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SCHÄDLICHER GEBRAUCH

Vom schädlichen Gebrauch, auch als Missbrauch bezeichnet, spricht man, wenn eine Substanz eingenommen wird, um einen bestimmten Zweck zu erfüllen. Zumeist handelt es sich dabei um das Ausschalten von negativen Gefühlen wie Angst, Stress, Ärger oder auch Unsicherheit und Langeweile. Dazu kommt, dass beim schädlichen Gebrauch Risiken in Kauf genommen werden, man setzt sich alkoholisiert hinters Steuer oder raucht während der Schwangerschaft. Man trinkt übermäßig viel, obwohl der nächste Tag ein Arbeitstag ist, obwohl man die ersten schädlichen Auswirkungen bemerkt, obwohl man massiv verkatert ist. Dies sind untrügliche Anzeichen, dass man die Kontrolle über den Konsum zunehmend verliert.

Die Weltgesundheitsorganisation definiert den schädlichen Gebrauch als den fortlaufenden Gebrauch einer Substanz, obwohl negative Folgen schon eingetreten, die Kriterien für eine Abhängigkeit jedoch noch nicht erfüllt sind. Diese negativen Folgen können auf einer körperlichen Ebene sein, seien es das Auspumpen des Magens nach einer Überdosis Alkohol oder erste Zellschäden, die der Alkoholkonsum mit sich bringt. Sie können aber auch auf der psychischen Ebene liegen, das Suchtmittel wird immer mehr zur Beseitigung negativer Gefühle oder Zustände gebraucht, von denen man nicht mehr glaubt, sie ohne die Substanz aushalten zu können oder zu wollen. Vermutlich kennt jede*r jemanden im Bekanntenkreis, der meint, ohne zwei oder drei Bier am Abend nicht entspannen zu können, ohne Joint nicht einschlafen zu können oder Alkohol zu brauchen, um in Gesellschaft lockerer zu werden. In einer Welt voller Stress und menschengemachter zivilisatorischer Probleme wird dieser Missbrauch von psychoaktiven Substanzen in Zukunft vermutlich eher ansteigen als sinken. Es geht nicht mehr nur um den reinen Genuss einer Substanz, sondern darum, durch deren Konsum eine bestimmte Wirkung zu erzielen, negative Gefühle zu vermeiden, für den Alltag fit zu sein. Das in den 1960er-Jahren gegen Ängste, Nervosität und Schlafstörungen populäre Valium wurde nicht umsonst von den Rolling Stones als „Mothers little helper“ in ihrem gleichnamigen Song bezeichnet.

Beim regelmäßigen Substanzmissbrauch ist auch merkbar, dass der Reiz, sich Belastungssituationen durch den Konsum von Substanzen zu entziehen, immer größer, der Konsum somit immer häufiger wird. Ist dies der Fall und wird nicht mit entsprechenden Maßnahmen gegengesteuert, führt dies zuerst zur Gewöhnung und später zur Abhängigkeit.

ABHÄNGIGKEIT

Die Grenze zwischen schädlichem Gebrauch und Abhängigkeit ist fließend und deren Überschreitung für die Betroffenen oft nicht bewusst wahrnehmbar. Nicht selten sprechen Drogenabhängige davon, dass sie lange geglaubt hätten, den Substanzkonsum im Griff zu haben, die Kontrolle über die Art und Häufigkeit der Drogeneinnahme noch bewusst steuern zu können. Der Zeitpunkt, an dem sie sich eingestehen, dass dem nicht so ist, kommt häufig erst viel später, wenn die Abhängigkeit schon ausgeprägt ist.

In den gängigen Diagnosesystemen geht man davon aus, dass sich eine Abhängigkeit auf mehreren Ebenen manifestiert: auf der körperlichen, psychischen und psychosozialen. Zu den wesentlichsten körperlichen Anzeichen einer Abhängigkeitserkrankung zählen Entzugserscheinungen und Toleranzentwicklung. Unter Entzugserscheinungen versteht man Symptome, die nach dem Absetzen einer Substanz auftreten. Das ist dann der Fall, wenn sich der Stoffwechsel an die Substanz gewöhnt hat und das körperliche Gleichgewicht aus der Balance geraten ist. Bei einem einmaligen massiven Konsum von Alkohol signalisiert der „Kater“, dass der Körper Mühe hat, das Gleichgewicht wiederherzustellen, dies gelingt jedoch in der Regel relativ schnell. Hat sich der Körper jedoch an den dauerhaften Konsum gewöhnt, braucht er die Substanz, um dieses neuen Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Wird diese nicht zugeführt, signalisieren die Entzugserscheinungen, dass das nun auf die Substanz eingestellte Gleichgewicht außer Balance ist.

Eine weitere körperliche Erscheinungsform der Abhängigkeit ist die sogenannte Toleranzentwicklung, die Gewöhnung an eine Substanz. Beim Alkohol ist das sicherlich vielen bekannt. Personen, die nie trinken, sind bereits nach einem Glas Sekt oder einem Achterl Wein leicht angeheitert, während Menschen, die den Alkoholkonsum gewohnt sind, auch drei große Bier trinken können und noch vollkommen nüchtern wirken. Der Körper gewöhnt sich und braucht immer höhere Dosierungen, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Dies geht so weit, dass Alkoholabhängige oft Mengen zu sich nehmen, die ein nicht an diese Dosierungen gewöhnter Mensch nicht überleben würde. Nicht selten begegnet man Patient*innen, denen man es kaum anmerkt, dass sie bereits eine halbe Flasche Wodka und ein paar Bier getrunken haben. Eine Menge, bei der andere Menschen bereits bewusstlos wären. Doch so bedrohlich das klingt, so relativ leicht ist eine körperliche Abhängigkeit zu behandeln. Im Fall der Opiatabhängigkeit ist es möglich, die körperlichen Symptome mit einer entsprechenden Substitutionsbehandlung auszugleichen, damit keine Entzugserscheinungen auftreten. Eine andere Möglichkeit, die beim Alkohol häufig angewendet wird, ist der Entzug, der einige Wochen dauert und mit medikamentöser Unterstützung durchaus gut bewältigbar ist. Beim Entzug von hohen Trinkmengen ist jedoch ein Spitalsaufenthalt mit medizinischer Überwachung unbedingt erforderlich, da dieser zu potenziell lebensbedrohlichen Zuständen führen kann. Beim Opiatentzug ist dies nicht der Fall, wobei auch hier eine medizinische Begleitung die Entgiftung erträglicher macht. Es sind jedoch nicht alle psychoaktiven Substanzen in der Lage, das körperliche Gleichgewicht derart außer Balance zu bringen. Zu den wesentlichsten körperlich abhängig machenden Substanzen zählen Alkohol, Opioide, Benzodiazepine und andere Medikamente. Kokain und Halluzinogene rufen keine körperliche Abhängigkeit hervor, Cannabis nur in einem sehr geringen Ausmaß.

Das weitaus größere Problem ist aber die psychische Abhängigkeit, die sich im Wesentlichen im starken Verlangen nach der Droge manifestiert, in der Fachsprache auch „Craving“ oder „Suchtdruck“ genannt. Dieses starke Verlangen und die damit einhergehende wahrgenommene Unfähigkeit, abstinent zu bleiben, treibt Abhängige an und ist eines der wesentlichsten Motive für einen fortgesetzten Konsum. Die Stärke des Cravings ist diagnostisch schwer festzustellen, da die Beurteilung desselben sehr subjektiv und von außen nicht mit einer Skala messbar ist. Doch genau dieser Suchtdruck und das damit oft verbundene irrationale Handeln ist das, was Außenstehende oft nicht verstehen und nachvollziehen können. Wieso bricht jemand immer wieder seine guten Vorsätze, obwohl er oder sie weiß, dass man damit die Familie verliert, vielleicht wieder ins Gefängnis muss oder den ohnehin schon schwer in Mitleidenschaft gezogenen Körper noch weiter schädigt. Wieso setzt sich jemand über moralische und gesellschaftliche Grenzen hinweg, nur um an sein Suchtmittel zu gelangen. In einer eher rational geprägten Welt wie der unseren ist das für Nichtbetroffene oft schwer zu verstehen, doch genau das macht den psychischen Aspekt der Suchterkrankung aus. Die Unfähigkeit, die vorgenommene Abstinenz auch einzuhalten, die Aufrechterhaltung des Konsums trotz angedrohter oder wahrgenommener negativer Konsequenzen. Gerade bei illegalisierten Substanzen gibt es von Außenstehenden oft wenig Toleranz, etwas, das es bei anderen Suchtmitteln wie Nikotin interessanterweise ja doch gibt. Kaum jemand wird schief angeschaut, wenn er wieder einmal den Silvestervorsatz, mit dem Rauchen aufzuhören, gebrochen hat, weil er das Craving nicht ausgehalten hat. Menschen, die den x-ten Abnehmversuch trotz der allerbesten Vorsätze wieder einmal nicht durchgehalten haben, erhalten oftmals guten Zuspruch und aufmunternde Worte, Opiatabhängige, die rückfällig werden, sehen sich Vorwürfen der Umgebung gegenüber und fühlen sich schuldig. Der Mechanismus ist derselbe, er ist nur bei legalen Suchtmitteln besser nachvollziehbar, weil wesentlich mehr Menschen Erfahrungen mit Nikotin oder Abnehmversuchen als mit Opiaten haben und sich damit besser in andere hineinfühlen können. Die Gründe für das Scheitern sind oft sehr ähnlich und liegen in der Psyche verankert.

Die Bewältigung dieser psychischen Abhängigkeit ist damit der weit schwierigere Prozess als die körperliche Stabilisierung. Der rein körperliche Entzug einer Substanz bedeutet noch lange keine Heilung der Erkrankung, die meisten Menschen werden nach Entzügen ohne zusätzliche weitere Behandlung wieder rückfällig. Der Gedanke, jemand sei nach einem körperlichen Alkohol- oder Drogenentzug „geheilt“, ist viel zu kurz gegriffen, die schwierige Wegstrecke beginnt erst danach. Die Diagnose einer Abhängigkeitserkrankung kann auch gestellt werden, wenn nur eine psychische Abhängigkeit besteht und keine körperliche.

Der dritte Aspekt, der eine Abhängigkeit ausmacht, ist die psychosoziale Komponente. Mit anhaltendem Konsum kommt es zu einer deutlichen Vernachlässigung der Interessen, das Leben dreht sich nur noch um Beschaffung und Konsum der Substanz. Für andere Interessen und Tätigkeiten bleibt oft keine Zeit und auch nicht die notwendige Stabilität, um diesen regelmäßig nachzugehen. Damit einhergehend folgt häufig der Wechsel der sozialen Beziehungen, weg von den „gesunden“, unterstützenden Beziehungen, hin zu Kontakten aus der Drogenszene.

Es sind jedoch nicht alle Abhängigen und alle Verläufe gleich, nicht alle Betroffenen erleben Auswirkungen auf allen drei Ebenen. Um zu einer Diagnose der Erkrankung zu kommen, braucht es ein System, das diese Bündel an Auswirkungen zusammenfasst und die unterschiedlichen Effekte der Substanzen auf die Konsument*innen individuell berücksichtigt. Dies erfolgt für den europäischen Raum in der „Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme“ (International Classification of Diseases – ICD-11), einem von der WHO herausgegebenen Standardwerk zur Diagnose physischer und psychischer Erkrankungen. In der ICD-11 sind alle Erkrankungen mit Diagnoseschlüsseln aufgelistet, vom einfachen Kopfschmerz über die Blinddarmentzündung bis hin zu psychischen Erkrankungen.

Es werden sechs Kriterien, die bei einer Abhängigkeit auftreten können, definiert. Diagnostiziert wird die Erkrankung, wenn über die letzten zwölf Monate drei oder mehr der folgenden Symptome aufgetreten sind:

–ein starker Wunsch oder eine Art Zwang, das Suchtmittel zu konsumieren;

–verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung und der Menge des Konsums des Suchtmittels;

–körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung oder Reduktion des Konsums;

–Nachweis einer Toleranz: Um die ursprünglich durch niedrigere Mengen des Suchtmittels erreichten Wirkungen hervorzurufen, sind zunehmend höhere Dosen erforderlich;

–fortschreitende Vernachlässigung anderer Interessen und Vergnügen zugunsten des Suchtmittelkonsums und/oder erhöhter Zeitaufwand, um die Substanz zu beschaffen, zu konsumieren oder sich von den Folgen zu erholen;

–anhaltender Substanzgebrauch trotz des Nachweises eindeutiger schädlicher Folgen (körperlicher, psychischer oder sozialer Art).

Sind weniger als drei dieser Symptome, aber schon Schädigungen durch den Substanzkonsum feststellbar, spricht die WHO von einem schädlichen Gebrauch. Diese Definition beinhaltet lediglich substanzgebundene Süchte, also die Abhängigkeit von psychoaktiven Substanzen wie Alkohol, Nikotin, Opiaten, Kokain etc. Während in der Vorgängerversion, der ICD-10, noch nicht substanzgebundene Süchte, wie das pathologische Spielen oder Verhaltenssüchte, in anderen Kategorien subsummiert wurden, gibt es in der neuen Ausgabe, der ICD-11, nun auch eine eigene Kategorie für die sogenannte Gaming Disorder, die Computerspielsucht, die damit den offiziellen Status als behandlungsbedürftige Erkrankung erhält.

Auch wenn die Anwendung dieser Klassifikationssysteme in Fachkreisen nicht nur kritiklos gesehen wird, macht die Einordnung der Abhängigkeit als Erkrankung eines deutlich: Abhängigkeit ist keine Willensschwäche, sondern eine ernstzunehmende psychische Erkrankung, die mit Folgeerscheinungen auf verschiedenen Ebenen einhergeht. Die Verläufe sind zumeist langwierig und der Ausstieg aus der Abhängigkeit ist nicht nur eine Frage des Wollens, sondern benötigt häufig professionelle Unterstützung und Hilfeleistung.

IRENE

Solange sich Irene zurückerinnern kann, hatte sie immer Angst vor Menschen. In der Sandkiste spielte sie lieber allein, den Kindergarten mochte sie nicht, Firmunterricht und Tanzschule blieb sie, so gut es ging, fern, weil der Kontakt zu Fremden angstbesetzt und unangenehm war. Generell war sie anderen Menschen gegenüber immer eher misstrauisch und vermied möglichst den Kontakt. Ihr Leben lang versuchte sie stets, alles selbst zu erledigen, bevor sie sich Hilfe von jemand anders holte, sei das im Studium, bei handwerklichen Dingen oder im Haushalt. In der Schule war sie eine Außenseiterin, sie hatte kaum Freundschaften, und wenn doch, dann eher zu den anderen Außenseiter*innen der Klasse, von ihrer besten Freundin wurde sie gemobbt. So war sie stets lieber allein als mit Menschen zusammen, die sie nicht kannte.

Irene wurde 1960 in Wien geboren und wuchs bei ihren Eltern gemeinsam mit ihrer älteren Schwester auf, ihre zweite Heimat war die Steiermark, wo ihre Eltern ein Haus besaßen. Ihr Vater verstarb relativ früh binnen weniger Monate an einer Krebserkrankung, ihre Schwester zog von zu Hause aus, als sie 21 Jahre alt war, und entwickelte ein Alkoholproblem. Im Alter von 45 Jahren war Irenes Schwester in einem so schlechten Zustand, dass sie Halluzinationen und Wahnvorstellungen hatte, sie war aggressiv und man konnte sie nicht allein lassen, sie war Alkoholikerin. Als Irene dies mitbekam, war es für sie überhaupt nicht vorstellbar, dass sie sich selbst einmal auf dem gleichen Weg befinden würde. Bis heute versteht sie nicht, wie es so weit kommen konnte.

So lebten Irenes unter Herzproblemen leidende Mutter und sie gemeinsam in einer Eigentumswohnung in Wien. Irene sah es als ihre Aufgabe, sich um die Mutter zu kümmern, mit ein Grund dafür, wieso sie nie aus der elterlichen Wohnung auszog. Es gab auch nie wirklich eine Notwendigkeit, anfänglich war es auch bequem für sie. Nach der Matura begann sie zu studieren und „lebte wie ein junger Hund“, wie sie es bezeichnet. Sie besuchte die Lehrveranstaltungen, die sie interessierten, und lebte von der Waisenrente. Abgeschlossen hat sie die Studien nie, auch weil ihre Angst vor Menschen ihr dies schwer gemacht hatte.

Alkohol war in ihrer Familie etwas eher Außergewöhnliches, etwas, das es zur Belohnung gab oder wenn Gäste kamen. Ein normaler Umgang, wie er vermutlich in zigtausenden Familien vorkommt. Das erste Mal Alkohol trinken durfte sie mit 15 Jahren, ein Privileg und ein Zeichen dafür, dass sie nun erwachsen wurde. In ihrer Studentenzeit begann sie vermehrt Alkohol zu trinken, anfangs tranken sie und ihre Mutter beim Kochen am Wochenende Kir Royal, zuerst ein Stifterl Sekt gemeinsam, später eine halbe Flasche allein. „Wohlfühltrinken“, wie sie sagt, es schmeckte ihr und machte ein angenehmes Gefühl, doch die Mengen steigerten sich langsam immer weiter.

Mit 27 Jahren, als die Waisenrente aus war und ihre Studien noch immer nicht fertig, brach sie diese ab und begann im Kundendienst einer Gas- und Heizungsfirma zu arbeiten. Ihre direkte Kollegin war ungut zu ihr, die Bezahlung war auch nicht überragend, aber sie blieb für dreißig Jahre in der Firma. Schließlich kannte sie dort schon alle, sie wusste, wie die Kolleg*innen und Vorgesetzten sind. Dieses Wissen gab ihr Sicherheit, ein Wechsel hätte bedeutet, sich wieder mit neuen Menschen arrangieren und sich einarbeiten zu müssen.

Irgendwann bemerkte sie, dass es ihr leichter fällt, unter Leuten zu sein, wenn sie getrunken hatte. Firmentreffen waren beschwipst leichter zu ertragen, es fiel ihr leichter, ihre Meinung zu sagen und sich zu behaupten, wenn sie getrunken hatte. Sie begann in der Früh zu trinken, was in der Firma lange nicht auffiel, und wenn, wurde eher hinter ihrem Rücken geredet, als sie direkt darauf anzusprechen. Das sei nur einmal passiert, aber sie hatte eine gute Ausrede parat. Der Alkohol half ihr außerdem, zu Hause mit der Situation umzugehen. Ihre Mutter war vor ihrem Tod pflegebedürftig und Irene die Einzige, die sich um sie kümmerte. Das Trinken war Entlastung und eine gute Möglichkeit, die Probleme – im wahrsten Sinne des Wortes – hinunterzuschlucken. Irgendwann später trank sie, um die Probleme mit dem Trinken nicht wahrhaben zu müssen. Trinken, um zu vergessen, dass sie trinkt.

Obwohl sie nur zwei Mal im Leben deutlich merkbar betrunken war, trank sie täglich große Mengen, sie war über lange Jahre Spiegeltrinkerin. Ein Blackout hatte sie nie, die Angst, die Kontrolle zu verlieren, etwas, das sie nicht leiden konnte, war zu groß. Sie trank vor der Arbeit Sekt statt Kaffee, spätestens nach dem Mittagessen verspürte sie die ersten Entzugserscheinungen, nach dem Büro trank sie weiter. Sie war immer um Kontrolle bemüht, damit sie keine Abstürze erlebte, und schaute auch, dass sie immer genug zu trinken zu Hause hatte. Bei mehreren Flaschen Sekt am Tag war das gar kein so leichtes Unterfangen, zumeist klapperte sie mehrere Supermärkte in der Umgebung ab und kaufte jeweils maximal sechs Flaschen, damit es nicht so auffiel. Wenn Wochenenden oder Feiertage waren, musste sie mehrere Supermärkte aufsuchen, um auf die benötigte Menge zu kommen.

Im Jahr 2014 verstarb ihre Mutter, 2017 ging die Firma in Konkurs, sie war arbeitslos und allein. Von diesem Zeitpunkt an war das Trinken der Hauptinhalt ihres Lebens, bis zu vier bis sechs Flaschen Sekt am Tag waren die übliche Menge, es konnten aber auch acht oder neun werden. Etwa dreißig Euro am Tag oder 900 Euro im Monat kostete sie ihr Konsum, wo das Geld für die Abfertigung aus ihrer Anstellung ist, weiß sie nicht, wahrscheinlich „versoffen“.

Langsam merkte sie, dass es so nicht weitergehen konnte, ein Arzt attestierte ihr miserable Leberwerte, ihr Leben drehte sich nur noch um den Alkohol. Gleichzeitig konnte sie sich nicht vorstellen, in eine Therapieeinrichtung zu gehen und nie wieder zu trinken, ein Ringen mit sich selbst und der Erkrankung. Als sie einmal zu Hause in ihr Alkoholtestgerät blies und nach sechs Stunden Schlaf noch immer über zwei Promille hatte, machte ihr dies Angst. Sie informierte sich im Internet und wusste, dass ein Entzug allein zu Hause zu gefährlich sei. Sie wandte sich schließlich an ihren Hausarzt, der sie an eine Stelle verwies, wo sie Hilfe bekommen würde.

Bei Therapieantritt hatte sie in der Früh 1,7 Promille, mittlerweile ist sie seit Dezember 2017 trocken. Sie lernte, über Probleme zu sprechen und sie nicht mit Alkohol hinunterzuspülen, sie lernte, sich zu wehren und sich zu behaupten, etwas, das sie früher nie geschafft hatte. Auf sich selbst zu schauen und die eigenen Bedürfnisse zu berücksichtigen ist eine neue Erfahrung. Alkohol trinken ist dennoch nach wie vor positiv besetzt, hin und wieder träumt sie davon, ein Achterl bei einem Heurigen auf der steirischen Weinstraße zu trinken. Aus Angst, wieder abhängig zu werden, traut sie sich das jedoch nicht, denn wenn sich das Leben nur noch ums Trinken dreht, ist nichts anderes mehr erstrebenswert. Der erkämpfte Ausstieg ist zu viel wert, um ihn aufs Spiel zu setzen.


ENTWICKLUNG DER ABHÄNGIGKEIT

„Probiere niemals Heroin, da bist du sofort süchtig und kommst nicht mehr davon los.“

„Cannabis als Einstiegsdroge“ ist ein beliebtes Argument von Liberalisierungsgegnern, die die These vertreten, dass der Konsum von Cannabis den Konsum anderer, härterer Drogen nach sich zieht. Diese Theorie wurde auch deswegen aufgestellt, weil man beobachtete, dass Opiatabhängige den Einstieg in den Konsum illegalisierter Substanzen mit Cannabis begannen. Hinter dieser zeitlichen Abfolge vermutete man einen biochemischen Zusammenhang und stellte die Theorie auf, dass Cannabiskonsum zum späteren Konsum härterer Drogen führt. Dass diese These so nicht stimmen kann, zeigen die Zahlen der Konsument*innen. Etwa fünf bis zehn Prozent der Österreicher*innen rauchen gelegentlich Cannabis, zumindest einmal ausprobiert haben das wesentlich mehr, nämlich etwa 25 Prozent. Würden diese alle später opiatabhängig, hätten wir ein weit größeres Problem mit Drogen in diesem Land. Die These der Einstiegsdroge Cannabis gilt nicht zuletzt aufgrund dieser empirischen Beobachtungen als widerlegt.

Doch wie ist das mit anderen Drogen, macht nicht schon der einmalige Konsum von Heroin abhängig? Um diese Frage zu beantworten, muss man etwas weiter ausholen und etwa auf Kriegsschauplätze blicken. Drogen und Krieg haben eine enge Verbindung, nicht nur in Bezug auf den eingangs geschilderten War on Drugs, sondern auch, weil der Drogenkonsum unter Soldaten im Kriegseinsatz verbreitet war und nach wie vor ist. Im Zweiten Weltkrieg wurde bis in die hohen Ränge der Wehrmacht „Panzerschokolade“ konsumiert. Sie verlieh Selbstvertrauen, half Müdigkeit, Hungergefühl und Angstgefühle zu überwinden und steigerte die Leistungsfähigkeit, was ihr auch später den Namen „Nazi-Speed“ einbrachte. Alles Eigenschaften, die für Soldaten im Krieg von Nutzen sind, zumindest so lange, bis sich die negativen Folgen einstellen. Erhöhter Schlafbedarf nach Phasen längeren Wachseins, Abhängigkeit und Psychosen sind nur einige davon und auch mit ein Grund dafür, wieso die der Panzerschokolade zugrunde liegende Substanz 1941 verboten wurde. Es handelte sich dabei um nichts anderes als ein Methamphetamin, das unter dem Namen Pervitin offiziell von pharmazeutischen Firmen hergestellt wurde. Der heute übliche „Handelsname“ von Pervitin ist Crystal Meth, wenngleich dieses in der Regel wesentlich höher dosiert ist, als es das Pervitin des Zweiten Weltkriegs je war.

Neben weiteren Substanzen wie Marihuana oder Alkohol spielt auch Heroin im Krieg eine Rolle. Mehr als ein Drittel der Soldaten im Vietnamkrieg soll Heroin konsumiert haben, etwa ein Fünftel war opiatabhängig [90]. Der Konsum von Heroin war weit verbreitet, was zum einen etwas mit den Lebensumständen und den Grausamkeiten des Kriegs zu tun hatte, zum anderen aber auch mit der guten Verfügbarkeit vor Ort. Aber was wurde aus den tausenden Vietnamveteranen mit Heroinerfahrung? Wurden alle süchtig und blieben sie es auch nach ihrer Rückkehr in die USA? Mitnichten. Die meisten der Rückkehrer beendeten den Heroinkonsum wieder, sobald der Kriegseinsatz vorbei war, die Anzahl der Abhängigen unter den ehemaligen Opiatkonsumenten sank auf etwa zwei Prozent [43]. Ähnliche Erfahrungen wurden mit deutschen Soldaten gemacht, die im Zweiten Weltkrieg Methamphetamin konsumiert hatten. Auch hier sank die Rate der Süchtigen nach dem Krieg wieder auf das Ausgangsniveau. Die Substanz alleine kann es also nicht sein, die Menschen abhängig macht, und ein einmaliger Konsum welcher Substanz auch immer macht nicht gleich süchtig. Er kann aber der erste Schritt in Richtung Abhängigkeit sein.

Die wissenschaftliche Forschung beschäftigt sich seit langem damit, wie und unter welchen Umständen Menschen abhängig werden. Es gibt verschiedenste Theorien zur Suchtentstehung von unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen, so führen beispielsweise medizinisch orientierte Erklärungstheorien die Sucht auf Stoffwechselvorgänge im Gehirn oder eine genetische Vorbelastung zurück. Psychologisch orientierte Theorien suchen wiederum die Ursache der Sucht in der Störung der Persönlichkeitsentwicklung oder sehen die Abhängigkeit als ein erlerntes Verhalten, dass es wieder zu verlernen gilt. In soziologisch orientierten Theorien stehen eher Umweltfaktoren wie mangelnde Perspektiven oder auch der Einfluss der Peergroup im Vordergrund. Im Grunde gehen alle diese Theorien der Frage nach, welche Faktoren für die Entstehung der Abhängigkeit verantwortlich sind, um daraus die für die Prävention und die Behandlung notwendigen Schlüsse zu ziehen.

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22 декабря 2023
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414 стр. 7 иллюстраций
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9783854396567
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