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Читать книгу: «Liebesdramen», страница 5

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Sechstes Capitel.
Susanne Mottet

Louis von Fontanieu wurde durch Susannens Stimme ans seiner Bewußtlosigkeit geweckt.

Die Stimme der Frau Mottet würde dies vielleicht nicht vermocht haben, aber sie klopfte ihm auf die Schulter.

»Wünschen Sie, junger Herr, daß ich Sie hinaus begleitete?« sagte sie höhnisch.

Fontanieu sah sich um und erkannte die alte Dame von gestern Abend – dieselbe, die er vor einer Stunde hinter der Gartenmauer gesehen hatte.

Sie nahm sofort seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch, als hätte er geahnt, daß diese ihm doch ganz fremde Person einen unheilvollen Einfluß auf sein Geschick haben werde.

Wir haben das moralische Bild Susannens gegeben, aber ihr Aeußeres noch nicht geschildert.

Susanne Mottet war eine Frau von fünfzig Jahren, kurz und beleibt, also von ziemlich gemeinem Aeußern. Die Fettschichten, die sich auf ihren Wangen gelagert, hatten ihr ausdrucksvolles, schlaues Gesicht indeß nur wenig verändert. An ihre zwar dicken, aber in den Mundwinkeln stark aufgezogenen Lippen, an dem starken Flaum, der sie beschattete, an dem hervorstehenden Kinn war ihre Willenskraft zu erkennen. Die niedrige Stirn, welche unter den struppigen grauen Haaren und den buschigen Brunnen fast verschwand, würde dem großen Gesicht einen grotesken Ausdruck gegeben haben, wenn der Blick ihrer hellblauen Augen nicht so lebhaft und durchdringend gewesen wäre.

Während Louis von Fontanieu ihre Person musterte, nahm Susanne ohne Umstände auf einem Sessel des Salons Platz. Sie schien einen weiten Weg gemacht zu haben, denn dicke Schweißtropfen rannen von ihrer Stirne, die sie mit einem großen bunten Schnupftuch trocknete. Endlich wiederholte sie, wie ein zur Tränke geführtes Pferd schnaubend, ihre Frage.

»Wünschen Sie, junger Herr, daß ich Sie hinaus begleitete?«

»Nein,« antwortete Louis, »aber statt dessen ersuche ich Sie um eine Gefälligkeit.«

»Womit kann ich Ihnen dienen?«

»Erklären Sie mir Ihre gestrigen Worte, die für mich ein Räthsel geblieben sind.«

»Ich erinnere mich nicht mehr.«

»Aber ich erinnere mich so gut, daß ich dem Herrn Marquis Alles was Sie gesagt haben, Wort für Wort wiederholen kann, und er wird solche Aeußerungen in dem Munde einer Frau, die seiner Dienerschaft angehört, gewiß sonderbar finden.«

Susannens Augen sprühten Feuer.

»Ich stehe nicht bei dem Herrn Marquis im Dienst,« antwortete sie mit einer Verachtung, die sie gar nicht verhehlte. »Ich bin die Amme, die Gesellschafterin der Frau Marquise, und der Marquis hat nicht das Recht mich von ihr zu trennen.«

»Sie haben sie also sehr lieb?« fragte Louis von Fontanieu, für den es schon eine Freude war von Emma zu sprechen.

»Wen meinen Sie? meine Tochter?«

»Ich meine die Frau Marquise.«

»Wie sollte ich sie nicht lieb haben? ich habe sie ja erzogen. Sie sahen sie gestern zum ersten Male und waren gleich vernarrt in sie.«

»Ei! ei! es scheint, daß Sie mein Gespräch mit der Marquise belauscht haben.«

Susanne lachte. – Louis sah sie scharf an.

»Was ist denn lächerlich an meinen Worten?« fragte er.

»Wenn ich Ihnen gesagt habe, daß ich jede Nacht aufstehe, um sie schlafen zu sehen, daß ich stundenlang auf ihren Athem lausche, ihr Mienenspiel beobachte, um sie zu wecken, falls sie von bösen Träumen geplagt wird – dann werden Sie sich nicht mehr wundern, daß ich zu wissen wünschte, was der Mann, der eine Secunde ihr Schicksal in seiner Hand hatte, mit ihr sprach.«

»Sie werden doch nicht im Ernst bedauern,« sagte Fontanieu leise, »daß mein Duell mit dem Marquis keinen schmählichen Ausgang genommen?«

»Warum nicht?« fragte Susanne Motten den jungen Mann scharf ansehend.

Fontanieu vermochte sein Erstaunen nicht zu verbergen.

Susanne setzte mit Ingrimm hinzu:

»Haben Sie denn Mitleid, haben Sie Thränen für den Mörder, der auf dem Blutgerüst den Tod eines Mitmenschen büßt?«

»Aber der Marquis —«

»Was!« eiferte Susanne, »Sie haben kein Erbarmen mit dem Unglücklichen, der ein Verbrechen begangen, um Brot für seine Kinder zu bekommen – und den Unhold, der mir mein Kind genommen, der es vor meinen Augen zu Tode martert, der Verzweiflung preisgibt, soll ich nicht hassen! Sie sind wahrlich nicht bei Sinnen, junger Herr!«

»Still! man kann uns hören –«

»Ei! was liegt mir daran? ich will’s ihm ins Gesicht sagen. Ich will ihm sagen, daß ich heute Früh eine geweihte Kerze in die Kirche getragen und die heilige Jungfrau angerufen habe, meinen täglichen Wunsch zu erfüllen. Sie wissen nicht was eine Mutter ist – und ich bin ihre Mutter: ich habe sie an meiner Brust genährt. Jede Thräne die aus ihren Augen rinnt, fällt aus mein Herz und brennt eine Wunde hinein. Und an meinem Herzen ist längst kein Platz mehr für eine einzige Wunde. Sie hat so viel geweint, daß sie graue Haare bekommt. Mit zweiundzwanzig Jahren! Und bei einer Blondine! Es ist eine himmelschreiende Sünde. Ach! ich wußte es wohl, ich wollte auch nicht zugeben, daß er uns heirate. Gott ist mein Zeuge, daß ich es nicht wollte! Wenn er noch ein freundliches, liebevolles Wort für sie hätte, wie Sie vorhin, so könnte ich wohl ruhig zusehen, wenn er ihre Güter verkauft und ihr Vermögen verpraßt. Ach! sie liebt! Ich sage Ihnen, was in ihrem Herzen vorgeht, weiß Niemand. Schon als Kind hatte sie ein tiefes Gefühl. Wenn ich sie auszankte, begnügte sie sich nicht, wie andere kleine Mädchen zu weinen und zu schmollen – nein, sie wand sich zu meinen Füßen und sagte: Susanne, meine gute Susanne, sage mir doch, daß Du mich lieb hast! Und ich dachte bei mir selbst: Mein Gott! was wird daraus werden, wenn sie einmal einen Mann bekommt, der nicht liebevoll und zärtlich gegen sie ist? Und was ich gefürchtet, ist wirklich eingetroffen. Gott allein weiß was sie leidet. Sie wird sich todt grämen. Sie ist verloren. Nein, nein, so kann sie nicht leben!«

Die letzten Worte sprach Susanne mit zitternder Stimme. Sie brach in Thränen aus, stand auf, nahm von dem Arbeitstische eine Stickerei, an welcher Emma gearbeitet hatte, und bedeckte sie mit Küssen.

Louis von Fontanieu war eben so erstaunt als gerührt. Er hatte die innige Zuneigung dieser Frau zu ihrer Gebieterin gar nicht geahnt, und der unwillkürliche Vergleich, den er zwischen dieser Zärtlichkeit und seiner Leidenschaft machte, stellte diese tief in den Schatten. Susanne erschien ihm groß und edel, ungeachtet ihrer etwas trivialen Geschwätzigkeit und ihres Mangels an feiner Weltsitte. Er betrachtete sie mit eifersüchtiger Neugierde; er beneidete die feurigen Blicke der armen Frau, die so ganz Hingebung und Liebe war.

Ohne recht zu wissen, was er sprach, nahm er den Marquis in Schutz.

»Sie machen sich vielleicht zu übertriebene Vorstellungen von der Aufführung des Herrn Marquis,« sagte er. »Mich dünkt, daß die Folgen nicht so unglücklich sein werden, wie Sie fürchten. Und warum sollte man an seiner Rückkehr zum Guten verzweifeln?«

Susanne zuckte die Achseln und sah den jungen Mann mit einer Verachtung an, die ihm bewies, daß sie alles gehört hatte, was er mit der Marquise gesprochen.

»Hören Sie,« sagte sie endlich, »ich kenne die Frau Marquise; zu jeder Stunde des Tages kann ich sagen, was in ihrem Herzen vorgeht. Den Marquis kenne ich noch besser. Er sollte sich seiner Frau wieder zuwenden? Kann denn meine Emma lügen? Weiß sie sich zu vorstellen, um ihm zu gefallen?«

»Ich wiederhole, was ich der Frau Marquise gesagt habe: es ist nicht meine Schuld, wenn meine Bemühungen fruchtlos bleiben.«

»Glauben Sie denn, junger Herr, Sie könnten mit mir Ihr Spiel treiben wie mit meiner armen Emma? Es ist eine Komödie, nichts weiter. Wer weiß, ob er Ihnen diese Rolle nicht einstudirt hat? Er ist ja zu Allem fähig. Es wäre ihm eben recht, wenn wir uns etwas zu Schulden kommen ließen. – Ja, ja,« setzte Susanne nachsinnend hinzu, »er hat Sie abgeschickt. – Aber sie, soll gewarnt werden, darauf können Sie sich verlassen; ehe Sie aus dem Hause sind, werde ich ihr sagen, was ich von der Sache denke.«

»Ei, thun Sie das nicht, ich beschwöre Sie!« sagte Louis von Fontanieu.

»Und wenn Sie sich hier wieder blicken lassen,« setzte Susanne, ohne seine Bitte zu beachten, hinzu, »so werden Sie von ihr mit verdienter Verachtung behandelt werden.«

»Aber ich liebe sie! ich liebe sie!« sagte Fontanieu außer sich.

»Wenn das wäre,« entgegnete Susanne, »würden Sie dann nicht begierig die Gelegenheit ergriffen haben, sie ihrem Peiniger zu entreißen? Nein, nein, sie soll wissen, daß sie von Ihnen nichts zu erwarten hat, daß Sie ein Verräther sind —«

»Ich beschwöre Sie, thun Sie das nichts Rauben Sie ihr nicht den einzigen Freund, den sie auf der Welt hat.«

Louis von Fontanieu begleitete diese Worte mit einer bittenden Geberde.

»Das fehlte noch!« erwiederte Susanne Mottet, »nein, so wahr wir —«

Sie hielt inne. Die Thür that sich rasch auf und der Marquis von Escoman trat ein.

Als er die feierliche Geberde Susannens und das bestürzte Gesicht Fontanieu‘s sah, bracht er in ein lautes Gelächter aus.

»Par la mort!« sagte er, »ich glaube, daß ich störe – ich entferne mich.«

»Was meinen Sie, Marquis?« stammelte Louis von Fontanieu.

»Ich meine, Theuerster, daß Sie einer Situation nahe sind, wo Sie, wie weiland Jupiter, eine Wolke zu Ihrer Verfügung haben möchten; da dies aber schwerlich der Fall sein dürfte, so wird Ihnen die Discretion eines Cameraden gewiß willkommen sein.«

»Wahrhaftig, Marquis,« erwiederte Fontanieu, der sich alle Mühe gab, in den frivolen Ton einzustimmen, »ich habe große Lust, Sie wieder auf die Wiese zu führen.«

»Herr Marquis,« sagte Susanne, die sich so steif und gerade hielt, wie es bei ihrer Beleibtheit möglich war, und ihren Zorn gar nicht verbarg, »Sie-scheinen dem Herrn sowohl als mir ein schlechtes Compliment zu machen. Das wundert mich gar nicht: Sie sind ja immer generös gegen Frauen.«

»Ich wette, lieber Fontanieu,« sagte der Marquis, »daß mich Frau Susanne gelobt hat, als ich eintrat.«

Louis von Fontanieu wollte mit einer Nothlüge antworten, aber Susanne ließ ihm nicht Zeit dazu.

»Der Herr Marquis,« sagte sie, »sollte wissen, daß ich nicht gewohnt bin, etwas Unmögliches zu unternehmen.«

Ohne die kecke Antwort im mindesten übel zu nehmen, brach der Marquis in ein lautes Gelächter aus.

»Bravo!« rief er, »so habe ich Dich gern, meine dicke Huronin. Du bist für war meine einzige Unterhaltung in diesem trübseligen Hause.«

»O, es ist gar nicht nöthig, mir Impertinenzen zu sagen,« entgegnete die Alte. »Gott sei Dank, ich hasse Sie ohnedies schon genug.«

»Das ist es ja eben, was mich entzückt und was Ihnen, keusche Susanne, in meinen Augen einen so hohen Werth gibt. Sie hassen mich – und nicht nur mich, sondern auch meine Freunde. Wie nennen Sie sie doch in Ihrer hochpoetischen Blumensprache?«

»Schnapphähne!« erwiederte Susanne entschlossen.

»Ja, richtig – Schnapphähne! Sie haben’s gehört, lieber Fontanieu. Wenn Sie etwa auf die Freundschaft der Dame Susanne gezählt haben, so haben Sie die Rechnung ohne den Wirth gemacht. Sie sind in die Classe der Ungethüme versetzt worden, weil Sie zu meinen Freunden gehören.«

»Wirklich, Marquis?« sagte Fontanieu.

»Ich hatte also recht gerathen,« sagte Susanne, »ich hatte mich nicht geirrt: dieser Herr gehört zu Ihren Freunden! – Er hat Ihnen ohne Zweifel etwas zu sagen, ich will nicht stören – ich gehe.«

Susanne ging mit stolzem Anstande und höhnischer Miene in das Zimmer der Marquise.

Louis von Fontanieu hätte sie gern zurückgehalten, denn er zweifelte nicht, daß sie der Marquise sofort die nachtheilige Meinung, die sie von ihm hatte, mittheilten werde.

Der Marquis schaute ihr nach und zuckte die Achseln.

»Ich halte sie für etwas verrückt, die arme Alte,« sagte er. »Sie hängt an ihrer Herrin mit der Treue eines Pudels, und fletscht die Zähne, wenn ihr Jemand nahe kommt. Ich habe mir daher ein- für allemal vorgenommen, über ihre närrischen Streiche zu lachen, und es ist das Beste, was ich thun kann.«

»In der That,« erwiederte Fontanieu, der nach und nach seine Fassung wieder bekam, und in der Erwartung, daß Susanne an der Thür horchen werde, sich einigermaßen wieder in Gunst setzen wollte; »in der That, sie scheint der Frau Marquise sehr zugethan zu sein.«

»Allerdings« das ist sie. – Apropos, hat Ihnen die Marquise erlaubt, das wunderbare Goldstück zu behalten?«

Louis von Fontanieu bemerkte erst jetzt, daß er den Gegenstand, welcher der Vorwand seines Besuches war, ganz vergessen hatte. Er griff in die Tasche und zog die grünseidene Börse heraus.

»Ei ja, da ist sie ja,« setzte der Marquis hinzu. »Ich wünsche Ihnen von Herzen Glück zu Ihrem guten Erfolge, lieber Fontanieu. Wie haben Sie die Marquise gefunden?«

»Ich verhehle Ihnen nicht, Herr Marquis,« sagte Louis, »daß sie aus mich einen sehr tiefen Eindruck gemacht hat. Es ist unmöglich, mehr Schönheit mit Anmuth zu verbinden.«

»Ei, der tausend, wie begeistert! Man könnte wirklich glauben, Sie hätten ihr schon zu tief in die Augen geschaut – Sie müssen nicht roth werden, Theuerster. Ich sage Ihnen im voraus, daß ich ein sehr willfähriger Ehemann bin. Ja, sie ist hübsch – und dann hat sie eine für mich sehr schützbare Eigenschaft: sie legt mir in keiner Sache ein Hinderniß in den Weg.«

Louis von Fontanieu glaubte diese Gelegenheit zur Ausführung seines Planes benützen zu müssen.

»Ja,« erwiederte er, »aber glauben Sie, daß ihre Ergebung Glück oder auch nur Gleichgültigkeit sei?«

»Aha! ich sehe schon was vorgegangen ist,« sagte der Marquis, »eine Fee hat Sie mit ihrem Zauberstabe berührt, Susanne hat Ihnen den Kopf verdreht, gestehen Sie es nur. Nennen Sie es wie Sie wollen; ich kann Ihnen nur sagen, daß sie thun und lassen kann was sie will, und das ist für eine Frau sehr viel werth.«

»Ich glaube aber,« erwiederte Louis lächelnd, »daß sie die Sclaverei vorziehen würde, wenn Ihre Liebe die Fesseln vergoldete.«

»Lieber Freund, die sentimentalen Redensarten wollen wir den Zuckerbäckern und Poeten überlassen,« antwortete Escoman, der nun von seiner erzwungenen Heiterkeit zu einem ihm sonst fremden ernsten Tone überging. Die Marquise hat in Ihrer Gegenwart geweint, die Thränen machen sie sehr anziehend. Die Weiber weinen eben so leicht, wie sie lächeln, wenn das Lächeln ihrem Gesicht einen neuen Reiz gibt. Sie haben sich durch Thränen bewegen lassen, zu Gunsten meiner Frau eine Lanze mit mir zu brechen. Ich könnte mich beklagen über die Unschicklichkeit, mit der sie das Publikum in die Geheimnisse unseres Alkovens einweiht. Denn Sie sind nicht der erste Ritter, den sie an mich abgeschickt, lieber Fontanieu; doch es ist eine Kinderei, die ich ihr verzeihe. Ich will mich nicht zu rechtfertigen suchen. An Ihrer Stelle würde ich vielleicht so denken wie Sie; an meiner Stelle werden Sie künftig so handeln wie ich, wenn Sie selbst fühlen, wie unerträglich solche Fesseln für einen unabhängigen Geist sind. Uebrigens kennen Sie Margarethe Gelis, nicht wahr!«

»Ich habe nicht die Ehre.«

»Wirklich? Wenn Sie sie gesehen haben, werden Sie meine Gleichgültigkeit gegen die Reize der Marquise erklärlich finden. Die Dante sollte sich mit der stillen, gemüthlichen Freundschaft ihres Gemals begnügen, und diese Freundschaft habe ich ihr nie verweigert – Doch lassen wir diese langweiligen Dinge; ich wünsche, daß unter uns nie wieder die Rede davon sei.«

Louis von Fontanieu ward ganz eingeschüchtert durch die üble Laune, welche aus diesen letzten Worten des Marquis sprach. Er sah ein, daß sein Plan nicht leicht auszuführen war, wie er anfangs geglaubt, und er nahm Abschied von dem Marquis, um ungestört über die Verhältnisse nachzudenken.

Siebentes Capitel.
Das Gasthaus »zur Sonne.«

Wie alle Provinzstädte hatte Châteaudun ein in großem Rufe stehendes Gasthaus. Dieses hatte zum Schild eine goldene Sonne, und der Speisekünstler, welcher dieses Etablissement in Ruf gebracht hatte, hieß Bertrand.

In Paris beobachtet man den auf dieses Schild vollkommen anwendbaren Grundsatz: Sol lucet omnibus: die Säle eines Speisewirthes bilden ein auf der Grenze zweier erst unlängst abgetheilten Gebiete stehendes neutrales Haus, in welchem die beiderseitigen Einwohner ohne die mindeste Unannehmlichkeit zusammentreffen und essen und trinken; man setzt bei ihnen voraus, daß sie sich nicht um einander kümmern.

In der Provinz ist es anders: dort kennt man kein neutrales Gebiet. Natürlich: zwischen Leuten, die einander persönlich oder gruppenweise als sociale Gegner gegenüberstehen, muß allerdings eine tiefe Demarcationslinie gezogen werden.

Dies hatte Bertrand wohl eingesehen. Die Kundschaft der Wüstlinge war ihm erschienen, mit Trüffeln vollgestopft, von Champagner triefend,« von zerbrochenen Gläsern schimmernd, beständig hungrig und zumal durstig, das Geld mit vollen Händen ausstreuend.

Diese Kundschaft hatte ihn in Versuchung geführt. Er hatte die sybaritischen Mahlzeiten verglichen mit den immer um einige Pfennige verkürzten Rechnungen der ruhigen und vernünftigen Leute. Mit tiefer Verachtung betrachtete er daher die unter den ehrsamen Bürgern beliebten und häufig in deren Häuser gelieferten Blätterteigpasteten, in denen nach der Meinung der Besteller, die doch dreißig Saus dafür zahlten, nie genug Hahnenkämme waren; und ohne die Bestellungen der Bürgersleute ganz abzuweisen, hatte er sich durch die glänzenden Aussichten, welche ihm die Schlemmer eröffneten, verleiten lassen.

Frau Bertrand war Feine gottesfürchtige, sehr thätige Hausfrau. Der Gemal war ein moralischer Mann, gewissenhaft in der Erfüllung seiner Zahlungspflichten und ein eifriger Nationalgardist. Er glaubte dadurch die bösen Zungen völlig zum Schweigen gebracht zu haben, und wirkte daher unverdrossen in Küche und Keller zum Besten der mehr als leichtfertigen Gesellschaft, in welcher der Marquis von Escoman den Vorsitz führte.

Die beiden feindlichen Parteien – die Regierungsbeamten und die Aristokratie – zogen sich mit einer Uebereinstimmung der Gesinnung, die man sonst bei ihnen vermißte, aus der »goldenen Sonne« zurück. Bertrand verlor nicht nur die Lieferung der Hochzeitsmahle für die Bürgersleute und die Festessen; er verlor nicht nur die unverheirateten Abonnenten, sondern es kam so weit, daß ehrbare Frauen nicht einmal mehr eine Torte bei Bertrand kaufen mochten. Die Köchinnen bekreuzten sich, wenn sie vorübergingen. Der Wirth zur »goldenen Sonne« hatte Personen von üblem Ruf in seinem Hause.

Dahin war er also mit den besten Absichten von der Welt gekommen. Als ehrlicher Mann erkannte er nicht ohne Schmerz die Ursache der Leere, die um sein Haus entstand; über Mangel an Besuch konnte er sich eben nicht beklagen. Die großen Rechnungen, welche ihm seine Gäste zahlten,« trösteten ihn nicht über seinen Verruf. Er versuchte gegen den allgemeinen Unwillen zu kämpfen, indem er seine Gäste beiderlei Geschlechts in den Augen Aller entschuldigte, die kleinen Sünden derselben als die harmlosesten Vergnügungen darstellte und jedes öffentliche Aergerniß zu vermeiden suchte.

Die Damen, welche in Begleitung der Gäste zum Souper gekommen waren, hatten, als sie sich Morgens entfernten, einige Male einen Auflauf in der Nachbarschaft veranlaßt. Bertrand möblirte nun, um den Anstand zu beobachten, einige Zimmer im zweiten Stockwerke seines Hauses; seine verspäteten »Cousinen« konnten nun bei ihm verweilen, bis die Nacht angebrochen war.

Das Gegenmittel erwies sich aber schlimmer als das Uebel. Der köstliche Bratengeruch war einigen der jungen Damen, welche das Gasthaus besuchten, so unwiderstehlich, daß sie sich nicht entschließen konnten diese duftende Atmosphäre zu verlassen; sie verschoben ihr Fortgehen von einem Abend zum andern, bis sie am Ende bei dem Speisewirth ihren Wohnsitz erwählten und die »goldene Sonne« zu einem nicht eben empfehlenswerthen Hotel garni machten.

Altes aus Anstandsrücksichten!

Am Abende des Tages, an welchem die eben beschriebenen Ereignisse stattgefunden halten, klopfte Louis von Fontanieu an die Thür dieses Gasthauses.

Er war sehr aufgeregt gewesen,, seitdem er das Hotel Escoman verlassen hatte. Der arme Louis hatte eine zu lebhafte Phantasie, er vergeudete Zeit und Thatkraft in leeren Träumereien. Wie ein Opiumraucher und Hatschisesser baute er Luftschlösser auf die geringsten Hoffnungen. Die Folge davon war, daß es ihm an Energie und Willenskraft fehlte, um seine Ideen in Ausführung zu bringen.

Seit einigen Stunden hatte seine erregte Phantasie die verschiedensten Entwickelungen des Abenteuers gefunden, dessen Held er war. Er sah sich, trotz der Feindseligkeit Susannens, als den Wiederhersteller des Friedens im Hause des Marquis; er sah, wie er den beiden Gatten einen späten Honigmonat bereitete, und gefiel sich in der Ausschmückung seines Liebeswerkes.

Wir wollen indeß nicht behaupten, daß sich sein Herz über alle selbstsüchtigen Nebengedanken erhoben hätte. Seine erregte Phantasie setzte vielmehr ein Nachspiel in die Scene, in welcher seine Rolle gerade nicht die unangenehmste war.

Da er jedoch nicht alle Gewissensscrupel hinsichtlich dieser kleinen Abänderung des ursprünglichen Themas beseitigen konnte, so wurde er durch diese täuschende Luftspiegelung nicht beschwichtigt, sondern noch mehr aufgeregt. Er hatte ja gesehen, wie gleichgültig der Marquis gegen, Emma war, und konnte sich des Gedankens nicht erwehren, daß er ihm im Grunde wenig Unrecht thue, wenn er die Liebe der schönen Frau zu gewinnen suchte und den lieblichen Blumenstrauß, den man in einem Winkel verwelken ließ, aufnähme und an seinem Herzen erfrischte. Und überdies war ja, wie es unter solchen Verhältnissen immer der Fall ist, die Leidenschaft nach Maßgabe der zu überwindenden Hindernisse größer geworden.

Es war in der That zu fürchten, daß Susanne ihren Verdacht gegen Emma ausgesprochen. Wie abgeschmackt auch der Argwohn war, daß Fontanieu mit dem Marquis einverstanden sei, so war jenem doch der Gedanke unerträglich, bei der Marquise in einem zweideutigen Lichte zu erscheinen. Er fürchtete, daß sie den Einflüsterungen Susannens, die so viel über sie vermochte, nicht widerstehen werde, und er hielt es für unmöglich sich der Marquise vorzustellen, bevor er einen ernsten Versuch gemacht, sein Versprechen zu halten.

Sein erster Versuch war freilich nicht glücklich gewesen, die kurze Unterredung mit dem Marquis hatte ihn überzeugt, daß dieser nicht leicht in das Ehejoch zu bringen war.

In seiner Unerfahrenheit dachte er an den Chevaliers von Montglas, der ihm in dieser schwierigen Lage gewiß mit Rath und That würde beistehen können, und er beschloß sich an den alten Roué zu wenden, jedoch ohne ihn völlig zu seinem Vertrauten zu machen.

Fontanieu war also einige Minuten vor der bestimmten Stunde zur »goldenen Sonne« gekommen, in der Erwartung, den Chevalier zu finden; denn Montglas hatte alle Anordnungen für das Souper zu treffen und mußte früher da sein als die Andern.

Eine alte Bäuerin, welche den doppelten Dienst einer Kellnerin und eines Küchenmädchens versah, führte Fontanieu in ein an den Speisesaal stoßendes Zimmer.

In diesem Zimmer fand er den Chevalier.

Der alte Roué saß in einem großen Lehnstuhle; vor sich hatte er eine Flasche Madeira, zwei Gläser, ein Blatt Papier und Schreibzeug.

Neben ihm saß Frau Bertrand, welche der Chevalier, als galanter Cavalier, genöthigt hatte, in seiner unmittelbarsten Nähe Platz zu nehmen.

Am andern Ende des Zimmers stand Bertrand mit ehrerbietiger Haltung. Er war in vollständiger Rüstung, in weißer Jacke, weißer Schürze, das Küchenmesser an der Seite.

Der Congreß entwarf eben den Küchenzettel. Der Chevalier hatte unbeschränkte Vollmacht. Die Berathung war ungemein lebhaft.

Der Kochkünstler, welcher nicht Zeit gehabt hatte umfassende Vorkehrungen zu treffen, hatte nur ganz einfache Speisen anzubieten. Der alte Feinschmecker war entrüstet, bei einem solchen Festessen hätte er gern gebratene Ortolanen und Fricassée von Feigenschnepfen auf der Tafel gesehen.

Bertrand versprach vergebens die feinsten Saucen zu den Hühnern, Rehkeulen und Forellen, welche in der Speisekammer vorräthig waren, der Chevalier verschmähte Alles.

Bertrand war tief betrübt. Die Frau vom Hause hatte Mitleid mit den Seelenleiden ihres Gatten und machte einen Vermittlungsversuch.

Frau Bertrand war freilich nicht mehr in der ersten Jugendblüthe, aber sie wußte aus langer Erfahrung, daß ein Blick von ihr, daß ein Lächeln ihres Mundes mehr über den Chevalier vermochte, als alle Beredsamkeit des Speisewirthes.

Montglas schlang zum Zeichen der Zustimmung den Arm um die Taille der Frau Bertrand und die vereinbarte Speise wurde auf den Küchenzettel geschrieben.

Dann schlürfte er mit Behagen ein Glas Madeira.

Die Berathung, das Lächeln, das Umschlingen der Taille, das Nippen aus dem Glase wiederholte sich, und so wurde der Küchenzettel voll, die Flasche aber leer.

Der Chevalier von Montglas hatte natürlich zu viel Höflichkeit aus dem achtzehnten Jahrhunderte in das neunzehnte herübergebracht, als daß er das Glas an den Mund gesetzt hätte, ohne Frau Bertrand einzuladen ihm Bescheid zu thun. Dieser Einladung wurde auch jedesmal, wenn auch mit einigem Sträuben, Folge geleistet.

Bertrand drehte unterdessen seine weiße Mütze zwischen den Fingern, ohne daß sich der Chevalier darum kümmerte.

Als er Louis von Fontanieu erscheinen sah, trat er rasch auf seine Ehehälfte zu. Bertrand hielt auf Sitte und Anstand, er duldete die Vertraulichkeiten des Chevaliers nur hinter verschlossenen Thüren.

Aber Montglas, dessen Grundsätze minder streng waren, umfaßte die Taille der Frau Bertrand, die sich scheinbar sträubte, aber trotzdem gar holdselig lächelte, – und mit der andern Hand schlug er den Speisewirth auf den Bauch.

»Was fällt Ihnen denn ein?« sagte er. »Sind Sie toll? Wie können Sie sich erkühnen, mit Herrn von Fontanieu und mir im Zimmer zu bleiben? Sehen Sie ihm denn nicht an, daß er mir sehr wichtige Dinge mitzutheilen hat?«

»Gott behüte mich, Herr Chevalier!« sagte Bertrand mit einer tiefen Verbeugung. »Wie könnte ich so zudringlich sein? – Komm’, Louise, wir wollen die Herren allein lassen.«

»Nein, Ihre Frau bleibt. Eine hübsche Frau ist immer an ihrem Platze zwischen zwei Cavalieren. Wir haben auch noch die Entremets und das Dessert zu wählen.«

Und als Bertrand dennoch blieb und sogar wieder näher trat, rief ihm der Chevalier zu:

»In die Küche, Schmerbauch! Diable! ich leide nicht, daß Sie mich belauschen, wenn ich mit Madame spreche.«

Der Chevalier neigte sich zu dem Ohre der Wirthin und flüsterte ihr einige Worte zu, die ihr das Blut in die Wangen trieben.

Bertrand verschwand.

»Was für ein guter Genius führt Sie denn als den Ersten hierher?« fragte der Chevalier den neuen Gast.

»Der Wunsch, Ihnen Glück zu wünschen,« antwortete Louis von Fontanieu. »Ich hörte, daß Sie in Ihrem Duell mit Herrn von Guiscard unverletzt geblieben, und ging zu Ihnen, um mich davon zu überzeugen. Man sagte mir, Sie wären hier, und so bin ich gekommen, auf die Gefahr hin, Sie mitten in Ihren wichtigen Geschäften zu stören.«

»Ei, welche Theilnahme!« sagte Montglas, die Stirn runzelnd, denn er dachte, Fontanieu interessire sich weniger für seine Person, als für die fünfzig Louisd’or, die er ihm geliehen.

Fontanieu bemerkte die Verstimmung des alten Wüstlings nicht. Die Anwesenheit der Frau Bertrand vereitelte seinen Plan, er erwiederte aber, ohne eine Verlegenheit zu zeigen:

»Und Herr von Guiscard? Ich möchte von Ihnen erfahren, daß er eben so heiter und vergnügt sei wie Sie.«

»Es thut mir sehr leid, lieber Freund, daß ich Ihnen nicht nach Wunsch antworten kann. Herr von Guiscard lacht nicht, und wird hoffentlich nie mehr lachen, wenn in seiner Gegenwart von einem als Pflaster applicirten Degengefäß die Rede ist.«

»Sie haben ihn also erstochen, Chevalier?«

»Nein, nicht ganz; er wird vierzehn Tage das Bett und vier Wochen das Zimmer hüten müssen, und die zurückbleibende Blässe wird ihn in den Augen der Frauen interessant machen – doch um auf unser voriges Thema zurückzukommen. Wenn ich jung und hübsch wäre, wie unsere reizende Wirthin,« setzte der Chevalier hinzu, indem er mit den Fingerspitzen über den Nacken der Frau Bertrand strich, »so könnte ich glauben, die persönliche Zuneigung habe Sie zwanzig Minuten vor der bestimmten Zeit in dieses Zimmer getrieben; aber ich habe meine guten Gründe, mich dieser Täuschung nicht hinzugeben und Ihr frühes Erscheinen einer andern Ursache zuzuschreiben.«

»Chevalier, ich versichere –«

»Versichern Sie nichts,« entgegnete der Chevalier, und griff in die Westentasche, um mit einigen Goldstücken zu klimpern.

»Was meinen Sie?«

»Sie wundern sich, daß ich Ihnen die fünfzig Louisd’or, die Sie mir geliehen, noch nicht zurückgeschickt habe.«

»Herr Chevalier,« erwiederte Fontanieu, über diese Zumuthung beleidigt, »Sie haben versprochen, mich als Freund zu behandeln, aber Sie scheinen sich dessen nicht mehr zu erinnern.«

»Wie so?«

»Ihre Zumuthung ist so beleidigend, daß ich sie nicht einmal widerlegen mag.«

»Sie sind ein braver junger Manns Ihre Handlungsweise gefällt mir, sie erinnert mich an die gute alte Zeit. Wenn nicht eine Frau hier wäre, welche die nächsten Ansprüche an meine Huldigungen hat, so würde ich Sie küssen. Aber nehmen Sie Ihre tausend Franken.

»Lassen Sie doch, Chevalier —«

»Sie müssen mir diese zweite Gefälligkeit noch erweisen, junger Mann.«

»Aber ich brauche das Geld nicht, Chevalier.«

»Sie wollen wohl gar für einen Millionär gehalten werden? Nehmen Sie das Geld, das Ihre Mutter und Ihre Schwester vielleicht in zwei oder drei Jahren mühsam erspart haben. Nehmen Sie es und gewöhnen Sie mich nicht daran.«

»Warum denn?«

»Weil ich Ihnen von Herzen gut bin, und wenn Sie mich gewöhnen Ihr Schuldner zu sein, so würde daraus ein für unsere Freundschaft nachtheiliges Verhältniß entstehen.«

»Chevalier, es wird mich immer freuen —«

»Das ist möglich, aber wenn ich Ihr Schuldner bin, werde ich Ihnen natürlich Böses nachsagen. Ich will lieber die Casse des Marquis in Anspruch nehmen; was ich ihm nachsagen werde, ist wenigstens keine Verleumdung.«

Er bemerkte nun, daß Frau Bertrand den jungen Mann sehr aufmerksam ansah.

»Warum sehen Sie denn Herrn von Fontanieu so scharf an?« sagte er zu ihr, »Sehen Sie doch lieber mich an, Sie könnten sonst die schöne Margarethe zu meiner Feindin machen.«

»O Chevalier —« bat Fontanieu.

»Was für eine Margarethe? etwa Margarethe Gelis?« fragte Frau Bertrand neugierig.

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Дата выхода на Литрес:
30 ноября 2019
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