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Obgleich diese Einteilung in drei Hauptwirkungsklassen sehr anschaulich ist, lassen sich Substanzen nicht immer ganz eindeutig zuordnen. Die meisten von ihnen haben nicht nur eine eindeutige Wirkung, sondern auch Bestandteile anderer Wirkungsklassen. Cannabis beispielsweise wirkt beruhigend, kann aber durchaus auch Halluzinationen verursachen. Alkohol wirkt – vor allem bei den ersten Gläsern – anregend und stimulierend, hat aber ab einer gewissen Dosis eher eine beruhigende Wirkung. Etwas, das sich im Übrigen auch im Alltag ganz gut beobachten lässt. Nach den ersten Gläsern werden Menschen oft kommunikativer und „lustiger“, ab einem gewissen Alkoholpegel jedoch immer ruhiger, bis irgendwann von der anfänglichen Angetriebenheit nichts mehr zu merken ist und die Betroffenen einschlafen. Insofern kann eine derartige Einteilung nie grenzgenau sein, sie gibt jedoch einen Überblick über die vorwiegend auftretende Wirkung.

Substanzklassen


Eine detaillierte Beschreibung anhand ihrer Wirkungsweise, Verbreitung, Konsumform und der damit einhergehenden Gefahren und Risiken der wichtigsten am Markt verfügbaren und häufig missbräuchlich verwendeten psychoaktiven Substanzen findet sich in Kapitel „Kleine Substanzkunde“.

FREIZEITDROGENKONSUM

Nicht jeder, der Drogen konsumiert, wird auch davon abhängig, ganz im Gegenteil. Die meisten Menschen, die illegalisierte Substanzen zu sich nehmen, fallen unter die Gruppe der sogenannten Freizeit- oder Partydrogenkonsument*innen beziehungsweise der Probierkonsument*innen. Der Begriff ist im Deutschen etwas irreführend, nicht nur, weil er eine gewisse Harmlosigkeit suggeriert, sondern auch, weil er einen direkten Zusammenhang mit dem Konsumsetting und -anlass herstellt. Gemeint ist aber etwas, das im Englischen als recreational drug use bekannt ist: die Verwendung einer psychoaktiven Substanz, um eine Veränderung des Bewusstseinszustands zum Vergnügen herbeizuführen [106]. Es geht darum abzuschalten, zu entspannen, um Bewusstseinserweiterung, in der Partyszene auch um die Förderung der sozialen Interaktion, Enthemmung und Steigerung des sexuellen Erlebens.

Das ist nichts Neues. Betrachtet man allein das letzte Jahrhundert, sieht man, dass in den vergangenen Jahrzehnten unterschiedlichste Substanzen im Freizeitbereich eine Rolle gespielt haben. Ganz abgesehen vom Alkohol, der in unserem Kulturkreis schon lange mit Vergnügen und Festen assoziiert wird, wurden und werden stets illegalisierte Drogen in unterschiedlichen Kreisen konsumiert. In den 1930er-Jahren nahmen Jazzmusiker der Untergrundszene Kokain und Marihuana, in den 1960er-Jahren Rock-’n’-Roller Amphetamine. In den 1970er-Jahren waren die Hippies mit Cannabis und Halluzinogenen auf der Suche nach neuen Erfahrungen, Grenzüberschreitungen und sexueller Freiheit. Ecstasy war die Droge der Rave- und Technoszene der 1990er-Jahre, nach der Jahrtausendwende kamen noch eine Reihe von neuen psychoaktiven Substanzen hinzu, die bei Freizeitdrogenkonsumierenden ihren Platz fanden. Heute versteht man eine Vielzahl von Substanzen unter dem Begriff Party- oder Freizeitdrogen, von Alkohol und Cannabis über Ecstasy, LSD, Speed und Kokain bis hin zu neueren Substanzen wie Ketamin oder GHB.

Freizeitdrogenkonsument*innen bleiben – anders als schwer Abhängige – weitgehend unbemerkt, sie besorgen sich die Drogen unauffällig, sind nicht in der Straßendrogenszene unterwegs. Es handelt sich um eine sehr heterogene Gruppe, die sich nicht als Drogenkonsument*innen im herkömmlichen Sinn wahrnimmt und vielfach keine Abhängigkeit entwickelt. Die Konsument*innen sind häufig sozial und beruflich gut integriert und konsumieren in Situationen, in denen diese Integration nicht beeinträchtigt wird. Diese Unauffälligkeit ist mit ein Grund, weshalb diese Gruppe für die Forschung, aber auch für die Zurverfügungstellung von Präventions- und Beratungsangeboten eher nur schwer zu erreichen ist [106].

Untersuchungen zu Konsumhäufigkeiten in der Allgemeinbevölkerung sowie große Online-Befragungen geben jedoch einen Einblick in die ungefähre Größe dieser Gruppe und die Häufigkeit der konsumierten Substanzen. In einer Online-Befragung mit über 100.000 Teilnehmer*innen in über fünfzig Staaten der Welt zeigte sich, dass 63 Prozent der Befragten im vergangenen Jahr Cannabis konsumiert hatten, dreißig Prozent MDMA, zwanzig Prozent Kokain und 13 Prozent LSD. Die höchste Prävalenz hat Alkohol mit 93 Prozent der Befragten [136]. Obwohl diese Zahlen durch die Zugangsweise als Online-Befragung mit Sicherheit eine Überschätzung darstellen, geben sie einen Hinweis auf die Konsumhäufigkeit psychoaktiver Substanzen in der Allgemeinbevölkerung. Diese relativ hohe Verbreitung im Vergleich zur Anzahl jener Menschen, die sich in Behandlung befindet, zeigt, dass es einen erheblichen Anteil an Personen gibt, die nicht aufgrund ihres Substanzkonsums behandlungsbedürftige Probleme entwickeln. Betrachtet man die unterschiedlichen Prävalenzen in unterschiedlichen Gruppen, wird auch deutlich, dass bestimmte Substanzen in manchen Gruppen häufiger verwendet werden. Während beispielsweise 22 bis 85 Prozent der Befragten in der Partyszene angeben, bereits einmal Ecstasy konsumiert zu haben, sind dies in einer hinsichtlich Alter und Geschlecht vergleichbaren Personengruppe der Allgemeinbevölkerung lediglich ein bis zwölf Prozent, wie eine europäische Befragung zeigt [84].

Freizeitdrogenkonsum wird in unterschiedlichen Settings betrieben, von Clubbings über Musikfestivals, illegalen Raves bis hin zu Urlaubsorten, die für den massiven Konsum von psychoaktiven Substanzen bekannt sind. Von Ibiza über Mallorca bis Amsterdam oder das indische Goa. Nicht wenige Reisende suchen sich ihren Urlaubsort danach aus, wie ausgeprägt das Nachtleben dort ist, wie gut Drogen verfügbar sind oder wie billig der Alkohol ist. Für viele, vor allem für jüngere Menschen, gehören Drogen oder Alkohol und Partymachen fest zusammen, eine Befragung in der Berliner Partyszene bestätigte das. Neun von zehn der befragten Partygänger*innen hatten im letzten Monat Alkohol getrunken, sechs von zehn Cannabis geraucht, die Hälfte Amphetamin und Ecstasy konsumiert, ein Drittel Kokain und Ketamin [5]. Bei den meisten Befragten handelte es sich um Freizeitdrogenkonsument*innen, sie sind durchschnittlich dreißig Jahre alt, über vierzig Prozent weiblich, jede*r Vierte verfügte über einen Hochschulabschluss. Soziodemografisch gesehen ist das, verglichen mit den schwer Opioidabhängigen, eine andere, aber keineswegs zu vernachlässigende Gruppe, die mit einer gewissen Regelmäßigkeit Drogen konsumiert.

Dieser exzessivere Konsum auf Partys oder bei vergleichbaren Gelegenheiten ist zumeist auf bestimmte Lebensphasen begrenzt und endet in der Regel mit dem Eintritt ins Berufsleben oder der Übernahme von Familienverantwortung. Die Gefahr der schleichenden Entwicklung einer Abhängigkeit besteht aber doch, auch diese Art des Konsums birgt Risiken. Wenn das Partymachen ohne Substanzen nicht mehr möglich ist, ist auch das eine Form von Abhängigkeit. Auch andere Auswirkungen auf den Alltag, wie Müdigkeit und Niedergeschlagenheit nach einem exzessiven Partywochenende, sind nicht unüblich. Eines der größten Risiken liegt jedoch in den Substanzen und deren unbekannter Qualität sowie im oft betriebenen Mischkonsum. Vor allem in jüngster Zeit wurden teilweise extrem hohe Dosierungen bei MDMA gefunden, was zu tödlichen Überdosierungen bei Partygänger*innen geführt hat. Nicht zuletzt deswegen sind Präventionsangebote wie etwa „Drug-Checking“, also die Möglichkeit, Substanzen auf Partys auf ihre Reinheit zu überprüfen, wichtig, 15 Prozent der Befragten der oben zitierten Berliner Untersuchung wünschen sich ein derartiges Angebot. Auch Beratung sowie Informationen zum Safer Use sind auch in dieser Konsument*innengruppe von Bedeutung.

Eine spezielle Ausprägung des Freizeitdrogenkonsums, die vor allem unter einer bestimmten Gruppe von homo- oder bisexuellen Männern verbreitet ist, wird als Chemsex bezeichnet. In der Öffentlichkeit ist das eher weniger bekannt, weil es die beiden Tabuthemen Drogenkonsum und Sexualität gleichzeitig betrifft. Bei Chemsex handelt es sich um ein vergleichsweise neues Phänomen, das sich Mitte der 2010er-Jahre von London aus in Europa ausbreitete. Selbstverständlich sind nicht alle schwulen Männer gleichzeitig Drogenkonsumenten, die meisten konsumieren nicht mehr oder weniger Drogen als andere Menschen auch. Es gibt jedoch eine spezielle Gruppe von „Men who have sex with men“ (MSM), in der der Konsum von Freizeitdrogen höher ist als in der Allgemeinbevölkerung [13]. Zu den Gründen für diese höhere Verbreitung gibt es unterschiedliche Hypothesen. Manche Männer setzen Drogen beim Sex ein, um länger feiern zu können und intensivere Gefühle beim Sex zu haben [86]. Andere versuchen ihr (sexuelles) Selbstwertgefühl zu steigern, um den Anforderungen einer bestimmten schwulen Szene, die sehr auf ein makelloses Äußeres und Attraktivität fokussiert ist, gerecht zu werden [13]. Manchen hilft der Drogenkonsum, negative Emotionen wie mangelndes Selbstwertgefühl, die Stigmatisierung aufgrund des HIV-Status oder eine internalisierte Ablehnung durch die heteronormative Gesellschaft zu überwinden [72].

Beim Chemsex werden psychoaktive Substanzen unmittelbar vor oder während des Sex eingenommen, um diesen länger und intensiver zu erleben [38]. Mit „Chems“ sind Drogen gemeint, die den Sex intensiver oder entspannter werden lassen. Dabei spielen unterschiedliche Substanzen eine Rolle, wobei neben Alkohol, Cannabis und Poppers, Mephedron, GHB/GBL und Crystal Meth zum Einsatz kommen. Auch Kokain und Ketamin sowie Amphetamine sind gängige Substanzen in diesem Zusammenhang. In der Regel werden Drogen konsumiert, die stimulierend, euphorisierend und leistungssteigernd wirken. Die psychische Enthemmung begünstigt das sexuelle Erleben, die muskelentspannende Wirkung mancher Drogen ist für einen lang andauernden Verkehr förderlich. Substanzen wie Crystal Meth, GHB/GHL und Mephedron können außerdem die sexuelle Erregung steigern. Häufig werden mehrere Substanzen gleichzeitig oder abwechselnd konsumiert, nicht selten auch zusammen mit Alkohol. Am Ende eines Wochenendes mit Sex und Drogen werden manchmal beruhigende und schlaffördernde Substanzen eingenommen, um für den folgenden Arbeitstag wieder fit zu sein.

Substanzen

GHB/GBL

GHB (Gammahydroxybuttersäure) und GBL (Butyro-1,4-lacton) sind in der Szene auch unter dem Namen „Liquid Ecstasy“ bekannt, obwohl weder Wirkung noch chemische Zusammensetzung jener von Ecstasy ähnlich sind. In niedrigen bis mittleren Dosierungen ist es leicht euphorisierend, angstlösend, enthemmend, erleichtert den sozialen Kontakt und wirkt sexuell stimulierend, ähnlich wie Alkohol. In hohen Dosen kann es zu einem plötzlichen komaähnlichen Schlaf kommen, aus dem die Betroffenen kaum zu wecken sind, der Unterschied in der Dosiermenge ist gering. GHB ist auch als „Date Rape Drug“ bekannt, da es Berichte darüber gibt, dass die farblose Flüssigkeit Frauen in Diskotheken unbemerkt ins Getränk geschüttet wurde, um sie anschließend im bewusstlosen Zustand zu missbrauchen. Durch die substanzbedingten Gedächtnislücken sowie die geringe Nachweisdauer ist dies in vielen Fällen nur schwer zu belegen.

Ketamin

Bei Ketamin handelt es sich um ein Narkosemittel, das überwiegend in der Tiermedizin angewendet wird. In niedrigen Dosierungen kommt es zu einer verzerrten Wahrnehmung von Raum und Zeit und einer leicht euphorischen Wirkung, bei höheren Dosierungen zu einer Verschmelzung mit der Umwelt, auch Halluzinationen sind möglich. Bei Überdosis kann es zu Bewusstlosigkeit, Koma und Atemdepression kommen. Ketamin ist als weißes, meist kristallines Pulver am Schwarzmarkt erhältlich und wird vorwiegend gesnieft.

Mephedron/MMC

Mephedron gehört zur Gruppe der synthetischen Cathinone und wirkt antriebssteigernd und euphorisierend, es ist als Pulver oder in Tablettenform erhältlich. Da es zu den „Neuen psychoaktiven Substanzen“ gehört, ist über Wirkungsweise, Risiken und Langzeitfolgen noch wenig bekannt (siehe Kapitel „Kleine Substanzkunde“).

Poppers

Poppers ist ein Sammelbegriff für in kleine Glasfläschchen abgefüllte Nitritverbindungen, deren Dampf nach dem Öffnen der Ampullen inhaliert wird. Dies führt zu einem kurzfristigen High-Gefühl, aber auch zu einer Entspannung der glatten, vaskulären Muskulatur, weswegen sie auch beim Analverkehr verwendet werden.

Chemsex ist in der schwulen Partyszene vieler europäischer Länder zu finden, am häufigsten in englischen Städten wie London oder Manchester, gefolgt von Amsterdam und Barcelona, aber auch Berlin oder Wien haben eine Chemsex-Szene [92]. Die manchmal Tage dauernden privaten oder (halb-)öffentlichen Chemsex-Partys sind häufig über den Freundeskreis oder spezielle Online-Plattformen organisiert, in denen sich User als „chemfriendly“ ausweisen. Spezielle mobile Dating-Apps spielen hierbei eine wesentliche Rolle. Bei den Konsumenten handelt es sich nicht um „klassische“ Drogenkonsumenten, sie betrachten sich zumeist auch nicht als solche. Es handelt sich häufig um eher gut gebildete, sozial integrierte Personen der Mittel- bis Oberschicht, die im Berufsleben stehen und am Wochenende dem Alltag mit berauschenden Chemsex-Partys entfliehen.

Was so organisiert und harmlos klingt, ist es aber nicht. Zu den weiter oben bereits beschriebenen Risiken des Freizeitdrogenkonsums kommt beim Chemsex ein weiteres Risiko dazu, die Ansteckung mit sexuell übertragbaren Krankheiten wie HIV, Hepatitis C, Gonnorhö (Tripper) oder anderen Geschlechtskrankheiten. Der Zusammenhang zwischen Drogenkonsum und Risikobereitschaft ist komplex, das höchste Risiko besteht jedoch darin, dass es im Zuge der Enthemmung zu ungeschütztem Sexualverkehr kommt. Der Sex unter Drogeneinfluss dauert oft auch länger, manche Drogen trocknen darüber hinaus die Schleimhäute aus, was das Risiko von Verletzungen beim Verkehr zusätzlich erhöht. Dazu kommt, dass auf Chemsex-Partys häufig zu Verkehr mit wechselnden Partnern kommt, alles zusammen erhöht das Risiko der Ansteckung mit sexuell übertragbaren Krankheiten [97]. Nicht zuletzt dieses Risiko macht spezifische Präventions- und schadensminimierende Angebote notwendig. Kam oder kommt es beim Chemsex zu einem Kontrollverlust mit ungeschütztem Verkehr, können PrEP2 (Prä-Expositions-Prophylaxe) und PEP3 (Postexpositionsprophylaxe) zumindest vor einer Infektion mit HIV schützen, das Risiko für die Übertragung anderer Krankheiten ist jedoch nach wie vor gegeben.

Auch wenn das Phänomen Chemsex vorwiegend bei Männern, die Sex mit Männern haben, beschrieben wird, darf nicht vergessen werden, dass auch heterosexuelle Kontakte oft mit Berauschung einhergehen. Das Mittel der Wahl ist hier zumeist der Alkohol, der zur Enthemmung und Steigerung der Kontaktfreudigkeit eingesetzt wird. Darüber hinaus gibt es vermehrt Berichte, dass auch bei Heterosexuellen zunehmend andere Substanzen zur Förderung des sexuellen Erlebens eingesetzt werden, von Crystal Meth bis Mephedron, Substanzen, die in der homosexuellen Chemsex-Szene auch in Gebrauch sind.

Ganz unabhängig davon, wozu psychoaktive Substanzen im Freizeitbereich eingesetzt werden, hören die meisten Menschen, die Freizeit- oder Partydrogenkonsum betreiben, irgendwann auch wieder damit auf, ohne eine Abhängigkeit zu entwickeln. Die Lebensumstände ändern sich, andere Dinge werden wichtiger, der Konsum selbst ist nicht mehr so interessant, wie er einmal war. Dennoch bleibt das Risiko, eine Abhängigkeit schleichend zu entwickeln; die Grenzen zwischen genussvollem Gebrauch, Missbrauch und Abhängigkeit sind fließend.

MICHAEL

Michael4 ist 38 Jahre alt und leitender Angestellter in einer Bank. Niemand von seinen Kund*innen würde vermuten, dass er über zehn Jahre lang an den Wochenenden ein ganz anderes Leben gelebt hat.

Michael wusste seit seiner frühen Kindheit, dass er schwul ist. Aufgewachsen in einem eher bürgerlichen Elternhaus, stellte dies nach seinem relativ späten Coming-out im Alter von 21 Jahren auch kein Problem mehr dar. Mit sich und seiner Sexualität schließlich im Reinen, hatte er bald viele homosexuelle Freunde und die ersten Beziehungen. Bis er im Alter von 28 Jahren noch einmal etwas anderes kennen lernte: Partydrogen und Chemsex.

Bis dahin hatte Michael keinerlei Erfahrungen mit härteren Drogen als Cannabis, ihm wurde immer erzählt, dass Drogen schnell süchtig machen und sehr gefährlich sind. Das schreckte ihn ab und interessierte ihn auch nicht. Bis zu dem Zeitpunkt, als er von einem Bekannten auf einer Party sein erstes Ecstasy angeboten bekam. Die Versuchung war da, der Respekt davor jedoch auch. So informierte er sich vorher genau über Drogen und ihre Wirkungen, Nebenwirkungen und die Gefahren und Risiken. Die Kontrolle, die er auch sonst von seinem Leben und seinem Beruf kannte, war ihm auch oder gerade bei Drogen wichtig. So bekam er von befreundeten Ärzten eine umfangreiche „Einschulung“ über Wirkungen, Nebenwirkungen und Risiken, über das Internet waren die Informationen damals noch nicht so umfangreich zugänglich. Den beiden Ärzten vertraute er, er kannte sie gut und sie selbst konsumierten seit Jahren gelegentlich am Wochenende Drogen, während der Woche standen sie mit beiden Beinen im Leben.

Bald nach diesem ersten Kontakt mit Drogen fuhr er auf ein großes Schwulenfestival nach Miami, viele schöne, trainierte Männer, drei Viertel von ihnen auf Drogen, so schätzte er. Dort lernte er Kokain, GHB, Ketamin und Crystal Meth kennen, wobei er insbesondere Letzteres nur in sehr kleinen Mengen konsumierte, der Respekt davor war und blieb groß. Er wusste von der Gefährlichkeit der Substanz und ging dementsprechend vorsichtig damit um. Unter Drogeneinfluss sei eine Party ein ganz anderes Erleben, mit nacktem Oberkörper zu tanzen ist wie ein Vorspiel auf der Tanzfläche. Der Beginn eines sexuellen Erlebnisses, das sich über die ganze Nacht zieht. Michael verkehrte gerne öfter in einer bestimmten Schwulenszene, die sehr oberflächlich ist. Man muss perfekt sein, attraktiv, trainiert und erfolgreich, sonst ist man nicht begehrenswert. Auch er selbst optimierte seinen Körper mit viel Training, bewusster Ernährung und strenger Disziplin. Durch die Partydrogenszene kam er aber noch ein Stück besser an die „High-end-Leute“ heran, wie er sie bezeichnet. Eine „geile“ Belohnung für all das Training und die Anstrengungen.

Nachdem ihm einmal in London beim Eingang in einen Club sein Ecstasy, das er für den Abend mithatte, abgenommen wurde, lernte er noch etwas anderes kennen: Mephedron. Er und die Männer, die er dort kennen gelernt hatte, gingen gemeinsam aufs Klo, um zu konsumieren. Die Toilettendame ließ sich fünf Pfund „Schweigegeld“ bezahlen, wer nicht zahlte, wurde nicht gemeinsam in eine Kabine gelassen. Der Drogenkonsum schien in dem Club System zu haben, die Toilettendame verdiente sich so ein Körberlgeld. Mephedron war noch einen Tick interessanter für ihn. Es macht dich nicht nur wach wie Kokain oder Speed, sondern verbessert deine Stimmung, ähnlich wie Ecstasy, „macht dich happy und geil“, wie er es formuliert. Der Zugang dazu war damals auch noch einfach, man konnte es bis zur Einführung des Neue-Psychoaktive-Substanzen-Gesetzes legal im Internet bestellen. Er bestellte sich gleich einen größeren Vorrat, von dem er jahrelang zehrte, das „Zeug“ war damals vergleichsweise rein und spottbillig.

Etwa zwei Jahre nach dem ersten Ecstasykonsum gab es kein Ausgehen ohne Drogen mehr. Die intensivsten Wochenenden waren immer auf Festivals im Ausland, wo sich bald der Tagesrhythmus umgestellt hatte. Schlafen bis nachmittags, abends auf eine oder mehrere Partys, immer in Verbindung mit Mephedron und/oder anderen Substanzen. Am Ende der Nacht ging es auf eine Afterparty im Club oder bei jemandem zu Hause, wo noch gechillt, getanzt, gekifft, in der Sonne gelegen und gefummelt wurde. Am Ende der Nacht hatte er Sex mit jemandem, den er sich während des Abends ausgesucht hatte. Zumeist für mehrere Stunden, etwas, das in dieser Intensität ohne Drogen nicht möglich sei. Manche dieser „Partynächte“ dauerten 24 Stunden, samt intensivsten sexuellen Erlebnissen mit den attraktivsten Männern.

Über zwei bis drei Jahre betrieb er dies sehr intensiv, manchmal mehrere Wochenenden in Folge. Mephedron war sein „Grundnahrungsmittel“ beim Ausgehen, dazu nahm er andere Drogen wie GHB oder Ketamin, je nachdem, was gerade aus einer relativ sicheren Quelle verfügbar war. Eine gewisse Ernüchterung folgte jedoch immer am nächsten Tag. Die Männer, die am Vortag noch so attraktiv wirkten, waren es bei genauerer Betrachtung gar nicht immer. Sie fanden einen selbst am nächsten Tag oft auch nicht mehr so toll wie noch am Vorabend. Bei manchen beruhte dies auf Gegenseitigkeit, bei manchen kratzte das aber am Selbstwert und frustrierte, wenn die schönen Erlebnisse nicht nachhaltig, sondern sehr schnell vergänglich waren.

In dieser Zeit gab es auch eine Vielzahl besonders lustiger oder geiler Erlebnisse, die ihm noch gut in Erinnerung sind. Wie einmal, als er nach der Pride5 mit einem deutschen Notarzt und dessen Partner ins Hotel ging, um noch Sex zu haben. Die beiden spritzen sich Ketamin mit sterilen Einwegspritzen intramuskulär, etwas, das er noch nie zuvor gemacht hatte. Nachdem er sich eine Weile angesehen hatte, wie das bei den beiden wirkte, ließ er sich auch eine halbe Dosis spritzen, unter „ärztlicher Aufsicht“ quasi. In Kombination mit dem zuvor konsumierten Mephedron führte dies zu einem der sexuell intensivsten Erlebnisse, die er je hatte. Dennoch würde er es nicht wiederholen, sich etwas zu injizieren ist noch einmal eine andere Liga des Konsums, da ist doch eine psychische Schranke bei ihm vorhanden.

Aber es gab auch ungute Erfahrungen, er erlebte Menschen auf Afterpartys, die GHB überdosiert hatten, krampften, von Freunden gestützt werden mussten, weil sie nicht mehr stehen konnten. Ihm selbst ist das nie passiert, auch weil er immer sehr auf Risikobeschränkung bedacht war. Beim Konsum von GHB sah er stets genau auf die Uhr, um zu kontrollieren, wann er wieder „nachlegen“ konnte, achtete generell und bei allen Substanzen darauf, die ihm „empfohlenen“ Dosen nicht zu überschreiten und immer nur Drogen von Menschen zu nehmen, die diese zuvor selbst auch probiert hatten. Die Ausnahmen davon kann er an einer Hand abzählen. Auch beim Mischkonsum war er sehr vorsichtig, so waren GHB und Alkohol zusammen für ihn tabu, auch wenn ihm andere erzählten, dass sie das regelmäßig problemlos machten. Weitergabe oder das Kontaktieren eines Dealers waren ebenfalls ausgeschlossen, die Angst, mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen, war zu groß. Mit Ausnahme des noch legal übers Internet erworbenen Mephedrons bezog er sämtliche Substanzen immer nur über Freunde. So war der Konsum für ihn relativ risikoarm, dennoch kam es nach einer Zeit zu einem Erlebnis, das ihm klarmachte, dass es nicht ewig so weitergehen konnte.

Sein damaliger Freund betrieb den Drogenkonsum sehr exzessiv, jedes Wochenende intensives Ausgehen und Konsumieren, langes Unterwegssein mit Afterpartys und Sex. Nach einem halben Jahr hatte er sechs Kilo abgenommen, fühlte sich kaputt und ausgelaugt. Obwohl er seinen Freund sehr liebte, machte er tränenüberströmt Schluss. Er hielt das intensive Drogenleben nicht mehr aus, die Trennung tat ihm sehr weh, war aber aus Selbstschutz notwendig. Dieses Erlebnis öffnete ihm ein wenig die Augen, so wollte er es jedenfalls nicht haben, weniger ist mehr. Von diesem Zeitpunkt an plante er seine Partys genauso wie die Pausen dazwischen. Wochenenden am Land mit Freunden, Radausflüge oder Kinoabende hatten genauso Platz wie hin und wieder ein Partywochenende mit Drogen und Sex.

So wurden der Konsum und die intensiven Partys immer weniger, dazu kam eine gewisse Ambivalenz. Die Erlebnisse waren toll, aber auch nicht mehr so neu wie zu Beginn, der Kater an den drauffolgenden Tagen war unangenehm, die Vergänglichkeit der Erlebnisse ihm immer bewusster. Irgendwann merkte er, dass ihn das auf Dauer nicht weiterbrachte. Rückblickend bereut er nichts von dem, was er getan hat, das Risiko war für ihn tolerabel und die Erlebnisse toll und einzigartig. Irgendwann aber nützt sich alles ab und andere Dinge werden wichtiger. Alles hat seine Zeit, wie er gerne sagt.

Derzeit lebt er in einer sehr liebevollen Beziehung, was ihm insgesamt mehr Befriedigung gibt als die teils härteren und letztlich unechten sexuellen Erlebnisse zuvor. Urlaub mit Freunden, Kuschelabende mit dem Partner, all das ist auch noch da, wenn man am nächsten Tag aufwacht. Die Befriedigung hält wesentlich länger als nur für ein Wochenende.

Sorgen, dass der Konsum außer Kontrolle gerät, machte er sich nie. Vor allem auch deshalb, weil er sich selbst ganz strenge Regeln auferlegte in Hinblick auf Häufigkeit und Safer Use. Im Umgang mit Regeln war er immer gut und er wusste zumindest immer genau, wo er nicht hinwollte, in die Abhängigkeit. Michael glaubt, dass es für ihn auch sehr wichtig war, dass er selbst in seiner intensivsten Partyzeit darauf achtete, auch seine Kontakte, die kaum oder gar nichts mit der Partyszene zu tun hatten, immer intensiv weiterzupflegen und sich dadurch immer bewusst zu halten, dass es auch im „realen Leben“ sehr viel Schönes für ihn zu erleben gibt. Dies und vermutlich auch eine Portion Glück haben ihm geholfen, aus zehn Jahren regelmäßigen Freizeitdrogenkonsum gesund wieder auszusteigen.


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Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
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414 стр. 7 иллюстраций
ISBN:
9783854396567
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