Читать книгу: «Serva III», страница 2

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Hauptmann Lelex war bereits dabei zum Volk zu sprechen: «... es ist mittlerweile gut zehn Jahre her, seit unser König in der pravinischen Hauptstadt Malos entschieden hat, dass die alten Fürstentümer aufgelöst werden und königliche Stadtverwalter auch in unseren beiden Städten südlich der Wüste eingesetzt werden. Ein Stadtverwalter für Lios und einer für Laros. Die Steuern, die wir an unsere Hauptstadt und unseren König entrichten, sind immer mehr gestiegen. Wir haben vor gut einem Jahr eine Delegation zum König geschickt. Fürst Roloxs von Lios, ihr kanntet ihn alle und habt ihn als weisen Fürsten geschätzt, wurde dabei hingerichtet. Als Verräter. Er hinterließ seine Tochter Rhea, die bis heute trauert. Nun aber ist diese Trauer zu Ende. Sie muss zu Ende sein. Weil wir nach vorne blicken müssen. Was haben wir dem König zu verdanken? Die Nehataner marschieren in unser Land ein. Kann uns unser König schützen?»

«Nein!», schrien einige aus dem Volk und «Nieder mit dem Patriarchat des Königs!», war aus den Reihen zu hören.

«Ihr seht hier Feldmarschall Mixtli. Den wir gestern aus den Reihen der nehatanischen Streitmacht gefangen genommen haben!»

Buh-Rufe erschallten aus den Reihen der Bürger.

Lelex hob die Hand: «Schweigt! Es ist nicht so, wie es aussieht. Mixtli, ein ausgezeichneter Führer hat uns angeboten auf unserer Seite zu kämpfen ...»

Ein Raunen ging durch die Menge.

«... wir haben die ganze Nacht geredet. Über die Zukunft unserer Stadt. Unsere alten Fürstentümer südlich der Wüste Gory und über sein Land, das Land der Nehataner. Und wir sind zum Entschluss gekommen, dass wir ein gemeinsames Ziel haben. Feldmarschall Mixtli möchte keinen Krieg. Er möchte eine Stellung, die seinesgleichen würdig ist. Und wir haben ihm ein Angebot gemacht, ich habe ihm ein Angebot gemacht!»

Unruhiges Gemurmel ging durch die Reihen. Keiner wusste so richtig auf was Hauptmann Lelex hinauswollte.

«Mixtli, Feldmarschall der Nehataner, wird uns im Kampf gegen die nachrückenden Truppen unterstützen. Gegen König Atlacoya und dessen Bruder Chantico. Auch er hat die Bevormundung durch einen König satt. In dem Fall seinem König!»

Die Bevölkerung von Lios sprach wild durcheinander. Man diskutierte darüber, was der Hauptmann vorhatte.

«Ruhe!», herrschte Lelex und wartet ab. Dann sprach er weiter: «Ich habe ihm ein Angebot gemacht.» Er winkte von links eine Frau heran und ein erstauntes Raunen ging durch die Reihen. Dann sprach er weiter: «Das hier ist Rhea. Die Tochter unseres verstorbenen Fürsten Roloxs. Sie ist bereit Mixtli zu ehelichen!»

Die Stimmen unter den Bürgerinnen und Bürgern wurden wieder lauter.

«Ruhe!», meinte Lelex erneut: «Es ist unsere Chance. Mixtli wird an der Seite von Rhea Fürst von Lios. Im Gegenzug hilft er uns nicht nur im Kampf gegen die nachrückenden Nehataner, sondern auch im Kampf für die Unabhängigkeit unserer beiden Fürstentümer gegen den König der Pravin. Wir werden ein neues Königreich erschaffen!»

Die Menge war erstaunt über die Worte. Man redete durcheinander, tuschelte. Nicht alle waren Feinde des Königs. Aber ein großer Teil der Bevölkerung wünschte sich tatsächlich die beiden Fürstentümer Lios und Laros zurück.

«Ihr traut ihm? Ihr traut einem Nehataner?», rief einer aus den vorderen Reihen.

Lelex nicke: «Ja, das tue ich. Und wir werden ihn hier an Ort und Stelle mit Rhea vermählen.»

«Ihr habt recht!», rief einer von den Bürgern: «Früher war alles besser. Die alten Fürstentümer würden uns guttun!»

Und ein anderer ging auf die Feinde ein: «Wir haben keine Chance gegen die Nehataner. Sie sind zu viele. Wenn der Feldmarschall sich mit uns verbündet, wäre das ein Gewinn für uns!»

Lelex hob die Hand: «Und genau deshalb wäre eine Vermählung mit der einzigen Erbin von Fürst Roloxs für alle ein Gewinn! Und deshalb soll es so sein. Wir werden hier an Ort und Stelle Mixtli mit Rhea vermählen. Möge es zum Wohle unseres Landes sein!»

Mixtli war zufrieden. Er war nun Fürst des Fürstentums Lios und damit natürlich nicht mehr Feldmarschall der nehatanischen Armee. Er wusste, dass es schwer werden würde gegen die nun angreifenden Truppenteile zu bestehen. Aber Chantico hatte nicht wirklich viel Erfahrung mit militärischer Strategie und im Grunde war er ohne ihn, den ehemaligen Feldmarschall, hilflos. Doch der Bruder von König Atlacoya war zweifelsohne auch nicht dumm. Er würde nicht unüberlegt angreifen. Spätestens wenn er begreifen würde, dass Mixtli die Flagge gewechselt hatte, würde er besonnen nachdenken und sich erst einmal sammeln. Aber es würde ohnehin noch eine Weile dauern, bis Chantico Lios erreichte.

«Was schlagt Ihr für die Verteidigung der Stadt, der Verteidigung Eurer Stadt, vor?», fragte Lelex.

«Nun. Wir haben noch Zeit. Aber ich denke, dass Chantico die Stadt so lange wie möglich belagern wird. Er wird nicht sofort angreifen. Also würde ich vorschlagen, dass Ihr die nächsten Tage möglichst viele Vorräte hortet. Zieht in der Stadt alles zusammen was geht. Seine Taktik wird eher darauf beruhen, dass er uns aushungern und zur Aufgabe zwingen will!»

«Seid Ihr Euch da sicher?»

«Ja, bin ich. Wenn Ihr Chantico kennen würdet, dann würdet Ihr es verstehen. Er hat niemanden, der ihn wirklich zu einem tatsächlichen Angriff überreden kann. Und er selbst wird mehr Angst davor haben zu versagen. Also bleibt ihm vor allem die Methode einer langen Belagerung.»

«Also gut! Ich werde die Kornspeicher füllen lassen. Auch durch die Ernten der Dörfer in der Umgebung!»

«Das ist ein wichtiger Schritt!», meinte Mixtli.

«Wie gefällt Euch Eure Frau?», fragte Lelex plötzlich.

Mixtli nickte: «Gut!»

«Gut?», fragte der Hauptmann überrascht: «Sie ist eine Augenweide, findet Ihr nicht?»

«Ja, ist sie!», murmelte Mixtli. Sie war tatsächlich äußerst hübsch. Aber er bevorzugte nun mal etwas Anderes. Und er hatte es auch schon im Blick. Sein zukünftiges Opfer. Ein junges Pravin-Mädchen. Das seit kurzem ausgerechnet bei seiner Ehefrau angestellt war. Es war bei den Pravin durchaus üblich, dass Eltern ihre Kinder für eine Zeit zu höheren Herrschaften schickten und dafür Geld bekamen.

«Nun!», meinte Lelex: «Ich werde dann mal Eure Männer in die Regeln unserer Armee einweisen!»

«Tut das!», murmelte Mixtli und starrte auf das kleine Mädchen, das gerade Wasser aus einem Brunnen holte. Ja, das war es, was er begehrte. Ein hübsches, kleines Ding. Noch so unschuldig.

4

Stadt Lios,

Truppenunterkunft der Nehataner

Tlaloc hatte sich das alles anders vorgestellt. Er, der Kompaniechef einer berittenen Einheit der Nehataner, war plötzlich Söldner der Pravin. Dass er gezwungen war nun auf der Seite des Feindes zu kämpfen war ihm nicht recht. Aber was sollte er tun? Mixtli würde ihn vermutlich ansonsten einsperren lassen. Dabei war er so stolz gewesen es in der nehatanischen Armee so weit gebracht zu haben.

Er fand es ungeheuerlich, dass sich Mixtli auf die Seite der Pravin gesellt hatte. Für Tlaloc war er ein Vaterlandsverräter. Ein Fahnenflüchtiger, der vor allem eines verdient hatte: den Tod. Dennoch schwieg der junge Kompaniechef, der im Übrigen auch weiterhin die Kompanie führen sollte. Das hatte Lelex, der Chef der pravinischen Garnison in Lios so entschieden. Gemeinsam mit Mixtli, dem neuen Fürsten von Lios.

«Bei allem Respekt, Kompaniechef!», sagte einer der Unteroffiziere: «Wir können doch nicht diese Stadt gegen unsere eigenen Landsmänner verteidigen!»

«Seid still. Oder wollt Ihr hingerichtet werden?», fragte Tlaloc.

Der Unteroffizier schüttelte den Kopf: «Natürlich will ich das nicht. Aber ich sterbe lieber als mich gegen unseren Feldherren Chantico zu stellen!»

«Ich bin deiner Meinung!», sagte der Kompaniechef: «Aber wir sollten nun vor allem Ruhe bewahren. Und der Dinge ausharren, die da kommen. Tot bringen wir auch Chantico nichts. Vor allem aber wissen wir nicht, wem unserer eigenen Männer wir nun trauen können!»

«Die Männer stehen hinter Euch!», sagte der Unteroffizier.

«Nun. Vor ein paar Tagen hätte ich genau diese Worte auch dem Feldmarschall gesagt!»

«Sie stehen vor allem hinter dem König! Und hinter Nehats!»

«Wir sollten vorsichtig sein. Wir sind hier in einer fremden Stadt und ... nun ja. Man wird uns hinrichten, wenn man Zweifel hat, dass wir hinter dem selbsternannten Fürsten Mixtli stehen!»

«Wir sollten uns aus der Stadt schleichen. So mit zwei Mann. Und die nachfolgenden Truppen warnen!»

Tlaloc nickte: »Das habe ich mir auch schon überlegt. Aber leicht wird das nicht!»

«Ich weiß!», murmelte der Unteroffizier: «Und ich kann mir vorstellen, dass es für Euch nicht leicht ist. Ihr seid im Grunde selbst nur ein Unteroffizier. Aber Ihr seid nicht einfach so zum Kompaniechef ernannt worden. Ihr seid ein guter Führer!»

Tlaloc nickte: «Habt Ihr Freiwillige?»

«Haben wir!»

«Dann holt sie!», erwiderte er.

Was wiegt höher? Die Treue zu König und Vaterland, für das du eigentlich kämpfst oder aber zu deinem militärischen Führer? Nicht allzu viele Soldaten müssen eine derartige Entscheidung treffen, aber es kommt vor. Immer dann, wenn sich das Militär an einem Punkt befindet, an dem es andere Wege gehen will als die politische Führung. Sei es um gegen die korrupte Art der Politik vorzugehen und das Land von einem Tyrannen zu befreien, Rechte durchzusetzen oder das politische System zu kippen oder eben aus eigennützigen, selbstsüchtigen Gründen. Auch bei den Mani hatte man aktuell das Problem mit Herzog Olaf von Meraton. Allerdings wussten viele Soldaten gar nicht, um was es wirklich gegangen war. Sie glaubten dem militärischen Führer und man kann ihnen es nicht einmal vorwerfen. Es ist keine blinde Treue, die daran schuld war, sondern die geschickte Manipulation durch den Herzog.

Im Lande der Pravin war Tlaloc, der Kompaniechef der nehatanischen Truppenteile, ebenfalls an so einem Punkt. Allerdings war die Sache anders. Mixtli, der ehemalige Feldmarschall der nehatanischen Armee, hatte sich gar mit seiner gesamten verfügbaren Einheit den Pravin unterworfen. Er war einen Pakt eingegangen. Das Ziel war der Aufbau eines neuen Staates und damit sowohl der Widerstand gegen die Nehataner als auch gegen den Rest der Pravin. Zwei Fürstentümer, die es bereits einmal gegeben hatte, wollte man wiederaufleben lassen. Man musste das natürlich differenziert sehen. Für die Pravin, die sich gegen ihren König auflehnten, war es leichter dies zu rechtfertigen. Sie wollten nur das zurück, was man ihnen genommen hatte. Die Zeit bevor der König in allen Städten der Pravin Stadthalter eingesetzt hatte. Sie wollten ihre alte Ordnung zurück. Mixtli hingegen sah nur seinen eigenen Vorteil. Er, der nun der Fürst von Lios war, hatte keine höherwertigen politischen oder militärischen Ziele. Er sah nur die Macht. Und Tlaloc kämpfte in keiner Weise mit seinem Gewissen. Er wusste, dass das Unrecht war und er stellte sich, zumindest innerlich, bereits gegen Mixtli. Und den Männern ging es ähnlich. Keiner wollte gegen die eigene Armee kämpfen.

Es dauerte gut eine halbe Stunde. Dann standen die Freiwilligen vor ihm. Tlaloc saß stumm am Tisch und schaute die fünf Männer an, die sich bereit erklärt hatten die Truppen von Chantico zu warnen. Es war nicht klar, ob ihnen die Flucht gelingen würde, denn die Pravin waren natürlich darauf bedacht, dass kein Soldat der Nehataner die Stadt verließ.

Dann jedoch brach Tlaloc das Schweigen: «Ihr tut das Richtige, Soldaten!»

Einer der Männer nickte: «Es ist unsere Pflicht!»

«Ja, das ist es», sagte Tlaloc: «Weil wir auf König und Vaterland unseren Schwur geleistet haben. Nicht auf einen Feldmarschall! Dennoch kann ich von niemandem erwarten diese gefährliche Mission zu beginnen!»

«Natürlich könnt Ihr!», erwiderte einer der Soldaten: «Weil Ihr im Auftrag des Königs befehlt. Mixtli hingegen ...»

Tlaloc unterbrach ihn: «Ich möchte diesen Namen gar nicht hören. Und nun geht. Wir haben nur diese eine Chance. Ein letztes Mal werden Männer losgehen um die letzten Ernten in den umliegenden Höfen zur Stadt zu bringen. Mischt euch unter die Arbeiter. Und dann, wenn sich die Gelegenheit gibt, verschwindet ihr. Ich hätte euch ja gerne heute Nacht losgeschickt. Im Schutze der Dunkelheit. Aber die Chance dann die Stadt zu verlassen ist geringer. Die Tore werden gut bewacht.»

«Wir werden unser Bestes tun!», sagte der verantwortliche Gruppenführer und schaute dann jeden seiner Männer an: «Zieht euch um. Bald geht es los!»

Die Sonne knallte unaufhörlich auf den großen Hof des fürstlichen Hauses von Lios. Mixtli hatte sich ein Schattenplätzchen ausgesucht und es sich dort mit Wein gemütlich gemacht. Vielleicht würde er irgendwann einmal die Aufgabe als militärischer Führer vermissen. Aber im Moment genoss er sein Leben, so wie es war. Vor allem aber genoss er den Anblick des jungen Mädchens, das neben ihm stand. In der Hand ein Krug Wein, um jederzeit bereit zu sein ihm nachzuschenken. Mixtli wusste, dass er sie früher zur Frau machen würde, als es die Natur vorgesehen hatte. Noch nicht jetzt. Er wusste nicht, wie die Pravin auf seine Neigung reagieren würden. Und er wollte sich hier keine Chancen verbauen.

«Herr!», riss ihn plötzlich eine Stimme aus den Gedanken. Er drehte sich um und sah einen Burschen.

«Was gibt es?», fragte Mixtli genervt.

«Hauptmann Lelex möchte Euch sehen. Es geht um einige Nehataner. Sie versuchten zu fliehen!»

«Zu fliehen?», fragte er überrascht: «Fahnenflüchtige?» Das Wort ging ihm relativ leicht über die Lippen in Anbetracht der Tatsache, dass eigentlich er der Fahnenflüchtige war und er seine Männer praktisch zur Fahnenflucht gezwungen hatte.

«Schaut es Euch selbst an. Der Hauptmann hält sie gefangen!»

Keine halbe Stunde später war Mixtli in den Kerkerräumen der Stadt Lios. Für ihn war die Lage klar. Die Männer hatten nicht nur fliehen wollen, sondern wollten auch Chantico warnen.

Hauptmann Lelex, Führer der Garnison in Lios, ging an den drei Männern vorbei. Alle drei waren kräftige, dunkelhäutige Nehataner. Im Zweikampf waren sie alle im Grunde jedem Pravin überlegen. Aber nun knieten sie auf dem kalten Boden des Kerkers, den Blick gesenkt.

«Sie verdienen den Tod!», sagte Mixtli.

Lelex blieb stumm. Er wusste, dass er sie hängen musste um die anderen Nehataner in Schach zu halten. Um ihnen zu zeigen wer hier das Sagen hatte. Aber er wusste auch, dass es für die Soldaten des Nachbarlandes nicht einfach war. Und er hatte längst erkannt, dass die Loyalität der nehatanischen Kriegern mehr ihrem Land und ihrem König galt als ihrem Feldmarschall. Vielleicht war es besser sie alle einzusperren. Vor allem aber wusste er, dass er einen entscheidenden Fehler gemacht hatte. Die Soldaten hatten nichts von ihrem Verrat. Lediglich Mixtli profitierte davon. Die Männer hingegen kämpften plötzlich ohne Grund auf der anderen Seite. Zumindest sollten sie das.

«Was ist nun?», fragte Mixtli ungeduldig.

Die Härte, die der ehemalige Feldmarschall gegenüber seinen Männern ausstrahlte, erschreckte Lelex. Aber er hatte diesen Pfad betreten und musste ihn nun auch weitergehen. Deshalb nickte er: «Ja, wir werden sie hängen lassen. Heute noch. Auf dem großen Platz. Alle sollen es sehen!»

«Gut!», sagte Mixtli und schaute sich jeden der Männer genau an: «Ihr sollt dafür büßen, dass Ihr mich verraten habt!»

«Es ist kein Verrat einen Verräter zu verraten», sagte einer der Männer und spuckte verächtlich aus.

Mixtli gab ihm eine Ohrfeige. So stark, dass der Mann nach hinten stürzte: «Bevor ihr sie umbringt, foltert sie. Ich will wissen, ob es noch mehr Verräter gibt!»

5

Königspalast Hingston,

Königliche Gemächer

König Leopold hatte nur einen Wunsch. Endlich aufstehen zu können, sprechen zu können, selbst essen zu können und vor allem selbst auf die Toilette gehen zu können. Es war erniedrigend. Er war nicht in der Lage auch nur einen Finger zu rühren. Er konnte jedoch froh sein, dass die Lähmung seines Körpers bestimmte Tätigkeiten nicht einschränkte. So zum Beispiel der Schluckreflex. Sonst wäre er längst verhungert.

Für ihn war es ein Lichtblick, dass es seine eigene Tochter war, die ihm den Brei aus klein zerhacktem Fleisch und Gemüse in den Mund schob. Löffel für Löffel schob sie das Mus in seinen Rachen. Man musste vorsichtig vorgehen, denn es gab insgesamt zwei Reflexe, die dicht beieinanderlagen. Der Schluckreflex und der Würgereflex.

«Die Wahl für das Götteropfer!», meinte Katharina: »Sie steht bald bevor. Es sind nur noch wenige Tage. Ende dieser Woche ist es soweit! Und viele denken, dass ich gewinnen werde!»

«Ja, das wirst du!», dachte sich König Leopold: «Weil du die Schönste und Bezauberndste bist, die man sich vorstellen kann!»

«Ich wünsche mir so sehr, dass du wieder gesund wirst, bevor ich irgendeine Reise antreten muss!», sagte die Prinzessin weiter. In der Hoffnung, dass ihr Vater sie hörte: «Ich würde dich gerne noch einmal in den Arm nehmen. Ich möchte, dass du mich drückst!»

«Er versteht Euch!», sagte plötzlich der Arzt, der die ganze Zeit danebengestanden war: «Bei den Göttern, er versteht Euch, Prinzessin. Seht!»

«Was meint Ihr?», fragte Katharina überrascht. Aber dann sah sie es auch. Eine Träne rann an der Wange ihres Vaters entlang.

«Ich glaube nicht, dass das ein Zufall ist!», sagte der Medicus aufgeregt. Für ihn war es das klare Zeichen dafür, dass der König jedes Wort verstand: «Ihr wisst, königliche Hoheit, was das heißen würde? Das er jedes Wort versteht!»

„Ja, tu ich, verdammt!», dachte sich König Leopold: «Schon die ganze Zeit. Und deshalb weiß ich auch was Lord Christoph dir angetan hat. Ich kenne die Wahrheit!»

«Was soll ich tun?», fragte Katharina.

«Sprecht mit ihm weiter. Sprecht ihm Hoffnung zu. Lasst ihn wissen, dass Ihr in liebt!», meinte der Medicus: «Ich muss gehen und den Offizieren das berichten!»

«Nein!», meinte Katharina leise.

«Was?», der Arzt schaute sie verwundert an.

«Wir vertrauen niemanden!», sagte die Prinzessin: «Behaltet es für Euch, Medicus. Nicht einmal meine Mutter darf es erfahren!»

«Aber ...»

«Kein aber!», Katharina sprach nun mit gefestigter Stimme und klaren Worten: «Ihr müsst es mir schwören.»

«Tapferes Mädchen!», dachte sich König Leopold. Er war stolz auf sie. Es war die richtige Entscheidung: «Vertraue niemandem, Katharina. Niemandem. Vor allem nicht deiner Mutter!»

6

Stadt Meraton,

Hafen

«Holt die Segel ein!», rief der Kapitän des noatischen Handelsschiff laut und deutlich.

Das war sie also, die große Stadt Meraton. Herzogtum von Herzog Olaf von Meraton, dem Vater der Königin. Hedda schaute über die Reling. Sie hatte sich ihre Kapuze weit ins Gesicht gezogen, da es windig war. Außerdem regnete es. Dunkle Wolken standen auch über dem Festland.

«Warst du schon mal bei den Mani?», fragte Hedda die Noatin Ailsa.

Diese schüttelte den Kopf: «Nein. War ich nicht.»

«Aber du hast schon welche gesehen?»

«Sie sind uns Noaten ganz ähnlich. Nicht ganz so kräftig und so wild!», grinste die junge Noatin: «Aber es soll ein intelligentes Volk sein!»

«Nun ja, was ist schon intelligent ...», murmelte Hedda und hielt sich dann an der Reling fest. Das Schiff drehte bei um direkt in den Hafen einzulaufen.

«Bist du aufgeregt?», fragte die Noatin.

«Warum fragst du?»

«Nun ja, weil du vermutlich immer aufgeregt bist, wenn etwas Neues auf dich zukommt!»

«Ist das nicht verständlich?»

«Die Mutigste bist du nicht!», grinste Ailsa.

«Kann nicht jeder so sein wie du!», meinte Hedda ein wenig beleidigt.

«Tu mir einen Gefallen! Wenn dir jemand etwas zum Trinken anbietet, dann lehne ab!»

Hedda nickte: «Ja. Das werde ich.»

Das Volk der Noaten war ein geschicktes Seefahrervolk. Und das bewies der Kapitän durch sein Einlaufen in den Hafen. Präzise steuerte die Backbordseite direkt an die Anlegestelle. Das war gar nicht so einfach. Man musste Fahrt herausnehmen und im richtigen Augenblick eindrehen.

«Willkommen in Meraton!», meinte eine in etwa dreißigjährige Frau, als die Passagiere des Schiffes von Bord gingen. Sie sprach direkt Königin Varuna an.

«Ihr seid?», fragte die Königin der Ragni. Der Priester und ihr Kommandeur stellten sich neben sie. Und schließlich kam auch Sören von Bord. Der noatische Krieger, der zum Schutz von Ailsa die Reisetruppe begleitete, baute sich vor der manischen Frau auf: «Du bist Elli, richtig?»

Die Angesprochene nickte: «Und du Sören, der beste Krieger der Noaten!»

Sören grinste und schaute dann zu Königin Varuna: «Königliche Hoheit. Das ist Elli. Sie ist für die Handelsbeziehungen zwischen uns Noaten und den Mani zuständig. Eine schlitzohrige Frau, die uns oft übers Ohr hauen will!»

«Nun. Heute bin ich aus anderen Gründen hier!», meinte Elli: «Herzog Olaf ist leider nicht in der Stadt. Ich soll Euch empfangen und im Land der Mani willkommen heißen! Ihr wart noch nie in Manis, königliche Hoheit?»

Varuna schüttelte den Kopf: «Nein!»

«Ich weiß, dass Ihr enge Beziehungen zu Ludwig von Battleton haltet!», sagte Elli: «Ich dachte eigentlich, dass er mit Euch kommen würde? War er nicht in Ragnas?»

«Doch, war er», sagte die Königin: «Aber als wir aufbrachen, war er noch im Ewigen Eis unterwegs ...»

Man sah Elli an, dass sie nachfragen wollte, was er dort tat. Aber sie unterdrückte ihre Wissbegierde: «Ihr wollt morgen sicherlich schon weiter Richtung Süden?»

Sören wartete nicht ab, bis die Königin antwortete: «Das ist richtig! So früh wie möglich!»

«Gut. Ihr bekommt eine Unterkunft. Ruht euch aus von den Strapazen auf dem Meer. Aber zuvor, königliche Hoheit, stelle ich Euch Euren Führer vor. Er wird euch über die Berge bringen!» Sie ging voraus und die Königin folgte.

«Was ist mit dir?», fragte Ailsa: «Wir sind wieder auf festem Boden. Aber du machst ein Gesicht, als hättest du ein Seeungeheuer gesehen!»

«Es ist nichts!», sagte Hedda schnell und folgte dann der Gruppe. Es war der Name «Ludwig von Battleton», der ihr Erinnerungen zurückbrachte. Vielleicht sollte sie es Ailsa erzählen. Mit irgendjemand musste sie ja irgendwann einmal darüber sprechen. Die Erinnerung lag unverarbeitet in ihrem Kopf.

Es war ein kleines Haus am Rande der Stadt in einem eher ärmlichen Viertel. Königin Varuna verstand nicht so Recht, was das hier sollte. Aber Elli hatte sie direkt hierhergeführt. Sie, die Königin der Ragni, ihre beiden Begleiter, den Kommandeur und den Priester der Ragni, den Krieger Sören und nicht zuletzt die beiden Götteropfer, Hedda und Ailsa.

Elli klopfte an die Türe des Hauses. Es dauerte ein wenig, bis ein weißhaariger Mann öffnete. Er war schon etwas älter. Sein Haar stand wirr zu Berge und sein zerzauster Bart wirkte wie Unkraut in seinem Gesicht. Er war lückenhaft und wirkte ungepflegt.

«Gustav. Darf ich dir Varuna, die Königin der Ragni, vorstellen?»

Der Angesprochene nickte: «Sicher darfst du das. Lass uns einen Termin machen und ...»

«Sie steht bereits vor dir!», murmelte Elli.

«Bei den Göttern!», sagte Gustav und ging auf Ailsa zu: «Aber sie sieht gar nicht aus wie eine Ragna.»

«Das ist auch Ailsa. Das Götteropfer der Noaten!», sagte Elli und zeigte nun auf die Königin: «Hier ist sie. Königin Varuna!»

«Oh ...!», meinte Gustav irritiert: «Nun denn ... willkommen, königliche Hoheit!

«Was wird das hier?», fragte die Königin irritiert.

«Nun, er wird Euer Führer sein!», erklärte Elli: «Er führt Euch sicher über die Berge!»

«Ich werde was?», fragte Gustav überrascht.

«Du wirst die Königin und ihr Gefolge nach Hingston bringen. Wir haben das doch besprochen!»

«Moment!», meinte Sören: «Es mag sein, dass die drei Bleichgesichter zum Gefolge der Königin gehören. Meine Königin ist sie jedoch nicht. Genauso wenig wie sie die Königin von unserem Götteropfer Ailsa ist! Wir sind Noaten!»

«Ernsthaft?», fragte Elli: «Ihr wollt jetzt in diesem Augenblick den stolzen und unabhängigen Noaten raushängen lassen?»

«Wir haben alle das gleiche Ziel, aber nicht den gleichen König und ...»

«Genug!», unterbrach die Königin den blonden Krieger barsch: «Wir haben dich verstanden, Krieger!»

«Mir ist es egal, wen ich führen soll», murmelte Gustav: «Welchem König oder Gott Ihr auch folgt. Wenn es über die Berge geht, dann folgt Ihr mir. Lass mein Rosie vorbereiten! Ich werde packen!»

«Rosie?»

«Ja sicher, mein Pferd. Mein treuer Weggefährte!»

«Nun, Rosie ist tot!», sagte Elli.

«Was? Bei den Göttern!». sagte Gustav entsetzt: «Das sind keine guten Nachrichten!»

«Nun. Rosie ist seit gut fünf Jahren tot!», Elli verzog das Gesicht.

«Das ist eine lange Zeit!», murmelte Gustav: «Warum hat man mich nicht informiert?»

«Du hast sie selbst getötet!»

«Bei den Göttern. Was redest du?»

Elli nickte: «Sie hat sich das Bein gebrochen. Und du gabst ihr den Gnadenstoß. Ich war dabei!»

«Nun gut, dann besorgt mir ein anderes Pferd. Eines das genauso gut ist, wie sie es war. Meine treue Seele!», meinte Gustav und schlug dann die Hände ins Gesicht: «Heute ist wirklich ein trauriger Tag. Der Verlust geht mir nahe!» Dann ging er zurück ins Haus.

Ailsa starrte auf die Türe, die sich hinter Gustav schloss: «Okay ... er ist irgendwie ...»

«Verrückt?», fragte Elli: «Ja, das ist er.»

«Warum soll ausgerechnet er uns führen?», fragte Königin Varuna, nicht gerade begeistert: «Ich verstehe das nicht!»

«Nun, er wird Euch, Majestät, sicher nach Hingston führen. Da bin ich mir sicher!»

«Er scheint mir nicht klar bei Verstand!», meinte Varuna.

«Das täuscht!», sagte Elli: «Und der Herzog hat das so entschieden. Macht Euch keine Gedanken. Den Weg über die Berge wird er finden. Gustav ist ein guter Mann. Ja, er ist seltsam. Und er hat seine Phasen. Aber wichtig ist, dass es ihm gelingt Euch sicher über die Berge zu bringen!»

«Ich wäre mir da nicht so sicher!», flüsterte Ailsa.

Hedda nickte: «Du hast recht. Er ist irgendwie schräg!»

«Ich führe Euch nun zu Eurer Unterkunft, königliche Hoheit!», meinte Elli.

Die Unterkunft, in denen die beiden Götteropfer und ihre Begleiter untergebracht waren, war ein kleines Gästehaus des Herzog Olaf von Meraton. Allzu lange hielten sie sich dort jedoch nicht auf. Alle Reisenden hatten Hunger und Königin Varuna hatte beschlossen in eine nahegelegene Taverne zu gehen. Obwohl eigentlich der noatische Krieger Sören für Ailsa zuständig war, hatte die Königin der Ragni von Anfang an die Führungsrolle übernommen. Sören akzeptierte das. Es nahm ihm einen großen Teil der Verantwortung ab. Er musste so gut wie nie mit jemanden sprechen oder verhandeln, konnte sich bedeckt halten und von hinten den Überblick bewahren. Sein einziges Ziel: das noatische Götteropfer zum Tempel von Deux zu bringen. Und das war eine ehrgeizige Aufgabe. Der Weg war noch weit.

Es war eine eigenartige Gruppe, die sich an den Tisch in der Taverne setzte. Vier Ragni und zwei Noaten. Allzu viel war in der Gaststube nicht los, aber die wenigen Mani, die da waren, beäugten die Fremden argwöhnisch. Doch recht schnell sprach sich herum, wer es war.

«Ihr seid die Königin von Ragnis!», meinte Sören plötzlich: «Warum reist ihr nicht mit einem ganzen Heer?»

«Warum sollte ich?», fragte Varuna.

«Nun, unser König würde stets eine starke Truppe an seiner Seite wissen wollen. Und der König von Manis würde vermutlich mit rund hundert Mann reisen. Ihr aber reist mit ...», er schaute den alten Priester und den Kommandeur an: «... einem Geistlichen und einem Mann, der seine kriegerischen Tage längst hinter sich hatte!»

«Ich warne Euch, Krieger!», meinte der Kommandeur der ragnischen Truppen.

Doch der Priester machte eine beschwichtigende Handbewegung: »Seid still. Im Grunde hat er doch recht.»

Varuna seufzte und lehnte sich dann auf ihrem Stuhl nach hinten: «Wir haben ein gemeinsames Ziel. Wir wollen unsere Götteropfer zum Tempel von Deux bringen. Wir haben den gleichen Weg. Aber nun mal unterschiedliche Stiefel an mit denen wir uns auf diesen Weg begeben. Und die Mani werden auch einen ganz anderen Weg einschlagen!»

«Ich habe am Nebentisch mitbekommen, dass das Götteropfer der Mani die Prinzessin sein könnte!», murmelte der Priester: «Prinzessin Katharina von Manis!»

«Die Tochter von König Leopold?», fragte Varuna überrascht.

Der Priester der Ragni nickte: «Ganz genau!»

Varuna zuckte mit den Achseln: «Nun, das geht uns nichts an. Das müssen die Mani unter sich ausmachen. Aber ich denke, wer auch immer das manische Götteropfer sein wird, es wird sich uns mit ihren Begleitern in Hingston anschließen!»

«Glaubt ihr nicht, dass das alles nur ein Aberglaube ist?», fragte Sören: »Nun, unser König nimmt das Götteropfer nicht allzu wichtig.»

«Was soll das bitte heißen?», fragte Ailsa empört.

Sören grinste: «Er hatte kein Interesse ein Götteropfer zu entsenden. Zumindest am Anfang nicht. Und warum schickt er mich als Begleitschutz und nicht ein Trupp mehrerer Männer?»

«Weil du der beste Kämpfer bist!», sagte Ailsa.

«Ach komm, kleines Mädel. Er will mich doch nur bestrafen. Weil ich rumgehurt habe und ...»

«Sprecht nicht so vor den Götteropfern!», unterbrach ihn Varuna.

«Herrje, sie mögen Jungfrauen sein. Aber sie sind keine Kinder!», sagte Sören.

«Was ist mit dem Wunder ...», fragte der Priester: «Mit dem Dämon, den die beiden besiegt haben?»

«Ein Dämon? Ich weiß nur von einer alten Frau. Einer gestörten alten Frau. Die dort in der Höhle war!»

«Du glaubst uns nicht?», fragte Ailsa beleidigt.

«Ehrlich gesagt, nein! Vor allem nicht daran, dass du dein Schwert gerufen hast!»

«Und die Ketten, die Hedda gesprengt hat?»

Sören grinste: «Ihr seid zwei kleine Gören mit blühender Fantasie. Mehr nicht!»

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9783742780539
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