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Empfehlenswerte religionsethnologische Monografien

Es handelt sich bei dieser Liste erneut um eine sehr persönliche Auswahl. Es ist heute nicht mehr möglich, einen Überblick über alle Neuerscheinungen zu bewahren. Die Liste enthält daher neben einigen klassischen religionsethnologischen Werken neue Studien, auf die ich in den letzten Jahren aufmerksam wurde oder auf die ich von Kollegen und Freunden aufmerksam gemacht wurde.

Allen, Catherine J. 2003 (1988). The Hold Life Has: Coca and Cultural identity in an Andean Community. Washington/London: Smithsonian Institution.

Es handelt sich hierbei um eine ethnografisch sehr detailgenaue Studie eines Dorfes im Hochland Perus, die deutlich die Verbindung zwischen Ritualen und Identität und Dorfzusammenhalt illustriert. Religion wird hier nicht als abstraktes System vorgestellt, vielmehr beschreibt die Autorin Rituale, die eine zentrale Bedeutung für die Runa-Identität in Peru haben.

Behrend, Heike. 1993. Alice und die Geister. Krieg im Norden Ugandas. München: Trickster.

Im Mittelpunkt steht eine religiöse Bewegung, die 1986 in Uganda aktiv in den Bürgerkrieg eingriff. Auslöser war eine junge Frau, die auf Befehl des christlichen Heiligen Geistes zu agieren vorgab. In dem Buch werden neben der Vorstellung der Bewegung vor allem deren Verwobenheit mit dem Krieg besprochen. Es ist somit insgesamt eine ungewöhnliche und gleichzeitig überaus aktuelle religionsethnologische Studie.

Bennett, Lynn. 1983. Dangerous Wives and Sacred Sisters. Social and Symbolic Roles of High-Caste Women in Nepal. New York: Columbia University Press.

Diese ethnografisch sehr detaillierte Studie über Hindu-Frauen in einem Dorf in Nepal beinhaltet eine interessante Mythen- und Symbolanalyse sowie eine verwandtschaftsethnologische Studie, und ist somit für verschiedene ethnologische Bereiche geeignet.

Brown, Karen McCarthy. 2001 (1991). Mama Lola: A Vodou Priestess in Brooklyn. Updates and Expanded Edition. (Comparative Studies in Religion and Society; 4) Berkeley/Los Angeles: University of California Press [2000 bei der Europäischen Verlagsanstalt auf Deutsch erschienen].

Diese Biografie einer Vodou-Priesterin bietet einen interessanten und überaus persönlichen Einblick in den haitianischen Vodou. Obwohl nicht die Religion an sich dargestellt wird und andere Bücher zu Vodou hinzugezogen werden sollten, ist dies ein sehr gutes Beispiel einer religionsethnologischen Studie und sehr zu empfehlen.

Capone, Stefania. 1999. La quête de l’Afrique dans le candomblé. Pouvoir et tradition au Brésil. Paris: Karthala [erscheint 2009 auf Englisch unter dem Titel: Searching for Africa in Brazil. Power and tradition in Candomblé].

Capone, Stefania. 2005. Les Yoruba du Nouveau Monde. Religion, ethnicité et nationalisme noir aux États-Unis. Paris: Karthala.

Die Autorin präsentiert in ihrem ersten Buch eine eindrucksvolle Beschreibung der afrobrasilianischen Religion Nagô-Candomblé und diskutiert darin u. a. die Frage nach Authentizität und Originalität. In ihrem zweiten Buch folgt sie dann der Religion und beschäftigt sich mit der Ausbreitung der von Yoruba abstammenden Religion in den USA. Beide Bücher bieten eine eindrucksvolle Einsicht in die Dynamik afroamerikanischer Religionen.

Geertz, Clifford. 1960. The Religion of Java. Illinois: The Free Press of Glencoe.

Geertz, Clifford. 1968. Islam observed: Religious Development in Morocco and Indonesia. New Haven/London: Yale University Press, [auf Deutsch 1988 unter dem Titel Religiöse Entwicklungen im Islam. Beobachtet in Marokko und Indonesien erschienen].

Wenngleich Geertz vor allem mit seinen theoretischen Werken berühmt wurde, sollten seine religionsethnologischen Monografien nicht ganz ignoriert werden, da sich hier einige seiner theoretischen Konzepte andeuten, allerdings auch einige der Schwachstellen. Im Unterschied zu vielen seiner Zeitgenossen beschrieb Geertz bereits in den 1960er Jahren die Vielfalt religiöser Erscheinungen, beispielsweise in seiner Monografie über Java.

Khan, Aisha. 2004. Callaloo Nation: Metaphors of Race and Religious Identity among South Asians in Trinidad. Durham/London: Duke University Press.

Auch dieses Buch ist keine übliche Religionsstudie, d. h. es bietet keine Einführung in den Hinduismus an. Dennoch ist es eine faszinierende Untersuchung, die die Verwobenheit von Religion, Kultur und Identität zeigt. Fallbeispiel sind Hindus in Trinidad. Das Buch bietet daneben auch einen guten Einblick in die angloamerikanische kulturtheoretische Debatte.

Kohl, Karl-Heinz. 1998. Der Tod der Reisjungfrau: Mythen, Kulte und Allianzen in einer ostindonesischen Lokalkultur. (Religionsethnologische Studien des Frobenius-Instituts Frankfurt am Main, 1) Stuttgart: Kohlhammer.

Es handelt sich bei dieser religionsethnologischen Monografie um eine klassische Mythenanalyse, welche die Vielfalt der individuellen Sichtweisen auf Mythen widerspiegelt. Gleichzeitig wird auch die Veränderung in Mytheninterpretationen deutlich, indem die Arbeit die Wandelbarkeit indigener Religionen illustriert.

Rodriguez Toulis, Nicole. 1997. Believing Identity: Pentecostalism and the Mediation of Jamaican Ethnicity and Gender in England. Oxford: Berg.

Ausgehend von der These, dass vor allem Frauen von der Pfingstbewegung angezogen werden, untersucht die Autorin die Beziehung zwischen Pfingstbewegung und Identitätskonstruktionen bei jamaikanischen Einwanderinnen in Birmingham. Es ist eine interessante und sehr detailliert beschreibende Studie, die die Pfingstbewegung als einflussreiches Forum für die Ausbildung von Identität darstellt.

Schlehe, Judith. 1998. Die Meereskönigin des Südens, Ratu Kidul. Geisterpolitik im javanischen Alltag. Berlin: Dietrich Reimer Verlag.

Diese Monografie bietet eine detaillierte Einführung in den Kult der indonesischen Meeresgöttin. Das Buch folgt zum einen den klassischen ethnologischen Traditionen einer Ethnografie und beschreibt Java anhand der üblichen Details. Daneben werden allerdings auch verschiedene Querverbindungen und Interpretation angeboten, die religionsethnologisch überaus spannend und wegweisend sind.

Turner, Victor W. 1996 (1957). Schism and Continuity in an African Society. A Study of Ndembu Village Life. (Classic Reprints in Anthropology) Oxford/Washington: Berg.

Turner, Victor W. 1968. The Drums of Affliction: A Study of Religious Processes among the Ndembu of Zambia. Oxford: Clarendon Press.

Turner, Victor W. 1982 (1970). The Forest of Symbols: Aspects of Ndembu Ritual. Ithaca: Cornell University Press.

Obgleich heute hauptsächlich seine ritualtheoretischen Werke gelesen werden, sind auch seine klassischen Monografien zu den Ndembu wichtige religionsethnologische Werke, die einen interessanten Einblick in die britische Religionsforschung bieten.

Geschichte der Religionsethnologie

Wie bereits in dem vorherigen Kapitel deutlich wurde, ist es wichtig zu wissen, wie unsere Paradigmen entwickelt wurden, wer das Fach geprägt und verändert hat. In diesem Kapitel werde ich aus diesem Grund einen Überblick über die Wissenschaftsgeschichte der Religionsethnologie geben und die Veränderungen des Faches erläutern. Ich habe mich für eine Unterteilung in historische Phasen entschieden, obwohl die Zuordnung bestimmter Autoren mitunter sehr schwierig war.[7] Bevor ich beginne, möchte ich noch eine Randbemerkung einfügen: In den ersten Abschnitten werden ausschließlich Männer vorgestellt. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts treten Frauen als Vertreterinnen einer neuen Religionsethnologie in Erscheinung. Ein bekanntes Beispiel ist Jane Harrison, deren Werke zur griechischen Religion (siehe z. B. Prolegomena to the Study of Greek Religion, 1903) wegweisend waren, leider aber nur geringen Einfluss auf die institutionelle Entwicklung der Religionsethnologie hatten. Frauen wurde die universitäre Erziehung lange untersagt, und sie wurden oft nur am Rand der Wissenschaften geduldet. Daher fehlen sie in den meisten wissenschaftshistorischen Überblicken, leider auch in meinem. Erst im zweiten Teil des Buches, in dem ich Themen der Religionsethnologie vorstelle, wird dieses Manko behoben. Die heutige ethnologische Forschung wird von Ethnologen und Ethnologinnen gleichermaßen bereichert.

Die Anfänge der Religionsethnologie

Wenngleich die Ethnologie stolz auf ältere Vorläufer aus der Philosophie, Geschichtswissenschaft, Theologie und Linguistik verweisen kann, beginnt mein Überblick Ende des 19. Jahrhunderts, d. h. mit der Zeit, in der die Ethnologie ihre universitären Weihen erhielt und ein Studienfach wurde. Bereits in dieser frühen Phase bildeten sich erste Differenzen zwischen einer kulturwissenschaftlichen und einer sozialwissenschaftlichen Ausrichtung heraus, die allerdings keineswegs nationale Schulen charakterisierten. Sowohl an angelsächsischen als auch an kontinental-europäischen Universitäten war die Ausrichtung, in die sich die Ethnologie einmal entwickeln sollte, keineswegs vorbestimmt; vielmehr wurden sehr unterschiedliche Ansätze diskutiert, umworben und zurückgewiesen. Auch wenn wir heute die britische Schule als sozialanthropologisch kennzeichnen, kann der erste Lehrstuhlinhaber an einer britischen Universität, Edward Burnett Tylor, eher zur kulturanthropologischen Tradition gezählt werden. Ebenso gehörten einige einflussreiche deutsche Vertreter, wie beispielsweise Fritz Gräbner, zu Beginn der Ethnologie einer sozialanthropologischen Tradition an. Gerade in der ersten Phase war die Ethnologie ein überaus interdisziplinäres Arbeitsfeld, in der die unterschiedlichsten Ansätze aus den verschiedensten Disziplinen diskutiert wurden. Das lag vor allem an den unterschiedlichen Ausbildungen, mit denen die ersten hauptberuflichen Ethnologen an die Ethnologie herankamen. So waren Ansätze aus den Sprachwissenschaften, Geschichtswissenschaften und der Theologie vertreten bis hin zu Wirtschaftswissenschaften und Rechtswissenschaften. Diese Vielfalt bereicherte auch die Erforschung der Religion innerhalb der Ethnologie. Die ersten Ethnologen an den europäischen Universitäten hatten alle etwas gemeinsam. Sie kämpften mit unterschiedlichen Ansätzen um die Anerkennung des neuen Faches als Wissenschaft. Dabei wurde Wissenschaft in der Tradition der Aufklärung verstanden. Es ging um Vernunft, Regelwerke und objektiv-distanzierte Methoden. Meistens galten die Naturwissenschaften als Paradebeispiel, dem sich die Ethnologie annähern sollte.[8] Obwohl einige Ethnologen eher für eine historische Richtung plädierten, befürworteten auch sie eine sachliche Ausrichtung und sammelten mehr Materielles als Ideelles. Objekte wurden als vermessbar und daher vergleichbar angesehen, während Ideen schwer zu fassen waren, vor allem religiöse Ideen. Spekulation wurde zum Schimpfwort, denn Ethnologie sollte ja gerade aus dem „Bereich der Spekulation“ (Evans-Pritchard) befreit und in den Bereich der logischen Wissenschaft überführt werden. Dass Bedarf an der Ethnologie bestand, war keine Frage, denn es war die Zeit einer veränderten Kolonialpolitik. Statt Eroberung stand nun Kontrolle und Inbesitznahme im Mittelpunkt, und folglich wurde korrektes Wissen über die fremden Kulturen wichtig. Reisende, Kolonialbeamte und Missionare begannen im 18. Jahrhundert mit wachsendem Erfolg, ihre Beobachtungen zu veröffentlichen. Nun benötigte man Spezialisten, um diese Informationen zu interpretieren. Gleichzeitig setzte sich der Darwinismus nicht nur in den Naturwissenschaften, sondern auch in den Humanwissenschaften als zentrale Ideologie durch. Nachdem europäische Intellektuelle lange davon überzeugt waren, dass es keine Verbindung zwischen den europäischen Kulturen und den nichteuropäischen gab, und dass letztere degeneriert waren und keinerlei Religion besaßen, wurden sie durch den Sozialevolutionismus plötzlich zu den Ahnen europäischer Kulturen erhoben.

Herbert Spencer (1820–1903) war einer der ersten, der die Idee der menschlichen Evolution, die Charles Darwin (1809–1882) in seinem Buch The Descent of Man (1871) verkündete, zu einer Theorie der sozialen Evolution (bzw. Sozialdarwinismus) ausbaute. In seinem mehrbändigen Werk The Principles of Sociology (1876–1896) vertrat Spencer die Idee einer einheitlichen, universellen Evolution aller Menschen, getragen von der Vorstellung, dass nur der Beste überlebt (survival of the fittest). Er schrieb, dass alle Dinge, beseelte und unbeseelte, sich von einfachen Formen hin zu komplexeren entwickelten, von homogen zu heterogen. Im Unterschied zu den meisten seiner Zeitgenossen sah Spencer alle Menschen mit Vernunft ausgestattet, lediglich ihre Technologien seien unterschiedlich gut entwickelt. Da somit alle Kulturen die gleiche Entwicklung durchlaufen, sei es auch möglich, den Ursprung der Religion zu ermitteln – nach Spencer war der Ahnenkult die erste religiöse Idee überhaupt, d. h. der Ursprung von Religion. Er sah den Beginn im Geisterglauben: Träume von Verstorbenen suggerieren zwar eine Seele, die unabhängig vom Körper nach dessen Tod existiert, dennoch entwickelte sich der Glaube an übernatürliche Wesen erst auf der Basis der weltweit verbreiteten Vorstellung eines Geistes. Aus der Vorstellung von Geistern entstand dann die Vorstellung von Göttern, d. h. die Geister wichtiger Ahnen werden zu Gottheiten.

Edward Burnett Tylor (1832–1917), der sich dem Sozialevolutionismus begeistert anschloss, widersprach der Idee vom Ahnenkult als Ursprung der Religion. Stattdessen sah er die Vorstellung von Seelen, den Animismus als Ursprung von Religion an. Analog zu Darwins Entwicklungsstadien entwickelte Tylor ein Schema von der Evolution der Religion, in der dem Animismus der Polytheismus und diesem der Monotheismus folgte. Tylor gilt als einer der wichtigsten Gründerväter der Ethnologie, wobei vor allem auf seine grundlegenden Werke, Researches into the Early History of Mankind and the Development of Civilization (1865) und Primitive Culture (1871, in zwei Bänden, auf Deutsch 1873), verwiesen wird. 1884 erhielt er dafür den ersten Lehrstuhl für Ethnologie an einer britischen Universität (in Oxford). Tylor hat selbst keinerlei universitäre Ausbildung genossen, da er als Quäker von jeglicher Universität ausgeschlossen war (Bowie 2006: 13). Aus gesundheitlichen Gründen reiste er nach Mexiko und in die USA und kam, wie Bowie schreibt, fasziniert vom Leben der indigenen Bevölkerung zurück. Daraufhin begann er, seine Beobachtungen und die anderer Reisender zu systematisieren und seine Theorien zu entwickeln. Angeregt durch seine Arbeiten stieg die Zahl ethnologischer Studien vor allem im britischen Kolonialreich, aber auch in anderen Regionen, in die europäische Kolonialmächte vordrangen. Wie Spencer vertrat Tylor die Theorie einer einheitlichen progressiven Entwicklung menschlicher Kulturen. Die heutigen „Hochkulturen“ entsprangen nach seiner Ansicht einem Stadium, das den heutigen Kulturen entspricht, die in einem unteren Stadium der Entwicklung verblieben seien (von Tylor mit dem heute nicht mehr verwendeten Begriff „primitive Kulturen“ bezeichnet). Folglich sei es möglich, den Ursprung der europäischen Hochkultur anhand der unentwickelten, niedrigen Kulturen außerhalb Europas zu studieren. Er widersprach rigoros den Degeneristen und wollte, wie Benson Saler betont, deren diskriminierende Ansicht durch eine evolutionäre, progressive Perspektive auf die Entwicklung menschlicher Religiosität ersetzen (Saler 1997: 1). Sein Ziel war daher nicht, wie Tylor selbst schreibt, Religion in allen Einzelheiten zu beschreiben, sondern er wollte die große Lehre des Animismus, die er in den frühsten Stadien der menschlichen Entwicklung fand, aufzeigen und dabei nachweisen, wie sich der Animismus in den religiösen Ideen weiterentwickelte (Tylor 1871, Vol. 2: 445). Er konzentrierte sich dazu auf den Animismus und dessen Survivals in anderen, weiter entwickelten Kulturen. Der Animismus war für Tylor die erste große Theorie der menschlichen Geschichte, die so einflussreich und mächtig war, dass Teile des Animismus (als survivals) weiterbestünden, sogar innerhalb des Christentums. Wenngleich seine Idee einer psychischen Einheit der Menschheit heute allgemein abgelehnt wird, und seine Methodik sehr zweifelhaft ist (siehe Evans-Pritchards Vorwurf eines Ammenmärchens, 1981: 59), hat sein intellektualistischer Blick auf Religion als eine Methode, mit der Menschen ihre Welt mit einem Sinn versehen, die Religionsethnologie bereichert. Er vertrat die Meinung, dass Religionen, welche die Jäger und Sammler aufgrund ihrer Beobachtungen entwickelten, unzureichend bzw. sogar falsch seien, sie aber dennoch auf rationalen Überlegungen beruhten.

Von Anfang an waren die Religionsethnologen von den australischen Religionen fasziniert. Die damaligen Forscher suchten nach der einfachsten Form von Religion, um so etwas über den Ursprung aller Religionen, auch der europäischen, zu entdecken. In den ersten Jahrzehnten der Religionsethnologie galten die Religionen der australischen Aborigines als kulturelle Erscheinungen, die auf einer frühen Stufe der menschlichen Entwicklung verblieben waren. Max Charlesworth vermerkt, dass die australischen Aborigines in der Auffassung der frühen Ethnologen zu paradigmatischen „Primitiven“ wurden, die in einer vor-religiösen Stufe der Magie statisch fixiert seien (1997: 58). Neben Tylor war James George Frazer (1854–1941) der einflussreichste Vertreter dieser Debatte. Er schrieb beispielsweise in seinem berühmten mehrbändigen Werk The Golden Bough (1890) über die Aborigines in Australien, dass sie die krudesten Wilden seien, über die wir „akkurate Informationen“ hätten. Sie würden Magie praktizieren, denn Religion sei ihnen noch unbekannt. Religion verbindet Frazer in diesem Zusammenhang mit der Vorstellung von höheren Mächten. Frazer war ein in Cambridge ausgebildeter Klassizist mit einer Vorliebe für die Ansammlung von Informationen über andere Kulturen, wie Bowie ihn beschreibt (2006: 13). Wie andere seiner Zeitgenossen auch durchforstete Frazer die stetig zunehmende ethnologische Literatur nach Beispielen, um seine Theorien zu illustrieren. Wie Evans-Pritchard schreibt, waren die Ethnologen dieser Zeit, obwohl sie auf Empirie beim Studium sozialer Institutionen bestanden, doch „nicht weniger dialektisch, spekulativ und dogmatisch als die Moralphilosophen des 18. Jahrhunderts“ (1981: 11). Der einzige methodische Unterschied war, dass sie ihre theoretischen Konstruktionen, wie beispielsweise die progressive Entwicklung von Religion in Stufen, mit Faktenmaterial zu belegen versuchten. Dafür sichteten sie eine schier unglaubliche Menge an Literatur, trugen so einen „großen Schatz an ethnologischen Details“ zusammen und systematisierten die Informationen. The Golden Bough ist solch ein „Lagerhaus“ der Informationen (Evans-Pritchard), die Frazer aus klassischen Texten, vor allem griechischen Dramen, und den Schriften von Missionaren, Reisenden und den ersten Ethnologen zusammentrug. Sein Ziel war die Konstruktion einer universellen Theorie über Magie, Religion und Gesellschaft. Er glaubte fest daran, dass Magie der Vorläufer von Religion sei. Als Menschen erkannten, dass Magie falsch und lediglich eine Illusion sei, schauten sie sich nach anderen Formen der psychologischen Unterstützung um und entdeckten die Religion. Als sie allerdings erkannten, dass die spirituellen Wesen auch nur Schwindel waren und Religion nicht half, wandten sie sich an die Wissenschaft. Frazer stellte Magie und Wissenschaft in Opposition zur Religion, denn beide basierten auf dem Glauben, dass es möglich sei, die Naturgesetze zu manipulieren, Religion hingegen auf dem Glauben an Geister gründe. Wissenschaftler und Magier führten ihre Zeremonien daher mit Selbstvertrauen und Zuversicht durch, so Bowie, während der Priester den Göttern seine Gaben in Furcht und Angst anbot (Bowie 2006: 14). Frazer vergleicht hier Techniken aus verschiedenen kulturellen Kontexten (Magie bei so genannten Naturvölkern und Wissenschaft in Europa) und übersieht dabei, wie später u. a. sein Schüler Bronislaw Malinowski kritisierte, dass beide Techniken zusammen mit Religion in der gleichen Kultur zu finden sind. The Golden Bough hat weniger theoretischen Einfluss als Tylors Veröffentlichungen, und seine „schmetterlingssammelnde Methode“ (ebenfalls ein Wortbild von Evans-Pritchard), mit der er Informationen aus ihrem kulturellen Kontext heraus verglich, erlaubte Frazer praktisch alles zu belegen, was er wollte. Heute ist sein Drei-Stufen-Modell überholt und wird von keinem Wissenschaftler mehr vertreten. Dennoch ist nicht alles wertlos, wie sogar Evans-Pritchard schreibt (1981: 63), beispielsweise die Kategorisierung der Magie in homöopathische (nachahmende) und ansteckende Magie.[9]

Interessant ist bei Frazer auch seine Wirkung auf die Forschung seiner Zeit, vor allem sein Einfluss auf die Erforschung der australischen Religionen. Charlesworth beschreibt, wie die Beobachter australischer Zeremonien pflichtbewusst nur das sahen, was Frazer ihnen auftrug (1997: 58). Charlesworth hebt dabei besonders Baldwin Spencer hervor, einen der ersten Ethnologen, die über australische Aborigines-Kulturen arbeiteten. Baldwin Spencer ist auch für die Entwicklung der deutschen Religionsethnologie interessant, da er den damaligen deutschen Forschern in Australien vor allem Carl Friedrich Theodor Strehlow, völlig widersprach und sogar soweit ging, deren wissenschaftlichen Ruf zu zerstören. Der Streit zwischen Strehlow und Spencer illustriert die beginnende Debatte zwischen Sozialanthropologie und Kulturanthropologie, wie etwa Walter Veit schreibt (Veit 2004: 92).

Baldwin Spencer (1860–1929) studierte Biologie in Manchester, bevor er nach Oxford wechselte und dort unter Tylors Führung ein radikaler Anhänger des Evolutionismus wurde. 1887 wurde er Professor für Biologie in Melbourne, Australien, und übernahm nach einiger Zeit außerdem die Leitung des National Museum of Victoria, wo er sich – geprägt durch seine Erfahrung mit dem Pitt Rivers Museum in Oxford – vor allem um die ethnografische Sammlung kümmerte (1901 veröffentlichte er einen Führer durch diese Sammlung). In diesen ersten Jahren in Australien begann er, sich immer stärker für Zentral- und Nordaustralien zu begeistern und nahm 1894 zum ersten Mal an einer Expedition nach Zentralaustralien teil (als Zoologe), bei der er Francis James Gillen kennenlernte. Aus dieser Kooperation entstanden in den nächsten Jahren zahlreiche Publikationen über die Kulturen Zentralaustraliens, die in Europa wiederum Theoretiker wie beispielsweise Durkheim beeinflussten. Gillen war Telegrafist und arbeitete überwiegend im Postamt von Alice Springs, in der Mitte des australischen Kontinents. Im Unterschied zu Spencer lernte er einige der Aborigines-Sprachen, obwohl heute der hohe Grad seines Eintauchens in die Kulturen (und der seiner Sprachkompetenz, vor allem angesichts der schwer zu verstehenden religiösen Konzepte) angezweifelt wird (siehe dazu Veit 2004: 97). Vor allem Spencer, aber auch Gillen wurden von Frazer stark gefördert, während Andrew Lang, ein anderer Ethnologe dieser Zeit und ein Schüler Tylors in Oxford, ihre Arbeit kritisierte und sich dagegen auf Strehlow stützte.

Strehlow (1871–1922) kam aus einer lutherischen Tradition und erhielt keine universitäre Ausbildung (vermutlich aus religiösen Gründen auf Drängen des Vaters), sondern ließ sich im Lutherischen Missionsseminar in Neundettelsau (bei Nürnberg) zum Missionar ausbilden. 1892 wurde er Missionar bei der Hermannsburger Mission, die eine gewaltige Fläche in Zentralaustralien versorgte. Strehlows erster Posten war die Missionsstation in Bethesda / Killalpanninna im Süden des Lake Eyre, wo er die Sprache der Dieri lernte (zwecks Übersetzung des Neuen Testaments). 1894 wurde Strehlow an die Station in Hermannsburg versetzt, wo er bis auf wenige Unterbrechungen bis zu seinem Tod lebte. Neben seiner pastoralen Tätigkeit studierte Strehlow sein Leben lang die Aborigines-Kulturen und veröffentlichte u. a. ein siebenbändiges Werk über die Aborigines-Gruppen in Zentralaustralien, vor allem über die Arrente (in der Literatur auch Aranda bzw. Arunta genannt).[10] Gleichzeitig wurde er zu einem Verfechter der Rechte der Aborigines und kämpfte gegen deren zunehmende Verdrängung von ihrem Land.

Trotz der unterschiedlichen Biografien scheint es bis heute seltsam, warum sich diese beiden Männer, die während der gleichen Zeit über Zentralaustralien arbeiteten, nie persönlich getroffen haben und warum sie sich wissenschaftlich so stark widersprachen und bekämpften. Zum einen hatte der Streit mit der bereits erwähnten Abneigung Tylors gegen Missionare zu tun, denen er jegliche empirische Forschungsmethode absprach. Spencer teilte vermutlich diese Einstellung. Zum anderen hat es zwischen ihnen allerdings neben der disziplinären Differenz einen grundsätzlichen Streit über Religion gegeben, der weit über die unterschiedlichen Disziplinen hinausging. Spencer übernahm von Frazer die These, dass Magie eine Vorphase von Religion sei. Frazers eigener Mentor, der Semitist William Robertson Smith (1846–1894), hatte vorausgesehen, dass irgendwo auf der Welt magische Riten noch praktiziert werden würden. Frazer proklamierte diese daraufhin als die unterste Stufe seines religiösen Entwicklungsmodells. Als er nach der Veröffentlichung von The Golden Bough Baldwin Spencer kennenlernte und von seinen Studien in Australien erfuhr, war für Frazer eindeutig, dass es in Australien lediglich Magie, aber keine Religion geben könne. Unter Frazers Einfluss – Charlesworth beschreibt es sogar regelrecht als „Bann“ – sah der eigentlich so akkurate Beobachter Spencer, was er sehen sollte, und übersah gleichzeitig, was vor seinen Augen passierte (Charlesworth 1997: 58). So kategorisierte Spencer Zeremonien, die er in Alice Springs beobachtete als elementare sakramentale Feste und verbreitete die These, dass die Aborigines-Gesellschaft auf die unterste Stufe des Frazer’schen Drei-Stufen-Modells gehörte, da ihre totemistischen Zeremonien zu den magischen Riten zählten. Begriffe wie „Religion“ und „religiös“ wurden seitdem von Spencer nicht mehr verwendet, sondern nur noch Magie und Totem. Aborigines hätten keinerlei Religion. Strehlow dagegen war völlig anderer Ansicht. Er beschrieb die Aborigines generell als überaus religiös und vertrat die Ansicht, dass der Arrente-Begriff Altjira einen Gottvater, d. h. einen Schöpfergott, bezeichnet. Unterstützt von Andrew Lang (siehe z. B. sein Buch The Making of Religion, 1898) widersprach Strehlow der Ansicht, dass die Gottesvorstellung erst als eine späte Entwicklung aus vorherigen Seelen- und Geistervorstellungen heraus gebildet würde, da schließlich auch die Arrente eine Vorstellung von Gott hätten. Eine solche Behauptung passte nicht in ein evolutionistisches Entwicklungsmodell, nach dem sich alle Kulturen von einfach zu heterogen entwickeln, bzw. im Fall der Religion von Animismus (bzw. Magie bei Frazer) über Polytheismus zum Monotheismus. Der Glaube an einen Schöpfergott konnte folglich erst in höheren Stadien auftreten, keinesfalls in der frühen Entwicklungsstufe, in die die australischen Aborigines eingeordnet wurden. Es war deshalb für Spencer eindeutig, dass Strehlow als Missionar entweder den Monotheismus hineininterpretiert oder aber falsche Angaben ermittelt hatte. Spencer warf Strehlow vor, lediglich mit bereits seit langem missionierten und daher von ihrer Kultur distanzierten Aborigines gearbeitet zu haben, während er und Gillen sogar in die Kultur initiiert gewesen wären und sie vorurteilslos untersucht hätten (Veit 2004: 102-103, 106). Trotz ihrer spärlichen Sprachkenntnisse und der kurzen Besuche bei Aborigines disqualifizierten sie Strehlows Kenntnisse über die Arrente und anderer Gruppen, bei denen er fast 30 Jahre seines Lebens verbrachte und deren Sprache er so gut sprach, dass er ein Gebetbuch darin schrieb. Heutzutage wissen wir, dass Strehlow mit seiner Interpretation zu weit ging und dass es sich bei dem Schöpfergott in der Tat um eine europäische Vorgabe handelt. Dennoch scheint Spencers Abneigung gegen Strehlow irrational.

Wenn wir die zweifelhafte Frage nach einem Schöpfergott ausklammern, so zeigt sich ein weiterer Unterschied zwischen Spencer und Strehlow in ihrem Umgang mit Aborigines. Spencer, der davon ausging, dass die Aborigines aussterben würden oder sich der höherstehenden Kultur anpassen müssten, verwendete häufig Begriffe wie „Steinzeitkultur“ und „Primitive“. Auch wenn wir die Verwendung solcher Bezeichnungen nicht von unserem heutigen Standpunkt aus kritisieren dürfen, sondern sie in ihrem historischen Kontext evaluieren sollten, ist es auffallend, dass Strehlow diese Begriffe nicht benutzte (allerdings bezeichnete er die Menschen in der Regel als „Schwarze“ oder „Eingeborene“). Er scheint, wie Veit schreibt, die Kulturen der Dieri, Aranda und Loritja als fremd akzeptiert zu haben. Wenngleich er vermutlich selten an religiösen Zeremonien teilnahm, so respektierte er doch die anderen Religionen. Veit verwies beispielsweise darauf, dass Strehlow im Unterschied zu Spencer und Gillen nie das Sakrileg beging, Tjurungas[11] zu stehlen (Veit 2004: 107). Spencer und Gillen repräsentierten mit ihrer sozialevolutionären Ausrichtung die Interessen der europäischen Siedler, welche die Aborigines von ihrem Land vertrieben, während Strehlow seine Schützlinge verteidigen und bewahren wollte.[12]

Beide Positionen entsprechen mit ihren gefärbten Darstellungen nicht mehr den Anforderungen an die Wissenschaft und an die Ethnologie von heute. Sie verfolgten mit ihren Schriften eigene Ziele und verließen dadurch den Pfad der wissenschaftlichen Objektivität. Dennoch ist bemerkenswert, auf welche Weise beide Männer ihr gesamtes Leben dem Studium der Aborigines widmeten. Ihre Arbeiten lieferten trotz oder gerade wegen ihres Gegensatzes den theoretisch arbeitenden Wissenschaftlern in Europa das Material für die Entwicklung der religionsethnologischen Paradigmen, die lange dominierend sein sollten. Leider wurden aufgrund ihrer Forschungen die australischen Aborigines jahrzehntelang als „archaisch“ beschrieben. Trotz Strehlow wurde lange Zeit bestritten, dass sie eine Religion ausgebildet hätten; lediglich eine vorreligiöse Form sowie eine vorwissenschaftliche Form des Bewusstseins wurden ihnen zugebilligt (Charlesworth 1997: 59).[13] Dennoch sollten wir nicht nur Spencer und Strehlow die Schuld an dieser Verzerrung geben. Auch sollten wir ihre Theorien nicht von unserem heutigen Wissensstand aus verurteilen, sondern die Zeit und die Erziehung der Wissenschaftler berücksichtigen. Die Mehrheit der europäischen Bevölkerung war nach den Regeln einer sehr traditionellen christlichen oder jüdischen Religion erzogen worden. Tylor war Quäker, Frazer Presbyterianer, Malinowski katholisch, Durkheim und Freud jüdisch. Aber interessanterweise widersetzten sich die Gründerväter der Religionsethnologie ihrer Erziehung und waren während der Abfassung ihrer berühmten Werke Atheisten oder Agnostiker, die alle Religionen als Illusionen ablehnten (Evans-Pritchard 1981: 47–48).[14] Obwohl sie ihnen somit feindlich gegenüberstanden, lieferten die europäischen (monotheistischen) Religionen dennoch das Vokabular und die Modelle, mit denen die fremden Religionen studiert und begutachtet wurden. Diese Denkweise führte zu zahlreichen Missverständnissen und Fehlbeurteilungen, mit denen die Religionsethnologie lange zu kämpfen hatte.

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23 декабря 2023
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