Señores zu stehen, nebeneinander ausgerichtet natürlich, während er vor ihnen wie vor einer Front auf und ab marschierte, die Hände auf dem Rücken.

Er war ein stämmig gebauter Mann in Kürbishosen, die in langschäftigen Stiefeln steckten. Eine Schärpe verdeckte seinen Bauchansatz. Bestimmend in seinem harten Gesicht waren der schwarze Schnauzbart und die kalten Augen, die er jetzt auf den Feldscher richtete, vor dem er stehen blieb.

„Neue Krankheitsfälle?“ fragte er kurzangebunden.

„Vier, Señor Kommandant“, erwiderte der Feldscher.

„Damit erhöht sich die Zahl der Kranken auf wieviel?“ Don Angelo Baquillo wippte auf den Fußballen. Er stellte die Frage, als hake er auf einer Liste irgendwelche Nummern ab, nicht Menschen, nein, Nummern.

„Von sechsundzwanzig auf dreißig, Señor Kommandant.“

„Verfassung derselben?“

„Leichte bis schwere Fälle“, sagte der Feldscher. „Etwa zehn dürften noch bedingt dienstverwendungsfähig sein.“

„Bedingt – bedingt!“ schnarrte Don Angelo Baquillo. „Entweder sind sie verwendungsfähig oder nicht. Ich wünsche klare Antworten. Also?“

„Nicht verwendungsfähig“, sagte der Feldscher verbissen. „Und zwar wegen körperlicher Schwäche.“

„Schlappschwänze“, sagte Don Angelo Baquillo verächtlich. „Sollen sich gefälligst zusammenreißen, die Kerle!“ Seine kalten Augen durchs bohrten den Feldscher. „Mir scheint, Sie verkennen Ihre Aufgabe, mein Lieber. Aber ich will sie Ihnen gern noch einmal erklären. Sie besteht schlicht und einfach darin, die sogenannte körperliche Schwäche dieser Kerle zu ignorieren. Soldaten haben hart zu sein, verstanden? Infolgedessen werden die zehn Kerle wieder zum Dienst eingeteilt, auch wenn sie mit den Zähnen klappern. Wahrscheinlich wird da nur ein Anfall vorgetäuscht. Die Kerle wollen sich im Krankenrevier auf die faule Haut legen, das ist alles.“

„Damit sind die zehn Männer zum Tode verurteilt“, sagte der Feldscher gepreßt.

„Na und? Wir müssen alle mal sterben. Ende der Debatte. Verbitte mir solche rührseligen Bemerkungen.“ Der Kommandant nahm seine Wanderung wieder auf und kaute auf seinem Schnauzbart herum. Nach einer Weile blieb er vor dem Adjutanten stehen.

„Wie viele Krankheitsfälle bei den Timucua-Bastarden?“

„An die fünfzig, Señor Kommandant“, erwiderte der Adjutant, ein Teniente, und fügte beflissen hinzu: „Die fünfzehn männlichen Subjekte, die darunter sind, arbeiten natürlich gemäß Ihrer Order wie bisher weiter – bis sie umkippen. Wenn sie die Peitsche spüren, werden sie wieder munter.“

„Sehr gut. Vielleicht sollten wir diese Methode auch bei unseren Kerlen einführen.“ Sein kalter Blick wanderte zu dem Feldscher.

„Da werden sich die Timucuas aber freuen“, sagte der Feldscher ungerührt, „ganz abgesehen von der Wirkung auf unsere Leute. Im übrigen möchte ich darauf hinweisen, daß keiner unserer kranken Soldaten simuliert. Sie haben alle die typischen Anzeichen des Wechselfiebers. Ich kenne keinen Menschen, der kraft des eigenen Willens plötzlich in der Lage wäre, seinen Lippen und Nägeln eine blaue Farbe zu verleihen und die eigene Haut blaß und kalt werden zu lassen.“

Der Kommandant kniff die Augen zusammen. „Wollen Sie mich belehren, Mann?“

„Als Arzt habe ich die Pflicht, Ihnen meinen Standpunkt über den Zustand Ihrer Soldaten mitzuteilen.“

„An!“ Der Kommandant begann wieder auf den Fußballen zu wippen. „Dann haben Sie doch mal die Güte, mir mitzuteilen, woher dieses Fieber stammt.“

„Das ist noch nicht geklärt“, sagte der Feldscher. „Die Italiener nennen es ‚mala aria‘, also ‚schlechte Luft‘. Es tritt bei ihnen in den Sumpfgegenden auf, daher spricht man auch von Sumpffieber. Da wir hier ebenfalls Sümpfe haben, vermute ich, daß die Krankheitsfälle darauf zurückzuführen sind.“

„Alles Quatsch“, erklärte Don Angelo Baquillo. „Ich werde Ihnen sagen, wer oder was diese Krankheit hervorruft, und zwar nicht Ihre Sümpfe – das ist reine Faselei –, sondern diese stinkenden Timucua-Hunde, die haben den Teufel im Leib und stecken uns an! Da verschlägt’s Ihnen die Sprache, wie?“

„Kann man wohl sagen“, erwiderte der Feldscher trocken. „Wenn dem so ist, dann sollten Sie sich schleunigst von Ihrer Geliebten trennen, die hat Ihnen den Teufel im Leib vielleicht schon angehext. Wollen Sie dann auch mit der Peitsche zum Dienst angetrieben werden?“

Don Angelo Baquillo zuckte zurück und wurde weiß im Gesicht.

„Hüten Sie Ihre Zunge, Feldscher!“ zischte er. „Sonst könnte es passieren, daß sie sich als Sträfling und in Ketten auf einer Galeere wiederfinden. Ich bin nicht gewillt, solche frechen Reden zu dulden. Das grenzt bereits an Meuterei.“

„Schon verstanden, Señor Kommandant“, sagte der Feldscher, ohne eine Miene zu verziehen. „Haben Sie Beweise dafür, daß das Fieber von den Indianern auf uns übertragen wird?“

„So etwas weiß man!“ schnarrte Don Angelo Baquillo von oben herab.

„Ah ja! Und dabei nehmen sie das Risiko auf sich, auch sich selbst anzustecken, nicht wahr?“

„Das tun diese Bastarde nur, um sich vor der Arbeit drücken zu können“, wurde er von Don Angelo Baquillo belehrt.

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