Читать книгу: «Die Gewissensentscheidung», страница 2

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"Ich verstehe, Herr Staatssekretär. Ja. Auf Wiederhören."

Frank legte den Hörer auf und sah mich vielsagend an.

"Du kannst dich bewerben, im Ministerium wird eine Dezernatsstelle frei."

"Das heißt wohl, die Internetgeschichte ist tot?"

"Tot? Tot ist gar kein Ausdruck. Das grenzt schon an Leichenschändung. Und natürlich will es keiner gewesen sein, im Gegenteil, alle waren von Anfang an strikt dagegen."

Die tote Internetgeschichte bezog sich auf den Vorschlag des Ministeriums, ähnlich wie in den USA ein öffentliches Strafregister zu erstellen, so dass man auf einer vom Ministerium bereitgestellten Landkarte bzw. einem Stadtplan sehen konnte, ob ein registrierter Straftäter in der Nachbarschaft lebte. Man hätte auch sehen können, welche Straftat der Nachbar begangen hatte.

Um festzustellen, dass eine solche Aktion in Zeiten der DSGVO schiefgehen musste, hätte man kein sündhaft teures Gutachten einholen müssen. Abgesehen davon, dass der Nutzen eines solchen öffentlichen Prangers - nichts anderes stellte ein solches Register dar - zweifelhaft war, hielt ich dessen Einführung für einen Fehler. Denn die Erfahrung lehrte uns, dass es in jeder Abteilung Vollpfosten gab, die Fehler machten und die falschen Leute in ein solches Register aufnahmen. Außerdem konnte ein guter Hacker praktisch jeden als Straftäter brandmarken und schon war man Ruf, Job und Freunde los, denn es würde immer heißen: "Irgendwas wird schon dran sein."

Jetzt lag das Kind im Brunnen und man fragte sich, warum man für eine solche Sache über eine Million an Steuergeldern in den Sand gesetzt hatte.

"Es ist ja nicht so, dass wir diese Idioten nicht vorgewarnt hätten", meinte ich zu Frank. So war es, denn auf der entscheidenden Konferenz hatten Frank und ich den Vorschlag des Ministeriums von Anfang an als Schnapsidee abgetan. Auch hatten wir wiederholt, dass man das Geld sehr viel besser investieren könnte, beispielsweise in neue Stellen. Nun, nach nur sechs Monaten, war das Internetprojekt gestorben, in das sündhaft viel Geld gesteckt wurde. Zum Glück hatten Frank und ich unsere Einsprüche gegen das Projekt schriftlich festgehalten, denn als jetzt ein Sündenbock gesucht wurde, blieben wir beide außen vor.

"Das Ministerium erwägt zukünftig, öffentliche Bekanntmachungen zu Straftätern einzuschränken, was immer das bedeuten mag. Warten wir mal ab, aber die Befürworter haben prominente Unterstützung."

"Ja, wen denn?"

"Oberstaatsanwalt Trommer."

"Trommer?", fragte ich nach. "Hm, den kenne ich so gar nicht. Ich dachte immer, der steht mit beiden Beinen in der Realität."

"Da steht er noch immer, der Großteil der Bevölkerung macht sich über so etwas wie ein Register keine Gedanken. Aber ein kleiner Teil schreit ganz laut nach einem solchen Pranger und derjenige, der am lautesten schreit, wird am ehesten gehört. Trommer will die Aufmerksamkeit nutzen, die die Debatte um das Register mit sich führt."

"Nutzen?"

"Trommer will nach oben. Und jetzt rate mal wohin."

"Generalstaatsanwalt?"

"Du hast es erfasst."

Wow, das war starker Tobak. Der jetzige Generalstaatsanwalt würde in einem halben Jahr in Ruhestand gehen, doch die Stelle des Generals war eine politische Entscheidung. Bewerber gab es in den Parteien jede Menge und einige der Kandidaten hatten weit mehr Dienstjahre und mehr Freude in der Chefetage als Trommer. Wie zum Teufel wollte er an denen vorbeikommen? Da fiel mir nur ein Weg ein. Trommer musste die Öffentlichkeit für sich gewinnen.

"Na ja, wie du sagst, wir sollten abwarten."

Das Telefon läutete und Frank schaute auf das Display. "Jessika", teilte er mir mit und nahm ab. "Ja, er ist da", antwortete er ihr und sah mich an. "Ich soll dich an den Gerichtstermin erinnern."

"Der ist erst nächste Woche", entgegnete ich.

Frank lauschte wieder und grinste, als er den Hörer auflegte. "Jessika sagt, heute ist die nächste Woche."

Ich stöhnte auf… Verdammt, den Gerichtstermin hatte ich ganz vergessen, bei dem ich als Zeuge in einem Prozess gegen eine unserer Beamtinnen geladen war. "Mist, die Schiller-Sache. Ja, ich werde daran denken."

"Tanja Schiller?"

"Ja."

"Was lief da schief?"

"Tja, was lief schief…?"

Tanja Schiller arbeitete seit acht Jahren in Deckers Team der Wachbeamten, bis sie ihren Mann kennenlernte. Der saß bei uns wegen verschiedener Delikte ein und Tanja verliebte sich in ihn. Da bekannt war, dass man mit Frank über jedes Problem reden konnte, nahm sie das Angebot an und "beichtete" Frank ihre Liebe zu einem Gefangenen. Frank wäre nicht Frank, hätte er nicht eine Lösung gefunden, also wurde Tanja in die Freigänger-Einrichtung versetzt, wo sie keinen direkten Kontakt zu dem Gefangenen hatte. Dort verblieb sie, bis dieser seine Strafe abgesessen hatte. Nach seiner Entlassung zogen die zwei zusammen, heirateten und Tanja kehrte zurück. Doch schon kurze Zeit später sah man den ein oder anderen deutlichen blauen Fleck an ihren Armen oder im Gesicht.

Frank brauchte mich erst gar nicht auffordern, mich der Sache anzunehmen, doch ich kam nicht an Tanja heran. Auch Jessikas Versuche schlugen fehl und Tanja lehnte alle Hilfsangebote dankend ab, auch als die blauen Flecken mehr und größer wurden. Sicher, wir hätten eine Anzeige erstatten können und Frank hätte die Mittel dafür zu sorgen, dass eine Einstellung des Verfahrens nicht in Frage kam, doch was dann? Wenn Tanja keine Aussage gegen ihren Mann machen würde, käme nichts dabei heraus und Tanja hatte klar gemacht, dass es keine Aussage geben würde! Ich spielte schon mit dem Gedanken Tanjas Mann im Dunkeln abzupassen, um ihm zu erklären, was es heißt, Respekt gegenüber seiner Ehefrau zu haben, als dieser plötzlich sehr krank wurde. Je schlechter es dem Mistkerl ging, umso mehr nahmen die blauen Flecken ab. Schließlich, nach drei Monaten schwerer Krankheit, verstarb Tanjas Mann und die Bombe platzte, als Tanja verhaftet wurde. Der Gerichtsmediziner hatte eine tödliche Dosis eines sehr üblen Giftes festgestellt und die Ermittler brauchten nicht lange, um Tanja als Schuldige auszumachen…

Was lief schief…? Darüber hatten Jessika und ich uns auch unsere Köpfe zerbrochen und die Antwort war tragisch einfach. Tanja hatte die Hilfe, die wir und alle anderen ihr anboten, nicht angenommen… und das Drama nahm seinen Lauf.

"Unangenehme Sache", meinte Frank leise, denn auch er hatte sich mehr als einmal gefragt, was er hätte tun können, um die Tragödie zu vermeiden.

"Ja, zumal ich sie ausgebildet habe."

"Beim Ausstellen deiner Aussagegenehmigung habe ich deinen Vorabbericht gelesen, du versuchst, sie herauszuhauen."

"Natürlich will ich das, sie ist schließlich eine von uns."

"Ich hoffe, du hast Erfolg. Und jetzt solltest du dich auf die Socken machen, nicht dass das Gericht auf seinen wichtigsten Zeugen warten muss."

Ich lachte und erhob mich. Als ich kurz vor der Tür stand, sagte Frank. "Was deine Aussage angeht… Ich verlasse mich darauf, dass bei dir alles nach Vorschrift läuft."

Frank wusste genau, dass ich das tat, was ich für richtig hielt, und er wusste auch, dass ich es weiterhin tun würde, also schaute ihn an und entgegnete selbstsicher: "Keine Sorge, ich habe alles im Griff."

Hätte ich in diesem Moment gewusst, was die nächsten Tage und Wochen geschehen würde, hätte ich mir diesen Kommentar ganz sicher verkniffen.

***

Schicksal

Eine Stunde später saß ich wartend vor dem Gerichtssaal. Im Saal selbst lief die Verhandlung immer mehr auf die Frage hinaus, ob Tanja ihren Mann eiskalt ermordet hatte oder ob es eine Verzweiflungstat war. Die Verteidigung legte sich mächtig ins Zeug, doch sie hatte das Problem, dass es keine "Zeugen" gab, die Tanja hätten helfen können. Tanja hatte leider immer behauptet, die blauen Flecken kämen von Unfällen. Dafür hatte die Staatsanwaltschaft gleich Dutzende Zeugen, die aussagten, dass der Verstorbene an einer tödlichen Dosis Gift langsam und qualvoll verstorben war. Es war klar, dass es nötig gewesen war, ihm über einen langen Zeitraum täglich eine Dosis zu verabreichen, was also eine spontane Tat ausschloss.

Tanja saß auf der Anklagebank und schwieg, denn ihre Verteidiger hatten ihr anscheinend strengstens davon abgeraten, eine Aussage zu machen.

Ich konnte mich genau an diese junge Auszubildende erinnern. Selbstbewusst und lebensfroh… Sie hatte den Beruf der Justizbeamtin gewählt, weil sie etwas völlig anderes tun wollte als das, was man vor ihr erwartete. Mit Stolz machte sie ihren Abschluss und bekam schon kurz darauf die Leitung einer kleinen Abteilung. Jetzt saß sie als gebrochene Frau vor dem Gericht.

Während ich darüber nachdachte, stellte ich mir die Frage, ob ich, wenn ich tatsächlich Tanjas Mann im Dunkeln abgepasst hätte, diesen tatsächlich nur mit Worten davon hätte überzeugen wollen, seine Frau nicht mehr zu misshandeln. Was wäre geschehen, wenn er "Leck mich" gesagt hätte? Wäre es dann auch noch bei einem verbalen Schlagabtausch geblieben? Wahrscheinlich nicht, musste ich mir eingestehen und die Wahrscheinlichkeit, dass ich ihm ein paar Knochen gebrochen hätte, wäre sehr hoch gewesen. Dann wäre es gut möglich gewesen, dass ich heute hier als Angeklagter sitzen würde, denn auch ich hatte nicht das Recht, mir meine eigenen Regeln zu machen.

Über all das dachte ich nach, während sich dunkle Gewitterwolken über Tanjas Kopf zusammenbrauten.

Schließlich kam ich mit meiner Aussage an die Reihe.

"Kommen wir nun zum Zeugen Stein", verkündete der Richter und sah mich an.

"Herr Stein, Ihren vollen Namen bitte."

Da ich oft als Zeuge bzw. als Sachverständiger vor Gericht aussagen musste, kannte ich die Angaben, die ich machen musste, und leierte sie herunter.

"Peter Stein, 41 Jahre, Beruf Justizbeamter, ladungsfähige Anschrift ist die hiesige Justizvollzugsanstalt, weder verwandt noch verschwägert mit der Angeklagten."

"Herr Stein, Ihre Aussage!"

Nun berichtete ich über die Zeit, als mir die ersten blauen Flecken auffielen.

"Was sagte Frau Schiller, woher diese stammen?"

"Frau Schiller antwortete jedes Mal, dass sie sich gestoßen oder einen anderen Unfall gehabt hätte."

"Haben Sie in Betracht gezogen, dass es die Wahrheit sein könnte?"

"Nicht eine Sekunde!"

"Erklären Sie das!"

"Bei meiner Arbeit werde ich oft mit Gewalt konfrontiert und die Verletzungen bzw. die Folgen von Gewalt sind immer dieselben."

"Über welchen Zeitraum haben Sie diese Verletzungen festgestellt?"

"Eine Woche nach Frau Schillers Rückkehr in die Hauptstelle der JVA bis kurz vor dem Tod des Mannes, also viereinhalb Jahre lang."

"Und Sie haben nichts unternommen?"

"Selbstverständlich haben wir Frau Schiller Hilfe angeboten, aber leider hat Frau Schiller diese Hilfe nicht angenommen." Jetzt war es Zeit, den ersten Einwurf zu machen. "Ich vermute, aus Angst vor ihrem Mann."

"Wie kommen Sie zu dieser Annahme?"

"Nun, ich bin kein ausgebildeter Psychologe, dennoch ist Psychologie ein wichtiges Arbeitsfeld für uns in der JVA und unser Direktor, Herr Brauer, besteht auf regelmäßigen Schulungen. Deshalb bin ich der Meinung, dass ich die Anzeichen richtig deuten konnte. Frau Schiller hatte mit Sicherheit Angst vor ihrem Mann, der ja auch unter anderen wegen Gewaltdelikten bei uns zu Gast war."

Damit gab sich der Vorsitzende erst einmal zufrieden und er sah nach links. "Herr Staatsanwalt, Fragen?"

"Ja. Laut der Akte haben Sie selbst die Angeklagte ausgebildet?"

"Das ist korrekt, wobei die Ausbildung nicht allein von mir durchgeführt wurde, ich überwachte die Ausbildung lediglich."

An diesem Punkt übernahm der Richter wieder. Da er etwas unentschlossen schien, entschied ich mich, noch ein paar Zweifel zu streuen.

"Welche Verletzungen haben Sie denn konkret feststellen können?"

"Typische Verfärbungen am Oberarm, ich bin mir absolut sicher, dass diese von einem brutalen Festhaltegriff stammten. Dazu kommen Hämatome, die genau die Größe einer Faust hatten."

"Herr Stein, Frau Schiller hat ja des Öfteren beteuert, dass diese Verletzungen von Unfällen stammen. Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit, dass es hier um einen Unfälle handeln könnte?"

Ich atmete tief durch, denn jetzt kam es darauf an, bei der Wahrheit zu bleiben und das "Richtige" zu sagen. "Ein Unfall, möglich… zwei Unfälle, vielleicht… Vier Jahre lang solche Unfälle, ausgeschlossen."

Bevor ihr Verteidiger sie daran hindern konnte, sprang Tanja auf und schrie: "Ja! Es waren kein Unfälle! Dieser elende Scheißkerl hat mich über vier Jahre geschlagen und misshandelt! Ich habe dieses miese Stück Dreck mit voller Absicht umgebracht! Und ich habe es genossen, ihn leiden zu sehen, und ich hoffe, dass er in der tiefsten Hölle schmort!" Dabei liefen ihr die Tränen über das Gesicht.

Eine gute Minute lang war es totenstill im Gerichtssaal und niemand sagte auch nur ein Wort. Alle starrten Tanja an, während ich innerlich traurig den Kopf schüttelte. Verdammt! Ich hatte die Richter fast soweit gehabt… der Rest der Verhandlung war jetzt nur noch reine Formsache. Nachdem man Tanja nach den Plädoyers das letzte Wort gelassen hatte, zog sich das Gericht zur Beratung zurück.

Ich wusste, wie das Urteil lauten würde, beschloss aber, mir das nicht anzutun, und machte ich mich auf dem Rückweg, doch weit kam ich nicht. Als ich aus dem Saal ging, um zum Ausgang zu kommen, geriet ich in ein großes Gedränge. Ich kämpfte mich durch die Leute und hatte fast das Ende erreicht, als ich auf Mike traf, einen Mitarbeiter unserer Presseabteilung.

Zugegeben, wir beide hatten einen holprigen Start, doch nach anfänglichen Schwierigkeiten, Mike musste lernen mit meinem schwarzen Humor umzugehen, wurden wir doch Freunde. "Hallo Mike, was zum Teufel ist denn hier los?"

"Was? Bad-Man, weißt du denn gar nicht, was in der Welt geschieht? Heute ist der Fischer-Prozess."

"Wer ist Fischer?"

"Der Messermord vor sechs Monaten, die Zeitungen waren voll davon."

Angestrengt überlegte ich und langsam kam mir die Sache wieder ins Gedächtnis. Ich hatte gerade eine Woche Urlaub gehabt, als es geschah. Eine Frau hatte ihren Mann mit dem Messer umgebracht. Der einzige Grund, warum ich mich daran erinnerte, war der, dass es in unserer Stadt geschehen war.

"Da kommt die Fischer." Mike zeigte auf eine Frau, die von zwei Beamten durch die Menge geführt wurde.

Wow, was für eine Frau! Beate Fischer war 1,70 Meter groß, hatte eine perfekte Sanduhrenfigur, lange feuerrote Haare, ein freundliches, feminines Gesicht, das mit Sommersprossen geschmückt war, und herrliche smaragdgrüne Augen.

Sie trug einen schwarzen knielangen Rock mit hellen Nadelstreifen und den passenden Blazer, darunter eine weiße Bluse und ein paar schwarze Nylons und schwarze Pumps. Hätte sie nicht Hand und Fußschellen getragen, hätte niemand in ihr eine Mörderin gesehen. Als ich sie jetzt sah, fielen mir auch einige Artikel aus den Zeitungen wieder ein, denn die Presse hatte sich keine Gelegenheit entgehen lassen, diese schöne Frau auf ihren Seiten zu bringen.

Soweit ich mich erinnerte, war es eine Familientragödie gewesen. Fischer hatte ihren Mann mit übrig vierzig Messerstichen umgebracht, dennoch schaffte es ihr Verteidiger, mit Hilfe von Psychologen eine Anklage zu erreichen, die "nur" auf Totschlag lautete.

Dennoch! Vierzig Messerstiche!

Die meisten Morde werden im Affekt begangen, wenn man nicht wie Tanja seinen gewalttätigen Ehemann mit einer Menge Gift um die Ecke bringt. Ein Schuss, ein Schlag mit einem schweren Gegenstand, auch mal ein, vielleicht auch zwei Messerstiche. Aber vierzig! Vierzig Mal mit einem Messer auf jemanden einzustechen, dauert seine Zeit. Zeit, um zum Nachdenken und zur Besinnung zu kommen. Vierzig Mal zuzustechen bedeutet, dass sich ein unglaublicher Hass entladen haben muss.

Unterdessen hatten sich die Leute sich um die Angeklagte gescharrt und die Wachtmeister hatten alle Hände voll zu tun, um Fischer durch die Menge in den Saal zu bringen.

"Sie wird unsere Lebenslänglichabteilung um einiges verschönern."

"Nein, wird sie nicht. Sie ist nur wegen Totschlag angeklagt, dafür bekommt sie höchstens 10 Jahre."

Mike lachte leise auf, während er mich von der Seite her spöttisch ansah.

"Weißt du etwa mehr als das Gericht?"

"Siehst du die blonde Schönheit dort hinten?" Er zeigte auf eine Frau, die abseits des Pulks stand.

"Ist kaum zu übersehen."

"Das ist Petra Strass, sie war die Geliebte des Opfers", erklärte er mir, also sah ich mir die Frau etwas genauer an. Petra Strass war ein Traum in Blond, hochgewachsen, schmal, lockige Haare bis unter die Schulterblätter und ein Dekolleté, das fast nichts der Fantasie überließ. Sie trug ein schwarzes Designerkleid mit schwarzen hochhackigen Schuhen, die Beine steckten in schwarzen Seidenstrümpfen. Der dezente Schmuck, den die Strass trug, kostete wahrscheinlich so viel wie ein Kleinwagen. Ihre arroganten und kalten blauen Augen musterten die Leute um sie herum sehr abwertend. Diese Frau war der klassische Vamp.

Die Wachtmeister hatten es geschafft, einen Durchgang zum Saal freizumachen, und Mikes Kollegen der Presse wanden sich nun der Strass zu.

"Jetzt pass mal auf!", flüsterte Mike.

Von einer Sekunde auf die andere wurden die kalten, arroganten Augen tieftraurig und füllten sich mit Tränen. Die Schulter fiel nach unten, der Blick wanderte zu Boden und alles an dieser Frau schrie: "Ich bin ein Opfer."

"Eine beeindruckende Leistung, findest du nicht auch?", fragte Mike.

"Ja, sehr beeindruckend. Dennoch, Totschlag ist Totschlag."

"Die Anklage kann jederzeit erweitert werden, das weißt du genau. Und da kommt die Anklage!", antwortete Mike und zeigte zur Treppe.

Ich blickte zur Treppe und da kam der Staatsanwalt mit seinem Gefolge. Es war Oberstaatsanwalt Trommer! Spontan fiel mir die Unterhaltung mit Frank ein, die wir vor wenigen Stunden geführt hatten. Trommer war das, was man einen "harten Hund" nennt. Konsequent, knallhart, aber auch Realist. Er wusste, welche Strafe er wann fordern und wie er sie bekommen konnte.

"Warte noch einen kleinen Moment."

Die Menge teilte sich, um die Prozession der Staatsanwaltschaft vorbei zu lassen, und als Trommer an Petra Strass vorbeikam, fand zwischen den beiden für einen Sekundenbruchteil ein intensiver Blickkontakt statt, dann war Trommer im Saal verschwunden.

Beate Fischer wurde jetzt ebenfalls in den Saal geführt, doch da sie in ihren Fesseln nur kleine Schritte machen konnte, dauerte das etwas länger. Während die Menge in den Saal strömte, blieb Petra Strass stehen und schaute ihr entgegen. Als Beate Fischer an ihr vorbeikam, blickten sich die zwei Frauen an und in beiden Gesichtern lag der pure Hass. Ich glaube, der Hass den Frauen gegeneinander hegen können, ist der Größte, den es auf der Welt gibt.

"Ich wette mit dir um eine Flasche teuren Single Malt, dass Trommer lebenslang fordert, und um eine weitere, dass er es bekommt."

"Ok, die Wette gilt, sag mir, wie es ausgegangen ist", nickte ich und strebte dem Ausgang entgegen, während Mike sich den Zuschauern anschloss.

***

Ohne es zu wissen, hatte ich gerade eine Begegnung mit dem Schicksal. Ich hatte keine Ahnung, dass dieser Tag mein Leben und das Leben all meiner Freunde für immer auf den Kopf stellen sollte. Niemals hätte ich mir vorstellen können, dass ich in naher Zukunft Dinge tun würde, die ich jetzt noch als völlig absurd und unmöglich betrachtete. Ich ahnte auch nichts von dem Drama, das sich gerade in der fernen Südsee auf einer Insel namens Soulebda anbahnte, und das jene einzigartige Frau zu mir führen würde, die ich mehr lieben sollte, als ich es mir je vorstellen konnte.

***

Wie alles begann.

Caroline Miles - so lautet der Name in meinem Ausweis. Ich bin sicherlich kein schlechter Mensch, dennoch bringe ich Menschen um, weil es mein Job ist, denn ich bin eine staatlich bestellte Henkerin.

Meine Heimat ist Israel. Dort wurde ich schon als Kind durch die Gewalt des Alltags geprägt. Gewalt, die mir meine Eltern und Geschwister vor meinen Augen nahm, und mich nur das beherzte Vorgehen eines Mannes wieder zurück in die richtigen Bahnen lenkte.

Dieser Mann wurde zu meinem Mentor und Ersatzonkel. Er selbst legte keinen Wert darauf, dass ich ihn bei seinem richtigen Namen rief, und so nannte ich ihn einfach nur mein "Onkelchen". Seinen Namen, Dagan Meir, bekam ich erst später zu hören.

Dass dieser Mann eine lebende Legende im Geheimdienst war, wusste ich damals noch nicht. Mit ihm hatte ich seinerzeit, als junges Mädchen von gerade 11 Jahren, einen Förderer gefunden und er kümmerte sich in Israel um mich, nachdem ich meine Eltern verloren hatte. Mein Onkelchen sorgte dafür, dass ich die richtigen Schulen besuchte, bemühte sich um meine Ausbildung und kümmerte sich fürsorglich um mich.

Er nannte mich immer Mischka, das heißt Kleiner Bär. Das lag einerseits an meinem damaligen burschikosen Auftreten und andererseits an meiner Art, bei Gefahren nicht zurückzuweichen, sondern der Gefahr beherzt entgegenzutreten. Mein Onkelchen sah in mir etwas Besonderes und sorgte dafür, dass ich die besten Internate besuchen und recht früh beim Militär Fuß fassen konnte. Da Onkelchen dem Geheimdienst vorstand, konnte ich diverse Spezialeinheiten besuchen und viele Kurse in Selbstverteidigung belegen.

So wuchs ich beim Militär auf. Mit gerade einmal 22 Jahren hatte ich bereits eine gut gefüllte Militärakte und reichlich Einsatz-Abzeichen auf meiner Uniform. Meinem Onkelchen war es allerdings auch immer wichtig, dass ich auf dem Boden der Tatsachen blieb und nicht verrückt wurde. Er verstand es immer wieder, mich zur Erde zurückzuholen, wenn ich am Abheben war.

Mit 23 Jahren durchlief ich in den Vereinigten Staaten einige Spezialausbildungen und durfte als jüngstes Mitglied sogar in einem Einsatzteam an echten Einsätzen teilnehmen. Meine Schießkünste über große Distanzen begeisterten die Leiter in Fort Benning, Georgia, und ich wurde auch hier weiter gefördert.

Mein Förderer hieß hier General Oldfield, von allen nur "Daddy Langbein" genannt, weil er gerne und so gut wie Fred Astaire tanzte. Durch ihn erfuhr ich auch die Vorteile der größeren Munitionsarten und fand schließlich meinen Favoriten, eine Barrett M82A1 Kaliber 50.

Mit 25 Jahren kam ich nach Israel zurück und blieb dort für drei Jahre in einem der besten Einsatzteams. Mit 28 Jahren wurde ich zurück in die Vereinigten Staaten nach Fort Benning, Georgia, gerufen. Dort unterrichtete ich die angehenden Scharfschützen an der United States Army Sniper School als damals jüngste Trainerin. Da dies anfangs nur ein Drei-Tages-Job pro Woche war, hatte man mir über die Verwaltung das Angebot gemacht, im Strafvollzug die Ausbildung zum Henker zu durchlaufen, da ich für diesen Job als hart genug eingestuft wurde. Seitdem erledigte ich diese Aufgaben, wenn ich dazu eingeteilt wurde.

Heute Abend hatte ich einen Außentermin. Der Fahrer einer dicken Limousine stand vor meiner Tür und bat mich, im Wagen Platz zu nehmen. Es ging zu einem vor Tagen vereinbarten Termin.

Wir fuhren in das beste Villenviertel und rollten schließlich durch die mit Gitterstäben eingefasste Einfahrt eines alten englischen Herrenhauses. Das riesige Anwesen hatte einen eigenen Park, zu beiden Seiten der Auffahrt standen hohe Birken und alles im Park war perfekt gepflegt. Prächtig erhob sich das Hauptgebäude und der Wagen hielt am Portal. Der englische Baustil der Gründerzeit ließ sich nicht leugnen, dennoch war alles um mich herum topmodern.

In dem altehrwürdigen Haus wurde ich gebeten, im Empfangsbereich Platz zu nehmen und zu warten. An den Wänden hingen mächtige, uralte, gerahmte Ölbilder. Eine schwarz gekleidete Maid wuselte durchs Haus und führte die Straußenfedern gekonnt in alle Ecken und Ritzen im Kampf gegen imaginäre Spinnweben und Staub.

An den Ecken standen einige durchtrainierte, sonnengebräunte Herren mit dunklen Sonnenbrillen und Knöpfen im Ohr. Sie hielten die Arme verschränkt, dabei konnte man deutlich sehen, dass eine Hand in der Jacke ruhte - sicherlich an der Dienstwaffe. Allem Anschein nach war mein Ruf bis hierher vorausgeeilt…

Dann traf mein Gastgeber ein, nein, er erschien.

Ein älterer Herr, ich schätzte ihn auf Ende 60, sportlich gestählt, ungefähr 1,85 Meter groß, aber deutlich verlebt. Die grauen Haaransätze waren dunkel, aber erkennbar gefärbt, er trug einen sehr guten, sündhaft teuren Anzug von Brioni. Der Mann war eindeutig vom Clubleben verwöhnt und sehr reich. Leutselig begrüßte er mich wie eine langjährige Geschäftspartnerin.

"Ah, hallo Miss Miles, schön, dass Sie es einrichten konnten. Nehmen Sie doch bitte Platz." Dabei schenkte er sich einen Scotch ein, obwohl es noch nicht einmal Mittag war.

Die Ledermöbel dufteten nach teurem Material und allerbester Pflege.

"Darf ich Ihnen auch einen Drink anbieten?"

"Danke für das Angebot, aber nein. Darf ich den Grund der Einladung erfahren, Mr. …?"

"MacFroody, ich bin John Allister MacFroody III. Ich habe mein ganzes Leben für diesen Staat gearbeitet. Ich habe auch mit diesem Staat gearbeitet und dabei mein Vermögen in Telekommunikation und Dienstleistungen gemacht. Mir gehören drei der wichtigsten IT-Firmen im Land, vier Telefonfirmen in den Staaten und ich habe meine eigenen Satelliten da oben." Dabei deutet er in Richtung Decke.

"Sie sehen, ich weiß, wie man zu etwas kommt und wie man sein Geld macht. Ich weiß ganz bestimmt auch, wie man Macht bekommt und sie behält!" Den letzten Satz schrie er mir fast zu.

"So bin ich bei der Agency gelandet. Heute, nach langen Jahren harter Arbeit, bin ich einer der Vizedirektoren dort. Aber nun zu Ihnen, Miss Miles." Er blickte mich streng an.

"Meine beiden einzigen Söhne sitzen im Todestrakt des Staatsgefängnisses ein. Die Hinrichtung soll am kommenden Montag sein. Die beiden Jungs sind gerade mal 30 Jahre alt. Nun, lassen Sie es mich so sagen, Sie können meine beiden Söhne nicht hinrichten, es sind meine einzigen Kinder!"

"Mr. MacFroody, nicht ich habe Ihre beiden Söhne zum Tod verurteilt, sondern der Staat Arizona. Der vorsitzende Richter nannte während der Verhandlung die Taten - ich zitiere wörtlich: <heimtückisch, niederträchtig, hinterhältig und äußerst abscheulich>. Zitat Ende. Der oberste Richter dieses Staates hat auch seinen Kommentar dazu abgegeben und das Urteil nochmals explizit bestätigt. Ich bin lediglich die beauftragte Vollstreckerin. Ich kann aber meinen Vorgesetzten darum bitten, dass ich von der Vollstreckung abgelöst werde."

"Hören Sie zu, Kindchen, ich will auch nicht, dass irgendjemand anderes Hand an meine Söhne legt." Nun beugte er sich zu mir und wurde sehr deutlich.

„Ich bin John Allister MacFroody III - Vizepräsident der CIA. Ich bin es gewohnt, dass man zu mir <Ja, Sir> sagt, und meine Anweisungen schnellstens ausführt. Genau das erwarte ich auch von Ihnen, denn ich stehe hier für die CIA. Gerade Sie sollten wissen, wir verschaffen uns immer das nötige Recht – zur Not mit Gewalt und das auch überall auf der Welt!"

MacFroody stand auf und brüllte mich fast an. "Lassen Sie gefälligst Ihre Hände von meinen beiden Söhnen", er bebte innerlich. "Das gilt auch für die anderen Henkersleute. War das jetzt deutlich genug für Sie?"

"Mr. MacFroody, ich denke, das war eine deutliche Aussage und ich muss mich jetzt verabschieden. Aber ich stehe nicht über dem Gesetz und ich muss mich an das Recht halten. Ich danke Ihnen für den netten Abend und wenn Sie den Wagen kommen lassen könnten, wäre ich ihnen sehr dankbar, ich nehme aber auch gerne ein Taxi."

Er gab Anweisungen und zwei Leute verschwanden, dann kam auch schon die Limousine. MacFroody ging mit mir bis zur Tür.

"Sie können meine beiden Kinder nicht bestrafen! Ich kann und werde das nicht zulassen, denken Sie an meine Worte und nun gehen Sie!", gab er mir noch mit und sah mich vielsagend an. Anschließend brachte mich einer der Wachleute zur Limousine und es ging heimwärts.

***

Ja, so begann es damals. Ich ließ diesen ehrenwerten CIA-Vize-Direktor rasch hinter mir und machte Meldung bei meinem Direktor, einem ergrauten Mann, der kurz vor dem Ruhestand war.

"Miss Miles, ich habe den Vorfall notiert und werde dies an die entsprechenden Stellen weitergeben. Aber MacFroody steht nicht über dem Gesetz, wenn er das auch ab und an übersieht. Sie müssen sich da keine Gedanken machen."

"Herr Direktor, mir kam dieser MacFroody aber nicht so vor, als ob er sich von ein paar Gesetzen aufhalten ließe."

"Miss Miles, die Gesetze gelten für alle Bundesbeamten, auch ein MacFroody muss sich an Gesetze halten."

Mich beruhigte die Einstellung unseres Direktors überhaupt nicht. Er war aus einem anderen Holz geschnitzt und hielt sich immer an die definierten Spielregeln, etwas, das ich bei der CIA jedoch nicht feststellen konnte.

Schon an den folgenden Tagen kam es mir so vor, als tauchten ständig neue Gesichter in schwarzen Anzügen um mich herum auf. Beim Lauftraining blickten mir Leute in schwarzen Autos nach, die offensichtlich in versteckte Mikros sprachen und eindeutig nicht in dieses Viertel gehörten.

Während des Schießtrainings am nächsten Tag auf dem Combat Campus beobachteten uns deutlich mehr Menschen durch Feldstecher, um meine Ergebnisse genau anzusehen.

399
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9783753190808
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