Читать книгу: «Die Rebellenprinzessin», страница 6

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Ich fuhr herum.

„Was zum Teufel wollt Ihr eigentlich von mir?“, fluchte ich, „Erst bringt Ihr mich hier raus und legt mir einen Fluchtweg zu Füßen und dann macht Ihr mit Euren neunmalklugen Reden wieder alles kaputt. Wer zur Hölle glaubt Ihr denn, wer Ihr seid? Einer von Raymonds Komplizen?”

Bei dem, was mir in den letzten Tagen eröffnet wurde, würde mich das zumindest nicht mehr wundern. Ein Frosch, der für den Anführer einer kranken Sekte arbeitete – es passte fast schon zu perfekt in das schiefe Bild, das ich bisher von den Rebellen erhalten hatte.

Doch Wallace winkte ab.

„Gott bewahre, nein!“ Er schüttelte den Kopf und sein Gesichtausdruck war so angewidert, dass ich unmöglich den Blick abwenden konnte. „Von Gruppierungen jeglicher Art habe ich mich zweihundert Jahre lang ferngehalten und plane nicht, das in nächster Zeit zu ändern.“

„Zweihundert Jahre?“ Mit einem Schlag hatte er meine vollste Aufmerksamkeit „Wie ist das möglich?“

Gerade, als Wallace zu einer Antwort ansetzte, kam mir ebenfalls der entscheidende Gedanke.

„Magie“, sagten wir im selben Atemzug.

Wallace grinste breit zu mir herauf. „Ihr lernt schnell, Mylady. Aber vielleicht seid Ihr ja an der ganzen Geschichte interessiert?“

Verwirrt sah ich ihn an. „Die ganze Geschichte?“

„Die Geschichte, wie ich zu einem unsterblichen, sprechenden Frosch wurde.“

„Dann wart Ihr nicht immer unsterblich? Oder konntet Ihr nicht sprechen?“

Wallace lächelte mild und wies auf einen Platz im Gras. Ich zögerte, doch schließlich gewann meine Neugier. Weglaufen konnte ich auch nach dieser Geschichte noch. Vorsichtig sank ich zwischen die weichen Halme und heftete meinen Blick auf Wallace.

„Ich wurde als Mensch geboren“, eröffnete er, „In meiner Jugend war ich ein ziemlicher Frauenheld. Ich stammte aus einer wohlhabenden Familie, war gelehrt und des allgemeinen Erachtens nach auch recht gutaussehend – kurzum: ich habe die Herzen unzähliger Mädchen gebrochen. Eines Tages begegnete sie mir – wunderschön und so temperamentvoll, dass ich der Versuchung nicht widerstehen konnte, sie zu verführen. Allerdings hatte ich – egozentrisch wie ich war – keine zwei Minuten darauf verschwendet, herauszufinden, wer sie war. Ich brach ihr Herz und ließ sie stehen wie all die Mädchen, die mir zuvor verfallen waren.“

An dieser Stelle seiner Erzählung glitt Wallace' Blick in die Ferne vergangener Tage.

„Was soll ich sagen?” Er zuckte die Schultern. „Es stellte sich heraus, dass sie eine Hexe war. Meine letzten Worte an sie hatten sie nicht unbedingt fröhlich gestimmt, also stand noch am selben Abend auf meiner Schwelle und verfluchte mich. Die Details, wie das Ganze vonstattenging, will ich Euch hier lieber ersparen. Am Ende stand ich jedenfalls als Frosch da. Sie sagte, ich solle solange einsam und unglücklich als rückgratloser Lurch leben, bis mir ein Kuss der wahren Liebe mein Glück zurückbringen würde. Ich schätze, sie erwartete damals nicht, dass das jemals geschehen könnte.“

Wallace verstummte und seine Augen lächelten, als er darüber sprach.

„Auf mich wirkt Ihr nicht gerade unglücklich“, bemerkte ich, als das Schweigen bereits einige Sekunden andauerte, „Aber Ihr seid noch immer ein Frosch.“

Wallace‘ Blick wurde klar, als er mich fokussierte, doch das Lächeln verschwand nicht aus seiner Miene.

„Gut beobachtet, Mylady“, lobte er schmunzelnd, „Ihr werdet sicherlich verstehen, dass man, wenn man seit zweihundertdreiundsiebzig Jahren ein Leben als rückgratloser Lurch führt, irgendwann aufhört, unglücklich darüber zu sein und stattdessen die Vorzüge eines solchen Lebens erkennt.“

„Aber Ihr habt den Fluch nie gelöst?“

Wallace grinste. „Oh, ganz im Gegenteil, meine Liebe. Einige Jahre nachdem ich verflucht wurde, fand ich meine wahre Liebe. Sie hieß Isobel und war die Zofe einer Prinzessin, der sie jeden Wunsch von den Lippen ablesen und jeden noch so lächerlichen Befehl befolgen musste. Jeden Nachmittag spielten sie stundenlang irgendein Brettspiel und obwohl Isobel sie gewarnt hatte, dass die Figuren ins Wasser fallen könnten, bestand die Prinzessin darauf, auf dem breiten Rand des Brunnens im Schlossgarten zu spielen. Die Prinzessin war nicht sonderlich hell und brauchte Ewigkeiten, um überhaupt einen Spielzug zu machen. Isobel hätte sie mit Leichtigkeit geschlagen, doch sie ließ sie jedes einzelne Mal gewinnen, um ihren Ärger nicht auf sich zu ziehen. Irgendwann bemerkte die Prinzessin allerdings, dass Isobel sich langweilte und bekam einen heftigen Wutausbruch, bei dem sie alle Spielfiguren mit einer Bewegung vom Brett fegte. Als sie sah, dass einige davon im Brunnen gelandet waren, schrie sie Isobel an, alles wäre ihre Schuld und sie solle die teuren Figuren gefälligst wieder herausholen, bevor sie wutentbrannt davonrannte und Isobel stehen ließ.“

Ich musste unwillkürlich lächeln. Die Geschichte kam mir seltsam bekannt vor. „Lasst mich raten … das war genau der Moment, in dem Ihr in Erscheinung getreten seid?“

Wallace hob den Kopf und schmunzelte bei der Erinnerung an jenen Moment.

„Sie hat sich fürchterlich erschreckt, als ich auf den Brunnenrand sprang und mich ihr vorstellte, doch nachdem ich alle Spielfiguren vom Grund des Brunnens aufgesammelt hatte, bot sie mir zum Dank ein Abendessen an. Wir sind uns nähergekommen und nach einer Weile hat es sie nicht mehr gestört, dass ich ein Frosch war. Ich muss wohl dazu sagen, dass ich durch den Fluch zwar mein gutes Aussehen, aber nicht meinen sprühenden Charme verloren hatte.“

Ich musste grinsen. Sprühender Charme … ja, so konnte man es auch nennen.

„Aber sie hat Euch nicht geküsst?“, hakte ich nach.

„Sie liebte mich von ganzem Herzen“, entgegnete Wallace anstelle einer Antwort, „Als ich ihr an jenem Tag meine Liebe gestand und ihr von dem Fluch erzählte, zweifelte sie nicht eine Sekunde.“

„Sie küsste Euch“, stellte ich fest, „Aber wie könnt Ihr dann noch immer ein Frosch sein?“

Wallace zuckte bloß die Schultern und machte eine vage Geste mit seinen Froschfingern.

„Die Hexe war höchstens halb so gut, wie sie für diesen Fluch hätte sein müssen“, erklärte er gelassen, „Nichtsdestotrotz hielt der Fluch, was sie sich davon versprochen hatte. Der Kuss brachte mir mein Glück zurück – er vereinte mich mit Isobel und überwand das letzte Hindernis für unsere Liebe. Nur dass wir beide erwartet hatten, ich würde mich wieder in einen Menschen verwandeln, war ganz offensichtlich eine Fehleinschätzung.“

Ein dunkler Schleier legte sich über seine Züge. Für einige Sekunden schwieg er, den Blick in die Ferne gerichtet.

„Isobel hat sich wirklich bemüht“, sagte er schließlich, „Doch das Leben als rückgratloser Lurch war für sie eine wesentlich größere Herausforderung als für mich. Ich dachte, meine Liebe zu ihr würde ausreichen, um sie vergessen zu lassen, was sie durch mich geworden war. Sicherlich habe ich deswegen erst viel zu spät bemerkt, wie unglücklich sie tatsächlich war. Sie ist vor die Räder einer Kutsche gesprungen, während ich zusah. Sie hat mir das Herz gebrochen.“

Ich zuckte zusammen, doch Wallace seufzte bloß und faltete die Hände.

„Obwohl es nicht das war, was die Hexe mit ihrem Fluch zu erreichen versucht hatte, betrachte ich es als gerechte Strafe“, meinte er schließlich, „Ihr seht, im Leben geschieht nicht immer nur das, was man erwartet oder sich wünscht. Manchmal muss man die Dinge einfach nehmen wie sie kommen und das Beste daraus machen.“

Und mit diesen letzten Worten stieg abermals der lilafarbene Nebel um ihn herum auf und verhüllte die Gestalt des Frosches vor meinen Augen. Gern hätte ich irgendetwas gesagt, das ihn bewog, zu bleiben, doch bevor mir etwas Passendes einfiel, war der Nebel und mit ihm auch Wallace verschwunden.

Nur ein kleiner, weißer Zettel segelte langsam zu Boden.

Kapitel 6

Der neue Tag schimmerte bereits in violettem Licht, als ich in die Tunnel zurückkehrte. Der Zettel, den Wallace zurückgelassen hatte, war tief in meiner Faust verborgen. In wenigen Worten war darauf der Weg zu meinem Zimmer beschrieben, doch ich war mir fast sicher, dass es Wallace nicht darum gegangen war. Was er mir gegeben hatte, war mehr. Es war meine Karte in die Freiheit – meine Sicherheit, selbst entscheiden zu können, was ich tat. Ich brauchte nun weder Raymonds noch sonst irgendjemandes Hilfe, wenn ich die Tunnel verlassen wollte.

Ironischerweise war es jedoch genau dieser Zettel, der dafür sorgte, dass ich meine anfängliche Idee, einfach wegzulaufen und mich bis in die nächste Stadt durchzuschlagen, verwarf. Diesen Plan konnte ich auch in einigen Stunden oder Tagen noch umsetzen, wenn ich sicher war, dass Laufen und auf ein wenig Glück hoffen meine beste Option war. Vorerst jedoch wollte ich Informationen sammeln. Ich musste mehr über die Welt herausfinden, in der ich gelandet war – egal, ob es sich nur um das kleine Universum eines völlig abgedrehten Kultes handelte oder um eine tatsächliche Parallelwelt voller Magie.

Ich bog gerade um eine Ecke, als ich den Schatten bemerkte. Viel zu spät realisierte ich, was geschah und so prallte ich mit voller Wucht gegen die Gestalt. Desorientiert taumelte ich zurück.

„Evangeline?” Die Stimme klang ungläubig. Als ich mich wieder gefangen hatte, erkannte ich Rubina, die mich forschend musterte. „Alles in Ordnung?”

Ich nickte nur. Ich konnte nicht leugnen, dass ihre Frage mich erstaunte. Gleich darauf fühlte ich mich schlecht, weil ich seit unserer Ankunft hier kaum einen Gedanken an sie verschwendet hatte. Ob ich es zugeben wollte oder nicht, doch ich verdankte ihr und ihrer Großmutter vielleicht mein Leben.

„Wie geht es Grannie?”

Rubina hob kurz die Brauen.

„Besser”, sagte sie dann, „Die Heilerin glaubt, sie hat das Schlimmste überstanden.”

Wieder nickte ich nur. Ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte. Mich für die Rettung bedanken? Grannie und ihr Glück wünschen? Obwohl ich gern behauptet hätte, dass ich ihr ihr abweisendes Verhalten vergeben hätte, lauerte immer noch ein Funken der Wut in meinem Bauch.

„Ich habe nach dir gesucht.” Rubinas Worte ließen mich aufsehen. „Ich wollte mich bei dir entschuldigen.”

Ich starrte sie an. Das … kam unerwartet.

„Ohne dich wäre Grannie jetzt wahrscheinlich – ” Sie unterbrach sich und schluckte, dann straffte sie die Schultern. „Jedenfalls tut es mir leid, dass ich dich so harsch behandelt habe. Ich wusste ja nicht, dass du tatsächlich die Wahrheit gesagt hast.”

Ach was. Ich musste mich beherrschen, nicht die Lippen zu verziehen. Stattdessen zwang ich mich zu einem Lächeln und erinnerte mich ein weiteres Mal daran, dass es ebenfalls Rubina gewesen war, die die Bestie schlussendlich vertrieben hatte. „Schon vergessen.”

Für einen Moment sah ich Skepsis in Rubinas Blick aufblitzen, doch genauso schnell wie der Funke erschienen war, erlosch er auch wieder.

„Was machst du überhaupt hier draußen?”, fragte sie schließlich, „Solltest du nicht in deinem Zimmer sein?”

„Ich brauchte etwas frische Luft.” Gerade rechtzeitig fiel mir ein, dass es wohl besser wäre, wenn vorerst niemand von dem Zettel wüsste. Falls die Rebellen mich hier behalten wollten, wäre das nur von Nachteil. Doch Rubina ging gar nicht weiter darauf ein.

„Harte Nacht?”, riet sie stattdessen.

Ich nickte nur. Ich sehnte mich danach, mit irgendjemandem über die letzten Tage zu sprechen. Jemand, der nicht allwissend war und ständig kryptische Ratschläge auspackte, sondern jemand, der einfach zuhörte. Ich wagte zu bezweifeln, dass Rubina großes Interesse an meinem Gejammer hatte, doch entgegen meiner Erwartungen gelang es ihr, mich ein weiteres Mal zu überraschen.

„Komm”, sagte sie und berührte mich sanft am Arm, „Ich bringe dich zurück zu deinem Zimmer.”

Zögernd folgte ich ihrer Anweisung und wir setzten uns in Bewegung. Für eine Weile gingen wir schweigend, nur das Geräusch unserer Schritte auf den ausgetretenen Steinen.

„Hast du Familie?”, fragte sie irgendwann, „In deiner Welt, meine ich?”

Sprachlos sah ich sie an. Bisher hatte es niemanden hier auch nur die Bohne interessiert, ob es jemanden gab, der mich vermisste. Oder den ich vermisste.

Zögernd nickte ich. „Meine Eltern und mein Bruder.”

Rubina senkte den Blick. „Sie müssen dir fehlen.”

„Das tun sie.” Meine Worte waren kaum mehr als ein trockenes Würgen. Der Gedanke daran, dass ich womöglich nie zurückkehren würde und nicht einmal die Gelegenheit gehabt hatte, mich zu verabschieden, bereitete mir Bauchweh.

„Als meine Eltern gestorben sind, war es, als würde meine Welt enden.” Rubinas Worte ließen mich nach Luft schnappen. „Es hat sich angefühlt, als wäre ein Loch in meinem Herzen, das niemals heilt. Es fühlt sich immer noch so an.”

Erstaunt hob ich den Kopf. „Deine Eltern sind tot?”

„Sie sind gestorben, als ich zehn war.” Rubinas Stimme war ausdruckslos, doch ich spürte den Schmerz, den sie zu verbergen versuchte.

„Wie?”, fragte ich dennoch, „Wie sind sie gestorben?”

Rubina hob den Kopf und betrachtete mich für einen Moment schweigend.

„Die Bestie”, sagte sie dann, „Sie hat meiner Mutter die Kehle aufgerissen und als mein Vater und Grannie sie schützen wollten, hat sie auch die beiden angegriffen. Ich habe meinen Vater sterben sehen. Ich habe am oberen Ende der Treppe gesessen, genau wie du vor einigen Tagen.”

Ich war fassungslos. „Das … Das tut mir so leid für dich.”

„Ich habe gelernt, damit zu leben.” Sie klang ernst. „Aber vielleicht verstehst du jetzt, warum ich in dieser Nacht so reagiert habe. Ich hätte nicht auch noch Grannie an dieses Monster verlieren können.”

„Natürlich.” Ich nickte.

Wieder versanken wir in Schweigen, während ich zu verarbeiten versuchte, was Rubina durchgemacht haben musste. Mitanzusehen, wie dieses Monster die eigenen Eltern zerfleischte – das war grausam. Und nichts gegen den Schmerz, den ich verspürte. Immerhin bestand für mich zumindest noch eine geringe Hoffnung, meine Eltern und meinen Bruder wiederzusehen.

„Da wären wir.” Rubinas Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Ich brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass die Tür, vor der wir standen zu meinem Zimmer führte. Rubina sah mich erwartungsvoll an, doch ich zögerte.

„Was ist?”, fragte sie, „Willst du nicht reingehen?”

„Ich …” Ich starrte auf meine Fußsspitzen. „Ehrlich gesagt … Nein.”

Ich spürte ihren forschenden Blick auf mir und wusste, dass ich ihr eine Erklärung schuldete.

„Ich kann nicht länger allein sein”, murmelte ich leise, „Ich halte es nicht länger aus. Wenn ich diesen Raum betrete, werden meine Gedanken mich erschlagen und ich … Ich weiß nicht länger, was ich glauben soll.”

Vorsichtig hob ich den Kopf. Rubinas Blick war voller Mitleid. Sanft legte sie mir eine Hand auf die Schulter.

„Natürlich.” Sie lächelte aufmunternd. „Wie wäre es, wenn ich dich stattdessen ein wenig herumführe? Ich nehme an, Raymond hat das bisher versäumt?”

Ich sah sie an. „Aber Grannie – ”

„… wird auch noch eine Stunde ohne mich auskommen. Die Heilerin ist bei ihr, bis ich zurückkomme.” Rubina schenkte mir einen zuversichtlichen Blick. „Also, was sagst du?”

*****

Während der folgenden Stunde führte Rubina mich durch endlose Tunnel und Höhlen. Sie zeigte mir den Speisesaal und die Küche. Das Lager – eine Ansammlung von Räumen, die mit Regalen vollgestellt und von schmalen Durchgängen verbunden waren, überraschte mich mit seiner riesigen Auswahl an Gebrauchsgegenständen, medizinischen Hilfsmitteln und Arzneien, sowie Waffen und Kleidung.

„Woher bekommt ihr all diese Dinge?” Fragend musterte ich Rubina. „Das muss doch ein Vermögen gekostet haben.”

Rubina zuckte die Schultern.

„Es sind viele kleine Vermögen”, erklärte sie dann, „Die Menschen spenden, was sie können, um unsere Sache zu unterstützen. Manche schicken Lebensmittel, andere selbstgewebte Kleidung und einige Medizin oder Waffen. Wir tragen diese Vorräte nun schon seit Jahren hier unten zusammen und ich schätze, unsere Strategie funktioniert. Dadurch, dass wir alles nur in kleinen Teilen einlagern, hat die Königin bisher noch keinen Verdacht schöpfen können.”

„Sie weiß nicht, dass ihr existiert?” Nach allem, was ich bisher von dieser Königin gehört hatte, fand ich das schwer zu glauben.

Rubina schmunzelte. „Sie weiß nicht, wo wir uns aufhalten.”

Ich begriff. Solange die Königin nicht wusste, wo sie angreifen sollte, wären die Rebellen sicher.

„Sie sucht nach uns”, schob Rubina im nächsten Moment nach, „Schon seit Jahren hat sie ein hohes Preisgeld auf jeden Hinweis ausgesetzt. Ein paar Mal haben die Leute geredet, doch sie hatte nie genug, um gegen uns vorzugehen. Und wir sind vorsichtiger geworden. Das Meiste regeln wir jetzt über mehrere Mittelsmänner, von denen jeder nur das Nötigste weiß und so im Falle eines Falles weder sich selbst noch uns in Gefahr bringt. Nur Mitglieder, die sich über Jahre hinweg loyal zu den Rebellen erwiesen haben, werden in wichtige Angelegenheiten eingeweiht.”

Während Rubina sprach, streifte ich an den Regalen entlang. Zum ersten Mal seit Raymond mir von den Rebellen erzählt hatte, begriff ich die Ausmaße dieses Aufstandes. Hunderte, Tausende Menschen, die für einen Schimmer Hoffnung – für den Glauben an Veränderung – alles gaben, was sie hatten. Wenn Raymond und Rubina denn die Wahrheit sprachen. Wenn dieses ganze Gerede über eine andere Welt und eine böse Königin mehr als nur Gerede war.

Eilig verdrängte ich die Gedanken und sah zu Rubina. „Welche Rolle spielt Raymond eigentlich in alledem?”

Rubinas Blick verriet mir, dass sie mit dieser Frage nicht gerechnet hatte.

„Raymond?” Sie hob die Brauen. „Er ist einer der Botschafter. Er vertritt die Menschen der westlichen Provinzen im Rat.”

Der Rat … Ich verzog die Lippen, als mir Raymonds Worte erneut in den Sinn kamen. Die anderen Abgeordneten und natürlich auch ich wären sehr glücklich, dich als die Auserwählte in unserer Mitte aufnehmen zu dürfen.

„Was ist?” Rubina musterte mich forschend.

Ich schüttelte den Kopf. „Nichts. Ich … Ich habe mich nur gefragt, was es mit diesem Rat auf sich hat. Raymond hat bereits davon gesprochen, doch …”

„Er hat dich noch nicht vorgestellt.” Rubina seufzte. „Das ist wieder typisch. Kein Wunder, dass du nicht weißt, was du von uns halten sollst.”

Ich warf ihr ein unsicheres Lächeln zu.

„Der Rat ist der Kopf der Rebellen”, erklärte Rubina noch im selben Augenblick, „Alle großen Entscheidungen werden dort getroffen. Mittlerweile sind Abgeordnete neun verschiedener Völker Ciaoras dabei.”

„Und Raymond ist so etwas wie der Vorsitzende?”

Rubina lachte auf. „Bei allen Göttern nicht.”

Kopfschüttelnd führte sie mich durch die Tür aus dem Lager heraus. „Unser oberstes Prinzip ist die Gleichberechtigung. Der Rat trifft alle Entscheidungen gemeinsam.”

Ich runzelte die Stirn. „Aber Raymond – ”

„Er macht sich gern ein wenig wichtig.”

Der Rauch der Fackeln brannte mittlerweile in meinen Lungen und verwandelte das aufsteigende Lachen in meiner Kehle in ein heiseres Husten. „Das ist mir bisher entgangen.”

Rubina schmunzelte, während sie mich um die nächste Ecke schob. „Du darfst ihn nicht falsch verstehen. Er war einer der ersten, die sich der Prophezeiung verschrieben haben. Er und einige andere haben die Rebellen erst ins Leben gerufen.”

Erstaunt sah ich sie an.

„Er spricht nicht viel von der Zeit zuvor, doch Gerüchten zufolge war er Soldat. Einer der Männer, die die Großen Kriege überlebt haben, nur um danach mit leeren Händen in ein zerstörtes Land heimzukehren.”

Ich hatte gerade zu einer Nachfrage angesetzt, als sich ein weiterer Raum vor uns öffnete.

„Die Bibliothek”, erklärte Rubina und machte eine weiter ausschweifende Geste, als der kleine Raum verdient hatte. An den einfachen Steinwänden lehnten gerade einmal zwei wackelige Regale und der Großteil der Bücher sah aus, als wäre er bereits durch Dutzende von Händen gewandert. In den trockenen Geruch des Rauches mischte sich nun auch der von altem Leder und Moder.

„Das sind alle Bücher, die wir vor den Männern der Königin retten konnten.” Rubinas Stimme war tonlos. „Hier unten ist zwar nicht der beste Ort, um sie aufzubewahren, doch immerhin besser als die Scheiterhaufen, die – ”

Das Geräusch von Schritten ließ Rubina hochschrecken.

„Was um alles in der Welt macht ihr hier?” Raymonds Stimme war genauso unverkennbar wie die Gestalt, die in den Schein der Fackeln trat. „Ich habe schon überall nach euch gesucht. Warum ist Evangeline nicht auf ihrem Zimmer?”

„Reg dich ab, Raymond.” Rubina bedachte ihn mit einem strengen Blick. „Es ist halb so wild. Ich habe sie nur ein wenig herumgeführt.”

Ich nickte unsicher. „Ich habe sie dazu überredet.”

„Solltest du nicht bei deiner Großmutter sein?”, schoss Raymond zurück, ohne überhaupt auf mich einzugehen.

Rubina wechselte einen Blick mit mir. „Die Heilerin ist bei Grannie, bis ich zurückkomme. Ich glaube, Evangeline hat mich dringender gebraucht.”

„Ach.” Endlich fiel Raymonds Blick auch auf mich. Mit zusammengezogenen Brauen musterte er meine Erscheinung, als wüsste er nicht recht, was er mit Rubinas Worten anfangen sollte.

Als er nach mehreren Augenblicken noch immer nichts gesagt hatte, wurde ich wütend. „Ich wusste nicht, dass es mir verboten ist, mein Zimmer ohne Ihre Erlaubnis zu verlassen.”

Raymonds Miene wechselte von Skepsis zu Erstaunen, während Rubina näher zu mir trat.

„Er hat es nicht so gemeint”, murmelte sie laut genug, dass auch Raymond es hören konnte, „Er macht sich nur Sorgen.”

Sorgen? Ich sah zu dem Mann, der mich eine halbe Ewigkeit lang ahnungslos in einem fensterlosen Raum zurückgelassen hatte, bis er schließlich entschieden hatte, mich in seine absurden Theorien einzuweihen. Nein, Raymond machte sich sicherlich keine Sorgen um mich. Er machte sich höchstens Sorgen um die Rolle, die ich für ihn spielen sollte.

Ich schnaubte. „Zum Teufel damit. Ich werde mich nicht behandeln lassen wie eine Schwerverbrecherin.”

„Eine Schwerverbrecherin?” Raymond stieß ein bitteres Lachen aus. „Es geht um deinen Schutz, Evangeline. Ich versuche, dir zu helfen.”

„Sie ist völlig verloren, Raymond, siehst du das nicht?” Rubina drückte meine Hand, bevor sie einige Schritte nach vorn trat. „Sie ist erst vor ein paar Tagen in eine völlig fremde Welt gestolpert und anstelle ihr Zeit zu geben, sich mit allem vertraut zu machen, lässt du sie wegsperren und in Isolation halten. Wie soll sie da auch nur ansatzweise Verständnis für unsere Sache aufbringen?”

Sprachlos starrte Raymond sie an.

„Du erwartest, dass sie Dinge akzeptiert, die für sie vielleicht unvorstellbar scheinen. Du verlangst, dass sie uns vertraut. Es ist das Mindeste, dass wir ihr im Gegenzug ebenfalls ein wenig Vertrauen entgegenbringen.”

Ich hielt den Atem an. Rubinas Worte waren ein Spiegelbild all dessen, was ich in diesem Moment fühlte und ich war unendlich dankbar, dass sie den Mut gefunden hatte, sie auszusprechen. Allerdings ließ Raymonds sauertöpfische Miene mich noch im selben Moment zweifeln, dass irgendeines dieser Worte etwas ändern könnte. Nervös erwartete ich eine Reaktion.

Starres Schweigen lag über der gesamten Szene, als wäre die Welt für einen Augenblick stehen geblieben. Schließlich ließ Raymond die Schultern sinken.

„Rubina hat recht.” Seine Stimme war tonlos. „Es tut mir leid, dass ich dir das Gefühl gegeben habe, wir würden dir nicht vertrauen. Selbstverständlich bist du frei, zu gehen, wann und wohin du willst.”

Ich zog die Brauen zusammen. „Was ist, wenn ich die Tunnel verlassen will?”

Raymonds zusammengepresste Lippen verrieten, wie sehr ihm diese Frage missfiel. „In diesem Fall bitte ich dich, einen Wächter mitzunehmen. Nur zu deiner eigenen Sicherheit.”

Ich riss die Augen auf. Damit hatte ich nicht gerechnet. „Dann darf ich nach draußen?”

„Entgegen deiner eigenen Überzeugung bist du keine Gefangene hier, Evangeline. Alles, was ich tue, dient deiner Sicherheit.”

Mit diesen Worten wandte er sich ab. „Ich werde den Rat morgen versammeln, um dich vorzustellen. Ich hole dich ab, wenn es soweit ist.”

Noch bevor ich etwas hätte entgegnen können, war er um die nächste Ecke verschwunden. Seine Schritte hallten in der Stille, die zurückblieb.

„Das kam unerwartet.” Geräuschvoll stieß Rubina Luft aus. „So habe ich ihn selten erlebt.”

„Wirklich?” Ich musterte sie. Für mich war Raymond noch immer ein Buch mit sieben Siegeln. Seit meiner Ankunft hier schien er nichts anderes zu tun, als mich herumzukommandieren und ohne Rubinas Eingreifen hätte ich sicherlich auch dieses Mal den Kürzeren gezogen.

„Deine Ankunft hier hat uns alle überrascht”, erklärte sie in diesem Moment, „Ich schätze, Raymond ist einfach überfordert. Und nervös.”

Sie trat zu mir. „Er ist ein guter Anführer, aber sein Umgang mit anderen lässt manchmal zu wünschen übrig. Gib ihm etwas Zeit.”

Ich nickte. Etwas anderes blieb mir auch nicht übrig.

Rubinas Lächeln war warm.

„Komm”, sagte sie und nahm meinen Arm, „Ich bringe dich zurück zu deinem Zimmer. Du hast eine Ratsversammlung, auf die du dich vorbereiten solltest.”

Auf einer Flut an Erklärungen und Anweisungen trieb ich durch die Gänge. Rubinas Worte verschwammen zu einem reißenden Strom an Informationen, die ich nicht verarbeiten konnte. Einzig die warme Berührung ihrer Hand versicherte mir, dass ich nicht verloren war.

*****

Ich hätte gelogen, hätte ich behauptet, nicht nervös zu sein. Das Klopfen an der Tür ließ mich zusammenzucken und ich hatte es so eilig zu öffnen, dass ich nahezu über meine eigenen Füße gestolpert wäre. Als ich schließlich draußen stand, musterte Raymond mich gründlich.

„Bereit?”, fragte er dann.

Ich nickte. Meine Kehle war wie zugeschnürt, als ich ihm durch die Gänge folgte. Ich nahm an, dass er versuchte, mich auf die anstehende Konferenz vorzubereiten, doch ich konnte mich auf keines seiner Worte konzentrieren. Stattdessen spukte Rubinas Stimme durch meinen Kopf und faselte etwas von Nixen und Najaden, von Baummenschen und Trollen und Elfen, das sich schlichtweg absurd anhörte. Je näher wir dem Konferenzraum kamen, desto deutlicher waren weitere Stimmen zu hören – der Rat.

Kurz bevor wir den Durchgang erreicht hatten, hielt Raymond noch einmal inne.

„Wegen gestern …” Es war so ungewohnt, ihn die Hände ringen zu sehen, dass ich den Blick kaum abwenden konnte. „Ich wollte mich noch einmal bei dir entschuldigen. Du sollst wissen, dass es uns – mir – nicht nur um dich als … Auserwählte geht.”

Er zögerte und ich konnte sehen, dass er nervös war. „Wir wollen dir helfen, Evangeline. Egal, für welchen Weg du dich entscheidest. Wir werden dich unterstützen.”

Mit einem Mal hatte ich einen Kloß im Hals. Zögernd brachte ich ein Nicken zustande, vermied es allerdings, Raymond anzusehen. Stattdessen räusperte ich mich. „Also, was ist? Stellen Sie mir jetzt den Rat vor?”

„Du.” Raymonds Antwort ließ mich den Kopf heben. Er lächelte. „Nicht Sie. Du.”

Ich brauchte einen Moment, bis ich begriff was er meinte. Dann lächelte auch ich. Raymonds Hand berührte mich sanft an der Schulter. „Komm.”

Als wir den Raum betraten, kehrte nahezu sofort Stille ein. Elf Augenpaare richteten sich auf mich, während die Stimmung im Raum vor Anspannung zu summen begann. Es war wie eine dieser altmodischen Kuriositätenschauen auf Jahrmärkten – und ich war die Kuriosität, ein Mann mit zwei Köpfen, wenn man so wollte. Ich hatte das unbändige Bedürfnis, auf der Stelle umzudrehen und auf dem Gang zu warten, bis sich mein Herzschlag wieder beruhigte, doch Rubinas Worte ließen mich nicht los.

Als ich es schließlich wagte, den Kopf zu heben, wusste ich nicht, wo ich zuerst hinsehen sollte. Rechts von mir stand ein Mann mit Pferdekörper, gleich daneben eine Frau, in deren bleichweißes Haar hunderte schimmernder Muscheln geflochten waren. Bei einigen von ihnen konnte ich nur raten, welches Wesen sie sein mussten, bei anderen war es offensichtlich. Rubina hatte mir von den Halsketten der Nymphen berichtet, die sie mit ihrem Heimatelement verbanden. Auch ihre Beschreibung des Trolls war ausgezeichnet gewesen – ich brauchte keine drei Sekunden um die riesenhafte Gestalt des alten Mannes mit dem faltenzerfurchten Gesicht in der Menge zu finden. Zu anderen Männern und Frauen konnte ich wiederum nur Vermutungen anstellen.

„Es freut mich, dass ihr es alle einrichten konntet.“ Raymonds Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Erst jetzt bemerkte ich, dass die Blicke von mir gewichen waren. Raymond stand wie jedes der anderen Ratsmitglieder hinter seinem Platz an der kreisrunden Tafel. „Ich weiß, es war kurzfristig, doch diese Angelegenheit ist von äußerster Wichtigkeit für alle von uns.”

Er machte eine Pause und bedeutete mir, zu ihm zu kommen. Zögernd trat ich an die Tafel.

Raymond warf mir ein ermutigendes Lächeln zu, bevor er sich wieder an den Rat wandte. „Lasst mich euch Evangeline vorstellen. Die Auserwählte.”

Noch bevor die letzte Silbe über Raymonds Lippen gekommen war, schnappten die ersten Botschafter nach Luft. Im Zuge eines Wimpernschlages explodierten Stimmen und Lachen genau wie aufgebrachtes Gröhlen. Misstrauische Blicke streiften mich von allen Seiten, während die Botschafter untereinander wild diskutierten. Ich zuckte zusammen, als Raymond mir eine Hand auf die Schulter legte. Als ich zu ihm aufsah, hatte er die andere Hand bereits erhoben und sich an den Rat gewandt.

„Ruhe”, verlangte er bestimmt, „Bitte, beruhigt euch.”

Nur nach und nach ebbte der Sturm an Stimmen zu einer leichten Brise aus Wispern ab. Ich setzte gerade an, aufzuatmen, als eine Männerstimme die einkehrende Stille zerriss.

„Woher wissen wir, dass sie keine Spionin ist?”

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