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2.4 Einfluss von Temperatur

Der Einfluss von Temperatur spielt für die Beanspruchung von Autorennfahrern eine herausragende Rolle. Dabei sind Piloten aus Klassen mit geschlossener Fahrerzelle wesentlich höheren Temperaturen ausgesetzt als Fahrer aus Klassen mit offenem Cockpit. An heißen Tagen können durch technisch bedingte Wärmeableitung aus dem Bereich des Motors bei Tourenwagen mit Frontmotor während eines Rennens in der Fahrerzelle bis zu 80° Celsius entstehen.

Lüftungsmöglichkeiten werden den Fahrern aus aerodynamischen Gründen oft verwehrt, und der Einsatz einer Klimaanlage ist zumindest in europäischen Rennserien kein Thema (sie würde die Leistung des Motors negativ beeinflussen). Ganz nebenbei führt der kaum vorhandene Luftaustausch in geschlossenen Fahrerzellen auch dazu, dass die Sauerstoffsituation im Cockpit kritisch werden kann. Bei den Klassen mit offenem Cockpit ergeben sich laut dem früheren Formel-1-Chefdoktor Sid Watkins (1996) immerhin noch maximale Cockpittemperaturbelastungen von rund 50° Celsius.

Unter extremen Temperaturbedingungen habe ich bei Tourenwagenfahrern Flüssigkeitsverluste von bis zu zwei Litern pro Stunde und eine deutliche Erhöhung der Körperkerntemperatur auf knapp 40° C gemessen. Sid Watkins (1996) gibt für Formel-1-Piloten einen Flüssigkeitsverlust von 0,5 bis 1,0 Liter pro Stunde während Hitzerennen an. Der Flüssigkeitsverlust kommt zustande, weil der Körper durch Produktion von Schweiß versucht, sich selbst zu kühlen. Der Körper ist nur funktionsfähig, wenn seine Kerntemperatur auch unter Hitzebedingungen unter 40° C bleibt. Eine Erhöhung der Kerntemperatur auf mehr als 40° C führt zuerst zur deutlichen Beeinträchtigung der körperlichen und mentalen Leistungsfähigkeit, mittelfristig zum Verlust des Bewusstseins und im Extremfall sogar zum Tod. Unter Hitze ist eine unablässige Schweißproduktion für den Körper also lebensnotwendig und ein Verlust an Flüssigkeit unvermeidbar.

Wird ein hoher Flüssigkeitsverlust nicht durch Trinken ausgeglichen, wirkt sich das zum einen auf die Leistungsfähigkeit sehr negativ aus, zum anderen bringt es auch enorme gesundheitliche Gefahren mit sich. Während des 24-Stunden-Rennens von Le Mans konnten Richalet und Bertrand (1983) bei verschiedenen Fahrern einen durch Flüssigkeitsverlust verursachten Anstieg der festen Blutbestandteile von 46 auf 56 Prozent feststellen. Das entspricht einem Verlust von 20 Prozent der Flüssigkeit im Blut. Als gesundheitlich bedenklich wird bereits eingestuft, wenn der Anteil der festen Bestandteile im Blut 50 Prozent überschreitet, Werte über 55 Prozent gelten als bedrohlich.

Je weniger Flüssigkeit im Blut ist, desto mehr dickt es ein. Und je dicker das Blut, desto höher ist das Risiko, dass feste Blutbestandteile verklumpen. Diese verklumpten Blutbestandteile können kleine Adern, die Blutkapillaren1, verstopfen. Kommt es zu solchen Verstopfungen innerhalb der Muskulatur, so führt dies zur Thrombose1. Die Folge sind schmerzhafte Einschränkungen der Muskelfunktion. Lösen sich diese Blutklumpen und werden durch die Blutbahn weitertransportiert, so drohen Schlaganfall2, Herzinfarkt3 und Lungenembolie4.

1 Blutkapillaren: die kleinsten Blutgefäße (Durchmesser vergleichbar mit einem dünnen Haar); der Austausch von Atemgasen, Nähr- und Wirkstoffen zwischen Blut und Körperzellen findet nur in diesen Gefäßen statt.

Timo Scheider

(DTM-Champion 2008 und 2009)

„Wenn die Zielflagge gefallen ist, ist meine Konzentration schlagartig weg, dann nehme ich erst die extremen Bedingungen, die manchmal unerträgliche Hitze und die Enge im Auto richtig wahr. Da kriege ich richtig Platzangst, will nur noch raus aus dem Auto und durchatmen.“ (in Stars & Cars, 3/2002 S. 42-43)

Im Zusammenhang mit Flüssigkeitsverlust durch Schwitzen ist die Gefahr der Blutverdickung allerdings nur das eine Thema. Der Körper besteht zu 60 Prozent aus Wasser, und nur ein Drittel davon befindet sich im Blut. Zwei Drittel unserer Körperflüssigkeit sind in unseren Organen enthalten. Dabei sind Gehirn, Leber und die Muskulatur am wasserreichsten. Dementsprechend empfindlich sind diese Organe gegenüber Flüssigkeitsverlust. Die nachfolgende Tabelle zeigt, wie sich ein Mangel an Flüssigkeit auf die Leistungsfähigkeit und Gesundheit des Körpers auswirkt.


1-5% 6-10% 11-20%
Durst Schwindelgefühl Bewusstseinstrübung
Unwohlsein Kopfschmerzen Krämpfe
Bewegungseinschränkung Atemnot Geschwollene Zunge
Appetitlosigkeit Kribbelgefühl in den Gliedern Unfähigkeit zu schlucken
Gerötete Haut Vermindertes Blutvolumen Schwerhörigkeit
Innere Unruhe Erhöhte Blutkonzentration Sehschwierigkeiten
Müdigkeit Keine Speichelbildung Runzlige Haut
Erhöhte Herzfrequenz Sauerstoffmangel Schmerzen beim Harnlassen
Erhöhte Körperkerntemperatur Konzentrationsprobleme Empfindungsstörungen
Übelkeit Gleichgewichtsprobleme Ausbleibende Urinbildung

Auswirkungen von Flüssigkeitsmangel in % des Körpergewichtes (in Anlehnung an Konopka 1988)

Regelmäßiges Trinken hat für Rennfahrer im Alltag, vor allem aber vor, im und nach einem Wettkampf höchste Priorität. Entsprechend hat die medizinische Kommission der FIA für Formel-1-Fahrer bereits 1982 die Empfehlung ausgegeben, vor einem Rennen einen Liter, während eines Rennens einen bis zwei Liter und nach dem Rennen zwei Liter Flüssigkeit zu sich zu nehmen (Isserman, 1982). Da es in diesem Buch um Training geht, sei an dieser Stelle schon einmal der wichtige Hinweis erlaubt, dass im Zustand guter körperlicher Fitness

a) ein Wasserverlust besser vertragen wird,

b) das Schwitzen effektiver von statten geht und

c) noch dazu durch den Schweiß weniger Elektrolyte5 verloren gehen, als das bei schlechter körperlicher Verfassung der Fall ist (Konopka, 1988).


Helme mit Kühlsystem sind gut geeignet, um die körperlichen Beanspruchungsreaktionen unter extremen Temperaturbedingungen zu mildern. Im Bild: Matthias Ekström.

1 Thrombose: Kompletter Verschluss von Blutkapillaren

2 Schlaganfall: massive Durchblutungsstörung des Gehirns mit Bewusstseinsstörungen/Einschränkung der Gehirnleistung

3 Herzinfarkt: massive Durchblutungsstörung des Herzmuskels mit Einschränkung oder Lahmlegung des gesamten Bluttransports im Körper

4 Lungenembolie: Verschluss der Blutgefäße, die durch die Lunge strömen

5 Elektrolyte: Mineralsalze (z.B. Natrium, Kalium, Calcium, Magnesium), die der Köper für die Aufrechterhaltung seiner Funktionen sowie für seine Leistungsfähigkeit braucht.

René Rast über Temperaturbelastung

„Abhängig von den Außentemperaturen kann es auch im Auto grenzwertig warm werden. Die Hitze im Cockpit steigt unaufhörlich an und kommt einfach nicht nach draußen. Ich habe ein VLN-Rennen am Nürburgring in Erinnerung. Es war sehr heiß, und ich bin am Stück einen Stint über fast vier Stunden gefahren. Beim Fahren selber hatte ich noch keine Probleme, überhaupt nicht! An der Box konnte ich dann aber kaum noch aussteigen. Danach war ich nicht mehr in der Lage, mich vernünftig zu bewegen. Es hat da dann wirklich fast einen halben Tag gebraucht, bis ich wieder normal gehen und klar denken konnte.

Wenn ich in Amerika fahre, dann ist die Temperatur übrigens kein Thema. In den Klassen, in denen ich dort antrete, sind in den Autos per Reglement Klimaanlagen vorgeschrieben. Steigt da die Außentemperaturen über 31° Celsius an, dann schaltet sich die Anlage automatisch in allen Autos im Feld an. So bleibt es für alle Fahrer erträglich, und die Autos verlieren alle das Gleiche an Leistung.“

Auch wenn der Verlust an Flüssigkeit durch regelmäßiges Trinken ausgeglichen und so ein Flüssigkeitsmangel vermieden wird: Weil die Flüssigkeit für den Schweiß vom Blut angeliefert wird und das Blut gleichzeitig für den Abtransport von Wärme aus dem Kern des Körpers an die Hautoberfläche verantwortlich ist, ergibt sich ganz automatisch eine umso höhere Herz-Kreislaufbeanspruchung, je höher die Temperaturbelastungen sind. Als Faustregel kann man davon ausgehen, dass die Herzfrequenz pro zusätzlichem Grad Körperkerntemperatur um annähernd 25 Schläge steigt (Watkins, 1996, 2006).

Der Schwitzmechanismus und die Veränderungen im Herz-Kreislaufsystem sorgen dafür, dass die körperliche Leistungsfähigkeit auch unter hohen Temperaturen zumindest über einen gewissen Zeitraum hinweg aufrechterhalten werden kann. Kritischer schaut es da mit der mentalen Leistungsfähigkeit aus. Untersuchungen aus der Luft- und Raumfahrtmedizin belegen, dass die Denk- und Konzentrationsleistung bereits durch Umgebungstemperaturen ab 30° C beeinträchtigt wird. Nach Stand der Wissenschaft sind diese Beeinträchtigungen alleine durch den äußeren Temperatureinfluss zu erklären und ergeben sich völlig unabhängig von der Kerntemperatur im Körper (Watkins 1996).

2.5 Einfluss von Geschwindigkeit

Je höher die Geschwindigkeiten auf den Geraden und in den Kurven sind, desto enger wird das Zeitfenster, in dem ein Rennfahrer in seinem Auto präzise agieren und situationsgerecht reagieren kann. Um einen Rennwagen kontinuierlich am Limit zu bewegen, müssen relevante Informationen vom Sinnessystem mit steigender Rennsportklasse in immer kürzerer Zeit geliefert und vom Gehirn verarbeitet werden. Gleichzeitig wird die Aufgabe, Aktionen wie Reaktionen an Lenkrad, Schaltung, Gaspedal und Bremse sauber aufeinander abgestimmt auszuführen, immer anspruchsvoller. Steigende Geschwindigkeiten führen bei Rennfahrern also zu einer zunehmenden Beanspruchung der Wahrnehmungs- und Konzentrationsleistung. Gleichzeitig kristallisiert sich heraus, wie es um die motorsportspezifischen Bewegungsfähigkeiten bestellt ist.

Ein Rennfahrer hat nur dann eine Chance, wenn er sein rennsportspezifisches Bewegungsrepertoire auf hohem Niveau automatisiert hat. Automatisiert bedeutet, dass er schnell und richtig auf die Fahrzeugbewegungen reagieren kann, ohne bewusst darüber nachdenken zu müssen. Automatisierte Bewegungen sind in nahezu allen Sportarten die Grundvoraussetzung für den Erfolg und ein Ergebnis ständigen Übens und Lernens. Nur durch Üben können sich im Gehirn Bewegungsprogramme von zuerst bewussten, langsamen und fehlerhaften Facetten hin zu unbewussten, schnellen und situationsgerechten Reflexen entwi-ckeln.1

Je größer die Anforderung an derartig automatisierte Prozesse ist, desto mehr Übungsstunden braucht es. In der Exzellenzforschung geht man davon aus, dass unabhängig von der Talentfrage mindestens zehn Jahre mit 10.000 aktiv gestalteten Übungsstunden erforderlich sind, um im Sport, aber auch auf anderen anspruchsvollen Feldern (etwa in der klassischen Musik), Perfektion zu erreichen und Weltklasseleistungen abliefern zu können (Spitzer, 2006; Coyle, 2009). Aus diesem Grund wirkt sich wahrscheinlich auch ein früher Einstieg in den Kart-Sport so positiv auf die spätere Leistungsfähigkeit als Rennfahrer aus.

Hoch automatisierte Bewegungen führen einen Rennfahrer allerdings nur dann zum Erfolg, wenn auch sein Sinnessystem mit den hohen Geschwindigkeiten zurechtkommt. Die Leistungsfähigkeit des Sinnessystems macht meiner Meinung nach im Automobilrennsport dann auch den Unterschied zwischen Spitzen- und eher durchschnittlichen Rennfahrern aus. Um das genauer darstellen zu können, lohnt ein Blick auf die Möglichkeiten und Grenzen dieses Systems.

Menschen nehmen ihre Umwelt über fünf Sinneskanäle wahr:

 visuell (sehen durch Augen)

 auditiv (hören durch Ohren)

 kinästhetisch (fühlen durch Rezeptoren in Haut, Muskulatur und anderen Organen, vor allem aber durch das Gleichgewichtssystem im Ohr)

 olfaktorisch (riechen durch Nase)

 gustatorisch (schmecken durch Zunge)

Die Empfindung von Geschwindigkeit und Beschleunigung erfährt ein Rennfahrer durch seine visuellen und kinästhetischen Möglichkeiten. Beide Sinneskanäle nehmen entsprechende Reize auf und leiten sie an das Gehirn weiter. Dort werden die Reize zusammengeführt, verarbeitet und interpretiert. Unter Umständen kann das Gehirn dabei übrigens auch noch durch akustische Reize beeindruckt werden. Vergleichen Sie doch einmal Ihren Eindruck von Geschwindigkeit, wenn Sie 180 km/h in einem Auto fahren, das starke Windgeräusche produziert, und danach in einem Auto mit wenigen Windgeräuschen.

Im Normalfall bekommen wir rund 80 Prozent unserer Informationen über den visuellen Kanal geliefert. Unter hohen Geschwindigkeiten klappt das allerdings nicht mehr so richtig. In der Formel 1 und angrenzenden Klassen sind die Top-Geschwindigkeiten teilweise so hoch, dass die Anpassungsmöglichkeiten der Augen nicht mehr ausreichen, um dem Gehirn einen ausreichend scharfen Eindruck von der Umgebung zu vermitteln. Damit geht einher, dass auch die räumliche Wahrnehmung deutlich eingeschränkt wird.

Nach Fahrerberichten zu urteilen, verschwimmt spätestens ab einem Tempo von 300 km/h die Umwelt, und die Gerade wird zu einem schmalen Band. Brems- und Einlenkpunkte exakt zu sehen, ist dann kaum mehr möglich. Gibt es auf der Rennstrecke dazu noch ein sehr ausgeprägtes Schattenspiel, wird die Sache noch anspruchsvoller (und spätestens wenn dazu auch noch Vibrationen kommen, ist das oben genannte Zitat von Damon Hill nachvollziehbar). Spitzenfahrer sind allerdings trotz der optischen Einschränkungen in der Lage, Brems-wie Einlenkpunkte exakt zu treffen – und das verlässlich Runde für Runde! Die Frage ist: Wie machen die das?

1 Bewegungsautomatisierung = Reflexentwicklung: Das häufige Üben einer Bewegung führt dazu, dass im Gehirn aus zuerst eher zufällig angesteuerten Nerven nach dem „Trial-and-Error-Prinzip“ ein Verbund an Gehirnzellen entsteht, der sich alsoptimal für die Steuerung der Bewegung herauskristallisiert. Je stabiler dieser Verbund wird, desto seltener werden andere Gehirnzellen während der Bewegungsausführung mitaktiviert, der Aufwand für das Gehirn reduziert sich. So wird die Bewegung mit der Zeit ökonomischer und kann immer schneller, dabei gleichzeitig aber auch noch sicherer durchgeführt werden. Irgendwann ist das Muster für die Bewegung im Gehirn in Feinstform vorhanden und steht als Reflex zum sofortigen Abruf jederzeit bereit. Die Bewegung ist auf hohem Niveau erlernt worden und kann nun ohne bewusste Steuerung, also automatisch, ablaufen. Automatisierte Muster führen dazu, dass die Arbeitskapazität des Gehirns entlastet wird und während der Bewegungsausführung frei ist sowohl für die unmittelbare Anpassung der Bewegung an sich ändernde Bedingungen als auch für die bewusste Aufnahme und Nutzung von weiteren Reizen und Informationen aus der Umwelt.

Damon Hill

(Formel-1-Weltmeister 1996)

„Bei diesen Geschwindigkeiten sieht man einfach nichts mehr.“ (zitiert von Kogler, 2006, S. 134)

Ein möglicher Erklärungsansatz ist, dass Spitzenfahrer über außergewöhnliche visuelle Fähigkeiten verfügen. Eventuell funktionieren ihre Augen bei hohen Geschwindigkeiten um Nuancen besser. Zumindest für Sportarten wie Tennis und Tischtennis ist nachgewiesen, dass sich Spitzenspieler vom Rest ihrer Zunft durch größere Leistungsfähigkeit in speziellen Bereichen des visuellen Systems unterscheiden (Jendrusch, 1999). Als Ursache wird eine Kombination aus genetisch bedingten Vorteilen und sportartbedingten Trainingseffekten vermutet.

Meiner Meinung nach lohnt es sich auch im Rennsport, spezifische Leistungsgrößen der Augen einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Vielleicht käme man dabei auch der Antwort auf die Frage näher, warum sich Michael Schumacher bei seinem Comeback unerwartet schwer tat: Das Auge ist eines der Organe, deren Leistungsfähigkeit bereits ab einem Alter vom 35 messbar abnimmt (Saup, 1993) – umso mehr, wenn es über mehrere Jahre hinweg keine speziellen Trainingsreize mehr erhält. Wenn Sie in diesem Zusammenhang anführen, dass ehemalige Rennfahrergrößen auch im reiferen Alter noch Top-Ergebnisse abgeliefert haben, lautet mein Einwand: Seit den Zeiten, in denen auch Fahrer jenseits von 40 Jahren Formel-1-Weltmeister werden konnten, sind in der Königsklasse zum einen die Geschwindigkeiten insgesamt doch anspruchsvoller geworden, zum anderen haben Konkurrenzdichte und Fitness der Fahrer in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen.

Eine weitere Erklärung für die Zuverlässigkeit von Spitzenfahrern wäre, dass sie mit der Begrenzung des Sehvermögens bei hohen Geschwindigkeiten anders umgehen. Tatsächlich zeigen die wenigen Untersuchungen, die es dazu im Rennsport gibt, dass in der Blickstrategie von erfahrenen Rennfahrern bestimmte Muster zu erkennen sind, die sich bei Nachwuchsrennfahrern in dieser Form nicht so deutlich finden lassen. Bei erfahrenen Rennfahrern arbeiten die Augen während des Fahrens ruhiger und weisen weniger Blicksprünge auf. Die Augenarbeit ist ökonomischer und deutlich fokussierter. Dazu sind die Bewegungen der Augen Runde für Runde nahezu deckungsgleich, ein Hinweis auf eine extrem stabile Konzentrationsleistung und eine weitgehende Bewegungsautomatisierung auch im Bereich der optischen Sinneswahrnehmung (u.a. bei Von Grosse Darrelmann 2009).

Auf den ersten Blick mag nun überraschen, dass zumindest Land (2004) davon berichtet, dass sich die Augenbewegung erfahrener Rennfahrer zwar an der Ideallinie orientiert, sie diese jedoch beim Durchfahren von Kurven gar nicht exakt anvisieren. Aber auch dafür gibt es eine Erklärung: Im Rennsport unterstützen die Augen andere Informationskanäle lediglich, sie sind nicht die alles entscheidenden Sinnesorgane.

Außergewöhnliche visuelle Fähigkeiten und Blickstrategien hin oder her: Das optische Sinnessystem des Menschen ist im Endeffekt viel zu langsam, um mit den Geschwindigkeiten im Autorennsport Schritt halten zu können1. Der wahrscheinlich tragfähigste Erklärungsansatz für den Unterschied zwischen Spitzen- und Durchschnittsfahrer lässt sich daher weniger in der visuellen, sondern vielmehr in der kinästhetischen Wahrnehmung finden. Ist eine Orientierung bei über 300 km/h durch entsprechende Blickstrategien noch denkbar, so kann das visuelle System dem Gehirn des Fahrers weder genaue noch rechtzeitige Informationen darüber liefern, ob sich ein Rennwagen in einer Kurve am Limit bewegt.

Am Limit entscheiden Fahrerreaktionen innerhalb von wenigen Millisekunden zwischen Top- oder Flop-Zeit – und je höher die Geschwindigkeiten sind, desto mehr zwischen Top-Zeit und Totalschaden. Aus anatomischen und physiologischen Gründen kann ein Mensch auf einen optischen Reiz frühestens nach 120 Millisekunden zuverlässig reagieren (Durchschnittswerte liegen sogar bei nur 160 bis 180 Millisekunden). Bei kinästhetischen Reizen liegt die Reaktionszeit dagegen weit unter 10 Millisekunden. Kein System im Körper liefert dem Gehirn schnellere Informationen, und auf kein System kann das Gehirn schneller reagieren.

1 Reaktionen auf optische Reize benötigen schon deshalb eine vergleichsweise lange Zeitspanne, weil allein die anspruchsvolle Umwandlung von Lichtenergie in Nervenimpulse, die dann an das Gehirn weitergeleitet werden, mindestens 30 Millisekunden in Anspruch nimmt. (nach Weineck, 2004)

Ein Fahrer kann das Limit nur „erspüren“, nicht sehen. Die prägnantesten Eindrücke der Fahrzeugbewegungen und -reaktionen erhält der Fahrer vor allem über seinen Gleichgewichtssinn. Ergänzt wird dies durch spezielle Rezeptoren in der Haut sowie in anderen Organen, etwa in der Muskulatur, die feinste Veränderungen von Drücken auf den Körper registrieren und die Informationen an das Gehirn weiterleiten. Für den Rennsport heißt das, dass ein Fahrer einen Rennwagen nur dann am Limit bewegen kann, wenn sein kinästhetischer Sinneskanal top-fit ist und zudem durch jahrelanges Training auf Rennsport geeicht wurde. Nichts anderes ist übrigens gemeint, wenn im Rennsport vom „Popo-Meter“ die Rede ist.

Timo Glock über seine ersten Runden in einem hochwertigen Formel-1-Simulator:

„Ich höre sehr oft, dass Rennfahrern schlecht wird und sie abbrechen müssen, wenn sie zum ersten Mal in einem hochwertigen Renn-Simulator sitzen. Ich bin da keine Ausnahme. 2006 wurde ich vom Team Williams zu Trainingsfahrten an deren Formel-1-Simulator eingeladen. Bereits nach vier bis fünf Runden wurde mir ziemlich schwummrig, und die Williams-Mitarbeiter brachen den Versuch von sich aus ab. Sie hatten beobachtet, dass sich meine Gesichtfarbe zunehmend in Richtung farblos veränderte. Gleichzeitig beruhigten sie mich aber auch mit dem Kommentar, dass sie Ähnliches bei nahezu allen Fahrern beobachten, und die erste Fahrt in ihrem Simulator inzwischen lieber zu früh als zu spät abbrechen. Sie wollen damit verhindern, dass sich Inhalte aus dem Magen des Fahrers auf den Simulator verteilen. Aus ihrer Erfahrung heraus verordneten mir die Williams-Mitarbeiter eine gute Stunde Erholungszeit. Danach waren die Probleme wie weggeblasen, und ich konnte ohne Einschränkung massenhaft Runden abspulen. Das ist bis heute auch so geblieben – und auch das scheint normal zu sein.“

Spitzenfahrer „spüren“ den Kurs also vielmehr, als dass sie ihn sehen. Aus diesem Grund gibt es im Zusammenhang mit dem Fahren in hochwertigen Simulatoren zu Beginn fast immer die Probleme, die Timo Glock oben beschreibt. Das Gehirn kann im Simulator die Informationen, die es über die Augen erhält, nicht mit dem koppeln, was es beim realen Fahren vom kinästhetischen System an Sinneseindrücken geliefert bekommt.

Gleichzeitig hätte ein Fahrer natürlich keine Chance, wenn er im Auto die Augen schließen würde und sich nur auf sein Gespür verließe. Letztendlich verlangen die hohen Geschwindigkeiten im Rennsport eine ganzheitliche Wahrnehmung. Das bedeutet, dass alle Sinne gemeinsam und auf hohem Niveau aktiv sind. Dabei ergänzen sich die Informationen aus den einzelnen Sinnesorganen und lassen im Gehirn einen Gesamteindruck entstehen. Den kann ein Rennfahrer allerdings nur dann in Spitzenzeiten umsetzen, wenn er den Kurs und die dazugehörigen Signale seines Fahrzeugs in seinem Kopf bereits vorher exakt abgespeichert hat. Ohne gespeichertes Wissen fehlt unter extremen Geschwindigkeiten das Fundament, um aktuelle Sinnesempfindungen gewinnbringend verarbeiten zu können.

Bewegt sich ein Fahrzeug am Limit, dann ist das Zeitfenster so klein, dass die aktuelle Wahrnehmung nur noch für die Feinjustierung der Fahreraktionen und -reaktionen sorgen kann. Letztendlich sind im Rennsport Spitzenzeiten nur dann möglich, wenn es durch das gespeicherte Wissen zum Ideal der Wahrnehmung kommt: zur frühzeitigen Antizipation1 unmittelbar bevorstehender Fahrzeugreaktionen und Rennereignisse.

1 Antizipation: gedankliche Vorwegnahme (im Sport in der Regel unbewusst) eines bevorstehenden Ereignisses.

Zum Thema „Einfluss von Geschwindigkeit“ habe ich nun einige Punkte beschrieben, die letztlich alle eines gemeinsam haben: Sie beanspruchen das Gehirn, und in der Summe ist diese Beanspruchung enorm. Allein für die Verarbeitung von anspruchsvollen Sinneseindrücken benötigt das Gehirn mindestens 60 Prozent der ihm zur Verfügung stehenden Energie. Die nachfolgende Tabelle gibt einen Hinweis darauf, wie stark das Gehirn auf mentale Mehrarbeit reagiert. Sind Bewegungsmuster noch nicht ausreichend automatisiert, hakt die Koordination der einzelnen Bewegungen oder treffen die Sinneseindrücke auf ein unzureichendes mentales Fundament, dann kommt das Gehirn schnell an seine Grenzen. Praktisch äußert sich das durch Fahrfehler. Häufen sich diese und/oder werden gar gröber, dann kann man davon ausgehen, dass die Geschwindigkeit die aktuellen Leistungsmöglichkeiten des Gehirns überfordern. Psychologisch betrachtet heißt das: Die Grenzen der Konzentrationsleistungsfähigkeit werden überschritten.


Gehirnaktivität Sauerstoffaustausch Nährstoffverbrauch
Passiver Zustand (Ruhe) 8 % 9 %
Anspruchsvolle Informationsverarbeitung 25 % 24 %

Anteil des Gehirnstoffwechsels am Gesamtstoffwechsel (in Anlehnung an Savelev, 2005; in: Barto-nietz, 2008)

Das Niveau einer Konzentrationsleistung ist stets abhängig von der Aufgabenschwierigkeit, der Aufgabenlänge und dem körperlich-mentalen Ermüdungszustand (Reulecke, in: Jansen et al., 1991, S. 63-73). Je höher die Qualitäten eines Fahrers in punkto Wahrnehmungsvermögen, Automatisierung von rennsportspezifischen Bewegungen und mentaler Repräsentation von Strecke und Fahrzeugbewegungen sind, desto leichter wird es ihm fallen, mit den hohen Geschwindigkeiten im Rennsport klarzukommen. Je leichter ihm das Fahren am Limit fällt, desto weniger Energie verbraucht sein Gehirn pro Zeiteinheit. Eine Konsequenz daraus ist, dass er seine Konzentration länger auf einem hohen Niveau halten kann und im Auto erst spät müde wird.

Die andere Konsequenz daraus: Ein solcher Fahrer wird auch am Limit noch reichlich mentale Luft für zusätzliche Aktionen haben. Damit wird auch nachvollziehbar, warum es leistungsstarken Formel-1-Fahrern möglich ist, selbst bei extremen Geschwindigkeiten noch via Funk Informationen mit dem Team auszutauschen und zu verarbeiten, ein Lenkrad mit mehr als 20 Knöpfen und Schaltern souverän zu bedienen sowie seit 2011 auch noch KERS und DRS situationsgerecht einzusetzen. Und gleichzeitig wird dem, der ein Verständnis für die körperlichmentalen Reaktionen auf Stress hat, deutlich, warum es zwangsläufig ist, dass sich übermäßiger Wettkampfstress früher oder später negativ auf die Leistungsfähigkeit im Rennwagen auswirkt – auch bei Spitzenfahrern.

1 914,22 ₽
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9783966642811
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