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«Lasst uns das Feuer erwidern!», schrie Chantico: «Schießt auf die feindlichen Schützen!»

«Unsere Pfeile reichen nicht so weit!», erwiderte Mixtli. Verzweiflung machte sich breit. Er hatte sich die Sache anders vorgestellt.

«Was wollt ihr damit sagen?»

«Dass wir, gottverdammt, nicht so weit schießen können, Feldherr!»

«Versucht es trotzdem!», schrie Chantico.

Mixtli schüttelte den Kopf. Aber er gab den Befehl. Und die Pfeile flogen über ihre Köpfe hinweg Richtung Feindeslinie. Sie verpufften zwischen den feindlichen Schwertkämpfern und den feindlichen Schützen im Nichts. Einige wenige Pfeile erreichten zumindest die Gebäude, prallten aber daran ab oder blieben, sofern es Holzhäuser waren, in den Wänden stecken.

Als Antwort kam eine Salve der Langbogenschützen.

Mixtli starrte hinter sich. Die meisten seiner hundert Bogenschützen waren tot. Er ritt zu einem seiner Offiziere und packte ihn am Arm: «Reitet los und schickt die nächste Schützenkompanie!»

«Wir sollten uns zurückziehen und neu formatieren!», schrie der Offizier.

Mixtli schaute ihn Böse an: «Ihr könnt meinetwegen eure Vorhaut zurückziehen. Aber nicht unsere gottverdammten Truppen. Und jetzt holt die Verstärkung!»

«Aber ...»

«Nichts aber! Tut es!»

Der Offizier gehorchte und ritt los.

Mixtli drehte sich nun zu seinen Schwertkämpfern um: «Vorwärts Marsch!»

Er wusste, wenn er jetzt nicht angreifen würde, dann würde sich seine Truppe immer mehr minimieren.

Die Schwertkämpfer der Nehataner marschierten vorwärts Richtung Stadt. Von den einst fünfhundert Mann waren nur noch vierhundert Mann übrig. Der Rest lag tot oder verwundet an Ort und Stelle. Mit derart großen Verlusten hatte Mixtli nicht gerechnet. Aber er wusste, dass es noch mehr Tote auf der eigenen Seite geben würde, wenn er nicht handelte. Die Armee musste vorrücken. Und er konnte nicht warten bis seine Schützenreihen wieder aufgefüllt waren.

Er starrte Richtung Feind. Zwischen den eigenen Truppen und der feindlichen Linie lagen noch gut fünfzig Meter. Dazwischen lagen riesige Heuballen, die Bauern dort aufgebahrt hatten. Die nächste Salve von Pfeilen rauschte auf nehatanische Truppe und die Soldaten suchten verzweifelt Schutz hinter dem Heu.

Der Offizier, der die Schwertkämpfer der Nehataner anführte, suchte ebenfalls Schutz hinter den Heuballen. Er schaute nach hinten und sah wie weitere Männer seiner Einheit fielen. Er musste angreifen. Und zwar schnell. Das Heu gab zumindest die Möglichkeit kurz mal durchzuatmen.

«Riecht Ihr das, Kompaniechef?», fragte einer der Soldaten.

Der Offizier schüttelte den Kopf: «Was meint ihr?»

«Es riecht nach Öl!»

«Tatsächlich!», murmelte der militärische Führer der Schwertkämpfer. Er schnupperte. Der Soldat hatte recht. Verwirrt schaute er sich um. In der Zwischenzeit hatten sich die meisten seiner Soldaten hinter den Heuballen verschanzt. Bereit weiter anzugreifen.

«Die Heuballen!», sagte der Soldat erschrocken: «Sie sind ... sie sind mit ...»

Die nächste Salve von Pfeilen donnerte auf die Einheit herunter. Aber dieses Mal waren es keine gewöhnlichen Pfeile. Die Pfeilspitzen waren mit ölgetränkten Tüchern umwickelt und anschließend angezündet worden.

«Bei den Göttern!», schrie der Offizier: «Zurück, zurück!»

Doch es war zu spät. Der brennende Pfeilregen setzte sofort die mit Öl getränkten Holzballen in Brand.

Lebende Fackeln rannten umher. Soldaten die Feuer gefangen hatten und panisch davonliefen anstatt sich auf dem Boden zu wälzen.

Mixtli starrte auf das Szenario vor sich. Er hatte die Pravin unterschätzt. Sehr sogar. Er hatte weder die Langbogenschützen erwartet noch diese hinterhältige Taktik mit den Strohballen. Aber es kam noch schlimmer. Nicht nur, dass die meisten Schwertkämpfer die Flucht ergriffen und direkt in seine Richtung rannten, auf der Anhöhe erschienen plötzlich weitere feindliche Soldaten.

«Ein Gegenangriff!» schrie Mixtli: «Verdammt, ein Gegenangriff in die Flanke!»

Doch sein Ruf verhallte ungehört. Kaum einer bekam es mit.

Chantico konnte es nicht glauben. Hinter ihm lag eine halbzerschmetterte Schützenkompanie, vor ihm flohen die Schwertkämpfer in seine Richtung. Einige hatten ihn schon erreicht. Aber er hielt keinen auf. Er blickte einfach nur stumm auf die flammenden Strohballen vor ihm. Dann traf ihn ein Pfeil. Er stürzte zu Boden.

«Bei den Göttern. Was für eine verfluchte Scheiße!», schrie Mixtli: «Schützt den Feldherrn. Schützt ihn mit Eurem Leben!»

«Was sollen wir tun?», fragte einer der Offiziere.

«Übernehmt das Kommando über die Schwertkämpfer. Wehrt den Gegenangriff ab. Ich werde jeden töten, der weiter flieht als bis zu meiner Linie!» Und er machte seine Drohung war. Der erste eigene Soldat, der in Panik an ihm vorbeirennen wollte, wurde mit seinem Schwert niedergestreckt.

Mixtli starrte auf die Angreifer in seiner linken Flanke. Sie kamen aus dem Nichts: «Bei den Göttern! Wenn schon Scheiße, dann aber auch bitteschön richtig dünnflüssig. Was für ein gottverdammter Dreck! Unsere Flanke wird angegriffen.»

Der Hauptmann der pravinischen Garnison schrie zum Angriff. Seine Männer rannten auf die nehatanischen Streitkräfte zu. Mit äußerstem Willen ihre Stadt bis aufs Blut zu verteidigen.

Die Pravin kämpften mit dem Mut der Verzweiflung. Doch der Feldmarschall hatte schnell den Überblick wiedergewonnen. Der Schock des Gegenangriffes saß tief. Mixtli musste sich aus ihm befreien. Für einen Moment lang schaute er zu Chantico, seinen Feldherrn. Er war verwundet, aber er würde überleben. Rund zwanzig Schwertkämpfer hatten sich um ihn herum positioniert und beschützen ihn. Für einen Moment überlegte Mixtli, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn Chantico den Tod gefunden hätte. Vermutlich wäre dann er der Feldherr dieser Armee. Und nicht dieser arschfickende Bruder des Königs. Auf der anderen Seite musste er sich eingestehen, dass er selbst den entscheidenden Fehler in dieser Schlacht gemacht hatte. Und er schwor sich niemals wieder seine Flanke ungeschützt zu lassen. Und genau die galt es nun beim Feind anzugreifen.

Mixtli gab seinem Pferd die Sporen. Er ritt von den Schwertkämpfern weg Richtung einer seiner Kavallerieeinheiten. Schon von weitem schrie er: «Greift ihre Flanken an. Verdammt noch mal, greift ihre Flanken an! Eine Reiterkompanie links herum und eine rechts herum!»

Der Hornbläser der berittenen Einheit blies zum Angriff.

Während die nehatanischen Schwertkämpfer noch immer niedergemetzelt wurden, kam nun die notwendige Hilfe in Form der Kavallerie. Viel zu lange hatte es gebraucht, bis Mixtli aus seiner Schockstarre erwacht war. Aber nun holte er sich die Kontrolle wieder zurück. Die berittenen Einheiten griffen an. Mixtli mitten unter ihnen. Er hatte es sich nicht nehmen lassen selbst mit anzugreifen. Die Hufe der Pferde donnerte über den Boden.

Dann prallte die Kavallerie direkt in die feindliche Linie ...

Die pravinischen Soldaten fielen wie die Fliegen. Wer nicht durch die Pferde niedergetrampelt wurde, der wurde durch ein Schwert getroffen. Es war ein grausames Gemetzel.

Mixtli war in der Zwischenzeit mitten im Kampfgewühl. Er war wie von Sinnen und schlug mit seinem Schwert um sich. Und auch sein Pferd war in Rage. Todesangst erfüllte das arme Tier, das als militärisches Werkzeug missbraucht wurde. Panisch trat es um sich. Wer auf dem Boden lag wurde niedergetrampelt. Egal, ob Feind oder Freund. Denn nicht jeder Nehataner hatte sich auf seinem Pferd halten können und so wurde er schnell ebenfalls Opfer der Hufe.

«Lasst keinen am Leben!», schrie Mixtli laut. Es war nicht von Anfang an seine Absicht gewesen jeden töten zu lassen. Aber nun war er so voller Wut und Hass, dass er nicht anders konnte.

Keiner der zweihundert Soldaten würde diesen Angriff überleben. Das war dem Hauptmann längst klar. Er ließ zum Rückzug blasen. Aber es war längst zu spät. Jedem Soldaten war bewusst, dass die Nehataner keine Gnade kannten. Sie würden alle töten.

«Wir ergeben uns!», schrie der Hauptmann der Garnison laut: «Wir ergeben uns!»

Das Gemetzel ging weiter. Auch wenn einige Soldaten ihre Schwerter niederlegten.

Nein, es war keine Gnade, die der Feldmarschall der Nehataner in diesem Augenblick verspürte. Vielmehr die Genugtuung, dass sie sich ergaben. «Haltet ein!», bellte Mixtli über das Schlachtfeld und zu seinem Hornbläser befahl er: «Lasst die Waffen ruhen!»

Das Horn ertönte. Nur langsam verstanden die Reiter der Nehataner, dass dieser Ruf ihnen galt und ihnen den Befehl gab den Kampf einzustellen. So sehr waren sie im Blutrausch. Aber nach und nach kehrte Ruhe ein.

«Treibt sie zusammen!», sagte Mixtli: «Es darf keiner entkommen! Und der Rest der Reiter setzt den Angriff auf die Stadt fort!»

Zwei Reiterkompanien ritten auf die Stadt zu. Und auch hier setzte sich das Gemetzel fort. Keiner der Einheiten in der Stadt überlebte. Die Schützen auf den Dächern versuchten zu fliehen, wurden aber recht rasch von den Reitern eingefangen und getötet.

Viele Tote blieben auf dem Schlachtfeld. Die Lebenden wurden zusammengetrieben. Wer nicht mehr Aufstehen konnte wurde erlöst. Mit dem Hauptmann blieben rund zwanzig Mann der pravinischen Armee übrig.

«Der Sieg ist unser!», schrie Mixtli laut.

Die Nehataner schrien lauthals vor Freude. Aber auch aus Erleichterung. Es war vorbei. Die erste richtige Schlacht war geschlagen ...

4

Königlicher Palast,

Gefängnis

Die kalten Mauern des Gefängnisses. Tamira würde sich nie daran gewöhnen. Sie verstand nicht, wie es Lord Philipp von Raditon auch nur eine Nacht hier drinnen aushielt. Kalt, düster, stickig. Das war kein lebenswerter Ort. Aber der Lord war nicht alleine. Gut zwanzig Männer waren hier eingesperrt. In vielleicht dreißig Zellen. Ob Frauen darunter waren, konnte sie nicht sagen. Sie hatte bislang keine gesehen. Aber das hieß nichts. Sie ging ohnehin immer an allen vorbei ohne nach links oder rechts zu blicken. Sie vermied es die Gefangenen anzuschauen. Nicht weil sie diese geringschätzte, sondern einfach, weil sie Angst hatte. Der eine oder andere hatte es sicherlich verdient hier zu sein.

Die letzte Zelle hinten rechts. Dort war Philipp von Raditon untergebracht. Warum, das konnte keiner so genau sagen. Vielleicht weil er eigenhändig gehandelt hatte. Weil er ohne richterlichen Beschluss befohlen hatte einen Mann zu ermorden. Vielleicht weil er an dem Aufstand beteiligt war.

«Da bist du ja!», sagte Philipp: «Wie geht es dir?»

«Gut, Lord von Raditon!», erwiderte sie leise und setzte sich dann vor die Gitterstäbe: «Und Euch?»

«Den Umständen entsprechend!»

Sie wurde rot: «Tut mir leid. Natürlich. Das war dumm von mir!»

«Nein, du kümmerst dich um mich. Du denkst an mich. Das gefällt mir. Wie geht es der Prinzessin?»

«Den Umständen entsprechend!», antwortete sie.

Er lachte. Es war eine unfreiwillig komische Antwort. Aber dann wurde er wieder ernst: «Kümmere dich um sie!»

«Das tu ich!», sie schaute hinüber in die andere Zelle von Thores lag. Er schien zu schlafen. Oder zumindest tat er so: «Was ist mit seinem Plan?»

«Nichts!», meinte Philipp von Raditon: «Er ist verrückt!»

«Er klang aber nicht verrückt!»

«Ich möchte darüber nicht sprechen!»

Sie nickte: «In Ordnung.»

«Du musst mir versprechen, dass du der Prinzessin folgst. Wenn sie tatsächlich das Götteropfer wird!»

«Ihr wärt dann wochenlang alleine hier eingesperrt!», meinte sie traurig: «Und Ihr würdet hier Tag für Tag und Nacht für Nacht auf Eure Hinrichtung warten, ohne dass Euch jemand besucht!»

«Das ist mir bewusst. Aber ich denke, dass es deine Bestimmung ist bei der Prinzessin zu sein. Du dienst ihr, nicht meiner Wenigkeit!»

Sie nickte: «Ich weiß. Aber ...»

«Kein Aber!», meinte er: «Tu es einfach. Und bis dahin sind es noch fast zwei Wochen. In denen du mich besuchen kannst!»

«Das werde ich. Das werde ich in jedem Fall!»

Die nächste, gut eine halbe Stunde, sprachen sie von anderen Themen. Von nichtssagenden Dingen, die dem Lord von Raditon jedoch die Möglichkeit gaben ein wenig aus dem Gefängnisalltag auszubrechen. Gedanklich. Der Lord sprach vor allem von seiner Heimat. Raditon ganz im Westen des Landes. Wie auch Hingston direkt am Meer gelegen. Allerdings war das dortige Ewige Meer weitaus rauer. Die See war deutlich wilder, da die meisten Winde von Westen herkamen Es waren bereits Schiffe weiter Richtung Westen aufgebrochen, aber nie zurückgekommen. Gab es weiteres Land und weitere Völker? Die Priester verneinten das vehement. Doch man wusste, dass der Planet rund war. Entweder man traf auf weiteres Land oder weitere Inseln, oder man kam eben wieder in Mani an. Im Osten von Mani.

5

Kaltes Meer,

südlich von Ragnas

Das Festland des nordischen Landes der Ragni wurde immer kleiner. Hedda blickte zurück. Würde sie dieses Land jemals wiedersehen? Es war mühselig sich darüber Gedanken zu machen. Ihr Schicksal war unbestimmt. Keiner konnte voraussagen, wie alles enden würde.

Hedda betrachtete die rudernden Männer. Sie gehörten zu den Kriegern der Ragni. Treue Soldaten des Königs. Immer sechs von ihnen ruderten. Zwei machten Pause. Sie erholten sich, aßen oder schliefen. Hedda spürte durchaus den Blick einer der beiden ruhenden Krieger. Er hatte sich an den Mast gelehnt und starrte zu ihr hinüber. Sie erwiderte den Blick nicht bewusst, musste aber immer wieder zu ihm schauen. Warum starrte er so? Flirtete er sogar mit ihr?

Die Königin, die neben ihr saß, hatte den Blick durchaus bemerkt. Sie schaute erst zu Hedda, dann zu dem Soldaten: «Wie kannst du es wagen sie so anzuschauen? Sie ist die Serva unseres Gottes!»

«Vergebt mir!», sagte der Soldat. Hastig packte er aus seiner Tasche eine Decke. Er legte sie sich um und rollte sich dann zusammen. Es war ohnehin wichtig für ihn zur Ruhe zu kommen und zu schlafen. Er musste für seine Schicht fit sein. Zwei Stunden hatte er hierzu Zeit. Dann musste er sechs Stunden fast durchgängig am Ruder verbringen. Wenn auch nicht sechs Stunden komplett durchgerudert wurde, so war es doch anstrengend.

«Meine Königin!», fragte Hedda leise.

Varuna schaute sie an: «Was ist, mein Kind?»

«Was ist, wenn ich mal ...»

«Wenn du musst?», fragte die königliche Hoheit. Sie schaute ernst drein: «Dann mach über die Reling!»

«Über die Reling?», Hedda war sichtlich irritiert: «Aber ...»

«Es gibt kein aber, Hedda! Wir sind mitten auf dem Ozean. Und wenn du groß musst, dann ...»

«Nein! Muss ich nicht!», wehrte sie ab.

«Nun, in jedem Fall musst du über die Reling machen!»

«Lass dir aber nicht von Haien in den Arsch beißen!», grinste Hamdir der Kommandeur.

Hedda wusste nicht so richtig, was sie von ihm halten sollte: «Haie?»

«Hör nicht auf ihn!», meinte der Prediger. Er saß in einer Ecke. Zusammengekauert wie ein kleines Paket. Seinen Kopf hatte er gesenkt. Er schaute nicht auf, sondern starrte nur gedankenversunken zu Boden.

So viel ließ sie zurück. Ihr Land, ihre Vergangenheit, das Ewige Eis. Vor allem aber den Ewigen Tag. Es sollte bald dunkel werden, hatte die Königin verraten. Nicht für allzu lange aber doch so, dass es für ein paar Stunden stockfinster werden würde. Eine unheimliche Vorstellung für Hedda.

«Erzählt uns, alter Mann. Was erwartet sie? Was erwartet uns?», fragte der Kommandeur und setzte sich neben den Priester.

Vidolf, der weißhaarige Priester, schaute immer noch nicht hoch. Sondern sprach einfach vor sich hin: «Es ist unsere Aufgabe sie zum Tempel von Deux zu begleiten und sie dort den Göttern zu opfern.»

«Opfern im Sinne von …», Hamdir stockte und schaute zu Hedda. Er wollte die Worte nicht in ihrem Beisein aussprechen.

«Nein, ich glaube nicht!», murmelte Vidolf.

«Ihr glaubt nicht?», fragte Hamdir verwirrt: «Nun, wenn Ihr es nicht wisst, wer dann?»

«Es gibt eine Gruppe!», sagte Vidolf leise: «Eine geistliche Gruppe, die weitaus höhergestellt ist als wir Priester. Und auch höher als die Könige!»

«Tatsächlich? Und wer soll das sein?»

«Es sind die Wissenden!», murmelte der Priester.

«Nun, wenn Ihr derjenige seid, der nur glaubt, dann ist es gut zu erfahren, dass es auch die Wissenden gibt!», spottete der Kommandeur grinsend.

«Ihr seid ein kleingeistiger Soldat!», Vidolf schaute nun erstmals hoch: «Die Wissenden sind die Jünger des Großmeisters!»

«Ihr werdet immer wirrer. Wer ist der Großmeister?»

«Das ist derjenige, der über uns Priestern steht. Alle sieben Jahre, wenn wir uns versammeln, dann steht er uns vor. Allen Priestern der sieben Länder. Und er alleine hört die Stimme der Götter!»

«Und die Wissenden, seine Jünger?»

«Die stehen zwischen dem Großmeister und uns Priestern!»

«Woher kommen sie? Aus welchem Volk?», fragte Hamdir ungläubig: «Ich höre davon zum ersten Mal.»

«Weil Ihr nicht zuhört!», murmelte der Priester.

«Oh, ich höre sehr wohl zu. Aber von einem Großmeister war nie die Rede.»

«Es sollte für Euch als Kommandeur auch keine Rolle spielen. Wir, die Priester, sind die Sprachrohre des Großmeisters und damit auch der Götter.»

«Dennoch könnt Ihr mir meine Frage nicht beantworten. Was geschieht mit der Serva? Mit diesem jungen, hübschen Ding?»

«Wenn ich es wüsste, würde ich es Euch sagen. Aber ich weiß es nicht. Wir haben den Auftrag aus jedem Volk eine Serva zum Großmeister zu senden. Mehr weiß ich nicht!»

«Nun gut!», nickte der Kommandeur und öffnete seine Tasche. Er holte sich eine Decke heraus und wickelte sich ein: «Dann möchte ich Euch nicht weiter nerven. Wir werden schon sehen, was uns die Zukunft bringt.»

6

Außerhalb der Stad Hingston,

alter Wachturm

Die Türe zum Balkon war weit geöffnet. Katharina war froh, dass sie so wenigstens einen Ausblick aufs Meer hatte. Knapp zwei Wochen würde sie hier gefangen sein. In diesem Turm außerhalb von Hingston. Eine Fluchtmöglichkeit gab es nicht. Durch die Türe ging es ohnehin nicht. Die war abgesperrt und zwei Wachen standen davor. Und über den Balkon? Darunter war nur schroffer Fels. Der Turm war direkt an einer Klippe gebaut worden, die hinunter zum Strand führte.

Aber an fliehen dachte die Prinzessin ohnehin nicht. Wohin sollte sie schon gehen?

Sie hörte die Türe und hoffte, dass es ihre Hofdame war. Tamira. Und ihre Hoffnung wurde erfüllt. Es war tatsächlich die junge Frau aus dem Veteranenviertel.

«Ich bin froh dich zu sehen!», meinte Katharina.

Tamira nickte und legte einen Korb auf den Tisch: «Ich habe Euch Essen mitgebracht, königliche Hoheit!»

«Danke!», murmelte Katharina und ging hinaus auf den Balkon: «Es ist wunderbares Wetter!»

«Ja, das ist es wohl!», nickte Tamira: «Übrigens, der Priester kommt. Ich war schneller als er, aber er wird bald da sein!»

«Was will dieser Widerling?», Katharina schüttelte sich. Sie erinnerte sich noch genau daran, wie er sie behandelt hatte.

«Ich weiß es nicht. Er kommt mit seiner Magd!»

«In die Ewige Verdammnis soll er fahren!», schnaubte die Prinzessin. Ihr Blick schweifte über das Meer: «Eigentlich ist die Vorstellung weiter in den Süden zu reisen gar nicht so übel. Ich habe es mir immer gewünscht. Und nun? Nun werde ich vielleicht dazu gezwungen und schon hat es seinen Reiz verloren!»

Die Türe ging auf. Schwer atmend kam der Priester hoch. Zacharias, der oberste Priester aller Mani. Mit seinem rauschenden weißen Bart und seiner roten Robe.

«Was wollt Ihr?», fragte Katharina.

«Nach Euch sehen!», grinste er: «Ich bin für Euch verantwortlich, königliche Hoheit!»

«Das seid Ihr nicht!», die Prinzessin drehte sich von ihm weg und schaute erneut auf das Meer.

Zacharias schaute die Prinzessin von oben bis unten an. Sie war jung. Bildhübsch. Schlank. In ihm tobte ein Kampf. Auf der einen Seite die Verantwortung die schönste Jungfrau zum Tempel zu bringen, auf der anderen Seite seine Gier. Seine unersättliche perverse Gier nach frischem, jungen Fleisch. Viele Jahre war er dieser Lust nicht nachgegangen. Aus Prinzip. Aus Treue gegenüber den Göttern. Aus Verantwortung als Priester. Aber als er die Jungfräulichkeit der Prinzessin geprüft hatte, da war in ihm Feuer entflammt worden. Die Glut war schon immer dagewesen. Sie war in seinem Kopf, aber vor allem in seinen Lenden. Und ihr Anblick hatte diese Glut entfacht. Er hatte seine Magd vergewaltigt. Sie sich einfach genommen. Benutzt wie ein Stück Fleisch. Und es sehnte ihm nach mehr.

«Es gibt eine Möglichkeit!», meinte der Priester: «Eine Möglichkeit, dass Ihr, Prinzessin, die Reise nicht antreten müsst!»

«Tatsächlich?», fragte Katharina: «Nennt sie mir. Bitte!»

«Nun. Wenn Ihr die Auserwählte seid und Ihr Euch Eure Unschuld willentlich rauben lasst, dann wäre das Sünde gegen die Götter. Nicht aber wenn ...»

«Wenn was?», fragte Katharina.

«Wenn ein Priester Euch die Unschuld raubt!»

Katharina erbleichte: «Das meint Ihr nicht ernst?»

«Oh doch! Das meine ich!»

«Ihr seid ein ...», sie sprach nicht weiter.

Er grinste sie an: «Es ist mir egal, was Ihr denkt, königliche Hoheit. Ihr seid ein kleines Mädchen und die Götter mögen Euch Eure blasphemischen Gedanken verzeihen.»

Tamira starrte den Priester an: «Ihr meint also, wenn die königliche Hoheit Euch ihre Unschuld schenken würde, dann wäre sie frei?»

Zacharias nickte lüstern. Ja, er würde schon eine andere Jungfrau finden. Vielleicht würde sie nicht so schön sein. Aber sie wäre dann die schönste Jungfrau, da die Prinzessin dann ihre Unschuld verloren haben würde.

«Ihr seid pervers!», schüttelte Katharina den Kopf. Alleine der Gedanke, dass der alte Mann sie erneut anfasste, löste in ihr ein ungutes Gefühl aus.

Noch immer stand Katharina auf dem Balkon. Zacharias schaute sie sich an. Sie hatte ein weißes Kleid an, dass sich perfekt an ihren Körper schmiegte. An ihren schlanken, jungen Körper. Er ging zu ihr hinaus und stellte sich neben sie. Langsam fuhr er ihr mit der Hand über die Wange: «Ihr seid wunderschön. Und ich würde es genießen. Im Namen der Götter!»

«Das können die Götter nicht wollen!», meinte Tamira. Erinnerungen kamen auf. An ihren Vater. Der sie so oft missbraucht hatte. Sie misshandelt und gedemütigt hatte. Vergewaltigt. Immer und immer wieder.

«Was weißt du schon, dummes Kind!», sagte Zacharias und schaute sie spöttisch an. Er griff nach Katarinas Kleid und mit einem Mal zerriss er es an ihrem Ausschnitt.

Die Prinzessin schrie auf. Fasste schnell an die zerrissene Stelle: «Wagt es nicht mich anzufassen!»

«Oh, Prinzessin. Ihr werdet euch doch nicht gegen den Willen der Götter stellen ...»

«Ich dachte, ich wäre die Auserwählte und ...»

Seine schmierigen, alten Finger griffen nach ihr. Er war scharf auf sie. Er war nicht mehr Herr seiner Gedanken. Ja, sie war die Auserwählte. Noch. Aber nicht, wenn sie keine Jungfrau mehr sein würde. Und er wollte sie. Wollte sie mehr als alles andere.

«Lasst sie in Ruhe!», schrie Tamira.

«Halt den Mund, du dreckige Göre!», fauchte der Priester sie an: «Der Prinzessin wird wenigstens die Ehre zuteil für einen Mann der Götter die Beine breit zu machen und nicht für ihren Vater wie du ...»

Seine Worte verstummten. Sein Gesicht verriet Überraschung und Entsetzen zugleich. Er sah Tamira. Wie sie auf ihn zu stürmte. Sah ihre Hände. Sah ihr zorniges Gesicht. Er blickte zur Prinzessin. Noch immer hielt sie ihr zerrissenes Kleid. Auch sie schien verwundert.

... und dann fiel er. Er stürzte über die Brüstung. Kein Laut kam über seine Lippen. Er fiel einfach nur und tausende von Gedanken gingen durch seinen Kopf. Sterben, er würde sterben. Für einen Moment lang sah er seine Mutter. Wie sie ihn in den Armen hielt. Wie sie ihn hin und her wog. Seinen Vater. Eine Reitgerte in der Hand ... dann das Kloster, das er als Kind besucht hatte. Weggesperrt im Auftrag seines Vaters. Der in ihm einen Nichtsnutz sah. Die Schule. Die Klosterschule und der strenge Lehrer. Die Weihe zum Priester ... die Ernennung zum höchsten Priester ... und er sah die Prinzessin. Nackt. Wie er sie von hinten nahm. Durchvögelte ...sie drehte sich zu ihm um. Blickte ihn an. Aber ihr Gesicht. Das war nicht sie. Das war Regnator. Seine Augen leuchteten rot. Er war wütend. Und er brüllte ... dann prallte er auf dem Felsen auf.

«Bei den Göttern. Was hast du getan?», fragte Katharina entsetzt.

«Ich ... ich weiß es nicht. Ich habe ...», Tamira stotterte. Sie schaute zum Balkon und Panik ergriff sie: «Bei den Göttern. Ich habe den Priester getötet!»

«Nicht irgendeinen Priester! Den Obersten Priester aller Mani!», die Prinzessin lief aufgeregt hin und her.

«Sie werden mich töten. Sie werden mich hängen!», jammerte Tamira: «Prinzessin, verzeiht mir.»

«Sei still!», sagte Katharina: «Hast du ihn Schreien gehört?»

«Ihr glaubt, er lebt noch?»

«Unsinn. Aber die Wachen stehen auf der anderen Seite. Vielleicht haben sie es nicht mitbekommen!»

«Ich verstehe nicht ganz ...»

«Du musst hinuntergehen. Und den Leichnam wegschaffen!»

«Was?», Tamira schaute die Prinzessin mit großen Augen an: «Das meint Ihr doch nicht ernst, oder?»

«Willst du hängen?»

«Nein!»

«Dann tu was ich sage. Bring den Leichnam weg.»

«Aber ... ich schaff das nicht!»

«Du brauchst Hilfe. Um ihn ganz weg zu schaffen benötigst du Hilfe. Aber erst einmal musst du den Leichnam verstecken. Irgendwo hier in der Nähe!»

Tamira schüttelte den Kopf: «Ich bin euch zutiefst zu Dank verpflichtet, dass Ihr mich decken wollt. Aber ich habe gerade den Oberen Priester getötet. Die Götter werden mir das nie verzeihen!»

«Vielleicht war es der Wille der Götter ...»

«Ja, das war es!», meinte plötzlich eine Stimme an der Treppe.

Die beiden jungen Frauen drehten sich überrascht um und erblickten die Magd des Priesters.

«Du hast alles mitbekommen?», fragte die Prinzessin.

Die Magd nickte: «Ja, das habe ich!»

Tamira seufzte: «Jetzt ist alles aus!»

«Wieso?», fragte die Magd und ging dann vor Prinzessin Katharina auf die Knie: «Verzeiht. Es war respektlos von mir Euch nicht angemessen zu begrüßen!»

«Steh auf!», meinte Katharina.

«Erlaubt mir, dass ich Eurer Hofdame helfe, den Priester fortzuschaffen!»

«Warum tust du das?», fragte Tamira: «Ich verstehe das nicht!»

«Er hat mich vergewaltigt!», meinte die Magd: «Nachdem Ihr, Prinzessin ,im Tempel wart. Ich habe Euch dafür gehasst, Prinzessin. Vergebt mir dafür! Er hatte Euch gewollt und mich genommen. Und dafür habe ich Euch gehasst. Aber Ihr könnt nichts dafür. Und nun hat er seine gerechte Strafe bekommen!»

«Er hat Euch ...», Katharina schloss für einen Augenblick die Augen: «Er ist unser Oberster Priester ... war unser Oberster Priester. Wieso hat er das getan?»

«Die Welt ist nicht so, wie Ihr es euch vorstellt!», murmelte die Magd des Priesters: «Und ich glaube nicht, dass die Götter das gewollt haben!»

«Ich weiß es nicht!», sagte Prinzessin Katharina. Sie glaubte sehr wohl, dass die Götter Entscheidungen trafen, die nicht unbedingt jedem gefielen. Aber der Priester war tot. Ob das nun Sünde war oder nicht, es würde nichts an der Tat ändern, wenn Tamira dafür hängen würde. Ihr graute bei dem Gedanken. Gut, vielleicht würde damit die Schuld bereinigt. Ihre Schuld. Weil ein Leben für ein Leben gegeben wurde. Das war das Ziel der Todesstrafe. Nicht die Buße für die Delinquenten, sondern für diejenigen die zurückblieben. Aber würde sie wirklich Tamira opfern, um ihre eigene Seele zu retten? Nein, das war keine Entscheidung, die sie mit dem Kopf treffen konnte. Und ihr Herz sagte, dass sie Tamira schützen musste. Auch wenn das die Götter erzürnen würde.

Katharina ging zum Balkon und starrte hinunter. Dort unten waren Felsen. Sie versuchte über die Brüstung zu schauen um besser sehen zu können. Aber den Priester konnte sie nicht sehen.

«Geht da weg!», bat Tamira: «Bitte!»

«Keine Angst!», meinte die Prinzessin: «Ich falle schon nicht!»

«Trotzdem!», die Hofdame zitterte vor Angst.

«Geht!», meinte Katharina: «Geht und tut, was ihr tun müsst!»

«Es gibt nur ein Problem!», meinte Tamira: «Die Wachen werden merken, dass der Priester nicht aus dem Turm kommt!»

«Wir sagen, dass der Priester noch oben bleibt. Irgendwann ist Wachwechsel. Und dann müssen wir hoffen, dass die Wache der Wachablösung nicht sagt, dass der Priester noch oben sein müsste.»

«Trotzdem. Irgendwann wird man den Priester vermissen und suchen!», murmelte Tamira.

Die Magd des Priesters nickte: «Ja. Das mag wohl sein. Aber ich werde mir eine Ausrede überlegen. Sagen, dass er abgereist ist. Er reist oft spontan irgendwohin. Und dann hat ihn eben eine Diebesbande ausgeraubt und getötet ...»

«Wohin bringen wir den ... Priester!», fragte Tamira.

«Was weiß ich. Zum Meer.»

«Er wird immer wieder zurück gespült.»

«Dann vergraben wir ihn!»

Tamira schüttelte den Kopf: «Dafür brauchen wir Tage!»

«Bringt ihn in den Wald!», sagte die Prinzessin.

«Nein, königliche Hoheit!», meinte die Magd: «Ich habe eine Idee ...»

Katharina blieb zurück. Die Magd des Priesters ging mit Tamira die steilen Treppen des Turmes hinunter.

«Der Priester möchte nicht gestört werden!», sagte die Magd zu den beiden Wachen.

Sie nickten. Einer von ihnen grinste. Ihre Fantasie spielten ihnen Streiche. Aber das war gut.

«Was grinst Ihr so?», fragte sie zornig.

Der Soldat schüttelte schnell den Kopf: «Verzeih! So war das nicht gemeint!»

«Wir werden einen Spaziergang machen!», erwiderte die Magd leise: «Und Ihr werdet ihn auch nicht stören!»

«Nein, werden wir nicht!», versprach der Soldat.

Die beiden jungen Frauen gingen auf die andere Seite des Turmes. Dort sahen sie ihn. Etwas weiter unten auf einer Felsspalte.

«Wir müssen dort hinunter!», sagte die Magd.

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