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Der 9. Tag

1

Königspalast Hingston,

königliche Gemächer

Es war noch früh am Morgen. Die Sonne suchte sich einen Weg in die königlichen Gemächer. König Leopold hatte das Gefühl, als wolle sie ihn an der Nase kitzeln. Er versuchte den damit verbundenen Niesreiz zu unterdrücken. Ein eigenartiges Phänomen. Durch den intensiven plötzlichen Lichteinfall wurden in seinem Gehirn Areale aktiviert, die auch dann ansprangen, wenn zum Beispiel ein Grashalm in der Nase kitzelte. Grund hierfür ist der Sehnerv, der recht dicht an jenem Nerv entlangläuft, der für das Niesen zuständig ist.

Er hörte das Stöhnen seiner Frau, die neben ihm lag. Was auch immer sie am frühen Morgen wieder plagte und beschäftigte, er wollte es gar nicht wissen. Ihre depressiven Phasen wurden schlimmer und schlimmer. Vor einiger Zeit hatte man sie noch eingrenzen können. Auf bestimmte Tageszeiten. Aber in der Zwischenzeit kamen sie relativ unkontrolliert und rissen alles mit sich, was ihnen im Wege stand.

Leopold wusste, wenn er sie fragte was sei, dann würde sie ihm eine patzige Antwort geben. So etwas wie in der Art «es ist dir doch eh egal». Nein, das war es nicht. Definitiv nicht. Er liebte seine Frau. Mit all ihren Fehlern und ihren Problemen. Aber er konnte ihr grundsätzlich keine Lösung geben. Weil das, was es zu lösen gab, in ihrem Kopf war. Es war nicht ein Fleck auf dem Boden, den man wegwischen konnte oder ein Kleidungsstück, das irgendwo herumlag. Das schob sie zwar häufig als Grund vor, aber eigentlich lag die Problematik viel tiefer. Es war kein greifbares Problem. Der Arzt hatte ihr verschiedene Wundermittel verschrieben. Beruhigende Pflanzen und Kräuter. Aber sie nahm nichts davon. Weil sie der Meinung war, dass sie nicht krank sei. Und deshalb auch nichts nehmen müsse.

Wieder waren dort ein Räuspern und ein Stöhnen.

«Was ist?», fragte er nun doch. Es war immer das Gleiche. Bis zu einem Punkt versuchte er sie zu ignorieren. Aber es gelang ihm nicht lange.

«Nichts. Was soll sein?», fragte sie zurück.

«Du stöhnst und ächzt ...»

«Herrje. Darf ich nicht mal einen Mucks von mir geben?», sie seufzte laut und deutlich.

Und da war es schon wieder. Dieses Gefühl weg von hier zu wollen. Leopold verdrehte die Augen. Genau diese Antwort war typisch. Ihre gequälte Seele wollte keine Lösung. Sie wollte sich einfach nur äußern. Er erwiderte nichts, sondern stand auf.

Elisabeth schaute ihren Mann nicht an. Sie blieb einfach nur liegen und schaute an die Decke. Die ihr irgendwie so gar nicht gefiel. Welcher Idiot hatte die Zimmerdecken nur so hoch gestaltet? Mehr und mehr Gedanken kamen in ihr hoch. Ihre Laken sollten mal wieder gereinigt werden und die Fenster geputzt. Hier war Großputz angesagt. Sie nahm sich vor heute einige Bedienstete dafür abzustellen.

Ihr Blick ging zu ihrem Mann. Ja, sie liebte ihren Mann. Den König von Manis. Aber er war so kalt und rücksichtslos. Seine ganze Welt drehte sich immer nur um sich selbst und um sein Königreich. Eigentlich sollte sie doch der Mittelpunkt seines Lebens sein. Hatte er das nicht versprochen als sie geheiratet hatten?

Sie quälte sich aus dem Bett und ging an ihm vorbei. Mit einem Gesichtsausdruck als hätte er verkündet, dass es ab heute keinen Wein mehr geben würde. Es sah aus wie Hass und Verachtung. Aber im Grunde waren das nicht ihre Gefühle ihm gegenüber. Im Grunde war er der Prellbock. Er bekam alle ihre schlechten Launen und kontroversen Gedanken ab.

«Was hast du heute vor?», fragte er sie.

«Was soll ich schon vorhaben? Das Übliche!», murmelte sie: «Was man halt als Königin so zu tun hat. Die Hofdamen zurechtweisen. Die Witwen empfangen. Einige Adelige haben um eine Audienz gebeten ... bei den Göttern. Du weißt, dass es immer etwas zu tun gibt.»

«Ja, das weiß ich!», seufzte er. Es war nicht seine Absicht gewesen so zu klingen, als würde er glauben, sie hätte nichts zu tun. Sie nahm ihm zahlreiche Audienzen ab und das war gut. Das hielt ihm den Rücken frei. Im Grunde waren sie ein gutes Team. Aber immer wieder fing sie damit an wie komplex ihre Aufgaben waren. Sie sah immer alles nur aus ihrer Sicht.

Die Königin zog sich ihr Kleid an und schaute dann zu ihrem Mann: «Was hast du heute vor?»

Im Grunde würde er am Liebsten ebenfalls mit «Das Übliche» antworten. Aber das würde sie nicht gutheißen. Sie würde sich veralbert vorkommen. Und so erwiderte er: «Ich werde mich mit einigen Ministern treffen. Und mir die Sorgen des Landes anhören!»

«Die ja immer größer werden!», nickte die Königin: «Das mit dem Armenviertel macht mir Sorgen. Die Bürger dort sind unzufrieden!»

«Können wir es ändern?», fragte er.

«Kann man nicht immer etwas ändern?», sie schaute ihn kopfschüttelnd an. Dann ging sie Richtung Ausgang.

2

Xipe Totec,

Hauptstadt der Nehataner

Atlacoyas massiger Körper baute sich vor Chantico, seinem Bruder, auf. Er war wütend. Die großen Verluste waren nicht hinnehmbar. Es war seine Armee. Seine königliche Streitkraft.

«Es war die Entscheidung des Feldmarschalls!», versuchte Chantico den geschmälerten Sieg zu erklären. Ja, sie hatten die Schlacht gewonnen, aber die Verluste waren eindeutig zu hoch. Das war auch ihm bewusst. So viele Tote. Mit Schauern erinnerte er sich daran.

«Du bist der Oberbefehlshaber. Ich habe dich zum Feldherren gemacht. Du hast königliches Blut!», Atlacoya gab seinem Bruder eine gewaltige Ohrfeige: «Du bist ein Feigling! Und ein schwanzliebender Knabenficker bist du auch. Du bist eine Schande für die königliche Familie!»

Chantico erbleichte. Woher wusste sein Bruder von seiner Vorliebe?

«Wie ist das so, wenn man seine ganze Familie in die Schande treibt?», fragte Atlacoya: «Nur, weil man seine krankhafte Neigung ausleben muss. Und du weißt, dass es krank ist. Seinen Schwanz in den Arsch eines Jünglings zu stecken, das ist mehr als krank und unnatürlich ...»

«Ich ...!», Chantico stotterte: «Es ist nicht so, wie du denkst ...»

«Ist es nicht?», Atlacoya lachte und packte sich eine Sklavin, die neben ihm stand. Er zerriss ihr Kleid und legte ihre Brüste frei: «Das hier ist natürlich. Schöne Brüste ..., empfindest du da gar nichts?»

Der Feldherr fuhr erschrocken hoch. Er schaute sich um. Niemand war zu sehen. Es war nur ein Traum gewesen. Aber so real, dass es beängstigend war. Und auch wenn es nur eine Traumgestalt gewesen war, so hatte sie doch recht. Ja, er war feige. Er hätte viele Entscheidungen anders getroffen. Vielleicht wäre er auch in die Falle mit den Strohballen getappt. Aber er hätte niemals den Hügel unbesetzt und damit die Flanke ungeschützt gelassen.

Er stand auf. Nein, die Männer hatten vor ihm nicht den Respekt, wie sie ihn vor dem Feldmarschall hatten. Weil dieser mit harter Hand führte. Und Chantico war auch gar nicht in der Lage in dieser Weise zu führen. Aber ging es nicht auch mit einer anderen Sichtweise? Konnte man sich den Respekt als militärischer Führer nicht auch anders erarbeiten? Musste es immer die Peitsche sein?

Wie ein Tier lief er auf und ab. So viele Männer hatte seine Armee verloren. Und er trug die Schuld. Weil er die strategische Speerspitze war. Zumindest für seinen Bruder. Er konnte sich nicht damit herausreden, dass er Mixtli die Entscheidungen überlassen hatte. Das würde es noch schlimmer machen.

«Feldherr!», meinte sein Bursche: «Soll ich Euch Frühstück bringen?»

Chantico schaute zum Eingang, wo sein Bursche stand. Dann schüttelte er den Kopf: «Nein. Ich habe keinen Appetit.»

«Aber Ihr müsst was essen, Feldherr!»

«Deine Fürsorge ist lobenswert. Dennoch. Ich habe keinen Hunger. Sattle das Pferd für mich. Und stelle mir einen Trupp zusammen!»

«Was wollt Ihr tun?»

«Warum hinterfragt jeder meine Befehle, bei den Göttern?», herrschte Chantico ihn an.

«Tut mir leid, Feldherr!»

Chantico atmete tief durch. «Ist schon gut. Dir gilt meine Wut nicht!», seufzte der Bruder des Königs und griff dann zu seinem Schwert. Er zog es aus der ledernen Scheide und starrte für einen Moment auf den Stahl. Die Schwerter waren nichts im Vergleich zu denen der Shiva und der Mani. Aber sie erfüllten ihren Zweck. Einen Kampf gegen die größeren Völker im Norden waren sie jedoch nicht gewachsen. Dann schob er es zurück in die schützende Hülle. Er musste nun Stärke zeigen. Stärke gegenüber dem Feldmarschall und gegenüber der Armee.

Es war das Haus des Stadtmeisters in dem Chantico genächtigt hatte, während sein Feldmarschall in das Haus des Hauptmanns gezogen war. Chantico ging aus der Türe und schaute sich auf der Straße um. Es hatte ein wenig geregnet. Dieses Land war tatsächlich deutlich mehr gesegnet als Nehats. Es war angenehm warm, aber der immer wiederkehrende Regen sorgte für eine bessere Ernte. Der Grund, aber das wusste keiner, waren die Gebirge im Osten. Immer dann wenn die Westwinde stärker wurden aber nicht über die Berge hinüberkamen, dann regneten sich die Wolken hier ab. Hier am schmalen Küstenstreifen. Eigentlich wahnsinnig, dass sich nur wenige Kilometer weiter nördlich die Wüste erstrecke. Unbarmherziges, trockenes Land

«Der Trupp steht bereit!», meinte der Bursche.

Chantico nickte und schaute auf sein Pferd. Dann stieg er auf. Einige Männer saßen bereits auf ihren Pferden. Bereit dem Feldherrn der Nehataner zu folgen.

«Kann ich sonst noch etwas für Euch tun?», fragte der Bursche.

Chantico schaute ihn an. Sein sanftes, jugendliches Gesicht. Sein weicher, dunkelfarbiger Körper, der noch nie einen Kampf aktiv erlebt hatte. Kein Makel, keine Wunde. Nichts zierte den jungen Mann, der als Bursche des Feldherrn ein großes Los gezogen hatte. Immer mitten im Kriegsgeschehen ohne kämpfen zu müssen. Ohne die Angst zu haben verletzt oder gar getötet zu werden. Chantico begehrte ihn. Wie gerne wäre er nun daheim in Nehats. Zuhause in der Stadt Xipe Totec. Die eine Stadt mit rauen Sitten war. Aber in der man weit weg vom Krieg war. Fernab jeglichen Völkermordes. Er würde sich ein Bad nehmen und dann seinen Burschen zu sich holen. Nackt mit ihm ins Bett steigen und wiederholen, was er erst vor kurzem mit ihm gemacht hatte. Seine Lenden verzehrten sich nach ihm. Nach diesem jugendlichen Burschen mit dem knackigen Hintern und der weichen Haut. Die so anders war, als die der Soldaten. Chantico schüttelte den Kopf: «Nein. Du bleibst hier und hältst die Stube sauber!»

«In Ordnung, Feldherr!», es klang demütig. Und in den Ohren von Chantico mehr als erotisch.

3

Königspalast Hingston,

Kerker

Einmal pro Tag durfte Tamira Lord Philipp von Raditon einen Besuch abstatten. Das hatte der Kommandeur Lord Christoph von Charleston ihr zugesichert. Und auch an diesem Morgen war sie länger bei ihm gewesen.

Als sie gerade Lord Philipp besucht hatte und am Kerkereingang hinauswollte, wurde sie von einem Soldaten aufgehalten: «Der Kommandeur möchte mit dir sprechen!»

«Was möchte er?», fragte Tamira unsicher.

«Gehe zu ihm und sprich mit ihm. Du findest ihn in der Kommandeursstube.»

«Die ist wo?»

«Du gehst diesen Gang entlang, die dritte Türe auf der linken Seite. Es steht ein Soldat davor!»

Sie nickte stumm und machte sich dann auf den Weg.

Es war nicht allzu weit. Die Kommandeursstube und die Wachstuben waren ganz in der Nähe des Kerkers. Direkt im Palasthof. Während die restlichen Soldaten außerhalb im großen Feldlager untergebracht waren. Die Stube des Kommandeurs war nichts Besonderes. Eine kleine Kammer mit einem großen Tisch auf dem eine Nachbildung des Palastes und der Stadt zu sehen waren. Unsicher trat Tamira ein und schaute auf das Modell. Ein wenig sah es aus wie ein Spielzeug für Kinder. Aus Holz geschnitzte Figuren lagen ein wenig achtlos daneben. Mit ihnen konnte der Kommandeur mögliche Szenarien durchspielen. Im Beisein seiner Untergebenen konnte er hier Befehle erteilen und mögliche Optionen simulieren. Zum Beispiel bei einem Angriff. Aber auch bei einem eventuellen Feuer, Krankheitsausbruch oder was auch immer die Stadt, vor allem aber den Palast betraf.

«Die Hofdame der Prinzessin!», begrüßte der Kommandeur die junge Frau: «Gut, dass du da bist!»

«Ihr wolltet mich sehen, Lord?»

Er nickte: «Ganz genau. Ich hätte da eine Frage!»

«Die wäre?»

«Was war da mit dem Priester am gestrigen Tag?»

«Er ...», sie fing an zu stottern: «Er ist den Felsen hinuntergestürzt!»

«Haltet mich nicht für dumm!», meinte Christoph von Charleston: «Ich weiß, dass der Priester nicht von der Klippe gestürzt, sondern vom Turm gestoßen wurde!»

«Woher wollt Ihr das wissen, Eure Lordschaft?», fragte Tamira. Sie wurde bleich.

«Das Blut. Unter dem Turm war Blut. Wie ist es da hingekommen?»

«Das ... das weiß ich nicht!», stotterte die Hofdame der Prinzessin.

«Sag mir die Wahrheit. Erzähl mir wie es wirklich war!», befahl er: «Ich habe keine Lust auf Spielchen!»

«Es war so, wie wir es gesagt haben. Der Priester ging hinaus und kam nicht wieder, und ...»

«... stürzte vom Felsen. Ich kenne die Geschichte. Aber ich denke nicht, dass sie wahr ist!»

«Warum sollte ich lügen?»

«Nun, ganz einfach. Um dich selbst zu schützen. Oder die Prinzessin. Oder die Magd des Priesters. Einer von euch hat ihn hinuntergestoßen!»

«Warum sollten wir das tun?»

«Das weiß ich nicht!», meinte Christoph: «Aber ich werde es herausfinden! Und ich werde dafür sorgen, dass der Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen wird.»

«Bitte, Eure Lordschaft ...», flehte Tamira.

«Du gibt es also zu?»

«Nein, aber ...» sie überlegte verzweifelt, was sie sagen sollte.

«Ich werde dieser Sache nachgehen!», meinte der Lord: «Und glaube mir. Ich finde die Wahrheit raus. Ganz sicher!»

Zur gleichen Zeit saß Philipp von Raditon in seiner Zelle. Tamira, der einzige Lichtblick am Tag, war weg. Und er alleine mit seinen Gedanken. Er wusste, dass er kaum eine Chance hatte. Der König würde ihn hängen lassen. Und es würde einiges an Zeit vergehen. Lediglich alle sieben Wochen fanden Hinrichtungen statt.

Er döste vor sich hin, als er plötzlich jemand an der Zellentüre hörte. In der Hoffnung, dass es erneut Tamira war, sprang er rasch auf: «Bist du es?»

«Ich weiß ja nicht, wen Ihr erwartet!», erklang die Stimme des Lord Christoph von Charleston.

«Was tut Ihr hier, Lord von Charleston?», fragte Philipp enttäuscht und ließ sich wieder auf seine Pritsche fallen.

«Euch die Wahrheit erzählen. Über Tamira!»

«Ach?»

«Nun, es ist etwas vorgefallen!»

«Spuckt es schon aus und redet nicht um den heißen Brei!», meinte Philipp.

«Der Oberste Priester wurde ermordet. Nun, und ich gehe stark davon aus, dass Eure kleine Freundin ihre Finger im Spiel hatte!»

Lord Philipp war nun vollkommen wach: «Wie kommt Ihr darauf? Was ist passiert?»

Recht ausführlich beschrieb Lord Stephan von Charleston die Vorkommnisse und seine Beobachtungen. Er endete schließlich mit den Worten: «Eure kleine Freundin wird also mit Euch hängen!»

«Pah. Ihr habt keine Beweise. Und Euer Wort steht dem der Prinzessin gegenüber. Sie war ja mit anwesend!»

«Auch Sie steht in Verdacht. Zumindest als Mitwisserin!»

«Ihr wollt nicht ernsthaft die königliche Hoheit beschuldigen?»

«Nun, was bleibt mir anders übrig?», fragte Christoph: «Herrje, Philipp. Ich stand immer hinter Euch. Ihr wart der beste Kommandeur, den man sich vorstellen konnte. Und ich hoffe noch immer, dass es sich der König anders überlegt. Und ich habe dieser jungen Frau erlaubt Euch zu besuchen. Aber das kann ich nun nicht mehr. Nicht solange der Verdacht besteht, dass sie eine Mörderin ist!»

«Ehrlich gesagt respektiere ich es sogar, dass Ihr mich aufgeklärt habt. Und mir die Wahrheit sagt. Dennoch würde gerne mit ihr darüber sprechen. Vielleich finde ich etwas heraus!»

«Bei allem Respekt. Aber ich halte das für nicht so gut. Und sollte sich mein Verdacht bestätigen ...» Christoph seufzte: «Dann seht Ihr es doch ähnlich wie ich. Dann muss sie hingerichtet werden, oder?»

Philipp nickte stumm: «Dennoch. Ich würde mir gerne mein eigenes Bild machen.»

«Das ist nicht Eure Aufgabe. Nicht in der Situation in der Ihr Euch befindet!»

«Ohne sichtbares Blut unterhalb des Turmes habt Ihr keine Beweise!», meinte Philipp: «Vielleicht finde ich etwas heraus!»

«Ich halte Euch für einen königstreuen Gefolgsmann. Selbst jetzt, wo Ihr auf Eure Hinrichtung wartet. Aber der Geist von Männern wird durch schöne Frauen vernebelt. Ihr wollt nichts herausfinden. Zumindest nicht die Wahrheit!»

«Ich bitte Euch. Wir waren immer Waffenbrüder!», sagte Philipp.

Lord Christoph schüttelte den Kopf: «Tut mir leid!» Dann ging er.

«Auf ein Wort!», sagte Thores aus seiner gegenüberliegenden Zelle als der Kommandeur fort war: «Ich dachte, Ihr könntet Euch auf die Charleston – Brüder verlassen?»

«Sei still!», erwiderte Philipp: «Lass mich mit deinen wirren Gedanken in Ruhe!»

«Eure kleine hübsche Freundin. Die, das wissen die Götter, einen Knackarsch hat ...»

«Sei still und rede nicht so von ihr!»

«Nun. Sie ist mir ja meist mit dem Rücken zugewandt!»

«Sei still!», wiederholte Philipp: «Ich habe kein Interesse an deinen Intrigen und deinen Gedanken!»

«Nun gut!», murmelte Thores und legte sich auf seine Pritsche: «Ihr werdet schon sehen, Lord. Es kommen heiße Tage auf uns zu!»

4

Land der Pravin,

Anhöhe nahe Laros

Es war die grausamste Folter, die sich der Hauptmann der Garnison von Laros jemals hätte vorstellen können. Er konnte den Bambus in seinem Körper förmlich wachsen spüren. Immer tiefer wuchs er in seinem Anus und bohrte sich tief in den Leib. Die meisten Soldaten heulten, schrien und jammerten. Die Schmerzen waren so furchtbar, dass die Meisten einfach nur sterben wollten. Sie flehten zu den Göttern. Man möge sie doch endlich erlösen.

Auch der Hauptmann heulte in der Zwischenzeit fast ununterbrochen. Er konnte einfach nicht mehr. Zu groß waren die Schmerzen und die Pein. Zu heftig das Leid, dass er erdulden musste. Von der Erniedrigung erst gar nicht angefangen. Am Schlimmsten war das Wissen, dass man starb. Irgendwann würde der Bambus die Darmwand zerreißen. Dann würde der Darminhalt in die Bauchhöhle fließen und relativ schnell eine Entzündung hervorrufen. Wenn man nicht daran starb, dann an den inneren Blutungen oder aber weil sich der Bambus weiter durch den Körper bohrte und Organe verletzte.

Der Hauptmann betete nicht. Und er verfluchte die Nehataner auch nicht. Er konnte einfach nicht mehr und hoffte, dass er baldmöglichst das Zeitliche segnete. Er hatte für sein Land tapfer gekämpft. Hatte alles gegeben. Sowohl taktisch als auch körperlich mit seiner eigenen Kraft. Dass die Nehataner dies nicht anerkannten und ihm einen würdevolleren Tod zusprachen, das konnte er nicht verstehen. Er dachte an Verwandte und Bekannte. Ihnen hatte er Zeit verschafft. Aber vielleicht hatte er ihren Tod nur hinausgezögert.

Einige seiner Kameraden waren bereits verstummt. Vielleicht bewusstlos, vermutlich aber schon tot. Der Hauptmann schloss die Augen. Nur für einen Moment.

Dann hörte er das Trampeln eines Pferdes. Schmerzerfüllt öffnete er seine Lider. Verschwommen sah er einen Reiter. Er blieb vor ihm stehen und stieg dann vom Pferd. Vier weitere Reiter erschienen und auch sie stiegen ab.

«Wie ist Euer Name?», fragte die Stimme des Reiters.

«Warum interessiert euch das?», fragte der Hauptmann.

«Weil ich denke, dass niemand namenlos sterben soll. Ihr habt gut gekämpft und ihr habt einen solchen Tod nicht verdient!»

«Wer seid Ihr?»

«Ich bin der Feldherr dieser Armee. Chantico!»

«Der Bruder von König Atlacoya?»

«Genau der!», sagte Chantico.

Der Hauptmann schaute auf. Ein leichtes gequältes Lächeln huschte über sein Gesicht: «Bitte erlöst mich. Rammt mir mein Schwert ins Herz!»

Chantico schüttelte den Kopf. Er gab den anderen Reitern ein Handzeichen: «Befreit sie alle. Egal, ob lebend oder tot. Die Toten werden ehrenvoll begraben. Wie alle anderen Soldaten der Pravin, die Gefallen sind.»

«Und die Lebenden?»

«Versorgt sie!», meinte der Feldherr.

Der Hauptmann wurde als erstes befreit. Wie ein Fötus lag er, noch immer voller Schmerzen, am Boden. Krümmte sich und weinte. Er wollte sich zusammenreißen, aber er konnte nicht.

Es dauerte eine Weile, bis er wieder einigermaßen klar denken konnte. Auch wenn die Schmerzen noch stark waren.

«Werdet ihr uns töten?», fragte er.

Der Feldherr schüttelte den Kopf: «Nein. Ihr habt genug gelitten. Wenn ihr den Tod wollt, wenn ihr Erlösung wollt, dann können Euch meine Männer diesen Wunsch erfüllen.»

«Nein. Ich will leben!», sagte der Hauptmann. Es war erstaunlich. Vor nur wenigen Minuten hatte er sich den Tod herbeigesehnt. Aber nun siegte der Lebenswille.

«Dann soll es so sein!», meinte Chantico: «Ihr werdet Euch in der Stadt erholen. Es ist nun meine Stadt. Und Ihr sollt als freie Männer in ihr Leben können!»

«Danke, Feldherr!»

«Genauso wie alle anderen Bürgerinnen und Bürger. Ich werde eine Garnison hier in der Stadt aufbauen. Mit hundert Mann. Wer auf dumme Gedanken kommt oder Widerstand leistet wird getötet!»

«Weiß Euer Feldmarschall von diesen Gedanken?», fragte der Hauptmann. Langsam versuchte er sich aufzurichten. Aber das war gar nicht so einfach. Ihm tat der ganze Unterleib weh. Kraftlos sackte er zurück.

«Bleibt liegen. Ich schicke Frauen aus Eurer Stadt, die sich um Euch kümmern.», sagte der Feldherr der Nehataner: «Und nein, der Feldmarschall weiß nichts von meinen Entscheidungen. Aber das ist mir vollkommen egal. Ich möchte das so und dulde da auch keinen Widerspruch!»

Der Hauptmann nickte dankend: «Mein Name ist übrigens Argeios!»

Chantico nickte: «Dann hat der namenlose Hauptmann nun doch einen Namen. Euer Volk kann stolz auf Argeios von Laros sein.» Dann ging der Feldherr zu seinem Pferd und stieg auf.

Es waren nur vier Kriegsgefangene. Die anderen hatten die Folter nicht überlebt. Mühsam brachten einige Stadtbewohner ihre Soldaten auf einem Karren in die Stadt. Ob alle vier Krieger überleben würden, konnte keiner sagen.

Feldmarschall Mixtli beobachtete die Szenerie argwöhnisch von einem kleinen Hügel, auf denen normalerweise Redner zum Volk sprachen. Irgendwelche Laienprediger oder Gelehrte, die ihr Wissen zum Besten geben wollten. Neben ihm stand Chantico, der Feldherr und Bruder des Königs.

«Bei allem Respekt, Feldherr. Aber was Ihr entschieden habt, das ist nicht richtig. Sie werden sich gegen uns wenden. Irgendwann!», meinte Mixtli.

Chantico schüttelte den Kopf: «Was bringt mir ein Land aus Schutt und Asche? Was bringt König Atlacoya, meinem Bruder, eine Stadt, die dem Erdboden gleichgemacht wurde? Was bringen uns Felder, die von Blut getränkt sind, statt Früchte zu tragen?»

«Wir könnten Nehataner in dieser Gegen ansiedeln!», meinte der Feldmarschall: «Das ist ein großartiges, fruchtbares Stück Land und ...»

«Noch sind wir nur im Besitz von einer von zwei Städten ...»

«Wir werden weiter angreifen. Und wir werden auch die nächste Stadt einnehmen!»

«Wenn wir Gnade walten lassen, dann unterwerfen sie sich vielleicht freiwillig!», sagte Chantico.

«Bei allem Respekt, Feldherr. Das werden sie nicht. Und ich denke nicht, dass das im Sinne Eures Bruder ...»

«Belehrt mich nicht!», herrschte ihn Chantico an: «Vor allem, erzählt mir nicht, was im Sinne meines Bruders ist. Sein Blut fließt durch meine Adern.»

«Nun gut, wenn Ihr meint!»

«Ihr werdet bereits morgen weiterreiten. Mit einer Reiterkompanie, einer Bogenschützenkompanie und zwei Schwertkämpferkompanien. Und Ihr werdet einen Belagerungsring um die nächste Stadt bilden.»

«Und dann?»

«Dann werdet Ihr warten, bis ich nachkomme. Mit den restlichen Truppen! Eine Kompanie werde ich hier in Laros zurücklassen. Als Garnison!»

«Ich verstehe nicht ...»

«Das ist mir egal!», Chantico wehrte mit der Hand ab: «Tut einfach, was ich sage.» Dann ging er in Richtung Rathaus.

Mixtli war sichtlich überrascht. Was war mit dem Feldherrn los? Wieso plötzlich dieser Ton? Und woher dieses militärische Selbstbewusstsein? So richtig verstand er nicht, woher dieser Wandel kam. Er, der Feldmarschall, hatte bisher die Entscheidungen getroffen. Wenn das nun anders war, dann war das definitiv nicht gut.

Mixtli entschied sich darüber vorerst keine Gedanken zu machen. Er konnte im Moment eh nicht dagegenwirken. Und er war der festen Überzeugung, dass sich der Feldherr wieder beruhigte. Er war nicht der geborene Führer. Er wach ein weicher Mann, der zudem auf Knaben stand.

5

Königspalast Hingston,

Thronsaal

Es war erstaunlich wer alles aus dem Volk eine Audienz beim König wollten. Adlige und reiche Kaufleute hatten Vorrang. Aber es wurden auch oftmals Bauern vorgelassen. In der Regel machte Lord Lenningten eine Vorauswahl. Doch der war am Tag zuvor aufgebrochen, um mit einigen Ratsmitgliedern die beiden Städte an der Westküste zu besuchen. Und so machte es der königliche Kammerdiener.

Die Audienzen zogen sich gut zwei Stunden. Bei jeder Audienz an diesem Tag hatte der König müde gewirkt. Nun aber war er hellwach. Er saß aufrecht in seinem Thron und starrte seinen Kommandeur an. Neben ihm saß seine Frau.

Der König hatte kein Wort gesagt. Christoph von Charleston hatte ihm seine Sicht der Dinge geschildert. Recht vorsichtig hatte er seinen Verdacht geäußert. Nun stand die Königin, die bislang stumm auf ihrem Stuhl gesessen hatte, auf.

«Ihr wollt dem König also erzählen, dass die Prinzessin und ihre Hofdame den Priester getötet haben?», fragte Elisabeth: «Macht Euch nicht lächerlich.»

«Ich habe es genau gesehen. Es war überall Blut und ...»

«Blut von wem?», die Königin schaute den Lord direkt in die Augen.

«Vom Priester ..., von wem sonst?»

«Seid ihr Euch da hundertprozentig sicher?»

«Wessen Blut soll es sonst sein?», fragte der Lord irritiert.

«Vielleicht von einem Schaf, das dort gerissen wurde. Was weiß denn ich? Fakt ist, dass Ihr es nicht beweisen könnt!»

«Ich verstehe durchaus Eure Zweifel. Sie ist Eure Tochter und ...»

Die Königin nahm den silbernen Becher und donnerte ihn gegen die Wand. Wein spritzte umher: «Sie ist nicht nur meine Tochter, sondern Eure königliche Hoheit. Sie ist die Thronerbin und ...»

«Beruhige dich, Elisabeth!», sagte König Leopold und hob die Hand. Dann meinte er zu Lord Christoph: «Eure Anschuldigungen sind in der Tat von gewaltigem Ausmaß. Das ist Euch bewusst?»

Christoph spürte wie der Schweiß ihm auf die Stirn trat: «Ich weiß, königliche Majestät! Und ich würde auch nur ihre Hofdame anklagen. Selbstverständlich nicht die Prinzessin. Man kann davon ausgehen, dass die Prinzessin aus Angst Ihre Hofdame schützt. Vielleicht hat diese Frau aus dem Armenviertel die königliche Hoheit, Prinzessin von Manis, sogar bedroht?»

«Das hört sich schon glaubhafter an!», murmelte Leopold: «Was ist mit der Magd des Priesters?»

«Sie ist auf der Flucht. Was die Sache noch eigenartiger macht!»

«Und sie in gewisser Weise schuldig aussehen lässt!», sagte der König.

«Dennoch müssen wir jemanden zur Anklage bringen. Und ich sehe da die Hofdame in der Pflicht! Wir gehen davon aus, dass sie die Prinzessin bedroht hat.»

«Nun gut!», murmelte Leopold.

«Bei den Göttern. Du glaubst doch diesen Unsinn nicht?», fragte Elisabeth: «Diese Hofdame sieht mir nicht so aus, als würde sie meine Tochter bedrohen!»

«Willst du lieber, dass unsere Tochter angeklagt wird?», fragte König Leopold.

«Du redest schon so, als wäre es bewiesen. Und was ist der Beweis? Blut, das längst vom Regen weggeschwemmt wurde ...»

«Es ist das Wort eines Lords und eines militärischen Führers!», sagte der König: «Und mir ist wohler dabei, wenn wir diese Hofdame zur Rechenschaft ziehen. Wenn auch nur ein Funken Wahrheit an dieser Sache ist, dann sollte sie nicht in der Nähe meiner Tochter sein!»

«Sie würde der Hexerei und Gotteslästerung angeklagt!», sagte Christoph: «Immerhin hat sie einen Priester getötet! Das bedeutet den Scheiterhaufen!»

«Und wieder redet Ihr so, als wäre es bewiesen!», sagte Elisabeth: «Ihr seid ein Hitzkopf, Lord Christoph. Bei den Göttern. Jetzt wo Lord Philipp im Kerker sitzt, fangt Ihr an zu spinnen!»

«Ich bin ein treuer Gefolgsmann von Lord Philipp gewesen ...», sagte Christoph.

«Schluss jetzt!», befahl der König: «Diese Hofdame wird gefangen genommen und vor Gericht gestellt. Dort hat sie die Möglichkeit sich zu äußern. Das ist unsere Gerechtigkeit!»

«Du machst einen entscheidenden Fehler!», sagte die Königin. Aus ihren Augen funkelte Wut.

«Ihr könnt Euch entfernen!», sagte Leopold zu seinem Kommandeur. Dieser nickte stumm und ging dann. Der König wand sich nun an seine Frau: «Es wäre ein Fehler nicht zu reagieren. Wichtig ist, dass unsere Tochter aus der Schusslinie kommt.»

«Nun. Ist das sicher?», Elisabeth schaute ihn skeptisch an: «Was ist, wenn die Hofdame erzählt, es wäre die Prinzessin gewesen?»

«Es wird ihr keiner glauben!»

«Ach ja? Bei den Göttern. Bin ich nur von Narren umgeben?»

«Sie ist unsere Tochter. Ich habe genauso ein Interesse sie zu schützen wie du!»

Elisabeth schüttelte den Kopf: «Du verstehst das nicht. Sie ist nicht nur meine Tochter und die Thronerbin. Sondern auch die mögliche Serva. Das Götteropfer!»

«Bei allen Göttern der sieben Monde!», schnaubte König Leopold: «Das hoffe ich nicht. Ich wünsche mir doch sehr, dass meine Thronfolgerin baldmöglichst zurück im Palast ist!»

Der Richter von Hingston wirkte müde. Die kurzfristig einberufene Gerichtsversammlung passte ihm gar nicht in den Kram. Normalerweise tagte das Gericht nur einmal pro Woche. In Fällen, bei denen es um die Todesstrafe ging, sogar nur alle sieben Wochen. Aber der König hatte explizit eine schnelle Verhandlung gewünscht.

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