Читать книгу: «Wir Sklaven von Suriname», страница 2

Шрифт:

Judith de Kom
VORWORT ZUR DRITTEN AUFLAGE (1981)

»Die Wahrheit facht den Sturm gegen sich an,

der die Saat in die Weite trägt.«

Tagore

»Kein Volk kann aber zu voller Blüte gelangen, das erblich mit einem Minderwertigkeitsgefühl behaftet ist. Deshalb möchte dieses Buch die Selbstachtung der Surinamer wachrütteln«. Dies schreibt Anton de Kom in dem Kapitel »Die Geschichte des Vaterlands«. (S. 60)

Er ahnte, dass das surinamische Volk, belastet mit dem Kolonialerbe, einen langen und schweren Weg vor sich hatte, um sich zu einer vollwertigen Nation zu entwickeln.

Wir Sklaven von Suriname ist zum Teil ein politischer Kommentar zur Geschichte Surinames und zum Teil ein Schrei nach Gerechtigkeit. Das Buch ist, und das ist vielleicht das Wichtigste, von einem Landsmann geschrieben, der aufgrund seiner abweichenden Auffassungen die koloniale Unterdrückung am eigenen Leib erfahren musste.

Anton de Kom wird 1898 in Paramaribo geboren.

»Er war ein ruhiges Kind. Als Junge ein regelrechter Bücherwurm«, erzählen Verwandte.

Sein Vater ist Goldsucher. Nach dem Rückgang der Goldgewinnung wendet er sich der Landwirtschaft zu. Die Familie besteht aus sechs Kindern, drei Jungen und drei Mädchen. Anton ist der älteste Sohn. Er besucht die Paulusschool in Paramaribo, eine Grund- und Sekundarschule, was damals, 1910, eine Ausnahme ist.

Zeugnisse besagen, dass er ab 1916 als Büroangestellter bei dem Gerichtsvollzieher H.C. Cooke und drei Jahre bei den Balata Compagnieën Suriname en Guyana angestellt ist.

Letztgenannte Arbeitsstelle bringt ihn in Kontakt mit den Balata-Bleeders. Dies ist auch seine erste Konfrontation mit der Ausbeutung. Ein Arbeiter, der ihn gekannt hat, sagt: »Er saß im Büro und kämpfte für uns. Er sorgte dafür, dass wir den Lohn erhielten, der uns zustand.«

Im Juni 1920 fährt de Kom in die Niederlande und tritt freiwillig in den Dienst des 2. Husarenregiments ein. Nach nur einem Jahr verlässt er das Militär und findet eine Stelle als Büroangestellter. Im Januar 1926 heiratet de Kom Petronella C. Borsboom. Dieser Ehe entstammen drei Söhne und eine Tochter.

Als einer der wenigen Schwarzen in den Niederlanden kommt er in den 1920er-Jahren mit den nationalistischen Studenten aus dem heutigen Indonesien in Berührung, wie Mohammed Hatta, der später bei der politischen Bewusstwerdung und Befreiung Indonesiens eine so wichtige Rolle spielen wird. Auch durch sie entwickelt sich de Koms politisches Bewusstsein. Der Aufstieg der Black-Power-Bewegung in Amerika, unter anderem mit dem Auftreten Marcus Garveys, trägt ebenfalls dazu bei. Er kommt in Kontakt mit linken niederländischen Schriftstellern und entwickelt sich zu einem guten Redner. Er hält Vorträge über Suriname, sein Land, und gegen den Kolonialismus.

»Ein sozial engagierter Mann, still und bescheiden, der aber heftig auf Unrecht und Ausbeutung reagierte«, sagen Menschen, die ihn gekannt haben.

Im Dezember 1932 kehrt de Kom aus familiären Gründen in sein Vaterland zurück.

Die soziale Situation dort ist menschenunwürdig. Seit 1920 hat sich nichts geändert: hohe Kindersterblichkeit, Unterernährung, Arbeitslosigkeit, Baracken, schlechtes Gesundheitswesen. De Kom gründet eine Beratungsstelle. Er hört sich die Klagen der Menschen an und spornt sie an, solidarisch zu sein und sich zu organisieren.

Dies alles wird von der Kolonialmacht als Bedrohung gesehen. Sie greift ein und verhaftet de Kom.

Am 7. Februar 1933 ziehen hunderte Kreolen, Hindustani und Javaner zum Generalanwalt, um die Freilassung des Mannes zu fordern, der für ihre Rechte eintritt. Unerwartet eröffnet die Polizei das Feuer. Es gibt zwei Tote und viele Verletzte.

Nach drei Monaten Haft ohne Verurteilung wird de Kom im Mai 1933 auf ein Schiff zurück in die Niederlande gesetzt. Die Ausweisung, sein politisches Engagement und die Krisenjahre machen das Leben für ihn und seine Familie alles andere als leicht.

Im Krieg widersetzt er sich heftig dem Faschismus. Er schreibt für die illegale Presse. In der Folge wird er im August 1944 von den Deutschen verhaftet und in ein Konzentrationslager nach Deutschland deportiert, wo er im April 1945 stirbt. Mitgefangene erzählen später, wie mutig de Kom die Demütigungen seiner Gefangenschaft ertrug. Unablässig sprach er über sein geliebtes Suriname.

Seine Grundüberzeugung, die absolute Ablehnung von Armut, Unterdrückung und Ausbeutung, ist in seinem Buch Wir Sklaven von Suriname stets präsent.

Seine Lebensgeschichte enthält trotz aller Traurigkeit eine positive, optimistische Botschaft.

De Kom ist es für kurze Zeit gelungen, die verschiedenen Bevölkerungsgruppen im Kampf für ein menschenwürdiges Dasein zu vereinen!

Mögen die Surinamer daraus bleibende Inspiration und Hoffnung schöpfen.

Judith de Kom,

im Namen der Familie de Kom,

März 1981

Anton de Kom
»SRANAN«, UNSER VATERLAND

Vom 2. bis zum 6. Grad südlicher Breite und vom 54. bis 58. Grad westlicher Länge, zwischen dem Blau des atlantischen Ozeans und der Unwegsamkeit des Tumuk-Humak-Gebirges, das die Wasserscheide mit dem Amazonasbecken bildet, begrenzt durch die breiten Ströme Corantijn und Marowijne, die uns von Britisch- und Französisch-Guyana trennen, reich an ausgedehnten Wäldern, in denen der Grünherz, der Barlak, der Kapokbaum und der edle Braunherz wachsen, reich an breiten Flüssen, an denen Reiher, Wieswiesies, Ibisse und Flamingos ihre Brutplätze finden, reich an Naturschätzen, an Gold und Bauxit, an Kautschuk, Zucker, Bananen und Kaffee … arm an Menschen, ärmer noch an Menschlichkeit.

Sranan – unser Vaterland.

Suriname, wie die Holländer es nennen.

Die zwölfte und reichste … nein, ärmste Provinz der Niederlande.

Zwischen der Küste und den Bergen schlummert unsere Mutter, Sranan, seit Tausenden und Abertausenden von Jahren. In ihrem unbekannten Binnenland hat sich in den dichten Wäldern seit damals nichts verändert.

Die Urwälder im Hochland scheinen in ewigem Schweigen erstarrt, erst bei Einbruch der Nacht erwacht ihre verborgene Musik, gespielt von tausenden summenden Insekten. Romantischer, doch zugleich auch wilder, ist die Landschaft in den Savannen und entlang der Ufer der Flüsse. Die Schlingen der Lianen, die wie Draperien von den Bäumen hängen, versperren den Weg, wilde Orchideen blühen, hier leben die scheuen Patjieras, Kapuzineraffen balancieren auf den Ästen, Papageien stoßen ihre schrillen Schreie aus, der Jaguar lauert. Mit spitzer Zunge sucht ein Gürteltier nach Ameisen.

Seit tausenden Jahren waren Mutter Sranans dunkle Wälder unberührt und unerforscht. Sonderbare Tiere, deren Namen man im Westen kaum kennt, leben hier: Kleine Ameisenbären, Baumstachler, die Vireos, die Tanagras, die Tiegrinmans und die Blaudachse, Pfefferfresser sitzen oben in den Palmenkronen und Tagfalter schwirren umher, die glitzernd blauen Morphos, die gelben und orangefarbenen Callidryas erheben sich bis hoch in die Wipfel der Bäume.

Menschen?

Menschen, die sich an dieser Schönheit erfreuen können, gibt es kaum.

Landeinwärts leben die Warans, die Arawaks und die Kariben, schwache, vom Aussterben bedrohte Indianerstämme, machtlose Nachkommen der Urvölker, die von den Weißen aus den schönsten Orten verdrängt wurden. Im Hochland fertigen die Trios und die Ojanas Perlenketten und kunstvolles Flechtwerk, ihr feiner Tanzschmuck zeugt von einem angeborenen Sinn für Schönheit.

Ungefähr 2450 Indianer und ungefähr 17 000 Marrons, die Buschneger, über die wir später noch sprechen werden, leben hier.

Also höchstens zwanzigtausend Menschen bevölkern Sranans Landesinnere, das knapp fünf Mal so groß ist wie die Niederlande. Ansonsten tummeln sich in den Wäldern nur Agustis und Faultiere, Mandrillen, Tapire und Wasserschweine, Brüllaffen, Ameisenbären und Anakondas.

An Mutter Sranan ist die Geschichte vorübergezogen. Drei Jahrhunderte holländische Kolonisation haben ihr Binnenland unberührt gelassen, die Stromschnellen ihrer Flüsse treiben keine Turbinen an, die fruchtbaren Böden sind nicht besät, die reichen Schätze der Wälder nicht abgebaut. In bitterster Armut und in jämmerlicher Unwissenheit leben die wilden Stämme inmitten einer Natur, in der der Überfluss ungenutzt verlorengeht.

Weiße wagen sich selten in diese Wildnis, in der nur die Indianer und Marrons die Wege kennen. Entlang der Flussläufe dringt manchmal ein französischer Libéré, ein britischer Rowdy, ein holländischer Forscher ins Landesinnere vor. Sie setzen ihr Messer an die blanke Rinde der Bolletries und lassen den kostbaren Milchsaft fließen. Doch der Libéré kehrt zur Küste zurück, in seinem Whiskyrausch trinkt sich der Rowdy an einem einsamen Lagerfeuer zu Tode, der Holländer lässt sich von den Marrons in einem Kanu den Fluss hinabfahren. Die Wildnis bleibt zurück, die Wunden des Kautschukbaums verheilen, das verlassene Lager wird von Schlingpflanzen überwuchert.

Im Binnenland von Sranan findet sich nicht die leiseste Spur von holländischem Einfluss, holländischer Energie, holländischer Kultur, an keinem Weg, keiner Brücke, keinem Haus steht holländische Geschichte geschrieben. Die Weißen kannten nur die Furcht vor der Wildnis, in der die entlaufenen Sklaven Zuflucht suchten.

Einzig ein paar armselige verwahrloste Bahngleise, die ins Nirgendwo führen und niemals vollendet wurden, zeugen von einem kurzen wahnsinnigen Goldtraum.

Die weiten Flächen der Savannen, die Wälder und hohen Granitberge von Mutter Sranan schlummern seit hundert Jahrhunderten.

Für sie wurde noch keine Geschichte geschrieben.

Nur auf dem schmalen Küstenstreifen, hier und da an den Mündungen der großen Flüsse und auf den allerfruchtbarsten Alluvialböden weht das Rot, Weiß und Blau der holländischen Flagge.

Rot –

»Schauen Sie, Mutter«, sagt der kleine weiße Junge aus dem wunderbaren Buch Omdat ik zwart ben (Weil ich schwarz bin) von Madeleine Pax verwundert – »schauen Sie nur, auch die Neger haben rotes Blut!«

Weiß –

Die Farbe von Crommelins Friedensverträgen.

Und Blau? –

Ist es die Farbe unseres Tropenhimmels, zu dem wir durch die dunklen Blätter unserer Bäume aufblicken, um am funkelnden Glanz der Sterne das Versprechen für ein neues Leben abzulesen?

Nein, es ist das tiefe Blau des Atlantiks, über den einst die Sklavenbeschaffer ihre afrikanische Beute, ihre lebende Handelsware, unsere Eltern und Großeltern, in ihr zukünftiges Vaterland Sranan transportierten.

DAS ZEITALTER DER SKLAVEREI

DIE ANKUNFT DER WEISSEN

»Das alte Volk, das zum eigenen Verderb gastfreundlich zu den übermütigen Männern einer spanischen Karavelle war, und zu einem Mann, der Christusträger hieß. Ein gejagtes Volk …«

Albert Helman

»Glücklich [ist] das Volk«, sagt ein französischer Schriftsteller, »das keine Geschichte kennt.«

Die Geschichte Surinames beginnt 1499 mit der Entdeckung der Wilden Küste (Guyana) durch die Weißen.

Wir wissen von Hartsinck1, wie es in jenen Tagen an der Wilden Küste aussah. Dort wohnte damals ein Indianervolk, das Herr und Gebieter über sein eigenes Reich gewesen war. »Gastfreundlich«, schreibt Wolbers in seiner Geschiedenis van Suriname (Geschichte von Suriname)2, »empfingen sie häufig Besuch von anderen Stammesgenossen, wobei sich das Gespräch immer um ihre liebkosten Passionen drehte, die Jagd und den Fischfang. Sie besaßen eine angeborene Ehrlichkeit und einen Gerechtigkeitssinn, beides findet sich in all ihren Handlungen wieder. Sie waren anständig und freundlich, was man bei unzivilisierten Völkern nicht erwartet hätte. Wenn sie Gespräche führten, dann immer ruhig und leise, nie sprachen sie verächtlich. Sie kannten den Lauf der Sterne recht gut, was ihnen beim Aufspüren der Wege durch die Wildnis von großem Nutzen war.«

Diese Schilderung stimmt noch heute mit Berichten von Entdeckungsreisenden über den Charakter ihrer Nachkommen, den Trios und den Ojanas, überein. Auch für sie gilt, dass sie bedächtige Menschen sind, bei denen heftige Gefühlsausbrüche oder unbändiges Lachen selten vernommen werden, auch bei ihnen rühmt man die großzügige Gastfreundlichkeit, den Mut und die Tatkraft. Zudem sind sie ausgezeichnete Bootslenker und vorzügliche Kenner des Urwalds. Und doch stellen sie nichts anderes dar als ein in seiner natürlichen Entwicklung gebremster Rest dessen, was einmal ein selbstständiges und glückliches Volk gewesen ist.

Was trieb die Weißen nur an diese »wilden« Küsten? Welche Berufung hat sie beseelt? Welche Botschaft, welches Glück, welche Kultur hatten sie diesem freien und glücklichen Volk zu bieten? Kamen sie, die ersten Spanier, die unsere Küste besuchten, um Guyana die Segnungen von Autodafé und Inquisition zu schenken? Brachten sie, im Namen Jesus Christus, jene Duldsamkeit, die Spanien damals Juden und Mohren entgegenbrachte, oder kamen sie mit der weißen Kultur des Rades, des Scheiterhaufens und anderer Torturen? War das die Rechtfertigung für ihre Invasion? Oder kamen sie mit dem Gelb und Rot ihrer Fahnen, um die Botschaft zu verkünden, dass Gold immer mit Blut gekauft wird?

Lassen wir die Tatsachen sprechen.

1492 entdeckte Columbus Amerika, und bald übten die übertriebenen Schilderungen vom neuen Land mit seinen Reichtümern eine unwiderstehliche Anziehung auf Europäer jeglichen Ranges und Standes aus.

Über sie schreibt Professor Werner Sombart in Der Bourgeois3:

»Eine Spielart der Seeräuberei waren die Entdeckungsfahrten, die namentlich seit dem 15. Jahrhundert häufiger wurden. Mochten bei ihnen allerhand ideale Motive mitsprechen: wissenschaftliche oder religiöse Interessen, Ehrgeiz, Abenteurerlust u.a.: die stärkste (und oft genug einzige!) Triebkraft blieb doch immer die Gewinnsucht. Es sind im Grunde alles wohlorganisierte Beutezüge, die der Plünderung in den überseeischen Gebieten galten. Zumal nachdem Columbus seine Entdeckungen gemacht hatte, als er von seinen Fahrten veritablen Goldstaub und die Wundermär vom vergoldeten Prinzen heimgebracht hatte, war das Goldland El Dorado das ausgesprochene oder stillschweigende Ziel aller dieser Expeditionen … Nun verbanden sich das abergläubische Schatzgräbertum und die abergläubische Goldsucherei mit der abergläubischen Hoffnung auf ein Land, in dem man das Gold mit Scheffeln einheimsen könnte, zu einem unwiderstehlichen Eroberungsdrange.

Was uns vor allem an dieser Stelle interessiert, sind die eigenartigen Menschen, die an der Spitze dieser Unternehmungen standen. Es sind kraftstrotzende, abenteuerlustige, sieggewohnte, brutale, habsüchtige Eroberer ganz großen Kalibers, wie sie seitdem immer mehr verschwunden sind.

Diese genialen und rücksichtslosen Seeräuber, wie sie namentlich England während des 16. Jahrhunderts in reichster Fülle aufweist, sind aus demselben Holz geschnitzt wie die Bandenführer in Italien, wie die Can Grande, Francesco Sforza, Cesare Borgia, nur daß ihr Sinn stärker auf Erwerb von Gut und Geld ausgerichtet ist, daß sie dem kapitalistischen Unternehmer schon näher stehen wie diese …

Man wird fragen, wie ich dazu komme, diese Eroberer und Räuber für den Kapitalismus zu reklamieren?

Die Antwort ist einfach: nicht, weil sie selbst eine Abart von kapitalistischen Unternehmern waren, als vielmehr und vor allem deshalb, weil der Geist, der sie erfüllte, derselbe Geist war, der jeden großen Handel, jede Kolonialwirtschaft bis ins 18. Jahrhundert hinein beseelt hat. Diese sind ihrem innersten Wesen nach ebenso Abenteurer- und Eroberungszüge wie die Seeräubereien und Entdeckungsfahrten, von denen wir eben Kunde erhalten haben. Abenteurer, Seeräuber, Kaufmann großen Stils (und das ist er nur, wenn er über See fährt) gehen unmerklich ineinander über.«

EL DORADO

El Dorado.

Goldland.

Noch immer hat das Wort nichts von seinem wundersamen Reiz verloren.

Noch tritt auf dem großen Passagierschiff ein junger Arzt in die Nacht hinaus, die Augen geblendet von den Lichtern des Ballsaals, seine Gedanken swingen im trunkenen Takt der Jazzband, ihm ist, als wäre er als einzig Lebender einem rauschenden Fest von Schaufensterpuppen entkommen.

Er beugt sich über die Reling und kühlt seine Schläfen im Nachtwind. Ein immer wieder aufleuchtendes Licht aus einem der Bullaugen wirft bizarre Blitze auf die dunklen Wellen.

Goldadern in Granit.

El Dorado.

Im Brausen der Wellen vernimmt der junge Arzt den fernen Gesang der Bukaniere, den der Nachtwind aus vergangenen Jahrhunderten mit sich führt.

Tagsüber sitzt er in seiner Kabine und stellt auf geschmackvollem Schiffspapier Rezepturen zusammen, für amerikanische Damen, die an der Seekrankheit leiden, oder für ältere Herren mit Leberbeschwerden.

Nachts, wenn die Jazzband verstummt und der Seewind wieder zu hören ist, wenn aus dem Rauchsalon nur noch das heisere Gezeter einiger betrunkener Plantagenbesitzer zu ihm dringt, erwacht in seinem Herzen der Wahnsinn von El Dorado.

Nachts vergisst er sein adrettes Hemd, seinen Smoking, seinen Stand.

Dann fühlt er sich seinen Vorfahren nahe, den wilden Räubern, die in den Schiffsräumen Gold stapelten, den Abenteurern, den Pfundskerlen, den Sklavenjägern.

Unter der grauen Asche des alltäglichen Trotts glüht im Herzen eines jeden jungen Weißen der Wahnsinn, das fiebrige Verlangen nach El Dorado.

1499 erreichten Alonzo de Hojeda und Juan de la Coasa die Küste von Guyana. Etwa zur selben Zeit entdeckte Pinzon die Mündung des Amazonas und den östlichen Teil Guyanas. Das Gerücht verbreitete sich, dass es tief im Inneren ein Land mit unermesslichen Reichtümern an Gold und Edelsteinen geben soll, und dass der Ufersand eines unendlich großen Sees, Parima genannt, gänzlich aus Goldstaub bestehe.

Angelockt von diesen Gerüchten unternahm Domingo de Vera 1593 eine Fahrt nach Guyana, das er am 23. April 1594 mit einem feierlichen Festakt für Spanien in Besitz nahm. Anführer und Soldaten knieten vor einem Kreuz nieder und sandten ein Dankgebet zum Himmel. »Dann nahm Domingo de Vera eine Tasse Wasser und trank sie aus, er nahm eine zweite und goss sie über den Boden aus, so weit er nur konnte, zog sein Schwert und schnitt das Gras um sich herum sowie einige Baumzweige, während er sprach: Im Namen Gottes nehme ich dieses Land in Besitz für Seine Majestät Don Philipp, unseren legitimen Herrscher!«4

Dies nur als ein erstes Beispiel für den Missbrauch des Namen Gottes im kolonialen Trauerspiel. Später wurde in christlichen Büchern oft behauptet, der Neger sei kein Mensch, weil der Mensch nach Gottes Ebenbild geschaffen wurde, und Gott diesen Schriftgelehrten zufolge nicht schwarz sei …

Lasst uns an dieser Stelle, als Neger, versichern, dass auch wir nicht glauben, nach dem Abbild eines Gottes geschaffen zu sein, dessen Segen von den Weißen jener Tage immer dann erbeten wurde, wenn sie sich Land, Leib und Gut von den farbigen Völkern aneigneten.

Die hohen Erwartungen der spanischen Goldsucher haben sich nicht erfüllt. In der Annahme, dass in den Küstengebieten kein Gold zu finden sei, weil es die Eingeborenen im Landesinnern versteckt hätten, zogen die Weißen mit gezückten Waffen durch das Binnenland und ließen dort, wo sie auf Widerstand trafen, Bluthunde los, deren Namen in die Geschichte eingegangen sind.

Doch El Dorado haben sie nicht entdeckt.

Dafür rächten sich die Abenteurer bitterlich an den Eingeborenen, beraubten sie ihrer Freiheit und legten sie in Ketten, zwangen sie zur Arbeit, geißelten und misshandelten sie.

Und als sich die eingeborene Rasse als zu schwach erwies, die Schätze heranzuschaffen, von denen die Weißen in ihrem Wahn gemeint hatten, sie seien zum Greifen nahe, als sie zu Tausenden unter den Schlägen und Misshandlungen starben, da erinnerte man sich auch in Suriname an den Rat von Las Casas5, lieber aus Afrika eine stärkere Rasse als die indianische zu holen.

In dieser Zeit entstand der Sklavenhandel.

In diesen Tagen wurden die ersten unserer Vorfahren nach Suriname verschifft.

In diesen Tagen nahm die Sklaverei in Suriname ihren Anfang. Der eine Herrscher verjagte den anderen – doch jeder neue Herrscher, der den Besitz der Niederlassungen anderer Europäer mit Gewalt an sich nahm, begann mit der feierlichen Erklärung, dass auch unter der neuen Herrschaft das Recht auf Eigentum, also das Recht auf den Gebrauch und Missbrauch des lebendigen Besitzes, auf den Kauf und Verkauf unserer Väter und Mütter, von Gottes Gnaden sei und beibehalten werde.

1 818,46 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Объем:
273 стр. 6 иллюстраций
ISBN:
9783887474041
Переводчик:
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают