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Читать книгу: «Lu die Kokotte», страница 14

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XXXIV

Am nächsten Abend hatte der alte Geldern seine Tochter und seinen Schwiegersohn bei sich zu Tisch. Während des Essens sagte der Alte:

»Ich war gestern bei Werner.«

»So«, sagte die Tochter.

»Ja«, erwiderte der Alte.

»Was macht er denn?« fragte der Schwiegersohn, ohne von seinem Teller aufzusehen.

»Er arbeitet.«

»So«, sagte die Tochter.

»Ja«, erwiderte der Alte.

»Was denn?« fragte der Schwiegersohn und schob das Gemüse zusammen.

»Er schreibt ein Buch.«

»Was für ’n Buch?«

»Die Geschichte der Moral.«

»Der hat’s nötig, über Moral zu schreiben«, meinte die Tochter.

»Er weist darin nach, daß die Moralbegriffe zu allen Zeiten verschiedene waren; daß das, was wir heute für unmoralisch halten, einst für den Gipfel der Moral gegolten hat, und umgekehrt.«

»Damit sucht er sich wohl zu rechtfertigen?« fragte die Tochter.

»Ich wüßte nicht, wofür«, meinte der Alte.

Die Tochter legte Messer und Gabel hin und sah ihren Mann an.

»Verstehst du Papa?« fragte sie ihn.

»Nein«, gab er zur Antwort und aß weiter.

»Werner hat doch am meisten von uns allen dabei gelitten«, sagte der Alte. »Wofür sollte er sich also rechtfertigen?«

»Für den Skandal«, erwiderte die Tochter.

»Den er nicht verschuldet hat?« fragte der Alte.

»Als ob es darauf ankäme«, erwiderte sie.

Und der Schwiegersohn, der fertig mit Essen war, wischte sich den Mund, schob den Teller zur Seite und sagte:

»Jedenfalls hat man ihm doch Dinge nachgesagt, daß ich mich als Schwager geschämt habe.«

»Dinge, von denen ihr genau wußtet, daß sie von Anfang bis zu Ende erlogen waren.«

»Gewiß, aber das wissen doch die Leute nicht«, sagte die Tochter.

Und der Schwiegersohn meinte: »Es gibt nun einmal Menschen, die alles glauben, was erzählt wird.«

»Und für weiteste Verbreitung sorgen«, ergänzte die Tochter.

»Um so mehr hat jeder, der Bescheid weiß – vor allem aber wir! – die Pflicht, zu ihm zu halten und ihn zu verteidigen, statt, wie ihr es tut, von ihm abzurücken.«

»Wir halten ja zu ihm«, sagte die Tochter. »Werner steht mir so nahe wie meine Kinder; nur nach außen, da muß man eben . . .«

»Was muß man?« fragte der Alte.

Und der Schwiegersohn ergänzte:

»Nun, Ilse meint, daß man Rücksichten auf die Gesellschaft nehmen muß, in der sich übrigens in letzter Zeit ein sichtbarer Umschwung zugunsten Werners vollzogen hat.«

»Es ist unglaublich«, sagte der Alte, »die Gesellschaft steht euch also näher . . .«

»Wir leben in ihr . . .« unterbrach die Tochter.

»Leider«, sagte der Alte. »Früher lebte man in der Familie und für die Familie und nicht für Hunderte von Menschen, von denen man nichts weiter als ihr Einkommen und ihren Titel kennt.«

»Die Zeiten haben sich eben geändert«, sagte der Schwiegersohn. »Wenn beispielsweise jemand das Unglück hat, wegen Unterschlagung monatelang zu sitzen, und es stellt sich später seine völlige Unschuld heraus, so kann er einem vielleicht leid tun, aber man kann doch, und wenn es der eigene Bruder wäre, unmöglich weiter mit ihm verkehren.«

»Lassen wir das,« sagte der Alte, »es regt mich nur unnütz auf.«

»Wir vermeiden schon immer solche Gespräche,« sagte die Tochter, »aber du . . .«

»Gewiß, ich habe angefangen von Werner zu sprechen,« gab der Alte zu, »und zwar, um euch zu sagen, daß er im Begriff steht, sich wieder zu verloben.«

Tochter und Schwiegersohn wechselten die Farbe; sahen sie bisher aus, als hätten sie mit zugekniffenen Nasen vor einem Misthaufen gesessen, so machten sie jetzt den Eindruck von Kindern, die in Erwartung einer großen Überraschung im Zirkus saßen – so deutlich stand die Freude auf ihren Gesichtern.

»Ja«, sagte der Alte, der die Veränderung bemerkte und sie als Antwort nahm.

»Also ist es doch wahr?« sagte die Tochter freudig. Und ehe der Alte fragen konnte: »Was?«, reichten ihm beide schon die Hände über den Tisch hinüber und riefen:

»Wir gratulieren.«

»Nein, wie mich das freut!« jubelte der Schwiegersohn.

»Dem Jungen ist es wahrhaftig zu gönnen,« sagte die Tochter, »nach dem, was er durchgemacht hat.«

»Ich habe immer zu Ilse gesagt: Warte nur ab, an dem werden wir alle noch mal unsere Freude haben.«

»Nein! So ein Glück!« jubelte die Tochter.

»Aber er verdient es«, beteuerte der Schwiegersohn.

»Denn Werner ist au Fond ein hochanständiger Mensch; du weißt, Vater, ich habe immer große Stücke von ihm gehalten.«

»Und dies reizende Mädchen!« rief die Tochter.

»Überhaupt die ganze Familie«, bestätigte der Schwiegersohn.

»Steinreich!« sagte die Tochter. »Helleres schätzen sie auf fünfzehn Millionen.«

»Und wie der Vater dasteht! Kein Mensch merkt ihm mehr seine Abstammung an. Er soll bei den nächsten Wahlen für die freikonservative Partei kandidieren.«

»Wann wird denn die Verlobung veröffentlicht?«

»Darf man denn schon darüber sprechen?«

»Wo steckt denn Werner? Wir wären doch gern die ersten, die ihm gratulieren.«

Der Alte hatte sich das alles, ohne ein Wort zu erwidern, mit angehört. Erst jetzt, als ihn sein Schwiegersohn und seine Tochter ganz außer sich vor Freude mit neuen Fragen bestürmten, sagte er vollkommen ruhig:

»Wen meint ihr eigentlich?«

Beide sahen entsetzt auf.

»Was soll das heißen?« riefen sie gleichzeitig; und als er nicht gleich eine Antwort gab, brüllte die Tochter:

»Mit Lotte Beronson natürlich! Mit wem denn sonst?«

Der Alte schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er.

»Was?« schrien beide.

»Die ist es nicht«, sagte er.

»Wer sonst?« fragte die Tochter.

»Sie heißt Luise Kersten und ist die Tochter des bekannten Kunstmalers, der sich vor einem Jahre etwa erschossen hat.«

»Nicht möglich!« schrie die Tochter.

Und der Schwiegersohn nickte spöttisch mit dem Kopfe und sagte:

»Natürlich! Da wird er ja auch besser hineinpassen – Art zu Art.«

»Und das gibst du zu?« fragte die Tochter kategorisch.

»Die Ehe war noch das einzige, wodurch er sich rehabilitieren konnte«, ergänzte der Schwiegersohn.

»Und wie sind die Verhältnisse?« fragte die Tochter.

»Ich meine, um bei dem Vater in unsere Familie hineinzuheiraten, müßte die Mutter die denkbar größten Opfer bringen.«

»Die Mutter ist vor ein paar Wochen gestorben«, sagte der Alte.

»Um so besser«, meinte der Schwiegersohn; »ich hätte ihre Schwelle auch nicht betreten.«

»Wie kommt denn Werner zu den Leuten?« fragte die Tochter. »Ich weiß, daß jeder, der etwas auf sich hält, sich damals von ihnen zurückgezogen hat.«

»Ist dir schon einmal aufgefallen, daß dein Bruder jemals etwas auf sich gehalten hat?« fragte ihr Mann.

»Also hat ihn das Geld gereizt?«

»Ich glaube nicht, daß sie Vermögen haben«, sagte der Alte.

»Was?« rief der Schwiegersohn; seine Frau stand wie eine Säule und brachte kein Wort heraus.

Der Alte fuhr fort:

»Aber sie hat einen vorzüglichen Charakter.«

Da lachte die Tochter laut auf.

»Damit wird er viel anzufangen wissen«, kreischte sie; »von unserer Portierstochter sagt man das auch; vielleicht sieht er sich die mal an; sie ist zwar mit dem Chauffeur von Schusters verlobt, aber am Ende hebt sie die Verlobung auf, um deine Schwiegertochter zu werden.«

Jetzt stand der Alte auf und rief energisch:

»Schweig’! Ich dulde in meinem Hause nicht diesen Ton. Ihr habt meine Entschlüsse in diesen Dingen zu respektieren! Widerspruchslos! Verstanden!? – Ich habe euch von Werners Verlobung Mitteilung gemacht, weil ich es für meine Pflicht hielt; um euer Urteil habe ich euch nicht gefragt. Gefällt euch seine Entschließung nicht, – gut, so bleibt fort! – Aber stört ihn nicht!«

»Komm’!« rief die Tochter ihrem Manne zu und stand auf; und zu dem Alten gewandt, sagte sie:

»Du weißt eben nicht, wer es gut mit dir meint, und stehst noch immer unter dem Einfluß von Werner. Aber du wirst ja sehen, wohin das führt.«

»Du scheinst an dem einen Male nicht genug zu haben«, sagte der Schwiegersohn, der sich erhoben hatte. – »Nachher wunderst du dich wieder, wenn wir es ablehnen, die Suppe, die du dir eingebrockt hast, auszuessen.«

»Ich will nichts mehr davon hören!« forderte der Alte.

»Schön!« sagte die Tochter und gab ihm die Hand: »Gute Nacht, Vater.«

»Es ist unsere Pflicht, ein zweites Mal ein Unglück zu verhüten, solange es noch Zeit ist«, erklärte der Schwiegersohn, verabschiedete sich, nahm seine Frau unter den Arm und ging.

»Er ist altersschwach«, sagte er draußen; »man müßte ihm einen Pfleger bestellen.«

»Um Himmels willen!« schrie die Tochter. »Er wird doch keine Dummheiten machen!«

»Du siehst ja, er macht sie schon!« erwiderte ihr Mann.

»Ich meine, mit seinem Vermögen!« rief sie in großer Erregung.

»Nun, von der Geschichte der Moral wird Werner seinen Haushalt nicht bestreiten können«, meinte der Schwiegersohn.

Und beide waren sich einig darüber, daß es an der Zeit war, einzugreifen und einen Riegel vorzuschieben.

XXXV

Frau Hofbankier Walther saß in ihrem Salon.

Der Diener meldete: »Frau Rittergutsbesitzer Brehmer-Geldern!«

»Ah!« sagte die Frau Hofbankier und sprang auf.

Die beiden Damen begrüßten sich förmlich, und Frau Geheimrat Walther bat ihren Gast, sich zu setzen.

»Wir kennen uns von Kommerzienrat Lessings her«, begann Frau Brehmer-Geldern.

»Natürlich«, bestätigte Frau Hofbankier Walther, die so gut wie ihr Visavis wußte, daß sie sich außer im Theater und auf Wohltätigkeitsfesten nie begegnet waren und sich daher bis zu diesem Augenblick nur vom Sehen und dem Namen nach kannten; und sie fügte hinzu: »Ich wundere mich, Sie nach dem anstrengenden Winter noch in Berlin zu sehen.«

»Sie haben recht«, erwiderte Frau Brehmer-Geldern; »ich hätte die Erholung schon nötig – und säße lieber in Kairo statt in Berlin – aber . . . und das ist es gerade, weswegen ich mir erlaubte, bei Ihnen einzudringen.«

»Aber ich bitte«, überstürzte sich Frau Geheimrat Walther; »es ist mir ein ganz besonderes Vergnügen, Sie bei mir zu sehen.«

»Sehr liebenswürdig«, dankte Frau Brehmer-Geldern; »ich hoffe, daß auch Sie mir bald die Freude machen —«

»Mit dem größten Vergnügen«, erwiderte Frau Walther.

In der Form ging es noch eine Weile weiter, ohne daß Frau Brehmer-Geldern von dem sprach, weswegen sie eigentlich gekommen war.

Sie unterhielten sich von dem Tode einer Frau, die beide kannten.

»Sie ging immer so außerordentlich geschmackvoll gekleidet«, meinte Frau Brehmer-Geldern.

»Ja,« bestätigte Frau Geheimrat Walther, »und sie verstand auch so ausgezeichnet, ein großes Haus zu machen; auf ihren Gesellschaften begegnete man Botschaftern und Ministern.«

Frau Brehmer-Geldern schüttelte den Kopf.

»Es ist schrecklich!« sagte sie. »Warum mußte die Frau nun sterben! Es geht doch zu ungerecht auf der Welt zu.«

»Es gibt in jeder Familie Unglück«, seufzte Frau Geheimrat Walther.

»Gewiß!« bestätigte Frau Brehmer-Geldern. »Ich habe an dem traurigen Fall in Ihrem Hause damals aufrichtigen Anteil genommen, Frau Geheimrat«, versicherte sie.

»Wie?« fragte Frau Walther erstaunt.

»Um so besser, wenn es überwunden und vergessen ist«, sagte Frau Brehmer-Geldern. »Also sprechen wir nicht mehr davon. Ich meinte den plötzlichen Tod des Kunstmalers Kersten.«

»Ach so«, erwiderte Frau Walther und nickte mit dem Kopfe. »Ja, das war eine schöne Geschichte! Nein, wenn Sie wüßten, was wir damals alles durchgemacht haben! Das war ja ganz schrecklich! Mein Mann leidet noch heute darunter! Sie können sich denken, was da so alles auf einen einstürmte! Nicht nur Finanzielles; das ist das wenigste! Alles, was mit Geld gutzumachen ist, darüber kommt unsereiner ja schnell hinweg. Aber das andere!! Was so alles drum und dran hing – ich kann nur sagen: wir sind um Jahre gealtert.«

»Das läßt sich denken«, bestätigte Frau Brehmer-Geldern. »So waren also nicht einmal die Verhältnisse geregelt. Ich dachte, daß man für die Bilder Kerstens so hohe Preise bezahlt hat. Wenn ich mich nicht irre, hängt in einem meiner Salons sogar eine Landschaft von ihm.«

»Unter Diskretion« – und Frau Walther beugte sich zu Frau Brehmer-Geldern und flüsterte ihr ins Ohr – »nicht ein Pfennig war da! Wenn mein Mann nicht gewesen wäre, hätten sie hungern können.«

»Schrecklich!« rief Frau Brehmer-Geldern.

»Aber das bleibt natürlich unter uns, – ich weiß ja, Sie sind verschwiegen. Außer Ihnen weiß das kein Mensch.«

»Auf meine Diskretion können Sie sich verlassen«, beteuerte Frau Brehmer-Geldern. »Und was ist nun aus Ihrer Nichte geworden?«

»Glissons!« sagte Frau Hofbankier Walther.

»Ist sie etwa . . .? Ja, ich wage es gar nicht auszusprechen; aber nach dem, was Sie andeuten, muß man fast das Schlimmste vermuten . . .«

»Was meinen Sie?« fragte Frau Walther. »Fragen Sie ungeniert.«

»Aber Sie dürfen es mir nicht übelnehmen. Ich habe nämlich ein besonderes Interesse daran, es zu erfahren; ich will Ihnen dann auch erzählen, warum; nicht wahr, sie ist in Stellung? . . . Erzieherin . . . Gesellschafterin oder dergleichen? – Sie erweisen mir einen großen Dienst, wenn Sie mir es sagen . . . ich verspreche Ihnen, daß es nicht über meine Lippen kommt.«

»Ich habe Ursache, mich nicht weiter um sie zu bekümmern.«

»So?« sagte Frau Brehmer-Geldern interessiert.

»Mein Mann hat sie fürs erste nach Paris geschickt und in ein erstklassiges Pensionat gesteckt; die Leiterin ist mir persönlich bekannt; sie war vor Jahren Erzieherin meiner Kinder, und ich bin ehrlich genug zu sagen, das, was aus meinen Töchtern geworden ist, das danken sie dieser ausgezeichneten Person, – der es hoffentlich auch gelingt, aus meiner Nichte ein brauchbares Mitglied der Gesellschaft zu machen.«

»Wie interessant!« rief Frau Brehmer-Geldern ein über das andere Mal. »So hat sie sich also etwas zuschulden kommen lassen?«

Frau Geheimrat Walther zögerte.

»So reden Sie doch, bitte«, drängte Frau Brehmer-Geldern in sie. »Ich sagte Ihnen doch schon, daß es für mich von Wert ist, Genaues über Ihre Nichte zu erfahren.«

»Nun, Sie wissen ja, was sich im Hause ihres Vaters ereignet hat. Für ein junges Mädchen unserer Kreise war es natürlich nicht der richtige Boden, auf dem sie da aufgewachsen ist. Somit trifft eigentlich mehr die Eltern die Schuld, als sie selbst.«

»So ist sie also leichtsinnig geworden?« fragte Frau Brehmer-Geldern. »Nun,« – und sie wurde bedeutend ruhiger – »solche Fälle an sich nimmt man ja heutzutage nicht mehr allzu tragisch; es sei denn, daß sie an die große Glocke kommen oder – was natürlich noch bedenklicher ist – daß die Familie, statt sie zu decken, von ihr abrückt. Das scheint mir ja aber nach allem, was ich höre, glücklicherweise hier nicht der Fall zu sein.«

»Wir haben alle den Wunsch, daß sie sich bessert«, versicherte Frau Geheimrat Walther.

»Nun,« erklärte Frau Brehmer-Geldern, »ich will Ihnen ebenso offen begegnen wie Sie mir; es handelt sich um eine Adoption. Auf einem der Nachbargüter von uns sitzt ein sehr reiches, altes, kinderloses, gräfliches Paar, das gern ein junges Mädchen zu sich nehmen möchte, um es später zu adoptieren. Aber Sie glauben gar nicht, Frau Geheimrat, wie schwer es ist, etwas Passendes zu finden. Natürlich muß es ein Mädchen aus erster Familie sein; am liebsten eine Waise. Aber diejenigen, die Vermögen haben, wollen nicht, und die andern kommen nicht in Frage.«

»Wieso nicht?« fragte Frau Geheimrat Walther.

»Nun, Sie wissen doch selbst, wie es heutzutage zugeht. Die eine ist Vorleserin bei einer reichen Jüdin; die andere lehrt Bridge oder unterrichtet Kinder; die dritte ist Empfangsdame in einem photographischen Atelier – alles natürlich gegen Entgelt. – — Nun, Sie werden es dem alten Grafen nachfühlen, wenn er nicht gerade einer ehemaligen Angestellten oder Bedienten sein Vermögen und seinen Namen vermachen möchte. Wer eben so leichtfertig seine gesellschaftliche Stellung opfert, darf sich nicht wundern, wenn ihm solche Chancen entgehen. – Aber liebe Frau Geheimrat,« fuhr sie fort und erhob sich, »da ich zu meiner Freude höre, daß sich Ihre Nichte nach der Richtung hin wenigstens noch nichts hat zuschulden kommen lassen, so haben Sie vielleicht die Güte und lassen sich die Sache mal durch den Kopf gehen.«

Frau Geheimrat Walther war von dem Vorschlage sehr entzückt, begleitete ihren Gast zur Tür und nachdem sie noch einmal, wie bei Beginn der Unterhaltung, einige konventionelle Phrasen gewechselt hatten, drückten sie sich die Hand und sagten sich Lebewohl. – —

Als Frau Rittergutsbesitzer Brehmer-Geldern wieder in ihrem Wagen saß, sagte sie sich:

Das wäre eine nette Blamage gewesen, wenn ich ihr den wahren Grund meiner Erkundigung genannt hätte. Wie gut, daß ich vorsichtig war. Aus dieser Ehe darf natürlich nichts werden! Das wird Papa auch einsehen, wenn ich ihm die Erfahrungen dieses Besuches erzähle.

– — – — – — – —

Noch am selben Abend telephonierte Frau Geheimrat Walther im Auftrage ihres Mannes mit dem Professor Mallinger und berichtete ihm ausführlich über den Besuch der Frau Brehmer-Geldern.

»Und du? – — Und du? – — Was hast du gesagt?« unterbrach sie der Professor alle Augenblicke; und als sie zu Ende erzählt hatte, hörte sie, wie der Professor mit der Faust auf den Schreibtisch schlug und in den Apparat brüllte: »Unverantwortlich! . . . Sand in die Augen streuen . . . ich will nichts mehr hören . . . mitschuldig machen . . .«

»Lächerlich!« rief Frau Geheimrat Walther und hing den Hörer an. »Er brüllt so laut, daß man kein Wort versteht«, sagte sie zu ihrem Mann, der im selben Zimmer saß.

»Ein abscheulicher Mensch«, meinte der Geheimrat.

Und seine Frau bestätigte: »Ein Ekel!« – —

Mit derartigen Feststellungen war der Fall für den Professor jedoch nicht abgetan. In ihm regte sich, wie immer, das »Gewissen«; so nannte er seinen pathologischen Rechtlichkeitssinn, der, ohne sich Gedanken zu machen, tolpatschig in das Schicksal anderer Menschen eingriff und gewissenlos das größte Unheil anrichtete, wenn damit nur ein noch so leiser Verstoß gegen die herrschende Moral aufgedeckt und gesühnt war.

Dieser Mustermensch rannte nach dem telephonischen Gespräch mit seiner Nichte zehn Minuten lang in seinem Arbeitszimmer auf und ab, klingelte dann nach dem Mädchen, das ihm den weichen Hut und Havelock brachte, stieg in die A-Bahn, trat einem Herrn auf die Füße, ohne sich zu entschuldigen, und nahm dann einer Dame, die sich eben setzen wollte, den letzten Platz weg, der noch frei war.

Nach einer Viertelstunde läutete er in der Grunewaldvilla des Rittergutsbesitzers Ralf Brehmer-Geldern und gab dem öffnenden Diener seine Karte. Der trug sie in den Salon, in dem Herr und Frau Brehmer-Geldern beim Tee saßen und sich gerade von dem Erfolge des Besuches bei Frau Geheimrat Walther unterhielten.

Der Rittergutsbesitzer nahm die Karte vom Tablett und las:

»Dr. phil. Hugo Mallinger, a. o. Professor der Philosophie an der Kgl. Friedrich-Wilhelms-Universität,

Stadtverordneter und Ritter p. p.«

»Keine Ahnung«, sagte er und reichte seiner Frau die Karte.

»Ist das was?« fragte sie.

Der Rittergutsbesitzer schüttelte den Kopf.

»Gott ja,« meinte er, »wie man’s nimmt. Was Bedeutendes ist es natürlich nicht, sonst würde man ihn doch wenigstens dem Namen nach kennen; – immerhin, gesellschaftliche Bedenken stehen nicht im Wege, daß man ihn empfängt.« Und zum Diener gewandt, sagte er: »Ich lasse bitten.«

Dann ging er in sein Zimmer, durch dessen andere Tür eben der Professor trat.

Eine tiefe Begrüßung, und sie setzten sich.

»Ich darf annehmen, daß ich Ihnen dem Namen nach bekannt bin«, begann der Professor.

»Aber selbstredend«, erwiderte Herr Brehmer-Geldern.

»Ich habe mir durch meine dreißigjährige Lehrtätigkeit an der Königlichen Friedrich-Wilhelm-Universität sowie durch meine Abhandlungen über die Deutlichkeit der Grundsätze der Kantschen Moral, die in Buchform bei Alexander & Hempel in zweiter Auflage vorliegen, sowie durch meine kommunale und politische Tätigkeit – ich darf es wohl ohne Überhebung sagen – einen Ruf weit über die Grenzen der Reichshauptstadt hinaus geschaffen.«

»Jeder Gebildete kennt Sie und Ihre großen Verdienste«, bestätigte Brehmer-Geldern.

Der Professor war beglückt.

»Ich weiß es,« sagte er, »und doch freut es einen, es überall, wohin man kommt, von neuem bestätigt zu finden. Es wäre für mich nicht ohne Interesse, zu erfahren, ob ich in Ihnen als Gelehrter oder als Politiker nachhaltiger wirke.«

Ralf Brehmer-Geldern verstand nicht recht, was er meinte; er wußte von ihm als Politiker soviel wie als Gelehrter, nämlich gar nichts, und kam der Wahrheit am nächsten, indem er sagte:

»Als beides gleich stark,« – und er tat, als wenn er überlegte – »denn ich wüßte wirklich nicht, wenn ich mich entscheiden sollte, – jedenfalls diese seltene Vielseitigkeit, Herr Professor, ist bewundernswert.«

»Und doch weiß ich, daß ich in dieser Beziehung nicht einzig dastehe; ich erinnere nur an meinen verstorbenen Kollegen Virchow.«

»Richtig,« bestätigte Brehmer-Geldern, »das war ja auch so ein Universal-Genie. Sie haben gewiß keine Kinder, denn sonst wäre es wohl kaum möglich . . .«

»Oh bitte«, unterbrach ihn der Professor und war gekränkt; »ich habe selbst zwar keine Kinder; aber als Senior einer verzweigten Familie habe ich sozusagen als oberste Instanz in allen wichtigen Fragen zu entscheiden. Das ist oft nicht leicht und kostet Zeit; aber ich darf von mir sagen, daß ich diese Pflichten gewissenhaft und mit Hingabe erfülle.«

»Also auch dafür haben Sie Zeit und Sinn?« sagte Brehmer-Geldern und schüttelte den Kopf.

»Ich muß sie haben,« erwiderte er, »denn ich halte es für meine moralische Pflicht, meine größere Erfahrung und Einsicht meiner Familie zur Verfügung zu stellen.«

»Ich wünschte, wir hätten auch solche moralische Stütze«, klagte Brehmer-Geldern. »Es gibt auch bei uns in der Familie Fälle, in denen wir sie brauchen könnten.«

»Gewiß, solche Fälle gibt es«, stimmte der Professor bei und rückte seine Brille gerade. »Und eines solchen Falles wegen bin ich hier, weil ich es für meine Pflicht halte . . .«

»Wie?« unterbrach ihn Brehmer-Geldern. »Meinetwegen?«

»Jawohl! Ihretwegen«, wiederholter er mit großer Bestimmtheit, ohne zu sehen, wie unsicher Brehmer-Geldern wurde, dem in diesem Augenblick tausend Sünden durch den Kopf schossen.

»Ich«, sagte der Professor, »bin hier, um Sie zu warnen.«

»Nanu!« fuhr Brehmer-Geldern auf.

»Ich weiß zwar nicht, wie weit Ihre Gattin bereits unterrichtet ist,« – Brehmer-Geldern wechselte die Farbe – »jedenfalls halte ich mich als Onkel des jungen Mädchens . . .«

»Teufel ja!« fuhr Bremer-Geldern in die Höhe. »Wie war doch gleich Ihr Name, Herr Professor?«

»Wa—a—s?« fragte der entsetzt. »Nach meinem Namen fragen Sie?«

»Ja«, wiederholte Brehmer-Geldern in großer Erregung und suchte in seiner Tasche vergeblich die Karte, die im Salon lag.

»Nachdem wir eine halbe Stunde lang von meiner Berühmtheit gesprochen haben, fragen Sie mich, wie ich heiße?«

Er stand empört auf: »Mein Herr! Das finde ich beispiellos!«

»Und ich finde die Form, in der Sie Ehrenhändel erledigen, zum mindesten ungewöhnlich«, erwiderte Brehmer-Geldern sehr unsicher. »Wenn ich Ihrem Fräulein Nichte zu nahe getreten bin – — was übrigens erst noch zu beweisen wäre, und was ich zunächst mal in Abrede stelle, denn Sie wissen, daß ich verheiratet und Vater dreier Kinder bin – so stehe ich Ihnen und jedem, der legitimiert ist, selbstverständlich zur Verfügung. Hier aber einfach in mein Haus zu dringen und, während meine Frau nebenan beim Tee sitzt, mir stundenlang vorzuerzählen, was für ein bedeutender Mensch Sie sind . . . wissen Sie, das ist eine Art, für die Ehre Ihre Nichte einzutreten, die – nun, ich will Sie nicht beleidigen, aber ich muß sagen, zum mindesten den Reiz der Neuheit hat.«

Der Professor war außer sich und hörte längst nicht mehr auf das, was Brehmer-Geldern sagte. Er zog aus seiner Rocktasche eine Visitenkarte hervor und legte sie auf den Tisch.

»Hier, mein Herr!« und er klopfte mit der Faust auf den Tisch: »Der bin ich! Damit Sie’s wissen! – Und im übrigen soll es mir ganz gleich sein, ob Ihr Gutsnachbar meine Nichte adoptiert oder nicht . . . Leute, die so wenig auf Bildung halten, daß sie mich nicht kennen, stoßen sich vielleicht auch nicht daran, eine Kokotte an Kindesstatt anzunehmen.«

»Was? . . . Wie? – — Wovon reden Sie da?« fragte Brehmer-Geldern. »Ich verstehe keine Silbe – — Wen meinen Sie denn? . . .«

»Ich spreche von meiner Nichte Luise Kersten.«

»Was?« fiel er ihm ins Wort. »Von der Braut meinen Schwagers?«

»Mein Herr, Sie sind konfuse!« brüllte der Professor. »Ich wüßte nicht, was Ihr Schwager mit meiner Nichte zu schaffen hätte.«

Brehmer-Geldern hielt sich den Kopf.

»So sind Sie also gar nicht der Onkel von . . .?«

»Wessen Onkel . . .? Natürlich bin ich – — ich sage Ihnen ja . . .«

»Ich meine,« unterbrach ihn Brehmer-Geldern, »von dieser reizenden kleinen Lola aus der Kurfürstenstraße?«

»Kenne ich nicht«, sagte der Professor kurz; wies noch einmal auf den Tisch, auf dem seine Karte lag:

»Da! Der bin ich!« und verschwand.

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Дата выхода на Литрес:
30 ноября 2019
Объем:
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Правообладатель:
Public Domain

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