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Summer Wine – Ville Valo & Natalia Avelon

Nachdem sie gemeinsam den Cadillac zugedeckt hatten, schob er das Scheunentor zu und wunderte sich, wie sie den schweren Flügel überhaupt bewegen konnte.

Im Haus lief eine breite Diele bis zur gegenüberliegenden Außenwand und einer weiteren Tür; ab der Hälfte führte eine alte, ausgetretene Holztreppe nach oben. Ebenfalls alte, breite Dielenbretter bedeckten den Boden. Links zog sich über die gesamte Länge der Diele eine gusseiserne Hakenleiste, an der mehrere Kombis hingen, darüber auf einem Bord mehrere Helme. Rechts stand ein schweres, dunkles Sideboard, darüber hing an einem Haken ein Jagdgewehr.

Die Küche war modern, hell und italienisch anmutend, das Wohnzimmer geräumig über die gesamte Breite am Südende des Hauses und über große französische Flügeltüren mit der ihm schon bekannten Terrasse verbunden. Ein moderner Kamin bildete einen interessanten Gegensatz zur sonst regionalen, gemütlichen Einrichtung.

„Was willst du trinken? Alkoholfreies hab ich nur Weizen und Wasser aus der Leitung“, rief Charly aus der Küche.

„Weizen klingt gut.“

„Hell oder dunkel?“

„Dunkel.“

Sie kam mit schnellen Schritten ins Wohnzimmer und stellte zwei Flaschen auf den rustikalen Esstisch. „Du machst Feuer, ich Essen“, wies sie an. Damit verschwand sie erneut in der Küche.

Zehn Minuten später saßen sie bei knisterndem Kaminfeuer im Wohnzimmer und futterten Nudeln mit Gorgonzolasauce.

„Sind das Spaghetti?“

„Capellini. Die brauchen nur drei Minuten“, grinste Charly. „Wenn ich Hunger habe, muss es schnell gehen.“

„Das werde ich mir merken“, schmunzelte er. „Schmeckt jedenfalls sehr gut.“

„Freut mich.“

„Woher wusstest du, was ich fragen wollte, in der Scheune?“

Sie lachte. „Weil jeder Mann unter die Motorhaube eines Caddys schauen will. Ich habe in Kuba jeden Taxifahrer verrückt gemacht, weil ich vor oder nach der Fahrt unbedingt den Motor sehen wollte. Das machen sonst nur Männer.“

„Du warst in Kuba?“

„Mit meinem Dad. Ist fast zehn Jahre her.“

Schweigend machten sie sich über ihre Portionen her. Sie besetzten die gegenüberliegenden Ecken des riesigen Big Sofas und er beobachtete sie während des Essens.

‚Sie beobachtet mich auch’, bemerkte er, ‚aber unauffälliger.’

„Ich wundere mich, dass wir uns noch nie gesehen haben“, eröffnete er ein unverfängliches Thema. ‚Sie wohnt neben meinem Patenonkel, fährt eine Handvoll auffälliger Fahrzeuge und wir haben uns noch nie gesehen? Das kann es eigentlich nicht geben!’ wunderte er sich insgeheim.

„Ich bin entweder zur Arbeit, bastele zu Hause oder bin auf Tour. Der einzige Motorradtreff, den ich hier in der Gegend anfahre, ist der, wo wir uns das erste Mal gesehen haben. Meist auch nur, wenn Mellis Motorrad muckt oder ich dringend einen Kaffee brauche.“

„Sie ließ sich partout nicht überreden, mir deine Telefonnummer zu geben“, schmunzelte er. „Du hast doch sicher Freunde?“

„Ist eine gegenseitige Abmachung aus der Zeit, als wir beide allein gewohnt haben.“

‚Bilde ich es mir ein, oder hat sich ein Schatten über ihre Züge gelegt?’, überlegte er. Ihre nächsten Worte lenkten ihn von seinen Betrachtungen ab.

„Freunde allgemein, oder einen Freund im Besonderen?“, neckte sie mit schelmischem Lächeln.

„Sowohl als auch“, ließ er sich nicht aus der Ruhe bringen.

„Ich habe hier ein paar Leute, mit denen ich klettern gehe. Unter anderem Melli. In Chemnitz bin ich ein bisschen in der Clique meines Adoptivbruders verbandelt, aber einen festen Freund habe ich nicht“, gab sie preis.

Er lachte. „Jede Antwort von dir wirft drei neue Fragen auf, mindestens.“

„Dann frag doch. Wenn ich etwas nicht beantworten will, sage ich dir das schon.“

Er nahm sie beim Wort und fragte sie leidlich aus. Auch sie war neugierig und stellte so manche Frage. Nach dem Essen hielt sie ihr leeres Glas fragend in die Höhe. „Noch eins?“

Er streckte sich, zögerte. Er war müde und hatte überhaupt keine Energie mehr, sich jetzt aus der kuscheligen Kaminwärme aufs Motorrad zu setzen und nach Hause in seine kalte Wohnung zu fahren. ‚Noch nicht’, dachte er. „Ich sage nur eben meinem Vater Bescheid, dass es später wird.“

Sie nickte und brachte das Geschirr in die Küche. Solange er sprach, beschäftigte sie sich da und kehrte mit zwei vollen Bierflaschen zurück. Sie hatte es sich eben wieder gemütlich gemacht, als draußen ein heller Blitz aufzuckte, gefolgt von einem krachenden Donnerschlag, dann rauschte Platzregen herab.

„Verdammt, mein Helm!“ Er schoss vom Sofa hoch, aber sie war schneller. Als er bei der Haustür ankam, schlüpfte sie gerade in Stiefeln und Regenponcho hinaus, schnappte den Helm vom Spiegel und die Handschuhe aus dem Cockpit, kam zurück und packte beides aufs Sideboard.

„Ich mache dir unterm Dach Platz!“ Schon war sie wieder draußen. Er folgte ihr. Als er am Carport ankam, hatte sie eine kleine schwarze Suzuki in die hintere Ecke verfrachtet. Er trabte zu seiner BMW und schob sie in die entstandene Lücke. Dann rannten sie zusammen zurück ins Haus. Lachend drückte sie ihm ein Handtuch in die Hand. „Siehst aus wie ein nasser Hund.“ Sie lüpfte sein T-Shirt, das an seinem Oberkörper klebte wie eine zweite Haut. „Zieh es aus, ich stecke es in den Trockner.“

Als er zögerte, schnaubte sie ungeduldig. „Ich werde vom Anblick deines nackten Oberkörpers weder umfallen noch dich anfallen.“

„Schade“, grinste er und zog sich das Shirt über den Kopf. ‚Letzteres fände ich durchaus interessant’, dachte er. Es laut auszusprechen wagte er jedoch nicht.

***

‚Himmel, hat der Mann einen Körperbau!’ Sie musste sich arg zusammenreißen, um ihren letzten Satz nicht auf der Stelle zu revidieren. ‚Unverfängliches Thema!’ Aber ihr Kopf war wie leer gefegt. Zurück im Wohnzimmer fiel ihr Blick auf die noch ungeöffneten Bierflaschen. „Die oder lieber einen Wein?“

„Ist das jetzt die Einladung, über Nacht zu bleiben?“, fragte er prompt und ließ ihr keine Zeit zur Antwort. „Dann gerne Wein.“

Entspannt stand er im Türrahmen. Sein Lächeln war eindeutig lasziv, bevor es verschwand und er mit langsamen Schritten auf sie zukam, die nackten Füße lautlos auf den alten Dielen.

‚Stop, das geht mir zu schnell!’ Gehetzt sah sie sich im Zimmer um und entdeckte ihren iPod auf dem Tisch. Sie drückte das Gerät in seine Hand. „Such dir was aus, ok?“ Dann flüchtete sie in den Keller.

‚Charly, jetzt reiß dich zusammen!’, schalt sie sich lautlos. ‚Ja, er sieht verdammt gut aus. Ja, er hat mir geholfen und ich habe ihn eingeladen. Und er ist geblieben’, betonte sie. ‚Das muss aber nichts zu sagen haben. Mach nicht mehr daraus, als es höchstwahrscheinlich ist. Behalte die Nerven.’

Als sie zurückkam, lief „Hello“ von Lionel Ritchie und er war immer noch mit dem Gerät zugange. Er sah nur kurz auf. „Ich habe eine neue Liste erstellt bzw. bin noch dabei. Du hast interessante Songs.“

„Zum Beispiel?“, fragte sie atemlos. Hoffentlich bezog er es darauf, dass sie gerade die Kellertreppe hochgerannt war. Sie setzte den Korkenzieher an, als er geschmeidig wie eine Katze vom Sofa schnellte und ihr die Flasche abnahm. Erschreckt trat sie einen Schritt zurück. Bis jetzt war es ein Spiel, aber plötzlich wurde ihr bewusst, dass er sehr viel größer war als sie.

‚Schwerer.’

‚Und stärker.’

Und sie waren allein.

Ihre Nackenhärchen stellten sich auf.

***

‚Ich habe sie erschreckt. Aber da ist noch etwas in ihrer Haltung’, dachte Christian. Er musterte sie prüfend, während er die Flasche öffnete und den Wein eingoss, darauf bedacht, keine abrupten Bewegungen zu machen. Er reichte ihr eines der Gläser.

Sie nahm es mit einem Lächeln.

Was auch immer es gewesen war, es war verschwunden. „Sofa oder Bett?“ Er lächelte ein langsames, verheißungsvolles Lächeln.

„Hättest du wohl gern.“ Sie tippte ihm auf die Brust. „In meinem Bett schlafen nur Amadeus und ich.“

‚Moment, wer ist Amadeaus?’, fragte er sich, verfolgte die Frage aber nicht weiter. Zeit genug, später. „Du weißt nicht, was dir entgeht“, schäkerte er sacht, zog sich aber in seine Sofaecke zurück.

„Ich habe es die ganze Zeit vor Augen.“ Bedeutungsvoll wanderte ihr Blick über seinen nackten Oberkörper.

‚Ah, dir gefällt, was du siehst? Nun, ich würde auch gern mehr sehen.’ Es war der falsche Gedanke und eilig griff er auf seine Überlegung von eben zurück. „Wer ist Amadeus?“

„Mein Kater. – Trainierst du?“

„Zwei bis dreimal die Woche Krafttraining. Gelegentlich joggen. Und klettern.“ Er erwartete, dass auch sie in ihre Ecke zurückkehren würde. Stattdessen kuschelte sie sich neben ihn. Aber ihre Reaktion von vorhin gemahnte ihn zur Vorsicht.

„Halle oder draußen?“, fragte sie.

„Beides.“

Sie fachsimpelten. Zuerst über Schwierigkeitsgrade und Routen in der Fränkischen, dann gingen sie die Kletterhallen der Region durch. Nach einiger Zeit wagte er es, den Arm um sie zu legen. Sie schmiegte sich an ihn und legte ihre Hand auf seinen Bauch. Sanft streichelnd, Kreise und Kringel malend, während sie sprachen, wurden ihre Bewegungen immer träger, bis sie ganz aufhörten und ihr regelmäßiger Atem verriet, dass sie eingeschlafen war.

Er betrachtete sie ungläubig. ‚Das hat auch noch keine geschafft, mich bis unter die Decke zu jagen und dann mir nichts, dir nichts einzuschlafen.’ Er wand sich unter ihrem Arm hervor, suchte und fand das Bad und kehrte zu ihr zurück. ‚Gehen oder bleiben?’

Er brachte es nicht übers Herz, sie allein zu lassen und schob sich vorsichtig wieder zu ihr aufs Sofa. Umständlich zog er eine der Decken heran und deckte sie beide zu, dann glitt auch er zu den getragenen Klängen von John Lennon’s „Imagine“ in den Schlaf.

***

Ein kühler Luftzug strich um seine Nase. Er lag auf einem ihm fremden Sofa und brauchte einen Moment, um sich die Ereignisse des letzten Abends in Erinnerung zu rufen. Statt Charly hatte es sich ein glänzend schwarzer Kater an seiner Seite bequem gemacht. „Du bist dann wohl Amadeus“, sprach er das Tier an und bot ihm einen Zeigefinger zum Schnuppern. Schnurrend rieb Amadeus den Kopf an seiner Hand, forderte mit ekstatischem Genuss mehr Zuwendung. Schmunzelnd gewährte er sie. „Auch wenn ich lieber dein Frauchen kraulen würde“, vertraute er ihm leise an und sah sich nach ihr um. Die Wohnung jedoch schien leer.

Die Terrassentür stand offen, die bodenlangen Vorhänge bewegten sich sanft im Luftzug. Sehr zum Missfallen des Katers erhob er sich und trat in den kühlen Morgen hinaus. Tau glitzerte auf dem Gras.

Auf dem Gartentisch stand eine dampfende Tasse, der verheißungsvoller Duft nach Kaffee entströmte. Im Vorbeigehen nahm er sie mit und ging zur Koppel hinunter, auf der Charly einhändig den großen Braunen putzte. Der brummelte ihm freundlich entgegen und sie unterbrach ihre Arbeit. „Guten Morgen. Gut geschlafen?“, begrüßte sie ihn.

„Bestens“, erwiderte er. „Nur etwas einsam aufgewacht.“

Sie schmunzelte. „Ich bin zu zappelig, um lange im Bett zu bleiben, wenn ich wach bin“, erklärte sie. „Ich wollte dich nicht wecken. Napoleon und die anderen warten auf mich.“

„Napoleon?“, fragte er zurück.

Sie deutete auf den Braunen neben sich.

„Netter Zufall. Mein Hund heißt auch so.“

Sie schwiegen sich eine Weile unbehaglich an, dann hielt er die Kaffeetasse in die Höhe.

„Trink du. Solange er noch heiß ist. Ich putze ihn eben fertig“, winkte sie ab.

Er ging auf die Terrasse zurück und beobachtete sie aus der Ferne. Es dauerte etwa zehn Minuten, bis sie sich durch den Koppelzaun duckte und ebenfalls zur Terrasse kam. Er folgte ihr ins Haus.

„Frühstück?“, bot sie an.

Bedauernd schüttelte er den Kopf. „Ich muss zur Arbeit.“

„Wie du willst“, akzeptierte sie ungerührt.

‚Ich werde nicht schlau aus ihr’, dachte er. Sie nicht aus den Augen lassend zog er seine Motorradjacke an. „Dann sehen wir uns Montag“, stellte er fest, sorgsam darauf bedacht, es nicht als Frage erscheinen zu lassen.

Sie hielt ihm die Haustür auf und lächelte. „Ich freu mich drauf.“

„Pass auf dich auf, ja?“

„Mach ich“, versprach sie.

Im Losfahren sah er, wie sie ihm eine Kusshand zuwarf.

Objekt der Begierde – Rosenstolz

Charly stand im Hotelzimmer und erwog die Risiken, zweihundert Meter ohne Helm bis zum Parkplatz zu fahren versus extra wegen des Helmes noch einmal ins Zimmer zurückkehren zu müssen. Sie entschied sich für die erste Variante und war danach gerade auf dem Weg zur Peter-und-Paul-Kirche, als sie hinter sich das charakteristische Röhren eines Porsche vernahm. PS-vernarrt, wie sie war, drehte sie sich um und erkannte Fahrzeug und Fahrer sofort. Er bog gerade auf den Hotelparkplatz ein.

„Was macht der hier?“ Erschrocken über ihren lauten Ausruf schlug sie die Hand vor den Mund. Ihr Herzschlag beschleunigte sich und sie sah sich um. Niemand war in der Nähe. Kurz darauf kam der Mann auf sie zu.

‚Ruhig bleiben, er kennt mich nicht. Für ihn bin ich irgendeine junge Frau. Also bleibe ich stehen und schau, was er macht.’ Sie wandte sich eilig zum Gemäuer des Nikolaiturmes um und tat, als studiere sie die daran befindliche Infotafel. Er grüßte, sie grüßte beiläufig zurück. Dann folgte sie ihm mit dem Blick und einem kleinen, aufgeregten Triumphgefühl im Magen. ‚Er hat gegrüßt!’

Als ihr die Peter-und-Paul-Kirche ins Auge fiel, beeilte sie sich, ihm zu folgen. Er bog zum Hotel ab, sie überholte ihn und schlüpfte durchs Kirchenportal. Gerade noch rechtzeitig zum Beginn des Orgelkonzertes.

Als sie anschließend die Kirche verließ und die Neißebrücke ansteuerte, bemerkte sie, dass er ebenfalls aus der Kirche trat und ihr langsam in einigem Abstand folgte. Unauffällig sah sie zurück. ‚Macht er das absichtlich?’

‚Charly, er ist Architekt’, sagte sie sich, die Hand auf dem Geländer und den Blick auf das beruhigend gleichmäßig fließende Wasser gerichtet. ‚Er schaut sich vermutlich die Stadt an.’ Sie grübelte noch einige Minuten, dann nahm sie sich zusammen. ‚Ich vergesse jetzt, dass es Männer gibt, und genieße es, endlich wieder hier zu sein.’

Tief atmete sie ein. Auf dem Berg thronte die Kirche und sie spürte das vertraute Glücksgefühl. ‚Wieder hier’, dachte sie mit tiefer Dankbarkeit. Sie hielt sich nicht mehr lange auf der Brücke auf, sondern kehrte auf die deutsche Seite zurück. Ursprünglich war ihr Plan gewesen, über die Ochsenbastei zurückzugehen, aber sie hatte Hunger, also kürzte sie ab und steuerte den Untermarkt an. Wenigstens zum Flüsterbogen wollte sie.

***

„Ich fühle mich verfolgt!“

„Von wem?“ Instinktiv trat Gereon schützend vor die junge Frau und spähte ins Halbdunkel des Torbogens, aus dem sie herausgetreten war.

„Von Ihnen!“ Die Hände in die Seiten gestützt und den Kopf forschend schräg gelegt, sah sie ihn an. Etwas schwang in ihrer Stimme mit.

‚Distanz?’

‚Herausforderung?’

‚Oder … Flirt?’

„Oh …“, ertappt fuhr er sich durch die Haare und fügte ein verspätetes „Das tut mir leid“ an.

Sie musterte ihn scharf von oben bis unten, lächelte dann und antwortete leichthin: „Ok.“

Fasziniert beobachtete er, wie sich ihre Lippen um das kleine Wörtchen kräuselten.

***

Charly amüsierte sich. Er war ihr durch die halbe Altstadt gefolgt und konnte jetzt den Blick nicht von ihr wenden. Sie wollte ihn nicht auslachen und ihn auch nicht verletzen, doch die Situation war zu schön, um sie nicht zu genießen. ‚Er sieht aber auch gut aus.’

Die bisherigen kurzen Begegnungen hatten nicht zuviel versprochen. Durchtrainiert, mit schmalen Hüften und breiten Schultern, trotzdem kein Muskelprotz, sondern eher schlank. Die Ärmel des T-Shirts umspannten den Bizeps und unter dem Shirt konnte sie das Sixpack erahnen. Und er war deutlich größer als sie. ‚Genau, wie ich es mag.’

Sie wies auf den Torbogen. „Wissen Sie, was das ist?“

***

Gereon lächelte. ‚Wer, wenn nicht ich?’, dachte er und antwortete: „Ein Flüsterbogen. Die Biegung überträgt die Schallwellen so, dass Sie Worte, die an einem Ende geflüstert werden, am anderen Ende deutlich verstehen.“

Sie lachte. „So steht es im Reiseführer. Aber nachprüfen konnte ich es noch nie.“

Endlich hatten seine Synapsen wieder Kontakt gefunden und arbeiteten präzise. ‚Aha, nicht von hier, aber schon mehrmals hier gewesen – und offenbar immer allein’, speicherten seine grauen Zellen in Windeseile ab. „Möchten Sie es ausprobieren?“

Ihre Augen funkelten kurz auf. “Gerne!“ Sie kletterte auf den Prellstein und lauschte erwartungsvoll.

Schmunzelnd stieg Gereon seinerseits auf den anderen. „Sie haben wunderschöne Augen.“ Er lauschte dem Schweigen am anderen Ende, dann klang ein leises „Danke“ zurück.

***

Befangen sprang Charly vom Prellstein herunter. Es war nicht das erste Mal, dass sie vor dem Flüsterbogen stand und es bedauerte, dass eine zweite Person für den Flüstertest fehlte. Sie hatte eine Belanglosigkeit erwartet, kein Kompliment.

Ihr Magen enthob sie der Gedanken über den weiteren Verlauf, indem er laut und vernehmlich knurrte.

„Hunger?“, drang seine Stimme an ihr Ohr und sie sah zu ihm auf. Seine Augen waren grün, ihr Ausdruck unergründlich.

„Ja“, antwortete sie. „Ich gehe zurück zum Hotel. Vielen Dank für … das Experiment.“ Sie nickte in Richtung Flüsterbogen.

„Gerne.“

***

‚Verdammt, ich bin zu früh, zu direkt gewesen. Das Kompliment hat sie irritiert. Kein Mädel, das sich von schönen Worten blenden und um den Finger wickeln lässt’, schalt er sich innerlich. „Wo ist Ihr Hotel?“, fragte er schnell, ehe sie sich abwenden konnte.

Ihr Blick, eben nur irritiert und nachdenklich, wurde schlagartig misstrauisch.

„Nicht, dass Sie sich wieder von mir verfolgt fühlen“, erlaubte er sich einen leichten, flirtigen Tonfall. Erleichtert sah er, wie sie sich entspannte und lächelte. Irgendwie sogar schelmisch.

„Neben der Kirche, ein paar Schritte die Straße rauf.“ Sie wies in die entsprechende Richtung.

„Da übernachte ich auch.“ Er konnte es kaum glauben. ‚Sie wohnt im selben Hotel?’

***

Charly musste sich zusammenreißen, um nicht zu lachen; das übermütige Grinsen konnte sie sich allerdings nicht verkneifen. Womit sie ihn noch mehr verwirrte. „Dann begleiten Sie mich doch. So bin ich vor jeglicher Verfolgung sicher.“

‚Und ich weiß, dass er Interesse an mir hat’, frohlockte sie.

Schweigend gingen sie nebeneinander den schmalen Gehsteig entlang. Verstohlen warf sie ihm ab und zu einen Blick zu. ‚Eigentlich wollte ich noch irgendwo essen. Ob ich ihn fragen soll?’

Da waren sie auch schon am Hotel angekommen, er hielt ihr die Tür auf und ließ sie eintreten. Sie fischte ihren Zimmerschlüssel aus der Jeans und ging zur Treppe.

***

Auf der zweiten Stufe drehte sie sich um.

„Darf ich Sie zum Essen einladen?“, setzte Gereon alles auf eine Karte und wies zum hoteleigenen Restaurant.

„Das wollte ich Sie auch gerade fragen“, antwortete sie trocken.

Er lachte. „Dann sind wir uns ja einig.“

Sie lächelte. „Ich ziehe mich nur eben um. Bin in zehn Minuten wieder hier.“

„Viertelstunde!“, rief er ihr nach und schritt seinerseits durch den Gewölbegang, um die hintere Treppe zu seinem Zimmer zu nehmen. Berlin war erfolgreich gewesen, die Fahrt entspannt und jetzt hatte ihm der Zufall sogar noch eine Verabredung beschert. ‚Nun gut, ich habe nachgeholfen.’

Trotzdem. Der Abend ließ sich gut an.

***

Knapp fünfzehn Minuten später stand er wieder am Fuß der Treppe, geduscht und das T-Shirt gegen ein Hemd getauscht. Er lauschte nach oben, alles still. ‚Dann schaue ich derweil auf die Speisekarte.’

Das Klappern von Absätzen auf den obersten Treppenstufen schreckte ihn aus seinem Lesestoff, der ihm den Mund wässrig gemacht hatte. Er blickte hoch und fühlte seine Kinnlade nach unten klappen. Mit etwas Mühe machte er den Mund zu und starrte wie hypnotisiert auf das Wesen, das, eine Hand leicht auf dem Geländer liegend, die Treppe herabstieg. In Jeans, Turnschuhen und der locker sitzenden Hemdbluse war sie attraktiv, jetzt … ‚Eine Göttin!’

Rote High Heels – ‚das sind mindestens zehn Zentimeter’ – dazu ein schulterfreies Sommerkleid, der obere Teil weiß, ab der Taille einzelne Blüten, der Rock eine prächtige bunte Sommerwiese. ‚Züchtig bis zu den Knien.’ Eine schöne Oberweite, die Taille so schmal, dass er meinte, sie mit beiden Händen umfassen zu können. ‚Ich werde es früher oder später ausprobieren’, versprach er sich selbst. ‚Lieber früher denn später. Tolle Beine’, schloss er seine Inventur ab. In seinem Kopf überschlugen sich Bilder, die nichts an Eindeutigkeit vermissen ließen. ‚Langsam’, ermahnte er sich.

Auf der untersten Stufe blieb sie stehen, fast Aug in Auge mit ihm. Er musste sogar etwas zu ihr aufsehen. ‚Komplett ungewohnt.’

„Wow!“, war das Einzige, was ihm einfiel, und er versuchte auch gar nicht, die Atemlosigkeit aus seiner Stimme herauszuhalten. „Sehr …“

Er hatte ‚sexy‘ sagen wollen, als ihm einfiel, dass sie sich kaum kannten, sich siezten und er noch nicht einmal ihren Namen wusste.

***

“Sexy?“, vervollständigte Charly nach einer kleinen Pause seinen angefangenen Satz.

Er hatte nicht gewagt, es auszusprechen, aber sie konnte es nicht lassen. Mochte er denken, dass sie leicht zu haben war. Sie würde ihm das Gegenteil beweisen.

Er schluckte. Nickte.

„Schön, dass es Ihnen gefällt. Ich habe nicht oft Gelegenheit, es auszuführen.“

Er hielt ihr die Tür zum Restaurant auf.

Sie wählte einen ruhigen Ecktisch und glitt auf die Bank.

Er nahm ihr gegenüber Platz.

Die Bedienung brachte ihnen die Karten und fragte auch gleich, wie die Rechnung ausgestellt werden solle. Ihre Antworten fielen gleichzeitig – und konträr.

„Ich weiß die Geste zu schätzen und freue mich über Ihre Gesellschaft,“, erklärte sie charmant lächelnd an ihn gewandt, „aber mein Essen bezahle ich selbst. - Getrennt“, bekräftigte sie bestimmt in Richtung der Bedienung und vertiefte sich in ihre Speisekarte.

***

Er musterte sie über den Rand der seinigen hinweg und wusste nicht, ob er sich ärgern oder amüsieren sollte. Er mochte selbstbewusste und unabhängige Frauen, die ihm auf Augenhöhe begegneten, aber er verwöhnte gern, und ein etwas altmodisches Rollenverständnis konnte er nicht leugnen. ‚Dazu gehört, dass ich im Restaurant die Rechnung übernehme.’

Da klappte sie die Karte zu, nahezu gleichzeitig stand die Bedienung neben ihm und sie sah ihn fragend an. Er nickte.

„Den kleinen Salat und ein Wasser, bitte.“

‚Typisch’, seufzte er innerlich. Er spürte seine Begeisterung in sich zusammensacken wie einen undichten Luftballon.

Sie sprach bereits weiter. „… Angus Rib Eye Steak, englisch …“

‚Ich habe mich verhört! Rib Eye? Englisch?’

Sie war noch nicht fertig. „… und die Crème brûlée. Bitte.“

‚Was?’ Er staunte sie an.

Sie klappte die Karte zu, nahm die Weinkarte und bestellte ein Glas des gleichen Rotweins, den er im Visier hatte.

„Gern. – Für Sie?“, fragte ihn die Bedienung.

***

„Was führt Sie nach Görlitz?“, fragte er, als seine Bestellung aufgegeben war. Dreist hatte er den Wein auf eine Flasche aufgerundet, die seiner Rechnung zuzufügen sei. Was sie kommentarlos akzeptierte. ‚Interessant.’

„Das Notwendige mit dem Angenehmen verbinden“, antwortete sie kryptisch, legte abwägend den Kopf schräg und fragte ihrerseits: „Kennen Sie ‚Mein Haus, mein Auto, meine Yacht’?“

„Wenn Sie auf die Fernsehwerbung anspielen, ja, auch wenn ich nicht weiß, wofür.“ ‚Worauf will sie hinaus?’, fragte er sich.

„Das weiß ich auch nicht mehr“, gab sie zu. „Es ist ein Spiel, das wir in unserer Clique spielen, wenn wir neue Leute kennenlernen. Ist lustiger, als sich auszufragen.“

„Sie gehen also davon aus, dass ich Sie ausfragen werde?“

„Sie haben schon angefangen!“, lachte sie ihn an.

‚Ertappt. Schon wieder’, dachte er unbehaglich. „Wenn es ein Spiel ist, gibt es Spielregeln?“, konzentrierte er sich auf sie.

Es gab nur zwei Bedingungen. Die Antwort musste der Wahrheit entsprechen. Ansonsten konnte sie als Foto, Schlagwort oder allgemeinverständliche Geste, hier hatte er sie noch intensiver beobachtet als sowieso schon, erfolgen. Das Thema wurde wechselseitig vorgegeben, aber es mussten beide ein Statement abgeben.

„Dann fangen Sie an“, forderte er sie auf.

„Mein Haus“, antwortete sie prompt.

Das Bild, das sie ihm auf ihrem Smartphone entgegenhielt, ließ keine Aussage über ihren Herkunftsort zu.

‚Ländlich, aber nichts, das ich regionaltypisch zuordnen kann. Marke, Modell und Zustand des Telefons sind da schon aufschlussreicher. Aktuell, gepflegt und – teuer.’

Sie betrachtete das Foto seines Hauses aufmerksam und stellte einige Fragen.

Dann war es an ihm. Er wählte statt des naheliegenden Autos Motorrad. Zum einen wollte er mit dem Porsche nicht mehr angeben als nötig, zum anderen interessierte ihn ihre Reaktion aufs Motorradfahren. Sein Foto zeigte hauptsächlich den Hinterreifen, nach einem Wochenende auf dem Nürburgring.

Ein unergründliches Lächeln umspielte ihre Mundwinkel und kräuselte ihre Lippen. „Sieht so aus, als sei ein neuer Reifen fällig.“

„Schon drauf“, antwortete er, lehnte sich zurück und versuchte, ihre Antwort einzuschätzen. ‚Sie kennt sich offenbar aus, gut genug jedenfalls, um einen abgefahrenen Reifen zu erkennen.’

Sie deutete ein Daumen hoch an und schien unschlüssig zu sein. „Wo war das?“, fragte sie.

‚Täuscht mein Eindruck, oder will sie von sich ablenken, Zeit gewinnen?’, überlegte er.

Sie nickte leicht abwesend zu seiner Antwort.

‚Als ob sie damit gerechnet hätte. Nun gut, so viele Rennstrecken gibt es in Deutschland nicht.’

Ihre Finger tippten auf dem Touchscreen. Dann sah sie ihm in die Augen und reichte ihm das Telefon. Das Bild zeigte eine kleine Enduro im Gelände, starrend vor Dreck, der Helm auf dem rechten Spiegel, der linke hing in unnatürlichem Winkel herunter, sie stand auf den Fußrasten und grinste breit in die Kamera. Da sie genauso dreckig war wie das Motorrad, musste sie es selber gefahren haben.

„Sieht so aus, als habe es Spaß gemacht.“

„Hat es“, gab sie knapp zurück. „Jedenfalls bis etwa zwei Sekunden nach dem Foto“, ergänzte sie mit einem eigenartigen Zug um die Mundwinkel. Halb lächelnd, halb ärgerlich.

„Wieso?“, erlaubte er sich ein halbes Schmunzeln.

„Dann bin ich mit dem Ding umgekippt.“ Widerwillig lächelte auch sie.

„Ich hätte Sie gern aufgehoben.“ Er sah ihr in die Augen, bis sie den Blick senkte. ‚Errötet sie? Es ist im gedämpften Licht nicht auszumachen.’

„Zweifellos“, antwortete sie mit einem frechen Zug um die Mundwinkel.

‚Wie schafft sie es, so cool zu bleiben?’, bewunderte er sie. „Fahren Sie öfter?“

„Wenn es sich anbietet“, wich sie aus.

‚Das Motorradfahren scheint ein heikles Thema zu sein.’ Er beschloss, es vorerst nicht weiter zu verfolgen.

„Mein Pferd“, fügte sie an und hielt ihm ein neues Bild hin. Es war ein winziges Pony, das frech unter einem Wust Schopfhaare in die Kamera blickte. Unwillkürlich musste er lachen. „Der Hund meines Kumpels ist größer.“

„Keine Kunst. Freddy hat grade mal zweiundsiebzig Zentimeter Stockmaß.“

„Was machen Sie mit ihm? Mit ins Bett nehmen?“ Er hob anzüglich grinsend eine Augenbraue.

„Der Job ist vergeben.“ Sie lächelte unschuldig zurück.

‚Wie soll ich das verstehen? Vor allem, drauf antworten?’, überlegte er.

Sie ließ ihn nicht aus den Augen, offenbar gespannt auf seine Reaktion.

„Oh, und an wen, sofern ich fragen darf?“

„Sie dürfen.“ Sie lachte jetzt richtig. Nahm ihm das Handy ab und hielt es ihm gleich darauf mit einem neuen Foto entgegen. Eine schwarze Katze mit riesigen grünen Augen. Er hob seinen Blick zu den ihren. ‚Blau.’

Sie hatte sich vorgebeugt, jetzt lehnte sie sich zurück und ihre Augen wurden im schummerigen Licht wieder dunkler und unbestimmbarer.

„Meine Wärmflasche. Amadeus“, erklärte sie. „Sie sind dran.“

„Ich fürchte, ich muss passen. Ich habe weder Pferd noch Katze. Auch keine Wärmflasche.“ Er ließ seine Stimme ein paar Töne tiefer wandern. „Auch sonst niemanden zum Wärmen.“

Die Härchen auf ihren Armen hoben sich, beobachtete er mit Genugtuung. Aber sie hatte sich gut im Griff; ihre Antwort war leicht, unbeschwert, wenn auch flirtig. „Was nicht ist, kann noch werden.“

‚Oha, ist das ein Angebot?’ Die Ankunft der Bedienung enthob ihn einer sofortigen Reaktion. Die Atempause war bitter nötig. Das Mädel verwirrte ihn schneller, als er es je von einer Frau für möglich gehalten hätte.

***

Die Vorspeise wurde serviert. Charly atmete langsam aus.

‚Ruhig!’, ermahnte sie sich. ‚Übertreibe es nicht.’ Sie konzentrierte sich auf ihr Essen, warf ihm nur gelegentlich einen verstohlenen Blick zu. Ihre Gedanken rasten.

‚Was ist ein unverfängliches Thema? Bei diesem Tempo werde ich morgen allen guten Vorsätzen zum Trotz im falschen Zimmer aufwachen.’

‚Ich habe einen leichten Vorteil’, überlegte sie. ‚Immerhin weiß ich, wer er ist. Er dagegen bringt mich sehr wahrscheinlich nicht mit der Motorradfahrerin von der Ampel vor einigen Wochen in Verbindung. Auf meine Kollegen ist Verlass; die haben nichts verraten, obwohl er sich zum Richtfest nach meinem Bus erkundigt hat, wie Sepp berichtete. Ob er den Bogen dahin schlägt, wenn ich meinen Beruf offenbare?’

„Womit verdienen Sie Ihre Brötchen?“, fragte sie unvermittelt.

***

Er konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. ‚Sie will beeindrucken. Und nicht viel preisgeben. Was mich betrifft, so hat sie diese Ziele bisher übertroffen. Ihre Antworten haben mehr Rätsel aufgeworfen, als sie gelöst haben. Ihre letzte Frage allerdings verrät mir mehr, als ihr vermutlich lieb ist. Sie ist also doch nicht so cool, wie sie vorgibt.’ Er schob ihr sein Handy hin. „Mein Schreibtisch.“

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Дата выхода на Литрес:
26 мая 2021
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