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Wendepunkt um 1928: weggeben, einschränken

1926 kam der «Platzmangel[…]»272 im Ständerat einmal mehr zur Sprache, und im Nationalrat wurde 1927 vorgebracht:

«Zur Hebung der Überfüllung des Landesmuseums wäre eine Dezentralisation zweckmässig.»273

Wieder stand der Vorwurf im Raum, das Museum komme seinem Bildungsauftrag nicht nach. Die Berner Tagwacht stellte spöttisch die Frage, ob Objekte in den Keller- und Estrichräumen aufbewahrt würden, «damit die Mäuse gebildeter werden!».274 Die Stimmung war parteipolitisch aufgeheizt. Doch der Vorwurf von Ernest Chuard, einem freisinnigen Bundesrat, es handle sich um eine «sozialdemokratische Kritik»275 an die Adresse des Landesmuseums, wurde von bürgerlichen Stimmen entkräftet. Unter den Ratsmitgliedern dominierte in dieser Frage der überparteiliche Konsens, dass endlich etwas geschehen müsse.276 Heinrich Mousson, ebenfalls ein Freisinniger, der seit 1919 als Präsident der Landesmuseumskommission amtierte, verlangte von seinen Kollegen, dass sie diesen Voten nun endlich die nötige Aufmerksamkeit schenken sollten. Man müsse überlegen, wie man den Gesuchen der kantonalen Sammlungen, die Objekte aus dem Landesmuseum ausstellen wollten, entsprechen könne. Zudem, meinte Mousson, sollten die Sammelziele des Landesmuseums überdacht werden, weil sich innerhalb von 40 Jahren die Ansichten darüber geändert haben dürften.277 Nach der knapp protokollierten Diskussion zu schliessen, war Hans Lehmann gegen solche Reflexionen. Er wollte an den Praktiken der letzten zwei Jahrzehnte festhalten und wandte daher ein:

«Die Direktion muss die Möglichkeit haben, die ihrer Obhut unterstellten Sammlungen ohne Hemmnisse auszubauen.»278

Und bei Anfragen nach Depositen empfehle es sich, sie von «Fall zu Fall» zu studieren, denn die «eigenen Sammlungen dürfen dadurch keinen Schaden erleiden».279 Gleichzeitig legte er aber in einer Stellungnahme zuhanden des Bundesrats zwei Listen vor, welche die Depositen aufführten, die das Landesmuseum bisher Schlösser und Museen überlassen hatte. 1253 Stücke waren es insgesamt.280 Das entsprach ungefähr der Zahl der Objekte, die während dreier Jahre durchschnittlich in die Sammlung des Landesmuseums eingingen.281 Im Wissen um die bisherige Verschwiegenheit der Museumsdirektion erscheinen diese Listen als starkes Argument gegen den Vorwurf, das Landesmuseum sei in der Raum-Mengen-Frage untätig geblieben. Sie machen Objektbewegungen sichtbar, die bisher verborgen geblieben waren. Doch für die Museumskommission war damit nicht mehr genug getan: Sie beschloss auf Antrag von Roman Abt, sich in einer Extrasitzung selbst ein Bild von den Verhältnissen in den verschiedenen Depots zu machen.282 Im April 1928, noch bevor eine Geschäftsprüfungskommission aus den Eidgenössischen Räten zu ihrer nächsten Besichtigung schritt, stieg die Kommission des Landesmuseums hinab in die Kellerräume des Museumsgebäudes und ins Dachgeschoss hinauf, um sich umzusehen. Ebenso begab sie sich zu den drei externen Depots, die inzwischen über die Stadt verteilt betrieben wurden (vgl. Abb. 15 und 16).283 Anschliessend fasste die Kommission mehrere Beschlüsse. Einiges, was bisher schon Thema war, wurde dabei bekräftigt, aber auch ganz neue Entscheide wurden gefällt.


Abb. 15: Kacheldepot vor der Neuinstallation der Gestelle, Schweizerisches Landesmuseum Zürich, 1954, SNM Dig. 28843.


Abb. 16: Depot, Bezirksgebäude, Schweizerisches Landesmuseum Zürich, 1963, SNM Dig. 28848. Die Aufnahmen (Abb. 15 und 16) stammen aus späterer Zeit, doch ist zu vermuten, dass sich in der Aufstellung der Objekte zwischenzeitlich wenig geändert hat (vgl. Kapitel «Gegenwartsbezogene Vermittlung von historischem Wissen»).

Zu den Bekräftigungen: Die Kommission forderte die Museumsdirektion nochmals auf, Geschenke und Depositen nur entgegenzunehmen, «wenn ihr geschichtlicher, künstlerischer, kultureller oder wissenschaftlicher Wert ihre Aufnahme in das Museum rechtfertigt».284 Zudem seien «Doubletten oder Gegenstände, die nach dem Ermessen der Direktion für das Museum entbehrlich sind, als jederzeit rückrufbare Depositen an kantonale Museen und andere öffentliche Sammlungen von Altertümern mit allgemeiner Zugänglichkeit abzugeben».285 Als ob die Kommission ihren guten Willen zur Umsetzung unter Beweis stellen wollte, hiess sie nach dieser Beschlussfassung ein Kaufgesuch und drei Depositenabgaben gut. Die Kommission wollte auch den Ausbau des Museums wieder in Angriff nehmen, im Vergleich zu den bisherigen Projektierungen aber kostengünstiger und in redimensionierter Form.286

So weit das Altbekannte; nun aber zu den neuen Beschlüssen der Kommission: Man sprach sich einstimmig dafür aus, «die Sammeltätigkeit in einem gewissen Grade zu beschränken, die Sammelziele genau festzulegen und sich darüber klar zu werden, welche Sammlungen man aufgeben will und welche anderen nicht weiter ausgebaut werden sollen».287 Noch in der gleichen Sitzung machte Hans Lehmann dazu konkrete Vorschläge. Auch er musste realisiert haben, dass es nicht mehr wie bisher weitergehen konnte, und hatte sich dementsprechend vorbereitet. Nach «lebhafter Diskussion»288 wurde beschlossen, zu prüfen, ob zwecks «Entlastung der Räume und Kräfte des Landesmuseums»289 voluminöse Objektgruppen und «einzelne Sammelgebiete […], vor allem die mehr volkskundlichen», 290 wegzugeben und/oder nur noch beschränkt zu sammeln seien.291 Das Landesmuseum müsse sich um die «künstlerisch, kunstgewerblich und historisch bemerkenswerten Objekte»292 kümmern, für das andere seien die kantonalen und lokalen Sammlungen zuständig.

Was voluminös und «volkskundlich» war, musste also weg: So entschieden die Museumsbehörden, Gipsabgüsse, Waffen und Zimmereinrichtungen nicht mehr zu erwerben, sondern wegzugeben. Deshalb wurden beispielsweise die schweren, grossen Waffen der Artillerie wie Mörser, Haubitzen und Kanonen von den Handwaffen der Infanterie getrennt und weggegeben. Die Begründung dafür lautete, der Erweiterungsbau könne nicht so dimensioniert werden, dass für die Artillerie genügend Raum vorhanden sei.293 Das Selektionskriterium «Grösse» bezog sich ganz direkt auf den Ausstellungsraum. Gleichwohl war es nicht das alleinige Kriterium für die Abgabe der Artillerie, sondern stand in Verbindung mit anderen Wertungen: Das Geschützmaterial aus dem 19. Jahrhundert wurde auch aus Desinteresse ausgeschieden.294

Es waren nicht die Realität des Aktivdienstes der Soldaten in der Schweiz während des Ersten Weltkriegs und die Schrecken des Stellungs- und Grabenkriegs in den Nachbarländern, die das Geschützmaterial per se unpopulär machten, wie man vermuten könnte. Waffen waren weiterhin ein begehrtes Sammlungsgut. Für kunsthandwerklich spektakuläre mittelalterliche Schwerter und Dolche wurde viel Geld ausgegeben – 1923 wurde eine entsprechende Sammlung für 25 000 Franken angekauft.295 Der Grund für das Desinteresse war, dass die Museumsvertreter den Waffen des 19. Jahrhunderts keine künstlerische Qualität zumassen. 1929 wurde mit Zustimmung des Bundesrats die «gesamte magazinierte Artilleriesammlung» dem neu gegründeten waadtländischen Militärmuseum in Morges als Depositum überlassen.296 Den älteren Waffenbeständen wurde weiterhin grosse Aufmerksamkeit geschenkt. Sie blieben im grössten Ausstellungsraum des Landesmuseums, in der Waffenhalle, ausgestellt, und zur gleichen Zeit, 1928, wurde ein neuer «Führer durch die Waffensammlung»297 von Eduard Gessler, einem Konservator des Landesmuseums, veröffentlicht. Die an einer Sitzung der Landesmuseumskommission aufgeworfene Frage, «ob die Darstellung von über 50 Helmen […] nicht etwas reichlich ist», 298 ging unter; die Popularität der Militaria hielt an.299

Anders gelagert als bei den voluminösen Sammlungsstücken waren die Selektionskriterien bei den sogenannt volkskundlichen Objekten. Dazu gehörten die Objekte, die einmal als kulturhistorisch wichtig galten, wie Uniformen und Trachten, Objekte der Landwirtschaft, Milchwirtschaft und Alpwirtschaft, Gefässe, Masse, Tesseln, ländliches Handwerksgerät oder Masken.300 Die Museumskommission wollte die Uniformen aus dem 19. Jahrhundert abgeben oder wenigstens nicht mehr zusätzliche in die Sammlung aufnehmen, wohingegen sie befand, dass die «städtischen Kostüme und Volkstrachten» nicht unbedingt weggegeben, aber auch nicht weiter vermehrt werden sollten.301 Bereits ein Jahr nach den Beschlussfassungen der Museumsbehörden, 1929, wurde eine «grössere Kollektion volkskundlicher Gegenstände»302 als Depositum an die Sammlung für Völkerkunde der Universität Zürich abgegeben.303 Erst mit dieser Abgabe wurde die geringe Stellung dieser Objekte in der musealen Wertehierarchie offenbar. Eigentlich war, seit Hans Lehmann als Direktor amtierte, in sie weder finanziell noch ausstellungstechnisch gross investiert worden; auch waren sie jeweils ohne Bedenken temporär ausgeliehen worden.304 Ganz verschwanden die volkskundlichen Gegenstände mit der grossen Weggabeaktion aber nicht: Die Museumsdirektion betonte, dass man sich erlaube, «diejenigen Bestände zu behalten, welche mit Bezug auf die Handwerke und die Volkskunst von Interesse für die eigenen Sammlungen sind».305 Konkret ging es etwa um die Dokumentation des städtischen, zünftischen Handwerks.306

Der propagierte Umgang mit den sogenannten volkskundlichen Objekten prägte die Erwerbungspolitik des Schweizerischen Landesmuseums nachhaltig bis 1960. Die Sammlungsschwerpunkte lagen auf den als kunsthistorisch und kunstgewerblich wertvoll beurteilten Objekten, insbesondere städtischer Herkunft.307 Nur ganz kurzfristig wirkte sich die Diskussion um 1928 auch auf die Anzahl der Objekteingänge und -ausgänge aus: In einem Protokoll der Landesmuseumskommission ist zu lesen, dass 1928 keine Geschenke angenommen und Legate abgelehnt wurden.308 Und im Jahresbericht von 1928 wurde, anders als früher, ausdrücklich darauf hingewiesen, welche Objekte als Depositen oder Verkäufe das Museum verlassen hatten.309 Vom Moment an, als klar war, dass die Kunstgewerbeschule in absehbarer Zeit ihren Neubau in der Stadt Zürich erhalten würde und das Landesmuseum die frei werdenden Räume würde übernehmen können, weigerten sich die Museumsbehörden aber, Dinge aus den Depots herauszugeben.310 Sie wollten zuerst die neuen Räumlichkeiten beziehen und erst dann wieder über Objektweggaben nachdenken, lautete ihr Argument.311 Wie erwähnt zogen die Museumsverwaltung und die prähistorische Sammlung dann 1934 in den frei gewordenen Gebäudeflügel um.312

Blick auf spätere Mengenverhältnisse

Die ersten beiden Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts waren für das Landesmuseum eine Zeit der Besitzstandswahrung – mit der Besonderheit, dass vor allem die Museumsdirektion glaubte, den Besitz ständig vergrössern zu müssen, wenn er bewahrt werden sollte. Jeder Objekterwerb wurde als Beitrag und materielles Argument zur institutionellen Festigung des Landesmuseums angesehen.

Wenn ich nun zum Schluss die Ergebnisse zur Thematik des Anhäufens zusammenfasse, will ich dies mithilfe einiger Ausblicke auf die Mengenverhältnisse und die Sammlungspraktiken der folgenden Jahrzehnte tun. Diese Ausblicke sollen zwar nicht in der gleichen empirisch dichten Weise wie die Untersuchungen zu den 1910er- und 1920er-Jahren erfolgen, ermöglichen aber, diese Zeitspanne akzentuierter zu rekapitulieren.

Quantität als dauerhafter Wert

Die Sammlungsbestände des im 19. Jahrhundert neu gegründeten Schweizerischen Landesmuseums wurden durch ihr stetiges Wachstum Anfang des 20. Jahrhunderts zum drängenden Problem. Sie passten nicht mehr in die vorhandenen Ausstellungsräume. So wurde begonnen, die Sammlungsstücke provisorisch in den Dach- und Kellerräumen des Museums einzulagern und einen Erweiterungsbau zu planen. Obwohl seine Realisation in weiter Ferne lag, wurden weiter Objekte erworben, und es mussten zusätzliche Depoträume ausserhalb des Museums angelegt werden.

Der notorische Platzmangel im Landesmuseum und die unausgestellten Sammlungsstücke hatten zur Folge, dass die Praxis und die Ziele des Sammelns des Schweizerischen Landesmuseums während der 1910er- und 1920er-Jahre überdacht, diskutiert und teilweise geändert wurden. Zu einer veränderten Haltung in der Sammlungspraxis führten die wenn auch raren personellen Wechsel in den Museumsbehörden. Der allmähliche Rückzug von Heinrich Angst aus den Museumsgeschäften hatte den Verkauf von Objekten aus der Sammlung gefördert; aus dem Erlös konnten neue Stücke erworben und damit die Zusammensetzung der Sammlung in die gewünschte Richtung gelenkt werden, trotz den vorhandenen räumlichen und finanziellen Beschränkungen. Als die Museumskommission sich nicht mehr nur aus Männern der Gründergeneration zusammensetzte, konnte 1928 eine Neuausrichtung der Sammlungspraxis beschlossen werden.

Als längerfristige Orientierungsgrösse erwies sich das Urteil über die sogenannten volkskundlichen Objekte. Als während der 1930er-Jahre das «vermehrte Interesse weiter Kreise an der Volkskunde der Schweiz»313 Anlass zur erneuten Diskussion über den Status volkskundlicher Sammlungsobjekte in der Sammlung des Schweizerischen Landesmuseums gab, bezogen sich die Museumsbehörden explizit auf den Beschluss von 1928. Fritz Gysin, der Nachfolger von Hans Lehmann, und die Mitglieder der Museumskommission hielten an der Auffassung fest, dass das Arbeitsfeld des Landesmuseums auf dem Gebiet der Geschichte und des Kunstgewerbes liege und kein Anlass bestehe, eine volkskundliche Abteilung zu gründen.314 1944 wurden volkskundliche Objekte, die inzwischen bereits wieder Eingang in die Sammlung gefunden hatten, an das Schweizerische Museum für Volkskunde in Basel als Dauerleihgabe übergeben.315 Erst in den 1960er-Jahren sollte sich die Haltung gegenüber dieser Objektgruppe wieder ändern.316

1928 war kein «harter Schnitt» in der Sammlungspraxis des Landesmuseums. Es gab vielmehr Verhaltensund Argumentationsmuster, die auch in Zukunft beibehalten wurden. Was es aber nie mehr gab, war eine so grosse Angst vor einer Schmälerung des Sammlungsbesitzes wie in den 1910er- und 1920er-Jahren, auch wenn später erneut temporäre und dauerhafte Objektabgaben gefordert wurden.317 Die Museumsbehörden hielten aber während des 20. Jahrhunderts an der Vorstellung fest, dass die museale Sammlung ein Aufbewahrungsort für Objekte sei, die einer Vergangenheit mit fixiertem Schlusspunkt angehörten, auch wenn die Vergangenheit inzwischen als unabgeschlossener Zeitraum gedacht wurde. Fritz Gysin und die Konservatoren waren zwar der Ansicht, dass ein zeitlicher Schlusspunkt auf die Dauer nicht zu halten und die gesetzte Grenze eine willkürliche sei. Aus «rein praktische[n] Überlegungen»318 hielten sie jedoch bis auf Weiteres daran fest:

«Genügt schon der heute vorhandene Ausstellungsraum für die früheren Jahrhunderte bei weitem nicht, so ist er für die neueste Zeit ganz einfach nicht vorhanden.»319

Es war der beschränkte Raum, der nach einer zeitlichen Beschränkung verlangte. Diese Argumentationslogik, in welcher der Ausstellungsraum die Grenzen der Sammlung markiert, verdeutlicht, wie beharrlich sich die Idee hielt, dass das Erwerben und Ausstellen von Objekten untrennbar zueinander gehörten. So beantwortete Fritz Gysin die Frage, ob das Landesmuseum damit fortfahren solle, seine Sammlungen ständig zu vergrössern und sie am Ort seines Sitzes, in Zürich, zu vereinigen, in altbekannter Weise: Zuerst müssten die bauliche Erweiterung des Landesmuseums durchgeführt und dann die entsprechenden Objekte für die Schau- und Studiensammlung ausgewählt werden. Anschliessend könne vom verbleibenden Restbestand allenfalls Entbehrliches weggegeben werden. «Erst dann, weil früher ein wirklicher Überblick nicht möglich ist.»320

Obwohl die Museumsbehörden zwischenzeitlich versuchten, die Anhäufung der Dinge zu steuern und den Forderungen der Politik nachzukommen, blieb während des 20. Jahrhunderts doch das stetige Grösserwerden der Menge grundsätzlich ein erwünschtes Ziel. Dass ihr ganzer Stolz dem Wachstum der Sammlung galt, wird in den Jahresberichten des Schweizerischen Landesmuseums deutlich: Jeder Bericht enthält seitenlange, detaillierte Aufzählungen oder Auflistungen der neu eingegangenen Objekte. Die Weggabe von Sammlungsstücken wurde dagegen kaum erwähnt. Dass gewisse Objekte die Sammlung des Landesmuseums definitiv verliessen, ist nur indirekt aus den Jahresrechnungen ersichtlich, wo der durch den Verkauf von Sammlungsstücken erwirtschaftete monetäre Gewinn aufgeführt ist.321

Ende der 1940er-Jahre gingen die Objektverkäufe zurück, und der Tausch von Sammlungsstücken, der vorher nur eine marginale Rolle gespielt hatte, gewann an Bedeutung.322 Die Argumente für die Tauschpraxis glichen jedoch den Begründungen für den Verkauf von Sammlungsstücken. Noch 2004 hiess es: In einer «angespannten Finanzlage» sei der Tausch zur gezielten Erweiterung der Sammlungsbestände «eine sinnvolle Massnahme».323 Auch Verkäufe blieben eine Option.324 Der Grundsatz hielt sich, dass das Landesmuseum «mehr Eingangsort als Ausgangsort»325 für Sammlungsstücke sei, wie es ein Kurator 2009 formulierte. Die grosse Menge an Sammlungsstücken wurde weiterhin als zentrales Merkmal einer guten Museumssammlung angesehen. Das zeigt sich nicht zuletzt an den Web-Präsentationen der Museen, die mit ihrer grossen Anzahl Sammlungsobjekte werben.326

Aufwertung und Expansion der Depoträume

Dass eine staatliche Sammlung nicht sämtliche Sammlungsstücke ausstellen konnte, war sowohl für die Museumsbehörden als auch für die politischen Behörden lange inakzeptabel. Die Anstrengungen der 1910er- und 1920er-Jahre galten dem Ziel, die magazinierten Objekte zur Ausstellung zu bringen, sei es in einem Erweiterungsbau oder in verschiedenen anderen Museen über die Schweiz verteilt. Dabei kam es zu einer wesentlichen Veränderung ab den 1930er-Jahren: Der Status der Museumsdepots wurde aufgewertet.

Noch verhalten und ohne sofortige Wirkung war bereits 1928 vorgebracht worden, dass die Sammelbestände grundsätzlich Interessierten zum Studium zugänglich gemacht werden sollten, dafür aber nicht in ihrer «Gesamtheit»327 ausgestellt zu werden brauchten.328 Es war also denkbar, die Sammlungsstücke auch unausgestellt in Zürich aufzuwahren. Die Vorstellung darüber, welchen Umgang mit den Dingen das Museum ermöglichen sollte, begann sich zu verändern. Dass die Sammlung der Bildung der «breiten Schichten der Bevölkerung»329 dienen müsse, war nicht mehr derart prioritär. So wurde die Auffassung vertreten:

«Das Museum soll nicht nur eine Schaustellung von Altertümern sein, sondern in erster Linie ein wissenschaftliches Institut.»330

Diese Überlegung ging in die Richtung des Konzepts, das Alfred Lichtwark 1904 in Mannheim vorgeschlagen hatte, nämlich die Zweiteilung der Sammlung in einen Schau- und einen Studienbereich.331

In eine Studien- und eine Schausammlung aufgeteilt wurden 1936 die prähistorischen Bestände. Jahrzehnte später, um 1956, folgten weitere Umgestaltungen: Zwei neue externe Depots wurden dazugemietet, einige der magazinierten Bestände wurden in Studiensammlungen umgestaltet, und in manchen Ausstellungsräumen wurde die Objektzahl der präsentierten Sammlungsstücke in viel radikalerer Weise als Anfang der 1920er-Jahre verkleinert.332 Also waren die Kapazitätsgrenzen der Museumsmagazine am Schweizerischen Landesmuseum nicht erst ab den 1960er-/1970er-Jahren erreicht worden, wie Rebecca Sanders schreibt. Während des 20. Jahrhunderts stiess man mit der Sammlung immer wieder an räumliche Grenzen.333

Zahlreiche historische Museen in der Schweiz, in Deutschland und in Österreich wollten während des 20. Jahrhunderts immer weniger Dinge ausstellen und dafür im Bereich der Depots stetig expandieren.334 Gemäss der Studie von Paolo Fumagalli, der die Raumaufteilung von Museen ermittelte, nahmen die Ausstellungsräume im 19. Jahrhundert neunmal mehr Platz ein als alle übrigen Räume (Depot, Werkstatt, Vortrags- und Lesesäle, Verwaltungsräume). Ende der 1990er-Jahre nahmen sie noch halb so viel Platz ein wie alle übrigen Räume. Dabei wurden letztere nun auch für vielfältige neue publikumsbezogene Serviceleistungen benutzt.335 Aber der Wunsch nach grösseren Ausstellungsflächen verschwand damit keineswegs. Viele Museen schufen Erweiterungs- und Neubauten für ihre wachsenden Sammlungen.336 Für das Schweizerische Landesmuseum wurden während des 20. und 21. Jahrhunderts immer wieder neue Varianten von Erweiterungsbauten geplant, ohne dass es zu einer Realisierung kam.337 Dagegen kümmerte man sich um eine gute Infrastruktur zur Aufbewahrung der unausgestellten Dinge: Die verstreuten Depots, zuletzt sieben an der Zahl, wurden zugunsten eines zentralen Depots in Affoltern am Albis aufgehoben. Ein ehemaliges Zeughaus wurde dafür umgebaut und 2007 unter dem Namen «Sammlungszentrum» eröffnet.338 Zu Beginn des neuen Jahrtausends verfügte das Landesmuseum über ein hochprofessionelles externes Objektdepot im «Sammlungszentrum» in Affoltern am Albis. Folglich waren im Bereich der Depots mehr Neuerungen möglich als in den Ausstellungsräumen des ikonenhaften Museumsbaus.

Das Sammlungszentrum kann als vorläufiger Höhepunkt der Entwicklungen verstanden werden, die sich nach 1900 bei den Mengenverhältnissen im Sammlungsbestand des Landesmuseums abzuzeichnen begannen und sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts massiv verstärkten: Wenige ausgestellte Dinge standen vielen weggestellten Sammlungsstücken gegenüber. Tausende, später Hunderttausende von Sammlungsobjekten blieben für die Museumsbesuchenden unsichtbar. Für einen Teil der Museumsangestellten hingegen waren sie als materielle Tatsachen stets präsent.

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