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Читать книгу: «Frau Dirne», страница 14

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Von Erdt zog einen Revolver. Drexler schlug ihn ihm aus der Hand.

»Sie bleibt!« sagte auch er jetzt mit einer Stimme, die weithin dröhnte.

Frau Ina erschrak.

Drexler stand jetzt dicht vor ihr.

»Oder . . .!« sagte er drohend.

»Wir lassen niemanden zu uns!«

»Wir wehren uns!«

»Zwang gibt es nicht!«

»Wie kommt denn dies Leben in die Gesellschaft?« fragte von Erdt.

»Fragen Sie Frau Mathilde! das ist ihr Werk!« erwiderte Frau Ina.

Drexler stand noch immer drohend vor Frau Ina. Die suchte wenigstens eine moralische Rettung, sie sah verächtlich zu Änne, zog die Schultern hoch, wies auf Drexler und sagte:

»Freilich, wenn es so ist. Ich will sie Ihnen nicht rauben. Ihretwegen mag sie bleiben.«

»Ne!« erwiderte Drexler, »von wegen, was Sie denken, das is nich. Ick bin sie noch nie zu nahe jekommen; weder ick, noch en anderer. Dafor leg' ick die Hand ins Feuer.«

»Man kennt das!« sagte Frau Ina spöttisch.

»Sie nicht! Sie kennen dat nich! – Aber die kann's! – und die bleibt! unter unserm Schutz!«

»Sind wir denn machtlos?« fragte von Erdt.

»Da kommt unsereins nicht mit,« erwiderte Frau Ina. »Bedenken Sie doch, daß uns eine Welt von der Art Menschen trennt.« – Sie gab ihm einen Wink und sagte: »Kommen Sie!«

Er reichte ihr den Arm und sie gingen. Als sie auf der Treppe waren, ließ sie ihn los und sagte:

»Feigling!«

Er fragte erstaunt:

»Wieso?«

»Warum haben Sie ihn nicht niedergeknallt? Der Kerl ist im Wege – und gefährlich!«

»Sie haben recht,« erwiderte von Erdt. »Das nächstemal.«

Oben herrschte große Freude. Die Mädchen umringten Änne, hoben sie auf die Arme und trugen sie triumphierend in ihr Zimmer.

Dreizehntes Kapitel

Als Nelly des Abends ihr Bett aufdeckte, fand sie auf ihrem Kopfkissen einen verschlossenen Brief, den sie hastig öffnete. Es waren die Schriftzüge Wolfgang von Erdt's:

Nelly!

Ich bewundere die Kunst, mit der Du mich jahrelang glauben ließest, daß ich der treibende Teil unserer Liebe sei. Oft schien es mir, als seist Du eine Kreatur von mir, außerstande, ohne mich zu leben oder nur zu atmen. Mit einer Hingebung, die den freien Willen ausschloß und sich bedingungslos mir unterwarf, schienst Du unter Aufgabe Deiner Persönlichkeit an mir zu hängen. Ich fühlte mich für alles, was Du tatst, verantwortlich, weil Du, seitdem Du mir gehörtest, ein anderer Mensch zu sein schienst. Ich hatte mich daran gewöhnt, für Dich zu denken und zu handeln, und es war ein väterliches Gefühl, ganz unabhängig von Mathilde, durch das mir unsere Liebe oftmals sündig schien.

Nelly! seit gestern weiß ich nun, daß Du es warst! Du wecktest mein Gefühl, leitetest meine Gedanken, bestimmtest mein Handeln. Ich war Dir untertan, und während Du mir gehorsam wie ein Kind zu folgen schienst, ging, was ich wünschte und befahl, von Dir aus. Je mehr ich darüber nachdenke, um so klarer wird mir alles. Oft erkannte ich mich nicht wieder und staunte über mich selbst und wußte nicht, wie ich zu diesem und jenem Gedanken kam. Heut weiß ich es.

Und wie mein väterliches Gefühl und Deine Willenlosigkeit mich oft bedenklich stimmte, so daß ich nicht wußte, wie ich zu Dir stand, kommt jetzt, wo Du Dein wahres Herz enthülltest, alles, was ich für Dich fühle, elementar zum Durchbruch. Es gibt in dieser Stunde für mich keine Überlegung und keine Hemmung mehr. Ich glaubte mich Deiner sicher, der ich Dich einer selbständigen Handlung nicht für fähig hielt. Das Gefühl der Sicherheit aber ist der Liebe Tod. Der Gedanke, Dich zu verlieren, kam mir nie; den Gedanken, Dich aufzugeben, wies ich von mir, da ich glaubte, daß mein Verlust für Dich den Tod bedeute.

Heute bekenne ich: die Rollen sind vertauscht. Ich hänge von Dir ab; ich bin kein Mensch ohne Dich; ich kann keinen Gedanken ohne Dich fassen. Ich fühle, daß ich, was ich in den letzten Jahren war, tat, dachte, durch Dich war, dachte und tat, und daß ich ohne Dich auch in Zukunft nichts denken und nichts schaffen kann. Ich bin in Dir, wie ich von Dir glaubte, daß Du in mir seiest. Und wie ich Dich nicht aufgab, weil ich wußte, daß es Dein Tod sein würde, so verlange ich nun auch von Dir, daß Du mich leben läßt. Bestimme! Ich unterwerfe mich.

Dein

W. v. E.

Nelly las den Brief zweimal und strahlte dabei über das ganze Gesicht. Dann setzte sie sich an den Schreibtisch, stützte den Kopf auf, sann nach, lächelte und schrieb:

Herrn Privatdozenten Dr. Edmund Keller.

Mein Herr!

Erschrecken Sie nicht! Ich habe eine furchtbare Entdeckung gemacht! Denken Sie, ich habe mich geirrt. Sie waren gar nicht der Mann, den ich liebe. Es liegt da eine Verwechslung vor, die Sie bitte entschuldigen wollen. Im Vertrauen, lieber Doktor: Sie verlieren an mir nichts. Ich bin sehr ungezogen – ich weiß es! Aber ich bin nun mal verliebt und daher übermütig. Seien Sie froh, daß Sie nicht der Betroffene sind. Und behalten Sie in guter Erinnerung

Ihre Ihnen ergebene

Nelly Brückner.

Diesen Brief tat sie in ein Kuvert und schrieb dann weiter:

Wolfgang!

Es ist nicht ganz so, wie Du es siehst; aber so ähnlich. Lies beiliegenden Brief! Wie ich mein Hindernis beseitige, so beseitige Du Deins! In der Liebe gibt es keine Kompromisse; da heißt es: biegen oder brechen.

Nelly.

Vierzehntes Kapitel

Auf Mariannes Tisch standen jetzt jeden Morgen Blumen. Alle fünf Minuten ging sie an die Vase heran, roch an den Blumen, fuhr mit den Händen darüber hin und küßte sie.

Doktor Winter war mit Mathilde Brückner in regen Verkehr getreten.

»Marianne ist noch gar nicht verdorben,« sagte er.

»Also brauchen Sie sich auch nicht zu bemühen, sie zu bessern. Sie soll nur bleiben, wie sie ist.«

»Aber dies Leben, das sie führt«, erwiderte Mathilde, und Doktor Winter fiel ihr ins Wort und sagte:

»Führt sie unbewußt. Im übrigen, ich habe mich mit Frau Ina . . .«

»Sie meinen Frau Rittmeister Mertens?«

»Verzeihung! Natürlich! – Man nennt die Dame so allgemein Frau Ina . . .«

»Sie hat es nicht gern.«

»Durchaus verständlich. Jedenfalls: ich habe für Marianne bei ihr einen Urlaub erwirkt.«

»Sie nehmen sie mit sich?«

»Nein! Ich bringe sie zu meiner verheirateten Schwester.«

»Als was?« fragte Mathilde erstaunt.

»Als Marianne.«

»Und Ihre Frau Schwester?«

»Ist ein guter Mensch.«

»Sie weiß?«

»Alles! – Auch, daß ich Marianne liebe.«

»Doktor!«

»Erschreckt Sie das?«

»Doktor!« wiederholte Mathilde und ergriff seine Hand. »Sie sind ein edler Mensch!«

»I Gott bewahre! Ich bin ein Egoist und denke an mein Glück dabei.«

Fünfzehntes Kapitel

Ännes Vater war einer der bedeutendsten Großindustriellen der Stadt. Wenn er seine Tochter nicht verstand und sie verurteilte, so lag das an den gesellschaftlichen Vorurteilen, denen er unterworfen war. Als Änne schließlich, wie er es sah, immer tiefer sank, war sie für ihn tot. Es durfte über sie nicht mehr gesprochen werden. Sie hatte seinen guten Namen geschändet. Gründe, die das rechtfertigten, konnte es nicht geben. Aber es fraß doch an ihm; und es wurde schließlich bei ihm zur fixen Idee, daß Menschen, die ihm nicht wohl wollten und sich von ihm schlecht behandelt glaubten, sich durch seine Tochter an ihm rächten. Darum hatte er auch wiederholt durch Dritte auf sie einzuwirken versucht. Er wollte ihr Leben sicherstellen; sie sollte einen anderen Namen annehmen und irgendwo, möglichst weit fort, wo niemand sie und ihre Geschichte kannte, leben. Änne hatte das regelmäßig abgelehnt.

Eines Sonntags vormittag meldete der Diener den Grafen von Scheeler. Ännes Vater empfing. Der Name bürgte für die gesellschaftliche Qualifikation.

»Es fällt mir einigermaßen schwer,« begann der Graf, »den Anfang zu finden. Ich bin kein Redner – zumal in einem Falle wie diesem, fällt es mir schwer, zu sagen, was mich bewegt.«

»Sie dürfen sich mir ruhig anvertrauen.«

»Es geht auch nicht anders, als daß ich persönlich werde und von mir spreche. Ich bin verschuldet und stand im Begriff, eine – sagen wir ruhig – Gemeinheit zu begehen.«

»Durch eine Ehe vermutlich?«

»Ja! Nach außen, was die soziale Stellung anbelangt, passabel, aber innerlich faul.«

»Und wie kommt es, daß Sie das mir, einem Menschen, der Ihnen völlig fremd ist, anvertrauen?«

»Ich hatte das Glück, Ihre Tochter kennenzulernen.«

Der Alte wich einen Schritt zurück.

»Ihr verdanke ich es, daß ich mich zu mir zurückgefunden habe.«

»Meiner Tochter?« fragte er verblüfft und schüttelte den Kopf.

»Ich begreife durchaus Ihr Erstaunen. Ich weiß, Sie haben jeden Zusammenhang miteinander verloren.«

»Wir hatten ihn nie.«

»Das dürfte, soweit es die frühe Jugend Ihrer Tochter betrifft, dann wohl Ihre Schuld sein.«

»Ich habe alles an ihre Erziehung gewandt.«

»Auch Herz?«

Der Alte stutzte.

»Nun, ich kann Sie versichern,« fuhr der Graf fort, »daß trotz allem, was geschah, der Charakter Ihrer Tochter intakt ist.«

»Sie werfen mich von einer Verblüffung in die andere, Herr Graf! Ja, wissen Sie denn nicht . . .?«

»Ich weiß alles!«

»Auch daß sie . . .?«

»Auch das weiß ich. Und kenne auch den Grund, aus dem es geschah. Mich hat ein Zufall mit ihr zusammengeführt. Ich war im Begriff, mir durch eine Ehe, die mir gegen das Gefühl ging, emporzuhelfen. Sie hat mir ins Gewissen geredet und mir das Unsittliche, das darin und in der ganzen Art meines Lebens lag, klargemacht.«

»Ich glaube noch immer, wir reden aneinander vorbei. Meine Tochter heißt Änne und ist, soviel ich weiß . . .«

»In der Neuf d'or.«

»Und von der Stelle aus übt sie einen sittlichen Einfluß auf die Besucher aus?« fragte der Alte nicht ohne Spott.

»Gestatten Sie, daß ich Ihre Tochter gegen Ihren Spott in Schutz nehme. Hätten Sie sich die Mühe gemacht und wären Sie, was gewiß leicht war, nicht nur ihrem äußeren Leben nachgegangen, so würden Sie mit mehr Achtung von ihr sprechen.«

»Sie werden mir glauben, daß ich glücklich wäre, wenn ich Grund dazu hätte. Leider ist das nicht der Fall. Und ehe sie anderen den Weg weist, sollte sie an sich denken.«

»Darum eben bin ich hier. Weil ich ihr zu so großem Dank verpflichtet bin. Und da ich annahm, daß Sie als Vater auch ein Interesse daran haben . . .«

Wäre es nicht der Graf Scheeler gewesen, der Alte hätte, wie schon vielen zuvor, erwidert: Meine Tochter ist tot für mich. Ich rühre für sie keinen Finger. – So aber zeigte er schon des äußeren Eindrucks wegen Interesse.

»Wissen Sie einen Weg?« fragte er.

»Mir scheint alles davon abzuhängen, daß man ihr eine moralische Genugtuung gewährt.«

»Wie? – man ihr? – Habe ich sie etwa in dies Leben hineingesetzt?«

»Da Sie mich danach fragen, so sage ich: Ja!«

Der Alte fuhr auf:

»Herr Graf!«

»Etwas mehr Herz, etwas weniger Konvention, und Sie alle könnten heute glücklich sein.«

»Das sagt man so; aber ich möchte den Vater sehen, der auf seinen Namen hält und anders gehandelt hätte.«

»Mein Vater hätte sein Kind nicht preisgegeben. Ein Kind kann den Namen seines Vaters schädigen, gewiß! Aber ein Vater, der sein Kind preisgibt, gibt seinen Namen preis. Und hätte ich einen Mord begangen – mein Vater hätte den Gründen nachgespürt, ehe er mich preisgab. Und wäre irgendwo ein Anhalt gewesen, um die Tat moralisch zu rechtfertigen, so hätte er sich hinter seinen Sohn gestellt und ihn verteidigt. Ein Kind ist erst verloren, wenn die Eltern es aufgeben.«

»Meine Tochter hat sich selbst aufgegeben.«

»Ich kenne ihr Leben.«

»Durch sie.«

»Sie lügt nicht!«

»Dann werden Sie auch nicht alles billigen, was sie getan hat.«

»Zwischen nicht billigen und verdammen liegt ein weiter Raum.«

»Ich gebe zu, man denkt mit den Jahren milder. Was aber hier noch zu retten wäre, sehe ich nicht.«

»Schreiben Sie ihr ein paar Zeilen. Aber wie ein Vater an sein Kind. Wie Sie sagten: Sie dächten heute anders und bedauerten. Regen Sie sie an zu etwas Gutem! Sie sollte sich frei machen von allem und ihrem Leben einen edlen Zweck geben. Sie stellen ihr die Mittel dazu zur Verfügung.«

Der Alte machte ein nachdenkliches Gesicht.

»Das ginge,« sagte er. »Wenn nicht jeder um sie wüßte. Wer wird sich ihr heute noch anvertrauen. Nehmen Sie an – sie hatte immer Vorliebe für Kinder – man gründete eine Art Kinderheim, ja, glauben Sie, daß ein Vater oder eine Mutter ihr sein Kind anvertraute? Täten Sie's?«

»Ja! – da ich sie kenne.«

Dem Alten schoß ein Gedanke durch den Kopf.

»Ich will es mir überlegen,« sagte er, »und bin Ihnen für Ihre Anregung dankbar. Und da Sie für mein Kind so viel Interesse zeigen, so gestatten Sie vielleicht, daß auch ich mich Ihnen zuwende.«

»Bitte!« sagte der Graf.

»Darf ich ganz offen sein?«

»Ich bitte darum.«

»Eine Rehabilitation meiner Tochter ist nur denkbar durch eine Ehe. Könnten Sie mir dabei irgendwie behilflich sein?«

»Ihre Tochter wird niemals einen Mann heiraten, den sie nicht liebt.«

»Das ist in diesem Falle ja einfach Wahnsinn.«

»Ich erlaubte mir schon zu sagen: sie ist intakt geblieben.«

»Wenn auch – und obschon mir das nicht recht eingeht –, nach dem, was sie sich geleistet hat, wird sie wohl oder übel auf eine Liebesheirat verzichten müssen.«

»Ich glaube auch nicht, daß sie daran denkt.«

»Und Sie – Sie würden auch nicht daran denken?«

»Ich?« fragte der Graf verdutzt. »Wie meinen Sie – ja, wie kommen Sie darauf?«

»Da Sie sie für durchaus honorig halten.«

»Das tue ich!«

»Nun also – Ihre Schulden wären Sie los, und für einen standesgemäßen Unterhalt würde ich Sorge tragen.«

»Wenn das nicht wäre mit dem Geld«, sagte der Graf erregt.

»Wie? – Was?« fragte der Alte.

»Wenn ich unabhängig wäre, ich besänne mich nicht einen Augenblick.«

»Ich mache Sie vorher unabhängig.«

»Das wäre Betrug.«

»Wem gegenüber?«

»Ihrer Tochter.«

»Wir dürfen es in diesem Falle eben alle nicht so genau nehmen.«

»Wenn ich wüßte, sie willigt ein, ich zögerte keinen Augenblick.«

»Fragen Sie sie! Sagen Sie ihr, daß Sie bei mir waren: daß ich mich mit ihr freuen werde; mit ihr und mit Ihnen.«

»Ich versuch's«, sagte der Graf.

Der Alte streckte ihm die Hand hin; er schlug ein.

Sechzehntes Kapitel

An einem der nächsten Tage rief Frau Ina schon am frühen Vormittag die Mädchen in den kleinen Saal. Das war so ungewöhnlich, daß sie sofort wußten: etwas Besonderes mußte passiert sein. Die feierlich-ernste Miene, mit der Frau Ina sie empfing, das schwarze Kleid der Herzogin, die sonst immer in den Farben ihres Papageis ging, und der forciert traurige Ausdruck ihres Mannes, der im Cutaway und mit gefalteten Händen dastand, zeigten, daß ihre Vermutung zutraf.

»Meine Lieben,« sagte sie und tat gerührt, »ich habe die traurige Pflicht, euch von dem Tode der Frau Mathilde Brückner in Kenntnis zu setzen.«

Die Mädchen fuhren erschreckt zusammen; Marianne griff nach Ännes Hand und weinte.

»Mit ihr«, fuhr Frau Ina fort, »verliert ihr eine eurer besten Freundinnen. Keine meinte es so gut mit euch, wie sie. Wir werden zu ihrem Andenken noch eine besondere Feier abhalten. Für heute schickt es sich, daß ihr durch würdigen Ernst, ohne zu lärmen, eure Trauer zeigt.«

Diesen Rat konnte Frau Ina sich ersparen. Denn alle Mädchen fühlten instinktiv, daß mit Mathilde der einzige Mensch, der es außer Änne gut mit ihnen meinte, von ihnen gegangen war. Jede ging in ihr Zimmer, setzte sich da hin, dachte nach und weinte. Nur Änne und Marianne blieben beieinander.

»Sie wird uns allen sehr fehlen,« sagte Änne. »Aber du, Liebling, weißt ja, wo du hingehörst. Du bekommst einen guten Mann und wirst glücklich sein.«

»Nur, wenn ich dich nicht verliere, Änne.«

»An mich mußt du denken, wie an eine Tote; hörst du? Und alles, was vorher war, mußt du vergessen. Du hast geträumt die ganze Zeit über. Nun bist du erwacht! Die Welt erschließt sich dir, und du wirst anfangs Mühe haben, dich in ihr zurechtzufinden.«

»Du mußt mir helfen, Änne!«

»Dazu ist dein Mann da und . . .« sie hielt inne. .

»Was wolltest du sagen?« fragte Marianne.

»Ich dachte an Frau Mathilde. Aber die lebt nicht mehr.«

Marianne schüttelte den Kopf und fragte:

»Glaubst du, daß sie gestorben ist?«

»Aber Kind, wie kannst du zweifeln?«

»Ich glaub' es nicht.«

»Ja, was heißt denn das?«

»Gestern noch war sie bei mir, eine Stunde lang. Und wir haben alles miteinander besprochen. Auch von dir sprachen wir.«

»Das hättet ihr nicht tun sollen.«

»Doch! Du mußt hier fort; sie sagte es auch; deinetwegen und auch für mich. Ich bat sie, mit dir zu sprechen. Sie sagte es zu.«

»Sie war nicht bei mir.«

»Sie wollte heute kommen. Gestern mußte sie nach Hause; zu ihrem Mann, der ihr sein neues Buch diktierte. Er kann nur dichten, wenn sie bei ihm ist.«

»Sonderbar!«

»Ich finde das schön.«

»An sich gewiß. Aber in diesem Falle . . .« –

Sie machte ein nachdenkliches Gesicht.

»Und nun soll sie gestorben sein – warum? woran? Ich glaub' es nicht.«

»Wir wollen's zu erfahren suchen.«

Änne stand auf und ging zur Tür.

»Wo mag Anton stecken? Der weiß es gewiß.«

Auf dem Flur standen Frau Ina, die Herzogin und ihr Mann. Änne öffnete behutsam die Tür, gab Marianne ein Zeichen, still zu sein und horchte dann.

»Mir leuchtet das ein,« sagte Frau Ina. »Und so sollten es alle Künstler machen, die fühlen, daß es mit ihnen bergab geht.«

»Ich fand, sie hatte dazu noch keinen Grund.«

»Sie wußte es besser. Wenn erst das Publikum es merkt, ist's zu spät. So starb sie als die göttliche Mathilde. Ein Jahr später hätte in den Nachrufen vielleicht gestanden: die einst gefeierte Mathilde Brückner.«

»Hat sie das denn als Beweggrund angegeben?« fragte Frau Olga.

»Aber ja. Doktor von Erdt hat es mir gezeigt. Sie schrieb: ›Ich habe den Wunsch, auf der Höhe meines Ruhmes zu sterben; da ich fühle, daß es mit mir bergab geht, so gehe ich freiwillig und leicht aus dem Leben, das so schön war‹.«

»Und sonst hat sie nichts hinterlassen?«

»Ich finde gerade die Form schön und würdig.«

Änne schloß behutsam die Tür.

»Was hast du gehört?« fragte Marianne, und da Änne betroffen und bestürzt schien, so stand sie auf, legte den Arm um sie und fragte: »Ist sie wirklich gestorben?«

Änne schüttelte den Kopf und sagte:

»Nein!«

»Ich wußte es!« jubelte Marianne laut.

»Gestorben ist sie nicht – aber tot ist sie.«

»Gibt es das?«

»Ja, das gibt es.«

»Das versteh' ich nicht.«

»Und sie hat gestern mit keinem Wort vom Sterben gesprochen?«

»Aber nein.«

»Auch nicht besonders ernst und feierlich Abschied genommen, als sie ging?«

»Wie immer, herzlich.«

»Und gesagt, daß sie wiederkommen wolle?«

»Ja. Heute wollte sie dich besuchen und mit dir reden.«

»Sonderbar.«

»Sie hatte so große Freude mit mir und sagte: Wenn sie auch nur ein wenig zu meinem Glück beigetragen habe, dann sei das ein Erfolg, den sie höher einschätze als sämtliche Erfolge während ihres Lebens.«

Änne sah Marianne fest an und sagte:

»Am Ende hat sie sich umgebracht.«

»Nie und nimmer!« erwiderte Marianne bestimmt.

»Du hältst das für ausgeschlossen?«

»Vollkommen! – Und wer das sagt, der lügt.«

»Und wenn es nun auf einem Papier steht, das sie hinterlassen hat?«

»Dann lügt das Papier.«

»Du würdest es auch dann nicht glauben?«

»Keinem Papier der Welt! – Denn, nicht wahr – sie saß doch da, wo du jetzt sitzt. Gestern noch. Und lebte, wie du lebst. Und wollte leben, das sah ich, und sie sagte es auch. Alles in ihr war ja auf das gerichtet, was noch kommen sollte. Auf mich und mein Glück und deine Zukunft.«

»Und von ihrer Kunst sprach sie nichts?«

Marianne dachte nach.

»Auch davon sprach sie.«

»Was?« fragte Änne lebhaft.

»Daß sie jetzt, wo ihr Leben einen, ich glaube, sie sagte ethischen Zweck bekommen habe, den doppelten Genuß an ihrer Kunst empfinde.«

»Du bist dir sicher, daß sie das sagte?«

»Ganz gewiß – als sie von mir ging und sah, wie froh ich war, sagte sie: An einem Tage wie diesem klingt meine Stimme noch mal so schön.«

»Dann hast du recht,« sagte Änne. »Dann ist sie nicht gestorben – dann hat man sie umgebracht!«

»Änne!« rief Marianne entsetzt.

»Welch ein Gedanke! Wer sollte das tun? So beruhig' dich doch! Das ist ja nicht möglich.«

»Unter diesen Menschen ist nichts unmöglich.«

»Dann ist sie also doch tot.«

»Ja, Marianne, mit der Tatsache müssen wir uns abfinden. Ob wir uns aber auch mit der Ursache ihres Todes abfinden, ist eine andere Frage.«

Siebzehntes Kapitel

Katz saß im Salon der Herzogin, die ihm mit großer Verbindlichkeit Tee einschenkte und Rum anbot.

»Es gibt natürlich verschiedene Wege«, sagte sie.

»Gewiß! Ich gebe zu, es hat viel für sich; Platz und Bedürfnis für ein weiteres Unternehmen dieser Art ist bestimmt vorhanden.«

»Und es ist lächerlich, mit dieser Frau Ina zu teilen – und wie zu teilen! – wo man die Möglichkeit hat, es allein zu verdienen.«

»Auch das leuchtet mir ein.«

»Es ließe sich natürlich auf friedlichem Wege machen. Man stellt die Bedürfnisfrage.«

»Frau Ina wird die nicht anerkennen und gegen jede Zersplitterung sein, sofern ihr keine materiellen Vorteile daraus erwachsen.«

»Diese Mehrheit ließe sich finden.«

»Aber die Gefahr, daß in diesem Konkurrenzkampf Vorsicht und Vernunft außer acht gelassen und damit der wahre Charakter des Unternehmens enthüllt wird, ist nicht von der Hand zu weisen.«

»Für Frau Inas Klugheit und Besonnenheit nach der Richtung hin bürge ich.«

»Und für die Ihre?«

»Zweifeln Sie daran?«

»Ich habe leider nicht das Vergnügen, Sie so genau zu kennen, wie ich Frau Ina kenne.«

»Das liegt an Ihnen – ich bin bereit, Ihnen jede Möglichkeit zu geben, die Sie wünschen, um mich kennenzulernen.«

»Sehr freundlich«, erwiderte Katz und unterzog auf diese Einladung hin die Herzogin ganz ungeniert einer genauen Betrachtung, deren Ergebnis war: vor zwanzig Jahren hätte ich der Frau begegnen müssen. In der jetzigen Verfassung vermochte sie auf seine Entschlüsse jedenfalls nicht einzuwirken.

»Ich will es mir ausrechnen,« sagte Katz. »Die ›Neuf d'or‹ hat nun mal ihr Renommee, und ich fürchte, eine Neugründung wird selbst bei aller Großartigkeit immer nur als Nachahmung gelten. Von den mehreren hundert Personen, die sich um die Mitgliedschaft bei der ›Neuf d'or‹ bewerben, wird die Mehrzahl vermutlich lieber noch ein paar Monate lang warten, ehe sie sich dem neuen Unternehmen zuwendet.«

»Man müßte neue Reizmittel finden!«

»Erfinden,« erwiderte Katz, »denn die vorhandenen dürften in der ›Neuf d'or‹ zu haben sein.«

»Ich glaube, Ihr Mangel an Vertrauen liegt an Ihrer Anhänglichkeit an Frau Ina.«

»Ich bin in erster Linie Geschäftsmann.«

»Wenn ich Ihnen nun ein festes Einkommen zusicherte?«

»Das müßte sehr hoch sein.«

»Darüber ließe sich wohl eine Verständigung erzielen.«

»Und dann – worin bestände meine Tätigkeit?«

»Du lieber Gott, ich brauche doch einen Mann.«

»Soviel ich weiß, haben Sie einen.«

Die Herzogin zog die Schultern hoch und sagte spöttisch:

»Mann nennen Sie das?«

»In gewissem Sinne doch wohl.«

»Sie sind ein Kerl, ein Schuft, ein Halunke!«

»Ihr Vertrauen ehrt mich.«

»Gerade das, was ich für den Zweck gebrauche.«

»So wollen Sie also auch Ihren Mann los sein, wie Frau Ina?«

»I Gott bewahre! Er stört mich nicht. Und dann, mein Papagei ist so an ihn gewöhnt, daß er ihm fehlen würde.«

»Dann allerdings!«

»Im übrigen, die Figur, die Drexler macht, macht er auch.«

»Nur eine Nuance zu fein.«

»Diese Nuance habe ich ihm mit vieler Mühe beigebracht. Sie ihm wieder abzugewöhnen, wird leichter fallen.«

Katz trank seinen Tee aus und stand auf. Mit vollem Munde sagte er:

»Also, schöne Frau . . .«

»Quatschen Sie nicht!«

Katz sah sich um. Am Fenster hing der Papagei.

»Nein, diese Ähnlichkeit!« sagte er.

»Also?« fragte Frau Olga.

»Überlegen Sie, was Sie mir als Fixum geben können. Und dann die Höhe der Gewinnbeteiligung.«

»Sie lehnen also nicht ab?«

»Aber nein. – Und hat Ihr Institut schon einen Namen?«

»Ich dachte an Charitas.«

Katz lachte.

»Im Ernst!« sagte Frau Olga.

»Auf deutsch?« fragte er. Und sie erwiderte:

»Das Heim der kranken Seelen.«

Katz schüttelte den Kopf und meinte:

»Das könnte man mißverstehen.«

Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
30 ноября 2019
Объем:
270 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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