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Man kann davon ausgehen, dass im 20. und 21. Jahrhundert neben die ‹alten› Professionen ‹neue Professionen› treten. Sie rekrutieren sich vor allem aus dem Feld jener Berufe, die aus einer gewissen Verlegenheit heraus manchmal ‹Semiprofessionen› genannt werden (vgl. Fussnote 11). Es geht um Berufe, in denen sich Expertinnen und Experten mit Klientinnen und Klienten in einer Krise beschäftigen und dies jetzt neu mit dem Anspruch tun, wissenschaftlich fundiert zu arbeiten. Man denke an Sozialarbeit, Krankenpflege oder Ergotherapie, aber auch an den Volksschullehrberuf. Auch hier spielt, insbesondere im Falle des Volksschullehrberufs, der Staat als Akteur eine zentrale Rolle. Die Ausbildungen, die zu diesen Berufen hinführen, haben eine Tertiarisierung erfahren, sind also neu auf einer Stufe im Bildungswesen angesiedelt, die die Hochschulreife (Maturität oder einen vergleichbaren Abschluss) voraussetzt.

Ergibt sich nun eine soziale Gleichstellung zwischen alten und neuen Professionen? Abschnitt 2 konzentriert sich – in historischer Perspektive – auf eine alte und eine neue Profession im Bildungswesen, den Volksschul- und den Gymnasiallehrberuf, und skizziert erste Antworten auf die gestellte Frage. Abschnitt 3 fokussiert dann auf die Spannung zwischen pädagogischen Aufgaben und der Aufgabe des Selegierens. Die Existenz dieser Spannung ist darauf zurückzuführen, dass die Verberuflichung sowie die Professionswerdung und damit auch die Definition der Probleme, die Volkschullehrkräfte zu lösen haben, stark durch den Staat geprägt wurden.

2Geschichte und aktuelle Entwicklung des Lehrberufs

Lehrerinnen und Lehrer sind hauptsächlich im Rahmen des Bildungswesens tätig. Das moderne Bildungswesen – vom Kindergarten über die Sekundarschule bis hin zur Stufe der Universität – ist seinerseits Ergebnis einer jahrhundertelangen Entwicklung. Während der Herausbildung der Industriegesellschaft im 19. Jahrhundert fanden besonders wichtige Veränderungen, etwa die Einführung der Schulpflicht, statt.

Hintergrund dieser Entwicklung ist die Herausbildung einer arbeitsteilig organisierten Gesellschaft, in der sich immer mehr Teilbereiche ausdifferenzierten (Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Religion etc.). Unter diesen Bedingungen konnte die Herausbildung von individuellen Überzeugungen, Haltungen und Fähigkeiten, die dem Funktionieren der Gesellschaft vorausgesetzt sind, nicht mehr ausschliesslich im Rahmen von Familie oder Verwandtschaft erfolgen. Institutionelle Einrichtungen, welche über familialen Bezüge hinausgehen, eigneten sich besser dafür. Schulen, Gymnasien oder Hochschulen sind solche Einrichtungen. Zusammen machen sie den gesellschaftlichen Teilbereich des Bildungswesens aus. In den meisten westlichen Gesellschaften, auch in der Schweiz, handelt es sich dabei primär um einen öffentlichen, vom Staat kontrollierten Bereich. Eine besondere Stellung nimmt die Volksschule ein: Ab dem 6. Lebensjahr (bei einem Kindergartenobligatorium auch früher) und etwa bis zum 16. Lebensjahr muss in den westlichen Gesellschaften jedes Gesellschaftsmitglied den Schulunterricht besuchen.

Hand in Hand mit der Herausbildung von Schulen entstand der Beruf des ‹Lehrens›, der von Anfang an für die verschiedenen Stufen des Bildungswesens ausdifferenziert war (Volksschullehrer, Realschullehrer, Gymnasiallehrer etc.). Anders als Eltern oder Verwandte, die im Familien- und Verwandtschaftskontext auf die heranwachsende Generation einwirken, verfügen Lehrerinnen und Lehrer beim Umgang mit der ‹Klientel›, die ihnen anvertraut ist, über eine spezielle Expertise. Ihre Geschichte und die aktuelle Entwicklung sind Thema dieses Abschnitts.39

Die nun folgenden Ausführungen basieren auf Literaturrecherchen zur Geschichte des Lehrberufs in Deutschland, im Kanton Bern, im Kanton Zürich, im Kanton Basel-Stadt und in der Deutschschweiz im Allgemeinen. Das präsentierte Wissen wurde aus verschiedensten Quellen zusammengetragen. In jedem Abschnitt umreissen wir zuerst in groben Zügen und nur beschreibend die Entwicklung, die in der betrachteten Zeit stattgefunden hat. Im Anschluss daran beziehen wir das Gesagte als Fazit auf die berufs- und professionstheoretischen Aspekte, die in Abschnitt 1 erläutert wurden.

2.1 Mittelalterliche Anfänge: Lehrmeister und gelehrte Mönche

Die Anfänge des Volksschullehrberufs liegen im Spätmittelalter (1250–1500), die Anfänge des Gymnasiallehrberufs gehen weiter zurück. Im Spätmittelalter entstand im städtischen Milieu der Bürgerinnen und Bürger ein Bedarf an elementarem praktischem Wissen und an ‹Lehrenden›, die solches Wissen vermitteln. Vor allem die gewerbetreibenden Bewohnerinnen und Bewohnern der Städte waren – wegen der zunehmenden Verflechtung mit der Verkehrswirtschaft – auf Kenntnisse in Lesen, Schreiben, Rechnen und auch auf Wissen über das Rechtswesen angewiesen (Fischer 1961). Es sei aber daran erinnert, dass im Mittelalter nur ein kleiner Teil der Bevölkerung in Städten lebte.

Im Rahmen der damals existierenden ‹Ausbildungsangebote› konnte diese Wissensnachfrage nicht befriedigt werden: Die Privatlehrer, welche Kinder aus dem Adel und dem Patriziat im verwandtschaftlich-familialen Rahmen in tradiertem und höfischem Wissen unterrichteten, kamen für solch eine Aufgabe nicht infrage.40 Aber auch das damalige ausserfamilial institutionalisierte Bildungswesen konnte den Wissensbedarf nicht befriedigen: Seine Einrichtungen standen nur privilegierten Bevölkerungsschichten offen, waren von der Kirche dominiert und stellten die religiöse Bildung ins Zentrum. Nachdem sich nämlich das antike Schulsystem aufgelöst hatte, waren im 8. Jahrhundert mit der Zeit Klosterschulen, später auch Dom- und Stiftsschulen entstanden, an denen «gelehrte» Mönche mit ‹Universitätsausbildung›, auch Bischöfe und – bei hohem Andrang – kirchliche Gehilfen den Kindern höherer Stände (Adel und Patriziat) Unterricht erteilten. Ziel dieser Schulen war die Ausbildung des männlichen geistlichen Nachwuchses. Der weibliche geistliche Nachwuchs, die Nonnen, wurde in Frauenklöstern durch Ordensfrauen ausgebildet (Enzelberger 2001, S. 17 f.). Im damaligen Kanton Zürich waren die ältesten Schulen (für Privilegierte) dieser Art die Stiftsschulen am Grossmünster und am Fraumünster. Für den Kanton Bern ist bekannt, dass in Amsoldingen seit 1310 und in Interlaken seit 1400 eine Klosterschule existierten (Fluri 1902, zit. n. Crotti 2005, S. 62). Man kann die unterrichtenden Mönche und Nonnen als Vorgänger der professionellen Gymnasiallehrerinnen und Gymnasiallehrer betrachten. Das Unterrichten bildete bei den Mönchen und Nonnen aber nur eine von vielen verschiedenen Aufgaben innerhalb des geistlichen Berufs.

Vor dem Hintergrund der Wissensnot städtischer Bürgerinnen und Bürger des Spätmittelalters entwickelte sich – ausserhalb der Strukturen damaliger privater oder kirchlicher Ausbildung und Bildung – eine neue Art von Unterrichtsanstalten, nämlich die «städtischen Elementarschulen» (Walz 1988, S. 26 ff., Crotti 2005, S. 60 f.). Sie richteten sich zuerst an Erwachsene und Jugendliche, dann aber vor allem an Kinder. Nur wenige Menschen besuchten den Unterricht, und dies auch nicht kontinuierlich. Doch an diesen «Volksschulen des Mittelalters», die in der Schweiz Mädchen und Knaben offen standen (Crotti 2005, S. 62), wurden die zukünftigen Kaufleute und Handwerker im Abfassen von Verträgen, in der Buchführung und anderen nützlichen Dingen unterrichtet (Enzelberger 2001, S. 19).

Das Unterrichten übernahmen vielfach weltliche Lehrmeister und Lehrfrauen beziehungsweise Lehrgotten.41 Wer damals Lehrmeister oder Lehrfrau werden wollte und sich die nötigen Grundkenntnisse auf einem beliebigen Weg bereits angeeignet hatte, ging bei einem Schreib- und Rechenmeister beziehungsweise bei einer Lehrfrau in die ‹Lehre› und erlernte dort als Schulgehilfe (Enzelberger 2001, S. 19) beziehungsweise als Schulgehilfin (Crotti 2005, S. 69) gemäss der Handwerkslogik des Lernens-in-der-Praxis das Unterrichten am Modell. Man kann diese ‹Lehre› als Vorform einer beruflichen Sozialisation charakterisieren. Ein Monopol auf das Lehren im Elementarbereich existierte aber nicht, Schulordnungen fehlten, und Regeln für eine Ausbildung waren nicht verbindlich festgelegt. Wie Crotti für die Schweiz berichtet (2005, S. 69), handelte es sich bei den erfahrenen Lehrmeistern beziehungsweise Lehrfrauen oft um den eigenen Vater oder die eigene Mutter. Die Lehrtätigkeit wurde also gleichsam vererbt, das heisst innerfamilial weitergegeben. Für Frauen gab es zudem die Möglichkeit, sich über die Heirat mit einem Schulmeister in die Lehrtätigkeit einzubinden. Im konkreten Unterricht übernahm die Lehrfrau häufig die Aufsicht über die jüngeren Kinder, während die Vermittlung der kulturellen Fertigkeiten des Lesens, Schreibens und Rechnens dem männlichen Lehrmeister oblag (Crotti 2005, S. 61). Interessanterweise wurde das Lehren als Handwerk betrachtet und waren Lehrende dem Handwerkerstand zugeordnet. So erklärt sich auch, weshalb von «Schreibmeistern», «Rechenmeistern» oder «Schulmeistern» die Rede war, welche die «Schreibkunst» beziehungsweise die «Rechenkunst» vermittelten. Teilweise bildeten sich später auch Zünfte heraus (vgl. dazu die Ausführungen zu Renaissance und Reformation).

Da bis zum 16. Jahrhundert keine obrigkeitlichen Schulordnungen erlassen wurden und Schreiben und Rechnen als freies Gewerbe galten (Enzelberger 2001, S. 20), konnte im Prinzip jede Person Unterricht erteilen, die nach eigener Ansicht über die entsprechenden Fähigkeiten und Kenntnisse verfügte. Bevor sie zu unterrichten begannen, hatten viele Lehrmeister als (nicht lehrende) Handwerker gelebt, gegebenenfalls auch als Kleriker (ohne universitäre Ausbildung), oder sie waren Studenten mit abgebrochenem Studium beziehungsweise wandernde Scholaren42 gewesen (Enzelberger 2001, S. 19 ff.). Die Unterrichtenden gingen ihrer Aufgabe ‹im Auftrag›, das heisst quasi gewerbsmässig auf eigene Kosten, nach; ein von den Eltern bezahltes Schulgeld bildete ihr Einkommen (Crotti 2005, S. 62 f., Enzelberger 2001, S. 20, Walz 1988, S. 26). Die Einkünfte waren entsprechend gering und konnten nur unregelmässig entgegengenommen werden. Nicht von ungefähr waren Lehrmeister oft auf einen Nebenerwerb angewiesen. Auch nachdem sich städtische Elementarschulen, die unter politischer Aufsicht standen, herausgebildet hatten, war das Finden von kontinuierlichen Unterrichtsaufgaben schwierig. Lehrmeister und Lehrfrauen versuchten es denn auch auf andere Weise, etwa im Rahmen von «Winkelschulen», einer Art «heimliche Schulen» (Walz 1988, S. 29), die in den spätmittelalterlichen Städten jenseits jeglicher Aufsicht entstanden waren und im 16. Jahrhundert relative Verbreitung fanden.

Anders als im städtischen Kontext fehlten in den Dörfern die Schulen und die Lehrmeister beziehungsweise Lehrgotten lange Zeit. Für die Schweiz wird vermutet, dass sich da und dort die Geistlichen der Jugend annahmen und dass Schulmeister, die als ‹Wanderlehrer› umherreisten, immer wieder vorübergehend mit Unterrichtserteilung betraut wurden (Erziehungsrat des Kantons Zürich, 1933, S. 39).

Fazit

Neben die privaten Hauslehrer in Adelsfamilien und die ‹gelehrten› Lehrer der Kloster- und Domschulen, die den kirchlichen Nachwuchs heranzogen, trat in den Städten des Spätmittelalters der weltliche Lehrmeister beziehungsweise die weltliche Lehrfrau. Zusätzlich zu einem Haupterwerb und in unregelmässigen Abständen vermittelten diese Lehrmeister und Lehrfrauen einer kleinen Zahl von nicht-adeligen oder -patrizischen Bürgerinnen und Bürgern, später auch deren Kindern, gleichsam gewerbsmässig das elementare Wissen, das sie zur Bewältigung der Aufgaben im emporkommenden Handel und darauf bezogenen Handwerk brauchten. Ihr Lehren galt als Handwerk. Wer die Möglichkeit hatte, konnte bei einem Lehrmeister oder einer Lehrgotte eine vorbereitende ‹Lehre› absolvieren; doch fehlten verbindliche Regeln für Ausbildung und Unterrichtsarbeit. Es gab auch Lehrende, die an ‹wilden›, unbeaufsichtigten Winkelschulen unterrichteten. Spätmittelalterliche Lehrmeister und Lehrfrauen arbeiteten ausserhalb des Verwandtschaftssystems und ausserhalb der Kirche, waren aber mit der Zeit teilweise politisch beaufsichtigt. Sie kümmerten sich typischerweise nebenbei oder vorübergehend um ihre Aufgaben. Doch waren diese als solche ausdifferenziert und nicht Bestandteil einer Onkelrolle oder Priesterrolle. Darin sind sie dem ‹Bündel von Aufgaben› ähnlich, das zur später entstehenden Institution des Lehrberufs gehört. Sporadisch finden sich im Spätmittelalter somit Ansätze zu einer Vorform von Beruflichkeit dank einer Ausdifferenzierung von Unterrichtsaufgaben und einer mehr oder minder qualifizierten Ausbildung.

Im Gegensatz zum Elementarunterricht war das Unterrichten an den damaligen Kloster- und Domschulen Bestandteil eines Lebens als Geistlicher und wurde kirchlich kontrolliert. Mönche und Nonnen sowie auch andere, geringer ausgebildete Kirchenangehörige unterrichteten hier Kinder höherer Stände, die den geistlichen Nachwuchs stellen sollten. Vom Handwerk des Lehrens waren solche Lehrenden kulturell weit entfernt.

2.2 Renaissance und Reformation: Küsterlehrer und Theologen

Vom 16. Jahrhundert an verloren die Kloster-, Dom- und Stiftsschulen an Bedeutung. Das humanistische Denken, das die allseitige Entfaltung des Menschen und den innerweltlichen Wert der Bildung betonte, äusserte sich im Bildungswesen zunächst darin, dass eine höhere Ausbildung für junge Menschen privilegierter Milieus entstand, die keinen Kleriker-Nachwuchs stellen sollten. Diese Ausbildung rückte das idealisierte antike Bildungsgut in den Vordergrund.

Auch die Reformation zog einen Ausbau des höheren weltlichen Bildungswesens nach sich: Die Stadt Nürnberg zum Beispiel engagierte auf die Empfehlung von Martin Luther hin den Reformator Philipp Melanchthon. Er sollte sich um die Errichtung einer sogenannt höheren städtischen Schule kümmern, die auf das Universitätsstudium vorbereitete. Melanchthon eröffnete 1526 denn auch die «Obere Schule» (für Knaben) und begründete damit die Urform des humanistischen Gymnasiums (Enzelberger 2001, S. 22 ff.). Ähnlich wurde in Basel unter dem Einfluss des Reformators Johannes Oekolampad das Unterrichtsangebot an der Stiftsschule am Münsterplatz durch das – für das Studium der Antike relevante – Griechisch erweitert, und 1589 wurde am gleichen Ort ein neues, humanistisches Gymnasium43 eingerichtet.44 Lehrende an diesen weltlichen höheren Schulen waren meist Theologen, die sich in der Durchgangsphase zwischen dem Studienabschluss und dem Antreten einer ersten Pfarrstelle befanden.45

Auch die städtischen Elementarschulen erhielten durch die Reformation wichtige Impulse. Das reformatorische Interesse an der Verbreitung der neuen religiösen Anschauungen verband sich mit dem Interesse an der allgemeinen Volksschulbildung: Die Bibel und der Katechismus, die unterdessen in deutscher Sprache herausgegeben worden waren, sollten von den Menschen aller sozialen Schichten gelesen werden können (Enzelberger 2001, S. 21, Scandola, Rogger und Gerber 1992, S. 4). In den protestantischen Ländern wurde daher durch die Schaffung von elementaren Knaben- und Mädchenschulen das Volksschulwesen systematisch ausgebaut (Enzelberger 2001, S. 24). Als Lehrende betätigten sich nach wie vor gering bezahlte Schreib- und Rechenmeister, die neben einer primären Tätigkeit als Schneider, Bierschenk oder Gerichtsdiener zusätzlich das Unterrichten übernahmen (Enzelberger 2001, S. 25 f., Walz 1988, S. 32).

Für die (reformierte) Stadt Zürich wissen wir, dass sich die Besoldung der Lehrenden ursprünglich – wie andernorts auch – auf das Schulgeld der Kinder beschränkte (Erziehungsrat des Kantons Zürich 1933, S. 40 f.; Ähnliches schreibt Crotti für Bern bezüglich Lehrfrauen, vgl. Crotti 2005, S. 63). In dem Masse aber, in dem sich die Stadt ab Mitte des 16. Jahrhunderts der Schulen annahm und die Aufsicht führte, erbrachte sie auch finanzielle Leistungen und gab Naturalien ab. Die Unterstützung, welche die Lehrkräfte (Lehrerinnen und Lehrer, vgl. Crotti 2005, S. 62 ff., für die Schweiz) im 16. Jahrhundert mit der Zeit von der politischen Gemeinde erhielten, wandelte sich zu einer alljährlich wiederkehrenden Besoldung der Lehrkräfte, sodass die Schulen mit der Zeit zu eigentlich öffentlichen Anstalten wurden.

In grösseren Städten wie München oder Nürnberg, in denen Schulmeister oft hauptberuflich angestellt waren, bildeten sich im 16. Jahrhundert Schulmeisterzünfte heraus (Fischer 1961, S. 39, Walz 1988, S. 45 f.). Die Position der Lehrerinnen in diesem Zusammenhang scheint kaum aufgearbeitet zu sein. Die Zünfte kümmerten sich um die Ausbildung der «Schullehrlinge», um die Beschäftigung und Sitten der «Schulgesellen», vor allem aber um die Wahrung der Rechte der Schulmeister, die es vor der immer grösser gewordenen Konkurrenz der Winkelschullehrer zu schützen galt. Die zünftische Orientierung trägt die Idee der Monopolisierung des Lehrens in sich, doch eine regionale oder überregionale Institutionalisierung der Zünfte kam gemäss Walz (1988, S. 46) nie zustande. Spätestens als die Pädagogik als Denkrichtung an Bedeutung gewann (vgl. Abschnitt 2.3: Die Aufklärung und der Aufstieg der Pädagogik), konnte die Lehrtätigkeit auch kaum mehr als Handwerk betrachtet werden. Der geringe Erfolg und das allmähliche Verschwinden der Lehrerzünfte sind daher nicht erstaunlich.

Auf dem Land wurde die Aufgabe, ein Elementarschulwesen einzurichten und dieses zu beaufsichtigen, unter anderem reformierten Pfarrern übergeben. Diese waren Vertreter einer neuen Institution (reformierte Kirche), die an Volksbildung interessiert war, denn das Volk sollte die Bibel lesen können. Die Pfarrer übertrugen die Unterrichtsaufgabe oft auf den Küster oder Mesmer beziehungsweise Siegrist (Enzelberger 2001, S. 25, und Fischer 1961, S. 38 f., für Deutschland; Bloch Pfister 2007, S. 84, für die Schweiz). Die Küster hatten seit je den Gottesdienst vorbereitet, Hausmeisterdienste für Kirche und Pfarrhaus übernommen, als Organist gewirkt, den Pfarrer manchmal bei Predigten vertreten u. a. m. Gleichsam im Nebenamt und ohne Ausbildung, auch ohne praktische ‹Lehre› (anders als die Schreib- und Rechenmeister) verrichteten sie nun zusätzlich eine Unterrichtstätigkeit. Man bezeichnete sie daher als «niedere Lehrer» (Enzelberger 2001, S. 25). Zum Teil wurde der Elementarschulunterricht auch von erfolglosen Pfarrern und Theologiestudenten übernommen (für Deutschland vgl. Enzelberger 2001, S. 24 f., Walz 1988, S. 31 ff., Fischer 1961, S. 38 f). Im Kanton Zürich, so wissen wir, aber vermutlich auch anderswo unterrichteten zudem Personen, die als «Vaganten» oder «frömde Strichlinge» galten (Erziehungsrat des Kantons Zürich 1933, S. 40 f. Ähnliches für Bern findet sich bei Scandola, Rogger und Gerber 1992, S. 4 f.). Sie sind mit den spätmittelalterlichen Wanderlehrern verwandt. Lehrende Frauen gab es auf dem Land nicht (Crotti 2005, S. 790, für die Schweiz).

Fazit

Vor dem Hintergrund von Renaissance und Reformation erfuhren das höhere und ebenso das elementare Schulwesen in den protestantischen Regionen einen deutlichen Ausbau. Zunehmend ging die Verantwortung in die Hand öffentlicher Behörden über. Es entstanden Vorformen des (weltlichen, humanistischen) Gymnasiums. Diese Schulen beschäftigten Theologen, die zwischen Studienabschluss und erster Pfarrstelle standen und ihre Lehraufgabe dank ihres Studiums mehr oder minder gut bewältigen konnten. Anders als bei ‹gelehrten› Mönchen war der Unterricht aber nicht Bestandteil ihrer Tätigkeit als Geistliche, sondern bildete eine ausdifferenzierte Aufgabe.

Im Elementarschulbereich existierten mehrere Arten des Lehrens nebeneinander: In den Städten unterrichteten meist nebenamtlich tätige Schreib- und Rechenmeister sowie Lehrgotten, die aber von unerfahrenen Winkelschullehrern zunehmend Konkurrenz erhielten. In grösseren Städten wie etwa Nürnberg waren Elementarschullehrer hauptberuflich tätig. Sie schlossen sich ansatzweise in lokalen Lehrmeisterzünften zusammen – was die Idee des Monopolisierens der Lehrtätigkeit impliziert –, vermochten aber keine Durchschlagskraft zu entwickeln. Auf dem Land, wo Pfarrer das Elementarschulwesen einzurichten hatten, übergaben diese den Unterricht meistens an ihre Küster. Das hierarchische berufliche Paar ‹Pfarrer-Lehrer› hat hier seine historischen Wurzeln.

Faktisch dominierte eine nicht-institutionalisierte Lehrtätigkeit mit Residualcharakter, das heisst eine Lehrtätigkeit, die durch Akteure in berufsbiografischen Zwischenphasen hauptamtlich ausgeübt wurde (höhere Schulen), oder aber durch Akteure, welche im Nebenamt unterrichteten, und auch durch solche, die gesellschaftlich erfolglos geblieben waren und sich in irgendeiner Form als Lehrende versuchten (Elementarschule). Es lassen sich daher kaum Ansätze eines beruflichen Charakters des Lehrens ausmachen, die über jene des Spätmittelalters hinausgehen. Allerdings nimmt der Einfluss des Staates auf das Unterrichtsgeschehen jenseits der Familie hier seinen Anfang.

2.3 Die Aufklärung und der Aufstieg der Pädagogik

Im 17. und 18. Jahrhundert stellte die Aufklärungsbewegung das religiös gerechtfertigte Herrschaftssystem des Absolutismus infrage. Sie richtete sich gegen jede Form von Ungleichheit, die nicht auf Leistung und Tüchtigkeit beruhte. Alle Menschen sollten die Möglichkeit haben, sich zu vernünftigen Wesen zu entwickeln und zur allgemeinen Wohlfahrt beizutragen. Die meisten Gelehrten des ‹pädagogischen Jahrhunderts› (unter anderem Immanuel Kant, Johann Gottlieb Fichte, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Friedrich Schleiermacher oder Johann Heinrich Pestalozzi), vor allem die Theologen unter ihnen, äusserten sich in ihren theoretischen Schriften auch zu Fragen von Erziehung und Bildung, indem sie etwa die Bedeutung des «pädagogischen Eros» und des «pädagogischen Takts» betonten. Viele von ihren hatten als (private) Hauslehrer gewirkt und knüpften an diese Erfahrung an.46 Im 18. Jahrhundert bildete sich aber auch die Überzeugung aus, das gesamte Schulwesen müsse in die Verantwortung des Staates gestellt werden, und Lehrende an Elementarschulen bedürften einer formalisierten höheren Qualifizierung (Ofenbach 2006, S. 112 f.). Dabei galt die Lehrtätigkeit, vor allem in Deutschland, aber auch in der Schweiz, immer mehr als ein Amt mit zugehörigen Pflichten, das die ganze Person in Anspruch nimmt und an eine Eidleistung gebunden ist (Ofenbach 2006, S. 119; Bloch Pfister 2007, S. 114).

Der Impetus zu konkreten Veränderungen im Volksschulwesen kam vielfach aus Pfarrerkreisen: So verfassten die Pfarrer im Kanton Zürich eine Anleitung für Landschulmeister und schrieben Lehrmittel (Bloch Pfister 2007, S. 172 ff.). Der Schulmeister sollte gottesfürchtig sein, eine innere Disposition zum Lehrberuf haben und Lernbereitschaft sowie Liebe zu Kindern zeigen. In der Zürcher Landschulverordnung von 1778 wurde der Schulmeister zum ersten Mal explizit als Lehrer mit klar umschriebenen Aufgaben und nicht mehr als Handlanger des Pfarrers gesehen, doch lag die Verantwortung für die Schule und die Auswahl der Lehrer weiterhin bei den Pfarrern (Bloch Pfister 2007, S. 71 ff.; dasselbe gilt für Bern, vgl. Crotti 2005, S. 70). Zumindest ideell erfolgte allmählich ein funktionaler Ausdifferenzierungsprozess: Die Ausdifferenzierung (‹Herausnahme›) der Lehrertätigkeit aus dem seelsorgerischen Bereich des Pfarrers bahnte sich an.

Zwischen den kulturellen Vorstellungen und der gelebten Realität des Lehrberufs klafften grosse Unterschiede. Sowohl in Deutschland (Ofenbach 2006, S. 96 ff., Enzelberger 2001, S. 39 f., Walz 1988, S. 68 ff.) als auch in der Schweiz hielt sich das niedere Schulwesen weitgehend in überlieferten Bahnen. Im ländlichen Teil des Kantons Zürich gingen im Jahr 1770 noch 67 Prozent der Schulmeister einer anderen Tätigkeit nach (Bloch Pfister 2007, S. 84 ff., Rosenmund und Diethelm 2008, Erziehungsrat des Kantons Zürich 1933, S. 43 ff.). Ähnliches berichtet Scandola für Bern (Scandola, Rogger und Gerber 1992, S. 7, vgl. auch Crotti 2005, S. 76). Da die anderen Tätigkeiten vielfach im Rahmen der Familienwirtschaft erfolgten, war es möglich, dass Ehefrauen und Töchter sich auf dem Land am Schulunterricht beteiligten; in ein offizielles Schulmeisteramt wurden im Kanton Zürich bis 1875 allerdings keine Frauen gewählt.47 Die ‹Berufsvererbung›, die es bereits im Spätmittelalter gegeben hatte, setzte sich also fort. Für den Kanton Zürich sticht aber ins Auge, dass angehende Lehrer zum Teil beim örtlichen Pfarrer auf die spätere Unterrichtstätigkeit vorbereitet wurden, also keine ‹Lehre› bei einem Meister des Lehrens absolvierten (Bloch Pfister 2007, S. 84 ff., Rosenmund und Diethelm 2008, Späni 2005): Die Deutung des Lehrens als Handwerk begann sich zu verlieren.

Im nachstehenden Spottlied vom «Dorfschulmeisterlein», das Ende des 18. Jahrhunderts ein Lehrer in Deutschland verfasste, zeigt sich, dass die gebildeten Stände des 18. Jahrhunderts den Lehrer auf dem Land als einen mittellosen Schulmeister einstuften, der eine lächerliche Figur darstellt (Walz 1988, S. 59):

Der Text des Spottliedes lautet:

«In einem Dorf im Schwabenland, da lebt uns allen wohlbekannt,

da wohnt in einem Häuslein klein, das arme Dorfschulmeisterlein.

Des Sonntags ist er Organist, des Montags fährt er seinen Mist,

des Dienstags hütet er die Schwein, das arme Dorfschulmeisterlein.

Des Mittwochs fährt er in die Stadt und kauft, was er zu kaufen hat;

’Nen halben Hering kauft er ein, das arme Dorfschulmeisterlein.

Des Donnerstags geht er in die Schul’ und legt die Buben über’n Stuhl.

Er haut so lange, bis sie schrei’n, das arme Dorfschulmeisterlein.

Und wenn im Dorfe Hochzeit ist, dann könnt Ihr sehen, wie er frisst.

Was er nicht frisst, das steckt er ein, das arme Dorfschulmeisterlein.

Und wird im Dorf ein Kind getauft, dann könnt Ihr sehen, wie er sauft;

Elf Halbe schüttet er sich ein, das arme Dorfschulmeisterlein.

Und wird im Dorf ein Schwein geschlacht’t, dann könnt Ihr sehen, wie er lacht.

Die grösste Wurst ist ihm zu klein, dem armen Dorfschulmeisterlein.

Und wenn’s im Dorfe einmal brennt, dann könnt Ihr sehen, wie er rennt;

die nächste Ecke rennt er ein, das arme Dorfschulmeisterlein.»

Dieser Landlehrer ist arm, ängstlich und unzivilisiert, gleichzeitig aber auch ein gebildeter Kirchenmann (Organist), er unterrichtet nur am Donnerstag und geht noch weiteren Aufgaben nach, vor allem solchen in der Landwirtschaft. Das Lächerlichmachen zeigt sich nicht zuletzt darin, dass der Lehrer sprachlich versächlicht beziehungsweise verkindlicht wird («das» Dorfschulmeisterlein). Eine solche Einschätzung ist nur vor einem kulturellen Hintergrund denkbar, in dem neue Ansprüche an die Volksschule formuliert werden, die den althergebrachten Vorstellungen der Landbevölkerung entgegenstehen.

Für die ‹höheren› Schulen sind andere Entwicklungen wichtig: Ende des 18. Jahrhunderts und zu Beginn des 19. Jahrhunderts beeinflusste der Neuhumanismus im deutschsprachigen Raum die Ansichten über das Bildungswesen (Enzelberger 2001, S. 43 ff.). Der Mensch galt als Einheit von Leib, Seele, Gefühl und Verstand; unabhängig von jeder Verwertungsabsicht und von jeder Nützlichkeit sollte er sich entfalten können. Als erste Stufe der angestrebten allgemeinen Menschenbildung galt die «Elementarschule», die nicht mehr eine Schule für das ‹niedere Volk› sein sollte, sondern jenseits von ständischer Erziehung zur Selbstverantwortung in allen Lebensbereichen befähigen sollte. Die höchste Stufe des Bildungswesens war die Universität. Als neue Institution, die einen Teil der früheren ‹höheren Schulen› gleichsam ersetzte und auf die Universität unmittelbar vorbereitete, wurde mit der Zeit auf breiter Basis das humanistische Gymnasium geschaffen (Enzelberger 2001, S. 47).

Noch lange Zeit unterrichteten an Gymnasien sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz – in Bern bis 1830 – Absolventen eines Theologiestudiums, die auf eine frei werdende Pfarrstelle warteten oder die Lehrtätigkeit dem Pfarrersein vorzogen (Criblez und Späni 2002, S. 462 ff.). Da weder angehende Mediziner noch Juristen, sondern ausschliesslich angehende Theologen vor Beginn der universitären Theologieausbildung das Gymnasium besuchen und ein zweijähriges Studium an der Philologischen Fakultät48 absolvieren mussten, verfügten nur sie ansatzweise über Kenntnisse, die an Gymnasien vermittelt werden sollten. Theologen galten daher als prädestinierte Kandidaten für eine entsprechende Lehrtätigkeit, auch wenn sie keine direkt berufsvorbereitende Ausbildung durchlaufen hatten.

Fazit

Im Denken der Aufklärung sollten sich alle Menschen zu vernünftigen Wesen entwickeln können, die zur allgemeinen Wohlfahrt beitragen. Lehrende an Elementarschulen wurden nicht länger als Handwerker und nebenbei unterrichtende ‹Schulmeisterlein›, sondern als Erzieher gedacht, die einem Amt verpflichtet sind, sich ihrer Aufgabe hingeben und mit pädagogischem Eros tätig sind, aber auch durch eine formelle Ausbildung jenseits des Systems der Meisterlehre auf das Unterrichten vorbereitet werden. Ein solches Lehrverständnis trägt nun deutliche Züge des modernen ‹äusseren› und ‹inneren› Berufs. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurden Elementarlehrer – im Rahmen des neuhumanistischen Denkens – zudem als Teil eines Bildungswesens gedacht, in dem sie gemeinsam mit Lehrern ‹höherer› Schulen (den späteren Gymnasiallehrern) im Rahmen eines einzigen, zusammengehörigen Ganzen des Bildungswesens wirken, das die allgemeine Menschenbildung ohne jeden Nützlichkeitsbezug fördert.

Die Realität im 18. Jahrhundert entsprach den neuen Vorstellungen nicht, sie verlief weitgehend in tradierten Bahnen. Reformen wurden zunächst vor allem im höheren Bildungswesen in die Weg geleitet. Doch die Lehrtätigkeit behielt Residualcharakter: Im ‹niederen› Schulwesen war sie (vorübergehende) Nebentätigkeit verschiedenster Akteure, im ‹höheren› Schulwesen vorübergehende Haupttätigkeit von Theologen.

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