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Alles sichtbar machen für alle? – Bildungspolitische Argumente

Die dritte prägende Auffassung über das Wesen des Museums, welche die Raum-Menge-Problematik verschärft hatte, war eine bildungspolitische, die die sozialdemokratisch Politisierenden mit den Bürgerlichen teilten. Es bestätigt sich auch hier, was Hans Ulrich Jost allgemein für die Rolle der Sozialdemokraten in der Schweiz in der Kulturpolitik der 1920er-Jahre konstatiert hat: Sie übernahmen das kulturelle Erbe des Bürgertums des 19. Jahrhunderts unkritisch und verlangten einzig dessen «Popularisierung».131 Ihre Stimmen lassen sich dem Vorhaben zuordnen, das für die mit der Moderne entstandenen Museen formuliert wurde, nämlich: die Museumsbesucher anhand der Präsentation von Gegenständen zu bilden und zu erziehen. Der Soziologe Tony Bennett spricht von den Museen als «institutions of the visible».132 Mit ihren spezifischen Arten, Dinge darzubieten und visuelle Umfelder zu schaffen, schulten die Museen besondere Praktiken des Sehens.133

Exemplarisch für eine solche bildungspolitische Forderung ist jene von Nationalrat Ernst Reinhard (dem damaligen Präsidenten der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz): Die Altertümer des Landesmuseums wie auch die staatliche Sammlung zeitgenössischer Kunst müssten einer breiten Öffentlichkeit zugänglich sein. Sie dürften nicht nur in den Räumen des Parlaments ausgestellt sein und schon gar nicht in Kellerräumen magaziniert werden. Stattdessen sollten sie in Spitälern und Schulen gezeigt werden, forderte Reinhard 1927.134 Als Argument wurde vorgebracht, dass die Besucher nur gebildet würden, wenn die Museen eine gewisse Ausdehnung nicht überschritten: «Ein Übermass an Gegenständen schade dem Studium nur»135 und ermüde das Publikum. Eine Dezentralisation der grossen Bestände des Landesmuseums sei daher sinnvoll.136

Die damaligen Mitglieder der Landesmuseumskommission argumentierten ähnlich: Heinrich Mousson, 137 ab 1917 in der Kommission und ab 1919 ihr Präsident, Anwalt, freisinniger Regierungsrat von Zürich und engagiert in Bildungsfragen, vertrat beispielsweise die Meinung, «dass das Landesmuseum zuviel Gegenstände enthalte und es vorzuziehen wäre, mehr lokale Sammlungen zu schaffen, welche den Bedürfnissen des grossen Publikums besser entsprechen».138 Der Museumsdirektor Hans Lehmann aber war der Ansicht, dass das Problem nicht im Umfang der Sammlung liege, sondern beim ungebildeten Publikum: Er hielt es «nicht für richtig, wenn man sagt, die Museen dürfen einen gewissen Umfang nicht überschreiten, […] unser Volk muss vielmehr dafür erzogen werden, die Museen richtig zu benutzen.»139 Schliesslich wird in den 1910er- und 1920er-Jahren am Bildungsideal und dem damit verbundenen «Bild vergangener Zeiten»140 festgehalten.141

Dass die Bildungsabsicht so sehr über die Ausstellungspräsentation eines Museums erfüllt werden sollte, ist eine Besonderheit der kulturhistorischen Museen (und der ihnen nahestehenden kunsthistorischen Museen). Die naturhistorischen Museen hatten sich vom Ideal einer an den Ausstellungsraum gekoppelten, überblickbaren Wissensordnung, die ein homogenes Publikum belehren sollte, frühzeitig verabschiedet. Die kunsthistorischen Museen müssten dem folgen, meinte Alfred Lichtwark, Direktor der Hamburger Kunsthalle, an der Konferenz in Mannheim: Sie sollten sich von der Idee einer Gesamtpräsentation aller Sammlungsobjekte verabschieden und stattdessen ihre Bestände in Schau- und Studiensammlungen unterteilen, wie es manche naturhistorischen Museen bereits taten.142 Ihm schwebte die Aufteilung in «kleine, sehr gewählte, sehr lehrreiche Schausammlungen fürs grosse Publikum» und in «bequeme, weiträumige Magazine und Arbeitsräume für die Forscher»143 vor.

Eine solche Zweiteilung der Sammlung wurde auch für das Schweizerische Landesmuseum vorgeschlagen. Alfred François Cartier, Mitglied der Landesmuseumskommission und selbst Direktor des Musée d’Art et Histoire in Genf, 144 plädierte 1919 für eine Unterteilung in ein «Musée pittoresque» für die «breiten Schichten der Bevölkerung» und in «systematisch geordnete Sammlungen für die wissenschaftliche Forschung».145 Aber erst in den 1930er-Jahren wurde eine Teilung der Bestände des Landesmuseums umgesetzt und auch dann nur für bestimmte Sammlungsbereiche. In den Ausstellungsräumen des Schweizerischen Landesmuseums war in der Zwischenkriegszeit überhaupt nichts von einer Veränderung zu spüren und schon gar nicht von den experimentellen Ausstellungsweisen, die an anderen Museen ausprobiert wurden.146

Dass so lange alles beim Alten blieb, hatte vermutlich auch damit zu tun, dass die Hoffnung auf eine Expansion der Ausstellungsfläche immer wieder genährt wurde und es insofern legitim blieb, am herkömmlichen Ideal der Sichtbarkeit festzuhalten. Ab Ende der 1910er-Jahre begann sich nämlich abzuzeichnen, dass der an das Landesmuseum angrenzende Gebäudetrakt frei werden würde: Die Kunstgewerbeschule sollte einen Neubau erhalten, und die Stadt beabsichtigte, die frei werdenden Räume dem Landesmuseum zu überlassen.147 – Für den Bund war dies eine gute Lösung, wollte er doch weiterhin die baulichen Investitionen vom Museumsstandort Zürich finanziert haben. – 1934 war es dann so weit. Die Museumsverwaltung und die prähistorische Sammlung zogen in den frei gewordenen Gebäudeflügel um. Letztere wurde dabei als erste Sammlung des Landesmuseums «in eine Schau- und eine Studiensammlung»148 aufgeteilt.

Die Deutungshoheit der Museumsbehörden

Wer aber trug die Verantwortung dafür, dass sich die Vorstellungsbilder aus der Gründungszeit des Museums bis Ende der 1920er-Jahre so hartnäckig hielten? Die Parlamentarier machten zwar die Museumsbehörden dafür verantwortlich, dass sich die Situation im Museum nicht zum Besseren wendete und das Platzproblem blieb. Das Verhalten der Museumsvertreter stellten sie aber nicht grundsätzlich in Frage und beschnitten sie weder in ihrer Entscheidungsmacht, noch entzogen sie ihnen die Deutungshoheit über die Sammlung. Dafür waren vermutlich zwei Gründe verantwortlich: Erstens waren die Politiker verhältnismässig wenig interessiert an der Museumsfrage und liessen die Museumsbehörden dementsprechend gewähren. Zweitens stellten sie deren fachliche Kompetenzen nicht in Frage und überliessen es ihnen, die endgültigen Entscheidungen zu treffen.

Das Desinteresse am Museum ist an der Geldverteilung ersichtlich. Wegen der Kriegslage, in der sich Europa während der 1910er-Jahre befand, war generell weniger Geld vorhanden. Die verfügbaren Bundesmittel flossen in andere Projekte als das staatliche Museum: in die Erweiterungsbauten der Eidgenössischen technischen Hochschule und in den Bau einer Landesbibliothek, der heutigen Schweizerischen Nationalbibliothek.149 Der Institutionsetat des Landesmuseums aber war verkleinert worden.150 Hatte in den Anfangsjahren das Parlament nebst dem fixierten Altertümerkredit regelmässig mehrere zehntausend Franken für zusätzliche Ankäufe gesprochen, so war dies nach Beginn des Ersten Weltkriegs nur noch selten der Fall.151 Am Rande bemerkt fällt auf, dass der Erste Weltkrieg in den Debatten über das Landesmuseum und in seinem Sammlungsalltag vollkommen inexistent war. Mit dem Zweiten Weltkrieg verhielt es sich dann ganz anders.

Die Museumsbehörden waren ihrerseits nicht bereit, über die Ziele des Museums und seine Sammlungsinhalte zu diskutieren, obwohl sie intern die Ansicht äusserten, dass es diesbezüglich Erklärungsbedarf gab.152 Insbesondere Hans Lehmann sah es als ein Problem, dass im gesetzgebenden Bundesbeschluss von 1890 kein eigentliches Sammlungsprogramm formuliert worden war. Darin stand ja nur, dass das Schweizerische Landesmuseum dazu bestimmt sei, «bedeutsame vaterländische Altertümer geschichtlicher und kunstgewerblicher Natur aufzunehmen und planmässig geordnet aufzubewahren».153 Der Begriff«bedeutsam» war nach Hans Lehmann «sehr dehnbar».154 Die Museumsbehörden sahen sich als alleinig kompetent, diesen Begriff mit Inhalt zu füllen. Das verdeutlicht folgendes Beispiel: Der freisinnige Zürcher Ständerat Oskar Wettstein forderte im Rahmen der Debatten über das Landesmuseum 1915, dass wasserwirtschaftliche Modelle, die an der Landesausstellung von 1914 in Bern gezeigt worden waren, «als Erzeugnisse unserer Kultur»155 in die Sammlung des Landesmuseums aufgenommen werden sollten.156 Die Kommission des Landesmuseums sprach sich dagegen aus, exemplarische Zeugen der Industrialisierung und Technisierung zu sammeln.

In ihrer offiziellen Begründung erläuterte die Kommission nicht, weshalb ein wasserwirtschaftliches Modell ihrer Meinung nach nicht dem gesetzlichen Sammlungsauftrag des Museums entsprach. Stattdessen griff sie den seitens der Politik vorgebrachten Vorwurf der zu grossen Sammlungsmenge als Gegenargument auf, um die unterschiedlichen Vorstellungen über die Inhalte der Sammlung auszuräumen. Das Mengenargument musste herhalten, um die inhaltlichen Diskussionen abzuwürgen:

«Nach Ansicht der Mehrheit der Kommission gehören nur solche technischen Modelle in das Landesmuseum, diezu [sic!] dessen Sammlungsgegenständen einen Bezug haben. Die Darstellung der Entwicklung von Gebieten der Technik als solcher anzustreben, würde sehr weit führen und kaum in den gesetzlichen Rahmen der Sammlungstätigkeit des Landesmuseums passen. Es würde auch nicht gerade deren Einschränkung fördern, die andererseits verlangt wird.»157

Die Meinungen in der Museumskommission waren in dieser Sache gleichwohl nicht derart eindeutig, wie es gegen aussen scheinen mochte. Das geht aus der internen Besprechung hervor. Als der Schweizerische Wasserwirtschaftsverband für 500 Franken drei Modelle von Wasserrädern offerierte, die in Bern gezeigt worden waren, sprachen sich zwei der fünf anwesenden Kommissionsmitglieder für die Erwerbung aus.158

Josef Zemp (vgl. Abb. 13), der seit der Gründung des Landesmuseums für dieses tätig war, 159 meinte, die Modelle böten durchaus ein «Bild von der Entwicklung der Kultur unseres Landes», wogegen der Kommissionspräsident Eduard Vischer-Sarasin einwandte, sie stünden «nicht in direkter Beziehung» zur Sammeltätigkeit des Landesmuseums.160

Dass sich 1915 die Meinungsverschiedenheiten gerade an Objekten aus der Landesausstellung entzündet hatten, ist bezeichnend. Die vorangehenden Landesausstellungen von 1883 und 1896 waren noch eng mit der Sammlung des Landesmuseums verbunden gewesen: In der Abteilung «Alte Kunst» waren zahlreiche Objekte gezeigt worden, die der Sammlung des Landesmuseums angehörten oder nach der Landesausstellung in sie aufgenommen wurden.161 1914 aber hatten die massgeblichen Museen, darunter auch das Landesmuseum, zum ersten Mal eine Mitarbeit an der Landesausstellung abgelehnt.162 Als Grund wurden Sicherheitsbedenken genannt: Die Museen wollten ihre Objekte nicht mehr in einer «provisorischen, leicht entzündbaren Bude»163 präsentieren, sondern in «stattlichen, feuersichern Gebäuden».164 Es rückten andere Objektgruppen als die alte Kunst in den Interessensfokus und wurden als Zeugnisse der Kulturleistung des Landes angesehen, wie Ständerat Oskar Wettsteins Votum zeigt. Dazu zählte die «Wasserwirtschaft», die zum ersten Mal als eigenständige Thematik an einer schweizerischen Ausstellung präsentiert wurde – ein gemeinsamer Auftritt von Wasserkraftindustrie, Schifffahrt, Meteorologischer Zentralanstalt und Schweizerischer Landeshydrographie.165

Fast hätte sich 1915 am wasserwirtschaftlichen Modell eine Debatte über die inhaltliche Ausrichtung der staatlichen Sammlung entzündet, aber nur fast. Schliesslich überwogen die Stimmen, die für eine Fortsetzung der bisherigen Sammlungspolitik plädierten und damit für eine Sammlung von Objekten, die fern der industriellen Produktion standen.166 Erklären lässt sich dies mit der starken personellen Kontinuität innerhalb der Museumsbehörden und einem ebenso beständigen Wertekanon, den die Politik letztlich nicht in Frage stellte. Vertreter der Museumsbehörden aus der Gründungszeit des Landesmuseums blieben über mehrere Jahrzehnte für dieses tätig. Sie bildeten eine einflussreiche Gruppe von Männern, die miteinander Bildungsweg und Bildungsgut teilten, berufliche, freundschaftliche und/oder verwandtschaftliche Beziehungen pflegten, in verschiedenen Gremien für den Kulturgüterschutz in der Schweiz engagiert waren (z.B. Denkmalpflege, Denkmal-Inventarisation, Gottfried-Keller-Stiftung) und in enger Verbindung zur kunstgeschichtlichen akademischen Lehre standen. Augenfällig wird die Kontinuität besonders bei der Museumsdirektion, die zwar in der Kommission des Landesmuseums kein Stimmrecht hatte, welcher aber in der Vorberatung der Geschäfte eine absolut zentrale Bedeutung zukam.

Hans Lehmann, der zweite Direktor des Landesmuseums, war 1896 als wissenschaftlicher Assistent des ersten Direktors, Heinrich Angst, angestellt worden. Zuvor hatte er, nach dem Studium der Kunstgeschichte und der Germanistik in Basel und Leipzig, als Bezirksschullehrer im Aargau unterrichtet. Seine Assistenz wurde 1903 in die Stelle eines Vizedirektors umgewandelt, und als Angst ein Jahr später zurücktrat, übertrug der Bundesrat Lehmann die Gesamtleitung des Museums.167

Der «Kontinuitätsfaden» lässt sich indessen noch weiterspinnen: Heinrich Angst trat nach seinem Rücktritt als Direktor nicht einfach in den Ruhestand, sondern wurde Mitglied der Landesmuseumskommission und bestimmte so die Geschäfte weiterhin mit.168 Auch pflegte er geschäftliche Beziehungen mit dem Landesmuseum: Wenn er «grössere Barmittel»169 brauchte, verkaufte er ihm Objekte aus seiner Privatsammlung, die teilweise bereits als Depositen im Landesmuseum ausgestellt waren. Er hatte vor seiner Direktorenzeit eine Privatsammlung anzulegen begonnen, als er noch als Kaufmann für ein Textilhaus gearbeitet hatte.170 Aus heutiger Perspektive erscheinen diese Verkäufe als eine höchst problematische Vermischung privater und öffentlicher Interessen. Damals aber bewunderte man Angsts kaufmännisches Geschick im Handeln mit Altertümern und seine Kenntnisse des Kunstmarkts. Ihretwegen war er denn auch zum Direktor ernannt worden. Das Tempo, mit dem er seine eigene Sammlung vergrösserte, wie auch sein Engagement für ein Nationalmuseum hatten zahlreiche Parlamentarier beeindruckt.171 Nur als Angst nach seinem Rücktritt als Direktor die Zahlungsmodalitäten diktieren wollte, kam es innerhalb der Museumskommission zu Unstimmigkeiten. Angst verkündete daraufhin verärgert, er werde künftig keine Kaufgeschäfte mehr vermitteln zwischen dem Landesmuseum und seinen früheren Geschäftspartnern. Zudem begann er als Kaufkonkurrent des Landesmuseums aufzutreten. Für seinen Nachfolger Lehmann bedeutete der Verlust der Kontakte Schwierigkeiten beim Erwerb von Sammlungsstücken. Doch die Geschäftsbeziehungen mit Angst wurden weiterhin gepflegt. Man kaufte von ihm Objekte bis zu seinem Tod im Jahr 1922.172

Die geschilderten Beziehungsnetze trugen dazu bei, dass die Museumsbehörden nicht für rasche Veränderungen sorgten. Noch 1924, beim vierten Vorstoss zur Raum-Menge-Problematik aus den eidgenössischen Räten, liessen die Museumsbehörden nach einigen Stellungnahmen und internen Besprechungen verlauten:


Abb. 13: Hans Lehmann und Josef Zemp (rechts), Schweizerisches Landesmuseum Zürich, ohne Jahr, SNM Dig. 28921.

«Man fand jedoch die Sache nicht wichtig genug, um sie im Schosse der Landesmuseums-Kommission neuerdings zu behandeln.»173

Das Parlament verlangte indessen auch keine vermehrte Mitbestimmung.174 Es gelang den Museumsbehörden dank ihrem Renommee, das in den 1890er-Jahren zentralistisch aufgebaute staatliche Museum gegen die vielfältigen Bedenken Anfang des 20. Jahrhunderts zu verteidigen.

Kein Einfluss auf den Geschenkfluss

Ein Bereich aber lag bis zu einem gewissen Grad ausserhalb der Deutungshoheit der Museumsbehörden: die Objekte, die durch Schenkungen oder sogenannte «En-bloc-Ankäufe»175 in das Landesmuseum kamen. Mit En-bloc-Ankäufen wurden Sammlungen oder Objektgruppen bezeichnet, die als Einheit zum Kauf angeboten wurden. Dabei musste der angebotene Gesamtbestand erworben werden, auch wenn sich ein Interessent nur für ein Stück begeistern konnte.176 Die Museumsbehörden waren bereit zu solchen Geschäften, weil sie den üblichen Handelspraktiken entsprachen.

Anders gelagert war der Fall der geschenkweise angebotenen Objekte. Noch bevor die Debatte über das Raum-Menge-Verhältnis 1915 im Nationalrat zum zweiten Mal lanciert wurde, äusserte der Präsident der Landesmuseumskommission, Eduard Vischer-Sarasin, in einer Kommissionssitzung, «dass es sich empfehlen dürfte, wenn die Direktion in Zukunft bei der Annahme von Geschenken für das Landesmuseum etwas strenger vorgehen und alles das refüsieren würde, was für dessen Sammlung kein Interesse besitzt».177 Und Roman Abt, ein in Kunstkommissionen und -vereinen engagierter Bahningenieur aus Luzern, ab 1911 Mitglied der Landesmuseumskommission, 178 glaubte allein mit der Steuerung der Schenkungen erreichen zu können, dass im künftigen Erweiterungsbau «auch für nachfolgende Erwerbungen Raum bliebe».179

Die Geschenke wurden als Ursache für den Platzmangel angesehen, und Hans Lehmann wurde vorgeworfen, dafür mitverantwortlich zu sein. Gesetzlich war festgelegt worden, dass die Sammlung des Landesmuseums durch Ankäufe, Geschenke und Depositen geäufnet werden konnte.180 Die Museumskommission war es, welche über die Kauf- und Tauschofferten verfügte. Sie war zuständig für Objektankäufe bis zu einem Wert von 10 000 Franken; Ankäufe über 10 000 Franken mussten vom EDI genehmigt werden. Die Möglichkeiten des Direktors waren beschränkter: Ihm stand bloss ein jährlicher Ankaufskredit von 3000 Franken zur Verfügung.181 Geschenke anzunehmen oder abzulehnen lag nun aber allein im Ermessen der Direktion. Dass andere Museumsmitarbeiter mitentscheiden konnten, ist nicht anzunehmen, hatte Lehmann doch kaum je einmal Geschäfte delegiert.182 Doch sich um die Geschenke zu kümmern, bedeutete für den Direktor keine sehr grosse Handlungsfreiheit, denn bei der Annahme von Schenkungen galten andere Prinzipien als bei den Ankäufen. Schenkungen waren ein heikler Gabentausch, der verlangte, dass die Reputationsbedürfnisse und die emotionale Verfasstheit des Gegenübers berücksichtigt wurden. Bei der Entgegennahme von Geschenken müsse mit Vorsicht verfahren werden, «um nicht die Sympathien, die sich damit für das Museum bekunden, zu schmälern».183 Lehmann wollte Kränkungen unbedingt vermeiden, denn seiner Ansicht nach konnten durch Schenkungen wertvolle Dinge gesammelt werden, die sich käuflich nicht erwerben liessen, weil sie preislich für das Museum unerschwinglich waren oder gar nicht auf dem Kunstmarkt zirkulierten.184

Lehmann, so hat man den Eindruck, war bereit, auf gewisse Selektionen zu verzichten, um an wertvolle Objekte zu gelangen, und verteidigte daher seine Annahme von Geschenken bis zu einem gewissen Grad: Nach ihm waren die Donationen nicht nur quantitativ bedeutend für die Sammlung, sondern auch qualitativ wertvoll. Er rechnete vor, dass der Inventarwert der Geschenke im Eröffnungsjahr 1898 nicht halb so viel betragen habe wie derjenige der Ankäufe, 1923 aber fast gleich hoch gewesen sei.185 Werde bei den Ankäufen stets genau Rechenschaft abgelegt wegen der «räumlichen Verhältnisse», 186 so sei dies nicht im selben Mass möglich, wenn es sich um Geschenke und Legate handle, die dem Museum «stetsfort in reichem Masse zuflossen», 187 wenn man die Sympathien nicht verspielen wolle. Die Kommissionsmitglieder waren sich der besonderen Verhältnisse zwar bewusst, erwarteten vom Direktor aber trotzdem, dass er unerwünschte Stücke zurückweise und gleichzeitig «die Gebefreudigkeit des Publikums»188 nicht aufs Spiel setzte.189

Der besondere «Mechanismus der Schenkungen und Stiftungen»190 findet sich in museumskritischen Schriften beschrieben. Beispielhaft ist dafür Paul Valérys Essay über Das Problem der Museen von 1923. Valéry schrieb:

«Le mécanisme des dons et des legs, la continuité de la production et des achats, – et cette autre cause d’accroissement qui tient aux variations de la mode et du goût, à leurs retours vers des ouvrages que l’on avait dédaignés, concourent sans relâche à l’accumulation d’un capital excessif et donc inutilisable. […] Mais le pouvoir de se servir de ces ressources toujours plus grandes est bien loin de croître avec elles. Nos trésors nous accablent et nous étourdissent.»191

Die Urteile über die Objektmenge in den Ausstellungsräumen des Schweizerischen Landesmuseums gleichen demjenigen Paul Valérys: Sie wurde als zu gross und in ihrer Form als unzweckmässig empfunden. Schenkungen waren wichtig für den Aufbau der Museen gewesen. Nach dem «Institutionalisierungserfolg»192 zeigten sich die Museen aber oft überfordert, weitere anzunehmen, besonders wenn sie zuweilen noch mit besonderen Konditionen verbunden waren.193 Andererseits konnte dieses wahrgenommene «Übermass» im konkreten Umgang mit der Sammlung auch nützlich sein, wie sich zeigen wird.

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