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Wir sehen, dass der Markt das nicht schafft, zumindest nicht auf Landes- oder Lokalebene. Wir brauchen deshalb öffentlich-rechtliche Medien auf jeder Ebene: Presse, Radio, Fernsehen, Blogs, soziale Netzwerke. Als Nutzer der sozialen Medien muss ich die Wahl haben zwischen privaten Angeboten, die meine Daten nutzen, und öffentlichrechtlichen, die meine Daten wieder löschen. Wir sprechen von einem dualen Mediensystem. Auf der einen Seite Medien mit Werbung und auf der anderen Rundfunkbeiträge. Dabei ist die Datenfrage mittlerweile mindestens genauso wichtig wie die Finanzierung. Mir schwebt deshalb ein ganz anderes duales System vor. Angebote, die von meinen Daten leben, und Angebote, die genau das nicht tun und deshalb von mir einen Beitrag bekommen.

David Goeßmann: Die Journalisten müssen die Mächtigen kontrollieren und nicht umgekehrt

David Goeßmann, Jahrgang 1969. Germanistik- und Philosophie-Studium in Berlin. 1998 Einstieg beim Deutschlandfunk, später Hauptstadtkorrespondent der DFA (Deutsche Fernsehnachrichten Agentur). 2005 bis 2007 freier Journalist in den USA, unter anderem für den ARD-Hörfunk, Spiegel Online und Die Welt. 2009 Mit-Gründer von Kontext TV. Weiterhin freier Fernsehjournalist und Buchautor.16

Ich habe ihn über das Buch Lügen die Medien? von Jens Wernicke kennengelernt, eine Interviewsammlung, die alles vereint, was in Sachen Medienkritik Rang und Namen hat.17 David Goeßmann beruft sich dort auf einen Helden des Berufsstands: auf I.F. Stone und sein »ehernes Prinzip: Reporter sollten mit der Voraussetzung an ihre Arbeit gehen, dass mächtige Institutionen lügen, und nicht damit, dass sie die Wahrheit sagen«. Man dürfe das Ideal einer freien Presse nicht mit der Wirklichkeit verwechseln, sagt Goeßmann im Gespräch mit Jens Wernicke. Wer die Medien besitzt, wer sie managt, wer den Nachrichtenstrom am Laufen hält und im Zweifel auch Menschen bezahlen kann, die kritische Journalisten beeinflussen und disziplinieren, der werde dafür sorgen, dass dort nichts Lästiges erscheint, zumal die wichtigsten Zielgruppen ja die sind, die ohnehin das Sagen haben oder das meiste Geld. »Wer die Massenmedien so einrichtet, wie sie es sind, hat kaum Interesse an Machtkontrolle und Demokratie. Die eigentliche Funktion besteht vielmehr darin, die Bürger an den Kurs der Eliten anzubinden, Vertrauen in die Mächtigen und ihre guten Absichten zu schaffen, Unangenehmes aus dem Weg zu räumen«.18 Ich habe dieses Interview zur Pflichtlektüre in einem Seminar über die NSU-Berichterstattung gemacht und David Goeßmann dann in den Hörsaal nach München eingeladen.19

Ich komme aus einem 300-Seelendorf in Westfalen. Sehr katholisch. Mein Elternhaus war religiös-liberal. Meine Mutter ist aus dem Arbeitermilieu in den Wirtschaftswunderjahren zur Grundschullehrerin aufgestiegen. Mein Vater war ursprünglich Bauer, hat sich dann aber autodidaktisch zum Bildhauer und Künstler weitergebildet. Er war gegen Kapitalismus und Wachstum. Heute würde man ihn der Degrowth-Bewegung zuordnen. Für mich ist er ein Anarchist, der sich durch das bäuerliche Umfeld seine Unabhängigkeit bewahren konnte.

Dass ich Literaturwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert habe, hängt mit einem Freund zusammen. Als Dorfjunge hätte ich mich alleine nicht in die große Stadt getraut. Berlin war die härteste Stadt und die FU eine Massenuniversität. Ich habe mehrere Jahre gebraucht, um mit dem anonymen Leben klarzukommen. Aber mich hat das auch gereizt. Im Dorf wird alles sozial kontrolliert. In der Großstadt gibt es einen enormen Freiheitsraum.

An der Universität war der Philosoph Michael Theunissen ein Mentor. Mich faszinierte, wie er philosophische Texte las. Er hat jeden Philosophen in seiner Argumentation zunächst stark gemacht. Bis ins Extrem positiv. Erst dann sollte die Kritik einsetzen. Sie sollte den Kern treffen. Diese Denkmethode hat mich fasziniert. Auch bei Nietzsche hat mich eher seine Methode geprägt. Alles hinterfragen. Später kam Walter Benjamin und dann Noam Chomsky. Auch bei ihm muss man alles bis ins Extrem hinterfragen. Nichts darf unbesehen übernommen werden.

Wissenschaft ist für mich eigentlich das Feld mit den höchsten Freiheitsgraden für kritisches Denken. Ich hatte auch ein Promotionsangebot, habe aber gesehen, wie man sich auch an der Universität anpassen muss. Ich wollte außerdem in die Öffentlichkeit. So bin ich nach dem Uni-Radio und einer Hospitanz beim Deutschlandfunk in den Journalismus geschlittert. Ich dachte, beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk kann man vernünftigen Journalismus betreiben. Ich habe Features und Hintergrundberichte für den Deutschlandfunk gemacht und für den SWR. Das war für mich die Krönung. Ich war dann auch für vier Jahre bei einer Fernsehnachrichtenagentur, als Hauptstadtkorrespondent und als CvD in Düsseldorf. Das hat Spaß gemacht, weil ich Minister interviewen konnte – auch Merkel oder Merz. Man ist dort, wo der politische Puls schlägt. Aber glücklich war ich damit nicht.

Richtig gepackt hat es mich erst in den USA. Dort habe ich einen anderen Journalismus entdeckt. Einen inspirierenden Journalismus, der mit der gleichen Energie an ein Thema herangeht wie ein Wissenschaftler an sein Untersuchungsobjekt. Am stärksten hat mich Democracy Now! von Amy Goodman beeindruckt. Ende der 1990er war das ein Zusammenschluss von kleinen, lokalen Radiostationen. Mittlerweile hat sich das zu einer gemeinnützigen Fernsehstation mit über 2000 Abnehmern entwickelt. Das Konzept ist ganz einfach: Wir schauen uns an, was in der Gesellschaft passiert, bieten eine große Bandbreite an Stimmen und kontrollieren die Mächtigen. Das machen wir auch bei Kontext TV. Wir blicken auf Bürger und ihre Initiativen und zeigen, warum sie Widerstand leisten.

Als ich aus den USA wiederkam, traf ich Fabian Scheidler, damals ›Campaigner‹ von Attac. Er hatte gerade Die Zeit plagiiert. Ein Titelblatt, das aussah wie Die Zeit, aber mit komplett anderen Inhalten und Überschriften. Eine andere Welt ist möglich. Banken verstaatlicht: Eine neue Ära beginnt. Wir brauchen einen anderen Rundfunk. Das war ein enormer Erfolg. Ich habe im Deutschlandfunk berichtet. Scheidler sagte mir, dass er schon immer eine Videoplattform gründen wollte. Daraus wurde dann Kontext TV. Unsere Grundidee war so ähnlich wie bei Democracy Now! Die sozialen Bewegungen in den Vordergrund stellen, mehr Machtkontrolle ausüben und unterbelichtete Themen auf die Agenda setzen. Klimaschutz, globaler Süden, Gerechtigkeit.

Der Gründermut kommt sicher von meinem Vater, der nie an Geld gedacht hat. Für ihn existierte Geld gar nicht. Bauern haben immer etwas zu essen. Selbst im Krieg. Er hatte das Glück, dass meine Mutter als Grundschullehrerin verdient hat. Dieses Glück habe ich auch. Ich werde querfinanziert. Meine Frau ist Verwaltungsleiterin. Ohne diesen Hintergrund hätte ich besonders in der Anfangsphase von Kontext TV vieles nicht machen können. 2011, im ersten Jahr, kam überhaupt kein Geld rein, weil wir noch keine Spender hatten.

Im Grunde sind wir noch immer ein überwiegend ehrenamtlicher Zwei-Mann-Betrieb. Fabian und ich. Dazu gibt es viele Leute im Hintergrund. Meine Frau als Buchhalterin, viele Übersetzer, ein Systemadministrator, Praktikanten. Ursprünglich wollten wir eine gemischte, große Redaktion aufbauen. Aber eine Redaktion kostet viel Geld und wir wollten nie zwanghaft wachsen. Wachstum braucht Zeit und gelingt nur, wenn sich das Medium trägt. Dafür muss man als Website in die Lesezeichen der Leute, was nur geht, wenn man jeden Tag Content liefert. Content wiederum kostet Geld, das wir nicht haben – und da sind wir in einem Kreis.

Der Großteil der Spenden stammt aus sozialen Bewegungen, aber wir haben auch Bundestagsabgeordnete oder sogar ein paar Promis wie Axel Prahl haben mal gespendet. Natürlich würde ich mir mehr Resonanz wünschen. Mit manchen Inhalten erreichen wir 50.000 Menschen. Bei anderen sind es nur 1000. Wenn wir prominente Kritiker wie Noam Chomsky in der Sendung haben, ist die Reichweite gut. Aber wenn wir Themen wie den Klimawandel angehen, dann sind die Zugriffe eher niedrig, obwohl wir viel investieren. 2015 waren wir bei der Klimakonferenz in Paris und haben eine enorme Bandbreite an Stimmen eingefangen. Trotzdem. Wir sind nicht Rezo.

Kontext TV will mit offenen Kanälen zusammenarbeiten. Die meisten offenen Kanäle sind vollkommen unterfinanziert und in der Qualität oft verheerend. Selbstdarstellungs-TV. Das ändert sich gerade. TIDE.tv in Hamburg oder ALEX Berlin. Dazu Wien, Salzburg, Magdeburg, Gera. Viele offene Kanäle und freie Radios übernehmen mittlerweile unsere Beiträge. Aber bei der Zusammenarbeit gibt es bürokratische Hürden: Wenn wir aus Berlin für einen lokalen Sender einen Beitrag produzieren, muss man Anträge stellen. Auch das kostet Ressourcen.

Jede Gesellschaft hat ein Machtsystem. In Deutschland haben die großen Konzerne enorm viel Macht akkumuliert. Wenn man diesen Unternehmen die Medien in die Hand gibt, dann vertreten die ihre Interessen. Diese Interessen spiegeln aber nicht die Vielfalt der 80 Millionen Menschen in unserem Land. Die Idee des öffentlichen-rechtlichen Rundfunks ist genau richtig. Die Frequenzen gehören uns, sie sind ein öffentliches Gut. Man hat dieses öffentliche Gut aber neutralisiert, indem man die Kontrollorgane politisiert und verstaatlicht hat. Die Folge: Die Politik kontrolliert den Journalismus. Das ist perfide. Es sollte genau umgekehrt sein.

Nach diesem Geburtsfehler gab es viele weitere Fehler. Erst das ZDF als eine Art konservativer Staatsfunk ohne Bürgerbeteiligung, dann der duale Rundfunk mit den Privaten. In den vergangenen 20 Jahren hat sich die neoliberale Politik enorm auf die Berichterstattung ausgewirkt. Agenda 2010, die Angriffskriege, die Flüchtlingspolitik, die Ukraine-Krise. Egal ob Süddeutsche, Spiegel oder ARD: Die Berichte hatten immer eine Schlagseite. Ideologische Vorannahmen, Filterung der Inhalte, doppelte moralische Standards. Man kann das Thema für Thema durchgehen. Diese Machtkonzentration können wir als Journalisten nicht überwinden. Wir sind aber nicht den mächtigen Institutionen verpflichtet, sondern den Bürgern. Wir bräuchten eine Berichterstattung, die Ideologien und einseitige Rahmungen überwindet. Das geht nur mit unabhängig konstruierten Medien.

Wenn ich meine Kollegen kritisiere, erlebe ich verschiedene Reaktionen: Als ich aufgedeckt habe, wie private und öffentlich-rechtliche Sender Fremd- und PR-Material undeklariert übernehmen, hatte das eine Wirkung.20 Das gibt es heute so nicht mehr. Man sieht immer die Einblendung: Mit Fremdmaterial. Für mich war das ein Erfolg. Zumindest ein minimaler. Wenn ich die Kollegen allerdings mit Herman und Chomsky kritisiere und ihnen vorhalte, dass die institutionellstrukturelle Aufgabe moderner Medien darin besteht, den Konsens der Eliten unter das Volk zu bringen und für Zustimmung zu sorgen, dann werde ich mit meinen Recherchen und Büchern nicht mehr besprochen. Dann bewege ich mich außerhalb des Diskursrahmens, selbst wenn ich den Befund gut belege.

Man kann darüber streiten, ob es geschickt ist, als Medienkritiker Begriffe wie ›Lügen‹ oder ›Manipulation‹ zu nutzen. Das gießt Wasser auf die Mühlen der Rechten. Was die modernen Medien machen, ist mehr ein Verschweigen, ein Auslassen. Das kann man ganz gut durch Input-Output-Analysen nachweisen.21 Die selektive Nutzung von Informationen kommt auch bei alternativen Medien vor. Das sehe ich sogar an meiner Person: Die NachDenkSeiten klammern mich aus, wenn ich bei der Flüchtlingspolitik etwas sage, was nicht in ihren Rahmen passt.

Bei den Rundfunkanstalten muss zuerst die Besetzung der Räte verändert werden. Dass dort Politiker, Vertreter von Staatskanzleien und Regierungen sitzen, ist ein Witz. Die sollen wir doch kontrollieren. Dass dort dann auch noch Vertreter von Wirtschaftslobbys und Verbänden sitzen, ist lachhaft. Die müssen alle raus. Aber mit dieser Forderung finden Sie auf der politischen Ebene keine Unterstützung. Es bräuchte Bürger- oder Publikumsräte. Es müsste Wahlen für die Räte geben. Und wir brauchen zivilen Ungehorsam. Flashmobs, die vor die Sender ziehen und sagen: Wir wollen eine andere Berichterstattung. ARD, ZDF und die Rundfunkfrequenzen gehören uns. Das muss in das Bewusstsein hinein. Sonst ändert sich nichts.

Journalismus muss unabhängig sein. Unternehmens- und Staatssektor werden aber immer versuchen, alles zu unterbinden, was ihren Interessen zuwiderläuft. Das heißt: Wir müssen Schutzmauern aufbauen. Das könnten Modelle mit mehr Publikumsbeteiligung sein oder mehr Schutz durch Selbstverwaltung. Außerdem muss die Werbung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk beendet werden. Und: Alle kommerziellen Tätigkeiten abschaffen. Dazu zählt auch die Auslagerung von TV-Produktionen an private Firmen. Wir sollten auch die Lizenzierung von privaten Sendern neu überdenken, ähnlich wie bei der FCC in den USA. Gerade auf regionaler Ebene müssten sich die Sender vor den Bürgern rechtfertigen. Auch bei den Zeitungen könnte man ein Lizenzsystem einführen. Man könnte Druck und Vertrieb öffentlich finanzieren und auf dieser Basis lizenzieren.

Medienübergreifend braucht es Schutzmaßnahmen, wenn es irgendwelche Einflussversuche von außen gibt. Als Journalisten müssen wir die Möglichkeit und die Pflicht haben, alles transparent zu machen. Anrufe von Politikern zum Beispiel. Es braucht eine Webseite, auf der das dokumentiert wird. Das Problem der Einflussnahme würde so ganz schnell verschwinden. Ziel muss immer sein, dass die Journalisten die Mächtigen kontrollieren. Und nicht, dass die Mächtigen uns kontrollieren.

In der Wissenschaft fehlt es an Medienkritik. Es gibt hier und da mal eine Studie. Afghanistan, die Ukraine. Das ist viel zu wenig Futter, um in der Öffentlichkeit zu zeigen, wo es falsch gelaufen ist. Für einen Medienkritiker wie mich wäre es wichtig, auf Studien zurückgreifen zu können, die methodisch sauber sind. Ich versuche die Empirie in meinem Buch22 und in meinen Blogbeiträgen zu liefern, aber das ist alleine kaum zu bewältigen. Kommunikationswissenschaftler sollten sich viel stärker um die Fehler in der Berichterstattung kümmern. Aufdecken, den Zustand beschreiben, Aufmerksamkeit erzeugen.

Vor einiger Zeit war ich für einen Vortrag in Augsburg. Hinterher meinten einige Studierende: Aber es stimmt doch, was in der Tagesschau gesagt wird. Das ist doch objektiv, seriös und neutral. Das zeigt: Das Problembewusstsein ist gar nicht da. Die Menschen müssen erst einmal sehen, was da falsch läuft. Dass in der Ukraine-Berichterstattung eben nicht alle Stimmen abgebildet wurden. Oder, dass über ein Schiffsunglück mit Flüchtlingen im Frühjahr 2015 anders berichtet wurde als bei einem vergleichbaren Fall im Frühjahr 2016, weil nebenbei der EU-Türkei-Deal ausgehandelt wurde. Wissenschaft könnte außerdem sagen, wie man institutionelle Barrieren abbaut und wie die Berichterstattung unabhängiger und kritischer werden kann. Ich glaube nicht, dass es zu viel Medienkritik geben kann. Demokratie bedeutet Reibung.

Der subtile Druck in Richtung Konformität

Thomas Datt, geboren 1967 in Berlin. 1989 Studium an der Sektion Journalistik in Leipzig. Dort eine der wichtigsten studentischen Stimmen im Prozess des Umbruchs.23 Sehr viel später standen Datt und sein Kollege Arndt Ginzel für ihre Recherchen zum ›Sachsensumpf‹ (ein kriminelles Netzwerk mit den Knoten Justiz, Immobilien und Rotlicht) jahrelang vor Gericht. Ich habe ihn am 16. Januar 2020 in Leipzig besucht, wo das Journalistenbüro GKD in Wurfnähe zum MDR ein Büro hat.

Ich bin im Prenzlauer Berg aufgewachsen. Meine Mutter war Lehrerin, und mein Vater hat bei einer kommunalen Wohnungsbaugesellschaft gearbeitet. Er war in der SED, hatte aber zeitweise Probleme. Er war etwas anarchisch und konnte sich schlecht unterordnen. Letztlich war er ein Idealist. Als Krenz übernommen hat, ist er zu den Demos gegen die neue Spitze gegangen und kam immer total glücklich zurück.

Dass ich Journalist werden will, wusste ich schon als Kind. Im Kulturpark konnte man Aufsager machen, wie beim Radio. Das hat mich fasziniert. Schreibmaschine und Steno habe ich an der Volkshochschule gelernt. Das war damals Voraussetzung für den Beruf. Zum Volontariat war ich bei der BZ am Abend, allerdings nur drei Monate, weil ich dann zum Wehrdienst einberufen wurde. Die BZ am Abend war in der DDR die einzige Zeitung, die auf der Straße verkauft wurde und an den S-Bahnhöfen. Ich glaube: ab 14 Uhr. Die Technik war beeindruckend. Die Vorlage ging per Rohrpost in die Druckerei am Ostbahnhof. Wenn man im Flur stand, konnte man das hören. In so einer Straßenverkaufszeitung hat man wenig Platz. Das Wichtige in aller Kürze. Letztlich war das gut. Eine gute Lehre. Länger schreiben kann man immer.

Bevor das Studium losging, waren wir alle in der Tabakernte. Zwei Wochen in der Nähe von Döbeln. Das war super. Wir haben uns dadurch wirklich kennengelernt. Die Arbeiter waren cool. Ein Brigadier und ein Haufen Frauen. Alle sehr praktisch. Es gab dort auch Kubaner, die sich etwas dazuverdient haben. Die hatten immer Spaß. Die Brigade hat sich gefreut, dass die Studenten ordentlich arbeiten müssen. Es gab da keinerlei Friktionen. Was im Rückblick interessant ist: Wir haben dort auch über Probleme geredet, aber niemand schien zu spüren, dass sich alles dramatisch ändern wird.

Meine erste prägende Erinnerung an das Studium ist ein Auftritt von Heinz Adameck. Der Fernsehchef. Er war rhetorisch geschickt, aber ein Hardcore-Hardliner. Ich war begeistert, wie viel Widerspruch er geerntet hat. Das kannte ich von der Armee nicht. Ich dachte: Cool, dass es so etwas gibt. Ein Uni-Mitarbeiter ist rausgerannt mit den Worten: Das höre ich mir nicht länger an. Das Studium wurde dann erst einmal ausgesetzt, ursprünglich sogar bis März 1990. Ich bin in der Zeit noch einmal zur BZ am Abend gegangen. An der Uni gab es schnell eine Grundspannung. Auf der einen Seite die Mitarbeiter und Professoren und auf der anderen die Studenten. Wir dachten, dass alles anders werden muss. Wir waren auch opportunistisch, was ich damals nicht zugegeben hätte. Wir wollten uns an die neuen Verhältnisse anpassen und waren erstmal kritisch, ohne die Personen überhaupt zu kennen. Die Abwicklung der Sektion Journalistik war dann für mich trotzdem ein kolonialer Akt. Ich war der Meinung, dass man sich das nicht gefallen lassen darf, und gehörte zu denen, die auch kämpfen wollten. Den Hungerstreik fand ich trotzdem falsch.24 Unverhältnismäßig. Es ging um einen Studiengang. Wir haben die Leute unterstützt, die das gemacht haben, und es war sehr effektvoll. Trotzdem fanden das längst nicht alle von denen gut, die damals aktiv waren.

Ich habe auch gegen den Nationalismus protestiert, der ja bei den Montagsdemos schnell die Oberhand gewann. Ich erinnere mich an die große Kohl-Demo im März 1990. Dort war es ziemlich knapp. Wir hatten DDR-Fahnen dabei. Wir wollten die DDR erhalten, selbstverwaltet. Unser Fehler war, dass wir den Rückzug nicht organisiert hatten. Nach der Demo haben uns hunderte alte Männer umringt. Fast wie heute bei PEGIDA-Veranstaltungen. Die wollten uns hauen. Mich hat eine holländische Journalistin rausgezogen. Ich habe damals viel Zeit für Agitation und Propaganda verwendet. Im Nachhinein ist mir das fast peinlich. Wobei: Eigentlich ist es nicht peinlich. Es war aufregend, und wir waren aufgeregt.

Irgendwann fing es auch mit den Nazis an. Mein Opa war im KZ. Der Stiefvater meiner Mutter. Er hat nicht viel erzählt, aber ich ging immer davon aus, dass niemand Nazis gut finden könne. Nach der Maueröffnung habe ich am Schwanenteich in Leipzig gesehen, wie die Republikaner Werbung gemacht haben. Was verblüffend war: Die Leute haben denen nicht nur die Zettel aus der Hand gerissen, sondern sich auch mit ihnen unterhalten. Sie wirkten so, als ob das schon immer ihr Thema war. Das war für mich der größte Schock in der ganzen Wendezeit. Man kann nicht davon ausgehen, dass alle gegen Nazis sind.

An der Uni haben wir das Idealbild des Journalismus diskutiert. Dienst an der Öffentlichkeit. Heute wünsche ich mir manchmal gerade bei jüngeren Kollegen mehr Zurückhaltung, auch in den sozialen Medien. Mehr Filterung. Mir ist das oft zu viel Selbstdarstellung. Zu viel Meinung, zu wenig untersetzt. Auf Twitter wird das oft sehr persönlich. Ein Lagerdenken, das bis in die Berichterstattung hinüberschwappt, zum Beispiel jetzt nach Silvester zu Connewitz.25 Das geht sachlicher und ohne extremes Framing, das nur bestimmte Erwartungen bedient. Natürlich gibt es keine objektive Berichterstattung. Mein Job ist aber, mir erst einmal anzuschauen, was passiert sein könnte. Mich annähern mit den Sachen, die ich bekomme. Und dann versuche ich das darzustellen, ohne den Eindruck zu vermitteln, dass ich alles ganz sicher weiß. Vor allem verbinde ich das nicht mit meiner eigenen politischen Meinung. Journalisten waren schon immer speziell, auch vor den sozialen Medien. Das Zitier- und Schulterklopfkartell ist faszinierend. Ich denke mir immer: Geht’s noch? Muss das sein? Da bewegt man sich schon in Blasen. Gerade Twitter. Da darf man sich nicht einreden, dass das die Gesellschaft abbildet.

Was ich noch gar nicht gesagt habe: Ich bin auch an die Humboldt-Uni und habe dort Politikwissenschaft studiert. Dort waren Michael Brie und Dieter Klein. Berater der Reform-SED und für DDR-Wissenschaftler sehr progressiv. Sie galten als innovativ. Ideen für einen dritten Weg. Ich habe das aber nur als Nebenfach genommen, weil ich sehr früh nebenbei gearbeitet habe. Erst beim Sachsenradio und dann bei MDR info. Nachrichten. Dann auch Videotext. Dort kam der Chef aus dem Westen und saß mit uns im Büro. Er war sehr nett. Wenn man ihn angesprochen hat, gab es auch mehr Geld. Von der Sache hatte er keine Ahnung. Als jemand ausfiel und er selbst Text machen musste, blieben die Seiten einfach leer.

Als Online dazukam, wurde die Redaktion outgesourct. Das gehörte plötzlich zur DREFA und wurde zur Hälfte von Michael Kölmel übernommen. Wahrscheinlich waren wir ARD-weit die einzige Nachrichtenredaktion, die jemals outgesourct wurde. Der Geschäftsführer hat versucht, die Honorare zu kürzen. Es gab einen emotionalen Aufstand, vor allem von Redakteurinnen. Dann wurde das sofort wieder zurückgenommen. Kölmel war einmal da. Sonst hat er sich nicht dafür interessiert. Wir konnten relativ unbeobachtet schalten und walten. Es gab zwar Vertreter vom MDR, aber das war sehr unterschiedlich. Einer war auf dem Absprung nach Prag und ein anderer über das Parteibuch da. Der hat nur Zeitung gelesen.

Ich bin Freiberufler. Existenzmäßig war das nie ein Problem. Ich hatte immer genug. Was man nicht vergessen darf: Online hatte ich auch die Möglichkeit, Dinge auszuprobieren. Datenbanken, Wahlprojekte. Das hat einfach Spaß gemacht. Geld hat man verdient. Damals hatte ich keine Familie. Quasi war das wie ein fester Job. Als die Abteilung wieder eingegliedert wurde, war ich sogar mehrere Jahre fest angestellt beim MDR. 2000 bis 2005, quasi als Leiter der Nachrichtenredaktion. Da waren viele Freie. Das war die Zeit, als um die Onlineaktivitäten der Öffentlich-Rechtlichen gestritten wurde. Udo Reiter war sehr vorsichtig, um die sächsische CDU nicht zu verärgern. Irgendwann konnten wir gar nichts mehr machen, und ich dachte: Warum soll ich dann noch hier sitzen und nur mein Geld abholen? Ich habe da sehr gut verdient. Zu Hause gab das ein bisschen Ärger.

Was mich heute antreibt, denen wehzutun, die Macht haben? Ich glaube nicht, dass Menschen per se gut oder schlecht sind. Macht verführt dazu, sie auszunutzen, wenn das nicht kontrolliert wird. Eine Facette dabei sind die Medien. Ich würde nie behaupten, dass Medien das alleine oder hauptsächlich leisten können. Sie sind aber ein Teil davon. Sonst werden manche Sachen nie aufgedeckt oder aufgearbeitet.

Beim Sachsensumpf ist vieles unter den Tisch gefallen, was an Korruption und Machtmissbrauch passiert ist. Gerade in Leipzig sind ja innerhalb kürzester Zeit Milliardenwerte übertragen worden. Immobilien. Bei so viel Geld gibt es auch Verbrechen. Wenn davon in den 1990ern etwas hochkam, wurde das politisch klein gehalten oder niedergeschlagen. Auch später hat man sich darüber ausgeschwiegen. Bis heute. Da wird viel Kitsch verbreitet. Natürlich haben Kohls Sonderabschreibungen dafür gesorgt, dass viele Häuser gerettet wurden. Dabei haben sich aber auch viele auf unredliche Weise bereichert. Darüber muss man als Journalist berichten.

Als das Gerichtsverfahren losging, haben wir das nicht wirklich ernst genommen. Okay: Wir haben ein paar Tage überlegt. Haben wir irgendetwas falsch gemacht? So vorsichtig hatten wir aber selten gearbeitet. Das war ja eine freie Recherche. Wir hatten nicht viel Geld, haben von unseren Frauen gelebt und unseren Interviewpartnern die Zigaretten weggeraucht. Wir sind durch die ganze Republik gefahren und hatten viele Zeugen. Nur die wenigsten wollten an die Öffentlichkeit oder gar zur Staatsanwaltschaft. Die Frauen, die Justizbeamte erkannt hatten, waren sehr glaubwürdig. Als das Verfahren begann, haben wir das alles nochmal geprüft. Ich war auch ein bisschen arrogant und dachte, dass das Verfahren für uns gar nicht schiefgehen kann. Das war ein Fehler. Man muss sich offensiv verteidigen. Das ist dann durch die Journalistenverbände passiert, die gesehen haben, dass es gefährlich für die Öffentlichkeit ist, wenn Journalisten strafrechtlich verfolgt werden. Um Presserecht ging es ja gar nicht. Die Texte stehen weiter unverändert online. Die wollten uns da einfach hinhängen. Ich war dann auch stur. Wenn wir in letzter Instanz zu einer Geldstrafe verurteilt worden wären, hätte ich das nicht bezahlt. Ich wäre ins Gefängnis gegangen.

Das Verfahren hat fünf Jahre gedauert. Was dazu gehört: Der Spiegel hat das auch nicht ernst genommen. Sachsen war für die Dunkeldeutschland, und wir waren Freie. Die Zeit hat sich später sehr gekümmert und auch die Anwälte bezahlt. Denen ist das aber auch erst im Laufe des Verfahrens klar geworden. Der MDR hat am stärksten zu uns gehalten. Wir waren damals schon Autoren, für Exakt. Wir konnten da weiterarbeiten und wurden unterstützt. Dadurch konnten wir das durchstehen. Heute bin ich nicht mehr sicher, ob es diesen Aufwand wert war. Man gewöhnt sich irgendwann daran, Angeklagter zu sein, aber es hat auch etwas beschädigt, gerade was das Familienleben angeht. Das hinterlässt schon Wirkung. Als der Prozess 2010 so intensiv war, war ich auch dann nicht anwesend, wenn ich zu Hause war.

Wie man die Medien organisieren muss, damit investigativer Journalismus möglich wird? Man braucht Leute in Leitungspositionen, die wissen, dass solche Recherchen lange dauern und auch schief gehen können. Es gibt nicht viele, die das einpreisen. Vieles ist zu sehr auf schnellen Output getrimmt und auf Effekte. Mir ist schleierhaft, wie das außerhalb des Fernsehens geht. Alles andere wird so schlecht bezahlt, dass man das nur aus Idealismus machen kann. Ich verdiene mein Geld mit Fernsehen und finanziere so Sachen, die mir wichtig sind. Im Dezember war ich zum Beispiel auf Malta, wegen der Regierungskrise. Wir hatten ja vorher schon über die Lifeline berichtet, über den Prozess gegen den Verein. Wir kennen da inzwischen Leute. Es ist unglaublich, wie korrupt dieses Land ist. Die Journalisten gehören entweder zu einer der beiden Parteien oder sie sind Aktivisten.

Das ist letztlich auch eine Art Aktivismus. Wenn ich mich Themen widme, die ich für wichtig halte. Das mache ich auch dann, wenn nur die Unkosten reinkommen. Die Bosnien-Geschichte zum Beispiel. Ein Kollege und ich sind mit linken Europa-Abgeordneten mitgefahren, die dort Camps besichtigen wollten. Wir sind eine Woche länger geblieben. Es ist auch nicht nur Idealismus. Manchmal ist es für mich einfach auch wichtig, rauszukommen aus den deutschen Diskursen. Der Wahlkampf in Sachsen zum Beispiel. Völlig überzogen auf allen Seiten. Die einen wollten, dass die AfD endlich Ordnung schafft, und die anderen dachten, dass alles untergeht, wenn die AfD stärkste Kraft wird. Es gab eigentlich gar keine Diskussion. Nochmal zum Idealismus: Ich bin da vorsichtig. So groß ist das bei mir nicht. Ich kann meine Wohnung bezahlen und bin nicht am Verhungern. Fernsehen wird ordentlich bezahlt.

Über die AfD habe ich einige Sachen gemacht, auch als Tino Chrupalla 2017 in der Oberlausitz das Bundestagsmandat gegen Michael Kretschmer gewonnen hat. Wir waren die einzigen Journalisten dort. Ich hatte mir gedacht: Der holt das bestimmt. Ich hatte ihn auf einem Parteitag beobachtet, und der Wahlkampf war sehr clever. In dieser Partei gibt es enttäuschte CDU-Leute, durchgeknallte Impfgegner, Antisemiten und Unternehmer. Das ist ein breites Spektrum. Ein Teil hat sich zwar radikalisiert, aber ob das eine faschistische Partei wird, ist noch längst nicht entschieden. Ich kenne dort Leute, die konservativ sind, aber keine Nazis.

Klar gibt es Journalisten, die ich gut finde. Kisch. Ich weiß natürlich, dass er ein Geschichtenerzähler war. Aber die Art, Sachen zu vermitteln, finde ich großartig. Gut finde ich Robert Fisk. Er hat Bücher geschrieben über den Nahen Osten, über den Libanon, und hat auch bin Laden getroffen. Er äußert sich kritisch über die Politik Israels und hat eine eigene Sicht. Er ist kein Hordenmensch. Das finde ich beeindruckend. Manchmal scheint mir, dass der Druck auf Journalisten heute höher ist, sich konform zu verhalten. Das passiert auf sehr subtile Weise. Ich hoffe, dass das nur eine kurze Phase ist.

Dass man so wenig Meinungsspektrum aushalten kann, ist eine globale Welle. Wir haben das mit unserem Chemnitz-Film gemerkt.26 Ich habe dort einen Pro-Chemnitz-Ordner begleitet. Der MDR hat sich dann überlegt, eine Podiumsdiskussion mit den Protagonisten zu machen, mitten im Wahlkampf, was vielleicht nicht besonders clever war. Das ging bis hin zu der Frage, warum der überhaupt gezeigt wurde. Ich dachte: Wie kann das sein? Das ist doch unser Job als Journalist. Das ist doch das Schönste an diesem Beruf. Wir haben das Glück und das Privileg, in alle Bereiche hineinzukommen, wenn wir das nur wollen. Ich finde faszinierend, sich diese unterschiedlichen Welten anzugucken. Rechte und Nazis gehören dazu. Man kann ja sagen, dass man nicht mit solchen Leuten reden will, aber wir als Journalisten können das nicht. Wir müssen mit allen reden.

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