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Kapitel 5

Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte, als ich jemanden vor der Tür hörte. Morgen, war das Einzige, was mir einfiel, Es musste endlich Morgen sein. Ich stand auf und öffnete die Tür, bevor auch nur ein Klopfen zu hören war.

Raymond musterte mich überrascht. „Also das … ging wirklich schnell.“

Ich entgegnete nichts. Seit Stunden hatte ich an nichts anderes denken können als die Worte des Frosches. Sinn und Unsinn hatten mein Inneres durcheinandergewirbelt, bis ich nicht mehr wusste, was ich glauben sollte. Raymonds Anwesenheit ließ mich allerdings wieder Hoffnung schöpfen. Er hatte versprochen, mich nach Calgary zu bringen und dass er jetzt hier war, konnte nur eines bedeuten.

„Komm.” Er legte mir eine Hand auf die Schulter und begann, mich den Gang hinunterzuführen. „Hast du gut geschlafen?”

Ich zögerte, während mein Magen nervöse Purzelbäume schlug. „Nicht richtig.”

Wir bogen um eine Ecke und Raymond gab ein Brummen von sich. „Das habe ich mir schon gedacht.”

Eine Viertelstunde und unzählige Abzweigungen später erreichten wir einen Raum. Er war etwas größer als das Zimmer, in dem ich eingesperrt gewesen war, aber ebenso schlicht möbliert. Es gab einen großen Tisch mit einem Stuhl auf der einen und zwei weiteren auf der gegenüberliegenden Seite. Dazu einige als Regale dienende Bretter an der Wand. Überall lag Papier – Karten, Notizen und Briefe – gemischt mit Büchern, Lupen, Stiften und anderen Utensilien.

„Ich verstehe nicht.” Hilfesuchend wandte ich mich an Raymond. „Was machen wir hier?”

Anstelle einer Antwort ging er einmal um den Tisch herum.

„Setz dich“, sagte er und wies auf einen der beiden Stühle vor mir, „Möchtest du ein Glas Wasser?“

Eilig räumte er den Tisch frei und holte eine Kanne sowie zwei Becher von einem kleinen Beistelltisch. Noch immer stand ich wie festgenagelt in der Mitte des Raumes.

„Sie haben versprochen, mich nach Calgary zu bringen”, sagte ich und hörte mich dabei an, wie ein weinerliches Kind, dem sein Spielzeug weggenommen wurde. Wallace’ Worte schienen mit jeder Minute lauter durch meine Gedanken zu hallen. Angespannt ballte ich die Fäuste.

„Evangeline.” Raymond seufzte. „Wir sollten reden. Ich denke, es ist Zeit, dass ich dir einiges erkläre.”

Ich schnappte nach Luft. War es das? Eine düstere Ahnung legte sich wie eine Hand um meinen Hals und ließ mich nach Luft ringen. Meine Beine begannen zu zittern und ich schaffte es gerade noch, mich an der Lehne des Stuhls festzuklammern. Kraftlos sank ich auf die harte Sitzfläche. Ich spürte Raymonds besorgten Blick auf mir ruhen, während er ein Glas mit Wasser füllte und es vor mir abstellte. Mein Kopf war mit einem Mal wie leergefegt.

„Ich kann nicht sagen, wie leid es mir tut, dass du so lange warten musstest.“ Raymonds Stimme war nahezu tonlos, als würde er die Worte eines Protokolls zitieren. „Die letzte Nacht muss sehr aufwühlend gewesen sein. Ich kann mir vorstellen, dass du viele Fragen hast.”

Ich beobachtete, wie er sich setzte und langsam die Hände auf der Tischplatte faltete. „Ich bin bereit, dir alle Antworten zu geben, die du brauchst. Doch zuvor habe ich einige Fragen an dich.”

Noch immer brachte ich kein Wort heraus.

„Kannst du dich erinnern, wie du zu Grannies Hütte gelangt bist?”

Ich starrte ihn an. War das sein Ernst? „Ich habe mich verlaufen. Das habe ich Ihnen gestern schon gesagt.”

„Was hast du gemacht, bevor du dich verlaufen hast?”

„Ich bin in den Wald gefahren. Da war dieser Brief und ich dachte – ” Ich unterbrach mich selbst, als ich seinen Blick bemerkte. „Was geht Sie das eigentlich an?”

Raymond überging meine Frage, ohne die Miene zu verziehen. „Gibt es zwischen dem Zeitpunkt, an dem du den Wald betreten hast und dem, an dem du dich verlaufen hast, irgendeinen Zeitraum, an dem deine Erinnerung unklar wird? Hast du zu irgendeinem Zeitpunkt vielleicht das Bewusstsein verloren?”

Sprachlos sah ich ihn an. Dieses Detail hatte ich bisher niemandem gegenüber erwähnt. Doch offenbar war mein Blick Antwort genug. Raymond lächelte. „Nur noch eine kurze Frage, dann ist es geschafft.”

Er machte eine Pause und wartete, bis er meine ungeteilte Aufmerksamkeit hatte. „Was bedeutet der Name Morrigan für dich?”

Ich starrte ihn an. „Morrigan? Zum Teufel, ich kenne keine Morrigan und ich will auch gar nicht wissen, wer sie ist! Ich will einfach nur zurück nach Hause und wenn Sie mir nicht helfen, finde ich mich eben selbst wieder nach draußen.”

Wütend stand ich auf und marschierte zur Tür. „Einen schönen Tag noch!”

„Warte!” Ich war noch nicht einmal ganz aus der Tür, als sich Raymonds Griff fest um meinen Oberarm schloss. „Du kannst nicht gehen.”

„Ach.” Schnaubend fuhr ich herum. „Und warum nicht? Haben Sie etwa Angst, ich könnte Ihre seltsame kleine Sekte auffliegen lassen?”

„Du könntest sterben.” Raymond holte tief Luft. „Und du wirst dieses Calgary dort oben nicht finden.”

Mit einem Schlag hielt ich inne. War das das Geständnis, auf das ich gewartet hatte? Der endgültige Beweis dafür, dass der Frosch recht hatte?

„Komm wieder rein”, drängte Raymond sanft, „Ich kann dir alles erklären. Wenn du danach immer noch gehen möchtest, bringe ich dich nach draußen.”

Ich zögerte, doch schließlich ließ ich mich von ihm zurück an den Tisch führen. Ich spürte, wie das Herz gegen meine Rippen schlug, als ich langsam auf den Stuhl sank. Meine Kehle war wie zugeschnürt, während dieselbe Frage immer und immer wieder durch meine Gedanken wirbelte. Ich brauchte endlich Klarheit.

„Wo bin ich?”

Meine Frage verhallte in der Stille. Ich sah, wie Raymond mit sich rang. Er hatte versprochen, mich nach Hause zu bringen und dann hatte er mir Antworten versprochen – aber mit jeder Sekunde, die ich darauf wartete, dass ein Wort seine Lippen verließ, bezweifelte ich, dass er auch nur eines dieser Versprechen halten würde. Meine Stimme zitterte.

„Hatte er recht?“ Verzweifelt musterte ich Raymond. „Hat dieser Frosch die Wahrheit gesagt? Bin ich … in einer anderen Welt?“

Einen Moment lang sagte Raymond gar nichts, starrte mich nur aus großen Augen an.

„Du weißt es schon?“, fragte er dann ungläubig.

„Ich weiß gar nichts!“, schoss ich sofort zurück und konnte nicht vermeiden, dass meine Stimme laut wurde, „Ich weiß nicht, was das hier ist oder was Sie von mir wollen, ich weiß ja nicht mal, wie ich hergekommen bin oder wie ich wieder nach Hause komme. Das einzige, was ich weiß, ist, dass sprechende Frösche nicht existieren und dass dieses Monster, das Grannie attackiert hat, eine Ausgeburt der Hölle war und nicht einmal das –“ Ich musste schluchzen. „Sagen Sie mir endlich, was hier los ist! Bitte!“

Ich stützte den Kopf in die Hände, während Tränen in meinen Augen brannten. Das hier war ein Alptraum, ein einziger Alptraum.

„Es ist die Wahrheit.” Raymonds Stimme ließ mich aufsehen. „Wir haben allen Grund zu der Annahme, dass du dich nicht länger in der Welt befindest, die du kennst.”

Er zögerte, bevor er etwas hinzufügte. „Dieses Land hier heißt Ciaora. Hast du schon einmal irgendetwas davon gehört?”

Stumm schüttelte ich den Kopf. Das war es dann also. Ich war in einer anderen Welt. Ich fühlte mich, als hätte man mir in den Magen geschlagen. Gut möglich, dass ich mich übergeben würde, sobald ich den Mund öffnete.

„Es gibt da noch etwas, das du wissen solltest”, schob Raymond inzwischen hinterher, „Es ist der Grund, aus dem wir dich bisher von der Oberfläche ferngehalten haben.” Er zögerte und suchte offenbar nach den richtigen Worten. „Da draußen gibt es Menschen, die es auf dich abgesehen haben.”

„Wer?” Verständnislos musterte ich ihn. Ich war kaum sechsunddreißig Stunden in diesem seltsamen Land. Was konnte ich schon verbrochen haben, dass mir jemand nach dem Leben trachtete?

„Es ist ziemlich kompliziert.” Raymond fuhr sich durch das dunkle Haar. „Aber in der Kurzform gibt es eine Art Prophezeiung, die besagt, dass jemand von außerhalb unserer Welt das Land aus der Tyrannei der Königin befreien wird. Und, naja, du bist seit einhundert Jahren die erste von Außerhalb, die Ciaora betreten hat.”

„Das ist doch nicht wahr!” Die Übelkeit, die mir noch Momente zuvor so schwer im Magen gelegen hatte, verwandelte sich in rasende Wut. „Sie wollen mir also allen Ernstes erzählen, dass Sie an eine dämliche Prophezeiung glauben?”

„Die Königin – Morrigan – glaubt daran”, entgegnete Raymond sachlich, „Und sie wird alles tun, um ihre Macht zu verteidigen.”

„Sie meinen, sie wird mich umbringen?” Ich rang um meine Fassung. „Das ist doch lächerlich. Ich könnte nicht mal einer Fliege ernsthaft gefährlich werden. Und überhaupt, wie sollte ich – ”

„Keine Sorge.” Raymond musste meinen entsetzten Gesichtsausdruck bemerkt haben, denn in seinem Blick erkannte ich Mitleid. „Hier bist du sicher. Und wir werden alles daran setzen, dass das auch so bleibt.“

„Wir?” Ich war mir nicht sicher, ob ich die Antwort auf meine Frage überhaupt hören wollte. Im Moment fühlte es sich an, als würde ich inmitten eines Tornados versuchen, ein Streichholz zu entflammen. Jede Antwort, die ich erhielt, wurde von einem ganzen Sturm weiterer Fragen ausgelöscht. Und nachdem ich Raymonds Blick bemerkte, wusste ich, dass es mit dieser Antwort nicht anders sein würde.

„Diese Tunnel sind der unterirdische Stützpunkt einer Rebellion.” In Raymonds Stimme hörte ich Stolz. „Wir sind aus der Not entstanden, die Morrigan über unser Land gebracht hat. Doch wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, die Hoffnung zu bewahren und die Ankunft des Retters vorzubereiten. Wir agieren bereits seit acht Jahren und haben seitdem mehr als zwanzigtausend Gleichgesinnte um uns scharen können.”

Ich war sprachlos. Jedes Mal, wenn ich dachte, meine Situation könnte kaum absurder werden, schaffte Raymond es, noch eine Schippe draufzulegen. Rebellen, die gegen ein grausames Regime kämpften – Himmel, hatte ich nicht langsam genug gehört?

„Ich weiß, auf dich muss das alles ziemlich befremdlich wirken”, schob Raymond in diesem Moment ein, „Auch für uns kamen die Neuigkeiten sehr überraschend. Die letzten Jahre waren nicht einfach. Allein die Prophezeiung hat uns die Kraft verliehen, Qualen und Entbehrungen im Angesicht der Hoffnung zu ertragen. Jetzt zu wissen, dass sich all unsere Arbeit auszahlt, dass sich die Prophezeiung tatsächlich erfüllen wird …”

Er verstummte und sah mich an. In seinem Blick lag etwas, das mich stutzen ließ.

„Moment.” Nur langsam sickerten Raymonds Worte in mein Bewusstsein. „Sie wollen doch nicht sagen … Ich meine, Sie denken doch nicht wirklich, dass ich – ”

Raymonds Lächeln verriet mir alles, was ich wissen musste. „Evangeline, du bist diejenige, auf die wir all diese Jahre gewartet haben. Du bist die Retterin, von der die Prophezeiung spricht.“

„Nein.” Ich schüttelte den Kopf. „Sie müssen sich irren. Ich bin nicht – “

„Es fällt dir schwer, zu begreifen. Das ist nur verständlich.” Raymonds Lächeln war so zuversichtlich, dass mir übel wurde. „Niemand verlangt von dir, sofort eine Entscheidung zu treffen. Du solltest nur wissen, dass du uns vertrauen kannst. Du bist sicher bei uns.“

„Aber ich will doch überhaupt nicht – ” Ich beherrschte mich gerade noch. „Ich meine, ich will einfach nur nach Hause, verstehen Sie das?“

„Natürlich.” Raymond nickte. „Und ich würde dir liebend gern helfen, allerdings – “

„Allerdings was?”, bellte ich. Im Gegensatz zu Raymond war meine Geduld nach bösen Königinnen, seltsamen Kulten und ein paar Worten, die mich zur Befreierin eines ganzen Landes machen sollten, wirklich am Ende. „Bitte. Können Sie mir nicht einfach sagen, wie ich wieder zurückkomme? Ich wollte das hier alles nicht.“

„Das glaube ich dir.“ Raymond musterte mich lang. „Aber was ich eigentlich zu erklären versuche, ist, dass wir dir nicht helfen können. Die Portale, die einst unsere beiden Welten verbanden, sind schon vor Jahrhunderten geschlossen wurden. Niemand weiß mehr, wo sie sich befinden.“

„Aber irgendwie muss ich doch hergekommen sein.“ Ich warf die Hände in die Luft. „Es muss doch einen Weg geben, eine Verbindung, ein –“

„Es tut mir wirklich leid.“ Raymond entgegnete meinem Blick. „Doch um ehrlich zu sein, dürftest du nicht einmal hier sitzen. Seit Jahrhunderten ist kein Fall eines Weltenwanderers bekannt geworden. Allein deine Ankunft hier ist ein Mysterium.”

Ich schüttelte den Kopf. „Aber wenn ich hierher gekommen bin, müssen die Portale doch noch existieren? Wenn ich das Portal finden kann, durch das ich gekommen bin – ”

Der Ausdruck auf Raymonds Miene ließ mich innehalten.

„Es ist nicht so einfach.” Er faltete die Hände. „Mit der Schließung der Portale damals sind auch deren Wächter – die Feen – in Vergessenheit geraten. Niemand weiß, wo sie sich aufhalten. Doch ohne Feenstaub ist es unmöglich, ein Portal zu öffnen – selbst, wenn es jemandem gelingen würde den Standort ausfindig zu machen.”

Er seufzte. „Ich will es nicht schwarzreden, Evangeline. Aber du solltest bedenken, dass in den hundert Jahren zuvor bereits unzählige Versuche unternommen wurden, die Feen zu finden und Portale zu öffnen. Falls es überhaupt noch Informationen zu diesem Thema gibt, dann höchstwahrscheinlich in der königlichen Bibliothek. Doch sich dort hineinzuwagen, würde für dich und die meisten von uns den Tod bedeuten.“

„Dann …” Ich schnappte nach Luft. In meinem Kopf drehte sich alles, während Raymonds Worte in einer Endlosschleife durch mein Gehör kreisten. Rotglühende Wut ballte meine Hände zu Fäusten, als mir bewusst wurde, wie geschickt er dieses Gespräch geplant haben musste. Wahrscheinlich hatte er sogar ein Skript geschrieben, um mir genau die Fakten einzutrichtern, die es benötigte, damit ich seinen Plänen bedingungslos folgte. Doch so einfach würde ich es ihm nicht machen.

„Dann behaupten Sie also, dass ich vorerst in dieser Welt festsitze?”, wiederholte ich langsam, „Und die beste und wahrscheinlich einzige Möglichkeit, einen Rückweg zu finden, liegt völlig außer Reichweite in Besitz der Königin. Ach, Moment, warten Sie – “ Wütend funkelte ich ihn an. „Es geht hier ja um dieselbe Königin, gegen die Sie und Ihre seltsamen Rebellen kämpfen. Warum sollte ich mich also nicht direkt anschließen? Ist es das, was Sie zu sagen versuchen? Dass ich mich entweder Ihnen anschließen oder in dieser Welt sterben kann? Sind das meine Optionen?“

Ich wandte den Blick nicht eine Sekunde von ihm, doch anstelle des erwarteten Protestes antwortete er nur mit beharrlichem Schweigen. Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, dass er es nicht leugnen würde. Ich saß hier fest – ohne jegliche Chance auf einen Rückweg und er hatte nicht einmal den Anstand, es zu leugnen.

„Nein.” Ich weigerte mich zu glauben, dass es so sein konnte. Immerhin war ich in einem Land voller Magie gelandet – man hätte meinen sollen, das Wort unmöglich hatte hier aufgehört zu existieren. Es musste einen anderen Weg geben, eine andere Möglichkeit, die Raymond mir vorenthielt, um mich für seine Pläne zu gewinnen.

„Ich verstehe, dass das alles viel für dich ist“, versuchte er es in diesem Moment erneut, „Aber gerade deshalb muss ich dich bitten, keine überstürzten Entscheidungen zu treffen. Deine Ankunft hier ist ein Wunder und wenn die Götter dies für den richtigen Zeitpunkt erachten, dich zu uns – “

„Ach halten Sie den Mund!“ Ich sprang auf. „Ich will nichts mehr von Ihren Lügen hören! Sie können sich eine andere Retterin suchen!”

Wütend stürmte ich zur Tür und war bereits drauf und dran, sie aufzureißen, als Raymonds Arm mich zurückhielt.

„Bitte, Evangeline. Denk doch einmal darüber nach.“

„Lassen Sie mich los!” Rasend vor Zorn rang ich meinen Arm aus seinem Griff und stürmte nach draußen. Meine Schritte hallten im Takt meines Herzens von den kalten Steinen wider, als ich blindlings durch die Gänge sprintete. Raymonds Worte saßen mir im Nacken wie die wilde Jagd und trieben mich unaufhörlich weiter.

Du bist seit einhundert Jahren die erste, die Ciaora betreten hat. Ich schnaubte. Und wenn schon, hieß das immer noch nicht, dass es meine Pflicht war, diesem abgedrehten Haufen in einem Mordkomplott gegen die böse Königin zu unterstützen.

Ich fegte um eine Ecke, dann um noch eine. Mein Blick raste die Wände entlang, immer auf der Suche nach etwas Vertrautem, doch da war nichts als Stein. Endloser Stein und Feuer , die mich im Vorhof der Hölle willkommen hießen. Ich rannte und rannte, bis mein Atem nur noch stoßweise ging und das Feuer der Fackeln auch in meinen Lungen brannte. Der Rauch ließ mich keuchen und husten, bis ich schließlich stolperte. Ich konnte mich gerade noch an einer der kalten Tunnelwände abfangen, bevor meine Beine nachgaben. Ein weiteres Mal sah ich mich um, doch auch jetzt konnte ich nicht den geringsten Hinweis auf ein Ende der Tunnel erkennen. Die steinernen Gänge schienen sich in einem Labyrinth endloser Kreuzungen und Schleifen zu verlieren.

Kraftlos sank ich zu Boden. Das war es. Ich konnte laufen, so weit ich wollte und würde mich doch immer nur im Kreis drehen. Ich war hier unten gefangen und wahrscheinlich würde ich verhungern, ehe ich allein einen Ausweg gefunden hatte. Ohne Hilfe war ich verloren und ich hasste Raymond und Rubina dafür, dass sie mir das angetan hatten.

Verzweifelt stützte ich den Kopf in die Hände. Mit einem Mal fühlte es sich an, als würde sich mein Leben in einer ständigen Abwärtsspirale bewegen. Zuerst die Halluzinationen, dann der Brief und der Tornado, die Bestie und jetzt das. Tränen brannten in meinen Augen und ich hatte nicht die Kraft, sie zurückzudrängen, als mich jemand am Arm berührte.

Unter verschleiertem Blick erkannte ich einen der Dunkelgekleideten, der mir auf die Beine half. Wortlos ließ ich zu, dass er mich auf die Füße stellte und langsam den Gang zurückführte, den ich gekommen war. Mein Instinkt rebellierte. Am liebsten hätte ich mich ein weiteres Mal losgerissen, doch mein Verstand sagte mir, dass es sinnlos war und mein Körper war so erschöpft, dass ich nicht wusste, woher ich die Kraft, erneut aufzubegehren, nehmen sollte. Als der Wächter schließlich innehielt und eine Tür öffnete, löste ich mich langsam aus seinem Griff und taumelte in den Raum. Das Klicken, mit dem die Tür ins Schloss fiel war kaum mehr als eine Bestätigung meiner ausweglosen Lage.

*****

Fest umklammerten meine Finger das Smartphone. Die Zeit war aus den Fugen geraten und es war mir egal. Sie mochte rasen oder zäh wie Karamellsirup durch die Ritzen dieses Raumes sickern, doch seit ich mit dem Rücken an die kalte Steinwand gelehnt auf der harten Pritsche hockte, hatte sie jede Bedeutung für mich verloren. Stunden oder Minuten hatte ich den kleinen Kasten aus Glas und Aluminium angestarrt und versucht, einen Silberstreif an meinem Horizont zu erkennen. Stattdessen hatte das schwarze Display mich nur daran erinnert, wie sehr ich meine Eltern vermisste. Wie gern ich ihre Stimmen hören und ihnen sagen würde, dass ich lebte. Wie viel ich darum geben würde, jetzt in einer tröstlichen Umarmung zu versinken.

Doch es waren nicht die Arme meiner Mutter, die mich umschlossen, sondern der harte Stein. Mit jedem Atemzug, den ich hier unten tat, schien die Decke des Raumes tiefer zu sinken. In meiner Vorstellung rückten die Wände näher und näher, bis der Druck auf meiner Brust unerträglich wurde und die Luft aus meinen Lungen wich.

Ich blinzelte und das Bild verschwand. Was blieb, war das allesverzehrende Gefühl der Einsamkeit. Innerhalb der letzten Stunden – des letzten Tages – hatte sich alles verändert. Und ich hatte nicht mehr die Kraft, mich all den Fragen zu widersetzen, die Raymonds Worte in mir aufgeworfen hatten.

Konnten er und der Frosch die Wahrheit gesagt haben? Und falls ja, was bedeutete es dann für mich? Was konnte ich von Raymond und diesen Rebellen erwarten? Und wie sollte ich es schaffen, die Tunnel zu verlassen, um mir ein eigenes Bild zu machen?

In Gedanken spulte ich unablässig den Nachmittag ab, der für all das verantwortlich war. Der sonderbare Junge mit dem leuchtend blonden Haar stand noch gestochen scharf in meiner Erinnerung, genau wie die Worte auf dem Briefpapier. Dann dieses Gewitter, der Tornado … und der Wolf.

Es war das erste Mal, dass ich wieder an ihn dachte. Ich sah ihn direkt vor mir, heulend im Auge des Sturms. Dinge flogen vorüber – Blätter vielleicht, oder nur Staubkörner, die der Wind aufgewirbelt hatte. Sie verwischten das Bild und die Gestalt des Wolfes verschwamm vor meinen Augen. Stattdessen nahm ich nun immer deutlicher den lilafarbenen Nebel wahr, zu dem der Tornado zerfiel. Seltsam schwer wallte er von der Kante der Pritsche und ließ eine kleine grüne Gestalt zurück.

Nur langsam klärten sich meine Gedanken. Der Frosch grinste überlegen zu mir herauf. „Glaubt Ihr mir jetzt, Mylady?”

Ich war zu perplex, als dass ich hätte antworten können. Sprachlos starrte ich zu ihm hinunter.

„Ich hatte schon fast erwartet, dass Ihr versuchen würdet, wegzulaufen”, sinnierte er auch völlig ohne mein Zutun, „Raymond hat einfach kein Talent, was menschlichen Umgang betrifft. Es wundert mich wirklich, wie er es bisher so weit gebracht hat.”

Noch immer brachte ich kein Wort zustande. Alles, was ich zu wissen geglaubt hatte, schien sich allein durch die Anwesenheit des Frosches in Asche und Rauch zu verwandeln. Zurück blieb nichts als seine Frage. Glaubte ich ihm?

„Ich kann einfach nicht fassen, dass es das sein soll“, murmelte ich irgendwann.

Wallace hob den Kopf und bedachte mich mit einem Blick, als hätte ich gerade einen schlechten Scherz gemacht. „Ihr sprecht mit mir, nicht wahr?”

Für einen Moment war ich verwirrt, nickte jedoch.

„Ihr sprecht mit einem sprechenden Frosch, Mylady.” Wallace’ Tonfall war belehrend. „Wenn ich mich nicht irre, ist das ein eindeutiges Zeichen dafür, dass Ihr entweder verrückt oder nicht länger in der Welt seid, die Ihr kennt. Wobei das eine das andere ja nicht ausschließen muss.”

Er grinste und ich presste die Kiefer zusammen, als mir klarwurde, worauf er hinauswollte. Dann musste ich wieder an den seltsamen Jungen denken und daran, wie er jedes einzelne Mal verschwunden war, bevor ich mich versichern konnte, dass er echt war. Doch vielleicht war genau das der Beweis, das ich mir alles nur einbildete. Wenn ich mir den Jungen eingebildet hatte, dann vielleicht auch den Brief und den Tornado und …

„Eines muss man Euch lassen, Mylady.” Als ich aufsah, hatte Wallace die breiten Froschlippen verzogen. „Stur seid Ihr.”

„Was geht Euch das an?”, entgegnete ich trotzig, „Vielleicht bin ich ja so verrückt, wie Ihr sagt. Vielleicht bin ich verrückt genug, mir einen ganzen Alptraum voller böser Königinnen und Bestien und sprechender Kröten auszudenken und Ihr habt nur Angst, dass ich aufwachen und Eure Existenz beenden könnte.”

Wallace zog eine seiner seltsam nackten Froschbrauen in die Höhe, sagte jedoch nichts. Es war auch nicht nötig – ich wusste ohne seine Bemerkungen, wie naiv ich klang. Wie ein Kind, das immer noch am Weihnachtsmann festhielt, obwohl es seine Geschenke bereits im Kleiderschrank der Mutter entdeckt hatte.

Ich schüttelte den Kopf. „Aber das ist unglaublich. Ich meine, angenommen, Ihr und Raymond … habt Recht …” Mir fiel es immer noch schwer, die Worte auch nur über die Lippen zu bringen. „Angenommen, ich bin in diesem Ciaora, würde das bedeuten, dass Magie existiert. All die Geschichten und Ammenmärchen, die man bei uns den kleinen Kindern erzählt, sollen mit einem Mal Wirklichkeit sein. Das kann ich nicht glauben.”

„Könnt Ihr es nicht?”, fragte Wallace forsch, „Oder wollt Ihr es nicht?”

Er machte eine Pause und sah mich eindringlich an. Ich ahnte bereits, was folgen würde und meine Schultern sanken beim Gedanken daran.

„Wenn Ihr mich fragt, dann ist es nicht der Fakt, dass Magie existieren könnte, der Euch Sorgen bereitet. Der Grund, aus dem Ihr so verzweifelt nach einer anderen Erklärung sucht, ist vielmehr der, dass Ihr noch immer daran festhaltet, es gäbe einen Rückweg.”

Ich sah ihn an und für einen Moment wusste ich nicht, was ich darauf sagen sollte. Er hatte Recht, er hatte so viel Recht, dass es mir Angst machte.

„Aber wenn es stimmt …“, murmelte ich kaum hörbar, „Wenn Raymond die Wahrheit sagt – Werde ich meine Familie dann jemals wiedersehen?“

Bei dem Gedanken an Mom und Dad, an Ced und Maggie, die alle mit einem Mal so weit entfernt schienen, verengte sich meine Kehle und ich spürte erneut brennende Tränen in meinen Augenwinkeln. Wie konnte ich mit dem Wissen leben, sie vielleicht nie wieder in die Arme zu schließen? Ihnen nie gesagt zu haben, wie sehr ich sie liebte und wie viel sie mir bedeuteten?

„Ich will ehrlich zu Euch sein, Mylady.“ Wallace war aufgestanden und betrachtete mich mit einer so ernsten Miene, wie ich sie bisher nie an ihm gesehen hatte. Nicht einmal das kleinste Fünkchen seines belustigten Grinsens umspielte noch seine Mundwinkel. „Ich könnte Euch jetzt sagen, dass Ihr Euch nicht sorgen sollt und dass alles gut werden wird. Ich könnte Euch versprechen, dass es einen Weg gibt und dass Ihr ihn finden werdet. Doch das wäre gelogen. Wie Eure Zukunft aussieht und ob Ihr zu Eurer Familie zurückkehrt, liegt allein in Euren Händen. Das Einzige, was ich mit Sicherheit sagen kann, ist, dass Raymond die Wahrheit gesprochen hat.“

Ich schluckte. Da waren sie – die Worte, die ich die ganze Zeit über gefürchtet hatte, ohne es zu wissen.

„Also …” Meine Stimme zitterte. „Also muss ich mich diesen Rebellen anschließen, wenn ich nicht in dieser Welt sterben will? Ich muss irgendeine Auserwählte spielen, um die Chance auf eine Rückkehr zu bekommen?“

Wallace zuckte nur die Schultern.

„Es ist Eure Entscheidung, Mylady“, sagte er tonlos, „Aber für den Moment scheint es mir, als ob dies die einzigen Möglichkeiten sind, die Euch bleiben. In Zukunft mögen sich vielleicht weitere erschließen, doch im Moment …”

Er musste den Satz nicht beenden. Fassungslos senkte ich den Blick und starrte auf den ausgetretenen Steinboden des Zimmers. Ich dachte an die Gänge, in denen ebendieser Stein mich von allen Seiten umgab, an den stechenden Geschmack des Fackelrauches in meinen Lungen und Raymonds ausdruckslose Miene. Sollte das hier wirklich meine Bleibe für die nächsten Tage, Wochen – für den Rest meines Lebens bleiben?

Die Vorstellung erschütterte mich so tief, dass ich um Luft rang. So schleichend, wie sie verschwunden war, kehrte die Verzweiflung zurück und legte ein enges Band um mein Herz. Du bist die Auserwählte, hallten Raymonds Worte in meinen Gedanken wider, Du bist diejenige, auf die wir all die Zeit gewartet haben. Übelkeit stieg meine Kehle empor und ich unterdrückte ein Würgen. Es war zu viel. Es war alles zu viel.

„Kommt, Mylady.“ Wallace’ Stimme ließ mich hochschrecken. Als ich mich umsah, entdeckte ich ihn in der Türöffnung. Erneut bedeutete er mir mit seinen dürren Froscharmen, zu ihm zu kommen.

„Folgt mir“, verlangte er, „Vielleicht kann ich ja doch etwas tun, um Eure Lage ein wenig zu verbessern.“

*****

„Wohin führt Ihr mich?“ Nachdem wir stillschweigend unzählige Kreuzungen und Abzweigungen passiert hatten, ergriff ich endlich das Wort. Ich hatte das Gefühl, schon seit Stunden zu laufen und langsam begann ich zu glauben, dass Wallace mich nur im Kreis herumführte. Aber das konnte auch daran liegen, dass diese Tunnel alle gleich aussahen.

Ab und an glaubte ich, einen Windhauch auf meiner bloßen Haut spüren zu können. Doch es konnte nur eine Einbildung sein. Ich war meterweit unter der Erde.

Einige Schritte später riss die Decke auf und offenbarte mir den freien Blick auf tausende Sterne.

Überrascht stieß ich Luft zwischen meinen Lippen hervor. Der Himmel war von einem tiefen Nachtblau, übersät mit unzähligen, hell funkelnden Punkten. Der kühle Abendhauch strich sanft über mein Gesicht und zauberte ein Lächeln auf meine Lippen. Genussvoll sog ich die erfrischende Kälte in meine Lungen. Endlich schien mein Kopf wieder klarer und meine Knochen leichter zu werden. Glück strömte wie warmes Gold durch meine Adern und mischte sich unter mein Blut. Es war das Letzte, was ich heute noch zu sehen erwartet hatte.

„Danke“, murmelte ich atemlos in Wallace‘ Richtung. Schmunzelnd ließ der Frosch sich auf einem kleinen Baumstumpf in der Nähe nieder. Sein neugieriger Blick lastete auf mir, während ich in kleinen Kreisen über die Lichtung streifte. Ich genoss es, endlich wieder das federnde Moos unter jedem meiner Schritte zu spüren, den Duft der Kiefernnadeln zu inhalieren und die von silbrigem Mondlicht geküssten Blätter zu berühren. Es wäre so einfach, jetzt zu laufen. Ich könnte mich einfach ins Unterholz schlagen, immer geradeaus, bis ans Ende der Nacht. Früher oder später musste ich auf eine Siedlung oder eine Stadt treffen. Ich könnte mir selbst ein Bild davon machen, ob Raymond die Wahrheit gesprochen hatte.

„Ich verstehe, dass Ihr so denkt, Mylady”, ließ mich Wallace’ Stimme in diesem Moment aufschrecken, „Doch Ihr solltet wissen, dass Ihr Euch so in Gefahr begebt.”

Fassungslos sah ich ihn an. Es wunderte mich kaum, dass der Frosch nun offenbar auch imstande war, meine Gedanken zu lesen, doch ich würde mich von ihm nicht länger einschüchtern lassen. Gefahr hin oder her, das hier war meine Chance. „Wenn Ihr von Morrigan sprecht – Ich sehe nicht, welchen Grund sie hätte, mich umzubringen.”

Entschlossen wandte ich mich ab und näherte mich dem dichten Buschwerk, das die Lichtung umstand. Rote Beeren funkelten an einigen der Äste und erinnerten mich daran, dass ich seit gestern Abend nichts mehr zu mir genommen hatte. Wenn ich rannte, würde ich so schnell auch nicht mehr an etwas Essbares kommen.

„Was ist mit der Bestie, Mylady?” Wallace’ Stimme ließ mich abermals innehalten. „Braucht sie einen Grund, Euch umzubringen?”

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