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Читать книгу: «Lu die Kokotte», страница 11

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». . . Nein, wie ich mich freue, daß Lu in Ihnen einen so guten Freund hat . . . sie ist wirklich herunter und braucht jemanden, der sich mit ihr beschäftigt. Sie müssen sehr lieb zu ihr sein.«

»Dieser Esel von Manager«, entfuhr es Held.

»Was für ein Manager?« fragte Liane.

»Er hätte mir doch sagen müssen, daß Sie zusammengehören.«

Liane nahm den Brief auf der Tasche, den sie von Held erhalten hatte.

»Aber woher kennen Sie meinen Namen, was soll dieser Brief?«

»Himmel!« rief er. »Sie sind Liane de Villiers!«

Auch Liane wußte jetzt nicht mehr, was sie denken sollte.

»Ja, kennen Sie mich denn?« fragte sie.

»Keine Spur«, entfuhr es ihm. – — »Oder doch – natürlich – — sonst wäre ja dieser Brief sinnlos.«

»Ja aber . . .«

»Ich dachte, wir wären erst für morgen nachmittag verabredet . . . nein,« – er schüttelte den Kopf und entnahm der Brieftasche einen kleinen Wochenblock – »hier sehen Sie!« – und er zeigte ihr das Blatt —

». . . Mittwoch 6 Uhr Sanssouci Liane de Villiers und heute – — heute – — haben wir doch erst Dienstag . . . ich sehe, ich muß doch etwas für meine Nerven tun. – — Ich bin oft so zerstreut in letzter Zeit . . . aber schuld, schuld hat nur dieser blöde Manager.«

»Aber was ist das nur für ein Manager?« fragte Liane.

»Das kann ich Ihnen nicht erklären«, sagte Held, der sich allmählich in die Situation fand, während sie Liane nur immer verschleierter wurde. »Also, Sie gehören zusammen«, wiederholte er; »na, dann möchte ich mir erlauben, Sie beide für heute abend einzuladen. Ich bin mit ein paar guten Freunden im Theater; zwei Plätze in unserer Loge sind noch leer; machen Sie uns mit Ihrer Freundin das Vergnügen, sagen Sie ja und kommen Sie mit.«

»Wenn Sie mit Lu gut bekannt sind, liegt kein Grund vor, nein zu sagen«, erklärte Liane, trank ihren Tee aus, sagte zu und ging.

»Völlig unverständlich«, sagte sie ein über das andere Mal, als sie im Auto saß. – — Im Hotel suchte sie zunächst Lu auf; die schlief noch immer, als sie ins Zimmer trat. Liane setzte sich auf ihr Bett.

»Ich soll dich grüßen«, sagte sie leise. Lu fuhr erschreckt in die Höhe.

»Von wem?« fragte sie lebhaft.

»Rate!«

»Nicht! Nicht! Quäle mich nicht!« rief sie und sah so krank und blaß aus, daß Liane sie zärtlich in die Arme schloß und ihr leise zuflüsterte:

»Von deinem Freund Held, Georg Held . . . er meint es gut mit dir.«

Lu schüttelte den Kopf: »Ich kenne ihn nicht.«

»Wenn du munter bist, wirst du dich erinnern.«

»Nein!« sagte Lu. »Bestimmt nicht.«

»Der Sohn des bekannten Geheimrats Held, Schiffbauerdamm. – Nun? – Nicht wahr, jetzt weißt du’s.«

»Ich habe keine Ahnung!« versicherte Lu.

Lianes Blick fiel auf einen Brief, der ungeöffnet im Glaskasten an der Tür lag. Sie stand auf und nahm ihn heraus.

»Nanu? . . . Die Handschrift kenne ich doch?«

»Von wem ist er?« fragte Lu hastig.

»Darf ich ihn öffnen?«

»Schnell!« trieb Lu.

Und Liane öffnete und las:

»An Lu Courcelles!
Verehrteste!

Ich bin sehr glücklich, von meinen Pariser Freunden zu hören, daß Sie hier sind.

Eine Pariser Frau von Welt in unserm gräßlich eintönigen Berlin zu wissen, ist immer ein beruhigendes Gefühl.

Oh, diese Berliner Nächte! Gewiß: des Nachts sind alle Katzen gleich grau: aber auch alle Frauen der Berliner Nächte sind gleich gräulich. Endlich! Endlich wieder einmal eine Pariserin! Ich bin neugierig, ob Sie mich noch kennen. Lange ist es her, daß wir mit Freunden bei Paillard saßen.

Darf ich Sie morgen um 6 Uhr zum Tee im Sanssouci erwarten. An Ihren Orchideen will ich Sie erkennen.

Empfangen Sie, gnädige Frau, die Versicherung aufrichtiger Gefühle von

Ihrem Georg Held.«

»Ich kenne ihn nicht«, wiederholte Lu.

»Fabelhaft!« rief Liane. »Ich glaube es gern! Ich kenne ihn auch nicht, aber er ist ein netter Kerl. – — Da ist noch etwas« – und sie nahm einen Hotelzettel aus dem Kasten, auf dem stand: »Unten ist ein Strauß Orchideen abgegeben worden.«

»Natürlich!« sagte Liane. »Aber nun steh’ auf; du weißt, was der Arzt gesagt hat, du muß dich zerstreuen; wir werden am Abend mit unserm gemeinsamen Freunde Held ins Theater und dann soupieren gehen. Er ist ein netter Kerl. Gefällt er dir nicht, so gehört er mir.«

»Ich verzichte im voraus!« sagte Lu.

»Das gebe ich nicht zu«, erwiderte Liane; »ich schicke dir jetzt Selma und die Friseurin – mach’ dich so hübsch wie irgend möglich; dir fällt es ja nicht schwer; ich glaube beinahe, daß es sich lohnt.« Dann ging sie auf ihr Zimmer.

– — – — – — – — – —

Zur gleichen Zeit fuhr Held in einem Automobil im Hotel Esplanade vor. Er ging ins Zimmer des Managers, der aufsprang und ihn höflich begrüßte.

»Da haben Sie was Schönes angerichtet!« sagte Held; und mehr im Scherz fügte er hinzu: »Eigentlich müßte ich Ihnen diesmal die Gratifikation zu Neujahr kürzen.«

»Worin habe ich gefehlt?« fragte der Manager.

»Wie lautet unsere Abmachung?« fragte ihn Held.

»Daß ich Herrn Held von der Ankunft jeder alleinreisenden, eleganten jungen Dame, von der ich annehmen darf, daß eine Annäherung für Herrn Held von Interesse ist und Zweck verspricht, unverzüglich telephonisch zu benachrichtigen habe. – Ist das nicht erst heute wieder geschehen?« fügte er hinzu.

»Ja, aber Sie haben mir nicht gesagt, daß die Damen zusammengehören. Ich habe natürlich beiden denselben Brief geschickt.«

»O je«, rief der Manager.

»Sie kennen ja den Inhalt«, sagte Held.

»Gewiß, ich hatte schon manche Unannehmlichkeiten deswegen.«

»Aber nicht genug damit; ich habe mich geirrt und die Rendezvous-Zeiten der beiden Damen verwechselt.«

»Und was ist geschehen?«

»Fragen Sie noch? Ich habe versucht, der einen einzureden, daß sie die andere ist.«

»Teufel ja . . . nun und?«

»Sie hat es sich ganz einfach nicht einreden lassen. Was ich nun der andern sagen soll, weiß ich nicht. Jedenfalls« – und er nahm aus der Tasche ein kleines Kuvert und gab es ihm – »schicken Sie den Damen, welcher, ist jetzt natürlich ganz gleichgültig, diese Billette hinauf, und wenn sie sich nach mir erkundigen, so sagen Sie nur, Sie kennen mich gut; ich hätte keine Fehler weiter: nur, ich wäre ein bißchen zerstreut. Sie sollten sich über den Vorfall und seinen Zusammenhang nicht weiter den Kopf zerbrechen. Denn glauben Sie mir, eine hysterische Frau kann bei so etwas um den Rest ihres bißchen Verstands kommen.«

Der Manager versprach’s, und Held ging.

XXVII

Liane ruhte nicht eher, als bis Lu eine halbe Flasche Lansson heruntergegossen hatte.

»Du siehst aus wie der Tod!«

»Mir ist auch so!« erwiderte Lu.

Dann stiegen sie ins Auto und fuhren ins Theater.

»Willst du nicht wissen, wohin wir fahren?« fragte Liane, als sie in die Königgrätzer Straße bogen.

»Nein«, sagte Lu.

In der Behrenstraße erwartete sie Held vor dem Theater.

»Sie haben lange auf uns gewartet«, sagte Liane, als sie aus dem Wagen stieg. »Da!« – und sie wies auf Lu – »beschweren Sie sich bei Ihrer Freundin – sie ist schuld, daß wir uns verspätet haben.«

»Entschuldigen Sie«, sagte Lu und sah ihn an; Gott sei Dank, sie kannte ihn nicht.

Dann führte er beide in die Orchesterloge und tat, als wenn er seit Jahren mit ihnen bekannt wäre. Das Theater hatte längst begonnen. Die Damen legten die Mäntel ab. Alle Herren und Damen in der Loge sahen auf. Held knipste die elektrische Birne an und stellte vor:

»Elsa Forselia, eine rassige Schönheit, aber ohne moralische Grundsätze.«

»Wie oft«, kreischte Elsa Forselia, »habe ich dir gesagt, wenn du mich Damen vorstellst, so kannst du dir diesen Zusatz ersparen!«

»Werd’s mir merken«, erwiderte Held; dann nahm er Herta Flohr unter den Arm: »Und dies hier, meine Damen, ist Herta Flohr, die schickste und begehrteste Frau der halben und die beste Tänzerin der ganzen Welt. – Hier Anny de Lévenny, auf deutsch Anna Lehmann, eine vielgewandte Dame aus . . . wo stammst de doch gleich her?«

»Aus Südfrankreich«, erwiderte Anny mit erkünsteltem Akzent.

»So! . . . als wir vorige Woche zusammensaßen, warst de aus Brest.«

»Na ja!« wollte sie sagen; aber schon lag ihr Liane am Hals:

»Eine Landsmännin, scharmant!« Und ein Redestrom in französischer Sprache ergoß sich über Anny Lehmann, die kein Wort verstand und regelmäßig, wenn Liane Atem schöpfte und eine Panse entstand, »Wuie« sagte, lächelte und mit dem Kopfe nickte.

»Das dauert mir zu lange«, sagte Held; »ihr könnt euch nachher weiter unterhalten; außerdem stört ihr die Vorstellung. Vorwärts!« Und er stellte Anna Lehmann beiseite und schob Elise Arnhold vor: »Dies die Frau mit dem Stich ins Bürgerliche; der Typ für alternde Junggesellen, die auf behagliche Häuslichkeit und gute Behandlung mehr Wert legen als auf rauschende Froufreus und durchbrochene Strümpfe. —

Und nun die Herren! ’ran! Dr. Paul Haak, Christ mit ausgelöschter Vergangenheit und deutsch-konservativer Gesinnung; bei der Kgl. Preußischen Regierung beschäftigt; Leutnant der Reserve. – Max Freudenheim; Landjunker; völlig assimiliert, nur Äußeres und Benehmen mahnen noch an seine Väter. – Dr. Geldern; Tolstoianer; Misanthrop, Melancholiker, Moralist mit Wedekindschem Einschlag. – Fritz Helldorf, Krösus mit Riesenrente und unbegrenztem Kredit. – Graf Seydlitz mit Riesenstammbaum und unbegrenzten Schulden. – Und nun, meine Damen und Herren, mache ich Sie mit den beiden reizvollsten Pariserinnen bekannt: Mademoiselle Liane de Villiers und Mademoiselle Lu Courcelles.«

»Sehr angenehm,« sagte Thielscher, der gerade auf der linken Seite der Bühne stand und verbeugte sich in die Loge hinein, »vielleicht bemühen sich die Herrschaften auf die Bühne, damit dem Publikum nicht so viel von Ihrer Unterhaltung verloren geht.«

Man klatschte, und aller Augen wandten sich zur Loge, in der Herta Flohr, Anny de Lévenny und Elsa Forselin sich möglichst zur Geltung zu bringen suchten. Lu weigerte sich, nach vorn zu gehen und setzte sich so, daß niemand sie sehen konnte.

»Eine reizende Frau, diese Liane de Villiers,« sagte Anny de Lévenny zu Paul Haak, »scharmant! Wir haben glänzend miteinander konfersiert.« Aber sie mühte sich doch, eine Fortsetzung dieser Konversation zu vermeiden, und hielt sich den ganzen Abend über in respektvoller Entfernung von Liane.

»Ein schönes Theater«, sagte Liane.

»Nicht wahr?« erwiderte Elsa Forselia.

»Ganz innenarchitektonisch«, meinte Herta Flohr.

»Absolut«, bestätigte Elsa.

»Ich verstehe nicht ganz den Zusammenhang der Handlung,« fragte Liane nach einer Weile, »hat das alles denn einen Sinn?«

»Welche Frage?« antwortete Elsa überlegen. »Ich besuche das Stück heute zum 21. Male; ich bin nicht ungebüldet, aber ich muß gestehen, man entdeckt jedesmal neue Schönheiten, die einem bisher entgangen waren.«

»Georg hätte doch lieber das erstemal mit Ihnen in ein Theater gehen sollen, in dem es nicht so sehr auf das ankommt, was gesprochen wird«, meinte Herta.

»Zu Reinhardt in den Faust,« bestätigte Elsa, »da wird zwar auch viel gesprochen, aber das stört nicht, denn die Ausstattung ist feenhaft!«

»Nun passen Sie auf«, rief Herta Flohr. »Jetzt kommt die berühmte Komödie ›Oedipus‹,« sagte Herta, »die gibt Reinhardt auch; aber den ganzen Abend über nichts weiter; und nun denken Sie, was hier daneben noch alles geboten wird!« —

»Sie können ja gar nichts sehen«, wandte sich Held auf französisch an Lu.

»Ich danke, ich sehe genug«, erwiderte sie und sprach Deutsch.

»Sie sprechen Deutsch?« fragte er ganz enttäuscht.

»Ich bin Deutsche«, erwiderte Lu.

So eine Dummheit! Wozu sagt sie das? dachte Liane.

Und Anny de Lévenny schüttelte spöttisch den Kopf:

»Ich habe das auf den ersten Blick gesehen«, sagte sie zu Dr. Haak. »Auch diese Liane spricht ein miserables Französisch.« – Sie fühlte sich wieder sicher und rückte ihren Stuhl in die vordere Reihe.

»Dann haben Sie aber lange in Paris gelebt«, sagte Held. »Ich hätte geschworen, daß Sie eine Französin sind.«

»Ich hatte eine gute Schule«, erwiderte Lu und wies auf Liane.

»Ich habe es sofort an Ihrem Akzent gemerkt,« sagte Freudenheim, »daß Sie Süddeutsche sind.«

»Ich bin Berlinerin«, erwiderte Lu.

Herta Flohr lachte laut auf. »Nicht einmal Süddeutsche!« rief sie. »Na, George, da hast du dich aber mal fein in die Tinte gesetzt mit deinen reizvollsten Pariserinnen.«

Freudenheim grinste schadenfroh und rückte näher an Lu heran.

»Sagen Sie, woher kennen wir uns eigentlich?« fragte er sie.

Lu erschrak; sie sah ihn groß an . . .:

»Etwa . . .?«

Er grinste frech: »Nun? Woher meinen Sie?«

»Kennen Sie mich wirklich?« fragte sie ganz bestürzt.

»Ich glaube«, sagte er und kniff die Augen zusammen.

»Ich flehe Sie an – ich bin es nicht – Sie irren sich —« jammerte Lu.

»Sie sind es!« sagte er jetzt bestimmt.

»Nun denn: ja,« sagte sie, »aber Sie verraten mich nicht; versprechen Sie’s mir; ich würde unter die Erde sinken vor Scham.«

»Unter einer Bedingung.«

»Jede«, erwiderte Lu.

»Also . . . meine Bitte ist erfüllt?« fragte er sie.

»Welche? Sie haben ja noch gar nichts gesagt.«

Er sah sie frech an: »Gibt es noch etwas anderes, als was ich meine?«

»Was meinen Sie?«

»Nein, diese Verstellung«, sagte er ziemlich laut; »was kann es denn schon für ’n Wunsch sein, den eine Frau wie du einem Manne erfüllen kann?«

Lu glaubte erst, daß er sich irrte, als er sie mit Du ansprach – aber nein – gewiß nicht, denn sie begann jetzt zu begreifen.

»Sie . . . Sie sind . . .« stammelte sie.

»Also einverstanden?« fragte er in aller Ruhe, als handle es sich um einen Kuhhandel.

»Ich soll . . .?«

»Heute nacht mein sein . . .« – er hielt ihr die Hand hin. »Schlag’ ein!« sagte er.

Lu saß da und rührte sich nicht; sie stierte ihn groß an; ihr Herz ging schnell; sie zitterte am ganzen Körper – sie wollte etwas erwidern – aber so sehr sie sich quälte, sie brachte kein Wort heraus.

»Sie, . . . das . . . ist . . . ja . . . Irrsinn!« keuchte sie, und ihre Stimme bebte.

Schön, so werde ich also allen erzählen, daß du . . .« er machte eine Pause.

Da hob sie zitternd den Arm und gab ihm die Hand.

»Abgemacht!« sagte er und schob seinen Stuhl zurück.

Er lachte in sich hinein.

»Die arme Person hat Kummer?« fragte ihn Geldern.

»Ich beobachte sie seit einer halben Stunde.«

»Unsinn! Angst hat sie«, erwiderte Freudenheim.

»Wovor?«

»Weiß ich? Wahrscheinlich hat se was auf’m Kerbholz, ’ne kleine Hochstapelei oder was Ähnliches. Jedenfalls, als ich ihr sagte, daß ich sie kenne – denn eine Berliner Kokotte, die so elegant auftritt, muß man doch unbedingt schon irgendwo gesehen haben – in Baden-Baden oder Ostende oder Monte Carlo – da bekam sie einen Riesenschreck – vielleicht hielt sie mich für einen Detektiv – meine Sorge – jedenfalls wird sie heute nacht aus Liebe mit mir zusammen sein.«

»Aus Liebe nennst du das?« sagte Geldern und war empört. »Aus Furcht!«

»Was dasselbe ist,« erwiderte Freudenheim, »denn einen Mann, den eine Kokotte fürchtet, liebt sie auch; ob dabei ihre moralischen Qualitäten den staatlichen Anforderungen genügen, ist für die Zwecke, die ich verfolge, sehr nebensächlich. Ich werde jedenfalls meine Brieftasche und meine Goldsachen bei Hiller deponieren, bevor ich mit ihr ins Hotel gehe.«

Geldern wandte sich ab. »Ich habe dafür kein Verständnis«, sagte er.

»Schade für dich«, erwiderte Freudenheim und lachte.

In der Pause schlug Held vor, ins Foyer zu gehen. Nur Lu lehnte ab: ihr Kopf, die lange Reise, die vielen Menschen, – das alles führte sie als Grund an.

»Zieraffe,« sagte Herta, »wir sind ihr nicht fein genug.«

»Oder«, meinte Anny, »sie fürchtet, ich könnte Franzée mit ihr parlieren.«

»Sie wagt sich nicht einmal ins Foyer«, flüsterte Freudenheim und bat Geldern, bei ihr zu bleiben. – Geldern blieb allein mit ihr zurück.

»Ist es Ihnen lieber, wenn Sie allein sind?« fragte er sie.

Sie sah ihn an.

»Haben Sie denn niemand, mit dem Sie sich aussprechen können?« fragte er weiter. »Sie quälen sich ja furchtbar.«

Sie schüttelte den Kopf.

»Keine Menschenseele auf der ganzen Welt?«

»Keine«, sagte sie traurig.

»Aber den Wunsch hätten Sie?«

»Ich weiß nicht.«

»Man sieht es Ihnen an: Sie haben Kummer.«

Sie schüttelte den Kopf.

»Nein?« sagte er und war erstaunt. »Dann sehnen Sie sich nach irgend etwas?«

»Wonach sollte ich mich sehnen?« fragte sie.

»Aber Wünsche haben Sie – unerfüllte Wünsche?«

»Ich habe längst keinen Wunsch mehr«, sagte sie breit und schwer.

»Sie stehen allein?«

»Das tue ich«, stöhnte Lu.

»Und fühlen sich einsam?«

»Mir ist am wohlsten, wenn ich allein bin – das heißt, Sie stören mich nicht.«

»Ich meine es gut mit Ihnen«, sagte er weich.

Sie nickte.

»Sie wissen?« fragte er erstaunt.

»Ich fühle es«, erwiderte Lu.

Nach einer Weile fragte Geldern:

»Sie leiden?«

»Ja«, nickte sie.

»Ich möchte Ihnen helfen.«

Sie sah ihn dankbar an.

»Darf ich?«

»Mir kann kein Mensch helfen«, sagte sie. – Sie quälte sich mit jedem Wort, und man fühlte, wie sie litt.

»Aber was ist Ihnen,« fragte er lebhaft, »so reden Sie doch.«

»Ich kann einfach nicht weiter!« stieß sie hervor.

Sie schien verzweifelt. »Ich kann einfach nicht weiter« – der Ton, in dem sie das sagte, schnitt ihm ins Herz.

»Und auch nicht zurück?« fragte er nach einer Weile.

Lu fuhr zusammen.

»Wie meinen Sie das?« zitterte sie und sah ihn ängstlich an. »Oder wissen Sie etwa auch?«

»Nein!« sagte er. – »Aber ich weiß: wie es auch ist, Sie müssen sich Ruhe schaffen.«

»Auf Ruhe würde ich ja verzichten, – wenn ich nur weiter wüßte.«

»Haben Sie eine Unvorsichtigkeit begangen?« – Deutlicher durfte er nicht werden, um sie nicht zu kränken.

»Irgend etwas Unüberlegtes?«

»Ich habe zu viel überlegt – meist für andere – das war mein Unglück. Und nun, wo ich am Ende bin, fehlt mir der Mut oder die Kraft – ja, ich weiß ja selbst nicht, was es ist, jedenfalls fehlt mir das letzte; – ich kann einfach nicht – sehen Sie es mir denn nicht an; – mir stockt der Atem, wenn ich nur daran denke, ich soll mit diesem . . . da, fassen Sie mich an« – sie legte ihre Hand auf seine – »mir wird eiskalt bei dem Gedanken« – sie schüttelte sich – ». . . irgendwas in mir wehrt sich – ob es Scham ist? Oder Ekel? Oder« – sie sah ihn ganz verzweifelt an – »jedenfalls, ich kann nicht!«

»So ist es das!« sagte Geldern mehr zu sich selbst. – »Und seit wann . . .?« Er scheute sich, den Satz zu Ende zu führen.

»Lange genug, um zu wissen, daß es nicht geht!«

Die Pause war zu Ende; die andern kamen wieder in die Loge.

»Lieber Freund,« sagte Liane zum Grafen Seydlitz, »daß Ihr Pedigree bis in die Zeit des Großen Kurfürsten zurückreicht, haben Sie mir nun schon ein Dutzend Mal erzählt.«

»Ist es Ihnen denn ganz gleich, mit wem Sie zusammen sind?« fragte er gekränkt.

»Durchaus nicht«, erwiderte Liane. »Aber, da es sich ja um keine Ehe, sondern nur um eine Nacht handelt, so ist Ihr lückenloser Stammbaum ein zu platonisches Vergnügen, um über die materiellen Mängel hinwegzutäuschen. Aber so kommen Sie endlich, Graf, wir müssen zurück, es hat längst angefangen.«

»Ich sehe den Schmarren heute zum elften Male«, erwiderte er.

»Das spricht sehr für Ihre Gründlichkeit«, entgegnete Liane. »Aber da ich zum ersten und wahrscheinlich zum letzten Male hier bin, so begleiten Sie mich jetzt vielleicht in die Loge.«

»Gern«, erwiderte er verärgert; und zu sich selbst sagte er: Früher war so ’ne Person froh, wenn unsereins mal zu ihr herabstieg . . . als ob da jemals von Geld die Rede gewesen wäre, – auf seiten der Frau jedenfalls bestimmt nicht; aber heute treiben einen die Frauenzimmer mit ihren sozialistischen Ideen ja geradezu in die Ehe.

Als sie in die Loge traten, standen Freudenheim und Geldern dicht beieinander.

Freudenheim grinste spöttisch, und Liane hörte deutlich, wie er sagte:

»Da hast du dir wieder einen netten Bären aufbinden lassen; dir können die Weiber auch einreden, was sie wollen.«

Sie verstand nicht, was Geldern sagte – aber er widersprach wohl, denn Freudenheim klopfte ihm auf die Schulter und meinte:

»Du fällst noch einmal gehörig rein mit deiner Gutgläubigkeit.«

XXVIII

Nach dem Theater saßen sie bei Hiller; hinten in dem großen Zimmer.

Geldern führte Liane.

»Sagen Sie, Herr Doktor, geht es alle Abende bei Ihnen so lustig zu?« fragte sie nach einer Weile ironisch.

»Mich dürfen Sie nicht fragen,« erwiderte Geldern, »es geschieht alle paar Jahre einmal, daß ich solche Eskapaden mitmache.«

»Diese Menschen passen doch gar nicht zueinander!« meinte sie. »Was führt sie zusammen?«

»Der Stumpfsinn!« erwiderte Geldern. »Sie soupieren zusammen und reden von Weibern, vom Sport, von der Mode und vom Theater, und wenn das Pensum erschöpft ist, setzen sie sich an den runden Tisch, trinken Whisky und machen ein Jeu; in demselben Augenblick sind alle Gegensätze ausgeglichen, haben alle die gleichen Interessen, und sie gleichen sich wie ein Ei dem andern.«

»Und die Frauen?« fragte Liane.

»Sie sehen ja! Die leiden alle nicht an geistiger Überanstrengung; und solange sie den Mund nicht auftun, ist ihre Gesellschaft immer noch erträglicher als die ihrer Tischherren; einige sprechen nicht einmal falsch Deutsch.«

»Gibt es nicht bessere Kreise?« fragte Liane.

Geldern schüttelte den Kopf.

»Besseres kaum. Vielleicht Ausgeglicheneres. – Stillos, werden Sie sagen; und ich stimme Ihnen zu. Anfang der neunziger Jahre gab es bei uns noch so etwas wie eine Jeunesse dorée; da existierten ungeschriebene Gesetze für die Formen, in denen man sich des Nachts bewegte. Glauben Sie mir, daß damals mehr Takt und mehr Kinderstube dazu gehörte, sich auf den Parketts des nächtlichen Berlins, als in den Tiergartensalons zu bewegen. Heute ist – wie alles andere – auch das Berliner Nachtleben amerikanisiert; der Grad des Vergnügens hängt heute lediglich von der Zahl der Menschen, die einen gesehen haben, von der Größe und Pracht der Lokale und der verausgabten Summe ab.«

Helldorf, der etwas von der Unterhaltung erlauscht hatte, nahm das Gespräch auf und fragte Lu, die neben ihm saß:

»Langweilt Sie nun nicht der ganze Klöngel?«

»Mir fehlt der Sinn dafür«, erwiderte sie.

»Mir auch; mir imponiert überhaupt nichts weiter als Geld, und es macht mich krank, zu wissen, daß andere mehr haben als ich.«

»Dann müssen Sie nur mit Menschen zusammenkommen, die weniger haben als Sie«, meinte Lu. »Das kann nach dem, was man vorhin von Ihrem Reichtum erzählte, doch nicht schwer fallen.«

»Sie meinen den Adel?« Das ist verflucht teuer, sage ich Ihnen; denn die verkehren natürlich nur meines Geldes wegen mit mir; – um mich anzupumpen.«

»Warum suchen Sie sich Ihren Umgang nicht unter Künstlern und Gelehrten; das denke ich mir doch auch viel anregender als . . .« und sie wies auf die Gesellschaft, die hier zusammensaß.

»Ach wat! An Anregung liegt mir nu schon gar nichts. Und meinen Sie, die Künstler pumpen nicht? Vielleicht kleinere Beträge; dafür sehen se so unmöglich aus und haben so schlechte Manieren, daß man sich nirgends mit ihnen sehen lassen kann.«

»Sie haben demnach keinen Sinn für Kunst?« fragte Lu.

»Nee,« sagte Helldorf, »’ne schöne Frau is mer lieber; aber auch nur, wenn se bequem is.«

»Was meinen Sie damit?«

»Eine, mit der man nicht zu schmusen braucht; die gut aussieht und einem nicht mit ihrer Liebe auf die Nerven fällt.«

»Solche Frauen sollten doch leicht zu finden sein.«

»Bei uns in Deutschland?« Er schüttelte den Kopf.

»Hier glaubt jede Frau, selbst das Ballhausmädchen, daß es einen für den Lappen, den man ihm schenkt, lieben muß. Und wissen Sie, was das bedeutet, von einer deutschen Frau geliebt zu werden? Ich versichere Sie, es gibt nichts Rücksichtsloseres als solche Liebe.

Des Morgens schon klingelt sie einen aus dem Schlafe, – man fährt auf, erschrickt und denkt Wunder, was geschehen ist – um zu fragen, ob »der süße Schnuck« auch gut geschlafen hat; dabei hat sie einen aus lauter Liebe des Nachts vorher so lange bei sich festgehalten, daß man mit einem schweren Schädel und einer Stimmung daliegt, in der man sämtliche Frauen zum Teufel wünscht.

Des Mittags schleppt sie einen zu ihrem Schneider, damit sie nur ja in allem auch unsern Geschmack trifft. Dabei benutzt sie unsere Gegenwart nur, um uns für alle ihre Wünsche gefügig zu machen. Sie wählt natürlich sich eine Stunde, zu der der Modesalon überfüllt ist. Denn sie kennt uns genau und weiß, daß wir zu feinfühlig sind, um in Gegenwart von Fremden nein zu sagen oder gar eine Szene heraufzubeschwören, für die sie an solchen Tagen infolge einer Migräne, von der sie uns durch ein Riechfläschchen, das sie sich alle Augenblicke unter die Nase hält, warnend in Kenntnis setzt, ganz besonders prädestiniert ist.

Beim Lunch quält sie uns mit Eifersucht – meist, um dahinter ihr Rendezvous zum Five o’clock tea zu verbergen, denn indem sie uns zwingt, sie von unserer Treue zu überzeugen, lenkt sie uns davon ab, ihrer Untreue nachzuspüren. Und wenn sie dann ihr Rendezvous glücklich hinter sich hat – die einzigen Stunden, die sie uns Ruhe gönnt, – glaubt sie ihr beschwertes Gewissen dadurch erleichtern zu müssen, daß sie ihre Zärtlichkeiten verzehnfacht. Sind wir müde und wollen nach Haus, gleich denkt sie: Halt! Er hat etwas gemerkt; und die Folge ist, daß sie nicht eher ruht, als bis wir, oft ganz gegen unsere Absicht, auf dem Altar der Liebe geopfert haben.

Und wenn wir dann eines Tages das Bedürfnis fühlen, uns zu verändern, dann geht sie, um auf die Abfindungssumme zu drücken, in ihrer Liebe gar so weit, daß sie Gift nimmt; das natürlich nicht tödlich wirkt. Oder sie stürzt sich in einer belebten Gegend, in der Nähe eines Rettungsbootes und eines Schutzmannes, mit einem gellenden Aufschrei ins Wasser; natürlich wird sie gerettet. Aber der Skandal bleibt an uns kleben. – Glauben Sie mir nun,« – und er holte Atem – »daß es kein Vergnügen ist . . .«

Lu war für einen Augenblick belustigt. ». . . Und gibt es denn gar keinen Schutz gegen alle diese Gefahren?« fragte sie ihn.

»Aber natürlich! Ich bin sofort bereit, unter folgenden Bedingungen mit Ihnen abzuschließen.« Und er zog aus seiner Tasche ein gedrucktes Formular, entfaltete es und breitete es vor ihr aus. Es enthielt einen Vertrag mit unzähligen Paragraphen. Alle Fälle waren behandelt, die bei einem auf freier Liebe begründeten Verhältnis zwischen zwei in der großen Welt lebenden Menschen möglich waren. Bis in die kleinsten Details: allein zwölf Trennungspunkte gab es, und je nach der Dauer der Beziehungen und dem Grunde ihres Abbruchs waren bestimmte Abfindungssätze vorgesehen.

»Prachtvoll,« sagte Lu, als sie das Schriftstück durchgelesen hatte, »bei Ihnen sollte man in die Schule gehen; Sie töten in einem den letzten Rest von Idealismus.«

»Bitte!« sagte Helldorf, zog einen Füllfederhalter aus der Tasche und reichte ihn Lu. »Unterschreiben Sie!«

Sie zögerte.

»Überlegen Sie nicht lange; alles Risiko liegt bei mir; ich verlasse mich stets auf den ersten Eindruck, und der gibt mir in allen Fällen recht.«

Lu hielt den Halter in der Hand und wußte nicht, was sie tun sollte.

Alle wurden aufmerksam.

»Ein sonderbarer Geschmack!« flüsterte Herta; sie sagte es ganz leise, aber es herrschte so lautlose Stille, daß jeder es hörte und Freudenheim rief über den Tisch:

»Bitte aber den Vertrag erst ab morgen zu datieren.«

»Kümmern Sie sich gefälligst um Ihre Angelegenheiten«, erwiderte Helldorf.

»Heute« – und er wies auf Lu – »ist diese Dame jedenfalls meine Angelegenheit.«

»Das werden wir ja sehen!« brüllte Helldorf.

»Fragen Sie sie doch!« überschrie ihn Freudenheim.

Allen sah jetzt auf Lu.

»Nun?« sagten beide fast gleichzeitig.

Liane gab ihr ein Zeichen, sich für Helldorf zu entscheiden.

»Müssen solche Dinge denn öffentlich verhandelt werden?« fragte Geldern.

»Ich finde auch, das ist ein Mangel an Delikatesse«, meinte Liane.

Daß die Konkurrenz dieser beiden Frauen gefährlich war, hatte Annie auf den ersten Blick erkannt; endlich konnte sie ihrem Ärger Luft machen.

»Nein, wie feun!« rief sie spöttisch. »Wir Französinnen sind in solchen Dingen sonst gar nicht so überempfindlich.«

Liane lächelte. »Das liegt wohl daran, daß Sie aus einer andern Gegend stammen!« sagte sie.

»Bitte!« wiederholte Helldorf und wies mit dem Finger auf das Papier, das noch immer vor Lu lag.

Freudenheim war aufgestanden.

»Nun! Wird es bald!« forderte er energisch.

»Lassen Sie sich nicht einschüchtern und unterschreiben Sie!« sagte Helldorf.

»Komm’! – Oder . . .« drohte Freudenheim.

Lu quälte sich in die Höhe; ließ den Halter fallen . . .

»Was?« rief Helldorf, dem sonst jede Frau gehörte, um die er warb.

Freudenheim grinste überlegen; ließ sie nicht aus den Augen; hob die Hand und wies mit dem Finger zur Tür.

»Geh’!« sagte er.

Lu krampfte die Hände und hob den Kopf; ekelhaft sah er aus!

»Geh’!« wiederholte er und hielt noch immer den Arm in die Höhe.

Sie schüttelte sich.

»Nein!« sagte sie; und dies ›Nein‹ klang so scharf, als durchschnitte es die Luft.

»Ich warne dich! – Zum letzten Male – —« Und als er über den Tisch nach ihrer Hand griff, da warf sie blitzartig die Arme in die Höhe und krallte die Finger.

Freudenheim beugte sich nach vorn über.

Da nahm Helldorf ein Glas und warf es ihm ins Gesicht. Die Scherben flogen umher und der Sekt spritzte nach allen Seiten. Die Frauen sprangen auf und brüllten wie besessen; griffen im ersten Schreck nach ihren Gläsern und schleuderten sie gegen Freudenheim, der sich wie rasend auf Helldorf stürzte. —

Geldern und Liane hatten Lu, die wie entgeistert noch immer an ihrem Platze stand, unter den Arm genommen und hinausgeführt.

»Nun müssen Sie sich erst von dem Schreck erholen«, sagte Geldern und sah nach der Uhr; es war dreiviertel eins. »Eine schlechte Zeit!« meinte er. Sie gingen über den Damm, die Linden hinunter.

»Es bleibt nur die Bar im Hotel«, meinte Liane.

»Gut!« sagte Geldern; und sie fuhren nach Haus.

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Дата выхода на Литрес:
30 ноября 2019
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Public Domain

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