Читать книгу: «Charlys Sommer», страница 7

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Sie studierte das Bild auf dem Display und ließ sich Zeit. „Ist das ein Modell der Dresdner Frauenkirche?“

Erstaunt betrachtete er sie. Das Modell war auf dem Bild nur sehr verschwommen im Hintergrund zu sehen, noch dazu war es angeschnitten und es zeigte nur etwa ein Drittel davon. Ihr erwartungsvoller Blick erinnerte ihn, dass er noch nicht geantwortet hatte und er nickte.

„Dann tippe ich auf Architekt.“ Sie sah ihn fragend an.

„Stimmt“, fing er sich rechtzeitig. „Und Sie?“

Das Bild, das sie ihm reichte, ließ nicht viel Aussage zu. Ein atemberaubender Blick über eine waldreiche, trotzdem abwechslungsreiche Hügellandschaft, die ihm vage bekannt vorkam. „Offensichtlich kein Bürojob.“

„Blättern Sie eines weiter. Das ist zwar älter und woanders, aber aussagekräftiger.“ Ihre Stimme klang amüsiert.

Es war ein beeindruckendes Foto. Ein dramatischer Wolkenhimmel, darunter hohe, schneebedeckte Berge, davor ein See. Ganz im Vordergrund war ein kleiner Teil eines Dachfirstes im Rohbau zu sehen – und sie in Zimmermannskluft, die darauf stand und sich zum Fotografen umwandte.

„Wie hoch war das?“ Er merkte selbst, dass er sich aggressiv anhörte.

„Zehn, zwölf Meter. Noch nichts, wo ich Herzklopfen bekomme.“ Ihre Antwort war spielerisch leicht, enthielt aber einen warnenden Funken.

‚Reiß dich zusammen!’ Er schluckte den Kommentar, der ihm auf der Zunge lag, hinunter und wechselte abrupt das Thema. „Womit verbringen Sie Ihre Freizeit?“ Er konnte nicht verhindern, dass auch aus dieser Frage eine gewisse Schärfe klang.

„Es wird Ihnen nicht gefallen“, verhieß sie ihm.

Er sah auf das Foto und spürte sein Herz stolpern. Es war ein Fallbild beim Klettern. ‚Vorstieg. Pendelsturz.’ Er lehnte sich tief durchatmend zurück. „Sie haben recht. Es gefällt mir nicht. Aber da sind Sie wenigstens gesichert. – Im Übrigen ein Hobby, das wir teilen.“

Sein Foto ließ keine Fragen zu seinem muskulösen Oberkörper offen. Sie betrachtete es unter gesenkten Lidern.

‚Schau mich an, Kleine. Ich will wissen, wie dir gefällt, was du siehst!’ Leider tat sie ihm diesen Gefallen nicht.

„Sächsische Schweiz?“, fragte sie.

„Fränkische“, korrigierte er.

Während des Hauptganges blieben sie zunächst beim Bergthema und schweiften später zu verschiedenen Ausflugs- und Urlaubszielen Deutschlands und deren Besonderheiten ab.

***

„Sie sind viel unterwegs“, stellte er zusammenfassend fest.

„An den Wochenenden. Unter der Woche, eher lazybones“, antwortete sie.

„Wie darf ich mir das vorstellen?“ Diesmal verhinderte er nicht, dass seine Stimme einen verführerischen Singsang annahm.

„Hmm“, wurde auch ihre Stimme dunkler. „Decke, Buch, Wein, Kater, Feuer. – Und Schokolade“, fügte sie hinzu. „Und selbst?“

Er imitierte ein gelangweiltes Lümmeln und Zappen im Sekundentakt.

Sie lachten gemeinsam.

***

Sie genoss ihr Dessert sichtlich.

Er genoss es, ihr dabei zuzusehen.

„Waren Sie schon im Jugendstil-Kaufhaus?“, fragte sie plötzlich.

Überrascht schüttelte er den Kopf.

„Möchten Sie rein?“

„Würde ich gerne“, zuckte er die Schultern. „Geht aber nicht.“

„Was haben Sie morgen vor?“, fragte sie unbeirrt weiter.

„Nichts Konkretes.“ – ‚Worauf will sie hinaus?’, wunderte er sich.

„Vielleicht kann ich was arrangieren. Etwa am frühen Nachmittag.“ Sie pausierte kurz und ihre stahlblauen Augen fixierten ihn über ihren Löffel hinweg. „Sofern Sie eine Handynummer für mich haben.“

‚Und ich grübele die ganze Zeit, wie ich an ihre Nummer komme, ohne plump zu fragen. Raffiniert, das Mädel.’ Er reichte ihr seine Visitenkarte. „Ich freue mich darauf.“

***

Die Tür des Hotels stand offen und sie trat aufatmend in den milden Frühsommerabend hinaus.

„Ich mache noch einen Spaziergang zur Kirche.“

„Darin?“ Zweifelnd nickte er in Richtung ihrer High Heels und zog die Augenbrauen hoch.

„Natürlich.“ Anmutig schritt sie über die großen Pflastersteine aufs Kirchenportal zu.

‚Atemberaubend. Ihre Silhouette: perfekt.’ Seine Gedanken begannen sich damit zu beschäftigen, was sie wohl darunter tragen mochte.

Ohne viel zu sprechen, umrundeten sie die Kirche halb. Eine Mauer begrenzte den Kirchhof zum Fluss hin. An deren Innenseite verlief eine Erhöhung. Sie stieg die Stufen hinauf, legte eine Hand auf die Mauerkrone, blickte auf den Fluss hinunter und folgte weiter dem Verlauf der Mauer.

„Ich liebe den Ausblick von hier oben“, hörte er sie sagen.

Er brummte etwas Unverständliches. Er war viel zu sehr mit ihrem Anblick und dem, was seine Phantasie daraus machte, beschäftigt. ‚Entweder trägt sie etwas drunter, das weder einschneidet noch aufträgt, oder …’

Jetzt blieb sie stehen und lehnte sich über die Mauer. Zentimeter für Zentimeter glitt der Saum ihres Rockes höher, wenn auch nur bis auf halbe Höhe der Oberschenkel.

‚Macht sie das absichtlich?’ Er sah sich um. Sie waren allein. ‚Wie sie sich wohl anfühlen mag, bewegungsunfähig zwischen Mauer und mir …’ Er würgte den Gedankengang ab.

Sie trat auf die Stufen zu und er hob die Hand, um ihr Unterstützung anzubieten. Entschied sich anders, umfasste ihre Taille und hob sie kurzerhand von dem Podest herunter. Sie fiepste kurz, ein erschrockener, atemloser Ton, und er ließ sie sofort, nachdem er sie vorsichtig auf die Füße gestellt hatte, los. Sie deutete einen Knicks an und wandte sich zurück zum Hotel.

***

„Ich begleite Sie zu Ihrem Zimmer“, erklärte Gereon entschieden, als sie das Hotel betraten. „Ich möchte sichergehen, dass Sie unbeschadet da ankommen.“ Unmissverständlich besitzergreifend legte sich seine Hand auf ihre Taille und sein herausfordernder Blick streifte zwei nicht mehr ganz junge Herren, die sie seinem Empfinden nach kalkulierend betrachteten, während sie die Bar ansteuerten.

Sie war seinem Blick gefolgt und akzeptierte sein Ansinnen ohne Widerspruch, wenn auch mit irritiertem Schnauben.

***

Charly drehte den Schlüssel im Schloss und öffnete die Tür. Im Grunde war es egal, was sie tat. Sie würde es bereuen, so oder so. „Danke für den interessanten Abend.“ Sie sah zu ihm auf.

***

Seine Hände senkten sich auf ihre Hüften, seine Lippen auf die ihren. Er küsste sie leidenschaftlich, seine rechte Hand wanderte über ihren Rücken in ihren Nacken, er presste sie fest an sich. Halbherzig abwehrend lagen ihre Hände auf seiner Brust, aber sie verharrte in seiner Umarmung.

Er drängte sie in Richtung ihres Zimmers, schob die Tür weiter auf. Sie suchte Halt am Türrahmen. Plötzlich verstärkte sich der Druck ihrer Hände auf seiner Brust deutlich, sie schob ihn von sich, war mit einem atemlosen „Gute Nacht!“ durch den Türspalt geschlüpft und hatte ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen, ehe er sie daran hindern konnte.

Verdattert stand er noch einen langen Moment dort, dann schritt er weit ausgreifend zu seinem Zimmer, ließ die Tür unsanft hinter sich ins Schloss fallen und riss sich die Kleidung vom Körper. Sekunden später stand er unter der Dusche und lehnte kurz darauf zitternd die Stirn gegen die Fliesen. Atmete tief und stellte die Temperatur auf eiskalt.

All I Wanna Do Is Make Love to You – Heart

Charly lehnte sich gegen die geschlossene Tür und ließ sich daran herabgleiten, bis sie auf dem Teppich hockte. Ihr Herz raste, das Blut dröhnte in ihren Ohren.

‚Ich bereue es jetzt schon, die Nacht nicht mit ihm zu verbringen, aber ich weiß genau, dass ich es bereuen werde, wenn ich die Nacht mit ihm verbringe’, dachte sie. ‚Dann doch lieber Reue ohne schlechtes Gewissen.’

Sie rappelte sich auf, fummelte sich aus dem Kleid und stand kurz darauf unter der Dusche. Ein Handtuch um die tropfnassen Haare geschlungen, kroch sie anschließend ins Bett. Sie war hundemüde, drehte sich aber schlaflos von einer Seite auf die andere.

***

Schließlich stand sie auf und holte seine Visitenkarte.

Sachlich, dezent edel. „Gereon von Leuwenstein.“

Erst durch den Klang ihrer eigenen Stimme wurde ihr bewusst, dass sie seinen Namen laut gelesen hatte. Sie schob die Visitenkarte flach unters Kopfkissen und ließ ihre Hand darauf liegen, fühlte die Erhebungen der Broschierung unter ihren Fingerspitzen. Als habe sie die Nähe, die ihr fehlte, hergestellt, glitt sie in einen erholsamen Schlaf.

***

Pünktlich stand er an der unscheinbaren Tür, die sie ihm beschrieben hatte. Ihm blieb gerade genug Zeit, in einem nahe gelegenen Schaufenster seine Erscheinung zu überprüfen, da öffnete sie sich und Charly ließ ihn hinein. Ein mit ihm etwa gleichaltriger Mann fuhr einen Kleiderständer mit Kleidersäcken heran.

„Zwanzig Minuten, dann will ich los“, gab der ihnen mit auf den Weg.

„Geht klar.“ Sie nahm ihn an der Hand und zog ihn in die Mitte des Kaufhauses. Etwa die Hälfte der Zeit begleitete sie ihn, dann ließ sie ihn allein. Als er sich wieder an der Tür einfand, fiel sie dem Typen gerade um den Hals und verabschiedete sich mit zwei Wangenküssen, fragte „Fertig?“ in seine Richtung und nahm, als er nickte, den letzten verbliebenen Kleidersack. „Gale, danke, dass du mir dein Handy geliehen hast“, wandte sie sich noch einmal an den Fremden.

‚Und ich habe mich gefreut, ihre Telefonnummer zu haben.’ Er seufzte verstohlen.

***

Gemeinsam machten sie sich auf den Rückweg zum Hotel. Sie hatte sich den Kleidersack auf den Rücken geschwungen und schritt zielstrebig über den Marienplatz. Dabei begann sie, leise zu pfeifen. Einige Töne kamen ihm bekannt vor und er lauschte konzentrierter. ‚Tatsächlich, das ist „Über den Wolken.“’ Nahezu übergangslos wechselte sie zum nächsten Lied. Diesmal war es „Ich war noch niemals in New York“, danach folgte „Liebeskummer lohnt sich nicht“. Das nächste kannte er nicht, dann, als sie den Flüsterbogen passierten, „Tausendmal berührt“.

‚Moment mal, ist das Absicht?’ Er musterte sie von der Seite. Wohl eher nicht; sie schien mit den Gedanken ganz woanders zu sein, ihn gänzlich vergessen zu haben, und er spürte Eifersucht, auf was auch immer ihre Aufmerksamkeit fesselte, in sich aufsteigen. Sie waren fast am Hotel angekommen. Abgelenkt von seinen eigenen Gefühlen hatte er nicht bemerkt, dass sie wieder das Lied gewechselt hatte.

Er erkannte die Melodie und sein Puls beschleunigte. Sie pfiff doch tatsächlich „Ohne Dich schlaf ich heut Nacht nicht ein“.

***

„Darf ich Sie beim Wort nehmen?“

Seine Stimme riss sie aus ihren Gedanken.

„Oder vielmehr, beim Pfiff?“

Verwirrt blieb sie stehen und sah ihn an. Sein Blick war intensiv, belustigt und noch etwas anderes, das sie nicht deuten konnte. Sie spürte ihre Wangen heiß werden. ‚Was, verflixt noch mal, habe ich gepfiffen?’, überlegte sie hastig. „Ich habe darüber nachgedacht, was ich zu Hause alles erledigen will und gar nicht bemerkt, dass ich überhaupt gepfiffen habe“, antwortete sie ihm hilflos und schuldbewusst; schließlich hatte sie ihn gerade vollkommen vergessen.

„Was haben Sie heute noch vor?“, fragte er abrupt.

‚Das nächste brisante Thema’, seufzte sie innerlich.

Nach dem halben Tag mit ihrer Mutter wollte sie nur noch auf ihr Motorrad und ein paar schöne Kurvenstrecken unter die Reifen nehmen. Aber dazu musste sie ihn loswerden. Was ganz sicher nicht in seine Pläne passte, so wie er aussah, und sie scheute sich, es ihm direkt zu sagen. Seufzend zuckte sie mit den Schultern und wich seinem Blick aus. „Am liebsten raus aus der Stadt, ins Grüne. Ich brauche ein bisschen Ruhe.“

„Vor mir?“ Sein jungenhaftes Grinsen war eindeutig frech.

‚Baut er mir eine goldene Brücke oder was hat er vor?’ Ehe sie jedoch antworten konnte, fuhr er fort: „Oder darf ich mich als Chauffeur anbieten?“

***

Fasziniert sah Gereon, wie schlagartig ihre Augen zu leuchten begannen und sie ihn anstrahlte. Er lächelte zurück. „Dann hole ich mein Auto und Sie überlegen sich, wo Sie hinwollen. Viertelstunde bis Abfahrt?“

Sie nickte und schlüpfte durch die Hoteltür.

Seinerseits pfeifend ging er zum Hotelparkplatz und holte den Porsche. ‚Welches wohl ihr Fahrzeug ist?’

Direkt an der Einfahrt thronte noch immer die BMW, rückwärts geparkt und auf den Hauptständer gestellt. Das sah man selten und war ihm deshalb schon gestern ins Auge gefallen. Er ließ seinen Blick weiterschweifen. ‚Der kleine rote Audi würde gut zu ihr passen’, spekulierte er.

***

Als sie kurz darauf die Hoteltreppe herunterkam, hörte sie draußen den Porsche vorfahren. Den charakteristischen Sound hatte sie schon im Ohr. Er hielt direkt vor der Tür, mit etwa einem Meter Abstand vom Bordstein, der hier ziemlich hoch war, das Verdeck heruntergeklappt.

„Wow!“ Beeindruckt fuhr sie mit der Hand die elegante Seitenlinie nach. Zeit genug für ihn, aus dem Wagen zu springen und ihr die Beifahrertür aufzuhalten.

„Nun, wohin?“ fragte er, während er wieder ins Auto einstieg.

„Oybin“, antwortete sie, die Augen aufs Display des Navis gerichtet, während sie den Ortsnamen eingab. „Waren Sie schon mal da?“

„Nein.“ Er schüttelte den Kopf.

„Lassen Sie sich überraschen!“

***

Ihre Vorfreude war unübersehbar. Aber die Fahrt verlief schweigsam. Ab und zu schaute er zu ihr hinüber. Ein paar Mal warnte sie ihn vor fest installierten Blitzern. ‚Kennt sie sich hier so gut aus, oder ist sie einfach nur konzentrierter als ich?’, überlegte er.

Sie kamen erst kurz vor Ende der Einlasszeit an; die Dame an der Kasse bereitete gerade den Feierabend vor. Nachsichtig lächelnd ließ sie sie noch ein.

Jetzt war er beeindruckt. „Wow! Die Überraschung ist Ihnen gelungen.“

Sie lachte. „Ich hab’s nicht gebaut. – Kannten Sie es wirklich noch nicht?“

„Davon gehört und gelesen schon“, gab er zu. „Es selbst zu sehen, ist etwas ganz anderes.“

Gemeinsam strolchten sie durch die Ruinen und Durchgänge. Stiegen auf den Kirchturm. In der Klosterkirche hallten leise gregorianische Gesänge von den Mauern wider und bildeten mit ihrer getragenen Melancholie einen Kontrapunkt zum unbeschwerten Gezwitscher der Vögel.

In einem der schmalen Felsengänge berührte er sie an der Schulter. Sie drehte sich zu ihm um.

„Danke“, sagte er leise.

Hier im Schatten waren ihre Augen dunkel. Vorsichtig, um sie nicht zu erschrecken, legte er seinen Zeigefinger unter ihr Kinn, beugte sich zu ihr und küsste sie. Es war ungeplant, ein Impuls. Zu seinem Erstaunen küsste sie ihn zurück. Scheu und kurz, nur eine flüchtige Berührung ihrer Zunge, die ihm einen Schauer über den Rücken jagte und alle Härchen seines Körpers aufrichtete. Dann sah sie ihm in die Augen. Etwas verlegen ließ er seine Hand sinken.

Sie begann zu lächeln. „Gerne“, antwortete sie, drehte sich um und schlenderte weiter, als sei nichts geschehen.

***

Charly war vollkommen durcheinander. Nach dem gestrigen Abend hatte sie sich auf direkte, unmissverständliche Kontaktversuche seinerseits eingestellt und war auf diesen harmlosen, zarten Kuss überhaupt nicht vorbereitet. Sie beherrschte sich mühsam, um sich ihm nicht hier und jetzt an den Hals zu werfen. Auf dem Weg zum Auto brachte sie ihre Gefühle langsam unter Kontrolle.

Auf der Rückfahrt fanden sie unterwegs ein Restaurant, und während des Essens versuchte er, etwas über ihre Pläne für den nächsten Tag zu erfahren. Sie antwortete nur vage. Heimreise, vielleicht noch ihren Vater besuchen. Die Ortsnamen verschwieg sie. Er bemerkte schnell, dass sie nicht darüber sprechen wollte und sie wandten sich anderen Themen zu.

Als sie den kleinen Landgasthof verließen, standen neben dem Eingang zwei historische Motorräder. Charly streifte sie zunächst nur mit einem kurzen Blick und ging weiter, drehte aber nach einigen Schritten um und sah sich beide Maschinen genauer an. ‚Tatsächlich.’ Sie fischte ihr Handy aus der Tasche und fotografierte sie. Inzwischen war auch Gereon neben sie getreten und sie zeigte ihm, was sie entdeckt hatte: Eine Maschine zierte das übliche blau-weiße BMW-Emblem, die andere das rot-weiße EMW-Emblem. „Jetzt wäre nur noch spannend zu wissen, wann die ‚echte’ BMW gebaut wurde – und wo“, meinte sie. „Die EMW ist zwischen 1950 und 52 gebaut worden, weil sie noch die gleiche Gabel hat wie die BMW auch. Vorausgesetzt, sie wurde nicht im Nachhinein originaler aufgebaut als sie ursprünglich war“, überlegte sie laut.

***

„Ganz recht, junge Dame“, ertönte eine Altherrenstimme von der Terrasse. Stühle scharrten, dann kamen zwei Männer, etwa Mitte siebzig und in altmodischer Lederkleidung, zu ihnen auf den Parkplatz, stolz auf ihre Motorräder und neugierig auf die junge Frau, die ein Detail entdeckt hatte, das selbst vielen Männern nicht sofort auffiel.

„Sie kennen sich gut aus“, bemerkte der eine und der andere fügte hinzu: „37 in München, um Ihre Frage zu beantworten.“

Gereon konnte nur noch staunen. Er trat ein wenig an den Rand der Szene und beobachtete, wie sie angeregt mit den beiden Herren fachsimpelte. Wie angetan diese von ihr waren.

Schließlich verabschiedete sie sich, kam auf ihn zu und entschuldigte sich, dass sie ihn warten lassen habe.

***

Natürlich fragte er sie auf dem verbleibenden Weg zum Hotel aus. Oder zumindest versuchte er es. Charly wand sich, so gut sie konnte, ohne ihn zu sehr vor den Kopf zu stoßen, um genauere Erklärungen herum, verwies darauf, dass es mit ihrem Vater zusammenhing, der gerne an alten Fahrzeugen bastele, und dass es eine längere Geschichte sei. Seine Einladung auf einen Drink an der Bar lehnte sie ab mit der Begründung, dass es ein langer Tag war und sie schlafen müsse.

Don’t Lose My Number – Phil Collins

„Sehen wir uns beim Frühstück?“ Er sah sie bittend an.

Sie zögerte. „Vielleicht. – Vielen Dank für den Ausflug und gute Nacht.“ Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, hauchte ihm einen Kuss auf die Wange und war in ihr Zimmer geschlüpft.

Mit dem Gefühl, etwas Wichtiges versäumt zu haben, ging er zu seinem eigenen. Er schlief unruhig, träumte wild und saß sehr früh im Frühstücksraum. Sie war nicht da und kam auch nicht, so lange er sein Frühstück auch ausdehnte. Schließlich ging er zur Rezeption und fragte nach. Bereits abgereist, war die einzige Auskunft, die er erhalten konnte.

Ziellos und gedankenverloren wanderte er durch die Stadt, bis er sich am frühen Nachmittag entschied, den Freizeitpark anzuschauen, von dem sie gesprochen hatte. Vielleicht war es was für Maja und die Jungs. Fürst Pückler und seinen Park hob er sich für den nächsten Tag auf.

Auf dem Parkplatz fiel ihm auf, dass die gelbe BMW fehlte. ‚War das etwa ihre? War sie deshalb so vorsichtig, als es ums Motorradfahren ging, weil sie nicht wollte, dass ich es weiß? Warum nicht?’, grübelte er. ‚Und warum bin ich nicht auf den Gedanken gekommen, aufs Kennzeichen zu schauen? Im Grunde weiß ich nichts von ihr.’

Als er in den Porsche einsteigen wollte, stutzte er. An der Scheibe der Fahrertür steckte eine Visitenkarte. ‚Meine eigene.’

Sein Herz sank. ‚Sie will meine Kontaktdaten nicht haben und ich Depp habe sie nicht einmal nach ihrem richtigen Namen gefragt. Es war ein Abenteuer, ach, nur eine vergnügliche Episode’, dachte er. ‚Ich werde sie nie wiedersehen.’ Unerklärlicherweise stimmte ihn dieser Gedanke traurig.

Er wusste selber nicht, warum, aber er drehte die Karte um. Auf der Rückseite prangten in blauem Kugelschreiber eine Zahlenreihe und darunter „CU Charly“.

***

Charly war schon vor der Frühstückszeit fertig bepackt an der Rezeption. Sie wollte es nicht riskieren, das Motorrad vor die Tür zu fahren und doch noch auf Gereon zu treffen. So schleppte sie lieber den Tankrucksack und beide Alukoffer bis zum Parkplatz. Sie fuhr über Landstraßen durch die Lausitzer Heide- und Teichlandschaft Richtung Hoyerswerda, frühstückte in einem Café und bummelte durch die Stadt, bevor sie weiterfuhr nach Torgau. An Schloss Hartenfels saß sie lange am Wendelstein und dachte nach. Sie teilte ihr Mittagessen, zwei Äpfel, mit den Bären im Burggraben.

Am späten Nachmittag schneite sie bei ihrem Vater herein. Sie war unruhig und wäre am liebsten sofort nach Hause gefahren, erinnerte sich jedoch rechtzeitig daran, dass zu Hause der Kühlschrank leer und es Sonntag war und blieb letztlich doch über Nacht. Morgens verbummelte sie sich, schraubte hier, putzte da. So war es früher Nachmittag, bis sie auf dem Heimweg war. Via Autobahn, es war nun einmal der direkteste Weg und die Gegend zu zersiedelt, als dass sie viel Spaß an der Überlandfahrt hatte. Kurz vor zu Hause hielt sie an einem Supermarkt. Kaum hatte sie ihn betreten, warf sich vor ihr ein etwa zweijähriger, blondgelockter Junge in einer trotzigen Haltung auf den Boden.

„Hallo, junger Mann“, sprach sie ihn an und bot ihm ihren Korb an. „Magst du mir beim Einkaufen helfen?“

Aus dem Konzept gebracht, blickte er sie an und nickte dann.

„Frag schnell deine Mama, ob ihr das auch recht ist“, ermunterte sie ihn und half ihm beim Aufstehen.

Die Mutter, einen zweiten Lockenkopf im selben Alter im Einkaufswagen, nickte ihr dankbar zu. Ungefähr im gleichen Tempo wie sie dirigierte Charly den Jungen durch den Laden. An der Obsttheke fragte sie ihn, ob er sich etwas aussuchen wollte.

„E-mee-nee“, nickte er und zeigte auf die Himbeeren.

“Und für Deinen Bruder?”

“E-mee-nee”, wiederholte er.

Schmunzelnd ließ sie ihn zwei Packungen Himbeeren in ihren Einkaufskorb legen. Sie verließen das Geschäft gemeinsam und Charly reichte der Mutter das Obst. Sie hatte die ganze Zeit gegrübelt, woher sie die Frau kannte.

„Täusche ich mich, oder gehört Ihnen die Fuchsstute mit der Blesse, die aussieht wie ein Fragezeichen?“, sprach sie die Frau an.

„Das klingt nach Florentine“, antwortete diese.

„Dann habe ich Sie erst vor kurzem am Aussichtsturm gesehen“, erläuterte Charly. „Zumindest Florentine.“

„Gut möglich. Mein Bruder reitet sie gelegentlich. Die beiden lassen mir keine Zeit mehr dazu.“

„Das glaube ich gern. Wollt ihr auf meinem Motorrad sitzen, während eure Mama die Einkäufe ins Auto packt?“, fügte sie an die Jungen gewandt hinzu, die begeistert aufschrien und wild herumzuhüpfen begannen. Sie nahm einen an jede Hand und steuerte sie zur BMW, die sie glücklicherweise in einer ruhigeren Ecke geparkt hatte. Mit je einer Hand an jedem Kind fragte Charly sich, wie man mit Zwillingen in diesem Alter überhaupt irgendetwas erledigt bekam.

Während sie begeistert auf der Maschine herumrutschten, überboten sich die Kleinen darin, ihr zu berichten, dass Onkel „Geo“ auch ein Motorrad habe, imitierten eifrig das Brummen eines Motors und wollten unbedingt die Hupe drücken.

„Das dürfen sie auf dem Motorrad meines Bruders auch immer“, bemerkte die Mutter entschuldigend, die unbemerkt neben sie getreten war.

„Ist ja nichts Schlimmes“, lachte Charly. „Onkel Geo?“ fragte sie.

„Er heißt Gereon.“

Charly stutzte kurz, ließ sich aber nichts anmerken. ‚Konnte es tatsächlich sein, dass sie ausgerechnet die Schwester des Mannes traf, mit dem sie am Wochenende…, ja, was eigentlich?’, überlegte sie. „Gut, jeder ein Mal“, sagte sie streng.

Die Jungen nickten, drückten andächtig auf die Hupe und freuten sich über das misstönende „Miep“. Dann ließen sie sich unter Protest von ihrer Mutter zu deren Auto ziehen. Charly winkte ihnen nach und befestigte den Tankrucksack. Sie überlegte kurz und folgte ihnen. „Entschuldigen Sie, dass ich noch einmal störe.“

„Kein Problem, Sie haben mir beim Einkauf so sehr geholfen“, antwortete die Frau freundlich.

„Ihr Bruder fährt einen blauen Porsche?“, vergewisserte sie sich.

„Ja.“ Die junge Mutter lächelte fragend.

„Falls Sie ihn sprechen, grüßen Sie ihn bitte von Charly“, antwortete sie, nickte abschließend und ging zu ihrem Motorrad.

***

„Würdest du mir einen Gefallen tun, kleiner Bruder?“

„Was denn, große Schwester?“ Gereon war auf dem Heimweg und hatte kurz bei seinem Schwager angehalten, um seine Neffen und Maja zu besuchen.

Maja packte ihm einen dicken Stoß Zeitschriften vor die Nase. Obenauf lag ein Hochzeitsmagazin.

„Die zum Altpapiercontainer mitnehmen?“

„Mache ich. – Ist es dafür nicht ein bisschen spät?“, fragte er, ließ sich aufs Sofa fallen und hob die Hochzeitsbroschüre hoch.

„Nicht von mir“, schnaubte Maja. „Eine Freundin hat mir von Designerkleidern vorgeschwärmt.“

Gereon blätterte angelegentlich in dem Heft herum, es fiel an einer oft geknickten Seite auf. Verwirrt starrte er auf ein Bild von … Charly … in einem eleganten Brautkleid.

„Gereon, was ist?“ Maja musste ihre Frage wiederholen, ehe ihr Sinn zu ihm durchdrang.

Er drehte die Zeitschrift so, dass sie das Foto sehen konnte. „Ich habe mit dieser Frau so quasi das Wochenende verbracht“, kiekste er in unnatürlich hoher Stimmlage und räusperte sich. Er berichtete in wenigen Sätzen.

Jetzt sah Maja irritiert auf das Foto. „Ich habe sie heute Nachmittag beim Einkaufen getroffen. Sie hat mir mit den beiden Rabauken geholfen. Sie durften sogar auf ihrem Motorrad sitzen.“

„Motorrad? Was für eins?“ Elektrisiert rutschte er auf die äußerste Sofakante und sah zu ihr hoch. Sie zuckte die Schulter, hatte nie seine Leidenschaft dafür geteilt.

„Es war gelb“, fügte sie hinzu, als sie bemerkte, wie sehr er sich wünschte, mehr zu wissen. „Ziemlich groß für sie.“ Maja maß die ungefähre Höhe von Sitz, Tank und Lenker ab.

‚Etwa doch die BMW aus Görlitz?’, überlegte er.

„Eins hat mich verwundert“, sprach sie weiter.

„Ja?“

„Das Kennzeichen war nicht von hier. Sie hat aber, ich sag mal ‚normal’, eingekauft, auch Kühlsachen und nicht nur was zum Knabbern, wenn du verstehst, was ich meine?“ Sie zwinkerte ihm zu.

Er nickte.

„Singlehaushalt, den Mengen nach“, sagte sie verschmitzt lächelnd.

„Das Kennzeichen?“, hakte er nach.

„Aus Chemnitz. Die anderen Buchstaben weiß ich nicht mehr, und die Zahl hab ich nur behalten, weil es der Geburtstag der Jungs ist. Vierzehn“, erklärte sie. „Ach, und sie hat Florentine am Aussichtsturm gesehen.“

‚Natürlich, die junge Frau mit dem Braunen!’ Schlagartig begriff er, warum sie ihm bekannt vorgekommen war. „Kennst du jemanden, der einen großen und recht schweren Braunen hat?“ Er versuchte, sich an besondere Kennzeichen des Wallachs zu erinnern. „Abgesehen von der Größe war er recht unauffällig.“ Jetzt war er es, der die Schultern zuckte.

„Nicht direkt. Ich höre mich um und im Reitstall fragst du, wenn du Florentine das nächste Mal bewegst.“

„Hm, ja.“

„Übrigens, ehe ich es vergesse, sie bat mich, dich von Charly zu grüßen.“

‚Ich werd nicht wieder. Sie lässt mich in Görlitz sitzen, trifft hier ausgerechnet meine Schwester beim Einkaufen und lässt auch noch grüßen! Raffiniertes kleines Luder, ich kriege dich! Auch wenn ich zugeben muss, dass mir dein Versteckspiel Spaß macht.’

860,87 ₽
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Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
26 мая 2021
Объем:
631 стр. 2 иллюстрации
ISBN:
9783960148241
Издатель:
Правообладатель:
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