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Читать книгу: «Lu die Kokotte», страница 9

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XX

»Ja,« sagte Luise, »wenn es etwas gäbe, um sich das Denken ganz abzugewöhnen.«

»Es gibt etwas«, erwiderte Berthe.

»Das wäre?«

»Gib mir Pleinpouvoir, über dich und dein Schicksal zu verfügen«, sagte Berthe.

»Das ist ein bißchen viel verlangt«, meinte Luise.

»Allerdings, es setzt Vertrauen voraus.«

»Das habe ich.«

»Mehr als zu irgendeinem Dritten?«

Luise schwieg.

»Aha,« sagte Berthe gekränkt, »ich habe es gewußt. Natürlich Marcel! – Habe ich recht?«

»Ja, ist denn das nicht ganz natürlich? Begreifst du das denn nicht? Steht dir denn nicht auch Henri näher als ich?«

»Einmal kenne ich Henri seit zwei Jahren«, erwiderte Berthe. »Du Marcel seit kaum drei Monaten, und dann« – sie überlegte – »wenn ich ehrlich sein soll: nein! Du stehst mir näher als er. Das ist vielleicht eigentümlich, liegt aber wohl daran, daß unser Schicksal so viel Gemeinsames hat.«

»Ich wüßte nicht,« erwiderte Luise, »wie ich mit meinem Gewissen zurecht kommen sollte, wenn es jetzt noch auf der ganzen Welt jemand gäbe, der mir näher stände als Marcel.«

»Ich finde, du solltest aus deinen Erfahrungen gelernt haben, daß für Menschen, die auf sich selbst angewiesen sind und vorwärts kommen wollen, das Gewissen ein sehr unbequemer Ballast ist. Dein Leben hätte sich gewiß anders gestaltet, wenn bei allem, was du tatest, die Zweckmäßigkeit und nicht das Gewissen entschieden hätte.«

»Da hast du recht«, sagte Luise.

»Wie bei mir. Hätte ich ein Gewissen oder, was noch schlimmer ist, gar ein Herz für die Männer, um mich stände es heute schlimm.«

»So hast du das alles also aus Berechnung getan?« fragte Luise.

»Selbstverständlich,« erwiderte Berthe, »und ich ruhe nicht eher, als bis ich auf eigenen Füßen stehe, ohne auch nur auf eine einzige meiner heutigen Bequemlichkeiten verzichten zu müssen.«

»Aber das hast du doch alles in demselben Augenblick, in dem Henri dich heiratet.«

»Vorläufig bin ich nichts weiter«, erwiderte Berthe, »als irgendeine seiner Angestellten, die er ohne Kündigungsfrist an die Luft setzen kann.« – Nach einer Weile sagte sie: »Genau wie du.«

»Berthe!« rief Luise entsetzt.

»Warum soll man die Dinge nicht beim richtigen Namen nennen«, erwiderte Berthe. »Wer vorwärts will, muß sich zunächst über sich selbst klar sein, – oder liegt es etwa anders? – Wenn die Gebrüder Laqueurs etwas ganz Besonderes tun, dann werden sie jede von uns eines Tages mit 20.000 Francs abfinden, oder – und das ist wahrscheinlicher – sie setzen uns eine monatliche Rente von 200 Francs aus, mit der wir Zimmervermieterinnen oder die Frauen von Vorstadthoteliers werden können. Was mich anbelangt, ich habe andere Ambitionen.«

Deutlicher konnte es Berthe Luisen nicht zeigen, wo sie nun angelangt war. Und als Luise jetzt an sie herantrat und sie fragte:

»So glaubst du also nicht, daß Henri und Marcel uns heiraten werden?« – da hatte sie die Hoffnung auf eine Ehe bereits aufgegeben.

»Wenn ich du wäre,« erwiderte Berthe, »verlaß dich drauf: in zwei Monaten wäre ich seine Frau, – ob er es gern täte oder nicht.«

»Ich würde ihn nie drängen oder auch nur bitten«, sagte Luise.

»Eben, eben, das weiß ich, und darum muß eben ein anderer für dich handeln. Willst du dich mir nun anvertrauen? Aber auch in allem?«

Luise überlegte nicht lange. »Du findest dich in der Welt besser zurecht als ich«, sagte sie. »Und dann: was habe ich noch zu verlieren. Also . . .« und sie streckte ihr die Hand hin, ». . . ich unterwerfe mich dir in allem.«

»Es soll dein Schade nicht sein«, versicherte Berthe.

»Ich spreche noch heute mit Henri und Marcel. Es ist gut, wenn du dabei bist. Nur darfst du dich nicht durch Versprechungen und Rücksichten zu irgend welchen Konzessionen herbeilassen, sondern mußt zu mir halten.«

Luise versprach es, und als sie des Abends auf Berthes Wunsch, statt wie verabredet, in großer Toilette auf dem Dache des Hotel de Maurice zu soupieren, in einem kleinen Zimmer bei Larne saßen und eben mit 75er Chateau Lafite auf die Zukunft anstießen, fragte Berthe:

»A propos! Wie steht es eigentlich damit?«

»Womit?« fragten Henri und Marcel gleichzeitig und sahen sie an.

»Nun, wir haben doch eben auf unsere Zukunft angestoßen«, sagte Berthe. »Ach so! Du meinst – ich verstehe —« erwiderte Henri verlegen und sah zu Marcel hinüber – »die Zukunft – na, ich meine, wenn wir bis zu unserm Lebensende so vergnügt wie heute beieinander sitzen, dann können wir die Zukunft getrost Zukunft sein lassen.«

»Das meine ich auch«, sagte Marcel und hob das Glas in die Höhe.

»Also prost, Kinder, wir sollen leben, bis hundert Jahre wie heut!«

Aber Berthe winkte ab.

»Wir verzichten auf die Ehre, noch jahrelang eure Mätressen zu spielen, um eines Tages, wenn wir Fett ansetzen, einem jüngeren Jahrgange Platz zu machen.«

»Aber Berthe!« rief Henri entsetzt. »Wo bleibt die Dame; du verfällst ja in deinen Zirkuston.«

Marcel nahm Luise am Arm und wollte aufstehen.

»Komm, Luise,« sagte er, »ein außereheliches Unwetter zieht herauf; wir wollen sehen, trocken nach Haus zu kommen.«

»Eine bequeme Art, sich um die Antwort herumzudrücken«, rief Berthe.

»Ich wüßte nicht, was es zu beantworten gäbe«, erwiderte Marcel.

»So frag’ ihn doch«, wandte sich Berthe an Luise.

Eine Pause entstand. Luise quälte sich zu sprechen, aber sie brachte die Frage nicht über die Lippen, sah ihn nur an mit großen Augen.

»Frag’ ihn!« forderte Berthe energisch.

»Nicht wahr,« hauchte sie nur, »wir werden uns heiraten?«

Und Marcel fand nicht den Mut, nein zu sagen; er nickte nur und sagte leise:

»Gewiß.«

»Wann?« fragte Luise.

Da stand er verlegen, zog die Schultern in die Höhe:

»Sobald es geht.«

»Worauf wartest du?« fragte sie.

Er wußte keine Antwort.

»Sind die Eltern im Wege?«

»Ja«, sagte er.

Luise empfand keine Bitterkeit gegen ihn; sie fand das alles ganz natürlich und quälte ihn – gegen ihr Empfinden – eigentlich nur, weil Berthe es verlangte. Sie schämte sich und wäre am liebsten davongelaufen.

Aber Berthe rief spöttisch:

»Also warten wir, bis sie gestorben sind.«

Marcel sah, daß Luise litt. Er kannte den Grund nicht und dachte, sie sei enttäuscht, weil er zögerte und ihrer Frage auswich. Sie tat ihm leid.

»Wenn es nach mir ginge,« sagte er, »aber ich habe eine alte Mutter.«

Luise nahm seine Hand.

»Laß!« sagte sie weich. »Ich habe dich ja nie darum gebeten.«

Berthe protestierte gegen diesen Verzicht.

»Ich dulde es nicht,« rief sie, »daß du ihr gutes Herz in dieser Weise ausnutzt. Die Art, in der du ihr Tiefe und Gemüt vortäuschst, die du nie besessen hast, ist niederträchtig!« – Und dann erzählte sie, trotz des Widerspruchs Henris, der immer von neuem versuchte, sie zum Schweigen zu bringen, den ganzen Hergang, vom ersten Augenblick an, als der Brief der Frau Geheimrat Walther Luises Ankunft meldete; wie sie damals mit allem Raffinement die Schlingen legten, in denen sich Luise dann ahnungslos verfing.

Luise wurde blaß und hatte nur einen Wunsch: Fort von hier! Aber sie konnte sich nicht rühren; wie Blei lag es ihr in den Gliedern, und sie saß da und starrte vor sich hin und hörte kaum, was gesprochen wurde.

»Luise ist meine Freundin«, rief Berthe erbittert; »kann sie auch keine anständige Frau mehr sein, so soll sie wenigstens eine große Kokotte werden und wissen, wozu sie sich wegwirft. Die Zeit, die sie mit euch vertrödelt, um in ein paar Jahren in den Folies Bergérs oder der Rat mort herumzusitzen, kann sie nutzbringender anwenden.«

»Pfui!« rief Marcel. »Schämst du dich nicht?«

»Quatsch!« antwortete Berthe. »Was nützt mir das Schamgefühl, wenn ich nichts zu essen habe. Wenn ihr von Frauen, von denen ihr wißt, daß sie von der Liebe leben müssen, Sentiments fordert, so sorgt gefälligst zuvor dafür, daß sie sich diesen Luxus auch gestatten können. Solange wir von euren Launen abhängen und nicht wissen, was nach euch wird, solange . . .«

»Wenn es das ist,« unterbrach sie Henri und lächelte seinem Bruder verständnisinnig zu, »kann euch leicht geholfen werden, ihr schlauen Racker!«

Luise brannte es unter den Füßen. Wie ein Stich schnitt ihr jedes Wort, das hier gesprochen wurde, ins Herz. Sie quälte sich ab, Berthe am Weitersprechen zu hindern, ihr ins Wort zu fallen; suchte die Arme zu heben, um ihr die Hand vor den Mund zu halten – vergebens. »Ich nicht! Ich nicht!« wollte sie schreien. »Sie spricht für sich!« Aber sie brachte kein Wort heraus. Als Henri jetzt energisch sagte:

»Also setzen wir uns! Erledigen wir das Geschäftliche; eure Ansprüche bitte!« Da sprang Luise auf und stürzte zur Tür hinaus.

Ehe ihr Marcel folgte, war sie unten, saß in einem Automobil und fuhr nach Haus.

»Laß sie«, log Berthe, die froh war, daß sie nun ungeniert reden konnte, ohne Gefahr zu laufen, ihr Prestige bei Luise zu verlieren. »Es war so vereinbart, daß sie nach Hause fährt, sobald wir anfingen, von unsern Geschäften zu reden; sie versteht nichts davon und weiß, daß ihre Interessen bei mir besser aufgehoben sind als bei ihr.«

»Bitte«, sagte Marcel, der schon in der Tür stand, um sie zurückzuholen, und kehrte um. »Ich will ihre Chancen nicht verschlechtern.«

Sie setzten sich.

»Also!« sagte Henri.

Berthe entwickelte ihr Programm. »Ehe oder Trennung, und« – fuhr sie fort – »da die Ehe ja an dem euch sehr genehmen Widerspruch eurer Eltern scheitert, so kommt wohl nur das letzte in Frage.«

»Nein, wie verständig du bist!« rief Henri.

»Danke«, erwiderte Berthe. »Und, um nicht viel Worte zu machen: weder Luise noch ich haben die Absicht, uns zur Ruhe zu setzen. Ich meine, wenn ihr etwa die Idee hattet, uns einen Teesalon in Enghien oder gar eine Schneiderstube auf dem Montmartre einzurichten, wir verzichten. Wir wollen leben, genau wie ihr.«

»Und weshalb, wenn ich fragen darf,« sagte Henri, »muß diese Trennung schon jetzt und dann vor allem, warum so plötzlich stattfinden?«

»Weil wir vorwärts kommen wollen und keine Zeit mehr zu verlieren haben. – Also, kurz heraus: wir verlangen eine Wohnung in einer der Seitenstraßen des L’Arc de Triomphe und einen Mietvertrag auf zwei Jahre.«

Henri und Marcel sahen sie groß an.

»Und auf eben diese Zeit eine monatliche Apanage von je 5000 Francs.«

»Ihr seid verrückt!« sagte Marcel.

»Möglich,« erwiderte Berthe, »aber das brauchen wir, um standesgemäß auftreten zu können, bis wir im Gange sind.«

»Köstlich!« rief Henri. »Eine Wohnung in einer der Seitenstraßen des L’Arc de Triomphe, so wie ihr sie braucht, kostet im Jahre mindestens 15.000 Francs.«

»So etwa hatten wir es auch taxiert«, erklärte Berthe.

»Das freut mich«, erwiderte Henri und verbeugte sich spöttisch. »In Zahlen ausgedrückt, bedeutet das nicht mehr und nicht weniger als . . .«

»250.000 Francs,« fiel ihm Berthe ins Wort, »damit seid ihr uns los; das heißt, wenn ihr wollt. Denn wir sind beide nicht abgeneigt, euch wöchentlich einmal zum Tee bei uns zu sehen.«

»Es ist wirklich rührend nett von euch«, erwiderte Henri, »und zeugt von großer Pietät, daß ihr bei der Gestaltung eures künftigen Lebens auch an uns gedacht habt. Ich zweifle übrigens nicht, daß ihr mit euren Talenten sehr bald eine Rolle in Paris spielen werdet.«

»Verlaß dich drauf«, erwiderte Berthe. »Denn wenn wir davon nicht überzeugt wären, so würden wir euch nicht aufgeben; denn ein gewisses Risiko ist es immer. – Also, sind unsere Vorschläge akzeptiert?«

»Ist der Entschluß, der uns völlig überraschend kommt, definitiv?« fragte Henri.

»Unwiderruflich!« erklärte Berthe.

»Willst du uns dann vielleicht erklären, wie wir dazu kommen, euch abzufinden, wo wir augenblicklich gar kein Interesse an dieser Trennung haben?«

Berthe sah ihn wie versteinert an.

»Was?« sagte sie. »Du . . . du . . . willst überhaupt nicht? . . .«

»Nicht einen Centime«, erklärte Henri bestimmt und ließ seine Augen nicht von ihr. »Anders wäre es natürlich, wenn es uns eines Tages aus irgendeinem Grunde gepaßt hätte, euch zu verabschieden; dann wäre es selbstverständlich unsere moralische Pflicht gewesen, euch durch eine kleine Rente oder auf irgendeine andere Weise Existenzmöglichkeit zu schaffen.«

Berthe war sprachlos. Sie sah zu Marcel hinüber, der nickte und sagte:

»Ich bin ganz Henris Ansicht.«

»Ihr weigert euch also . . . das ist ja unmöglich! – Das wäre ja so hundsgemein . . . so niederträchtig wäre das . . .«

Henri hielt ihr die Hand vor den Mund:

»Du bist hier nicht in der Zirkusgarderobe,« sagte er, »bei deinem musikalischen Clown.«

»Sehr fein, mir meine Vergangenheit vorzuwerfen«, kreischte Berthe. »Aber soviel steht fest: mein Clown Albert war tausendmal anständiger als du! Als ich dem damals sagte, daß es deinetwegen zwischen uns aus sein müsse, da bot er mir zwei Drittel seiner Gage, wenn ich bei ihm bliebe.«

»Was soll nun werden?« fragte Marcel.

»Sehr einfach«, erwiderte Berthe. »Wir werden bei euch bleiben, uns wie die Kletten an euch hängen, euch überall nach Möglichkeit kompromittieren, bis ihr uns sagt: ›Assez, wir haben genug!‹«

Henri schüttelte überlegen den Kopf.

»Nicht zu machen, teuerste Berthe«, sagte er. »Ihr habt uns den Stuhl vor die Tür gesetzt. Es wäre degoutant, wollten wir auch nur eine Stunde noch gegen euren Willen mit euch zusammen sein. Es ehrt euch, daß ihr so ehrlich wart, uns von euren Absichten zu unterrichten, bevor ihr uns hintergingt. Wir werden uns dafür dankbar zeigen, indem wir euch ein freundliches Andenken bewahren.«

Er reichte ihr mit großer Höflichkeit die Hand.

»Affe!« sagte sie.

»Madame«, erwiderte er und machte eine kurze Verbeugung.

»Ist das dein letztes Wort?« fragte sie wütend.

»Das letzte Wort überlasse ich gern dir«, sagte er höflich. »Ich habe gesagt, was ich zu sagen hatte.«

»Gentleman«, sagte sie in verächtlichem Ton, ging zur Tür, nahm ihre Garderobe und verschwand.

Als Berthe draußen war, ging Henri auf Marcel zu, drückte ihm die Hand, grinste über das ganze Gesicht und sagte:

»Ich gratuliere.«

»Trotzdem tut es mir leid,« erwiderte Marcel, »daß ich Luise nicht wiedersehen soll.«

»Unsinn«, sagte Henri. »Schlag’ sie dir aus dem Kopf. So eine bekommst du alle Tage wieder.«

Dann nahm er Marcel an dem Arm.

»Komm’«, rief er, »den Abend müssen wir feiern!«

»Zu Abbaye de Théléme!« rief er dem Chauffeur zu. – »So billig wären wir die Weiber nie wieder los geworden.«

XXI

Luise stürzte sich in ein Automobil, das vor Larue hielt.

»Ins Bois!« rief sie dem Chauffeur zu.

Am Place de la Concorde ließ sie halten und den Wagen öffnen.

So also sah das neue Leben aus! Das, was man den bürgerlichen Tod nannte, war also doch mehr als eine bloße Redensart. Unter ihrem Verkehr mit dem Kommerzienrat hatte ihre Selbstachtung nicht gelitten. Anders bei Marcel. Sie wußte, daß sie damit einen Schritt tat, der entscheidend für ihr ganzes Leben war. Damals ging auch eine Veränderung in ihr vor, das spürte sie deutlich. Aber diese Veränderung war doch mehr äußerer Natur. Sie hatte das Gefühl, als wären ihre rein äußerlichen Beziehungen zur Welt und zu den Menschen jetzt andere geworden. Sich selbst gegenüber aber blieb sie, was sie war.

Nun aber erkannte sie ihren Irrtum. Erkannte, wo das Verächtliche und Erniedrigende dieser Wandlung lag. Was sie heute abend erlebte, bedeutete für sie in der Tat die Umkehrung aller Werte, an die sie sich bisher geklammert hatte, – den Verlust ihrer Selbstachtung.

Rücksichten hielten sie längst nicht mehr. Aber sie war bisher doch immer froh gewesen in dem Bewußtsein, trotz allem, was vorgefallen war, auch heute noch jeden ihrer Schritte wenigstens vor sich selbst verantworten zu können.

Seit heute abend konnte sie das nicht mehr. Seit heute abend schämte sie sich vor sich selbst. Sie hatte geglaubt, die Wege Berthes gehen zu können, ohne sich selbst aufgeben zu brauchen. Das war der wesentliche Irrtum, über den sie sich nun klar war.

»Mutter muß wissen, wie es um mich steht!« – Sie erschrak, als sie sich bei diesem Gedanken ertappte.

»Mutter,« sagte sie immer wieder vor sich hin, »gute, gute Mutter! – So habe ich mich noch nie gesehnt . . . nach deinen guten Augen, Mutter . . . und nach deinen lieben Worten . . . ich fühle ja, daß du bei mir bist mit deinen Gedanken . . . Mutter, so wie in dieser Stunde habe ich es noch nie gefühlt, wie du dich sorgst um mich . . . dein armes Kind . . . und dich nach ihm bangst . . . Mutter!!« schrie sie ganz laut und rang die Hände, ». . . wo, wo bist du? So komm’ doch und laß mich nicht allein! Hilf doch! Ich gehe ja unter.«

»Mutter!!« kreischte sie in die stille Nacht.

Entsetzt wandte sich der Chauffeur um. Luise stand hoch aufgerichtet im Wagen und stierte mit weitgeöffneten Augen zum Himmel. Es war sternklare Nacht. Er wagte nicht, sie anzureden; erst nach einer Weile fragte er leise:

»Madame, soll ich umkehren?«

»Ja«, sagte sie tonlos und nannte ihre Wohnung.

– — – — – — – — – —

Zwei Briefe lagen auf ihrem Schreibtisch. Sie öffnete, las:

»Süßer Schatz! Ich biete Dir 2000 Francs pro Monat, wenn Du bei mir bleibst. Glaub’ mir, es ist nicht so einfach, in Paris von heut auf morgen Ersatz zu finden! Tausend Küsse!

Marcel.«

Der zweite Brief:

Berlin, den 7. Mai 1912.

»Liebe Luise! An Stelle Deines Bruders, der mit seinem Freunde auf einer Weltreise begriffen ist, habe ich Dir namens der Familie die Mitteilung zu machen, daß am 4. Mai Deine liebe Mutter am Herzschlage gestorben ist. Die Beerdigung hat gestern in aller Stille stattgefunden. Da sie kein Vermögen hinterlassen hat, so erübrigt sich eine weitere Korrespondenz.

Prof. Dr. Mallinger, Stadtrat.«

XXII

Am nächsten Vormittag stand Berthe in Besuchstoilette, mit Hut und Handschuhen vor dem Bett Luises, die gleichgültig und teilnahmslos zu allem nickte, was Berthe sagte.

»Ich darf also alles tun, was ich für richtig halte?« fragte sie.

»Was du willst«, erwiderte Luise; »in mir ist alles tot. Ich habe nur ein Gefühl: Leere.«

»Du bist schwach; in ein paar Tagen habe ich dich wieder hoch«, versicherte Berthe.

Aber Luise schüttelte den Kopf.

»Nie mehr!« sagte sie. »Jetzt bin ich reif.«

»Was soll das heißen?«

»Daß der letzte Widerstand gebrochen ist, . . . nun mag kommen, was will; ich wehre mich nicht mehr. Mir ist alles gleich . . . alles.«

»Du bist krank«, sagte Berthe und nahm ihre Hand. »Ich muß nun fort! In einer Stunde bin ich zurück.« Dann ging sie.

Luise richtete sich auf; sah sich im Zimmer um; griff nach dem Brief Marcels und des Onkels, die sie vom Bett aus erreichen konnte; las beide noch einmal; stierte vor sich hin, schüttelte den Kopf.

»Ich fühle nichts mehr! – Alles leer in mir. – Nun will ich alles vergessen. Als wenn nie etwas gewesen wäre. Jetzt will ich ganz das sein, wozu ihr mich gemacht habt!«

Sie stand auf, rief die Zofe.

»Selma!«

Die Zofe kam.

»Ich will ins Bois.«

»Aber Madame,« sagte Selma entsetzt, »das geht doch unmöglich.«

»Warum sollte das nicht gehen?« fragte Luise.

»Aber Madame sehen ja aus wie der Tod.«

»So! Tue ich das? – Aber das täuscht! Heute gerade will ich mein neues Leben beginnen – so frisch fühle ich mich . . .« Dabei wankte sie und stützte sich auf die Bettlehne. ». . . Verstehen Sie, Selma, heute fangen wir an! Sie müssen Ihrem Schatz kündigen.«

»Aber Madame«, sagte Selma entsetzt.

»Sie dürfen sich nicht mehr an einen einzigen klammern! Das ist zu rechtschaffen! Das sieht die Welt nicht gern – Sie müssen ganze Arbeit tun. Eine rechtschaffene Dirne hat zehn an jedem Finger!«

»Madame! Madame!« schrie Selma. »Sie reden im Fieber.«

»Nun, ich werde es Ihnen vormachen —,« Selma half ihr in die Strümpfe.

»Sehen Sie, Sie müssen auch seidene Strümpfe tragen, und Ihre Füße müssen pedikürt sein und nach Coty l’Effleurt duften; denn auch das Geschäft einer Kokotte will erlernt sein. Oder aber, Sie schicken Ihren Schatz zum Henker und werden fromm; dann aber gehen Sie in ein Kloster . . .«

»Wollen sich Madame nicht lieber hinlegen? – Ich werde den Arzt holen«, bat Selma ängstlich.

»Ich bin so frisch wie ein Fisch im Wasser.«

»Soll ich vielleicht Herrn Marcel telephonieren?«

»Marcel? Marcel? – Ah so! – Nein, nein! Er bietet mir 2000 Francs monatlich. Meine Freundin Berthe meint aber, ich könnte mit meinen Talenten 15.000 im Monat verdienen. Ich werde ihm also schreiben, daß ich seinen Vorschlag akzeptiere, seit gestern aber im Preise so gestiegen bin, daß ich für dies Honorar ihm höchstens einen Nachmittag in der Woche opfern kann. Glauben Sie, daß er annimmt? Ich bin überzeugt – so, wie man sich selbst einschätzt, sagt Berthe, so schätzen einen auch die andern ein. – Ah, ich habe sehr viel Talent für eine große Kokotte – — ich rate Ihnen, bleiben Sie bei mir; Sie werden viel bei mir lernen und gute Geschäfte machen.«

Selma war hilflos. An sich fand sie alles, was Madame Luise sagte, verständig und klug; wenn Berthe de Cyliane so gesprochen hätte, sie wäre keinen Augenblick erstaunt gewesen. Nur zu Luises Art paßte es nicht. Sie war so anders als Berthe und als die andern Frauen ihres Kreises, die sie kannte. Und so konnte sich ein Mensch doch unmöglich von einem Tage zum andern verändern.

»Sagen Sie, haben Sie so etwas wie ein Gewissen?« fragte Luise.

»Aber gewiß! Selbstverständlich!« versicherte Selma.

»Das müssen Sie loszuwerden suchen. Das ist die Hauptsache. Damit lassen sich keine Geschäfte machen. Sehen Sie, mein Gewissen ist tot. Es darf nichts unecht an einer Kokotte sein. Sie muß sich völlig klar sein über sich selbst damit sie niemals mit sich in Konflikt gerät. Das verstimmt, kostet Zeit, und Zeit ist für unsereins Geld. Verstehen Sie das? – So, und nun telephonieren Sie für einen Wagen nach Longchamps.«

Sie war mit ihrer Toilette fertig.

»Aber erst bringen Sie mir die Orchideen, die vorn im Salon stehen.«

»Madame können doch unmöglich mit ganz nüchternem Magen – und dann mit dem Fieber —«

»Sie dürfen mir nie zur Vernunft oder gar ins Gewissen reden, wenn Sie bei mir bleiben wollen«, sagte Luise. »In dem Augenblick, wo ich nachgebe und weich werde, bin ich verloren! Also, wenn Sie mir wohlwollen, dann wissen Sie nun, wie Sie sich zu verhalten haben.«

Luise streifte sich einen Handschuh hoch und ging zur Tür.

»Aber wenigstens eine Tasse Schokolade sollten Madame doch nehmen, bevor Sie . . .«

»Nein, aber einen Kognak, wenn er bei der Hand ist.«

»Gewiß! Gewiß!« Und Selma stürzte und holte vom Eis Meukow aus dem Jahre 1811. Luise goß hastig ein Glas herunter. – Ein zweites – ein drittes. Dann winkte sie mit der Hand und ging.

Selma sah ihr entsetzt nach.

»In die ist der Teufel gefahren«, sagte sie und schlug ein Kreuz.

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Дата выхода на Литрес:
30 ноября 2019
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