Читать книгу: «Tatort Oberbayern», страница 7

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Birgits Gesicht leuchtete: »Geil! RG musst aber du überzeugen.«

»Mache ich gerne. Kann nur sein, dass ich zu unkonventionellen Mitteln greifen muss. Okay?«

Katharina kannte die Antwort bereits. »Du weißt, ›unkonventionelle Mittel‹ ist mein zweiter Vorname. Mach und ich bin dabei!«

»Super, Birgit, nur noch zwei Kleinigkeiten.«

Birgit stöhnte: »Ich spare mir die Recherche verschlüsselter Daten – vorerst. Ich muss dir sowieso erst noch die Ergebnisse meiner sonstigen Recherchen schicken. Und ja, ich ziehe mich anständig an, wenn ich mit seriösen Menschen spreche.«

Katharina grinste.

»Frau Langenfels, ich habe Ihnen zugesagt, dass Frau Wachtelmaier für die Recherchen in der Adelhofer-Sache frei ist von anderen Verpflichtungen. Aber Außentermine? Quasi als verdeckte Ermittlerin? Das geht zu weit. Darf man fragen, was Frau Wachtelmaier tun soll?«

Katharinas Chef klopfte mit den Fingern genervt auf seinen Schreibtisch.

»Herr Riesche-Geppenhorst, ich möchte prüfen, ob die Angaben zu Adelhofers Bergwinter wirklich alle wasserdicht sind. Dafür müssten wir mit verschiedenen Experten sprechen. Da ich zu bekannt bin, würde es schnell die Runde machen, wenn ich anfange, mich in diesem Bereich umzuhören. Frau Wachtelmaier kennt niemand, sie wäre mit anderer Identität unterwegs. Sie ist die Einzige, die in der Redaktion Bescheid weiß und die das sehr gut recherchieren könnte.«

Riesche-Geppenhorst hob die Arme und verschränkte sie hinter dem Kopf – ein Zeichen, dass er nachdachte.

»Frau Wachtelmaier ist Archivarin und keine Kriminalkommissarin. Daher sage ich: Nein. Wie kommen Sie überhaupt darauf, dass Adelhofer lügt? Der halbe bayerische Landtag hat ihm damals gratuliert, die sind doch nicht alle auf der Brennsuppn dahergeschwommen.«

Katharinas Chef nahm die Arme wieder herunter und klopfte auf den Schreibtisch. Diesmal mit dem Kugelschreiber.

»Herr Riesche-Geppenhorst, Sie haben natürlich recht. Allerdings hat beispielsweise auch die rechte AP Adelhofer gratuliert. Für mich nicht unbedingt eine verlässliche Quelle. Ich würde der Sache gern nachgehen. Aber Frau Wachtelmaier und ich können verstehen, dass Sie sie nicht einfach für diese Außenrecherche freistellen können.«

Riesche-Geppenhorst hob überrascht die Augenbrauen.

Katharina nahm ein Blatt Papier aus ihren Unterlagen.

»Daher haben wir bereits einen Plan B überlegt.«

Sie schob ihrem Chef den Urlaubsantrag von Birgit über den Schreibtisch. Der las und schaute Katharina amüsiert an. »Na, wenn Frau Wachtelmaier für solche Recherchen Urlaub nehmen will, von mir aus. Das wäre geklärt.«

Um Katharina zu bedeuten, dass er ihren Besuch als beendet betrachtete, begann er, sich seinem Computer zuzuwenden.

»Gut. Danke, dass Sie den Urlaub so kurzfristig genehmigen.«

Riesche-Geppenhorst grinste geschmeichelt.

Katharina stand auf. An der Tür drehte sie sich noch mal um:

»Nur eins noch. Wenn Frau Wachtelmaier während ihres Urlaubs an wichtige Informationen im Fall Adelhofer kommt, ist sie natürlich nicht verpflichtet, sie ›Fakten‹ zur Verfügung zu stellen. Das wissen Sie ja. Vielleicht verkauft sie ihre Recherchen exklusiv an uns. Das hängt dann eben vom Preis ab.«

Wie zu erwarten, blickte sie in das entgeisterte Gesicht ihres Chefs.

»Wie, ich verkaufe die Nachricht exklusiv an euch? Ich kriege noch Kohle für den Spaß?« Begeistert starrte Birgit Katharina an, die kleinen Plastik-Auberginen, die sie heute als Ohrschmuck gewählt hatte, baumelten hin und her.

»Vorschlag: Du arbeitest heute noch normal und ab morgen von zu Hause, so lange wie nötig. Jetzt müssen wir uns nur noch deine Legende überlegen.«

»Meine was?« Die Auberginen vibrierten.

»Na, deine neue Identität, Legende heißt das in Geheimdienstkreisen.«

Birgits Augen leuchteten. »Habe ich mir schon überlegt. Ich heiße Andrea Moosbacher, Mutter des 16-jährigen Kevin Moosbacher. Der will Robert nacheifern und einen Bergwinter überleben und ich als besorgte Mutter frage naiv bei den Fachleuten nach, ob das funktionieren kann. Dass es Kevin nicht gibt, weiß niemand, weil die Mama das natürlich heimlich recherchiert. Kevin würde sie ja umbringen, wenn er das wüsste.«

Katharina grinste: »Klingt gut. Eine besorgte Mutter, da kommt niemand auf komische Gedanken und Roberts Geschichte ist gleich mit im Spiel.«

Dann setzte sie hinzu:

»Und wie gesagt, Frau Moosbacher, Sie sind ein Mauerblümchen! Keine Auberginenohrringe, kein Dekolleté, keine High Heels, sondern Gesundheitssandalen, graue Polyesterhosen, braune Twin Sets – wir verstehen uns?«

Birgit grinste: »Wir verstehen uns, kein Problem. Muss ich wohl modisch zurück in die Zeit mit Arnulf. Finanzbeamtengattin, du verstehst?« Birgit lachte hämisch. »Den ganzen Biederkram habe ich in zwei Koffern auf dem Speicher, ist immerhin noch mal für was gut. Ab morgen von neun bis fünf graue Maus.«

Birgit kam aus dem Strahlen gar nicht mehr heraus.

Katharina war froh, dass ihre Freundin die notwendige modische Verwandlung mit Humor nahm. »Ach, und eins noch: Ich glaube nicht, dass du Urlaub nehmen musst.«

Birgit zog erstaunt die Augenbrauen hoch.

»Ich bin sicher, dass Riesche-Geppenhorst bereits mehrmals bei mir angerufen hat. Um mir zu sagen, dass es verboten ist, dass Mitarbeiterinnen von ›Fakten‹ in ihrem Urlaub frei arbeiten und er deswegen aus reiner Großzügigkeit erlaubt, dass du den Job während deiner Arbeitszeit machst.«

»Das können wir uns von hier auch anhören.«

Birgit drückte einige Tasten an ihrem Computer, schaltete den Lautsprecher ein und Katharina hörte ihre eigene Stimme auf der Mailbox ihres Bürotelefons. Danach die wenig überraschende Nachricht von Riesche-Geppenhorst, fast wörtlich, wie Katharina es vorhergesehen hatte. Sie versuchte zu verdrängen, was Birgit sich in der Vergangenheit alles hätte anhören können, nachdem sie sich mit solcher Leichtigkeit in ihr Telefon einklinkte.

Birgit war schon einen Schritt weiter und nahm ein Handy aus ihrer Schreibtischschublade. »Bevor ich ab morgen ins seriöse Fach wechsle, will ich dir noch kurz meine sonstigen Rechercheergebnisse vorspielen.« Birgit grinste ihre Freundin an, Katharina konnte Birgits Freude nicht völlig unbeschwert erwidern.

»Was hast du gemacht?«

»Ich habe mich in Roberts Handy umgeschaut.« Katharinas entsetzten Blick konterte sie souverän: »Robert hat bei der Beerdigung sein Handy im Auto liegenlassen, ohne Sperre drin, und das Auto war offen. Ich habe ihm schnell eine Mail mit einem Link geschickt, bin hin, habe die Mail geöffnet und zack, kann die liebe Birgit dem süßen Robert ein bisschen über die Schulter schauen. Selbst schuld, wenn er so schlecht auf seinen Kram aufpasst.«

»Ich möchte dich nie zur Feindin haben, Birgit.« Mehr fiel Katharina nicht ein. Robert Adelhofer war im Fadenkreuz von Birgit Wachtelmaiers digitaler Welt aufgetaucht und daraus würde sie ihn nicht entlassen, bevor sie auch sein letztes Geheimnis entdeckt hatte.

Wie zum Beweis verkündete ihre Freundin:

»Drei gewählte Nummern, ein angenommener Anruf.« Ein paar Tasten später: »Angerufen hat ihn der Wedel und er selbst hat telefoniert mit seinen Eltern, und schau dir das an.« Birgit winkte Katharina zu sich: »Kennst du die Nummer?« Es war Katharinas Handynummer.

»Mich hat er angerufen? Habe ich noch gar nicht gecheckt«, sagte Katharina überrascht.

»Kannst du auch nicht, beautiful Robert lässt seine Rufnummer unterdrücken. Machen viele Prominente, das allein ist noch nichts Besonderes. Spannender wäre natürlich zu wissen, was er von dir wollte. Und er hat den Birnhuber Alfred angerufen. Mit dem hat er gesprochen.«

»Woher weißt du, dass diese Handynummer von Birnhuber ist?«

»Ich habe natürlich die Nummern aus dem gesamten Umfeld Adelhofers recherchiert und in mein Wundermaschinchen eingegeben, damit wir schneller vorankommen.«

Schon ertönte Adelhofers Stimme: »Servus Alfred, ich bin’s, der Robert. Wie geht’s?«

»Robert, dass du dich noch anrufen traust!«, empörte sich eine tiefe, rauchige Stimme. Im Hintergrund hörte man Gesprächsfetzen, untermalt von Gläsergeklirr. Kneipenatmosphäre.

»Wie meinst des, Alfred?«

»Robert, des weißt du genau, du Mörder. Ruf mich nie mehr an, des sag ich dir. Nie mehr, verstehst, wir sind fertig mitanand.«

42 Sekunden Gesprächsdauer zeigte das Display an.

»Birgit, als seriöse Journalistin muss ich dich für deine gesetzlosen Recherchemethoden tadeln. Ansonsten: danke. Da weiß ich deutlich mehr, bevor ich den Birnhuber übermorgen treffe.«

Birgit blickte kurz von ihrem Schreibtisch auf, zwinkerte und sagte: »Gut, Frau Langenfels, ich suche Ihnen bis heute Abend alle Artikel aus der Chiemseezeitung raus für den Besuch bei Birnhuber übermorgen. Gehen in Kopie an Riesche-Geppenhorst, Arbeitsnachweis, Sie verstehen.«

Katharina warf ihrer Freundin eine Kusshand zu und ging.

In der Zeit, bis sie Svenja abholte, entstand der zweite Artikel der Adelhofer-Reihe. Sie blieb bei den Fakten, ließ aber für die Freunde des Klatschs ihren engen Kontakt zu Adelhofer durchblicken.

Mittwochnachmittag,
München Bogenhausen

Mit einem leisen Summen öffnete sich die Tür ihrer Wohnung – wobei – Penthouse traf es besser. Sie warf den elektronischen Türöffner auf die Kommode am Eingang und trat ans Fenster – ihr Ritual beim Nachhausekommen –, als müsste sie sich bestätigen, dass sie tatsächlich hier wohnte, mitten in Bogenhausen, über den Dächern von München. Sie seufzte zufrieden, bis ihr der notdürftige Zustand ihrer Haare einfiel. Schnell ging sie ins Bad und begann das übliche Prozedere. Nach einer Dreiviertelstunde trat sie vor den Spiegel und war zufrieden. Sie fühlte sich wieder wie ein Mensch und konnte beginnen, ihren Plan in die Tat umzusetzen. Kurze WhatsApp: »Hallo, Thomas. Kann dir dein neues Handy gern erklären. Gruß, Jana.«

Nur nicht zu freundlich klingen, kein »liebe Grüße«, kein Date vorschlagen. Nur die nette Jana spielen, die dem Kumpel Thomas mit seinem neuen Smartphone hilft …

Stolz griff sie zum Schokoriegel.

WhatsApp-Alarm: »Gerne, komme morgen 19 Uhr zu dir. Adresse? LG Thomas«.

Grinsend schickte sie ihm ihre Anschrift. Morgen würde sie ihr Haar besonders gründlich stylen, reichlich Parfum auftragen, den neuen Stringtanga anziehen und dann würde es laufen wie immer …

Freitagmorgen, München Haidhausen

Punkt 10 Uhr klingelte Katharina bei ihrer Mutter. Neben ihr stand Svenja, ihren Elyas-M’Barek-Rucksack auf dem Rücken, die Elyas-M’Barek-Kappe auf dem Kopf und ein strahlendes Lächeln im Gesicht.

Die Tür ging auf und sofort sprang Svenja ihrer Oma an den Hals.

»Svenjalein, wie schön, dass du da bist. Und was für eine tolle Kappe du aufhast. Mensch, die hätte ich auch gern.«

Über Svenjas Kopf hinweg grinste Susanne Hartschmidt ihre Tochter an. »Katharinchen, magst du noch auf einen Kaffee reinkommen?« Mit Svenja auf dem Arm kam ihre Mutter auf Katharina zu und drückte ihr liebevoll einen Kuss auf die Wange.

»Nein, Mama, das ist lieb, aber ich muss los. Um 17 Uhr bin ich zurück.« Svenja zappelte auf Omis Arm, Susanne Hartschmidt konnte nur noch über die Schulter rufen: »18 Uhr kommt meine Qi-Gong-Gruppe, bis dahin habe ich alle Zeit der Welt für meine Enkeltochter. Du musst jetzt selbst stehen, Svenjalein, so leicht bist du nicht mehr.« Nach einem schmatzenden Kuss auf die Wange stellte sie Svenja auf den Boden. Katharina drückte ihre Tochter zum Abschied und fuhr los. Breitbrunn am Chiemsee, 124 Kilometer laut Navi.

Gedanklich war Katharina noch bei ihrer Mutter. Was für ein Glück sie mit ihr hatte. Sie führte ein erfülltes, für Katharinas Geschmack etwas zu esoterisches Leben und war vollkommen mit sich zufrieden. Kamen Katharina oder ihre Enkelin, war sie zu hundert Prozent Mama oder Oma. Fantastisch! Und keine Selbstverständlichkeit, wie Katharina von diversen Freundinnen mit mehr als schwierigen Mutter-Tochter-Beziehungen wusste.

Habe ich ihr das eigentlich jemals gesagt, fragte sie sich schuldbewusst – wahrscheinlich hat sie es bei einer ihrer Liebesmeditationen gespürt, beruhigte sie sich gleich selbst.

Eineinhalb Stunden später stand Katharina in Breitbrunn vor einer großen alten Kastanie – diesen kurzen Abstecher musste sie sich heute gönnen. Die Kastanie war »ihr« Baum, auf den sie sich früher oft zurückgezogen hatte, wenn Familie Langenfels sich ein Wochenende auf dem Stangerlhof gönnte.

Es gibt ihn noch, dachte sie und sah, wie leicht der Baum für sie als Erwachsene zu erklettern war. Die drei großen Stämme boten jeweils in der richtigen Höhe Einbuchtungen, die man als Stufen benutzen konnte.

30 Sekunden später war sie oben. Als Kind war die Besteigung ein kleines Abenteuer gewesen.

Von oben sah sie den vertrauten Ausblick auf den Chiemsee auf der linken Seite und die Straße Richtung Gstadt auf der rechten. Kam damals ein Auto vorbei, hatte Katharina Kennzeichen, Wagentyp und Auffälligkeiten der Insassen in ein imaginäres Walkie-Talkie geflüstert – dass sie später nicht Polizistin werden würde, hätte sie damals nie geglaubt.

Unzählige Seiten Tagebücher hatte sie hier oben vollgeschrieben – mit Liebeskummer, Ärger über Lehrer, Ungerechtigkeiten der Eltern. Einen ganzen Karfreitagnachmittag hatte sie beleidigt hier verbracht – und sich gefreut, als ihre Eltern unten nach ihr suchten und nicht auf die Idee kamen, nach oben zu schauen.

Den Grund wusste sie nicht mehr, nur wie ihre Mutter liebevoll die Arme ausgebreitet hatte, als sie wiederaufgetaucht war.

Während sie vom Baum stieg, überlegte Katharina, dass es vielleicht kein Zufall war, dass sie 20 Jahre später hierherkam, um zu recherchieren, wenn auch nicht als Polizistin. Immerhin war ein Toter im Spiel.

Oh, Frau Langenfels, ganz die spirituelle Mama, dachte Katharina lächelnd, stieg ins Auto und fuhr zum Seewirt nach Gstadt.

Fünf Minuten später stellte sie ihr Auto auf dem Parkplatz am See ab. Vor ihr lag Frauenchiemsee, rechts gab es noch den Wanderweg nach Breitbrunn. Eine Stunde Marsch hatte sie als Kind oft auf sich genommen, um von hier mit dem Dampfer auf die Fraueninsel rüberzufahren. Die Lebkuchen im Klosterladen der Benediktinerinnenabtei waren es ihr wert.

Frag dich nie mehr, woher Svenja ihre Vorliebe für Süßigkeiten hat, dachte sie.

Heute musste der Inselausflug ausfallen. Stattdessen stieg Katharina die Treppen zum Seewirt hoch.

Drin roch es ungewohnt. Schweinsbraten, Rotkraut, heißes Fett, das war normal. Was fehlte, war der Zigarettenrauch, der gehörte für sie zu dieser Wirtschaft wie das Kloster zur Fraueninsel. Ein deutliches Zeichen, wie die Zeiten sich geändert hatten. Die Männer saßen an der Theke vor ihrem Weißbier – ohne Kippe in der Hand.

Drei Tische waren besetzt. An einem hockte eine Touristenfamilie, deutlich zu erkennen am »Oberbayern«-Reiseführer auf dem Tisch und der Tatsache, dass sich die Eltern abmühten, mit Messer und Gabel die Haut von ihren Weißwürsten zu kriegen. Das Fleisch aus der Wurstpelle herauszuzuzeln, Katharinas Lieblingstechnik, war bei Touristen unbekannt.

Am zweiten Tisch saßen zwei junge Frauen vor ihrer Cola und warteten offenbar auf den Dampfer nach Prien – sie planten bereits, in welcher Reihenfolge welche Läden abgeklappert werden mussten.

Am dritten Tisch erkannte sie einen einzelnen Mann – vor sich Schweinsbraten mit Knödeln, Krautsalat in einer Schale daneben, und gerade bekam er das nächste Weißbier gebracht. »Alfred, dass der Schweinsbraten besser schwimmt, gell. Lass dir’s schmecken.«

Als die Bedienung sich umdrehte, sah sie Katharina, kam auf sie zu und fragte: »Grüß Gott, wolln Sie was essen? Tisch könnens sich aussuchen, ist nicht viel los heut’.« Mit einer ausladenden Geste, bei der sich der beeindruckende Busen im Dirndl hob und senkte, zeigte die bayerische Vorzeigekellnerin auf die freien Tische.

»Vielen Dank, ich möchte eigentlich zu Herrn Birnhuber.« Überrascht zog die Kellnerin die Augenbrauen hoch, schaute zu Alfred hinüber und rief durch das ganze Lokal: »Alfred, Besuch für dich, eine Frau …« Fragend musterte sie Katharina. Die beschloss, die neugierige Dirndlträgerin einfach zu ignorieren, und ging auf Birnhuber zu:

»Grüß Gott, ich bin Katharina Langenfels aus München. Man hat mir gesagt, dass Sie freitags um diese Zeit hier sind. Darf ich mich kurz zu Ihnen setzen?«

Alfred Birnhuber, der die ganze Zeit seinen Kopf nicht vom Schweinsbratenteller abgewendet hatte, schaute nun auf und sagte:

»Für schöne Fraun hab ich immer Zeit, setzn sich her.« Er klopfte auf den Holzstuhl neben sich und rief zu der Bedienung rüber: »Mari, bringst noch an Schweinsbraten und a Bier für die Schönheit aus München.«

»Wasser bitte, kein Bier«, rief Katharina hinterher und beschloss, die übergriffige Schweinsbratenbestellung zu ignorieren.

»Sie wolln von mir wissn, was mit dem Lukas los war«, konstatierte Birnhuber.

»Wenn Sie mit mir darüber reden wollen, gerne.«

Birnhuber nickte, häufte sich geschickt eine große Ladung Braten, um den herum er Knödel und Krautsalat drapierte, auf die Gabel und schob sich das Ganze in den Mund.

Während er kaute und nichts sagen konnte, kam das bedienende Dirndl-Dekolleté mit Katharinas Essen an den Tisch: »Ihr Schweinderl, gell. Kennen Sie sich? Alfred, des hast mir ja gar nicht gsagt, dass du eine Freundin in München hast.«

»Ge Mari, schleich di, des geht dich nix an.«

Beleidigt wogte der Busen mitsamt seiner Trägerin davon.

»Frau Obermann hat mir erzählt, dass Sie die Polizei verständigt haben an dem Tag, als Lukas Adelhofer gefunden wurde. Weil Sie wohl einen Verdacht hatten. Mich würde interessieren, warum Sie den hatten.«

Alfred Birnhuber kaute konzentriert weiter. Katharina begann zu essen und musterte dabei den Mann aus dem Augenwinkel. Er hatte gut geschnittenes, dunkelbraunes Haar, trug ein gebügeltes hellbraunes Polohemd, gepflegte Jeans und braune Halbschuhe. Sie schätzte ihn auf Mitte 40. Nachdem er sich mit der Serviette den Mund abgewischt hatte, legte er los:

»Wissens, ich bin an dem Tag nach München gfahrn auf die Pressekonferenz, weil mich der Lukas eingladen ghabt hat. Sie hab ich übrigens auch gsehn, wie Sie den Robert angschaut ham, als er Sie nach Ihrem Zusammenstoß mit der Blondine entdeckt hat. Liebe auf den ersten Blick ist anders.« Birnhuber grinste.

Schlaues Bürschchen, dachte Katharina und wischte mit dem letzten Stück Kartoffelknödel den Saucenrest vom Teller.

Laut sagte sie: »Herr Adelhofer hatte Sie auf diese Pressekonferenz eingeladen. Wann war das?«

»Zehn Tage vorher. Am Freitag simma hier gsessn, wie Sie und ich jetzt. Beim Schweinsbraten hat er zu mir gsagt, dass er mich als Unterstützung braucht. Wieso Unterstützung, hab ich ihn gfragt. Weil es sein könnt’, dass er danach jemanden braucht, der noch mit ihm redet, hat er gsagt. Ich hab gfragt, wieso, aber er hat mir keine Antwort gebn. Nur gschaut hat er, wie er noch nie gschaut hat, traurig, wütend, entschlossen, alles in einem.«

»Was, glauben Sie, hatte das zu bedeuten?«

»Der Lukas hat eine Bombe platzen lassen wollen. Den Robert bloßstellen, vor der ganzen Presse, vor allen.«

»Was für eine Bombe? Was gab’s Schlimmes, was er hätte erzählen können?«

»Viel. Der Robert hat den Lukas total kaltgestellt, als er aus seinem Bergwinter zurück war – hat sich selber in den Vordergrund drängt und den Bruder links liegen lassn. Dass er den Wedel als Manager gholt hat, des hat dem Lukas den Rest gebn. Weil er alles geregelt ghabt hat während dem Robert seinem Bergwinter und auch danach. Und dann hat der Robert ihm gsagt, ›dass man in der modernen Medienwelt einen Fachmann braucht‹. Da hat’s angfangen mit dem Lukas seinem Absturz.«

»Das wollte er in dieser Pressekonferenz erzählen?«

»Könnt’ ich mir vorstellen. Am Lack vom tadellosen Helden bissl kratzn, verstehns?«

»Warum hat er sich dann an dem Tag umgebracht, an dem er dazu die Chance gehabt hätte?«

»Des frag ich mich die ganze Zeit. Ich glaub, dass der so Angst vor dem Robert ghabt hat, dass er sich des doch nicht traut hat. Weil er genau gwusst hat, dass der Robert zusammen mit seinem grausligen Wedel ihm des Leben noch mehr zur Hölle machen würde, wenn er was gsagt hätt’. Der Robert hätt’ des bestimmt so hingedreht, dass alle ihm geglaubt hätten und ned dem versoffenen Bruder.«

»Und weil er nicht auf der Pressekonferenz war, haben Sie vermutet, dass er sich umgebracht hat, und zwar in der Adelhofer-Scheune?«

Birnhuber trank einen großen Schluck Weißbier und seufzte: »Mei, nicht direkt. Wenn er gar nimma konnt hat, isser halt meistens in die Scheune. ›Robertfreier Raum‹ hat er die gnannt. Und wie er nicht in München war und nicht an sein Handy gegangen is’, hab ich mir halt dacht, dass er in der Scheune is’. Befürchtet hab ich, dass was passiert is’, vielleicht auch vermutet.« Nachdenklich starrte Birnhuber auf die weiß-blau rautierte Tischdecke.

Das Dirndl-Dekolleté hatte einen Vorwand gefunden, an den Tisch zu kommen.

»Darf’s noch a Kaffeetscherl sein und an Apfelstrudl dazu?«

Katharina und Birnhuber bestellten beide einen Espresso.

»Freust dich, Alfred, dass du a nette Gesellschaft hast am Freitag? Wissns«, sagte Dirndl-Mari und schaute verschwörerisch zu Katharina, »seitdem, dass der Lukas tot ist, sitzt er halt allein da, der arme Alfred. Tröstens ihn halt a bissl.«

Lukas bedeutete Mari mit einer unmissverständlichen Geste, dass sie verschwinden solle, und sie wogte erneut beleidigt davon.

»Weiß Robert Adelhofer eigentlich, wie Sie über ihn denken, Herr Birnhuber?«

Augenblicklich erwachte der Bayer aus seiner Melancholie.

»Des könnens glauben, logisch! Gestern hat er mich angrufn und wollt mit mir reden. Ich hab ihm gsagt, dass er mich in Ruh lassn soll und dass er ein Mörder is’, und hab aufglegt.«

»Wieso haben Sie zu ihm gesagt, dass er ein Mörder ist?«

»Weil er den Lukas auf dem Gewissen hat. Auch wenn er ihn nicht umbracht hat.«

»Was glauben Sie, warum Robert Sie angerufen hat? Was wollte er von Ihnen?«

»Der wollt’ genau des wissen, was ich ihm gsagt hab. Wie ich zu ihm steh. Da hab ich jetzt einen richtigen Feind oder sogar zwei. Den Wedel und den Robert. Aber des halt ich aus, des Bürscherl, des verlogene, der soll mir bloß deppert kommen, wird schon sehn, was er davon hat.«

»Herr Birnhuber, was für ein Verhältnis hat Max Adelhofer zu seinen Söhnen?«

»Oh mei, der Max und seine Bubn. Wissns, ich glaub, dass er den Robert lieber gmocht hat als den Lukas. Weil er dacht hat, dass der Robert ein Macher is’, einer, der’s im Griff hat. Der Lukas is’ nie richtig zum Zug kommen. Der war zwar gradraus und ehrlich, aber immer im Schatten vom Robert. Des hat der Max ned gsehn, dass der Lukas sich untergeordnet hat. Und wie er abgstürzt is’, des war erst recht ned leicht für den Max. Weil psychische Probleme, des gibt’s im Max seiner Welt ned. Reden ist auch nicht sei Sach. Dann hat er den Lukas machen lassn und hat nix dazu gsagt. Ich glaub, dass ihm des jetzt leidtut. Des weiß er wahrscheinlich selber noch gar ned. Und der Robert hat halt a Geld auf den Adelhofer-Hof bracht mit den depperten Führungen und dem ganzen Schmarrn. Gfalln hat dem Max des ned, aber der Robert war halt sein Robert und des Geld brauchens, der Max und die Rosa. Landwirtschaft hams keine mehr und Fremdenzimmer vermietens auch nimmer – des war der Rosa irgendwann zu viel. Und da is’ die ›Geldquelle Robert‹ halt praktisch.«

»Ist Max Adelhofer deswegen in Roberts Sendung aufgetreten?«

Birnhuber schaute Katharina an: »Logisch. Der Max is’ garantiert ned freiwillig dahin. Niemals. Des war ein Deal zwischen dem Robert und dem Max. Da is’ bestimmt Geld gflossn. Oder auch nicht, wo er ja keinen Ton gsagt hat.« Birnhuber starrte vor sich hin. »Des wird der Max niemals zugeben, weil er genau weiß, dass dann der Geldhahn zugedreht wird.«

Eine Weile lang schwiegen beide und rührten in ihren Tassen, bis Katharina ihre letzte Frage stellte: »Warum haben Sie der Polizei nicht erzählt, dass Lukas Sie auf die Pressekonferenz eingeladen hat?«

»Hab ich. Nur, was er mir dazu gsagt hat, warum er mich eingladen hat, des hab ich nicht erzählt. Dass ich auf der Pressekonferenz war, hat die Frau Kommissarin ned so interessant gfunden. Also, Frau Langenfels, Sie haben echte Exklusivinformationen.«

Birnhuber lächelte melancholisch. »Vielleicht könnens damit dem Robert endgültig die Suppe versalzen.« Er drückte ihr eine Visitenkarte in die Hand: »Wenns noch was brauchen, müssens nicht herfahren, rufens mich einfach an. Dem Robert das Handwerk zu legen, bin ich jederzeit dabei.«

Nach dem Gespräch mit Birnhuber hatte Katharina noch reichlich Zeit, bis sie Svenja abholen musste, und beschloss spontan, auf dem Friedhof vorbeizufahren.

Ein paar Minuten später parkte sie neben einem Lieferwagen mit der Aufschrift »Floristik Angerer – Ihre Nummer eins für Chiemseeblumen«.

Tatsächlich war die Nummer eins gerade dabei, ein Blumenarrangement an Adelhofers Grab abzustellen.

Als Katharina näher kam, entdeckte sie Rosa Adelhofer. Sie stand wie bei der Beerdigung in Schwarz gekleidet neben dem Grab und weinte ohne Unterlass. Ihr rot kariertes Stofftaschentuch hob sich als fröhlicher Farbklecks von ihrer Trauerkleidung ab. Es war völlig durchnässt. Katharina trat auf sie zu und reichte ihr schweigend ein Papiertaschentuch. Rosa Adelhofer schaute kurz auf, nahm es und schnäuzte kräftig hinein.

»Frau Adelhofer, wollens nicht wiederkommen, wenn wir fertig sind? Sie müssen sich das doch nicht antun.« Der junge Mann in Arbeitshosen und sandiger Jacke, offensichtlich ein Angestellter von Floristik Angerer, war mit der Situation leicht überfordert. Mit einem zweiten Kollegen versuchte er, das Gesteck zu platzieren und dabei die vielen verwelkten Trauerkränze, die nach wie vor auf dem Grab lagen, unbeschadet zu lassen.

»Frau Adelhofer, der Mann hat vielleicht recht. Soll ich Sie heimbringen und Sie kommen heute Abend wieder? Dann schaut das hier bestimmt schön aus.« Rosa Adelhofer blickte auf das Grab, schnäuzte sich noch mal, nickte und machte sich auf den Weg zum Ausgang. Katharina ging schweigend neben ihr her und merkte, wie Rosa sich langsam beruhigte.

»Ich schreibe eine Serie über den Robert, ich glaube, die Frau Obermann von der Polizei hat Ihnen von mir erzählt. Mögen Sie vielleicht ein bisschen mit mir über Ihre beiden Söhne sprechen? Ich hätte noch etwas Zeit, bis ich zurück muss nach München, um meine Tochter bei meiner Mutter abzuholen.«

Rosa Adelhofer nickte und sagte: »Die Frau Kommissarin hat gsagt, dass Sie a Gute san. A Tochter hams, schön, ich hätt gern noch a Tochter ghabt zu den beiden Buben. Aber der Max hat net wolln.« Gedankenverloren ging die alte Frau weiter, schaute dann Katharina an und fügte hinzu: »Eigentlich mag ich mit der Zeitung und dem Fernsehen nix zu tun ham, aber ich glaub des, dass Sie anders san. Hoffentlich täusch ich mich ned.«

Katharina drückte kurz Rosa Adelhofers Arm: »Ich verspreche Ihnen, nichts zu schreiben, womit Sie nicht einverstanden sind. Ist das in Ordnung?«

Rosa Adelhofer nickte. »Ich kann Ihnen bloß nix anbieten außer Kaffee und Wasser.«

Am Adelhofer-Hof angekommen nahm die Bäuerin Katharina die Jacke ab und hängte sie zusammen mit ihrem Lodenmantel an zwei Garderobenhaken.

»Ist Ihr Mann nicht zu Hause?«, fragte Katharina mit einem Blick auf die leere Garderobe.

»Ich weiß ned. Mir sehn uns fast nimma, zum Frühstück kommt er manchmal in d Küch’, was er sonst den ganzen Tag macht, weiß ich ned.«

»Er leidet wahrscheinlich wie Sie unter dem Tod Ihres Sohnes. Männer können das oft nicht gut ausdrücken«, versuchte Katharina irgendetwas Tröstliches zu sagen und kam sich im gleichen Moment ziemlich blöd vor mit ihrer Stammtischpsychologie.

Frau Adelhofer ging vor ihr in die Küche und deutete auf die Eckbank. Katharina setzte sich und schaute zu, wie die alte Frau den Kaffee zubereitete.

»Sie haben vom ganzen Haus einen wunderbaren Blick auf den See.« Katharina konnte bis zum Beginn von Herrenchiemsee schauen. Roberts Mutter nickte gedankenverloren. Sie schien nur noch aus Selbstbeherrschung zu bestehen, wie sie den gewohnten Alltagshandgriffen nachging. Plötzlich nahm sie den vorherigen Gesprächsfaden wieder auf:

»Mit dem Reden hat’s der Max noch nie ghabt, da hams scho’ recht. Aber seitdem dass der Bub nimmer is’, hab ich meinen Mann nimma. Vorher hat er zwar ned viel geredet, aber ich hab gwusst, dass er da is’.« Rosa Adelhofer stellte zwei große geblümte Kaffeetassen auf die Wachstuchtischdecke und setzte sich Katharina gegenüber.

»Und jetzt hab ich ihn nimmer, wie wenn er auch tot wär’.«

Die alte Frau starrte in ihre Tasse. Getrunken hatte sie bislang keinen Schluck.

»Hat Ihr Mann ein enges Verhältnis zu Lukas gehabt?«

Rosa Adelhofer sah weiter auf ihren kalt werdenden Kaffee: »Mei, wissns, vom Lukas hama gar nix mehr gwusst. Es ist ihm halt ned gut gegangen, und er war neidisch auf den Robert und hat dacht, dass wir den Robert lieber ham als ihn. Er hat nix mehr mit uns zu tun ham wolln. Mit mir auch ned. Aber ich bin doch seine Mama.« Verstohlen wischte sich Rosa Adelhofer Tränen aus dem Gesicht.

Katharina legte ihre Hand auf die faltige, raue Hand der Bäuerin.

»Entschuldigen Sie bitte meine Fragen, Frau Adelhofer. Das war dumm und unsensibel von mir.«

Rosa schaute auf. In ihrem Blick lag etwas Liebevolles: »Is’ scho’ gut, Madl. Ich bin froh, dass ich mit jemand reden kann, is’ doch sonst keiner mehr da. Wissns, was des Schlimmste war? Ich hab dem Lukas jeden Tag was zu essen vorbeibracht, weil ich gwusst hab, dass es ihm ned gut geht. Seine Leibspeisen hab i gmacht – Rahmschwammerl mit Semmelknödel, Backhendl, Dampfnudeln oder an Obazdn. Er hat mir die Tür aufgmacht, hat’s Essen gnommen und hat die Tür zugmacht. Aber beim letztn Mal …«, Rosa Adelhofer konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Katharina reichte ihr ein Taschentuch und streichelte hilflos ihre Hand.

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22 декабря 2023
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9783734994944
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