Читать книгу: «Die Gewissensentscheidung», страница 3

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Tags drauf war ich mit zwei Kollegen beim Kampfsport und auch da verfolgten uns Männer mit Headsets bis zum Eingang. "Hey, Caroline, schau dir mal die beiden Typen da in dem Wagen an. Die gehören doch garantiert zur Agency. Seit wann interessiert sich die CIA für unsere Schießergebnisse?"

"Marlene, keine Ahnung. Aber die sind so unauffällig auffällig, dass die nach CIA stinken. Lasst uns mal sehen, ob wir die besser getarnten auch entdecken."

Philipp war der Erste, der etwas bemerkte. "Da vor uns: der Eisverkäufer trägt nagelneue Lackschuhe und die Armbanduhr ist sauteuer." Marlene fand den Zweiten: "Dort die Oma auf der Parkbank, die auf dem Handy herumtippt. Habt ihr schon einmal eine Oma gesehen, die so schnell ist?"

Wir waren uns einig, dass hier die CIA eine Überwachung durchführte. Wenn der Auslandsgeheimdienst intern einen anderen Dienst überwacht, dann ist immer Vorsicht geboten und wir machten daher bei unserem Direktor Meldung.

Unser betagter Direktor notierte sich alles sorgsam, aber er versuchte wieder, uns zu beruhigen. Schließlich entließ er uns mit seinem Segen.

Dann kam der Hinrichtungstag.

An diesem Tag saßen in der Gästekabine 10 Zuschauer, aber zwei Stühle in der ersten Reihe blieben leer. Als das Urteil vollstreckt war und der Arzt den Tod der beiden jungen Männer feststellte, drang unter großem Lärm John Allister MacFroody ein und machte einen wilden Aufstand, der erst durch mehrere Wachen gestoppt werden konnte.

"Ich habe Sie gewarnt, Miss Miles, lassen Sie die Hände von meinen Söhnen. Jetzt haben Sie es doch gewagt und mir meine Kinder genommen." Für einen kurzen Augenblick hatte ich mit MacFroody Blickkontakt und seine Augen schworen Rache! Die Augen funkelten und in MacFroody war etwas zerbrochen, seine beiden Söhne, seine einzigen Erben hingen hier leblos in den Schlingen. "Dafür werde ich Sie zur Rechenschaft ziehen! Verlassen Sie sich drauf, Ihr Leben ist keinen Pfifferling mehr wert!" MacFroody schrie den letzten Satz und die Sicherheitskräfte mussten ihn mit Gewalt aus dem Raum bringen.

Als ich zu unserem Direktor kam, waren dort zwei weitere Beamte, die sich als "Interne Ermittler" vorstellten. Unser Direktor saß an seinem Schreibtisch und hatte einen hochroten Kopf.

"Herr Direktor, wir schlagen Ihnen vor, Miss Miles schnellstmöglich über den sicheren Weg außer Landes zu bringen. Dieser MacFroody ist ein Fersenbeißer, dem man nicht trauen kann."

"Aber meine Herren, das Gesetz besagt doch ganz klar..." Der ältere der beiden Internen unterbrach unseren Direktor höflich, aber bestimmt. "Sehen Sie, dieser CIA-Mann hält sich nicht an das Gesetz und die globalen Spielregeln. Das ist die Agency, die nehmen das Recht gern in die eigene Hände und das ist gefährlich. Miss Miles muss außer Landes, so schnell wie möglich."

Als die beiden Herren gegangen waren, bat mich der Direktor, noch kurz zu bleiben. "Miss Miles, Caroline, bitte vergeben Sie mir. Ich habe bis eben nicht geglaubt, dass MacFroody soweit gehen würde. Die Internen haben Recht, Sie müssen weg von hier, in Sicherheit. Bitte verzeihen Sie mir, Caroline."

Bei unserem Abschied standen die Tränen im Gesicht unseres Direktors.

Am Folgetag brachten mich zwei Sicherheitsleute unseres Institutes heimlich und still zum Flughafen. Sie steckten mich schnell über den VIP-Service in eine bereitstehende Sondermaschine, mein Gepäck und alles würde ich später nachgeschickt bekommen. So verließ ich die Vereinigten Staaten von Amerika, jenes Land, dem ich die letzten Jahre gut und gerne gedient hatte.

Man hatte mich quasi hinausgeworfen, weil ich mich an das Recht hielt und meine Arbeit gut machte. Ab diesem Zeitpunkt waren die USA für mich nicht mehr das Land der unbegrenzten Freiheit, ein Zustand, der sich nicht mehr ändern sollte.

***

Karibik

Mein erstes Ziel waren die Bahamas, dort traf ich auf einen Vertrauten von früher: John Phillips, einen Agenten des Mossad. "Hallo Caro, wie wäre es mit einem kühlen Eistee? Ich freue mich auf ein Gespräch mit der kleinen Lady von früher."

"John, mein Freund, gerne, da vorne ist frei. Die Leute am Nebentisch sind steinalt und betrachten die Urlaubsbilder der schwulen Söhne. Sie versuchen ihre Enttäuschung über ihre Kinder mit Whisky herunterzuspülen."

"Unglaublich und ich dachte schon, du hättest alles verlernt, was dir dein alter Lehrmeister beigebracht hat. Aber ich sehe, es ist alles noch da. Ich soll dich übrigens von Dagan grüßen, er wird sich um dein Gepäck kümmern. Deine weitere Route führt dich nach St. Vincent auf die Antillen. Du kennst doch noch Gerome, unser Bastelgenie?"

"Aber klar doch, Gerome, der Dioden-Schreck! Wie ich hörte, hat er jetzt eine kleine Ladenkette."

"Oh ja, Gerome wollte immer ein Geschäft, jetzt hat er eine kleine Kette und ich habe ihn bereits instruiert, er freut sich auf dich. Ach ja, wir sollten uns beeilen, dein Flieger geht in 45 Minuten."

Gerome ließ mich am Flughafen abholen, Karah, das Mädchen, das mich abholte, hatte mich sofort erkannt und fiel mir um den Hals. "Caroline, meine Lieblingsschwester, endlich sehen wir uns wieder!" Schon lagen wir uns in den Armen und küssten uns wie zwei Schwestern, die sich lange nicht gesehen hatten.

"Schön, dich zu sehen, Geschwisterliebe ist hier nicht tabu", flüsterte sie mir zu und wir verschwanden im bereitstehenden Wagen. "Das ist Margot aus München, sie ist die Niederlassungsleiterin hier und Gerome hat ihr vermutlich alles erzählt, was sie über dich wissen muss." Dabei rollte Karah verführerisch mit den Augen und Margot musste laut lachen. "Na, so schlimm war es dann doch nicht, hallo Caroline, schön, dich endlich einmal persönlich kennenzulernen. Gerome hält wirklich sehr viel von dir und ich glaube, er ist immer noch ein bisschen in dich verliebt."

So gelange ich nach St. Vincent, eine der schönsten, aber auch kleinsten Inseln der Karibik. In der Niederlassung des Elektronikfachhandels übernahm ich mit Michelle die Reparaturwerkstatt.

***

Neuzugänge

Zwei Tage nach Tanjas Gerichtsverhandlung saß ich gegen Abend noch in meinem Büro und ging ein paar Akten durch. Feste Arbeitszeiten hatte ich längst abgelegt und solange ich meinen Job tat, interessierte es Frank auch nicht, wann, wie lange und an wie vielen Tagen der Woche ich arbeitete. Außerdem genoss ich die Stille im Verwaltungsgebäude nach Feierabend.

Heute Vormittag hatte man Tanja in unsere JVA verlegt, was Frank dazu veranlasst hatte, die Dienstpläne umzustellen. Denn einige von Tanjas engen Freunden und Kollegen hatten darum gebeten, nicht bei der Prozedur ihrer Einlieferung dabei sein zu müssen. Zu lebenslanger Haft wegen Mordes aus Heimtücke hatte sie das Gericht verurteilt. Zwar hatte ihr Anwalt Berufung eingelegt, doch die Bestätigung ihres Urteils war eine reine Formsache. Da sich jemand darum kümmern musste, hatte ich mich bereit erklärt, Tanja "zu begleiten" bzw. mich um alles zu kümmern. Wieder einmal stellte ich fest, dass es bei einer Einweisung unglaublich viel Papierkram zu erledigen gab.

Als die Tür aufging, sah ich auf und Jessika kam mit Tanjas Akte in der Hand zu mir, denn natürlich wollte ich wissen, wie das Urteil begründet wurde.

"Hier, die wurde gerade per Kurier gebracht. Schade, ich habe sie sehr gemocht. Weshalb hat sie sich nicht helfen lassen?!", schimpfte sie leise, während sie mir die Akte reichte. "Glaub mir, diese Frage habe ich mir mehr als tausend Mal gestellt", brummte ich und warf einen Blick in die Akte. "Warum hat sie nicht einfach den Mund gehalten?!", fügte ich im Stillen dazu.

"Am besten verlegen wir Tanja in Haus B, dort hat sie am wenigsten Kontakt zu ihren ehemaligen Kollegen. Die meisten Beamten in Haus B kamen, als Tanja in der Freigänger-Einrichtung gearbeitet hat."

"Gute Idee, ich werde morgen früh alles in die Wege leiten", nickte sie und sah zur Couch, die an der gegenüberliegenden Wand stand. Dort lag Vera, meine Lebensgefährtin, die tief und fest schlief. Vera hatte ich hier in der JVA kennen gelernt, als sie eine Stelle bei Dr. Schemmlein bekam, unserem leitenden Arzt der Krankenstation. Den Luxus einer eigenen Krankenabteilung besaßen nur die wenigsten Gefängnisse und diesen hatte Frank gegen alle Widerstände aus dem Ministerium durchgesetzt.

Vera war eine junge Assistenzärztin mit mehreren Zusatzausbildungen. Sie hatte vorher bei der Bundeswehr im medizinischen Dienst gearbeitet und sie war auch an mehreren Auslandseinsätzen beteiligt. Die 28-jährige, rotblonde Schönheit und ich hatten sehr schnell einen Draht zueinandergefunden, so dass das anfänglich dienstliche Verhältnis sich in ein privates änderte. Vera wusste von meinem Job und hatte anders als die meisten ihrer Vorgängerinnen kein Problem damit. Die meisten Beziehungen, die ich im Laufe der letzten Jahre hatte, gingen wegen des Jobs bzw. meiner Wohnsituation in die Brüche. Denn einfach eine Bekanntschaft zu einer Tasse Kaffee mit in die Wohnung nehmen war nicht drin, von meinen Arbeitszeiten ganz zu schweigen. Umso erfreuter war ich, dass Vera mich dennoch liebte und es jetzt schon zwei Jahre mit mir aushielt.

"Hatte sie wieder Zusatzdienst?", wollte Jessika wissen und wies auf Vera.

"Ja, Schemmlein hatte ein paar Notfälle."

"Willst du ihr nicht eine Decke besorgen?"

Mein Blick schweifte bei der Suche nach einer Decke ergebnislos durch das Büro. "Hm, du hast nicht zufällig in deinem Büro eine liegen?"

"Nein! Verdammt, deine Wohnung ist nur ein Stockwerk höher und ihr zwei werdet mich aus eurem Leben heraushalten. Ich habe auch so schon genug mit euch zu tun." Sie drehte sich um und ging wieder hinaus, doch ich konnte sie schmunzeln sehen, als sie sich umdrehte.

Auch ich lächelte, bis Jessika das Büro verlassen hatte, dann schlug ich die Akte auf und las mir das Urteil durch. "Lebenslange Haft! Warum hast du nicht den Mund gehalten!", seufzte ich nochmals und warf die Akte resigniert auf den Schreibtisch, als das Telefon klingelte.

"Stein."

"Du schuldest mir zwei Flaschen erstklassigen Whiskey", meldete sich Mike am anderen Ende der Leitung.

"Sie haben sie wirklich zu lebenslang verurteilt?"

"Nicht nur das! Trommer hat die Anklage noch erweitert, und zwar auf Mord in zwei Fällen, Mord an ihrem Mann und Mord an ihrer Tochter Ella Fischer. Das heißt, lebenslang mit anschließender Sicherheitsverwahrung und das ohne Berufungsmöglichkeit."

"Wow, hätte ich nicht gedacht."

"Tja, sie sicher auch nicht. Fischer ist bei der Verkündung glatt zusammengebrochen."

"Kann man ihr nicht verdenken."

"Du hättest die Strass sehen sollen. Tief betroffen von dem harten Urteil beugte sie sich dem Willen des Staatsanwaltes."

"Sie war sicher am Boden zerstört."

"So kann man es auch nennen, jedenfalls lade ich dich auf einen schönen, gemütlichen Herrenabend ein und bring den Stoff mit."

"Geht klar. Wir sehen uns."

Ich saß noch eine Weile schweigend in meinem Sessel, während mir immer wieder Beate Fischer vor meinem inneren Auge erschien. Sie war mit Sicherheit eine der schönsten Frauen, die ich je gesehen hatte… Eine Überlegung, die Vera sicher nicht gefallen würde. Dennoch, diese smaragdgrünen Augen hatten etwas, das mir im Gedächtnis bleiben würde… und auch der Hass darin, als sie Petra Strass gegenüberstand. Etwas in meinem tiefsten Innersten sagte mir, dass es da mehr geben musste als das, was man oberflächlich wahrnehmen konnte. Ein Blick zur Uhr teilte mir mit, dass es Zeit war, für heute Feierabend zu machen, also fuhr ich den PC herunter, ging zur Couch und weckte Vera sanft auf. "Komm, Schatz, Zeit ins Bett zu gehen", flüsterte ich ihr ins Ohr und brachte sie eine Etage höher in meine Wohnung.

***

Hoher Besuch

Am nächsten Tag kam ich vom morgendlichen Meeting mit Frank und war auf dem Weg in mein Büro, als ich sah, wie Beate Fischer von zwei Beamtinnen und Vera in die Untersuchungszelle gebracht wurde.

Jetzt trug sie eine Jeans, einen hellen Pullover und ein Paar Sneakers. Anders als im Gericht, wo sie mit erhobenem Haupt durch die Menge schritt, blickten ihre Augen glanzlos geradeaus. Statt Fesseln trug sie nun ihre Kleidung, Decken und ihren persönlichen Besitz, den sie behalten durfte.

Die Wachen drückten sie durch die Tür des Raumes und Vera bildete den Schluss, wobei sie ihre kleine Tasche trug, die ihr Stethoskop enthielt und alles, was sie sonst noch so brauchte, um eine Frau medizinisch zu untersuchen. Sie warf mir ein verliebtes Augenzwinkern zu und schloss die Tür hinter sich. Ich beneidete Beate Fischer für die nächste halbe Stunde nicht, schließlich nahm Vera ihre Arbeit hier sehr ernst. Vera würde sie sehr gründlich untersuchen, denn letztlich war sie für deren Gesundheit verantwortlich.

"Da bist du ja. Ich suche dich schon überall", hörte ich Jessika, drehte mich um und sah sie auf mich zukommen.

"Was ist denn? Ich habe heute keine Termine."

"Nein, du hast Besuch."

"Wen?"

"Oberstaatsanwalt Trommer."

"Trommer? Was will der denn?"

"Keine Ahnung! Er kam vor einer Viertelstunde und will mit dir reden", teilte sie mir mit, während sie mit mir zurückging. "Was immer er will, ich denke, es ist nichts Offizielles, also werde ich mich erst einmal unsichtbar machen."

"Ok, ich hör mir an, was ihn herführt, dann sehen wir weiter", meinte ich zu ihr. "Hör dich mal um, ob der Knastfunk schon etwas Neues weiß", bat ich sie, als wir in meinem Büro ankamen, wo Oberstaatsanwalt Trommer wie selbstverständlich auf meinem Stuhl hinter meinem Schreibtisch saß.

"Ich habe noch einiges zu erledigen", sagte Jessika und warf mir noch einen warnenden Blick zu, bevor sie die Tür hinter sich schloss. Ich ignorierte die Tatsache, dass Trommer auf meiner Seite des Schreibtisches saß, also machte ich es mir deutlich bequem auf meinen Besucherstuhl.

"Guten Tag, Herr Oberstaatsanwalt. Was kann ich für Sie tun?"

"Sie haben heute einen Neuzugang bekommen, Beate Fischer."

"Hm, ich habe mir die Akten der heutigen Neuzugänge noch nicht angesehen. Aber wenn Sie es sagen, wird es sicher so sein."

"Lassen wir den Quatsch, Sie waren gestern im Gericht und wissen genau, wen ich meine! Reden wir einmal, ohne auf die Förmlichkeiten zu achten. Sozusagen inoffiziell."

"Autsch", dachte ich, "das kann heiter werden." Denn die Erfahrung lehrt uns, dass inoffizielle Gespräche nie wirklich inoffiziell sind. Zumindest nicht dann, wenn sie anders verlaufen, als es sich das Gegenüber vorstellt.

"Beate Fischer wurde gestern zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt. Ich werde gegen dieses Urteil Revision einlegen, mit dem Ziel, ihr zumindest die Sicherheitsverwahrung und damit großzügigerweise die Zukunftslosigkeit zu ersparen."

"Warum?", fragte ich misstrauisch. Trommer war ein Profi und dass das Gericht seinem Antrag gefolgt war, bewies dies einmal mehr. Gegen das von ihm selbst geforderte Urteil Revision einzulegen, war mehr als ungewöhnlich, nein, das stank geradezu. Frank hatte mich darauf hingewiesen, dass Trommer seine Beliebtheit nutzen wollte, um bei der Bevölkerung Punkte zu machen. Das hatte er mit Beates Urteil erreicht, was also lief hier?!

"Ich möchte, dass Beate Fischer bis zur endgültigen Entscheidung des Gerichtes in den gelockerten Vollzug kommt."

"WAS?", musste ich nachfragen, denn ich glaubte, mich verhört zu haben.

"Sie haben mich genau verstanden! Bis zur endgültigen Entscheidung gilt auch bei Beate Fischer die Unschuldsvermutung. Durch das öffentliche Interesse an diesem Fall sollte die Justiz zeigen, dass es einen Unterschied zwischen rechtskräftig verurteilt und noch nicht rechtskräftig verurteilt gibt. Das ist übrigens, wie Sie genau wissen, so im Gesetz verankert."

Das war ganz starker Tobak! Trommer wusste ebenso wie ich, wie der Hase im Knast lief! Beate war wegen Mordes an ihrem Kind verurteilt und hier hinter Gittern spielte es keine Rolle, ob das Urteil endgültig war oder nicht! Die Knasthierarchie bei den Frauen unterschied sich bei Kindesmord in ihrer Gnadenlosigkeit in keiner Weise von jener der Männer! Kindermörder*innen waren die unterste Stufe der Hierarchie und Freiwild! Diejenigen, die im Knast wegen Mord an einem Kind einsaßen, hatten ein sehr "bescheidenes" Leben. Das lag nicht etwa an uns Beamten, denn Frank hatte klar gemacht, dass er von jedem Einzelnen ein korrektes Verhalten erwartete, nein, es lag an den Mitgefangenen. Für Berufsverbrecher, die wegen Mord, Totschlag oder Raub einsaßen, boten Kindermörder die Chance, entweder in der Hierarchie aufzusteigen oder ihren Rang zu festigen. Das alles wusste Trommer nur allzu genau… Ich stand auf und ging zu meinem Schreibtisch, dort setzte ich mich vor Trommer auf die Kante.

"Ich bin mir nicht sicher, ob ich das richtig verstanden habe. Ich soll Frau Fischer nicht in den normalen Vollzug verlegen, sondern in den gelockerten Vollzug. Was Freigang, Aufschluss und Teilnahme an Gemeinschaftsveranstaltungen bedeutet."

"Exakt."

"Und das, obwohl Ihnen die Konsequenzen sicherlich bekannt sind."

"Ich sehe, Sie haben mich verstanden, denn so sieht es das Gesetz im Strafvollzug vor."

"Die Leitung der JVA hat für Verurteilte wie Frau Fischer spezielle Vorgehensweisen und Abläufe erstellt, um deren Sicherheit zu gewährleisten. Ich wusste gar nicht, dass das Ignorieren meiner Vorschriften so in meinen Dienstvorschriften steht."

"Kommen Sie mir nicht mit so einem Scheiß", antwortete Trommer scharf, "ich weiß genau, was in den vier Wänden Ihres Knastes geschieht, spielen Sie also nicht den Saubermann. Sie und Frau Dafore biegen sich Weisungen und Verordnungen so zurecht, wie Sie es brauchen, um Brauer Ärger vom Hals zu halten."

"Da ist schon etwas dran, schließlich lässt sich praktisch jeder Paragraf mit einem anderen Paragrafen widerlegen. Ich will mich ja auch nicht gegen Ihre Weisung sperren, mich interessiert lediglich das Warum."

"Sagen wir einfach, es handelt sich um einen persönlichen Gefallen."

Jetzt war ich ernsthaft erstaunt! Trommer nahm den Tod einer verurteilten Frau in Kauf und verpackte es als "persönlichen Gefallen"! Plötzlich sah ich Trommer wieder im Flur des Gerichtes, als er mit Petra Strass Augenkontakt hielt. SIE benutzte Trommer, um sich an Fischer zu rächen! "Sind wir immer noch inoffiziell?", wollte ich wissen.

"Sicher."

"Ihnen ist schon klar, dass Frau Strass Sie benutzt, um ihre Rache zu bekommen?"

Trommer lachte nur trocken auf, wobei er mich mitleidig anschaute und in diesem Moment wurde mir alles klar! Nicht Petra Strass benutzte Trommer… nein! Trommer benutzte Beate Fischer. Es war der perfekte Fall, sich zu profilieren und die Leiter nach oben zu steigen. In Beates Fall hatte er sich hart gezeigt, er hatte eine lebenslange Freiheitsstrafe gefordert und bekommen. Gleichzeitig zeigte er sich nachsichtig, indem er der armen Verurteilten ein "für immer weggesperrt sein" im Nachhinein ersparte. Gab das Gericht seiner Revision statt, wäre er der Mann, der Beate Fischer - der schönen, rothaarigen Frau, wie die Leute sie in Erinnerung behielten - doch noch eine Perspektive gab. Sollte ihr bedauerlicherweise etwas geschehen, würde die Öffentlichkeit ganz sicher nicht Trommer die Schuld geben, sondern Beate selbst. Allerdings wäre auch ich dann im wahrsten Wortsinn "der schwarze Peter". Wie auch immer, Trommer war fein raus, dass ihm dabei Petra Strass ein paar schöne Stunden bescherte, war lediglich ein angenehmer Nebeneffekt für ihn.

Ich musste meinen Hut vor diesem Mann ziehen, doch gleichzeitig machte es mich vorsichtig. Eine innere Stimme riet mir, dass ich mir diesen Mann nicht zum Feind machen sollte, denn er würde mit Sicherheit eines Tages Minister werden… mindestens.

"An welchen Zeitraum genau haben Sie denn bei Frau Fischer gedacht?"

"Die Dauer wird von dem zuständigen Gericht abhängen, doch wie ich das OLG kenne, wird es eine geraume Zeit dauern."

Ich fragte mich, was Frank dazu sagen bzw. was er von mir erwarten würde. Dabei kam ich zu dem Schluss, dass er sagen würde: "Schaff den Irren hier raus, aber so, dass es niemand mitbekommt." Eigentlich hatte ich momentan nur eine Option… Zeit schinden, und die Zeit bekam ich nur, wenn ich hier und jetzt auf Trommers "persönlichen Gefallen" einging. „Gut“ antwortete ich schließlich, „aber ich hätte da auch eine Bitte.“

"Ich bin ganz Ohr", sagte er, während er mich fragend ansah.

"Meine ehemalige Kollegin, Tanja Schiller, sie wurde gestern zu lebenslanger Haft verurteilt. Ihr Mann hat sie über Jahre misshandelt. Ich möchte, dass Sie bei der Berufungsverhandlung einen Blick in ihre Akte werfen."

"Also gut", nickte Trommer, "ich werde sehen, was sich machen lässt." Er stand auf und streckte mir die Hand entgegen. "Wir sind uns einig?"

"Ja, Herr Oberstaatsanwalt", entgegnete ich, damit waren wir wohl wieder offiziell und Trommer verließ mein Büro, während ich mich in meinen Sessel sinken ließ. "Das werden interessante Wochen werden", dachte ich und beschloss, Frank erst einmal nichts zu sagen, denn was Frank nicht wusste…

***

"Und was wollte Trommer?", fragte Jessika später.

"Er legt gegen sein eigenes Urteil Revision ein und will, dass Beate Fischer bis zur Entscheidung des Gerichtes in den gelockerten Vollzug kommt."

"Er will was?!"

"Ja, ich war genau so erstaunt."

"Ihm ist doch sicher klar, dass Beate dort keine zwei Wochen überlebt! Jeder weiß, dass wir eine neue Kindermörderin einsitzen haben und die harten Mädels sind schon ganz aufgeregt! Eigentlich müssten wir sie die erste Zeit in die TE-Abteilung (Terror-Abteilung, ein besonders gesicherter Bereich aus Einzelzellen) verlegen."

"Ja, das weiß ich, was mir die meisten Sorgen macht ist, dass es Trommer als persönlichen Gefallen verpackt hat."

"Wieso, aus seiner Sicht ist das genial, geschieht Beate etwas, ist es deine Schuld und nicht seine. Also was tun wir?"

Ich schaute zur Uhr und meinte: "Heute ist Freitag, bis seine Revision bei Gericht eingegangen ist und der Eingang bestätigt wird, dauert mindestens bis Dienstag, erst einmal tun wir gar nichts. Beate bleibt im normalen Vollzug, solange haben wir Zeit, uns etwas zu überlegen und mehr herauszufinden."

„Ok“ nickte Jessika, "ich fange an zu graben und du besorgst dir die Fischer-akte und schaust sie dir an."

***

Ein Kurier hatte die Akte am heutigen Montagmorgen gebracht und ich musste feststellen, dass ich lediglich eine verwässerte Abschrift bekam. Die eigentliche Ermittlungsakte wurde mir verwehrt, dennoch gab ich die Hoffnung nicht auf, einen Hinweis zu finden, der Trommers "Gefallen" erklärte, also studierte ich jeden Eintrag. Immer wieder sah ich Trommer vor dem Gerichtssaal mit Petra Strass Augenkontakt halten. Doch das war einfach zu offensichtlich! Ein Mann wie Trommer würde seinen Aufstieg an die Spitze nicht riskieren, nur um seiner momentanen Flamme ihre persönliche Rache zu geben. Beates Tod würde mächtige Wellen schlagen und natürlich würde man auch Trommers Rolle bei dem Drama durchleuchten. Dennoch riskierte er einen Skandal, es machte mir Sorgen, dass ich nicht hinter Trommers Pläne blicken konnte, als Jessika zu mir kam.

"Ich glaube, ich habe da etwas."

"Hoffentlich, ich finde hier nämlich nichts und die Zeit arbeitet gegen uns."

"Trommer hatte am Freitag noch einen Termin hier."

"Jetzt mach es nicht spannend!"

"Er vernahm eine Insassin, Elvira Torres."

"Torres?!" Elvira Tores, 33, hatte zwar einen spanischen Nachnahmen, kam aber aus der tiefsten bayrischen Provinz, saß seit vier Jahren hier wegen Totschlags ein und hatte noch vier Jahre vor sich. Mindestens, denn Torres galt als Pulverfass, das ständig explodieren konnte. In den bisherigen vier Jahren ihrer Haft hatte Torres schon einige Disziplinarmaßnahmen wegen Gewalt gegen Mitgefangene erhalten und darum stand sie in der Knasthierarchie auch im oberen Viertel.

"Die sitzt hier schon vier Jahre, was will er von ihr?"

"Wollen wir wetten, dass Trommer sie gekauft hat, um Beate umzulegen?"

"Sag das laut und wir stehen auf jeder Abschussliste! Aber ja, das würde passen, Torres hätte kein Problem damit, Beate ein Messer in die Rippen zu stecken. Ich verstehe immer noch nicht, warum Trommer das in Kauf nimmt!"

"Ich auch nicht, trotzdem gehe ich die Wette ein und Trommer scheint es eilig zu haben, Beate umbringen zu lassen."

"Wenn du Recht hast, muss sie eine Waffe haben." Da Torres als gewaltbereit galt, hatte Decker ihr den Zugang zu möglichen Waffen komplett verwehrt. Natürlich konnte sie auch mit der Klinge eines Einwegrasierers Schaden anrichten, doch kaum jemanden damit in Sekundenschnelle umbringen, denn mehr Zeit würde sie nicht haben.

Jessika sah auf die Uhr und meinte: "Torres ist noch eine halbe Stunde beim Freigang, durchsuchen wir ihre Zelle."

"Guter Gedanke", meinte ich und stand auf. "Soll ich Decker unterrichten?"

"Wenn du Decker einweihst, kannst du auch gleich Frank anrufen."

Als ich eine Minute immer noch schwieg, stieß sie mich an. "Was geht in deinem Kopf vor?"

"Die ganze Sache stinkt zum Himmel. Ein Staatsanwalt bittet mich um einen Gefallen, der mit Sicherheit dazu führt, dass jemand umkommt! Das Problem dabei ist, dass er mich lediglich bittet, das Gesetz genau zu nehmen. Damit zwingt er mich, zu entscheiden, ob ich dem Gesetz oder den Anweisungen meines direkten Vorgesetzten folge, also Frank.

Ich kann Trommer nicht einmal greifen! Angenommen ich gehe zum Minister, was soll ich dem sagen?" Mein Blick war ziemlich niedergeschlagen. "Trommer bittet mich, ich soll mich an das Gesetz halten, tun Sie was dagegen!", schüttelte ich den Kopf. "Entweder ziehen wir hier und jetzt die Reißleine und gehen zu Frank oder…"

"Oder…?"

"Wenn ich zu Frank gehe, wird er dem Spiel schnell ein Ende setzten, doch Trommer wird Wege kennen, seinen Plan umzusetzen. Entweder wird Beate in eine andere JVA verlegt, wo Frank nicht das Kommando hat, oder es dauert eben etwas länger, bis Beate über die Klinge springt.

Ich will aber nicht, dass Beate stirbt! Selbst wenn ich davon ausgehe, dass sie tatsächlich in vollem Umfang schuldig ist. Aber eine Stimme in meinen Kopf sagt mir, dass da etwas faul ist, daher kann ich nicht einfach danebenstehen und zusehen. Wir sind hier nicht in den USA, hier gibt’s keine Todesstrafe und das ist verdammt gut so. Aber wenn ich Beates Tod verhindern will…"

"…dann musst du herausfinden, was Trommer bezweckt", beendete Jessika meinen Gedanken.

"Ja. Bist du mit dabei?"

"Wir sind jetzt zwanzig Jahre ein Team, natürlich bin ich mit dabei!"

***

Die Entdeckung

Fünf Minuten später durchsuchten wir Torres' Zelle und wurden schnell fündig. Zwischen den Hygieneartikeln fand Jessika ein beidseitig geschliffenes Messer! "Warum denken Frauen eigentlich immer, dort würde man nicht suchen?", fragte sie leise und rief mich zu sich.

"Hm", brummte ich und sah einen durchsichtigen Plastikbeutel, in dem ein Messer lag, das klein genug war, um beim Tragen nicht aufzufallen, aber dennoch groß genug, um jemanden zu erstechen. Die Tatsache, dass es beidseitig geschliffen war, machte das Messer umso gefährlicher. "Das sieht wie ein normales Besteckmesser aus. Entweder hat Torres das Messer schon länger oder sie ist eine Weltmeisterin im Messerschleifen."

"Die letzte unangemeldete Zellendurchsuchung in diesem Block war vor sechs Tagen. Deckers Leute hätten das Messer niemals übersehen", meinte Jessika. "Das Messer ist brandneu, wie ist sie darangekommen?!" Und als ich nach der Tüte greifen wollte, hielt sie mich zurück. "Sieh mal!", sie hob eine Ecke eines zusammengelegten Handtuchs an und zeigte auf einen handelsüblichen weisen Einweggummihandschuh. "Weder das Messer noch der Handschuh sind aus der JVA! Damit wird es wohl Zeit, mit Torres ein paar Worte zu wechseln."

***

Von der ersten Etage aus sahen Jessika und ich zu, wie Johann, einer von Deckers besten Männern, Torres beim Einrücken in den Zellentrakt abfing und sie unter dem Vorwand, sie müsse einen Drogentest machen, in das Untersuchungszimmer des Zellenblocks brachte. "Sieh dir das an!", schüttelte Jessika den Kopf. "Erinnerst du dich an das Geschrei beim letzten Test?"

"Oh ja!", antwortete ich und wahrscheinlich würde mir das Gezeter und der Aufstand, die Torres beim letzten unangekündigten Drogentest aufführte, ewig im Gedächtnis bleiben. Drei Beamte waren nötig gewesen, um bei Torres den Bluttest zu nehmen. Es war nicht so, dass Torres Drogen nahm. Tatsächlich wurden bei ihr noch nie Drogen nachgewiesen, aber es gehörte zu Torres' Grundeinstellungen zu rebellieren und den anderen Mitgefangenen zu zeigen, wie hart sie ist, aber jetzt ging sie ganz friedlich vor Johann her! Hätten wir das Messer nicht gefunden, wüssten wir spätestens jetzt, dass etwas nicht stimmte!

"Oh, oh", flüsterte ich und zeigte mit dem Kopf leicht nach links, wo Decker auf der anderen Seite des Flures stand und die Szene ebenfalls mit schmalen Augen beobachtete. Kaum hatte Johann hinter Torres die Tür verschlossen, drehte Decker seinen Kopf und sah uns mit seiner typisch anklagenden Miene an. "Keine Sorge", meinte Jessika, "ich lasse mir was einfallen."

***

"Wow", schnaubte Torres, als wir in das Untersuchungszimmer kamen. "Bad-Man und Wonder-Woman kommen persönlich, um mir Blut abzunehmen! Wo ist denn die Verstärkung, die ihr brauchen werdet?"

"Du kannst dein Blut behalten", entgegnete ich entspannt, denn ich wusste, dass Provokationen bei Torres dazu gehörten.

399
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9783753190808
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