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Читать книгу: «La San Felice Band 14», страница 10

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Sechzehntes Capitel.
Die Patrouille

Kaum war der zwölfte Glockenschlag verhallt, so gewann der neue Aufseher, den man bis jetzt für eine Bildsäule der Erwartung hätte halten können, wieder Leben, und stieg, als ob er einen plötzlichen Entschluß gefaßt hätte, ohne Eile, aber auch nicht gerade langsam, die Treppe hinauf.

Hätte man seinen Tritt gehört, hätte man ihn vor- übergehen sehen, hätte man eine Frage an ihn gerichtet, so hätte er blos zu antworten gebraucht: »In Abwesenheit meines Vaters habe ich die Beaufsichtigung des Gefängnisses und ich beaufsichtige.«

Alles aber schlief in der Citadelle. Niemand sah ihn, Niemand hörte ihm, Niemand befragte ihn.

In der zweiten Etage angelangt, durchschritt er den Corridor der ganzen Länge desselben nach und kehrte dann wieder um, aber vorsichtiger, mit leisen Tritten, gespanntem Ohr und den Athem anhaltend.

Plötzlich blieb er vor der Thür des Gefängnisses stehen, welches Luisa bewohnte.

Den Schlüssel zu dieser Thür hatte er schon im Voraus zur Hand genommen. Er steckte ihn so vorsichtig in das Schloß und drehte ihn so langsam um, daß man das Knarren kaum hörte.

Die Thür öffnete sich. Diesmal war die Nacht finster. Der Wind pfiff durch die Gitterstangen des Fensters, dessen Oeffnung nicht einmal zu bemerken war, so dicht war die Finsterniß.

Der junge Mann that, den Athem anhaltend, einen Schritt in das Zimmer hinein.

Dann, da er die Gefangene mit den Augen vergeblich suchte, murmelte er:

»Luisa !«

Ein Hauch trug den Namen »Salvato !« an sein Ohr und in demselben Augenblick umschlangen zwei Arme seinen Hals und sein Mund heftete sich auf den einigen.

Ein Flammenhauch, ein Murmeln der Freude ward ausgetauscht. Es war das erste Mal seit dem Tage der Verurtheilung vor dem Tribunal und folglich ihrer Trennung, daß die beiden Liebenden sich Eines in des Andern Armen sahen.

Ohne Zweifel hatte Salvato durch während des Tages gegebene Zeichen Luisa von diesem Besuch unterrichtet, weil er sonst fürchten mußte, daß die Ueberraschung ihr einen Ausruf des Schreckens entlocken würde.

Auch haben wir soeben gesehen, daß sie, erfüllt von Hoffnung, aber auch von Furcht, gewartet hätte, bis Salvato ihren Namen aussprach, ehe sie ihm antwortete.

In der Annäherung dieser beiden, nur eines für das andere lebenden Herzen lag ein Augenblick stummer und unbeweglicher Extase.

Salvato rüttelte sich zuerst auf.

»Wohlan, theure Luisa, sagte er; »es ist kein Augenblick zu verlieren. Wir sind bei dem Moment angelangt, wo unser gemeinsames Schicksal sich entscheiden wird. Ich habe Dir gesagt: sei ruhig und geduldig. Wir werden beide sterben oder beide leben. Du hast auf mich gerechnet; hier bin ich.«

»Ja, Gott ist groß, Gott ist gut. Was kann ich jetzt thun? Wie kann ich Dir beistehen?«

»Höre,« antwortete Salvato; »ich habe eine Arbeit zu verrichten, welche über eine Stunde dauern wird, nämlich die Gitterstangen des Fensters zu durchsägen. Es ist jetzt einige Minuten nach Mitternacht und wir haben folglich noch vier Stunden Nacht vor uns. Wir wollen nichts übereilen, aber diese Nacht muß auch unser Vorhaben gelingen, denn morgen wird Alles entdeckt sein.«

»Ich frage Dich nochmals, was soll ich während dieser Stunde thun ?«

»Ich lasse die Thür halb geöffnet, wie sie jetzt ist. Du stellt Dich so dazwischen, daß Du mit einem Fuße draußen, mit dem andern im Zimmer steht, und horcht ob irgend ein Geräusch uns Gefahr droht. Bei der mindesten Wahrnehmung rufst Du mich; ich gehe hinaus und schließe die Thür. Sobald diese geschlossen ist, bin ich Beamter und manche die Nachtrunde. Niemand, der mir begegnet, kann mich mit Mißtrauen betrachten, da man mich nur in der Ausübung meiner Pflicht antrifft. Eine Viertelstunde später komme ich wieder und beende das begonnene Werk. Also jetzt Muth und Kaltblütigkeit!«

»Sei unbesorgt, mein Freund, ich werde deiner würdig sein,« antwortete Luisa, indem sie ihm mit beinahe männlicher Kraft die Hand drückte.

Salvato zog nun zwei feine stählerne Feilen aus der Tasche, denn eine konnte während der Arbeit zerbrechen. Nachdem Luisa sich seiner Aufforderung gemäß so gestellt, daß sie jedes Geräusch, welches in den Corridors und auf den Treppen entstand, sogleich hören mußte, begann er die Gitterstäbe mit jener festen, sichern Hand zu durchfeilen, welche keine Gefahr zittern machen konnte.

Die Feile war so fein, daß man das Eingreifen ihrer Zähne in das Eisen kaum hörte. Uebrigens wäre dieses Geräusch, selbst wenn es noch bemerkbarer gewesen, durch das Pfeifen des Windes und das erste Rollen des Donners, welches ein heranziehendes Gewitter verkündete, übertäubt worden.

»Sehr schönes Wetter!« murmelte Salvato, indem er leise dem Donner dankte, daß derselbe für ihn Partie nahm.

Und dann setzte er seine Arbeit weiter fort. Nichts störte ihn darin.

Wie er vorausgesehen, waren nach Verlauf einer Stunde vier Stäbe durchsägt, und das Fenster bot nun eine Oeffnung, die groß genug war, um zwei Personen durchzulassen.

Salvato schlug nun einen Ueberrock abermals in die Höhe und wickelte ein Seil los, welches er sich um den Gürtel geschlungen.

Dieses feste, obschon feingeflochtene Seil war mehr als hinreichend lang, um bis auf dem Erdboden hinabzureichen.

An einem der beiden Enden befand sich ein zu diesem Zwecke vorgerichteter Ring, welcher bestimmt war, in den noch in der Mauer steckenden senkrechten Theil der von Salvato durchsägten Gitterstange gesteckt zu werden.

Salvato machte in gemessenen Entfernungen Knoten in das Seil, damit dieselben seinen Händen und Knieen zum Stützpunkt dienten.

Dann verließ er das Zimmer und durchschritt den Corridor bis an die Stelle, wo derselbe an die Treppe stieß.

Hier blieb er über das schwere eiserne Geländer geneigt, mit dem Auge die Finsterniß durchforschend und mit dem Ohr das Schweigen befragend, einen Augenblick lang unbeweglich und den Athem anhaltend stehen.

»Nichts!«, murmelte er mit einem Ausdruck der Freude und des Triumphes.

Dann drehte er sich rasch herum, kehrte in das Zimmer zurück, zog den Schlüssel aus dem Thürschloß, verschloß die Thür von innen, machte das Schloß dadurch, daß er drei bis vier Nägel hineinschob, unbrauchbar, faßte Luisa in seine Arme, drückte sie an seine Brust, sprach ihr Muth ein, befestigte den Ring an der Eisenstange, band Luisas beide Hände, damit sie nicht durch die Wucht auseinandergerissen würden, fest zusammen und forderte sie dann auf, ihre beiden Arme um seinen Hals zu legen.

Erst jetzt begriff Luisa die Fluchtmethode, welche Salvato in Anwendung zu bringen gedachte, und der Muth entsank ihr bei dem Gedanken, daß sie in der freien Luft schweben und daß sie am Halse ihres Geliebten hängend sich dreißig Fuß hoch hinablassen müßte, während Salvato selbst keine andere Stütze hätte als das Seil.

Ihre Furcht war jedoch stumm. Sie sank auf die Knie nieder, hob ihre mit einem Taschentuch zusammengebundenen Hände zum Himmel empor, sprach leise ein kurzes Gebet, stand dann wieder auf und sagte:

»Ich bin bereit.«

In diesem Augenblick spaltete ein Blitz die dichten, tief herabhängenden Wolken, und bei dem Scheine dieses Blitzes konnte Salvato sehen, wie große Schweißtropfen an Luisa’s bleichem Gesicht herabrannen.

»Wenn es dieses Herablassen ist, was Dich schreckt,« sagte Salvato, der mit Recht auf eine eisernen Muskeln sich verließ, »so stehe ich Dir dafür, daß wir ohne Unfall auf den Boden hinabgelangen.«

»Mein Freund,« antwortete Luisa, »ich sage nochmals: ich bin bereit. Ich habe Vertrauen zu Dir und ich glaube an Gott.«

»Dann,« sagte Salvato, »wollen wir auch keine Minute mehr verlieren.«

Er legte das Seil zum Fenster hinaus, versicherte sich seiner Festigkeit, bot Luisa seinen Kopf dar, damit sie die Kette ihrer Arme um seinen Hals lege, stieg auf einen herbeigeholten Schemel, kroch mit Luisa durch die Oeffnung, umklammerte, ohne sich an das Zittern zu kehren, welches den ganzen Körper der armen Luisa schüttelte, mit seinen Knien das Seil, welches er schon mit den Händen gefaßt hielt, und schwang sich ins Freie hinaus.

Luisa hielt einen Schrei zurück, als sie sich über den Steinplatten schweben und schaukeln fühlte, in der Höhe, welche sie so oft mit Entsetzen gemessen, und schloß die Augen indem sie mit ihren Lippen die Salvato’s suchte.

»Fürchte nichts,« murmelte Salvato leise. »Ich habe Kraft genug, um mich an einem Seile hinabzulassen, selbst wenn es dreimal so lang wäre als dieses.«

Und in der That fühlte Luisa sich mit einer langsamen, gemessenen Bewegung hinabsteigen, welche gleichzeitig die Kraft und die Kaltblütigkeit des gewaltigen Gymnastikers verrieth, der sie zu beruhigen suchte.

In der Mitte des Seiles angelangt hielt Salvato jedoch plötzlich inne.

Luisa öffnete die Augen.

»Was gibt es?« fragte sie.

»Still!« flüsterte Salvato.

Er schien mit gespannter Aufmerksamkeit zu horchen.

Nach Verlauf eines Augenblickes fragte er Luisa mit einer Stimme, die nur für sie allein hörbar war:

»Hörst Du nichts?«

»Die Tritte mehrerer Männer, wie mir scheint,« antwortete Luisa mit einer Stimme, welche schwach war wie der letzte Seufzer eines hinsterbenden Windes.

»Es ist eine Patrouille, sagte Salvato. »Wir würden nicht Zeit haben, den Boden zu erreichen, bevor sie zur Stelle käme. Lassen wir sie nur erst vorbei, dann wollen wir uns vollends hinablassen.«

»Mein Gott! mein Gott! Ich habe keine Kraft mehr,« murmelte Luisa.

»Was thut das, sobald nur ich deren noch habe,« antwortete Salvato.

Während dieses kurzen Gespräches hatten die Tritte sich genähert und Salvato, dessen Augen allein offen geblieben waren, sah bei einer von einem Soldaten getragenen Laterne eine Patrouille von neun Mann, welche die Runde am Fuße der Mauer machte.

Salvato erschrak darüber weiter nicht, denn die Finsterniß war so dicht, daß er, wenn ihn nicht etwa ein Blitz beleuchtete, in der Höhe, in welcher er schwebte, unsichtbar war, und übrigens fühlte er, wie er gesagt, in sich Kraft genug, um zu warten, bis die Patrouille vorüber und verschwunden wäre.

In der That ging die Patrouille auch unter den Füßen der beiden Flüchtlinge vorüber. Zum großen Erstaunen Salvato’s aber, der ihr begierig mit den Augen folgte, machte sie am Fuße des Thurmes Halt, wechselte einige Worte mit einer Schildwache, die er noch gar nicht bemerkt, löste dieselbe durch einen andern Mann ab und ging unter das Gewölbe hinein, wo ein Lichtschimmer von der Laterne sichtbar blieb, und bewies, daß sie unter diesem Gewölbe verweilte.

Wie muthig und gestählt Salvato’s Seele auch war, so fühlte er doch, wie ihn ein leiser Schauer durchrieselte. Er hatte sofort Alles errathen.

Das Verlangen des Prinzen von Calabrien und der Prinzessin Marie Clementine hatte den Haß gegen die arme Luisa San Felice von Neuem belebt. Es waren neue Befehle zu strengerer Ueberwachung ertheilt worden, und eine am Fuße eines Thurmes postierte Schildwache war das Resultat dieses Befehles.

Luisa fühlte, als sie an Salvato’s Herzen lag, wie dieses erbebte.

»Was gibt’s?« fragte sie, als sie erschrocken ihre großen Augen aufschlug.

»Nichts,« antwortete Salvato.

»Gott wird uns schützen.«

Und in der That bedurften die Flüchtlinge des Schutzes Gottes in hohem Grade. Eine Schildwache marschierte am Fuße des Thurmes auf und ab, und Salvatos Kräfte, welche wohl zum Hinablassen hinreichten, wären nicht zum Wiederhinaufklettern hinreichend gewesen.

Uebrigens hieß Hinabsteigen der mögliche Tod, Wiederhinaufsteigen dagegen war der sichere Tod.

Salvato zögerte nicht. Er benutzte den Augenblick, wo der Soldat auf seinem regelmäßigen eng begrenzten Gange ihm den Rücken kehrte, und stieg vollends hinab.

In dem Augenblick aber, wo er den Boden berührte, drehte der Soldat sich um und sah zehn Schritte vor sich eine umförmliche Gruppe sich im Dunkel bewegen.

»Wer da?« rief er. Ohne zu antworten rannte Salvato, die vor Schrecken halb ohnmächtige Luisa in seinen Armen haltend, nach dem Meere zu, wo allerdings ein Boot ihm erwartete.

»Wer da?« rief die Schildwache zum zweiten Male und schickte sich an auf die Fliehenden anzuschlagen.

Salvato beschleunigte, sich immer noch stumm verhaltend, seinen Lauf. Er sah das Boot, er erkannte seine Freunde, er hörte die Stimme seines Vaters, welcher ihm »Muth! Muth!« und seinen Matrosen »Haltet dicht an das Land!« zurief.

»Wer da?« schrie der Soldat zum dritten Male um legte an.

Da auch die dritte Frage ohne Antwort blieb, so gab die Schildwache, geleitet durch einen Blitz, welcher in diesem Augenblick den Himmel durchfurchte, nun ohne Weiteres Feuer.

Luisa fühlte wie Salvato zusammenzuckte. Dann stürzte er auf ein Knie nieder und stieß einen Schrei aus, welcher noch mehr Wuth als Schmerz verrieth.

Während der Soldat, der soeben geschossen, schrie: »Zu den Waffen!« versuchte Salvato mit halberstickter Stimme zum letzten Male zu rufen: »Rettet sie!«

Die halb ohnmächtige, vor Schmerz wahnsinnige Luisa, welche mit ihren fest zusammengebundenen Handgelenken und ihren um Salvatos Hals geschlungenen Arm keiner Bewegung fähig war, sah nun wie in einem Traum zwei Trupps Männer oder vielmehr Teufel auf einander losstürzen, die heulend mit einander kämpften und sie mit Füßen traten.

Nach Verlauf von fünf Minuten zerriß der Kampf gleichsam in zwei Theile.

Luisa blieb sterbend in den Händen der Soldaten, die sie zurück nach der Citadelle schleppten, während die Matrosen Salvato in ihr Boot trugen.

Er war todt, denn die Kugel war ihm mitten durchs Herz gegangen, und sein Vater durch einen auf den Kopf erhaltenen Kolbenschlag betäubt.

Als Luisa wieder in ihr Gefängniß trat, ward sie, obschon die erst im siebenten Monat ihrer Schwangerschaft stand, in Folge der so eben erduldeten furchtbaren Gemüthserschütterungen von den Geburtswehen ergriffen und gegen fünf Uhr Morgens von einem todten Kind entbunden.

Eine Gunst oder vielmehr eine Reue der Vorsehung ersparte ihr den letzten Schmerz, sich von ihrem Kind trennen zu müssen.

Siebzehntes Capitel.
Der Befehl des Königs

Acht Tage nach den so eben von uns erzählten Ereignissen sah der Vicekönig von Neapel, Fürst von Cassero Statella, als er sich mit unserem alten Bekannten Malaspina im Theater dei Fiorentini befand, die Thür seiner Loge sich öffnen und durch diese Thür hindurch einen draußen auf dem Corridor stehenden Officianten des Palastes, von einem Marineofficier begleitet.

Der Marineofficier hielt ein mit einem großen rothen Siegel verschlossenes Couvert in der Hand.

»An den Fürsten-Vicekönig,« sagte der Hofofficiant.

Der Marineoffizier verneigte sich und überreichte dem Fürsten die Depesche.

»Von wem?« fragte der Fürst.

»Von Seiner Majestät dem Könige bei der Sicilien, antwortete der Officier, »und da die Depesche von Wichtigkeit ist, so werde ich mir erlauben, Ew. Excellenz um eine Empfangsbescheinigung zu bitten.«

»Dann kommen Sie wohl also von Palermo?« fragte der Fürst.

»Ja, vorgestern bin ich auf der »Sirene« von dort abgegangen, Monsignore.«

»Waren die Majestäten bei guter Gesundheit?«

»Ja, bei ganz vortrefflicher.«

»Stellen Sie in meinem Namen eine Quittung aus, Malaspina.«

Der Marquis zog ein Portefeuille aus der Tasche und begann die Quittung zu schreiben.

»Ew. Excellenz,« sagte der Officier, »haben vielleicht die Güte, den Ort und die Stunde zu bezeichnen, wo die Depesche dem Fürsten zugestellt worden ist.«

»Ah,« sagte Malaspina, »dann ist diese Depesche wohl sehr wichtig?«

»Allerdings, im höchsten Grade, Excellenz.«

Der Marquis stellte den Empfangsschein in der von dem Officier gewünschten Weise aus und kehrte dann in die Loge zurück, deren Thür sich hinter ihm schloß.

Der Fürst las die Depesche eben zu Ende.

»Hier, Malaspina,« sagte er, »das geht Sie an.«

Mit diesen Worten reichte er ihm das Papier.

Der Marquis Malaspina ergriff es und las folgenden bündigen und gleichzeitig furchtbaren Befehl:

»Ich schicke Ihnen die San Felice, damit sie binnen zwölf Stunden nach ihrer Ankunft in Neapel hingerichtet werde. Gebeichtet hat sie und ist folglich zum Sterben bereit.

»Ferdinand B.«

Malaspina sah den Fürsten Caffero-Statella mit erstauntem Blicke an.

»Nun?« fragte er dann.

»Nun, lieber Freund, denken Sie über den Befehl nach; derselbe betrifft Sie.«

Und der Fürst lauschte wieder den schmeichelnden Melodien der Oper »die heimliche Ehe«, jenes Meisterwerkes des armen Cimarosa, welcher vor Furcht, in Neapel gehängt zu werden, kürzlich in Venedig gestorben war.

Malaspina sagte nichts. Er hatte niemals geglaubt, daß zur Zahl seiner Pflichten als Sekretär des Vicekönigs auch die gehöre, die Anstalten zu Hinrichtungen zu treffen.

Wir haben jedoch bereits bemerkt, daß der Marquis ein gleichzeitig gehorsamer und spottliebender Höfling war. Der Fürst von Cassero brauchte sich daher blos zum zweiten Male nach ihm herumzudrehen und zu sagen: »Haben Sie gehört?« um ihn zu veranlassen, sich stumm, aber bereit zu gehorchen, zu verneigen und die Loge zu verlassen.

Er ging die Treppe hinunter, nahm einen am Eingange des Theaters haltenden Wagen und ließ sich nach der Vicaria fahren.

Luisa war gebeugt, sterbend, vernichtet, vor kaum einer Stunde hier angelangt. Man hatte sie in das an die Capelle stoßende Zimmer gebracht, wo wir Cirillo, Caraffa, Leonora Pimentel, Manthonnet und Michele in ihren letzten Augenblicken gesehen.

Die Depesche war von weiter keiner Instruction begleitet, als folgender:

»Se. Excellenz der Fürst von Caffero-Statella ist mit der Hinrichtung dieser Frau beauftragt und wird dafür mit seinem eigenen Kopfe stehen.«

Der Marquis Malaspina sah ein, daß, wie der Vicekönig schon gesagt, es an ihm war, das Weitere zu überlegen.

Er zögerte vielleicht ein wenig, ehe er einen Entschluß faßte; sobald dies aber einmal geschehen, brachte er den Entschluß auch muthig in Ausführung.

Er stieg wieder in den Wagen und sagte zu dem Kutscher:

»Strada dei Sospiri dell’ Abisso!«

Man erinnert sich, wer in dieser Straße wohnte. Es war Meister Donato, der Henker von Neapel.

An der Thür angelangt, empfand der Marquis einiges Widerstreben, in diese fluchbeladene Wohnung zu treten.

»Ruf Meister Donato heraus,« sagte er zu dem Kutscher, »und sage ihm, daß ich ihn zu sprechen wünsche.«

Der Kutscher stieg vom Bock, öffnete die Hausthür und rief:

»Meister Donato, kommt heraus!«

Man hörte nun eine Frauenstimme, welche antwortete:

»Mein Vater ist nicht in Neapel.«

»Wie, Ihr Vater ist nicht in Neapel? Hat er denn Urlaub?«

»Nein, Excellenz,« antwortete dieselbe Stimme näherkommend; »er ist in Berufsgeschäften nach Salerno gereist.«

»Wie, in Berufsgeschäften?« wiederholte Malaspina; »erklären Sie mir das, schönes Kind.«

In der That sah er unter der Thür des Hauses eine junge Frau und dicht hinter ihr einen Mann, welcher ihr Geliebter oder ihr Gatte zu sein schien.

»O, Excellenz, diese Erklärung wird sehr leicht sein, « antwortete die junge Frau, welche keine Andere war als Marina. »Sein College in Salerno ist gestern gestorben und es sind dort vier Hinrichtungen zu vollziehen, zwei morgen, zwei übermorgen. Deshalb ist er heute Mittags abgereist und wird übermorgen Abends wiederkommen.«

»Und hat er Niemanden zurückgelassen, der einstweilen seinen Posten versieht?« fragte der Marquis.

»Nein. Es lag kein Befehl vor, und die Gefängnisse sind, wie es scheint, nun ziemlich leer. Seine Gehilfen hat er ebenfalls mitgenommen, denn er verläßt sich nicht gern auf Leute, mit welchen er noch nicht gearbeitet hat.«

»Könnte nicht dieser junge Mann im Nothalle seine Stelle versehen?« fragte der Marquis, indem er auf Giovanni zeigte.

Giovanni – der Leser hat bereits errathen, daß er es war und daß sein Wunsch, Marina’s Gatte zu werden, von den vollständigsten Erfolg gekrönt worden – Giovanni schüttelte den Kopf.

»Ich bin nicht der Henker,« sagte er.

»Ich bin Fischer.«

»Aber was soll ich dann thun?«, fragte Malaspina. »Wenn Ihr mir nicht hilfreiche Hand leisten wollt, so gebt mir wenigstens einen guten Rath.«

»Nun, sehen Sie, Sie sind hier in dem Quartier der Fleischer – die Fleischer sind der Mehrzahl nach Royalisten. Wenn man erfährt, daß es blos einen Jakobiner zu hängen gibt, so findet sich vielleicht Jemand, welcher sich dazu versteht, dieses Geschäft zu besorgen.«

Malaspina sah ein, daß dies der einzige Ausweg sei, der ihm offenstehe, und da er mit seinem Wagen nicht in das Labyrinth hinein konnte, welches sich vom Quai bis zum Altmarkt erstreckt, so machte er sich zu Fuße auf, um einen Dilettanten des Henkerhandwerkes ausfindig zu machen.

Er wendete sich zu diesem Zweck nach einander an drei wackere Männer, welche sich aber weigerten, obschon er ihnen bis siebzig Piaster bot und ihnen den von der Hand des Königs unterzeichneten Befehl vorwies, welchem zufolge die Hinrichtung binnen zwölf Stunden erfolgen sollte.

Halb verzweifelt verließ er das Haus des Letzteren, indem er murmelte: »Ich kann sie doch nicht selbst abschlachten!« als der Mann, von einem plötzlichen Gedanken erleuchtet, ihn wieder zurückrief.

»Excellenz,« sagte der Fleischer, »ich glaube, ich kenne Ihren Mann.«

»Ah, murmelte Malaspina, »das wäre mir sehr lieb.«

»Ich habe nämlich einen Nachbar. Er ist kein eigentlicher Fleischer, sondern schlachtet blos Hammel und Böcke, aber nicht wahr, Sie bestehen nicht unbedingt darauf, daß es ein wirklicher Fleischer sei?«

»Es liegt mir blos daran, einen Mann zu finden, der das Geschäft verrichten kann, von welchem ich Euch sagte.«

»Nun gut, dann wenden Sie sich an den Beccajo. Er ist von den Republikanern sehr verfolgt worden, der arme Mann, und wird nichts Besseres verlangen, als sich rächen zu können.«

»Und wo wohnt dieser Beccajo?« fragte der Marquis.

»Komm, Peppino,« sagte der Fleischer zu einem Knaben, der in einem Winkel seines Kaufladens auf einem Haufen halbgetrockneter Häute lag; »komm und führe Seine Excellenz zu dem Beccajo.«

Der Knabe stand auf, dehnte sich und machte sich murrend, daß er aus dem ersten Schlafe geweckt worden, fertig, zu gehorchen.

»Komm, mein Junge,« sagte Malaspina, um ihn zu ermuthigen, »wenn wir gute Geschäfte machen, so bekommst Du einen Piaster.«

»Aber wenn Sie keine Geschäfte machen,« sagte der Knabe mit der Logik des Egoismus, »so bin ich dann deswegen immer aus dem Schlafe gestört worden.«

»Da hast Du auch Recht,« sagte Malaspina. »Hier ist der Piaster für den Fall, daß wir keine Geschäfte machen. Machen wir deren, so bekommst Du dann noch einen.«

»Das laß ich mir gefallen! das nenne ich gut gesprochen! Haben Sie die Güte, mir zu folgen, Excellenz!«

»Ist es weit?« fragte Malaspina.

»O nein, Excellenz; gleich da drüben.«

Der Knabe lief voran, der Marquis folgte.

Der Führer hatte die Wahrheit gesprochen. Man brauchte blos die Straße zu überschreiten, um zu dem Beccajo zu gelangen. Der Laden desselben war aber geschlossen, obschon man durch die schlecht zusammengefügten Fensterläden Licht durchschimmern sah.

»Heda, Beccajo!« rief der Knabe, indem er mit der Faust an die Thür schlug.

»Was gibt’s?« fragte eine rauhe Stimme.

»Es ist ein in Tuch gekleideter Herr da, der Euch sprechen will,« sagte der Knabe.

Dieser Ausdruck »in Tuch gekleidet« —vestito di panno – war das Merkmal der Aristokratie, vor welchem sich die Neapolitaner des letztvergangenen Jahrhunderts beugten.

Da die Antwort des Knaben, trotz ihrer Präzision, den Entschluß des Beccajo nicht zu beschleunigen schien, so sagte Malaspina:

»Oeffne, mein Freund. Ich komme im Namen des Vicekönigs, dessen Secretär ich bin.«

Diese Worte wirkten wie der Stab einer Fee. Die Thür öffnete sich wie auf einen Zauberschlag, und beim Schein einer qualmigen, dem Erlöschen nahen Lampe, welche Haufen von Knochen und blutigen Häuten beleuchtete, gewahrte Malaspina ein mißgestaltetes, verstümmeltes, scheußliches Geschöpf.

Es war dies der Beccajo mit seinem ausgeschlagenen Auge, einer verstümmelten Hand, einem hölzernen Bein. An der Thür seines Schlachthauses stehend glich er dem Dämon der Vernichtung.

Malaspina konnte, obschon sein Herz in gewissen Punkten sehr hart und unbeweglich war, sich doch einer Bewegung des Abscheues und Widerwillens nicht enthalten.

Der Beccajo bemerkte es.

»Ja, es ist wahr,« sagte er die Zähne knirschend, was seine Art und Weise zu lachen war, »ich bin nicht schön, Excellenz. Ich kann wohl aber annehmen, daß Sie ohnehin nicht hierhergekommen sind, um eine Statue für das bourbonische Museum zu suchen.«

»Nein, ich suche vielmehr einen treuen Diener des Königs, einen Mann, welcher die Jakobiner nicht liebt, und welcher geschworen hat, sich an ihnen zu rächen. Man hat mich an Euch gewiesen und mir gesagt, daß Ihr dieser Mann wäret.«

»Und man hat Sie nicht getäuscht, Excellenz; haben Sie die Güte einzutreten.«

Trotz des Widerwillens, den der Marquis empfand, in dieses Schlachthaus zu treten, ging er doch hinein.

Der Knabe, der ihn geführt und welchem natürlich daran lag, das Resultat der Unterhandlung kennen zu lernen, wollte hinter dem Marquis herschleichen, der Beccajo aber hob seinen verstümmelten Arm.

»Zurück, Junge!« sagte er. »Du hast nichts mit uns zu schaffen.«

Und er schlug dem Knaben, welcher draußen stehen blieb, die Thür vor der Nase zu.

Der Beccajo und der Marquis Malaspina blieben beinahe zehn Minuten lang mit einander eingeschlossen. Dann kam der Marquis wieder heraus.

Der Beccajo begleitete ihn unter unaufhörlichen Verbeugungen bis an die Thür. Als Malaspina sich ungefähr zehn Schritte weit entfernt hatte, begegnete er seinem Führer.

»Ah,« sagte er, »da bist Du ja, Junge!«

»Allerdings bin ich da,« sagte der Knabe; »ich habe gewartet.«

»Und worauf?«

»Ich wollte wissen, ob Sie gute Geschäfte gemacht hätten.«

»Nun und wenn dies nun der Fall wäre?«

»Dann würde ich, wie Sie sich erinnern werden, Excellenz, noch einen Piaster von Ihnen bekommen.«

Der Marquis suchte in seiner Tasche.

»Da, hier hast Du ihn,« sagte er.

Und mit diesen Worten gab er dem Knaben eine Silbermünze.

»Ich danke, Excellenz,« sagte der Knabe, indem er die Münze in dieselbe Hand nahm wie die erste und damit klapperte wie mit Castagnetten. »Gott schenke Ihnen langes Leben.«

Der Marquis stieg wieder in seinen Wagen und befahl dem Kutscher bei dem Theater dei Fiorentini vorzufahren.

Peppino stieg mittlerweile auf einen Eckstein und betrachtete beim Schein der vor einem Madonnenbilde brennenden Laterne die Münze, welche er soeben empfangen, genauer.

»O,« sagte er, »er hat mit anstatt eines Piasters blos einen Ducato gegeben und mich folglich um zwei Carlini bestohlen. Diese vornehmen Herren sind doch rechte Schufte.«

Während Peppino diese Lobrede auf den Marquis Malaspina hielt, fuhr dieser nach dem Theater dei Fiorentini.

An dem Thor des Theaters oder vielmehr auf dem kleinen Platze vor demselben sah er den Wagen des Vicekönigs, woraus er schloß, daß dieser noch im Theater sei.

Er sprang aus dem Wagen, bezahlte seinen Kutscher, ging rasch die Treppe hinauf und ließ sich die Thür der Loge des Fürsten öffnen.

Bei dem Geräusch, welches diese sich öffnende Thür machte, drehte der Fürst sich herum.

»Ah, Malaspina,« sagte der Fürst, »Sie sind es?«

»Ja, mein Fürst,« antwortete der Marquis in seinem gewöhnlichen kurzen Tone.

»Nun?«

»Es ist Alles besorgt und morgen Vormittag zehn Uhr werden die Befehle des Königs vollzogen werden.«

»Ich danke,« antwortete der Fürst. »Setzen Sie sich. Sie haben das Duett des zweiten Actes versäumt, zum Glück aber kommen Sie gerade noch zeitlich genug, um die große Arie: »Pira che spunti l’aurora!« zu hören.

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Дата выхода на Литрес:
30 ноября 2019
Объем:
200 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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