Читайте только на ЛитРес

Книгу нельзя скачать файлом, но можно читать в нашем приложении или онлайн на сайте.

Читать книгу: «Lu die Kokotte», страница 15

Шрифт:

XXXVI

»Was war denn?« stürzte Frau Brehmer-Geldern in großer Neugier ins Zimmer. »Ihr seid ja gehörig aneinander geraten.«

Ihr Mann war jetzt wieder Herr der Situation.

»Schämen muß man sich«, brüllte er seine Frau an.

»Was wollte er denn?«

»Mir mitteilen, daß seine Nichte Luise Kersten . . .«

»Was, das ist ein Onkel . . .«

»Der Braut deines Bruders; allerdings! Und seine Braut . . . unsere neue Schwägerin ist . . .«

»Nun?« fragte sie ungeduldig.

»Ein Frauenzimmer!«

»Ralf!« schrie Ilse entsetzt. »Solch Wort in unserm Hause!«

»Es wird sich, fürchte ich, kaum vermeiden lassen, nicht von ihr zu sprechen. Dazu sind die verwandtschaftlichen Beziehungen leider zu nahe.«

»Du denkst doch nicht etwa, daß aus dieser Ehe etwas wird?«

»Ich wüßte nicht, wie du es verhindern wolltest. Im übrigen scheint mir die Schwierigkeit auch ganz wo anders zu liegen.«

»Worin?«

»Ich meine, sie liegt bei deinem Papa.«

»Der wird, wenn er das hört, nie dulden . . .«

»Ich halte es nicht für klug«, unterbrach er sie.

»Was?«

»Die Ehe zu inhibieren.«

»Ralf!« rief sie entsetzt. »Willst du etwa . . . bedenke, du hast eine Stellung zu verlieren, du bist Reserve-Offizier und hast Kinder.«

»Eben deshalb«, erwiderte er.

»Ich verstehe dich nicht«, sagte sie und schüttelte den Kopf.

»Leider.«

»Also erkläre mir.«

»Was hältst du von deinem Bruder?« fragte er sie.

»Das weißt du doch; nichts! Im Gegenteil, er ist eine Blamage für die ganze Familie.«

»Eben! – — Das meine ich auch.«

»Na also!«

»Ich meine,« sagte er, »an ihm wäre nichts verloren!«

»Gewiß nicht.«

»Dein Vater sollte sich endlich von ihm lossagen!«

»Wenn du das fertig brächtest!«

»Und ihn enterben!«

»Ralf!« schrie sie begeistert und fiel ihm um den Hals. »Stammt der Gedanke von dir?«

»Ja«, sagte er. »Wenn dein Bruder diese Ehe eingeht, so hat dein Vater sogar die moralische Pflicht, das zu tun. An uns ist es, ihm das klar zu machen.«

Das verstand sie nicht ganz; aber sie war von dem Gedanken so entzückt, daß sie »Natürlich« sagte.

»Wenn das vor unserer Ehe geschehen wäre,« sagte Brehmer-Geldern, »hätte mein Vater nie eingewilligt, daß ich in eure Familie heirate. – Wenigstens nicht unter den gleichen Bedingungen«, setzte er hinzu.

»Das glaube ich gern.«

»Wird der Ruf der Familie aber jetzt derart ramponiert, so muß doch irgend etwas geschehen. Wenn ich ein Haus habe, und die Stadt nimmt mir die Vorgärten, um die Straße zu verbreitern, ja, dann wird das Haus doch entwertet, und ich habe einen Anspruch auf Entschädigung, die man mir auch widerspruchslos bewilligt. Ich sehe durchaus nicht ein, weshalb wir zartfühlender sein sollen, als es der Magistrat verlangt.«

»Nein, Ralf!« rief seine Frau. »Ich kenne dich nicht mehr. Du bist ja ein Finanzgenie; am Ende hättest du doch lieber Kaufmann als Landwirt werden sollen.«

»Übrigens, so viel ich weiß, stellt dein Bruder doch gar keine Ansprüche ans Leben.«

»Im Gegenteil, er verschenkt alles an Arme; für sich braucht er so gut wie nichts.«

»Also! Wenn er einmal sein Pflichtteil unter die Armen verteilt, genügt das doch auch – — wir werden uns jetzt auf den Weg machen und Papa unsere Bedingungen stellen. Akzeptiert er sie, so wollen wir Ja und Amen zu diesem allerliebsten Familienzuwachs sagen. Lehnt er sie ab, so brechen wir die Beziehungen ab und wenden uns an die zuständige Instanz. Dann muß ihm eben die Verwaltung über sein Vermögen entzogen und uns übertragen werden. Denn allein auf Grund seiner Einwilligung in diese Ehe bekommen wir so viel medizinische Gutachten über seine Altersschwäche, wie wir nur haben wollen.«

In diesem Augenblick erschien der Diener an den Portiere und meldete:

»Herr Werner Geldern.«

»Was?« fragten beide zugleich und wandten sich um.

»Der Herr Bruder der gnädigen Frau«, wiederholte der Diener.

»Ja . . . ja . . . ich weiß schon«, sagte Frau Brehmer-Geldern gereizt . . . und zu ihrem Manne gewandt, meinte sie:

»Was soll nun geschehen?«

»Empfangen natürlich«, erwiderte der. »Er kommt wie gerufen. – Hier hinein!« wandte er sich an den Diener.

»Sehr wohl, Herr Rittergutsbesitzer«, sagte der und verschwand.

»Was willst du ihm sagen?« fragte Frau Brehmer-Geldern.

»Das wirst du gleich hören.«

Der Diener erschien wieder; verkündete nochmals laut:

»Herr Werner Geldern!« – schob die Portiere auseinander und verschwand wieder, nachdem Geldern eingetreten war.

Brehmer-Geldern ging ihm entgegen, schüttelte ihm die Hand und sagte in freundlichem Tone:

»Nun, du willst uns eine Neuigkeit melden – aber wir wissen schon und gratulieren dir von ganzem Herzen.«

Werner machte ein erstauntes Gesicht.

Als dann auch noch seine Schwester an ihn herantrat und ihm – seit Jahren zum ersten Male – einen Kuß auf die Backe drückte, da platzte er ganz ungeniert heraus und fragte:

»Ja, Kinder, was hat denn das zu bedeuten? Ich dachte euch in vollem Aufruhr anzutreffen, und nun kommt ihr mir mit einer Freundlichkeit entgegen, die ich gerade von euch zu allerletzt erwartet hätte.«

Brehmer-Geldern bot ihm einen Stuhl an, und sie setzten sich.

»Wir nehmen an, daß wir diesmal Grund haben, uns zu freuen.«

»Ich weiß nicht,« erwiderte Werner, »ob wir in unserm Geschmack übereinstimmen.«

»Nun, dich wird bei deiner Wahl doch diesmal ausschließlich der Wunsch geleitet haben, dich zu rehabilitieren«, sagte Brehmer-Geldern.

»Nach welcher Richtung?« fragte Werner.

»Vor allem nach der Richtung, daß du dich besser als damals über den Charakter deiner zukünftigen Frau orientiert hast.«

»Darin hat Ralf recht«, stimmte die Schwester bei, die das Gefühl hatte, auch etwas sagen zu müssen.

»Wenn es das ist,« erwiderte Werner, »so dürft ihr unbesorgt sein.«

»Wir meinen, daß auch ihr Ruf ein untadeliger ist«, sagte die Schwester.

»Ihr Ruf?« fragte Werner.

»Ja«, bestätigte Brehmer-Geldern; »daß Verwandte und Bekannte für ihre Lauterkeit und ihre – aber daran zu zweifeln, hieße dich kränken . . .«

»Bitte, sprich es nur aus«, sagte Werner.

»Ich wollte sagen: für ihre Unbescholtenheit eintreten.«

»Ich glaube, daß unsere Begriffe über Unbescholtenheit weit auseinandergehen«, erwiderte Werner.

»Meiner Ansicht nach ist Unbescholtenheit kein Werturteil, sondern eine Tatsache«, sagte die Schwester. »Unbescholten ist jede Frau, die sich hinsichtlich ihrer Frauenehre nichts hat zuschulden kommen lassen.«

»Akzeptiert«, sagte Werner. »Und es wäre demnach in jedem Falle festzustellen, ob auf Seiten der Frau ein Verschulden vorlag.«

»Oh,« widersprach die Schwester, »sobald ein ›Fall‹, wie du sagst, vorliegt, kann von einer Unbescholtenheit überhaupt keine Rede mehr sein.«

»Das ist auch meine Ansicht«, erklärte Brehmer-Geldern.

»Nun, dann ist es besser, wenn wir das Gespräch abbrechen«, meinte Werner. »Wir werden einander ja doch nicht überzeugen.«

»Schlimm genug, daß du dich nicht überzeugen läßt«, sagte die Schwester. »Ich will dir nämlich verraten, daß wir einiges, und zwar wenig Erbauliches über deine Braut erfahren haben.«

»Um so besser,« sagte Werner, »denn um so schneller werden wir miteinander ins reine kommen. – Ich bin natürlich nicht hier, um euch zu bitten, meine Braut wie eine Schwester bei euch aufzunehmen.«

»Wir haben von der einen Schwester noch genug, die du uns damals zugeführt hast«, sagte Brehmer-Geldern.

Werner überhörte es.

»Ich bitte euch auch nicht um Rücksicht auf mich; sondern lediglich auf Papa.«

»Was soll das heißen?« fragte Brehmer-Geldern.

»Das möchte ich auch wissen«, sagte die Schwester.

»Papa leidet darunter, daß wir nicht wie Geschwister miteinander stehen.«

»Ist es vielleicht unsere Schuld?« fragte die Schwester; und Brehmer-Geldern sagte:

»Du machst es einem ja unmöglich, mit dir zu verkehren.«

»Solche Opfer verlange ich auch gar nicht von euch«, erwiderte Werner. »Es genügt vollkommen, wenn es zum Schein geschieht; Vaters wegen; es braucht kein Mensch sonst zu erfahren, daß ihr mit mir umgeht. – Und um wie lange Zeit handelt es sich denn schon groß? Leider! Papa ist achtzig; wenn Gott will, noch zehn Jahre! Und es wäre durchaus genug, wenn wir wenigstens an den hohen Feiertagen, zu seinem Geburtstage und zu Mamas Sterbetage bei ihm zusammen wären.«

»Ich habe nichts dagegen«, meinte Brehmer-Geldern und sah seine Frau an, die nichts sagte und nur den Kopf schüttelte.

»Und dann«, fuhr Werner fort, »müßte man natürlich jetzt . .«

»Etwa . . .?« sagte die Schwester.

Werner sah sie an.

»Du meinst, mit dieser Person zusammenkommen?« ergänzte sie.

»Euretwegen nicht!« rief Werner wütend. »Wenn es nicht Vaters wegen wäre, so käme mir natürlich gar nicht der Gedanke, euch darum zu bitten. Wozu auch? Wir haben ja doch nichts Gemeinsames; nicht einmal einen Gedanken oder ein Gefühl; geschweige denn ein gemeinsames Interesse – außer eben: Papa. Seinetwegen aber, meine ich, daß wir alle das Opfer bringen sollten.«

»Das Opfer ist etwas ungleich«, sagte die Schwester.

»Das dürfte schwer festzustellen sein«, meinte Werner.

»Nein, bei dir kann es sich doch im Höchstfalle um ein physisches Unbehagen handeln,« sagte sie, »während bei uns gesellschaftliche Rücksichten in Frage kommen. Den Luxus, sich den Verkehr nach dem persönlichen Geschmack zu wählen, können sich Leute, die wie wir eine gesellschaftliche Rolle spielen, nicht gestatten. Schon daß ein Bruder von mir dies Mädchen heiratet, gefährdet unsere Position, die wir uns mühsam und teuer genug errungen haben, und kann sie erschüttern,  wenn wir, statt ganz offiziell von euch abzurücken, bei Papa mit ihr zusammentreffen oder – woran natürlich gar nicht zu denken ist – sie gar in unserm Hause empfangen.«

»Ich gebe das zu«, sagte Werner, »und will euch, da ich eure gesellschaftlichen Ambitionen kenne, auch entgegenkommen. Kein Mensch braucht es zu erfahren. Kein Fremder braucht dabei zu sein. – Ich glaube, Papa würde einen Teil seines Vermögens darum geben, wenn er für den Rest seines Lebens das Bewußtsein hätte, daß seine Kinder zusammenhalten.«

»Das soll er nur tun«, entfuhr es Ralf.

Werner sah ihn an. »Wie meinst du das?« fragte er ihn.

»Sehr einfach«, erwiderte Ralf. »Jeder, dessen Verstand noch nicht unter den Jahren gelitten hat, würde einen Sohn, der ihm eine solche Schwiegertochter ins Haus bringt, einfach enterben.«

»Zu euren Gunsten natürlich«, ergänzte Werner.

Ralf zog die Schultern in die Höhe.

»Wieso zu unsern?« fragte er. »Natürlich zugunsten der gesetzlichen Erben; die wären, vorausgesetzt daß wir Papa überleben, in diesem Falle allerdings wir.«

»Und falls das geschähe,« fragte Werner, »so würdet ihr bereit sein . . .«

»Deine Braut, so wie es ihr unter normalen Verhältnissen zukäme, in verwandtschaftlicher Liebe bei uns aufzunehmen und euch beide, so oft ihr es wünscht – auf große Gesellschaften legt ihr ja keinen Wert – mit Papa bei nun zu sehen.«

»Ebenso gern würden wir natürlich auch mit euch bei Papa zusammentreffen«, erklärte die Schwester.

»Ihr braucht das Geld sehr nötig?« fragte Werner, der nur schwer seine Erregung niederkämpfte.

»Gott, nötig . . .« erwiderte seine Schwester, »wie man’s nimmt . . .«

»Habt ihr Verluste gehabt?« fragte er weiter.

»Wie meinst du das?« fragte sie.

»Etwa spekuliert . . . an der Börse oder . . .«

»Aber nein! Keine Spur!« gab sie zur Antwort. »Unser Vermögen ist intakt. Nur – ich kann es dir ja offen sagen. Wir haben die Absicht, uns ein Majorat zu kaufen.«

»So!« sagte Werner.

»In der Nähe von Posen.«

»Ihr wollt von eurem Rittergut herunter?«

»Aber nein«, erwiderte Ralf. »Wir bleiben natürlich, wo wir sind. In die Gegend kriegen mich nicht zehn Pferde; da setzen wir einen Verwalter rauf, der kann da schwarz werden.«

»Und wozu dies Majorat? Wirft es was ab?« fragte Werner.

Ralf lachte laut auf.

»Du,« sagte er zu seiner Frau, »hast du gehört, ob es was abwirft; in der Gegend! Na, ich danke! Anderthalb Prozent. Aber« – und er tat geheimnisvoll – »etwas anderes wirft es ab . . . na, rat’ mal!«

Werner zog die Schultern in die Höhe.

»Den Adel!« sagte Ralf mit großem Aplomb, »den erblichen Adel! Na, nu wirst du es wohl begriffen haben.«

»Allerdings«, erwiderte Werner.

»Und was wirst du tun?« fragte die Schwester.

»Ich will um Papas willen auf euren Vorschlag eingehen . . .«

»Werner!« rief sie ganz außer sich vor Freude und wollte sich ihm an den Hals werfen.

»Einen Augenblick,« bat Werner und wehrte mit den Armen ab, »ich habe noch nicht zu Ende gesprochen. Ich bin, wie gesagt, bereit, mich mit meinem Pflichtteil zu begnügen, falls die andere Hälfte meines Erbteils für wohltätige Zwecke verwandt wird.«

»Quatsch!« sagte die Schwester; und Ralf schrie wütend:

»Willst du mir vielleicht mal erklären, wo dabei für uns der Vorteil liegt?«

»Ich verstehe euch gar nicht«, sagte Werner. »Beide Parteien, ihr und ich, sind bereit, Papa ein Opfer zu bringen. Ihr erklärt mir nun, daß euer Opfer größer als meines sei; denn außer dem physischen Unbehagen hättet ihr auch noch ein gesellschaftliches Risiko, das bei mir fortfällt. Dafür opfere ich nun die Hälfte meiner Erbschaft; ihr selbst habt erklärt, daß diese Hälfte euch genügen würde, um eure gesellschaftlichen Bedenken fallen zu lassen. Damit ist klipp und klar zum Ausdruck gebracht, daß euer gesellschaftliches Risiko und mein finanzielles Opfer gleichwertig sind. Wenn ihr also einen Funken Logik habt, so müßt ihr meinen Vorschlag akzeptieren.«

»Nein!« schrie Ralf.

»Deine Logik kümmert uns gar nicht!« brüllte die Schwester.

»Gut, so lassen wir’s«, sagte Werner.

»Nein, mein Lieber, so einfach ist die Sache denn doch nicht«, erklärte Ralf. »Falls du unser Propos ablehnst, so werden wir erst mal Papa, und zwar durch die eigne Verwandtschaft deiner Braut, die Augen darüber öffnen lassen, was für einer Tochter er da eigentlich seinen Namen und sein Geld gibt. Da wird es sich dann ja zeigen, ob er sich nicht doch noch eines besseren besinnt und endlich einsieht, was du für ein Mensch bist.«

»Das heißt also: Kampf?« fragte Werner. »Ohne Rücksicht auf den alten Vater?«

»Du hast den Frieden, wenn du ihn willst«, erwiderte Ralf. »Du kennst unsere Bedingungen; überlege es dir.«

»Nein!« sagte Werner und ging.

XXXVII

Aber dem Professor, der inzwischen in Erfahrung gebracht hatte, daß es sich gar nicht um eine Adoption, sondern um eine Ehe handle, ließ es keine Ruhe.

Wo die Moral gefährdet war, hatte jedes Mitglied der Gesellschaft die Pflicht, einzugreifen, sagte er sich. Und allein der Umstand, daß in diesem Falle ein Mitbedrohter ein Esel war, der nicht einmal eine Ahnung von seiner Existenz hatte, befreite ihn noch nicht von der Pflicht, die er gegenüber der Gesellschaft hatte, eine unmoralische Handlung, wie es diese Ehe war, mit allen Mitteln zu hintertreiben.

Der alte Geldern weigerte sich, ihn zu empfangen.

»Sie wissen doch genau so gut wie ich,« sagte er zu seinem alten Diener Martin, »daß ich einen Mann dieses Namens nicht kenne.«

»Gewiß, Herr Geldern«» erwiderte der, »aber als ich ihm das deutlich machte, meinte er: ›Sagen Sie nur, der Universitätsprofessor Dr. Mallinger wünsche ihn zu sprechen; dann weiß er schon . . .‹«

»Sagen Sie dem Professor, daß ich nicht das Vergnügen hätte, ihn zu kennen, und daß er so freundlich sein möchte, sich an meinen Sekretär zu wenden.«

Der Professor raste; diese fortgesetzten Demütigungen Luises wegen wurden nachgerade unerträglich. – »Aber nun wundere ich mich auch nicht mehr, daß es so unmoralisch auf der Welt zugeht,« sagte er sich; »denn wahrhaftig, es wird einem schwer gemacht, sich für die Moral einzusetzen. Man muß schon so völlig selbstlos sein wie ich, um durchzuhalten.«

Dann nahm er eine Visitenkarte und schrieb darauf: »Professor Mallinger, dessen Zeit kostbar ist, hielt sich für verpflichtet, Ihres Sohnes wegen mit Ihnen zu sprechen.«

Als Geldern die Karte las, stand er auf und sagte:

»So! Also mein Sohn kennt ihn – das ist natürlich etwas anderes. Ich lasse bitten.«

Als der Professor eintrat, stand Geldern auf, ging ihm entgegen und reichte ihm die Hand.

»Einen ungewandten Diener haben Sie da«, sagte der Professor verärgert.

»Seit fünfundvierzig Jahren als zuverlässig erprobt,« erwiderte Geldern, »und ich hoffe nicht, daß er vor mir die Augen schließt; ich würde ihn stündlich vermissen. Wer in mein Haus kommt, muß sich schon an ihn gewöhnen. – Aber bitte, nehmen Sie Platz.«

»Für jemanden wie mich, dem jede Minute kostbar ist, wäre das jedenfalls nicht das Richtige«, sagte der Professor und setzte sich.

»Würde ich Ihnen auch nicht empfehlen,« erwiderte Geldern, »aber in meinem Hause wird nicht Akkord gearbeitet, und ich lege auf Geräuschlosigkeit mehr Wert als auf Schnelligkeit.«

Der Professor schüttelte den Kopf.

»Nicht zeitgemäß«, dachte er.

Martin kam und zündete die große, schwere Kristallkrone an. Als er auf dem Tritt stand, wandte sich Geldern zu ihm um und sagte:

»Martin, so hören Sie doch endlich, wenn ich Ihnen sage, Sie sollen Fritz das machen lassen. Wenn Sie mal runterstürzen, in Ihrem Alter heilt kein Glied mehr.«

»Es geht schon noch,« erwiderte Martin gekränkt. »so alt, wie der gnädige Herr mich machen, bin ich denn doch noch nicht.« Und er zündete langsam und bedächtig die Kerzen an; stieg wohl ein halbes Dutzend Male von dem Tritt herunter, setzte ihn an eine andere Stelle, rückte hier und da ein Licht gerade; kurz: es dauerte gut zehn Minuten, bis alle Kerzen brannten.

Der Professor wurde ungeduldig und rückte auf seinem Sessel hin und her. Der alte Geldern sah es; tat aber, als merkte er es nicht. Als die Kerzen zu drei Vierteln brannten, konnte der Professor nicht mehr an sich halten und sagte:

»Das genügt ja wohl.«

Martin drehte sich auf dem Tritt um und sah ganz entsetzt den alten Geldern an. Der gab ihm ein Zeichen, in seiner Arbeit fortzufahren.

»Gottlob«, sagte Martin leise.

»Die brannte hier, an derselben Stelle, am Hochzeitstage meiner Eltern zum ersten Male«, sagte der alte Geldern. »Das ist nun über neunzig Jahre her; seitdem ist kein Abend vergangen, an dem sie nicht gebrannt hat.«

Der Professor schüttelte den Kopf. Eine umständliche Pietät, dachte er, sprach es aber nicht aus, sondern sagte nur:

»Wenn Sie die Kerzen durch elektrische Birnen ersetzt hatten, ginge es schneller, – und billiger wäre es auch.«

Der alte Geldern aber dachte: als ob das dasselbe wäre! – Aber wozu es aussprechen, er versteht es ja doch nicht.

Als Martin die Rouleaux zugezogen hatte und – endlich! dachte der Professor – draußen war, fragte der alte Geldern:

»Und nun, Herr Professor, darf ich bitten« – und er machte eine Handbewegung und forderte ihn auf zu reden.

»Ich darf wohl annehmen, daß ich Ihnen als Gelehrter, durch meine Forschungen über die Deutlichkeit der Grundsätze der Kantschen Moral, die jetzt in Buchform in zweiter Auflage bei Alexander & Hempel vorliegen, ebenso bekannt bin wie als Politiker.«

»So?« sagte Geldern. »Mit Politik befassen Sie sich auch?«

»In hervorragender Weise! Ich bin seit Jahren Kandidat der nationalliberalen Partei.«

»Dann müssen Sie doch auch mit meinem Schwiegersohn bekannt sein?«

»Mit wem?« fragte der Professor und machte ein sehr verdutztes Gesicht.

»Nun, mit dem Rittergutsbesitzer Brehmer-Geldern, der bei den letzten Wahlen auch kandidiert hat. Er ist ein Freund von Stresemann.«

Der Professor nickte mit dem Kopf und sagte kurz:

»Ja, ja – das heißt, ich kenne ihn erst seit kurzem: rein durch Zufall kam ich mit ihm zusammen; kein Wunder übrigens, Sie sagten vorhin Stresemann —«

»Jawohl«, bestätigte der alte Geldern.

»Demnach der andere Flügel der Partei. – Unsere politischen Ansichten sind also grundverschieden – ausnahmslos! Es gibt keine wichtige Frage, in der wir übereinstimmen – ich stehe jedem Konservativen innerlich näher – zum Beispiel« und nun begann er mit einer jener endlosen Reden, mit denen er alle fünf Jahre seine Wähler langweilte.

»Da Ihnen jede Minute so kostbar ist,« unterbrach ihn der alte Geldern, ohne daß der Professor die Ironie merkte, »so halte ich es für meine Pflicht, Ihnen zu sagen, daß ich ein durchaus unpolitischer Mensch bin, daß mir also jedes Parteiprogramm ein Greuel ist. Politische Fragen sind Gewissensfragen. Und wie kann man sein Gewissen durch eine Reihe von Paragraphen ein für allemal festlegen? So wenig wie jedes andere Gefühl. Ich bin ein Mensch, der ohne jede Rücksicht auf ein Programm seine Entschlüsse frei fassen muß. Ich kann das nicht! Genau so wenig, wie ich meinen Geschmack und meine Lebensgewohnheiten der Gesellschaft zuliebe nach der gerade herrschenden Mode ändern kann. Dazu müßte jemand, der so alt wird, wie ich, zu oft umlernen.«

»Ein Mensch ohne Programm hat in einem geordneten Staatswesen keine Existenzberechtigung«, dozierte der Professor. »Das Leben eines ordnungsliebenden und pflichttreuen Menschen«, sagte er mit Pathos, »läuft so gleichmäßig und exakt, daß es sehr wohl unter Ausschaltung der Gefühle lediglich nach den Normen, die unsere Gesellschaft festgelegt hat, geführt werden kann. Menschen, die das tun, werden jedenfalls niemals Anstoß erregen.«

»Derartige Normen«, erwiderte Geldern, »mögen für die Regelung des Eisenbahnverkehrs und des Postwesens notwendig und zweckdienlich sein; für die Regelung des menschlichen Gefühlslebens bedaure ich, sie nicht akzeptieren zu können. Ich lege die Trauer für meine Frau nicht vorschriftsmäßig nach zwölf Monaten ab. Ich bringe es heute, nach zwanzig Jahren, noch nicht übers Herz, mir irgend etwas zu gönnen, was ihr Genuß bereitet, oder gar Orte aufzusuchen, an denen sie sich wohlgefühlt hat; hingegen habe ich, obgleich das doch gegen die gesellschaftliche Moral verstößt, schon Monate nach ihrem Tode wieder mit meinen Freunden hier an diesem Tische, um mich zu zerstreuen und auf andere Gedanken zu kommen, Klabrias gespielt.«

Der Professor riß das Maul weit auf.

»Das ist ja bodenlos!« rief er. »Was haben denn die Leute dazu gesagt?«

Der alte Geldern zog die Schultern in die Höhe.

»Ich weiß nicht«, sagte er. »Aber ich denke mir, sie werden gesagt haben: Pietätlos!«

»Natürlich,« bestätigte der Professor, »denn dadurch, daß Sie das Trauerjahr nicht eingehalten haben – nehmen Sie’s mir nicht übel —«

»Bitte«, sagte der alte Geldern.

»– muß doch jeder schließen, wie wenig Ihnen an Ihrer Frau gelegen hat.«

Das ging dem alten Geldern, der schon längst bereute, sich mit einem Fremden in ein derartiges Gespräch eingelassen zu haben, denn doch zu weit. Er brach die Unterhaltung kurz ab und sagte:

»Nun scheint es mir aber an der Zeit, daß wir zum Thema kommen; darf ich jetzt meine Frage von vorhin, was Sie hierhergeführt, wiederholen?«

»Da meine Zeit kostbar ist,« erwiderte der Professor, »so will ich mich kurz fassen: ich bin der Onkel von Luise Kersten.«

»Oh,« rief der alte Geldern und reichte ihm die Hand, »das sagen Sie mir jetzt! Herzlich willkommen, Herr Professor!«

Der Professor dankte durch eine eckige Bewegung und sagte:

»Ich höre, daß Ihr Sohn . . .«

»Allerdings,« unterbrach ihn der alte Geldern, der jetzt plötzlich lebhaft und voll Interesse war, »mein Sohn hat die Absicht, Ihr Fräulein Nichte zu heiraten.«

»Das darf er nicht!« erklärte der Professor bestimmt.

»Nanu?« fuhr der alte Geldern auf und schüttelte den Kopf. »Weshalb darf er denn nicht?«

»Weil meine Nichte ein falsches Spiel mit ihm treibt; ihn hintergeht . . .«

»Wie?« rief der alte Geldern und biß die Lippen zusammen. Dann schloß er die Augen und senkte den Kopf. Nach einer Weile sagte er: »Mein armer Junge.«

Ich hielt es für meine Pflicht, Ihnen das zu sagen.«

Der Alte sah noch immer zur Erde.

»Danke«, sagte er, ohne aufzusehen.

»Sie ist eine Kokotte . . .«

»Wer?!« entfuhr es dem alten Geldern; er erschrak vor sich selbst, so laut schrie er das. Dabei riß er den Kopf in die Höhe, machte die Augen auf, ballte die Faust und sah ihn wütend an.

»Hier!« – der Professor reichte ihm einen Brief.

»Was ist das?« fragte Geldern, ohne den Brief zu nehmen.

»Das schreibt Madame Antoinette Laqueur, eine Frau der ersten Pariser Gesellschaft, an meine Nichte, – Sie werden sie dem Namen nach kennen – Frau Hofbankier Walther.«

»Nein«, sagte Geldern.

Der Professor entfaltete den Brief.

»Hören Sie . . .«

»Wovon handelt der Brief, und wer gibt Ihnen das Recht, ihn mir vorzulesen?« fragte der alte Geldern.

»Die Moral«, erwiderte der Professor laut. »Es steht darin . . .«

»Ich will nichts hören«, unterbrach ihn Geldern.

»Sie ist wegen Erpressung an einem Liebhaber aus Paris ausgewiesen worden!« brüllte der Professor.

»Schweigen Sie!« befahl Geldern.

»Wollen Sie etwa Ihren Sohn . . .«

»Lassen Sie ihn und mich das entscheiden«, sagte Geldern.

»Die Ehe ist eine heilige Institution!« schrie der Professor. »Als Mensch protestiere ich, daß man . . .«

Der alte Geldern riß die Tür auf, hob den Arm und wies auf den Flur:

»Bitte!« sagte er zitternd.

»Ich habe meine Pflicht getan!« brüllte der Professor. »Und habe hier nichts mehr zu suchen.« Dann stürzte er hinaus.

»Sie sind der erste Mensch . . . in diesem Hause . . . dem man die Tür weist«, sagte der alte Geldern, als der Professor längst draußen war.

Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
30 ноября 2019
Объем:
320 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

С этой книгой читают