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Who’s That Girl? – Eurythmics

Christian schwang sich aufs Fahrrad und pfiff Napoleon zu sich. Begeistert stob dieser von seinem Schattenplatz auf ihn zu und sprang schwanzwedelnd um ihn herum. Er nahm den Wirtschaftsweg, der am Waldrand zum Nachbardorf hinüberführte. Den ganzen Nachmittag über hatte er gegrübelt, aber trotzdem keine Idee, wo sie ‚hingehörte‘. Vielleicht konnte Peter ihm weiterhelfen.

Nur schien der nicht zu Hause zu sein, obwohl sein kleiner roter Golf in der Einfahrt stand. ‚Oder hört er die Klingel nicht, weil er im Garten zugange ist?’

Kurz entschlossen umrundete Christian die Hausecke und fand sich unversehens vor breitem, weißem Weidedraht wieder. Dahinter hatte sich ein großer Schimmel in unmissverständlich drohender Haltung aufgebaut. Naja, Kopf und Beine des Tieres waren eher gräulich-schwarz. Außen am Draht entlang führte eine Trampelspur im Gras zu einem neuen kleinen Tor in der Feldsteinmauer, durch das soeben Peter hereinkam.

„Grüß dich, Christian, was verschafft mir die Ehre?“

Bevor er antworten konnte, tauchte im Nachbargarten ein löwengelber zottiger Schäferhund auf, schlüpfte durch das neue Törchen und setzte sich abwartend neben die Pferdekoppel. Napoleon kannte keine solche Zurückhaltung und rannte auf den fremden Hund zu, der sich zu Christians Erleichterung sofort demütig auf den Rücken fallen ließ, dann Napoleons Aufforderung zum Spiel Folge leistete und mit ihm durch Peters Garten tobte. Nur wenn sie der Pferdekoppel nahe kamen, änderte sich die Haltung des Fremden zu argwöhnischer Wachsamkeit.

Das Zwischenspiel mit den Hunden hatte ihn abgelenkt.

„Eigentlich nur eine Frage …“

„Schieß los!“ Peter winkte ihm zu folgen, trat ins Haus und reichte ihm aus der Vorratskammer einen nach frischem Holzrauch duftenden Schinken und eine Salami, während er seiner Beschreibung lauschte.

„Du hoffst, dass ich dir sagen kann, wo sie wohnt?“

Etwas ratlos und verwirrt ob Peters augenscheinlichem Amüsement rieb Christian sich übers Kinn. „Das war mein Gedanke.“

„Und dann?“ Peter nahm ihm die Lebensmittel ab und trat aus dem Haus.

‚Ja, was dann? Bei ihr klingeln? Versuchen, sie abzupassen? Bin ich für solche Spielchen nicht langsam zu alt?’ Diesmal rieb er sich den Nacken, merkte es und schob die Hände in die Hosentaschen. „So weit war ich noch nicht.“

„Aha. – Komm mal mit.“

Gehorsam folgte er Peter in den Nachbargarten. Er sah sich nach den Hunden um und pfiff Napoleon zu sich; der fremde Hund folgte, hielt aber Abstand zu ihm. Derweil hatte Peter den lila blühenden Fliederbusch umrundet und sprach mit jemandem. Er beeilte sich und betrat die Terrasse in dem Augenblick, als sie, ‚Charly’, erinnerte er sich, mit Tellern, Besteck und Rotweingläsern aus der Tür trat. Sie schien überrascht, ihn zu sehen, fing sich aber sofort und grinste ihn an.

„Du hast mich ja schnell gefunden!“

„Ah, ihr kennt euch schon?“ Peter schaute erstaunt von ihr zu ihm. „Auch gut. Dann können wir uns die Formalitäten sparen und gleich essen.“

„Du kannst mich doch nicht bei ihr einladen!“, protestierte er.

„Kann er schon. Genau genommen ist es sein Essen, ich stelle nur die Lokalität. Wenn es dich beruhigt, ich würde mich freuen, wenn du bleibst.“ Sie beschäftigte sich scheinbar beiläufig damit, den Korkenzieher in den Korken einer Weinflasche zu drehen.

Let Me Help – Billy Swan

„Dann bleibe ich gerne.“ Seine Stimme war tief und warm wie seine Hand, die ihre streifte, als er ihr die Flasche aus der Hand nahm und den Korken herauszog. Sie verfolgte es amüsiert, und als er ihr die Flasche zurückreichte, fragte sie in leichtem Tonfall: „Woran liegt es, dass Männer meinen, eine Frau könne keinen Korken aus der Flasche ziehen?“

„Was andere Männer betrifft: keine Ahnung. Ich will meine gute Erziehung zur Schau stellen“, konterte er.

Sie lachte.

Während des Essens herrschte zunächst hungrige Stille. Dann deutete Peter mit der Gabel in Richtung ihrer Notizen. „Magst du Christian deine Unterstandsüberlegungen zeigen? Er ist Ingenieur und hat vielleicht noch die eine oder andere Idee dazu.“

Ohne zu zögern schob sie ihm ein Blatt zu. Er überflog es und stellte noch einige Fragen. „Bis wann brauchst du das?“

„Ich wollte den Unterstand kommende Woche bauen.“

„Hm. Was dagegen, wenn ich mir deine Notizen abschreibe und in Ruhe darüber nachdenke?“

Sie schüttelte den Kopf und reichte ihm Block und Stift. In seine Aufzeichnungen vertieft fragte er angelegentlich: „Gibt’s sonst noch was, wo ich dir behilflich sein könnte?“

Charly bedachte ihn mit einem verkniffenen Blick. „Ich bin lädiert, nicht invalid“, antwortete sie; den Rest des Gedankens, ‚Ich komm sehr gut alleine klar, mein Freund!’, schluckte sie mühsam hinunter.

„Seit wann bist du denn so widerborstig?“, staunte Peter.

„Bin ich das?“, schoss Charly zurück.

Peter hob nur vielsagend die Augenbrauen.

Seufzend schob sie noch ein Blatt über den Tisch. „Meine To-Do-Liste, nicht spannend und kein Geheimnis.“

***

Nachdem Christian die Zeilen überflogen hatte, war er da ganz anderer Meinung. Trotzdem, sie hatte ihm die Liste nicht freiwillig überlassen.

‚Will sie keine Hilfe? Oder will sie nur keine Hilfe von mir?’ Er ließ den Zettel auf den Tisch sinken und überlegte, wie er gleichzeitig mehr über sie und die interessanten Punkte der Liste erfahren konnte, inklusive eines baldigen Wiedersehens natürlich, ohne sie stärker in die Verteidigung zu drängen.

Peter kam ihm zuvor und fragte Charly nach ihrem Vater.

‚Auch gut’, dachte Christian, lehnte sich zurück und überließ die beiden ihrem Gespräch. Er beobachtete sie und ließ die Umgebung und die Stimmung auf sich wirken. ‚Der Wein ist wirklich gut.’

Die Hunde hatten sich ausgetobt und zu ihnen zurückgefunden. Napoleon lag zu seinen Füßen, der andere demonstrativ zwischen ihm und Charly. Ab und an banden Charly und Peter ihn, Christian, in ihr Gespräch ein, meist mit einer kurzen Erklärung, damit er ihnen weiterhin folgen konnte. Er erkannte es als Angebot, und als sie zu allgemeinen Themen wechselten, beteiligte er sich häufiger am Gespräch. ‚Es scheint sie nicht zu stören.’

***

‚Schade, jetzt hat er es bemerkt’, dachte Charly, als Christians Augen auf ihre Frage hin schmal wurden und seine Antwort überlegter ausfiel als die vorherigen. Sie hob die Weinflasche an, die zweite bereits, um nachzuschenken, stellte fest, dass sie leer war und hielt sie fragenden Blickes in die Höhe.

Peter schüttelte ablehnend den Kopf. „Reicht für heute. Sag mir noch, wann ich im Anzug erscheinen soll, dann lassen wir dich in Frieden.“

„Was willst du denn im Anzug bei mir?“, fragte sie vollkommen perplex.

„Na, zur Taufe unseres Nachwuchses will ich vernünftig aussehen, oder hast du dir noch keine Namen überlegt?“

„Habe ich nicht. Steht ganz oben auf der Liste.“ Charly nickte zu dem vergessen auf dem Tisch liegenden Zettel hin. „Ich mache darum kein großes Trara.“

„Was? Keine zelebrierte Taufzeremonie?“ Peter hob gespielt entrüstet die Hände.

„Soll ich ihnen ein Glas Sekt über den Kopf schütten oder gar die Flasche an die Hinterhand knallen?“

Die Männer lachten.

„Schade um den guten Alkohol“, schüttelte Peter den Kopf.

„Ich stelle mich als Taufpate zur Verfügung, wenn ich den Sekt trinken darf“, ergänzte Christian kichernd.

Entnervt betrachtete Charly die beiden Männer auf ihrer Terrasse, die sich gar nicht wieder beruhigen wollten. Sie verdrehte die Augen, machte eine eindeutige Wedelbewegung mit der Hand vor ihrem Gesicht und entschloss sich dann, die immer noch glucksenden Herren zu ignorieren. Stattdessen fasste sie den ersten Punkt ihrer To-Do-Liste ins Auge. „Zur Taufe braucht man Namen. Mein Dad hat mich auf die griechische Mythologie verwiesen. Wobei ich teilweise auch schon so weit war.“

Das Stichwort griechische Mythologie brachte die Männer abrupt zur Ruhe.

„Fürchte, da kann ich dir nicht weiterhelfen“, enthob sich Christian. „Es sei denn mit Recherche.“ Er deutete auf sein Handy.

„Hast du schon Vorstellungen?“, fragte Peter, die Stirn in konzentrierte Runzeln gelegt.

Charly schmunzelte. Peter konnte man direkt ansehen, wie sich die Gedankenmaschinerie in Gang setzte. „Also, für den Hengst dachte ich an ,Phoenix’.“

„Passt. Ist sogar noch angekokelt an den Ecken“, antwortete Christian trocken.

‚Von wegen nicht weiterhelfen können’, dachte Charly, schnaubte und warf ihm einen herausfordernden Blick zu. Sie ignorierte ihn dann aber und blickte sinnend ins Dunkel von Peters Garten, in dem sich schemenhaft die Pferde vor dem Schwarz der Bäume abhoben. Lau strich ein sanfter Wind durch den Fliederbusch und ließ dessen Blätter leise rascheln. Eine Welle süßen Duftes überrollte sie. „Für die Mutterstute hätte ich gern eine Göttin. Nichts Jugendliches oder Schönes wie Diana oder Aphrodite. Gibt’s eine Göttin des Alters?“

„Wie gefällt dir ‚Athene’?“, fragte Peter nach einigem Überlegen.

Christian tippte den Namen in sein Smartphone. „Die Dame war für einiges zuständig“, meinte er kurz darauf. „Unter anderem Göttin der Weisheit. Würde doch passen.“

„Gefällt mir“, befand Charly. Von weitem schlug die Kirchturmuhr und sie wartete, bis der letzte Ton verklungen war. „Bleiben der Hund und das Fohlen. Bei Letzterem denke ich immer an ‚Puck’.“

„Wenn es dir gefällt, dann belass es doch dabei.“

„Und wenn er erwachsen ist und es passt nicht mehr?“

„Es wird passen. Ansonsten deklarierst du es einfach als Abkürzung für irgendeinen hochoffiziellen Namen. Der mir jetzt aber grad nicht einfällt“, gähnte Christian.

„Fürst Pückler zum Beispiel“, warf Peter ein.

„Raffinierte Idee“, stimmte Charly lachend zu. „Also ‚Puck’. Für den Hund schwanke ich zwischen ‚Castor’ und ‚Pollux’, weil er so auf den Hengst aufpasst.“

Christian tippte, überflog den Text und fasste die Informationen kurz zusammen. Sie hörte mit leicht geneigtem Kopf konzentriert zu.

„Pollux. Passt besser“, entschied sie.

„Sehe ich auch so“, bestätigte Christian und Peter nickte.

„Punkt erledigt.“ Christian beugte sich zu Peter, zog ihm den Kugelschreiber aus der Brusttasche und strich den ersten Eintrag auf der Liste durch. Er hielt das Blatt ins funzelige Licht der Öllampe auf dem Tisch und las den nächsten Eintrag vor. „Ich stelle mich als Helfer zur Verfügung.“ Er sah sie an.

‚Hartnäckig ist er, das muss ich ihm lassen’, dachte sie. Aber der Wein hatte sie auch milde gestimmt. Sie lächelte. „Danke. Lieb gemeint. Leider hat der Hengst was gegen Männer. Jüngere Männer“, korrigierte sie. „Von Peter nimmt er Leckerli, aber mehr auch nicht. Das mache ich mit Beatrix zusammen.“ Sie nahm ihm das Blatt aus der Hand, warf einen Blick darauf und seufzte dann. „Ich werde die Liste diese Woche auf Eis legen. Immerhin bin ich krankgeschrieben. Ich erledige ein paar Sachen für meinen Dad, auf dem Tablet herumtippseln sollte kein Problem sein.“

Peter begann, die Lebensmittel einzupacken. Sie stellte Teller und Besteck zusammen und trug sie durch die dunkle Wohnung in die Küche. Christian folgte ihr mit den Gläsern und den leeren Flaschen auf dem Fuße. Sie lächelte, nahm sie entgegen und bedankte sich. Schweigend gingen sie zurück auf die Terrasse und verabschiedeten sich.

Er war in Peters Kielwasser schon fast um den Fliederbusch herum verschwunden, als Charly ihn noch einmal zurückrief.

„Du kannst gern wieder vorbeischauen.“ Verdutzt starrte er sie einen Moment an. ‚Das hat er nicht erwartet’, dachte sie. „Wenn dein Hund jemanden zum Toben braucht“, setzte sie hinzu. „Gute Nacht.“ Sie drehte sich um, trat ins Haus und schloss die Terrassentür, ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen.

***

Als sie kurz darauf barfuß in ihr Schlafzimmer tappte, hatte Amadeus sich schon in ihrem Bett breit gemacht. Sie kuschelte sich zu ihm und überdachte den Abend. Es war schön gewesen. Sie fand, Christian passte gut auf ihre Terrasse. Über diesen Gedanken schmunzelnd schlief sie ein.

Money, Money, Money – ABBA

Müde und verärgert stülpte sich Christian den Helm über den Kopf und zog die Handschuhe an. Die Strahlen der tief stehenden Sonne fielen auf den Firmenparkplatz, als er sich aufs Motorrad schwang und losfuhr. Einerseits war ein Riesenberg Arbeit da und immer Not am Mann, andererseits sollte er seine Überstunden abfeiern. Nur deshalb war er gestern tagsüber zu Hause gewesen. Und heute gleich wieder zwölf Stunden. ‚So wird das nichts.’

‚Konzentriere dich’, ermahnte er sich selbst, fand langsam in seinen Rhythmus und fuhr reichlich dreißig Minuten später auf seinen Hof, gedanklich noch immer bei der Arbeit. Napoleon freute sich über seine Rückkehr, er kraulte ihn ausgiebig, trat ins Haus, rannte, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hoch, zog sich um und ging durch den Garten zum rückwärtigen Tor. Ein Pfiff schreckte ihn auf. Sein Nachbar stand auf dem Balkon und hielt eine Weinflasche in die Höhe. Er nickte, signalisierte eine halbe Stunde und trabte mit Napoleon los. Die kleine Waldrunde musste heute reichen.

***

Gereon saß in der herabsinkenden Dämmerung auf dem Balkon, als er das leise Klacken von Hundepfoten auf den Fliesen hinter sich hörte. Kurz darauf schob sich Napoleons feuchte Hundenase unter seine Hand. Jetzt tauchte auch Christian nass geschwitzt auf, zerrte sich das Funktionsshirt vom Leib, hängte es auf die Balkonbrüstung und ließ sich in den Sessel neben ihn fallen. Gereon schob ihm die Wasserflasche zu und schenkte ein zweites Glas Wein ein.

„Nur das eine, ich bleib nicht lange.“ Christian zog einen Zettel aus der Tasche und hielt ihm diesen entgegen. Es war eine Kopie einiger Notizen in Christians Handschrift.

„Ein Pferdeunterstand?“ Erstaunt sah er zu seinem Freund auf.

„Nicht für mich. Für eine Bekannte. Es geht nur um die Besonderheiten. Den Rest kriegt sie selber hin. Ist Zimmermeisterin“, erklärte der.

‚Frauen in Männerberufen’, dachte Gereon unwillig und brummte etwas Unverständliches.

„Lass uns Montag Abend darüber sprechen. Ich fahre morgen wieder nach Berlin und bleibe übers Wochenende weg.“

***

Charly saß in der Morgensonne auf der Terrasse, das Tablet auf den Knien, und suchte nach Fahrzeugteilen. Über die letzten Tage war die Liste ihres Vaters kräftig angewachsen; das untrüglichste Zeichen für schönes Wetter. Arved aktualisierte sie im Ein- bis Zwei-Tages-Rhythmus, die eiligsten Sachen ganz oben und rot markiert. Hatte sie etwas gefunden und bestellt oder wartete sie auf die Versteigerung, bekam er eine Kopie der Eingangsbestätigung und am Ende ihrer Bestellsessions die aktualisierte Liste: Grün markiert, was bestellt und ersteigert war und sich im Versand befand, blau, was noch eine Wartefrist hatte. Lieferung direkt zu ihm, Bezahlung über eins seiner Firmenkonten, das er extra zu diesem Zweck eingerichtet hatte. Über die Jahre hatten sie ihr System ausgefeilt und nur selten lief etwas schief.

Charly hatte einiges geschafft. Die roten Zeilen waren abgearbeitet, das meiste davon schon unterwegs, sogar ein paar Schnäppchen waren dabei. Nur zwei Reminder waren offen, die im Laufe des Tages fällig wurden. Sie sah auf die Uhr. Kurz vor zehn. ‚Vier Stunden, reicht für heute’, dachte sie, schickte ihrem Vater die Liste zurück und legte das Tablet zur Seite. Fast gleichzeitig hob Pollux, der ihr Gesellschaft geleistet hatte, mit aufmerksam gespitzten Ohren den Kopf und deutete mit einem halb verschluckten „Wuff“ einen Besucher an. Peter umrundete den Fliederbusch und hielt ihr einen Notizzettel entgegen.

„Bzgl. Unterstand, reicht Montag Abend? Gruß, Christian“, las sie. Darunter eine Handynummer.

With a Little Help from My Friends – Joe Cocker

Etwa zur gleichen Zeit wie am Vortag stieg Christian auf seine BMW und trat den Heimweg an. Er war enttäuscht. Auf dem Handy war keine Nachricht. Er hatte den Zettel frühmorgens in Peters Briefkasten gesteckt, weil er sie nicht wecken wollte und sich nicht sicher war, ob Pollux ihn schon zum auf dem Grundstück erwünschten Personenkreis zählte. Der Hund machte einen zu misstrauischen Eindruck. Tagsüber hatte er keine Zeit gehabt, aufs Handy zu schauen und war sich sicher gewesen, abends eine Info von ihr zu haben. ‚Habe ich ihre Neugier und ihre Blicke falsch interpretiert?’ In Gedanken versunken und langsamer als sonst fuhr er die Landstraße entlang. ‚Bei ihr klingeln?’, überlegte er, verwarf jedoch den Gedanken. ‚Sie ist dran. Ich werde erst am Montagabend bei ihr auf der Matte stehen.’

***

Es war Donnerstag, kurz vor Sonnenuntergang und Charly sauer. So selten sie Hilfe brauchte: Wenn es doch so weit war, war keiner greifbar. Sie hatte sich vom Bauern Heu und Stroh nachliefern lassen, der hatte ihr das wie immer ordentlich am Unterstand gestapelt. So weit alles paletti.

Auch die paar Säcke Pferdefutter einzukaufen war kein Akt; die Männer im Lager des Futtermittelmarktes kannten sie und hatten ihr ohne großes Aufhebens die Säcke in den Kofferraum des Transporters gehievt. Nur jetzt war keiner da, der beim Ausladen mit anpacken konnte. Peter nicht, und bei Beatrix hatte sie gerade vergeblich geschellt. Alleine mehrere Halbzentner-Säcke ums Haus zu schleppen wagte sie nicht ihrer Schulter zuzutrauen. Sie schritt Beatrix’ Einfahrt zur Straße zurück und fischte ihr Handy aus der Tasche.

‚Melli oder Sepp?’ Im Telefonbuch war noch der letzte Eintrag geöffnet. ‚Christian.’ Sie hatte morgens seine Handynummer in ihre Kontakte getippt.

Sie drückte die Ruftaste und wartete. ‚Nichts, er geht nicht ran.’ Enttäuscht ließ sie das Handy sinken. ‚Nachricht schreiben?’ Am Straßenrand blieb sie stehen und blickte unschlüssig auf ihr Telefon, als neben ihr ein Motorrad hielt. Sie sah auf und begann zu lächeln.

***

„Hi, ich hab grad versucht, dich anzurufen.“

„Ja?“ Er freute sich wie ein Schneekönig. „Was gibt’s?“

„Ich brauche Hilfe, um das Pferdefutter zum Stall zu bringen.“ Sie deutete nach gegenüber, auf einen schmalen, dunklen Tunnel aus Rhododendronbüschen.

„Kein Problem.“ Er kurvte in die Einfahrt, die leicht nach links bog und in ein Rondell mündete, in dem eine mächtige Blutbuche stand. Daneben parkte ein brauner VW-Bus.

Dahinter, etwas zurückgesetzt und ebenfalls von Rhododendren, allerdings niedrigeren, gesäumt, stand das Haus mit der Breitseite zu ihm. Flach und langgestreckt lag es in das umgebende Grün eingeduckt wie eine Katze im Gras.

Links von ihm führten die Fahrspuren weiter zu einem großen offenen Carport, der mehrere Motorräder beherbergte, und einer großen Scheune.

„So habe ich mir immer das Dornröschenschloss vorgestellt“, sagte er, als Charly zu ihm aufschloss. „Mit Türmchen allerdings“, ergänzte er.

Sie lachte. „Mein ganz persönliches Dornröschenschloss. Zwar ohne Türmchen, aber mit Pferd. Nur der Prinz fehlt.“

„Was nicht ist, kann ja noch werden“, antwortete er leichthin.

„Ach, höre ich da etwa Interesse?“, fragte sie ihn und öffnete den Kofferraum.

„Vielleicht?“, ging er auf ihren neckischen Tonfall ein.

„Gut zu wissen“, antwortete sie gleichmütig.

‚Na toll, das klingt nicht nach großer Begeisterung’, dachte er.

Sie zeigte ihm den Trampelpfad ums Haus herum zum Stall. Während er die Säcke vom Auto zum Stall trug und auf die geschlossene Seite der Futterkiste hievte, riss sie diese mit geübtem Griff auf und ließ den Inhalt hineinrinnen.

„Hast du schon was gegessen?“, fragte sie, als er mit dem letzten Sack hereinkam, ihn ablud und ihr beim Verstauen zusah.

„Nein.“

„Magst du mir Gesellschaft leisten?“

„Gerne.“ Er lächelte. ‚Ihre unkomplizierte Art gefällt mir’, dachte er. ‚Ist länger her, dass mich eine Frau zum Essen eingeladen hat. Auch wenn sie sich sonst nicht in die Karten schauen lässt.’

Gemeinsam kehrten sie zum Rondell zurück, sie ging weiter zur Scheune und schob einen der riesigen Torflügel auf. In der Dunkelheit darin waren ein zweiter, alter, bunt bemalter VW-Bus zu erkennen, daneben ein Rasentraktor und ein kleiner Schlepper. Ganz hinten in der anderen Hälfte der Scheune schimmerte etwas.

‚Das sieht aus wie … Heckflossen?’ Er blinzelte ungläubig. ‚Wie kommt sie an solch einen Wagen?’, fragte er sich erstaunt.

Sie hatte derweil den Bus geparkt.

„Du hast einen Cadillac?“

„Mein Winterprojekt“, antwortete sie sichtlich stolz. „Ich hab ihn aufgebaut. Jetzt muss ich nur noch einen gut zahlenden Käufer dafür finden.“

Langsam erholte er sich von seiner Überraschung. Ihre To-Do-Liste fiel ihm ein und es fügte sich zu einem Bild.

Er war im dämmerigen Schein der alten Lampe vorsichtig weiter ins Duster hineingetreten. Charly ging an ihm vorbei und drückte einen Schalter. Zwei moderne Werkstattleuchten tauchten die Scheune in gleißendes Licht und er kniff die Augen zusammen, bis sie sich an die plötzliche Helligkeit gewöhnt hatten. Ehrfürchtig umrundete er den Cadillac.

‚Babyrosa lackiert und chromglänzend. Weiße Lederpolster. Das Auto ist ein Traum.’ Probeweise zog er am Griff der Fahrertür. Klackend öffnete sie sich. „Darf ich?“

„Sicher“, genehmigte sie.

Er setzte sich vorsichtig, schnappte die Schnallen an den Stiefeln auf und zog die Füße heraus. In Socken tastete er nach den Pedalen. „Bist du schon damit gefahren?“

Sie stieg neben ihm ein. „Natürlich. Ich muss doch testen, ob er läuft und heute Morgen habe ich Fotos gemacht.“

Er brannte darauf, den Wagen zu fahren.

Sie lächelte. „Wenn es nächste Woche schön ist, können wir eine Runde drehen“, bot sie ihm an. „Am Wochenende bin ich nicht da.“

Mühsam riss er seine Aufmerksamkeit vom Cadillac los und wandte sich ihr zu. „Motorradtour?“

„Jein. Ich fahre zwar mit der BMW hin, aber ich muss für meine Mam zu einem Fotoshooting in Görlitz. Sie entwirft Abend- und Brautkleider“, erklärte Charly.

„Hast du noch mehr Überraschungen zu bieten? Dann zähle sie am besten auf, ich bin gleich komplett überfordert.“

‚Ungelogen’, setzte er in Gedanken hinzu.

Charly lachte. „Ich weiß ja nicht, was für dich als Überraschung gilt. Für mich ist das alles normal. Komm, hilf mir, den Caddy abzudecken, ich habe Hunger.“

„Darf ich noch kurz …“, begann er scheu.

„Unter die Haube schauen? Klar!“

860,87 ₽
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Дата выхода на Литрес:
26 мая 2021
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631 стр. 2 иллюстрации
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9783960148241
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