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Читать книгу: «Lu die Kokotte», страница 10

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XXIII

Laqueurs saßen beim Lunch. Der Diener überreichte auf einem silbernen Tablett eine Karte.

»Berthe de Cyliane«, las Herr Laqueur, und darunter stand: »In Angelegenheit Ihres Sohnes Marcel.«

»Sonderbar«, sagte Laqueur zu seiner Frau. »Wo sie dich doch kennt! Gewiß will sie dich sprechen.«

»Nein!« sagte der Diener. »Madame bat ausdrücklich um eine Rücksprache mit dem gnädigen Herrn.«

»Ich lasse bitten.«

Er stand auf und ging in den Salon, in dem Berthe de Cyliane ihn erwartete.

Er verbeugte sich, stellte sich vor, bot ihr einen Sessel an.

»Mein Besuch ist kühn, sein Grund ungewöhnlich. Ganz kurz . . .« Und sie erzählte wahrheitsgemäß alle Hergänge bis zum gestrigen Abend.

Laqueur hörte aufmerksam zu.

»Und was soll ich dazu tun?« fragte er. »Meine Söhne sind erwachsene Menschen. Es schickt sich nicht, daß ich mich um ihre Aventuren kümmere.«

»Hier gilt es einen Skandal, wenn nichts Schlimmeres zu vermeiden«, erwiderte Berthe. »Bei dem Temperament Ihrer Nichte . . .«

»Ich sagte schon einmal,« verbesserte Laqueur, »die Dame ist nicht meine Nichte – ich kenne sie nur aus Briefen meiner Schwester, die in Berlin lebt, und die wohl entfernt mit ihr verwandt ist.«

»Nun, jedenfalls ist sie nicht die erste beste«, erwiderte Berthe.

»Sie meinen also, wenn ich Sie recht verstehe, daß sich durch eine Summe Geldes – sagen wir mal . . .«

Er machte absichtlich eine Pause.

»Hunderttausend Francs«, schnappte Berthe sofort ein.

»Gut . . . also, daß sich durch hunderttausend Francs ein Skandal vermeiden ließe?«

»Wir haben uns ausgezeichnet verstanden«, sagte Berthe und glaubte, den Scheck schon in der Tasche zu haben. »Denn, wenn ich ganz aufrichtig sein darf, die richtige Frau für Ihren Sohn wäre sie doch nicht.«

»Und Sie glauben, falls man ihr diese Summe nicht gibt oder ihr eine geringere anbietet, daß dann . . .« Er hielt abermals inne, und wieder ergänzte Berthe seine Rede und sagte:

»Ein unabsehbarer Skandal zu erwarten wäre.«

»Ich verstehe,« sagte Laqueur, »das arme Mädchen besitzt demnach gar keine Mittel.«

»Nicht einen Pfennig«, versicherte Berthe. »Sie ist mit 3000 Francs nach Paris gekommen, aber was ist das? Nicht wahr, Sie wissen so gut wie ich, wie lange eine Frau mit unseren Gewohnheiten damit reicht. Das Geld ist allein für Coiffüren und Parfümerien draufgegangen.«

»Hm«, sagte Laqueur und nahm einen Bogen aus seinem Schreibtisch. »Wenn Sie mir das alles eidesstattlich hier versichern wollten, die Mittellosigkeit und daß die Dame auf das Geld ihrer Liebhaber angewiesen ist, und daß« – er schrieb das alles nieder, während er sprach, – »der beabsichtigte große Skandal unterbleibt, falls —« Und um Berthe in Sicherheit zu wiegen, legte er den Federhalter beiseite und sagte mit feierlicher Miene: »Sollte sich die Angelegenheit nicht auch mit 75.000 Francs erledigen lassen?«

»Das ist ausgeschlossen«, erklärte Berthe mit aller Bestimmtheit. »Ich müßte dann jede Verantwortung ablehnen.«

Laqueur griff wieder zur Feder.

»Ich werde es ihm von seiner Erbschaft abziehen«, sagte er und schrieb weiter. – »So, und nun, mein Fräulein, Ihre Unterschrift. Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie zu mir kamen; ich fürchte nichts so sehr wie den Skandal.«

»Ich dachte es mir«, sagte Berthe und setzte ihren Namen unter das Schriftstück.

»Das Geld lasse ich durch meine Bank überweisen. Sie haben doch ein Konto?«

Sie sah ihn groß an.

»Also nicht. Nun, dann wird es Ihnen ins Haus geschickt. Die Adresse steht ja wohl auf dem Schriftstück.« Er suchte. »Richtig – Rue de Richelieu; aber wir sind uns einig: sollte es trotz Ihrer Zusicherung zu einem Skandal kommen, so . . .«

»Zahle ich Ihnen das Geld zurück«, fiel ihm Berthe ins Wort.

Er verbeugte sich, und sie ging.

Als sie draußen war, war das erste, was sie dachte: Hätte ich 150.000 Francs gefordert, ich hätte sie auch bekommen. Aber dieser Besuch brauchte ja nicht der letzte zu sein, den sie Herrn Laqueur machte. Noch war ja nur Luises Rechnung beglichen. 100.000 Francs für kaum drei Monate. Auf dieser Basis wollte sie ihre Ansprüche gegen Henri, dem sie mit wenigen Ausnahmen zwei Jahre lang Treue gehalten hatte, geltend machen.

Herr Laqueur kniff den Bogen fein säuberlich zusammen, bestellte sein Automobil, nahm Hut und Handschuhe und fuhr zum Polizeipräfekten.

Dem trug er den Fall vor und gab die eidesstattliche Versicherung der Berthe de Cyliane zu den Akten. Der Präfekt ließ die Personalien feststellen, füllte ein Formular aus und verfügte, daß die stellungslose, unverehelichte Luise Kersten aus Berlin als lästige Ausländerin auszuweisen sei und innerhalb 24 Stunden Paris zu verlassen habe.

Und da ihm Herr Laqueur als ein Mann mit großen Beziehungen bekannt war, so sorgte er dafür, daß die Zustellung noch am selben Tage erfolgte.

XXIV

Luise war nach Longchamps gefahren. Sie hatte sich einen Logenplatz genommen, auf den sie nach dem ersten Rennen nicht mehr zurückkehrte. Sie hielt es kaum fünf Minuten auf ein und derselben Stelle aus, lief unruhig hin und her und hatte den Wunsch, sich zu betäuben; sie sehnte sich nach einem Sumpf, in dessen Schmutz sie versänke, so tief, daß nichts mehr sie emporziehen könnte.

Zweimal sprach man sie an. Man lud sie nach Arménonville nach den Rennen. Sie sagte zu und speiste und trank mit einem alten Herrn, der ihr eine 500-Francs-Note unter den Teller schob und dafür nichts weiter verlangte, als ihre weißen und gepflegten Füße zu küssen. Um sieben Uhr hatte sie ein Rendezvous im Pavillon de Madrid mit einem Russen, einem animalischen Kerl, der den Kaviar mit Löffeln aß und den Champagner aus Wassergläsern trank, der Luise, wie ein wildes Tier seine Beute, ins Auto und vom Auto in sein Zimmer trug, und der die halbe Nacht hindurch seine Leidenschaft an ihr austobte.

Als sie gegen Morgen nach Haus kam, saß Berthe heulend und übernächtig in ihrem Zimmer.

»Gott sei Dank, daß du da bist«, rief sie ihr entgegen und umarmte sie.

Luise griff in die Tasche und warf einen Stoß von Banknoten auf den Tisch.

»Da,« sagte sie, »mein Debut! Bist du zufrieden? Ich bin empfindungslos; es hat mich keine Überwindung gekostet.«

»Du bist von Sinnen«, rief Berthe. »Du verplemperst dich und verdirbst dein ganzes Renommee!«

Luise lächelte.

»Das ist kein Witz«, sagte Berthe. »Das Leben einer großen Kokotte muß vor allem Stil haben, und sie muß mehr auf ihren guten Ruf halten, als eine Frau der Gesellschaft. Der Reiz einer Kokotte liegt darin, daß es Mühe macht, sie zu erobern; der Reiz einer verheirateten Frau liegt in ihrem Ruf, daß sie sich gern erobern läßt. Ich kenne eine Kokotte, die dadurch groß geworden ist, daß sie allen Werbungen Rothschilds gegenüber standhaft blieb. Sämtliche Millionäre der Pariser Börse haben sich um die Frau gerissen; jeder wollte wenigstens einmal im Leben das Gefühl kennenlernen, vor Rothschild etwas voraus zu haben. Sie besitzt heute Millionen und hat sich längst aufs Land zurückgezogen.«

Luise ging zum Schreibtisch und sah nach ihrer Post.

»Da ist eine Zustellung,« sagte Berthe, »ich habe für dich unterschrieben.«

Luise öffnete und las. Berthe sah, wie sie erschrak.

»Was ist?« fragte sie ängstlich.

»Eine Lappalie«, erwiderte Luise. »Ich muß in 24 Stunden Paris verlassen, falls ich nicht vorziehe, zwangsweise an die Grenze befördert zu werden – das ist alles.«

»Wa—a—s?« schrie Berthe. »Auch das!«

»Im ersten Augenblick bekam ich einen Schreck«, sagte Luise. »Aber schließlich, was ist dabei? Ist es nicht ganz gleich, wo ich lebe? Männer gibt es überall; ich werde nach Wien gehen oder nach London oder noch besser nach Berlin; da kann man mich doch nicht ausweisen.«

Berthe tobte; riß ihr den Bogen aus der Hand.

»Lästige Ausländerin!« las sie laut. »Das hat alles der saubere Herr Laqueur in Szene gesetzt. Aber warte nur, Bürschchen, du sollst mich kennenlernen. Krümmt man mir auch nur einen Fingernagel, dann setzt es einen Skandal, von dem sich dieser Herr Laqueur sobald nicht wieder erholen soll. Dann wird es sich vielleicht deutlicher zeigen, als ihm lieb ist, wer von uns beiden mehr zu verlieren hat . . . Erpressung! Es ist ja lächerlich! Als ob Henri nicht ganz genau wußte, von der ersten Stunde an, weshalb ich mit ihm zusammen bin.«

»Was ist denn geschehen?« fragte Luise, die erst jetzt die große Veränderung sah, die mit Berthe vorgegangen war. Sie war verweint und sah verstört aus. In ihrer Hand hielt sie einen Lettre pneumatique, den sie auseinanderknitterte und Luise zu lesen gab:

»Liebe Berthe! Du hast mit Deinem heutigen Besuche bei unserem Vater eine große Dummheit begangen. Er will gegen Dich wegen versuchter Erpressung Anzeige erstatten. Angesichts Deines plumpen Vorgehens zweifle ich nicht, daß man seiner Klage stattgeben wird. Aus einem letzten Rest von Sympathie warne ich Dich und lege Dir einen Scheck über 2000 Francs bei. Du wirst selbst wissen, was Du unter diesen Umständen zu tun hast. Mit bestem Gruß

Henri.«

»Was bedeutet das alles?« fragte Luise, und Berthe erzählte ihr von ihrem Besuch beim alten Laqueur, von seinem Entgegenkommen und seiner Bereitwilligkeit, die geforderte Summe zu zahlen. Und als sie auf das Schriftstück zu sprechen kam, das sie unterschrieben hatte, geriet sie in große Erregung und rief zornig:

»Bauernfängerei! Aber er soll mich kennenlernen!«

»Warum willst du dich in Gefahr begeben,« warnte Luise, »statt ihr aus dem Wege zu gehen?«

»Ich halte das Ganze für einen Bluff. So bequem aber mache ich es ihm nicht«, wütete Berthe.

»Hiernach aber . . .« und sie wies auf ihre Urkunde, ». . . scheint mir, daß dieser Laqueur keine halbe Arbeit tut.«

Berthe sann nach.

»Vielleicht hast du nicht ganz unrecht,« sagte sie, »und dann, es wäre gewissenlos, dich jetzt allein zu lassen.« Sie stützte den Kopf in die Hände und überlegte.

»Ich reise mit dir«, erklärte sie bestimmt. »Wir gehen nach Berlin, legen uns andere Namen zu . . . in zwei, drei Monaten kräht kein Hahn mehr nach der ganzen Geschichte. Es sind schon andere als wir nach Paris zurückgekehrt und leben hier, ohne daß man sie behelligt.«

»Ich bin so schwach, daß ich mich nicht mehr aufrecht halten kann«, klagte Luise.

»Du kannst morgen in der Bahn schlafen, soviel du willst«, erwiderte Berthe, die am Schreibtisch saß und telephonierte; »jetzt muß gehandelt werden; jede Minute ist kostbar.«

»Ist Herr Prasch da?« rief sie durch den Apparat.

– — – — – — – — – —

»So, wann kommt er denn?«

– — – — – — – — —

»Himmel, es ist ja erst halb sieben. Gut, so sagen Sie ihm, er muß noch heute vormittag – coute que coute – meine sämtlichen Möbel abholen und auf den Speicher bringen lassen. Ich reise abends, und bis dahin muß das letzte Stück aus dem Hause sein.« —

Dann schrieb sie einen Pneumatique an Henri:

»Lieber Henri! Ich erhielt Deine Warnung. Da meine Nerven diesem ungleichen Kampfe nicht gewachsen sind, so strecke ich die Waffen und verlasse noch heute Paris. Ich reise nach Boulogne, von wo aus ich mit dem nächsten Schiffe nach Buenos-Aires fahre, wo sich hoffentlich der junge Gutsmann – Blanco meiner annimmt. Das alles tue ich Dir zuliebe – kann es aber nur dann, wenn Du mir umgehend noch 3000 Francs für den Hauswirt und die Reise sendest. Luise geht mit mir und erwartet von Marcel ein Gleiches. Das soll nicht etwa eine Erpressung sein; vielmehr geschieht es nur, um Euren und Eures Vaters Wunsch zur Ausführung zu bringen. Denn mit unserer Übersiedlung nach Neuilly dürfte Euch kaum gedient sein; weiter aber kämen wir mit unseren augenblicklichen Mitteln nicht. Lebe wohl! Ich gehe ohne Groll von Dir! Aber vergiß ja nicht, das Geld zu schicken.«

Luise war, als ihr Berthe diesen Brief vorlas, längst  auf die Chaiselongue gesunken und eingeschlafen; sie schlief so fest, daß sie von all dem Lärm, den das Kommen und Gehen der Leute verursachte, von dem Zusammenräumen der Möbel und dem Packen der Sachen nichts hörte.

Erst zwei Stunden vor Abgang des Zuges weckte sie die Zofe, brachte ihr eine Tasse Schokolade und sagte, daß sie der Reise wegen nun aufstehen müsse; auch warteten die Leute auf die Möbel; die ganze Wohnung, bis auf ihr Zimmer, sei schon ausgeräumt.

Luise wußte gar nicht, was vorging.

»Möbel – — Reise – —« wiederholte sie im Halbschlaf. »Wer will reisen? Und wohin?« fragte sie. Selma erzählte ihr alles noch einmal; sie wußte Bescheid, denn Berthe hatte die Gewohnheit, nichts für sich zu behalten.

Allmählich kamen auch Luise die Vorgänge wieder ins Bewußtsein; und bald erinnerte sie sich wieder an alles. Anfangs war ihr, als wenn sie das alles nur geträumt hätte; sie dachte zurück; sie suchte die Zusammenhänge; aber sie fühlte bald: sie fand sich nicht mehr zurecht . . . je mehr sie überlegte, um so mehr verwirrten sich ihr die Begriffe – — Nein! Nein! Sie durfte nicht denken – sie mußte sich treiben lassen.

Sie stand noch im Unterrock, als Berthe reisefertig in ihr Zimmer trat, sie umarmte und küßte und ihr freudig erzählte:

»Es ging alles am Schnürchen: ich habe den Wirt erledigt, die Eisenbahnbillette in der Tasche, den Spediteur bezahlt, tausend kleine Dinge gekauft; und hier ist der Rest.« Sie legte das Geld auf den Tisch und zählte: »1000 Francs, 2000, 2500, 3000, 3500, 4000, beinahe 4500 Francs haben wir übrig; das ist mehr als genug; Selma nehmen wir natürlich mit; du brauchst nur ein- und auszusteigen und dich um nichts zu kümmern; ich erledige alles; nur eins mußt du wissen: du heißt von heute ab Lu Courcelles . . . hier . . . du siehst, ich habe trotz der Kürze der Zeit an alles gedacht —« und sie gab ihr ein Schächtelchen mit Visitenkarten.

»Wie kommst du denn auf den ausgefallenen Namen?« fragte Luise.

»Sehr einfach«, erwiderte Berthe; »die Karten hatten sie bei Talbot vorrätig. Irgend jemand hatte sie bestellt und dann vergessen abzuholen; er zeigte sie mir als Vorlage . . . und da du Luise heißt, so kam mir der Gedanke . . .«

Luise lächelte. »Lu Courcelles«, wiederholte sie, »mir ist es recht – sogar ganz lieb, daß ich nicht unter meinem Namen reise – nur brauche ich Zeit, mich daran zu gewöhnen.«

»Unsinn,« rief Berthe, »von Zeit ist gar keine Rede. In anderthalb Stunden geht unser Zug. Schnell, mach’ dich fertig; ich habe für sechs Uhr bei Voisin ein kleines Souper bestellt; so ganz ohne Feierlichkeit will ich denn doch nicht aus Paris hinaus. – Einen Augenblick —« sie trat an den Schreibtisch, nahm den Hörer vom Telephon, ließ sich mit der Telegrammaufnahme verbinden und gab auf: »Hotel Esplanade, Berlin. Reserviert morgen abend zwei Zimmer, je ein Bett, Salon, Bad, Zofengelaß. Liane de Villiers.«

»So,« – sie hing den Hörer an – »die Gebühren kann die Pariser Post in Berlin einziehen.«

»Also Liane de Villiers«, wiederholte Luise, die sich mit Selmas Hilfe inzwischen fertig angezogen hatte.

»Ich bin so frei«, erwiderte Berthe; »wenn du willst, kannst du dich auch de Courcelles nennen; aber wenn wir uns beide so nennen, dann glaubt man’s keiner.«

»Aber nein,« erwiderte Luise, »ich lege nicht den geringsten Wert darauf.«

»Ich war auch beim Direktor Guerlain vom Theater Boulevard Montmartre,« – sie kramte in ihrer Tasche – »da, ein Vertrag für dich für den Monat Mai – natürlich nur als Ausweis für die Berliner Polizei, daß du Künstlerin bist – 200 Francs Konventionalstrafe habe ich dafür zahlen müssen.«

»Für was?« fragte Luise.

»Glaubst du, Guerlain macht es aus Gefälligkeit, weil ich ihm seinerzeit mit Henri davongelaufen bin? Hier —« und sie zeigte ihr den §6 des Vertrages —

Lu Courcelles hinterlegt 200 Francs, die verfallen, falls sie am 1. Mai ihr Engagement nicht antritt.«

Ich habe denselben Vertrag. – — Und nun komm! – Selma, Sie wissen Bescheid, 20 Minuten vor Abgang des Zuges.«

»Jawohl, Madame.«

Berthe nahm Luise unter den Arm und ging.

XXV

»Zur Besinnung kommt man bei dir überhaupt nicht«, sagte Luise, als sie in den Wagen stiegen. »Von dem Tage an, an dem ich in Paris ankam, bis zu meiner Abreise habe ich faktisch nicht eine Stunde gehabt, von der ich hätte sagen können, daß sie mir gehörte.«

»An das Tempo, liebe Lu, wirst du dich jetzt gewöhnen müssen. Die nächsten Wochen entscheiden über deine Zukunft. Läßt man dir jetzt Zeit, viel nachzudenken, so läufst du Gefahr, melancholisch zu werden, – na, und eine Kokotte mit melancholischem Einschlag ist wie eine Vergnügungsreise bei schlechtem Wetter.«

»Es gibt nichts mehr, was mich verstimmen könnte«, erwiderte Lu; »da es nichts mehr gibt, was mich irgendwie innerlich angeht.«

»Um so besser«, sagte Berthe; »um so größeres Interesse wirst du von nun an auf dein Äußeres verwenden. Auf deine Kleidung vor allem, die du bisher viel zu nebensächlich behandelt hast.«

Lu nickte. »Das mag stimmen«, sagte sie. »Ich weiß kaum, was in meinen Schränken hängt. Dabei habe ich in den vier Wochen hier doch eigentlich nichts anderes getan, als gegessen, getrunken, anprobiert und Einkäufe gemacht.«

»Eine Frau muß in ihrer Garderobe Bescheid wissen wie ein Pfarrer in der Bibel«, erwiderte Berthe; »ich kenne jedes Stück von dir« – und sie begann aufzuzählen, was Lu in ihren Koffern hatte.

»Vier Schneiderkleider; zwei von Redfern, eins von Worth, eins von Drécoll; dazu 24 Blusen, fünf Teagowns, fünf Matinees, drei Peignoirs. Einen Zobelmantel, einen Blaufuchs, den ein Bote auf meinen telephonischen Anruf hin erst vor einer Stunde mit der quittierten Rechnung gebracht hat. Den Mantel habe ich dabehalten, die Rechnung an Marcel gesandt; zwei Abendmäntel – nein, drei!« – sie dachte nach – »den schwerseidenen von Leferre habe ich doch nicht etwa vergessen? – Nein, richtig, er ging bei dir nicht mehr hinein – er liegt in Selmas Koffer; denk’ daran, wenn wir auspacken; – einen Automantel, einen Reisemantel, einen langen Visitenmantel, die vier Abendroben von Paquin, zwei einfache Theaterkleider; ein seidenes, zwei Samtkostüme, Atlasfurreaus, eins, zwei, drei Federhüte, zwei Toques, den Karton mit Coiffüren, Pelzcharpes, vier Muffen, den Stiefelkoffer, die große Tasche mit Fächern, Schleiern, Gürteln, Spitzen, Handschuhen, – ein Dutzend langer Schweden habe ich dir heute noch besorgt —, Colchis; dann habe ich bei Coty drei Flakons von deiner Mischung Cyclamen, Ambre antique mit ein paar Tropfen Houbigeant »Inconnu«, die die Kleinigkeit von 275 Francs gekostet haben, herstellen lassen. Dein Koffer mit Dessous ist eine Sehenswürdigkeit für sich; die Zollbeamten werden dich für eine Reisende in Spitzen halten. Ich habe vorsichtshalber ein paar Tropfen Thisbé hineingespritzt, damit die Sachen etwas Persönliches haben.«

Lu bezweifelte, daß die preußischen Zollbeamten für derartige Ausdrucksformen des Persönlichen das nötige Verständnis hätten.

»Dann werde ich es diesen Barbaren beibringen, und wenn wir zwei Stunden an der Grenze liegen!« wetterte Liane, die in Toilettenfragen keinen Spaß verstand.

Und als beide eine Stunde später den Train de luxe bestiegen, da sprach Liane noch immer von Lus Toiletten und allem, was dazu gehörte.

»24 Paar seidene Strümpfe,  darunter . . .«

In diesem Augenblick setzte sich der Zug in Bewegung; Liane fiel Lu um den Hals und küßte sie.

»Es war das einzige Mittel, um in der Stunde des Abschieds von Paris nicht melancholisch zu werden«, sagte Liane; »jetzt ist es überstanden, und wir können wieder von was anderem reden.«

XXVI

Lu lag die ganze Nacht im Halbschlummer; bei jedem Geräusch, das auf dem Gange hörbar wurde, fuhr sie auf. Die Brust war ihr wie zusammengeschnürt; das Herz klopfte; das Blut stieg ihr zu Kopf; die Muskeln zuckten; Angstgefühle quälten sie.

Als Liane sie gegen Mittag weckte, lag sie blaß und in Schweiß gebadet, klagte über einen starken Druck im Kopf, über Müdigkeit in Armen und Beinen. Die Wirbelsäule schmerzte sie, und in den Füßen hatte sie das Gefühl, als liefen Haufen von Ameisen darin umher.

Sie hatte keine Lust, sich zu erheben, war gegen ihre Gewohnheit sogar gereizt, als Liane sie mit liebenswürdigen Scherzen zu ermuntern suchte.

»Überreizt, meine kleine Freundin«, sagte Liane. »Oh, ich kenne das! Aber das bringen wir bald weg; so etwas darf man nicht aufkommen lassen. Dagegen gibt’s nur ein Mittel: Zerstreuung; müde Beine macht man durch Tanzen unempfindlich; einen Katzenjammer durch Alkohol.«

Aber Lu wies alles zurück.

»Laß mich allein,« bat sie bestimmt, »ich vertrage dich jetzt nicht.«

»Oh, oh,« rief Liane gekränkt, »bitte, bitte. Ich werde dir Selma schicken; in dreiviertel Stunden sind wir in Berlin.«

Als sie im Hotel waren, fühlte sich Lu so matt, daß Liane und die Zofe sie aus den Kleidern nahmen und ins Bett trugen. Damit sie Ruhe hatte, und um selbst nicht durch Rücksichten beengt zu sein, nahm Liane noch ein Zimmer hinzu, das auf der anderen Seite des Flurs lag.

Dem Hotelarzt erzählte Liane von einer in die Brüche gegangenen Verlobung, von argen Enttäuschungen, unter denen Lu litt, von dem Trubel der plötzlichen Reise, von ihrer Lustlosigkeit und ihrem Lebensüberdruß. Das sei auch der Grund ihres Berliner Aufenthaltes; denn der Pariser Arzt habe Luftveränderung angeordnet, Zerstreuung und andere Menschen.

Der Arzt fühlte Lus Puls, beklopfte ihr Herz, fragte nach Appetit und Verdauung und verordnete Chinin, Luft und Zerstreuung.

»Nicht wahr,« sagte Liane freudig, »sie muß unter Menschen?«

»Natürlich,« bestätigte der Arzt, »und zwar in heitere Gesellschaft, um auf andere und bessere Gedanken zu kommen.«

»So laßt mich wenigstens jetzt allein«, bat Lu; und da sie nur einen Wunsch hatte: niemand zu sehen und nicht zu denken, so klagte sie über Schlaflosigkeit und erhielt Veronal. Nach einer Stunde lag sie in festem Schlummer; sie träumte; zum ersten Male war sie wieder daheim, sah Vater und Mutter – und war glücklich. – —

»Zerstreuung,« sagte Liane zum Arzte, als sie aus Lus Zimmer kamen, »das ist sehr lieb und nett von Ihnen; aber wie soll ich es anfangen, ich spreche wenig deutsch und kenne Berlin kaum.«

»Oh,« erwiderte der, »Berlin ist eine sehr vergnügte Stadt. Alle Pariser, die hierher kommen, versichern, daß es als Vergnügungsstätte Paris längst überholt hat. Ich kenne es zu wenig und weiß nicht, ob es sich schickt, daß Damen ohne Herren diese Orte aufsuchen. Aber ich weiß, daß es im Palais de Danse, bei Mascotte, bei Riche, bei Maxime, in der Moulin rouge, im Sanssouci, in der Chat noir, im á la  Bredy, in der Bar Bohéme, im Monbijou sehr lustig hergehen soll.«

»Aber mein Bester,« erwiderte Liane, »ich spreche ja nicht von unserm Paris; oh, ich weiß wohl, wie man sich bei uns amüsiert; aber hier in Berlin kenne ich mich nicht aus.«

Aber der Arzt versicherte, daß alles, was er genannt hätte, Berliner Vergnügungsstätten seien, worauf Liane erwiderte:

»Oh, sehr scharmant, Herr Doktor, daß Sie mir das alles in meine Muttersprache übersetzen, aber ich möchte doch lieber die deutschen Bezeichnungen kennen.«

»Das sind die deutschen Bezeichnungen, – jedenfalls, es gibt keine anderen«, erwiderte der Arzt. Liane lächelte und sagte:

»Ist die deutsche Sprache so arm? – Aber Sie sagten, ohne Herren könne eine Dame nicht gut dahingehen. Was tut man da? Wo findet man Herren, die einen begleiten?«

»Ah so! Ja, aber natürlich . . . das freilich weiß ich nicht! – — Dazu kenne ich den Geschmack der gnädigen Frau zu wenig. Aber —« und er verwies sie auf die Fife-o’clock-teas in den großen Hotels.

Dann verabschiedete er sich und erzählte dem Hotelmanager im Vestibul, daß er der Pariserin von Nr. 89 Zerstreuung verordnet habe, daß es den Damen aber an dem nötigen Anschluß fehle. Der nickte verständnisvoll, verschwand in der Telephonzelle, und schon nach einer Stunde empfing Madame Liane de Villiers einen Strauß Orchideen und einen Brief. Der Diener, der beides brachte, wartete auf Antwort.

»An Liane de Villiers!
Verehrteste!

Ich bin sehr glücklich, von meinen Pariser Freunden zu hören, daß Sie hier sind.

Eine Pariser Frau von Welt in unserm gräßlich eintönigen Berlin zu wissen, ist immer ein beruhigendes Gefühl.

Oh, diese Berliner Nächte! Gewiß: des Nachts sind alle Katzen gleich grau; aber auch alle Frauen der Berliner Nächte sind gleich gräulich. Endlich! Endlich wieder einmal eine Pariserin! Ich bin neugierig, ob Sie mich noch kennen. Lange ist es her, daß wir mit Freunden bei Paillard saßen.

Darf ich Sie um 6 Uhr zum Tee im Sanssouci erwarten? An Ihren Orchideen will ich Sie erkennen.

Empfangen Sie, gnädige Frau, die Versicherung aufrichtiger Gefühle von

Ihrem Georg Held.«

»Keine Ahnung«, sagte Liane, als sie den Brief las, zu Selma. »Ich entsinne mich genau jedes einzelnen, den ich seinerzeit im Hause des Geheimrats Walther kennen lernte.«

»Und außerhalb des Hauses?« fragte Selma schelmisch.

»Ich bitte sehr! Außer mit dem Grafen Schönborn und dem jungen Bentheim habe ich den Geheimrat« – sie erschrak und verbesserte sich schnell – »was rede ich da für einen Unsinn – ich meine natürlich Herrn Laqueur – nie betrogen.«

»Aber selbstverständlich!« bestätigte Selma.

»Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, Selma . . .«

»Aber ich bitte,« wehrte diese, »das ist doch gar nicht nötig; ich glaube es ja auch so.«

»Doch! Doch! Sie sollen nicht schlecht von mir denken. Graf Schönborn und der junge Bentheim waren die einzigen, mit denen ich damals ein paarmal zusammengekommen bin – aber —« sie las noch einmal, »Georg Held – nie habe ich auch nur den Namen gehört. Schiffbauerdamm? Was ist das überhaupt für eine ausgefallene Gegend. Ein anständiger Berliner hat im Tiergarten zu wohnen, und wenn er aus Posen oder Breslau zugereist ist, am Kurfürstendamm und allenfalls in der Kaiserallee . . . so viel Berliner Kultur habe ich mir in den paar Monaten angeeignet, um das zu wissen . . . aber Schiffbauerdamm . . .! Wo ist das überhaupt?« fragte sie Helds Diener.

»An der Weidendammer Brücke, gnädige Frau.«

»Weidendammer Brücke?« Sie schüttelte den Kopf.

»Ja, wohnen denn da überhaupt anständige Leute?«

»Wenige«, erwiderte er.

»Und warum wohnt Ihr Herr Held da?«

»Seit fünfundsiebzig Jahren.«

»Was?« rief sie entsetzt.

»Ich wollte sagen, seit fünfundsiebzig Jahren ist das Haus in der Heldschen Familie.«

»So – na, das muß ja gut aussehen! Wie alt ist denn da Herr Held?«

»Der alte Herr Geheimrat geht jetzt ins fünfundsiebzigste, und der Herr Sohn ist dieser Tage zweiunddreißig geworden.«

»Und dieser Brief ist von Held Vater oder Held Sohn?« fragte Liane.

»Aber, aber!« rief der Diener, der selbst an die sechzig sein mochte, und war ganz empört. »Da muß ich doch bitten – wenn ich auch nur der Kammerdiener bin – aber in den vierzig Jahren, in denen ich im Hause bin, hat der Herr Geheimrat mit keiner andern Dame Beziehungen unterhalten als mit der gnädigen Frau – dafür lasse ich meinen Kopf.«

»Verzeihung, Alterchen,« sagte Liane und klopfte ihm auf die Schulter, »mir ist es ja auch viel lieber, daß es der Sohn ist . . .« Sie ging an den Schreibtisch.

»Teurer Freund,« schrieb sie, »also werden wir uns endlich wiedersehen! . . . Wie ich mich freue,

Ihre Liane de Villiers.«

Der Diener bekam eins der noch nicht umgewechselten 5-Francs-Stücke und verschwand.

»Neugierig bin ich ja auf den Jungen,« sagte sie, als er fort war, »aber da ich weder den Grafen Schönborn noch den jungen Bentheim im Telephonbuch finde, so bleibt mir gar keine Wahl. Auf alle Fälle wird er mir als geborener Berliner ja die richtigen Tips geben können.«

Sie badete, ließ sich massieren, lunchte, ruhte eine Stunde aus, dann zog sie sich an und fuhr, nachdem sie sich überzeugt hatte, daß Lu noch immer fest schlief, ins Sanssouci.

Unterwegs fiel ihr ein, daß ja kein Mensch ihren neuen Namen kannte. Dieser Held also irrte sich; es lag eine Verwechselung vor; offenbar existierte tatsächlich eine Frau, die Liane de Villiers hieß oder sich doch so nannte. Hoffentlich hatte die kein zu schlechtes Renommee, unter dem sie nun leiden mußte, und vor allem keine Schulden, für die man sie nun womöglich verantwortlich machte.

Sie überlegte, ob sie umkehren sollte. Nein! entschied sie und stand nach wenigen Minuten in der Garderobe des Sanssouci.

Der junge Held in Cutaway und hellgrauer Weste, die Orchidee im Knopfloch, erwartete sie, ging sofort auf sie zu, redete sie in französischer Sprache an und gab seiner Freude Ausdruck, sie wiederzusehen.

»Habe ich mich verändert«, fragte sie ihn und wußte nun, daß sie ihn nicht kannte.

»Nicht die Spur! Besser sehen Sie aus; jünger, frischer; ich hätte Sie unter hundert Pariserinnen herausgefunden.«

Sie fand das fabelhaft!

»Bei Paillard also waren wir das letztemal zusammen?« fragte sie ihn.

»Ganz richtig,« erwiderte Held, »dieser Abend wird mir unvergeßlich bleiben.«

Sie staunte. »Und durch wen erfuhren Sie, daß ich in Berlin bin?«

Held legte die Hand an den Mund: »Geheimnis! Verehrteste, solche Liebesdienste müssen durch Diskretion belohnt werden.«

»Aber meine Reise kam ganz unerwartet . . .«

Held machte ein ernstes Gesicht und nickte:

»Ich weiß! Ich weiß!« sagte er teilnahmsvoll und drückte ihr die Hand.

Liane sah ihn groß an.

»Sie haben viel durchgemacht!« sagte er. »Sie hingen sehr an Ihrem Herrn Bräutigam?«

»Lassen wir das«, bat sie ihn. Jene andere Liane de Villiers war also verlobt gewesen. »Durch wen wissen Sie, daß ich . . . nicht mehr . . .« – sie zögerte – ». . . seine Braut bin?«

»Durch ihn selbst«, sagte er frech.

»So?« erwiderte Liane.

»Ja,« fuhr er fort, »und als mein Diener gegen Mittag im Hotel den Bescheid erhielt, daß Sie mit dem Train de luxe eingetroffen seien, da hatte ich eine kindische Freude . . .«

»Und nach wem erkundigte sich Ihr Diener im Hotel?« fragte Liane.

»Nun, nach wem wohl,« erwiderte Held zärtlich und drückte ihr die Hand, »natürlich nach meiner lieben, süßen, kleinen Lu.«

Das Gesicht, das Liane jetzt machte, war so dumm, daß er selbst ganz verlegen wurde, den Mund weit aufriß und sie groß ansah.

Sekundenlang saßen sie sich so gegenüber.«

»Lu?« fragte sie nach einer Weile.

»Ja, Sie . . . ja, ich . . . ja, sind Sie denn nicht? – Aber natürlich! . . . Sie sind doch heute vormittag aus Paris gekommen und im Hotel Esplanade abgestiegen.«

»Aber Lu bin ich nicht«, lächelte Liane.

»Dann sind Sie am Ende gar . . .?«

»Sie kennen also meine Freundin Lu?« unterbrach sie ihn.

Jetzt wußte er überhaupt nicht mehr, was er sagen sollte.

»Dasselbe wollte ich Sie fragen . . . ja – — gehören Sie denn zusammen?«

»Aber natürlich! Lu ist meine beste, meine einzige Freunden . . .« Und vergnügt fuhr sie fort:

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30 ноября 2019
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